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HIGHLIGHTS | GEHEIMTIPPS | WOHLFÜHLADRESSEN

»Ruth hatte die Stadt
von Anfang an in ihr Herz geschlossen:
die Grachten, die Brücken, die vielen Fahrräder,
die Cafés und die Restaurants.«

John Irving, Witwe für ein Jahr (1998)

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Abends erstrahlen die historischen Gebäude am Rande des Hafens in hellem Licht.

INHALT

Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen

Willkommen in Amsterdam

DAS ALTE ZENTRUM

 1 Stationsplein, Damrak und Dam

 2 Altes Hafenviertel

 3 Oude Kerk im Rotlichtviertel

 4 Ons’ Lieve Heer op Solder

 5 Chinatown

 6 Kalverstraat, Rokin und Spui

 7 Begijnhof

 8 Amsterdam Museum

 9 Kloveniersburgwal und Universitätsviertel

ENTLANG DES GRACHTENGÜRTELS

10 Brouwers bis Leidsegracht

11 Rund um die Westerkerk

12 Besuch im Anne-Frank-Haus

13 Negen Straatjes

14 Goldener Bogen

15 Spazieren an der Amstel

16 Hermitage Amsterdam

JORDAAN UND HAFENINSELN

17 Kreuz und quer durch den Jordaan

18 Rund um die Noorderkerk

19 Hofjes im Jordaan

20 Bruine Cafés

21 Entlang der Haarlemmerstraat

22 Westerpark und Westergasfabriek

23 Westliche Hafeninseln

OUD-ZUID UND DE PIJP

24 Ausgehmeile Leidseplein

25 Museumplein und Spiegelkwartier

26 Rijksmuseum

27 Van Gogh Museum

28 Stedelijk Museum

29 Vondelpark und Umgebung

30 De Pijp

JÜDISCHES VIERTEL

31 Vom Nieuwmarkt bis zur Oudeschans

32 Rembrandt-Haus

33 Rund um den Waterlooplein

34 Mr. Visserplein und Jonas Daniël Meijerplein

35 Jüdisches Museum

36 De Plantage

37 Hortus Botanicus Amsterdam

38 Natura Artis Magistra

ALTER UND NEUER OSTEN

39 Rund um den alten Hafen

40 Museum NEMO

41 Kadijken und Entrepotdok

42 Oostelijke Eilanden

43 Oostelijk Havengebied

AUSFLÜGE UND UMGEBUNG

44 Jenseits des IJ

45 NDSM-Werft

46 Ijburg

47 Amsterdamse Bos

48 Stelling van Amsterdam

49 Freilichtmuseum Zaanse Schans

50 Polder de Beemster

REISEINFOS

Amsterdam von A–Z

Kleiner Sprachführer

Register

Impressum

MEHR WISSEN

Giebel und Grachtenhäuser

Tulpenwahn

Die Kraker kommen

Die Ostindien-Compagnie

MEHR ERLEBEN

Amsterdam neu entdeckt

Günstig durch Amsterdam

Amsterdam für Kinder und Familien

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Das Kulturspektakel Uitmarkt

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Zum Anbeißen: die Auslage eines Käsegeschäfts

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Im Frühling blühen überall die Tulpen.

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Amsterdam ist reich an netten Lokalen.

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Das ehemalige Mädchen-Waisenhaus am Spui

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Am Koningsdag trägt ganz Amsterdam Orange.

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Der Vondelpark

DAS SOLLTEN SIE SICH NICHT ENTGEHEN LASSEN

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Im Begijnhof führten unverheiratete Frauen ein religiöses Leben in einer nicht durch ein Gelübde gebundenen Gemeinschaft.

image Von der Wand in den Mund (S. 39)

Die »Febo«-Automatenrestaurants gehören zum Amsterdamer Stadtbild wie Fahrräder und Grachten. Ob die hier verkauften Snacks tatsächlich »de lekkerste« sind, muss jeder selbst beurteilen. Faszinierend ist das Prinzip: Man wirft etwas Kleingeld ein, öffnet ein Kläppchen in der Wand und nimmt die warme frikandel oder den Burger heraus. Zur Feier des 75-jährigen Bestehens dieser Ur-Amsterdamer Institution gab es im September 2016 sogar für kurze Zeit eine schwimmende Filiale auf der hochvornehmen Prinsengracht.

image Im Begijnhof innehalten (S. 48)

Man geht durch einen Torbogen und ist in einer völlig anderen Welt: Der Beginenhof ist eine unerwartete Oase der Stille in der quirligen Innenstadt. Weiß gestrichene Häuser scharen sich um einen baumbestandenen Innenhof mit einer schlichten Kirche. Die Beginen lebten hier einst in einer spirituellen Gemeinschaft, aber selbstbestimmter und freier als im Kloster.

image Vom hässlichen Entlein zum strahlenden Schwan (S. 124)

Die gelungene Umwandlung der Westergasfabriek vom aufgegebenen Industrieareal zum Kulturzentrum plus Naherholungsgebiet begeistert nicht nur Fachleute aus aller Welt, sondern in erster Linie die Amsterdamer, für die das ehemalige Gaswerk rasch zum allseits beliebten Ausflugsziel avancierte.

image Rijksmuseum in neuer alter Pracht (S. 148)

Die Kosten explodierten, aus der geplanten Renovierung wurde eine Dauerbaustelle: Gut zehn Jahre lang war das Rijksmuseum, die »Schatzkiste der Nation«, wegen Umbaus geschlossen. Doch das Warten hat sich definitiv gelohnt: Die versammelten Meisterwerke von Rembrandt bis Vermeer erstrahlen in der originalgetreu wiederhergestellten historischen Pracht jetzt noch einmal so schön!

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Rembrands Nachtwache im Rijksmuseum

image Sommerfrische in der Stadt (S. 162)

An einem schönen Sommertag sollte man sich als Besucher ein Beispiel an den Amsterdamern selbst nehmen: ein Picknick einpacken, sich auf’s Rad schwingen und es sich in einem der vielen Parks gemütlich machen. Sehr beliebt und lohnend ist der Vondelpark mit seinen weiten Rasenflächen und dem tollen Spielplatz. Hier nistet regelmäßig ein Storchenpaar, und einen echten Picasso gibt es auch – eine riesige Skulptur, die der Künstler der Stadt geschenkt hat.

image Wissenschaft zum Anfassen (S. 226)

Wer mit Kindern nach Amsterdam fährt, hat Glück: Er kommt um einen Besuch im NEMO, dem interaktiven Wissenschaftsmuseum, nicht herum. Ausprobieren ist hier ausdrücklich erlaubt – und das macht kleinen und großen Kindern großen Spaß. Von der Riesenseifenblasenstation bis zum Test, ob man ein guter Augenzeuge wäre, gibt es hier jede Menge Wissenswertes zu entdecken.

image Willkommen an Bord (S. 66)

Alles schaukelt sacht. Das Wasser plätschert, und irgendwo ganz in der Nähe quakt eine Ente. Gut 2500 Hausboote gibt es in Amsterdam, und einige davon kann man mieten. Manche liegen irgendwo im Grünen, andere nur einen Steinwurf von der City entfernt im Oosterdok. Doch ganz egal wo: Das Wohnen auf dem Wasser hat seinen eigenen, ganz besonderen Reiz.

