Siehe, die Weisen haben sich aufgemacht. Ihre Füße liefen nach Betlehem, ihr Herz aber pilgerte zu Gott. Sie suchten ihn; aber während sie ihn suchten, führte er sie schon. Sie glaubten nicht, dass der Mensch seinen einen Schritt unterlassen dürfe, weil Gott ja doch tausend machen müsse, damit beide sich finden.

Sie sehen einen Stern seltsam am Himmel emporsteigen. Und wenn sie auch erschrecken vor der Kühnheit ihres Herzens, so gehorchen sie doch und brechen auf.

Sie gehen verschlungene Wege, aber vor Gottes Augen ist es der gerade Weg zu ihm, weil sie ihn in Treue suchen.

Der Weg ist weit, die Füße werden müde und das Herz wird schwer. Es kommt sich seltsam vor, das arme Herz, weil es so anders sein muss als die Herzen der anderen Menschen, die so ernsthaft dumm in ihren Alltagsgeschäften versunken sind, wenn sie mitleidig oder ärgerlich diese Reisenden vorüberziehen sehen auf der Reise der nutzlosen Verschwendung des Herzens. Aber ihr Herz hält durch.

Und wie sie endlich ankommen und niederknien, tun sie nur, was sie eigentlich immer taten, was sie auf der Suche und Reise schon taten; sie bringen das Gold ihrer Liebe, den Weihrauch ihrer Ehrfurcht, die Myrrhe ihrer Schmerzen vor das Antlitz des unsichtbaren-sichtbaren Gottes. Still, wie sie gekommen sind, schwinden sie wieder aus dem Gesichtskreis der heiligen Geschichte.

Aber wer einmal sein ganzes Herz bis zum letzten Tropfen verschwendet hat an den Stern, der hat das Abenteuer seines Lebens schon bestanden, der ist angekommen, auch wenn der Weg noch weiterführt.

Lasst auch uns auf die abenteuerliche Reise des Herzens zu Gott gehen! Lasst uns aufbrechen und vergessen, was hinter uns liegt! Es ist noch alles Zukunft – weil wir Gott noch finden, noch mehr finden können.

Der Weg geht durch Wüsten und Finsternisse. Aber verzage nicht; der Stern ist da und leuchtet.

Du sagst, er stehe zu klein und zu fern am Firmament deines Herzens? Aber er ist da! Er ist nur klein, weil du noch weit zu laufen hast! Er ist nur fern, weil deiner Großmut eine unendliche Reise zugetraut wird! Brich auf, mein Herz, und wandre! Es leuchtet der Stern. Viel kannst du nicht mitnehmen auf den Weg. Und viel geht dir unterwegs verloren. Lass es fahren! Gold der Liebe, Weihrauch der Sehnsucht, Myrrhe der Schmerzen hast du ja bei dir. Er wird sie annehmen. Denn du wirst ihn finden! Amen!

Nach Karl Rahner

Vorwort

»Es leuchtet der Stern« – mit dieser Verheißung sind die drei Weisen aus dem Morgenland aufgebrochen, als sie den Stern aufgehen sahen. Wer kennt sie nicht, die Erzählung aus der Bibel, die bis heute nach Weihnachten um das Dreikönigsfest herum an vielen Orten nachgespielt wird, wenn die Sternsinger von Haus zu Haus ziehen und den Menschen den Segen von Betlehem bringen. Der Sternendeutung kundig, wussten die drei Weisen, dass dieser Stern die Geburt eines besonderen Menschen anzeigte. Bekannter sind sie heute als die Heiligen Drei Könige. Im Lauf der Zeit haben sie auch Namen bekommen: Kaspar, Melchior und Balthasar. Der Segen, den die Sternsinger jedes Jahr an die Häuser schreiben, lautet: »Christus segne dieses Haus.«

Die drei, die loszogen, haben nach einem langen Weg das Jesuskind, den neugeborenen König, gefunden und in ihm den Gottessohn erkannt. Ihm brachten sie ihre Gaben, aber damit auch ihr Herz und ihre Hingabe. Der Stern, der ihnen vorauszog, mag die Sehnsucht in ihnen geweckt haben – eine Sehnsucht nach einem Leben, das einen Sinn hat und in einem größeren Ganzen eingeordnet ist. Und sie haben den Segen des göttlichen Kindes empfangen, seinen liebenden Blick. Das Wort »segnen«, lateinisch benedicere, leitet sich im Lateinischen ab aus den Wörtern für »gut« und »sagen«. Ursprünglich meint es also: über jemanden wird etwas Gutes gesagt. Das Gute, das Gott im Blick dieses Kindes über den Menschen spricht, meint: »Du bist geliebt, gewollt, beschützt – ich begleite dich.« So wussten sich die drei Könige angeschaut und angenommen, als sie an der Krippe in Betlehem ankamen.

