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JOCHEN OPPERMANN

IM RAUSCH DER
JAHRHUNDERTE

ALKOHOL MACHT GESCHICHTE

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INHALT

Vorwort

Der Mensch ist nur da Mensch, wo er trinkt

Zechen als kultische Handlung

Alexander der Große und die Eroberung der Welt

Der Becher der Propheten

Priesterkönig Yehonatans blutiger Wein

Das Gelage als Provokation

Caligula und die Senatsaristokratie

Die Macht der Rebe I

Kaiser Michael III. und die Christianisierung Osteuropas

Exkurs

Wein als Waffe

Gefahr in der Trinkhalle

Hardeknut und das Ende des Englisch-Dänischen Großreiches

Trunkenheit und Wut

Der Kölner Aufstand von 1074

Hopfen und Föderalismus

Die bayerischen Herzöge und das Reinheitsgebot

Exkurs

Bieresel und Bierglocke

Bier und Melancholie

Kaiser Karl V. und die Traurigkeit des Herrschens

Die Macht der Rebe II

Selim II. und das Erbe des Prächtigen

Exkurs

Der nüchterne Rausch

Bechern für den Frieden

August der Starke und die »société des antisobres«

Revolution aus der Bierstube

Die amerikanische Unabhängigkeit

Alkohol als Kompensation

Bismarck und die Maßlosigkeit

Zigarren, Cognac, Hitler

Churchill und der Kampf gegen die Barbarei

Entartung und Weltmachtfantasien

Fusel in der Wehrmacht

Exkurs

Die Todesengel von Auschwitz

Hochprozentiges und Diplomatie I

Adenauer und die Rückkehr der »letzten 10 000«

Hochprozentiges und Diplomatie II

Weinbrand-Willy, Nastrovje und Perestroika

Schlusswort

Alkoholische Nachwehen

Danksagung

Literatur

VORWORT

DER MENSCH IST NUR DA MENSCH, WO ER TRINKT

Vina bibant homines, animantia cetera fontes.
›Die Menschen sollen Wein trinken, die übrigen Lebewesen Wasser.‹

Rat der Medizinschule von Salerno (ca. 1070)

Der Mensch ist nur da Mensch, wo er trinkt. Und zwar Alkohol!

Friedrich Schiller (1759–1805), den wir hier als Kronzeugen bemühen, hat den Satz etwas anders formuliert. Er meinte, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt. Aber, so gut kennen wir Schiller, er hätte auch unserem Spruch hier zugestimmt. Hat er sich doch die Stärkung für das Verfassen seiner Werke nicht zuletzt vom Wein geholt. Denn: »Gedichte von Wassertrinkern sind in der Regel schlecht und geraten schnell in Vergessenheit.« (Horaz, 65–8 v. Chr.)

Schillers Gedichte und Dramen überdauerten die letzten zwei Jahrhunderte und werden auch die nächsten überstehen. Es muss wohl irgendwie am Wein liegen.

»Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte«, hat schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) festgestellt und wer würde es wagen, dem großen Philosophen zu widersprechen? Nach ihm wird das Kunstwerk also erst durch den Genuss von Alkohol erfahr- und umsetzbar. Und ist Kunst denn nichts spezifisch Menschliches?

Seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte begleitet uns der Alkohol. Schon im Gilgamesch-Epos (vervollständigt um 1500 v. Chr.) wurde das Biertrinken mit der kulturellen Menschwerdung an sich gleichgestellt: Der wilde, zottelige Enkidu aß mit den Gazellen Gras und lebte auch sonst wie ein Tier. »Brot legten sie ihm vor. Bier stellten sie ihm hin. Nicht aß Enkidu das Brot, ratlos schaute er in die Runde. Denn Brot zu essen, hatte er nie erlernt und Bier zu trinken, blieb ihm unbekannt.« (Gilgamesch-Epos, Übers. Maul, zweite Tafel) Die Tempeldienerin Schamchat brachte ihm zunächst sieben Tage und Nächte lang die Liebe bei, dann führte sie ihn zu den Hirten, wo er das Biertrinken lernte. »Die Dirne sagte zu ihm, zu Enkidu: Iss doch, Enkidu, vom Brot, das zu den Menschen gehört. Trink doch, Enkidu, vom Bier, das dem Kulturland bestimmt.« (Ebd.) Erotik und Alkohol lagen also schon in der frühesten Kultur dicht beieinander. Mit der Begegnung mit den Hirten und dem Trinken des Bieres verlässt Enkidu das Reich der Natur, wird diesem entwöhnt und verliert die Fähigkeit, unter den Tieren zu leben, die fortan vor ihm fliehen.