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Hausboote in der Brouwersgracht

image Schiff ahoi! (S. 246)

An der Rückseite des schick renovierten und zum IJ-Ufer hin um eine großartige Glaskonstruktion erweiterten Hauptbahnhofs legen die kostenlosen Pendelfähren nach Amsterdam Noord ab. Die Bootsfahrt quer über Het IJ eröffnet einen tollen Panoramablick auf die vorbeiziehenden Schiffe und die ehemaligen Hafengebiete, die seit den 1990er-Jahren vom Niemandsland zum In-Viertel mutiert sind und heute Architekturfans aus aller Welt anziehen.

image Schaukeln über dem Abgrund (S. 250)

Als ob der Ausblick von der Plattform Lookout, hoch oben auf dem Turm A’DAM in Amsterdam Noord, nicht schon spektakulär genug wäre, wartet der markante Turm zusätzlich mit einem Drehrestaurant auf. Für ganz Wagemutige steht auf der obersten Terrasse eine Schaukel, mit der man weit über die Gebäudekante hinausschwingt. Ob dann die phänomenale Aussicht auf Amsterdam oder doch eher die gähnende Tiefe unter den eigenen Füßen den Blick fesselt, muss wohl jeder selbst ausprobieren.

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Im NEMO gibt’s Wissenschaft zum Anfassen für Klein und Groß.

WILLKOMMEN in Amsterdam

In Amsterdam gibt es mehr Brücken als in Venedig und mehr Fahrräder als Einwohner. Die gemütliche Metropole ist zwar Hauptstadt, aber nicht Regierungssitz und darum sehr entspannt – ebenso wie ihre Bewohner, denen das Prinzip »leben und leben lassen« in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die einzigartige Mischung aus Tradition und Moderne entdeckt man am besten auf ausgedehnten Spaziergängen durch die Stadt.

Den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft beherrscht Amsterdam perfekt. Das gesamte, einzigartige Stadtzentrum steht unter Denkmalschutz, insgesamt gibt es weit über 7000 Baudenkmäler. Trotzdem fühlt man sich nicht wie in einem Museum, wenn man am Grachtengürtel entlangspaziert. Das liegt zum einen am ungezwungenen Umgang der Amsterdamer selbst mit ihrem historischen Erbe: Direkt vor dem königlichen Palast dreht sich während einer Kirmes das Riesenrad, unbekümmert werden nicht mehr ausgelastete Kirchen in Büroräume umgewandelt. Die Stadt ist nicht in historischer, altehrwürdiger Schönheit erstarrt, sondern verändert ihr Gesicht ständig durch immer neue Bauprojekte. Vor allem lebt die Stadt durch ihre Menschen. Amsterdam ist jung und multikulturell. Knapp die Hälfte der Bewohner ist jünger als 35 Jahre, jeder Zweite hat ausländische Wurzeln. Rund 180 Nationalitäten sind hier vertreten. Das sorgt einerseits für eine sehr lebendige Atmosphäre, andererseits führt das Zusammenleben so vieler unterschiedlicher Kulturen auch zu Spannungen – und neuen Herausforderungen.

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Das Papeneiland ist ein beliebtes Fotomotiv.

Liberal aus Überzeugung

Weltoffen, unternehmungslustig, gastfreundlich, pragmatisch, geschäftstüchtig und gesellig – all das sind Attribute, die man den Amsterdamern gemeinhin zuspricht. Geradezu sprichwörtlich ist auch die Toleranz der Amsterdamer, Neues vorurteilsfrei zu betrachten und auszuprobieren. 1976 machten die Niederlande Schlagzeilen mit der Ankündigung, den Besitz und Konsum kleiner Mengen weicher Drogen nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen, ohne das grundsätzliche Verbot aufzuheben. Amsterdam lebt seitdem mit seinen Coffeeshops. Seit 2000 ist die Prostitution im Rotlichtviertel um die Oude Kerk legal, 2001 wurden die ersten gleichgeschlechtlichen Paare getraut.

Leben mit Zuwanderern

Bekannt für ihre Liberalität war die Stadt Amsterdam schon im 16. und 17. Jahrhundert. Jüdische Glaubensflüchtlinge gaben ihr den Beinamen mokum aleph, was sich sinngemäß mit »sicherer Hafen« übersetzen lässt. Auch Protestanten und Hugenotten flohen hierher. In Amsterdam herrschte seit 1597 Glaubensfreiheit, 1632 wurde die Pressefreiheit eingeführt. Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) schätzte die Gedankenfreiheit in Amsterdam, Baruch de Spinoza (1632–1677), einer der Vordenker der Aufklärung, wuchs hier auf. Ab 1933 wurden die Niederlande zur Zuflucht für deutsche Juden, darunter auch die Familie von Anne Frank. Während der deutschen Besatzung war die Stadt Zentrum des niederländischen Widerstands; viele Niederländer versteckten Juden oder verhalfen ihnen zur Flucht. Nach dem Ende der Kolonialzeit fanden zahlreiche Zuwanderer aus ehemaligen Kolonien eine neue Heimat in Amsterdam.

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Amsterdam ist jung und multikulturell.

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Im Oosterpark erinnert ein Denkmal an das Ende der Sklaverei.

Toleranz auf dem Prüfstand

Der bekannte niederländische Autor Geert Mak prägte für die Stadt den Titel »Welthauptstadt der Toleranz«. Tatsächlich galten die Niederlande, speziell Amsterdam, lange als Musterbeispiel für eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft. Dieses Bild fing in den 1990er-Jahren an zu bröckeln. Weil deutlich mehr Einwanderer als Einheimische arbeitslos waren oder von Sozialhilfe lebten, legte die Stadtverwaltung eine Reihe von Integrationsprogrammen auf. Am 2. November 2004 erschütterte ein brutaler Mord die Stadt. Auf offener Straße ermordete ein radikalisierter junger Niederländer marokkanischer Abstammung den islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh. Der Mord wurde als allgemeiner Angriff auf die in den Niederlanden traditionell hoch geschätzte Meinungsfreiheit gewertet. Die mangelnde Integration einer großen Gruppe muslimischer Jugendlicher, die immer wieder durch Übergriffe in Erscheinung traten, geriet in den Fokus der Aufmerksamkeit. Seit dem 1. Januar 2007 gilt in den Niederlanden das Gesetz zur zivilen Integration. Zuwanderungswillige müssen nun zunächst in ihrem Heimatland in einem Test Sprach- und Landeskenntnisse der Niederlande unter Beweis stellen, um eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Nur wer innerhalb von drei Jahren einen weiteren Integrationstest besteht, erhält eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung.

Störenfriede raus!