Der Text, der dieses Buch eröffnet, ist eine Predigt von Abt Michael Reepen, die er nach einem Text von Karl Rahner, einem großen Theologen des 20. Jahrhunderts, verfasst hat. (Der Originaltext Rahners findet sich in: Karl Rahner, Kleines Kirchenjahr. Ein Gang durch den Festkreis. Herderbücherei, Bd. 901, Freiburg/Basel/Wien: Herder 1981. Karl Rahner, Von der seligen Reise des gottsuchenden Menschen Gedanken zum Fest der Erscheinung des Herrn, in: Geist und Leben 22, 1949)

In diesem Text ist der Weg der drei Weisen, ihre Beschwernisse und ihre Sehnsucht, wunderbar beschrieben und darin der Weg eines jeden Lebenspilgers eingefangen, der sich aufmacht, seiner Sehnsucht zu folgen – seiner Sehnsucht nach Sinn, Heil und Bejahtsein. Als ich im Jahr 1999 einige Tage in der Abtei Münsterschwarzach zu Gast war, entschied ich mich, den Pilgerweg nach Santiago de Compostela zu gehen. Der jetzige Abt Michael war mein Gesprächspartner in diesen Tagen und gab mir den Text mit auf meinen Weg. Er war auf diesem Pilgerweg und ist bis heute für mich einer der wichtigsten Texte, weil er in mir meine Sehnsucht wachgehalten hat und mir Kraft gab und gibt.

Als ich gefragt wurde, ob ich für die Advents- und Weihnachtszeit einen Begleiter schreiben möchte, fiel mir daher sofort dieser Text ein, und ich fand es spannend, entlang der Zeilen dieses Textes meine eigenen Gedanken dazu zu formulieren.

Dieses Buch will Anregung sein, sich in den Tagend des Advents und der Weihnachtszeit bis hin zum Dreikönigsfest (neu) auf den Weg zu machen: auf den Weg des Herzens, der Sehnsucht nach Leben und Lebendigkeit, der Liebe und der Zuversicht – kurzum: einen Weg, der Sinn schenkt und mich neu versichert, dass ich als Mensch nicht zufällig bin, dass mein Dasein nicht zufällig ist.

Am Ende eines jeden Gedankens gibt es einen Impuls beziehungsweise eine Übung, die man am Morgen lesen und der man sich dann im Lauf des Tages widmen kann. Man kann ihn auch erst am Abend lesen und ihm am nächsten Tag folgen. Strukturiert habe ich die Texte nach den Wochen des Advents beziehungsweise der Weihnachtszeit, damit der Begleiter nicht nur in diesem, sondern in allen anderen Jahren gültig bleibt.

Am Ende des Jahres beziehungsweise zu Beginn des neuen Jahres habe ich mehrere Tage zusammengefasst als Tage des Übergangs: zum einen aus dem alten Jahr heraus und zum anderen in das neue Jahr hinein.

Ich bin überzeugt, dass jedem Menschen ein Lebensstern leuchtet, der ihn begleitet auf seinem Lebensweg. Ich wünsche meinen Lesern, dass sie ihn durch die folgenden Texte und Ideen entdecken und sich von ihm führen lassen – nicht nur durch die Advents- und Weihnachtszeit.

Pater Zacharias Heyes

1. Dezember

Siehe, die Weisen haben sich aufgemacht

Vor allem die Kinder lieben den ersten Dezember, denn ab heute dürfen sie jeden Tag ein Fenster ihres Adventskalenders öffnen. Der Advent ist Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten. Bei mir entsteht oft der Eindruck, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung fast keinen Unterschied mehr gibt zwischen Advent und Weihnachten. Bereits im Advent gibt es im Fernsehen festliche Weihnachtssendungen mit geschmückten Weihnachtsbäumen und Weihnachtsliedern; in Firmen und Büros finden im Advent Weihnachtsfeiern statt, Straßen und Häuser sind dekoriert mit weihnachtlichen Symbolen. Ich erinnere mich, dass früher bei mir zu Hause im Advent die Plätzchen gebacken wurden und ich mich auf Weihnachten freute, weil diese dann (!) gegessen werden durften.

Für mich ist es wichtig, die Adventszeit bewusst als Zeit der Erwartung zu gestalten. Ursprünglich meint das Wort Advent »Ankunft«. Christen bereiten sich in den Tagen und Wochen vor Weihnachten darauf vor, an Weihnachten die Ankunft Gottes bei den Menschen zu feiern. In Jesus – so sagt es der christliche Glaube – wird Gott Mensch. Lange schon haben die Israeliten sich nach der Ankunft des verheißenen Erlösers gesehnt. Und viele haben sich diese anders vorgestellt, als es dann gekommen ist. Sie dachten, er werde Israel von der Herrschaft der Römer befreien.