Überspitzt formuliert: Der Mensch wird erst da zum Menschen, wo er Bier trinkt. In der Folge gelingen ihm die kulturellen Leistungen. Die ersten Staaten werden gegründet, die Pyramiden gebaut, Gesetze entwickelt, philosophiert und vieles mehr – das sind die Lichtseiten. Die Schattenseiten sind inklusive: Wut, Mord, Verbrechen, Krankheiten.

Um überhaupt ans Bierbrauen denken zu können, musste der Mensch zunächst sesshaft werden. Die ersten Äcker mussten bepflanzt und abgeerntet werden, um die notwendigen Rohstoffe im ausreichenden Maße zu erzeugen. Bier entstand wahrscheinlich vor rund 10 000 Jahren zunächst als Abfallprodukt aus dem Getreide, das vom Backen von Brot übrig blieb. Die Reste keimten und gärten zu Beginn wohl aus Zufall, bald mit Absicht. Irgendjemand muss mutig genug gewesen sein, einen Schluck von dem so entstandenen Sud zu nehmen. Eine andere Möglichkeit der Entstehung besteht darin, dass bereits gebackenes Brot bzw. Fladen eingeweicht und vergoren wurde. Wie dem auch gewesen sein mag, das Endprodukt überzeugte. Bald schon gab es das berauschende Resultat in verschiedenen Sorten: Johannisbrotbaumbier, Dattelbier, Mohnbier und viele andere mehr, während sich das Bier aus Gerstenmalz durchsetzte. Man vermutet, dass die Menschen im Zweistromland Mesopotamien dauerhaft sesshaft wurden und begannen, Getreide für Brot und Bier anzubauen. Dabei war das Bier mehr als nur Rauschmittel. Es lieferte Energie und war Zahlmittel zugleich.

Ob sie wirklich die Erfinder der Braukunst sind, ist nicht sicher, sie taten jedoch dank ihrer sorgfältigen Buchhaltung, die uns heute noch in Form von Keilschrifttexten vorliegt, alles für diese Annahme: die Sumerer, ein Volk, das im 3. Jahrtausend v. Chr. im Zweistromland lebte. Ihre Priester etwa ließen sich mit Bier bezahlen, und zwar nicht zu knapp. »Wenn ein Toter ins Grab gelegt wurde, nahm der Priester 7 Urnen Bier als sein Getränk, 420 Brote und 120 Sila Korn (1 Sila = ungefähr ½ Liter) als seine Speise, ein Kleid, ein Böckchen und ein Bett für sich.« (Zitiert nach Hoffmann, S. 23)

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Ein Syrer der königlichen Leibwache trinkt mithilfe eines Saugrohres Bier, das generell so getrunken wurde, weil darin noch Getreidekörner o. ä. schwammen. (Vgl. Das große Lexikon vom Bier, S. 55) Gefunden im Tell el Amarna, 14. Jh. v. Chr.

Den Arbeitern und Angestellten im Sumerischen Reich standen täglich 2 l Bier zu, der höhergestellten Schicht (Verwaltungsbeamte etc.) 3 l. Oberpriester und Provinzverwalter bekamen 5 l am Tag, wobei sich diese Mengen bei besonderen Tempelfesten erhöhten. Insgesamt wurde rund ein Drittel der Getreideproduktion am Euphrat zum Brauen von Bier benutzt, das mitunter bei sakralen Veranstaltungen Verwendung fand.

Wie wichtig das Bier im Zweistromland in den vorchristlichen Jahrtausenden war, zeigt uns auch der weltweit älteste überlieferte Gesetzestext, der babylonische Codex Hammurabi (um 1800 v. Chr.). Hier wird nicht nur die Qualität des Bieres geregelt, sondern auch die Strafe für betrügerische Schankwirte. »Die Wirtin, die sich ihr Bier nicht in Gerste, sondern in Silber bezahlen lässt, oder die minderwertiges Bier teuer verkauft, wird ertränkt.« (§ 108) Oder: »Eine Priesterin, die eine Wirtschaft aufsucht oder gar eine Wirtschaft eröffnet, wird verbrannt.« (§ 110)

Damit ist natürlich nicht gemeint, dass eine Priesterin kein Bier trinken durfte, sie durfte es nur im sakralen Bereich. Auch sollte damit verhindert werden, dass sie ihren Lohn, denn sie wurde in Bier ausgezahlt, weiterverkaufte. Diese Regelungen sowie die brutalen Strafen bei Verstößen gegen dieselben verdeutlichen den Stellenwert, den das Bier im religiösen Leben hatte: Bier war geradezu heilig! Natürlich darf man dabei aber nicht vergessen, dass Bier als Grundnahrungsmittel gegenüber Wasser hygienische Vorteile hatte.