Auf der anderen Seite legt Amsterdam großen Wert auf den Schutz von Minderheiten. Ende 2012 legte die Stadtregierung einen Aktionsplan gegen massives Mobbing in der Nachbarschaft vor, nachdem wiederholt Behinderte, Homosexuelle oder Migranten aus ihrem Wohnumfeld geekelt wurden. Wer nach diversen Gesprächen, Beratungs- und Mediationsangeboten seine Nachbarn immer noch terrorisiert, kann für eine begrenzte Zeit seiner Wohnung verwiesen und in Auffangquartieren, etwa umgebauten Schiffscontainern am Stadtrand, untergebracht werden. Die Begründung für das harte Durchgreifen lautet: Juist in Amsterdam moet iedereen zichzelf kunnen zijn en in vrede kunnen leven. Das heißt: »Gerade in Amsterdam muss jeder er selbst sein und in Frieden leben können.« Da ist es wieder, das Amsterdamer Leitmotiv …

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Romantischer Lichterglanz an der Prinsengracht

Leben mit dem Wasser

Eine besondere Beziehung haben die Amsterdamer zum Wasser. Den Boden ihrer Stadt mussten sie dem Wasser abtrotzen. Sie bauten Deiche, gruben Entwässerungskanäle und rammten über fünf Millionen Pfähle in den schlammigen Untergrund, damit ihre Häuser festen Boden unter den Füßen hatten. Würde man Amsterdam auf den Kopf stellen, dann käme wohl ein ganzer Wald ans Tageslicht, sinnierte einst der Dichter Joost van den Vondel (1587–1679). Wie viele Baumstämme den gewaltigen Königspalast am Dam tragen, weiß in Holland jedes Kind: So viele Tage wie das Jahr, eine Eins davor und eine Neun dahinter – 13659 sollen es sein. Gleichzeitig machten sich die Amsterdamer das Wasser zunutze. Das verzweigte Netz der Grachten diente als Verkehrswegenetz für Menschen, Vieh und Waren, die auf flachen Kähnen bis vor die Türen der Packhäuser gebracht wurden. Experten zufolge konnten damals deutlich größere Warenmengen durch die Stadt bewegt werden als heute per Lieferwagen. Das Logistikunternehmen DHL lässt darum seit den 1990er-Jahren ein knallgelbes pakjesboot durch die Grachten tuckern. Nach dem Willen der Stadtväter soll der kleine gelbe Pionier Gesellschaft bekommen: Anfang 2016 stellte die Gemeinde ihre »Watervisie 2040« vor – diese Vision umfasst neben einem kräftigen Ausbau des Warenverkehrs auf dem Wasser auch die Anlage von Boulevards und Badestränden am IJ-Ufer.

Hausputz auf den Grachten

Bis ins 19. Jahrhundert dienten die Kanäle auch als Kanalisation. Im Sommer und bei niedrigem Wasserstand war der Gestank kaum auszuhalten. Wer es sich leisten konnte, floh aufs Land. Heute hält ein Netz von Pumpen und Schleusen den Wasserpegel weitgehend konstant. Ein zu niedriger Wasserstand wäre ebenso fatal wie ein zu hoher, denn die Pfähle, die die Stadt tragen, dürfen nicht trockenfallen, sonst würden sie verrotten. Ein großes Schöpfwerk pumpt nachts Wasser aus dem Ijsselmeer in die Stadt, um die Grachten durchzuspülen. Spezielle Reinigungsschiffe fischen den Unrat von der Wasseroberfläche, große Kähne mit Greifarmen bergen regelmäßig verrostete Fahrradwracks und anderes vom Grund der Grachten. In Amsterdam sagt man, die Grachten seien insgesamt drei Meter tief: ein Meter Schlamm, ein Meter Fahrräder, ein Meter Wasser.

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Die jährliche Gay-Parade ist ein schrill-buntes Spektakel.

Spaß auf allen Kanälen

Bei schönem Wetter sieht man in Amsterdam ganze Familien mit Picknickkorb und Hund gemütlich per Boot über die Grachten tuckern. Auch im Festkalender haben die Kanäle einen festen Platz. Am Koningsdag Ende April drängen sich die Boote mit feiernden Menschen auf den Grachten. Am ersten Wochenende im August bildet ein schrill-bunter Bootskorso den Höhepunkt des jährlichen »Gay Pride«, einer großen Kundgebung für die Rechte von Homosexuellen. Ausgesprochen kultiviert geht es Mitte August beim Grachtenfestival zu, wenn auf zahlreichen Bühnen am und auf dem Wasser fünf Tage lang klassische Musik erklingt. Ende November kommt Sinterklaas, der niederländische Nikolaus, per Schiff über die Amstel in die Stadt – schon seit 1934, mit nur einer Unterbrechung im Kriegswinter 1944. Tausende von Zuschauern verfolgen den Bootsumzug jedes Jahr. Eine heftige Auseinandersetzung tobt seit einigen Jahren um die Gehilfen des Nikolaus, die Zwarten Pieten: Mit ihren schwarz geschminkten Gesichtern und den wilden Afroperücken empfindet sie mancher als rassistische Karikaturen.

Platznot macht erfinderisch

Vierhundert Jahre sind seit dem ersten Spatenstich vergangen. Bis heute gilt der Grachtengürtel als architektonisches und städtebauliches Meisterwerk. Als »Vorbild für die Stadtarchitektur in der modernen Welt« ernannte ihn die UNESCO 2010 zum Weltkulturerbe. Dabei war der Grund für das Jahrhundertbauwerk banal: Im alten Stadtzentrum wurde es zu eng. Amsterdam boomte, der Handel florierte, viele Menschen drängten in die Stadt. Es fehlte an Anlegeplätzen, Stau- und Wohnraum. Schließlich beschlossen die Stadtväter, mit einem großen Wurf all diese Probleme auf einen Schlag zu lösen. Der Platzmangel zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Stadt und hat die Amsterdamer immer wieder zu kreativen Lösungen angespornt.

Die Amsterdamer Schule

Im ausgehenden 19. Jahrhundert zeigten sich in Amsterdam die Schattenseiten der Industrialisierung. Vor allem in Arbeitervierteln wie dem Jordaan lebten die Menschen in katastrophalen Verhältnissen. Ein 1901 verabschiedetes Gesetz zum Volkswohnungsbau gab den Startschuss für mehrere innovative Projekte des sozialen Wohnungsbaus, von denen einige Architekturgeschichte schrieben. Die sogenannte Amsterdamer Schule entwickelte auf der Grundlage traditioneller Materialien wie rotem Backstein eine neue, expressionistische Formensprache. Prominentestes Beispiel ist der 1921 fertiggestellte Wohnblock Het Schip. Auch mit neuen Formen des Zusammenlebens wurde experimentiert: Zwischen den Weltkriegen entstand eine Reihe von »Gartendörfern«, die das soziale Miteinander fördern sollten. Als nach dem Krieg Baumaterial knapp und teuer war, erprobte man im Bezirk Watergraafsmeer neue Baustoffe – so entstand das Betondorp, heute ein Paradebeispiel der nüchtern-sachlichen Architekturrichtung De Stijl. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden am Stadtrand große Neubaugebiete im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet. Im Zentrum waren bezahlbare Wohnungen so knapp, dass viele Familien zu dieser Zeit abwanderten. Die Innenstadt sollte grundlegend modernisiert und zur autofreundlichen Stadt umgebaut werden. Dabei wurde unter anderem erwogen, ganze Viertel abzureißen, die Grachten zuzuschütten und zu Straßen umzuwidmen. Vieles davon scheiterte am Widerstand der Amsterdamer, die für den Erhalt einer lebenswerten Innenstadt kämpften.