Auch heute sehnen sich viele Menschen nach einem Erlöser, einem Retter – nach einem, der stark und heldenhaft genug ist, die politischen und sozialen Probleme zu lösen oder der den Menschen das Gefühl gibt, dass alles gut ist und die Welt heil. Nicht selten werden Stars, Sänger, Schauspieler zu solchen Erlösergestalten stilisiert und hochgejubelt. Der Unterschied des Erlösers von Weihnachten zu all diesen menschlichen, zu Erlösern erkorenen Personen ist: Gott macht sich auf den Weg zum Menschen. Er kommt dem Menschen entgegen, nicht er ihm. Und er kommt als kleines hilfloses Kind, das auf die Fürsorge anderer Menschen angewiesen ist. Gott wird Mensch. Damit gibt er sich ganz in die Hand des Menschen. Maria und Josef nehmen sich dieser Aufgabe an. Sie haben beide Ja gesagt zu diesem Auftrag.

Als Jesus dann geboren wurde, leuchtete ein Stern am Himmel, den die drei Könige als einen besonderen Stern ansahen. Sie erkannten, dass sich hier die Geburt eines neuen Königs ankündigte. Diese drei Männer werden auch Weise genannt – vor allem deshalb, weil sie sich auskannten mit den Sternen am Himmel. Es waren also sternenkundige Menschen. Als sie diesen Stern sehen, brechen sie auf, wie es in der Bibel zu lesen ist. Sie gehen los, um diesen neuen König zu finden. Der Stern zeigt ihnen den Weg. Er leuchtet – besonders in der Nacht. Mitten in der Nacht bricht Gott in diese Welt ein.

Der Advent lädt uns ein, aufzubrechen und loszugehen. Das Ziel ist heute aber nicht Betlehem, sondern unser eigenes Herz. Hier leuchtet der Stern – der eigene Lebensstern, der sagt: Gott will neu in dir geboren werden; er will neu durch jeden Menschen zur Welt kommen. Der Mensch muss also keine äußeren Erlösergestalten suchen. Gott ist im Menschen als leuchtender Stern.

Wie die drei Weisen, die zur Krippe gingen, um Jesus zu finden und dabei einem Stern am Himmel folgten, bist du eingeladen, den göttlichen Stern (neu) zu entdecken und ihm zu folgen. Er will dir den Weg zeigen zu einem Mensch-Sein, das mitten im Alltag und Alltäglichen das Göttliche entdecken lässt, das mitten im Mensch-Sein Gott entdeckt.

Impuls

Setze dich entspannt und aufrecht hin. Nimm deinen Atem wahr und spüre, wie du immer ruhiger wirst. Lass alle Gedanken los und sei einfach da. Spüre dein Herz, wie es schlägt. Es ist dein Lebens-Herz. Lass alle Gefühle zu, die kommen. So, wie du jetzt da bist, bist du gut und Gottes Ebenbild. Gottes Licht leuchtet dir.

Stelle dir jetzt einen Stern vor, der dein Lebensstern ist, der dir leuchtet, dir voranzieht und dir den Weg weist. Spüre sein Licht und seine Klarheit. Lass es einige Augenblicke auf dich wirken, dann verabschiede dich. Spüre dem Licht in dir nach und geh mit dem Gefühl in deinen Alltag, dass es leuchtet in dir – klar und hell.

2. Dezember

Ihre Füße liefen nach Betlehem, ihr Herz aber pilgerte zu Gott

Im Advent erinnere ich mich jedes Jahr neu an meinen Pilgerweg nach Santiago de Compostela, den ich im September 1999 begonnen und im Januar 2000 abgeschlossen habe. Und ich erinnere mich an den Text von Karl Rahner, den ein Mitbruder mir damals mitgab auf den Weg. Diesen Text habe ich fast täglich gelesen – es war ein Sehnsuchtstext, der mich auf dem Weg gehalten hat, der mich – wie die drei Weisen – durchhalten und am Ende auch ankommen ließ.

Alles begann mit einer starken inneren Suche. Nach abgeschlossenem Studium und Praktikum war ich unsicher geworden, wohin mich mein Weg führen würde und welche Richtung ich einschlagen sollte. Sollte es das Priesteramt sein, der Weg in eine Ordensgemeinschaft oder doch die Gründung einer eigenen Familie? Mein Nachdenken und Grübeln darüber brachte mir zunächst noch mehr Verwirrung als Klarheit.

Es war dann zwar kein Stern am Himmel, aber doch ein eigenartiger Moment, der Klarheit brachte: Ich ging bei einem Besuch in der Abtei, in der ich jetzt lebe, mit einem Mönch spazieren. Der Himmel war bewölkt, es fiel leichter Regen. Als ich ihm von der Idee erzählte, die schon länger in mir einfach da war, nämlich nach Santiago de Compostela zu pilgern, riss plötzlich der Himmel auf, die Sonne brach durch und schien genau auf uns beide. Der Mönch wandte sich mir zu, lächelte mich an und sagte: »Noch Fragen?«

Manche werden jetzt sagen, das war Zufall. Für mich war es in diesem Augenblick jedoch die Bestätigung, dass es richtig ist, diesen Weg zu wagen. Und selbst, wenn man an Zufall denkt: Das, was mir zu-fällt, braucht einen Absender, einen, der es mir zuwirft. Und da bin ich für mich wieder bei Gott als dem Absender.