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Feierabendstimmung auf einem der vielen Wohnboote

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Auf dem Dach des Museums NEMO: Relaxen mit Aussicht

Auf zu neuen Ufern

Pünktlich zur Jahrtausendwende hat Amsterdam seine Wasserseite wiederentdeckt. Eine ganze Reihe spektakulärer Gebäude ist entstanden, etwa das Muziekgebouw aan’t IJ, das Wissenschaftsmuseum NEMO, das neue Domizil der Stadtbibliothek und der auf drei Seiten von Wasser umgebene Wohnblock Silodam. Jenseits des IJ zieht das hypermoderne Filmmuseum Eye die Blicke auf sich. Wenn der Platz nicht reicht, dann schütten die Amsterdamer eben künstliche Inseln auf. Grondwinning heißt diese wohlbewährte Methode, mit der schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Grundlagen für die geplante westliche Hafenerweiterung gelegt wurden. Seit der Jahrtausendwende entsteht für den neuen Stadtteil Ijburg im IJ ein Archipel aus künstlichen Inseln. Über 20 000 Menschen wohnen schon dort, bis zu 45 000 sollen es werden.

Oranje boven

Auch der prunkvolle Königspalast am Dam war zu seiner Zeit ein hochmodernes Stück Architektur. Die königliche Familie nutzt ihn nur für repräsentative Anlässe. Den meisten Amsterdamern ist das herzlich egal, denn mit der Monarchie hat man hier seit jeher nicht sonderlich viel am Hut. Einmal im Jahr machen die Amsterdamer aber eine Ausnahme: Am Konings-, früher Koninginnedag! Seit dem 31. August 1889, dem neunten Geburtstag von Prinzessin Wilhelmina, findet er jährlich statt. Während der Regierungszeit von Königin Juliana feierte man deren Geburtstag am 30. April. Königin Beatrix behielt dieses Datum bei (ihr Geburtstag ist im eher ungemütlichen Januar). Der Monarchengeburtstag ist ein nationaler Feiertag. Fällt er auf einen Sonntag, wird die Party einen Tag vorverlegt. Ganz Amsterdam erstrahlt dann in der Farbe des Königshauses Oranien: Orange! In Kneipen, Parks, auf Straßen, Plätzen und unzähligen Booten auf den Grachten wird ausgelassen gefeiert. Als Willem-Alexander am 30. April 2013 seiner Mutter Beatrix auf den Thron folgte, bekam das Land nach 123 Jahren weiblicher Regierung wieder einen König. Seitdem steigt die Party (die jetzt Koningsdag heißt) an seinem Geburtstag, dem 27. April. Da das volkstümliche Königspaar sehr beliebt ist, stoßen die Amsterdamer gern auf deren Wohl an.

Rijsttafel und Moksi Meti

Getrunken und gegessen wird in Amsterdam gern und gut. Nach Feierabend geht man mit Freunden oder Kollegen gezellig een borreltje nehmen. Ein borreltje ist ein Schnäpschen, meist ein Genever, ein Wacholderschnaps. Mit einem Bier dazu wird daraus ein Kopstoot, ein »Kopfstoß«. Zum borreltje gehört traditionell eine bittergarnituur, eine Auswahl von kleinen herzhaften Häppchen, etwa ein Stück Gouda, bitterballen (frittierte Bällchen mit Ragoutfüllung) und Amsterdamse ossenworst. Das Rezept für diese Wurst aus Ochsenfleisch stammt aus dem 17. Jahrhundert; abgeschmeckt wurde sie schon damals mit Pfeffer, Muskat und anderen Gewürzen aus den Kolonien. Dazu reicht man gern Amsterdamse uitjes – kleine, in Essig und Safran eingelegte Perlzwiebeln, die dadurch eine intensiv gelbe Farbe haben. Mehr als tausend Restaurants bieten eine reichhaltige Auswahl, vom schnellen Imbiss bis zum Sternerestaurant. Neben der traditionell niederländischen nimmt aufgrund der kolonialen Vergangenheit die indonesische Küche breiten Raum ein. Vor allem die rijsttafel, die aus einer Vielzahl von gleichzeitig servierten Hauptgerichten und Beilagen besteht, ist sehr beliebt. Man findet aber auch diverse karibische, afrikanische und indische Lokale. Die surinamische Küche gilt als Spezialität von Amsterdam und vereint verschiedenste Einflüsse – asiatische, afrikanische, karibische, javanische sowie libanesische und jüdische. Ein Klassiker ist zum Beispiel Moksi Meti, ein Reisgericht mit mehreren Sorten Fleisch.

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Oranje boven: eine extravagante Kopfbedeckung

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Frischen Matjes sollte man unbedingt einmal probieren.

Leckere Tussendoortjes

Viele Restaurants haben eine gesonderte Mittagskarte, die sich oft von der Abendkarte unterscheidet. Für den kleinen Hunger zwischendurch empfiehlt sich der Besuch in einem Eetcafé, das neben Kaffee und Kuchen auch kleinere Mahlzeiten serviert – etwa einen uitsmijter. Dieser »Rausschmeißer« ist kein muskelbepackter Türsteher, sondern entspricht dem hiesigen »Strammen Max«, also einem Spiegelei mit gebratenem Schinken auf Brot. Eine sehr beliebte Zwischenmahlzeit, tussendoortje genannt, sind belegde broodjes – das sind oft kulinarische Kleinkunstwerke. Lecker sind auch die Pommes, die in den Niederlanden patat oder Vlamse frites heißen, aus frischen Kartoffeln gemacht und mit den verschiedensten Soßen angeboten werden. Eine gute Alternative sind die Heringsstände und die vielen, oft asiatischen Take-aways. Nicht nur für Touristen sind die Automatenrestaurants der lokalen Kette »Febo« eine Attraktion: Hinter gläsernen Sichtfenstern warten fertige Snacks, zum Beispiel frikandel, eine Art Mischwurst ohne Pelle, die in der Fritteuse zubereitet und mit reichlich Mayonnaise und Ketchup garniert wird. In vielen niederländischen Familien isst man mittags nur eine Kleinigkeit, die warme Hauptmahlzeit gibt es abends gegen 18 Uhr. Auch in den Restaurants wird relativ früh gegessen. Ein Blick in die Speisekarte verrät oft, wann die Küche schließt.

Rookworst und Olieballen

Die traditionelle niederländische Küche ist deftig und basiert vor allem auf Kartoffeln, Fleisch und Gemüse. Klassiker sind Eintöpfe (stamppot) wie die dikke erwtensoep, eine sämige Erbsensuppe, oder der traditionelle hutspot, der ursprünglich aus weißen Bohnen und Pastinaken bestand und heute oft auch Karotten, Kartoffeln und als Fleischeinlage ein Stück Hohe Rippe (klapstuk) enthält. Ein Klassiker sind auch die pannekoken, die es herzhaft und süß gibt. Süßes aller Art steht in Amsterdam hoch im Kurs: Appeltaart met slagroom steht auf jeder Speisekarte. Poffertjes, kleine runde Eierpfannkuchen, werden in einer speziellen Pfanne mit runden Vertiefungen gebacken und mit Puderzucker bestreut. Und bevor man wieder nach Hause fährt, sollte man unbedingt die mit Sirup gefüllten dünnen stroopwafels probieren. Die besten gibt es frisch auf die Hand auf dem Albert-Cuyp-Markt im Stadtteil De Pijp. Eet smakelijk! – »Guten Appetit!«

Steckbrief Amsterdam

Lage: 52 ° 22’ nördliche Breite und 4 ° 53’ östliche Länge

Höhe: Der Amsterdamer Pegel (Normaal Amsterdams Peil) ist seit 1818 die Grundlage für Höhenmessungen in den Niederlanden und wurde von vielen angrenzenden Ländern, so auch Deutschland, übernommen.

Fläche: gut 219 Quadratkilometer, Davon Wasserfläche: rund 53 Quadratkilometer

Brücken: über 128

Einwohner: rund 822 000 im Stadtgebiet, etwa 2,3 Millionen im Großraum Amsterdam (Stand: Dezember 2015)

In der Bevölkerung vertretene Nationalitäten: 180

Stadtbezirke: 8, davon 7 mit eigenständiger Verwaltung

Stadtwappen:

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Das Wappen zeigt einen senkrechten schwarzen Streifen auf rotem Grund, darauf drei übereinander angeordnete weiße Andreaskreuze.

Bürgermeister: 1

Gemeinderat: 1 mit 45 Mitgliedern

Hausboote: 2500

Fahrräder je 100 Einwohner: 110

Autos je 100 Einwohner: 25

Anteil der Menschen, die täglich Rad fahren: 58 Prozent

Wirtschaft: Amsterdam hat eine lange Tradition als Hafenstadt, Handelszentrum und Finanzplatz. Noch heute ist der Hafen von Amsterdam nach Rotterdam der wichtigste der Niederlande. Die Stadt zählt zu den wichtigsten Finanzplätzen weltweit, die führenden inländischen und viele ausländische Geldinstitute, Versicherungen und Finanzdienstleister haben hier ihre Zentralen oder große Niederlassungen, ebenso viele Konzerne. Der Amsterdamer Flughafen Schiphol ist der größte der Niederlande und Sitz der größten Fluggesellschaft des Landes, der KLM. Nur wenige Autominuten davon entfernt entsteht mit der Zuidas (Südachse) ein neues Geschäftszentrum mit mehr als 650 000 Quadratmeter Bürofläche. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist der Tourismus.

Kultur: Kunst und Kultur spielen eine wichtige Rolle im Amsterdamer Stadtleben. In Amsterdam gibt es 75 Museen unterschiedlichster Größe und 55 Theater- und Konzertsäle. Die Zahl der Konzert- und Theateraufführungen pro Jahr liegt bei rund 9000. Amsterdam hat zwei Universitäten, zwei Kunstakademien und eine ganze Reihe von Business- und anderen Hochschulen.

Geschichte im Überblick

1275 wird die Siedlung am Amsteldamm erstmals urkundlich erwähnt. Graf Floris V. von Holland gewährt den Bewohnern der Ortschaft Zollfreiheit.

1306 Der Bischof von Utrecht verleiht Amsterdam die Stadtrechte. Die Oude Kerk wird gebaut.

1323 Amsterdam wird zum Zollhafen für den Import von Bier.

1345 Das Wunder von Amsterdam macht die Stadt zum Wallfahrtsort.

1421 Der erste große Stadtbrand verwüstet weite Teile Amsterdams. Nach einem weiteren Brand 1452 wird Holz als Baumaterial verboten.

1489 Kaiser Maximilian verleiht Amsterdam das Recht, die Kaiserkrone im Stadtwappen zu tragen.

1500 Amsterdam ist durch den Ostseehandel zur wichtigsten Stadt in der Provinz Holland avanciert. Karl V. bekämpft den Protestantismus, der sich in Nordeuropa ausbreitet, mit aller Gewalt. Dennoch entwickelt sich Amsterdam zu einem Zentrum der Täuferbewegung.

1535 Wiedertäufer versuchen, das Amsterdamer Rathaus zu stürmen. Die Anführer des Aufstands werden hingerichtet.

1566 Die protestantische Bevölkerung rebelliert. Katholische Kirchen werden gestürmt.

1568 Als Statthalter der holländischen Provinzen führt Wilhelm von Oranien den protestantischen Widerstand an. Amsterdam bleibt zunächst katholisch.

1578 Amsterdam kapituliert vor der Belagerung durch Wilhelm von Oranien. Mit der sogenannten Alteratie wird die katholische Stadtregierung abgesetzt und der Protestantismus zur offiziellen Religion. Der Katholizismus wird zwar toleriert, darf aber nicht öffentlich praktiziert werden. Darum entstehen zahlreiche Geheimkirchen.

1579 Die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande sagen sich vom katholischen Süden los.

1580 Spanien annektiert Portugal. Die Niederlande, bislang nur Zwischenhändler, rüsten nun Schiffe auf und suchen eigene Handelsrouten.

1585 Nachdem die Spanier Antwerpen eingenommen haben, strömen Tausende von Glaubensflüchtlingen nach Amsterdam.

1602 Die Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) wird gegründet. Sie wächst rasch zu einer enormen Handelsmacht. Fast 200 Jahre hat sie das Monopol auf den Südostasien-, Südafrika- und Südamerikahandel.

1613 Amsterdam boomt. Der erste Bauabschnitt des Grachtengürtels entsteht, um dringend benötigten Wohn- und Lagerraum zu schaffen. Reiche Kaufleute stiften Wohnhöfe für bedürftige Alte.

1621 Die West-Indische Compagnie (WIC) wird gegründet. Sie hat ein Handelsmonopol für Westafrika, Nord- und Südamerika und betreibt auch Piraterie und Sklavenhandel.

1637 Die Spekulationsblase um die Modeblume Tulpe platzt. Amsterdam erlebt eine Zeit der wirtschaftlichen und kulturellen Blüte: das Goldene Zeitalter.

1648 Mit dem Westfälischen Frieden enden 80 Jahre Krieg. Das Amsterdamer Rathaus, der heutige Königspalast, wird gebaut.

1663 Die zweite Bauphase des Grachtengürtels beginnt.

1685 Das Edikt von Nantes führt zu einem Zustrom von Hugenotten.

1784 Die niederländische Flotte verliert den Seekrieg gegen England.

1791 Die VOC wird aufgelöst.

1795 Nach dem Einmarsch französischer Truppen wird die Batavische Republik ausgerufen. 1806 ernennt Napoleon Bonaparte seinen Bruder Louis zum König der Niederlande.

1876 Bau des Nordostseekanals

1914–1918 Im Ersten Weltkrieg bleiben die Niederlande neutral.

1934 Die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung führt zum Jordaan-Aufruhr.

1940 Deutsche Truppen besetzen die Niederlande. Aus Protest gegen die Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung kommt es 1941 zum Generalstreik.

1945 Die alliierten Truppen befreien Amsterdam. Der Hungerwinter 1944/1945 kostet viele Menschenleben.

1966 Trotz vehementer Proteste heiratet Kronprinzessin Beatrix den Deutschen Claus von Amsberg.

1976 Die niederländische Regierung verkündet die Duldung weicher Drogen.

1980 Königin Beatrix’ Krönungstag wird von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und Polizei überschattet.

1992 Ein israelisches Transportflugzeug stürzt über dem Amsterdamer Stadtteil Bijlmermeer ab.

2002 Kronprinz Willem-Alexander heiratet in der Nieuwe Kerk seine argentinische Verlobte Máxima.

2004 Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh

2010 Der Grachtengürtel wird UNESCO-Weltkulturerbe.

2013 Königin Beatrix dankt zugunsten ihres Sohnes Willem-Alexander ab.

DAS ALTE ZENTRUM

1Stationsplein, Damrak und Dam

Wo alles begann

2Altes Hafenviertel

Neues Leben hinterm Deich

3Oude Kerk im Rotlichtviertel

Streifzug durch die Walletjes

4Ons’ Lieve Heer op Solder

Eine Kirche im Verborgenen

5Chinatown

In einer anderen Welt

6Kalverstraat, Rokin und Spui

Schicke Läden, ein Wunder und ein Gassenjunge

7Begijnhof

Eine Oase der Stille

8Amsterdam Museum

Eine spannende Zeitreise

9Kloveniersburgwal und Universitätsviertel

Zwischen Amüsement und Gelehrsamkeit

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Vom Schreierstoren winkten die Frauen den Seeleuten nach.

1 Stationsplein, Damrak und Dam

Wo alles begann

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Wo sich heute der prächtige Hauptbahnhof erhebt, stand einst die Wiege Amsterdams: An der Stelle, an der die Amstel in Het IJ mündete, ließen sich die ersten Siedler nieder. Vom Bahnhof aus führt der Weg in die Stadt über den Damrak, eine laute, touristisch geprägte Flaniermeile. Sie mündet in einen der zentralen Plätze Amsterdams, den Dam, an dem der Königspalast und das Nationalmonument liegen.

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Viele der Rundfahrtboote legen in der Nähe der Centraal Station ab.

Früher ragte an der Stelle des heutigen Stationsplein ein Wald von Masten in den Himmel. Hier landeten die großen Schiffe an, die im Goldenen Zeitalter den Reichtum der Niederlande begründeten. Ende des 19. Jahrhunderts musste der Hafen dem neuen Bahnhof weichen. Der 1889 fertiggestellte Backsteinbau im Stil der niederländischen Neorenaissance ruht auf künstlichen Inseln und 8687 Pfählen im ehemaligen Hafenbecken. Bis heute hadern viele Amsterdamer mit dem prachtvollen Gebäude, weil es den Blick vom Stadtzentrum auf die weite Wasserfläche des IJ versperrt. Was sie daran zusätzlich wurmt: Der Bau des Bahnhofs wurde über die Köpfe der Amsterdamer hinweg in Den Haag beschlossen – Amsterdam ist zwar die Hauptstadt der Niederlande, der Regierungssitz aber ist Den Haag.

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Der Amsterdamer Bahnhof ähnelt dem Rijksmuseum.

Stationsplein und Damrak

Der Architekt Petrus J. H. Cuypers (1827–1921) konzipierte das Bahnhofsgebäude als prachtvollen Palast der Reisenden. Zwei mächtige Türme flankieren den Mittelbau. In luftiger Höhe symbolisiert ein goldenes Rad mit Flügeln die moderne Technik der Eisenbahn. Der prächtige Wartesaal Erster Klasse ist heute ein schickes Café. Vom belebten Bahnhofsvorplatz fällt der Blick nach rechts auf ein riesiges mehrstöckiges Fahrradparkhaus. Linker Hand befindet sich im weißen Gebäude von »Smits Noord-Zuid Hollandsch Koffiehuis« die Zentrale der Amsterdamer Touristeninformation. Über den Damrak führt der Weg geradewegs in Amsterdams »gute Stube«, zum Dam. Der Unterlauf der Amstel, der hier einst verlief, wurde im 19. Jahrhundert zugeschüttet, um einen eleganten Boulevard anzulegen. Vom geschäftigen Binnenhafen blieb nur das kleine Becken übrig, in dem heute die Grachtenrundfahrtboote liegen.

Beurs van Berlage

Der monumentale Backsteinbau der alten Börse, der Beurs van Berlage (1898–1903), markierte den Beginn der modernen Architektur in den Niederlanden. Aus rund neun Millionen Backsteinen, Glas und Eisen schuf der Architekt Hendrik Petrus Berlage (1856–1934) ein funktionales Gesamtkunstwerk, geschmückt mit Glasfenstern, Wandmalereien, Reliefs und Skulpturen zeitgenössischer Künstler. Ein Standbild erinnert an Gijsbrecht van Amstel (1230–1303), den legendären Gründer der Stadt Amsterdam. Heute finden hier Veranstaltungen und Konzerte statt.

Königspalast

Am Dam fällt als erstes die klassizistische Fassade des Königspalastes (erbaut 1648–1665) ins Auge, der ursprünglich als Rathaus errichtet wurde. Im Auftrag des Amsterdamer Magistrats, der Mitte des 17. Jahrhunderts einen neuen, repräsentativen Amtssitz wünschte, entwarf Architekt Jacob van Campen (1595–1657) das seinerzeit größte Rathaus Europas. 13 659 Pfähle tragen den gewaltigen Bau mit Glockenturm, auf dessen Spitze sich eine Wetterfahne in Form eines Handelsschiffs dreht. Der über 20 Meter hohe Burgerzaal mit seinem riesigen Deckengemälde gilt als einer der schönsten Festsäle Europas. Als Napoleon Bonaparte (1769–1821) seinen Bruder Louis Napoleon (1778–1846) 1806 zum König der annektierten Niederlande ausrief, funktionierte dieser das prachtvolle Gebäude kurzerhand zu seiner Residenz um. Die Amsterdamer bekamen ihr Rathaus nie mehr zurück. Heute kann der Palast besichtigt werden.

Einfach gut!

DE DRIE FLESCHJES

Früher war es üblich, vor dem Kauf einer Flasche Genever oder Likör erst einmal ein Proeflokaal (Probierstube) aufzusuchen und dort einige Sorten zu verkosten, bevor man sich für eine entschied. In einer engen Gasse hinter der Nieuwe Kerk ist seit 1650 das Proeflokaal »De Drie Fleschjes« beheimatet. Heute werden die kleinen Gläschen mit alkoholischen Getränken zwar nicht mehr kostenlos ausgeschenkt, aber ansonsten scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Bevor die großen Zeitungen aus der Innenstadt an den Stadtrand zogen, trafen sich hier nach Feierabend vorzugsweise Journalisten auf einen »Absacker«. Auch heute ist das traditionsreiche Lokal immer noch gut besucht.

De Drie Fleschjes. Mo–Sa 14–20.30 Uhr, So 15–19 Uhr. Gravenstraat 18, 1012 NM Amsterdam, Tel. 020/624 84 43, www.dedriefleschjes.nl.

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Das imposante Börsengebäude am Dam

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De Bijenkorf, das erste Großkaufhaus der Niederlande

Nieuwe Kerk Amsterdam

Seit Willem I. (1772–1843) hier 1814 seinen Amtseid ablegte, ist die Nieuwe Kerk die Krönungskirche der Oranier. 2002 wurden hier Kronprinz Willem-Alexander und seine Frau Máxima getraut. Das rasche Wachstum der Stadt hatte im ausgehenden 14. Jahrhundert den Bau einer zweiten Kirche neben der Oude Kerk erforderlich gemacht. Im Jahr 1408 genehmigte der Bischof von Utrecht den Bau. Nach mehreren Bränden und Renovierungen erhielt die Nieuwe Kerk um das Jahr 1540 ihre heutige Form. Sehenswert ist die barocke Kanzel aus dem 17. Jahrhundert. Die berühmten Glockengießer François (1609–1667) und Pieter (1619–1680) Hemony, die unter anderem das Glockenspiel der Oude Kerk gefertigt haben, sind hier bestattet. Hinter der Nieuwe Kerk beherbergt das neugotische Gebäude des ehemaligen Hauptpostamtes (1895–1899) das luxuriöse Kaufhaus Magna Plaza. Direkt am Dam prangt De Bijenkorf, das erste in den Niederlanden errichtete Großkaufhaus (1912–1914). Für eine stilvolle Mittagspause empfiehlt sich der unter Denkmalschutz stehende Wintergarten des benachbarten Grandhotels »Krasnapolsky«.

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Die Konkurskammer im Königspalast, dem früheren Rathaus

Infos und Adressen

SEHENSWÜRDIGKEITEN

Nieuwe Kerk. Ausstellungen und Orgelkonzerte. Tgl. 10–17 Uhr, 25. Dez. geschl., Dam, 1012 JS Amsterdam, Tel. 020/638 69 09, mail@nieuwekerk.nl, www.nieuwekerk.nl

Koninklijk Paleis Amsterdam. An Besuchstagen (siehe Webseite) 10–17 Uhr, Dam, 1001 AM Amsterdam, Tel. 020/620 40 60, info@dkh.nl, www.paleisamsterdam.nl

ESSEN UND TRINKEN

Grand Café Restaurant 1e Klas. Stilvolles Café im Wartesaal. Tgl. 8.30–23 Uhr, Stationsplein 15/Zugang via Gleis 2b, 1012 AB Amsterdam, Tel. 020/625 01 31, info@restaurant1eklas.nl, www.restaurant1eklas.nl

Wynand Fockink Proeflokaal. Seit 1679 wird hier Genever gebrannt, täglich Verkostungen und Destillerieführung, Anmeldung online. Tgl. 15–21 Uhr, Pijlsteeg 43,1012 HH Amsterdam, Tel. 020/639 26 95, contact@wynand-fockink.nl, www.wynand-fockink.nl

Loetje Centraal station. Bodenständige Küche, schöne Terrasse. Tgl. 8–22.30 Uhr, Stationsplein 10, 1012 AB Amsterdam, Tel. 020/623 37 77, info@smitskoffiehuis.nl, www.smitskoffiehuis.nl

EINKAUFEN

De Bijenkorf. Einkaufstempel in bester Lage. Di–Mi 10–20 Uhr, Do–Fr 10–21 Uhr, Sa 9.30–20 Uhr, So–Mo 11–20 Uhr, Dam 1, 1012 JS Amsterdam, Tel. 0800/08 18, www.debijenkorf.nl

Magna Plaza. Shoppingparadies in der alten Post. Mo 11–19 Uhr, Di–Sa 10–19 Uhr, Do bis 21 Uhr, So 12–19 Uhr, Nieuwezijds Voorburgwal 182, 1012 SJ Amsterdam, www.magnaplaza.nl

AKTIVITÄTEN

Madame Tussaud’s Scenerama. Tipp: Karten online kaufen. Tgl. 10–17.30 Uhr, Dam 20, 1012 NP Amsterdam, Tel. 020/522 10 10, www.madametussauds.nl

Body Worlds Amsterdam. Ein Ableger der umstrittenen Körperwelten-Ausstellungen. So–Fr 9–20 Uhr, Sa 9–22 Uhr, Damrak 66, 1012 LM Amsterdam, Tel. 0900/84 11, amsterdam@bodyworlds.nl, www.bodyworlds.nl

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Eine der vielen Caféterrassen im historischen Stadtzentrum

2 Altes Hafenviertel

Neues Leben hinterm Deich

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Die höher gelegene Straße Zeedijk markiert den Verlauf des früheren Deichs. Hier wohnten die Seeleute, bis sie auf dem nächsten Schiff anheuerten. Die Gegend am Rande des Rotlichtviertels war über Jahrhunderte als Elendsviertel bekannt. Seit den 1970er-Jahren blühten hier Drogenhandel und Kriminalität. Anwohner und Polizei haben die Situation aber in den Griff bekommen.

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In der Sint Nicolaaskerk gibt es oft schöne Konzerte.

Der Zeedijk, einer der ältesten Straßenzüge der Stadt, verläuft entlang der alten Stadtbefestigung. An der Einmündung der Straße Sint Olofspoort lag früher eines der wichtigsten Stadttore. Gleich neben diesem Tor wurde um 1440 die Sint Olofskapel, die älteste Kapelle Amsterdams, errichtet. Nachdem sie im Laufe der Jahrhunderte unter anderem als Börse und als Käsemarkt diente, ist sie heute durch einen unterirdischen Tunnel mit dem »Barbizon Hotel« verbunden und wird als Tagungszentrum genutzt. Die Fassaden der Häuser an dieser Kreuzung, die sich in unterschiedliche Richtungen neigen, sind ein beliebtes Fotomotiv. Ihre »Schlagseite« ist beabsichtigt: Viele Häuser in Amsterdam haben oben am Giebel Takelbalken, an denen Waren in die Lagerräume unter dem Dach gezogen wurden. Damit die Lasten nicht vor die Fassade prallten, neigt sich diese der Straße zu.

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Heute geht es im alten Hafenviertel geruhsam zu.

Wer möchte, kann hier »tierisch« gut ausgehen: Im Eckhaus Sint Olofspoort/Zeedijk befindet sich das winzige »Proeflokaal de Ooievaar« (»Zum Storchen«). Nur ein paar Schritte weiter ist auf der anderen Straßenseite das Café »Int Aepjen« (»Zum Äffchen«), dessen Wurzeln bis in das Jahr 1560 zurückreichen. Wenn einst Seeleute ihre Zeche nicht bezahlen konnten, akzeptierte der Wirt dieses Cafés als Zahlungsmittel auch Äffchen, die die Matrosen von ihren Reisen mitbrachten. Das Haus Zeedijk Nr. 1, in dem sich das Lokal befindet, ist eines von zwei in ganz Amsterdam noch erhaltenen Häusern mit hölzernem Obergeschoss. Holzhäuser prägten lange Zeit das Stadtbild von Amsterdam, doch immer wieder fielen ganze Straßenzüge verheerenden Feuern zum Opfer.

Bei Tante Bet

Ein Stück den Zeedijk hinunter führte im Haus Nr. 63 die legendäre Bet van Beeren (1902–1967) das »Café ’t Mandje«, eines der ersten Lokale, in denen sich homosexuelle Männer und Frauen treffen konnten. Nach ihrem Tod wurde »Tante Bet« zwei Tage lang auf dem Billardtisch ihres Cafés aufgebahrt. Ihre jüngere Schwester führte das Lokal bis 1982 weiter. Nach der Schließung lag es dann 17 Jahre im Dornröschenschlaf, bis eine Nichte der beiden es renovierte und nahezu im Originalzustand wieder eröffnete.

Sint Nicolaaskerk

An der Kolksluis quert der Zeedijk den Oudezijds Kolk, an dessen Ufer eine malerische Gasse entlangführt. Im Wasser spiegelt sich die Sint Nicolaaskerk (1887). Die mächtige Basilika ist eine der wichtigsten römisch-katholischen Kirchen der Stadt und die dort stattfindenden Konzerte auf der Orgel des berühmten deutschen Orgelbauers Wilhelm Sauer (1831–1916) ziehen im Sommer viele Musikfreunde an. Wo der Oudezijds Kolk auf die Gelderse Kade trifft, ist mit dem wuchtigen Schreierstoren (zwischen 1480 und 1487) noch ein Teil der mittelalterlichen Stadtmauer erhalten geblieben.

Infos und Adressen

ESSEN UND TRINKEN

Café In’t Aepjen. Gastfreundlich seit 1560. So–Do 12–1 Uhr, Fr–Sa 12–3 Uhr, Zeedijk 1, 1012 AN Amsterdam, Tel. 020/428 82 91, info@schreierstoren.nl, in-het-aepjen-amsterdam.drinknlink.com

Café ’t Mandje. Ein begehbares Gesamtkunstwerk. Di–Do 17–1 Uhr, Fr 16–3 Uhr, Sa 15–3 Uhr, So 15–1 Uhr, Zeedijk 63, 1012 AS Amsterdam, Tel. 020/622 53 75, tmandje@gmail.com, www.cafetmandje.nl

Proeflokaal de Ooievaar. Winzig und urig. Tgl. ab 12 Uhr, Sint Olofspoort 1, 1012 AJ Amsterdam, Tel. 0631/58 69 41, info@proeflokaaldeooievaar.nl, www.proeflokaaldeooievaar.nl

ÜBERNACHTEN

Mauro Mansion. Altes Grachtenhaus mit neun stilvollen Zimmern für Gäste ab 12 J., Geldersekade 16, 1012 BH Amsterdam, Buchung nur online/per Mail: info@mauromansion.nl, www.mauromansion.com

VERANSTALTUNGEN

Konzerte in der Sint Nicolaaskerk. Chor- und Orgelkonzerte erleben. Prins Hendrikkade 73, 1012 AD Amsterdam, Konzerttermine online, info@muziekindenicolaas.nl, www.muziekindenicolaas.nl

3 Oude Kerk im Rotlichtviertel

Streifzug durch die Walletjes

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Spärlich bekleidete Damen, die in Schaufenstern auf Freier warten – auch das gehört zu Amsterdam. Seinen Namen de Walletjes verdankt des Rotlichtviertel vermutlich seiner Lage an zwei der ältesten Grachten der Stadt: dem Oudezijds Voor- und dem Oudezijds Achterburgwal. Mitten im Gewirr der engen Gässchen steht die Oude Kerk, die älteste Kirche der Stadt, auch liebevoll das »Wohnzimmer von Amsterdam« genannt.

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Amsterdams sündige Meile – Abendstimmung in de Walletjes

Ursprünglich war es die Nähe zum alten Hafen, die in den Sträßchen zwischen Zeedijk und Warmoesstraat, Damstraat und Kloveniersburgwal die Prostitution blühen ließ. Auch als der Hafen verlegt wurde, blieb und gedieh der Rotlichtbezirk, wo er war. Weit verbreitet ist bis heute die Fensterprostitution: In rötlich beleuchteten Schaufenstern präsentieren sich die Prostituierten den Schaulustigen. Lokale Berühmtheiten sind die Zwillingsschwestern Louise und Martine Fokkens, die über fünfzig Jahre lang als Prostituierte im Rotlichtviertel arbeiteten und über ihre Erlebnisse schließlich ein Buch schrieben.

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Bunte Kondome in einer Schaufensterauslage im Rotlichtbezirk

GUT ZU WISSEN

FOTOGRAFIEREN VERBOTEN!

Auf keinen Fall sollte man eine Fensterprostituierte fotografieren oder auch nur in der Nähe eines solchen Fensters Aufnahmen machen. Die Prostituierten legen großen Wert auf ihre Privatsphäre und verteidigen sie vehement, notfalls auch handgreiflich. Die Ex-Prostituierte Mariska Majoor weiß den Grund dafür: Viele Frauen führen ein Doppelleben und möchten auf keinen Fall, dass ihre Familien oder Nachbarn von ihrer Tätigkeit erfahren.

Prostitutie Informatie Centrum

Immer wieder gab es erfolglose Versuche, die Prostitution einzudämmen oder zu verbieten. Heute ist sie ganz pragmatisch offiziell als Gewerbe anerkannt, fällt unter die Steuerpflicht und das niederländische Arbeitsschutzgesetz. Dass die Frauen gesellschaftlich akzeptiert werden, ist auch das Ziel der ehemaligen Prostituierten Mariska Majoor, die 1994 im Schatten der Oude Kerk das Prostitutie Informatie Centrum (PIC) eröffnete. Nach Voranmeldung kann man im Informationszentrum selbst einmal ausprobieren, wie es ist, im Schaufenster zu sitzen und auf Kundschaft zu warten.