Bei dem Festzug zu Ehren des höchsten Gottes Marduk hatte die für die Zeit Nebukadnezars (605–562 v. Chr.) belegte Brauerinnung das Privileg, den Götterwagen des ältesten babylonischen Gottes Anu zu ziehen. Denkt man an den Hergang vergleichbarer Prozessionen späterer Kulturen, so ist es gewiss nicht allzu weit hergeholt, auch für die babylonischen Festzüge anzunehmen, dass die Priester und anderen Beteiligten betrunken waren.1

Das erste Brauverfahren datiert aus der Zeit vor rund 6000 Jahren und ist auf einem sumerischen Tontäfelchen, dem sogenannten Monument bleu, überliefert, das im Louvre ausgestellt ist. Darauf wird beschrieben, dass der Vorläufer des heutigen Getreides, Emmer, entkörnt und dann zu Fladen gebacken wurde. Aus diesem stellte man dann Bier her, etwa so, wie man heute Tee kocht. Das Getreide musste gekeimt haben und das so gewonnene Malz wurde in der Sonne getrocknet oder eben zu Fladen gebacken, um es haltbar zu machen. Das Sikaru, so die sumerische Bezeichnung für das Bier, war milchsauer vergoren und schmeckte dementsprechend säuerlich. Deswegen wurden Zimt, Honig oder andere Gewürze beigemischt, um es genießbar zu machen. Getrunken wurde es meist mit einem Strohhalm, wegen der Getreidestückchen, die darin schwammen. Neben dem Gerstenbier und dem Emmerbier gab es noch weitere Mischbiere, sodass für jeden Geschmack etwas dabei gewesen sein dürfte.

Noch ehe der Mensch das Bierbrauen kultivierte, war er auf die Weinrebe gestoßen und hatte entdeckt, dass deren vergorene Früchte einen leichten Rausch erzeugten. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wie und wann genau das passierte; bewiesen ist aber immerhin, dass dies zunächst im asiatischen Raum geschehen sein muss. Wenn Dionysos, der äußerst beliebte griechische Gott des Rausches, dem Mythos nach aus dem Osten zu den Menschen kam, liegt das wohl näher an der Wahrheit, als man zunächst annehmen durfte. Die ältesten Weinanbaugebiete sind für den Südkaukasus um 5000 v. Chr. belegt, recht zeitgleich wurde auch im Zweistromland Wein angebaut.

In Ägypten begann man ab 4000 v. Chr. mit der Weinherstellung, wie es ein Papyrus aus der Zeit der 3. Dynastie (ab 2700 v. Chr.) beschreibt. Insgesamt ist für das Alte Ägypten eine große Bandbreite von alkoholischen Getränken überliefert. Neben dem Wein (der bereits in der 1. Dynastie importiert wurde) finden sich Bier und andere Gebräue aus Datteln oder Feigen, die einen gewissen Alkoholgehalt aufwiesen. Auch in der Herstellung waren die Ägypter sehr fortschrittlich: An den Wänden thebanischer Gräber finden wir Darstellungen, die zeigen, wie die Weintrauben in großen Becken mit den Füßen zertreten, anschließend gefiltert und dann zur Gärung in Krüge gefüllt wurden. Später gab man Honig oder Zimt zum Süßen dazu; je nach Geschmack.

Überall in Ägypten entstanden Zentren zur Bier- oder Weinherstellung. Denn die Nachfrage wuchs mit der Bevölkerung und damit den potentiellen Teilnehmern an kultischen Handlungen. Osiris, der so bedeutende Gott des Todes und der Wiedergeburt, war auch der Gott des Weines. Als Wiedergeburt wurde auch die alljährliche Nilschwemme angesehen, die dem ausgetrockneten Land den fruchtbaren Schlamm brachte. In dieser wichtigen Funktion begann Osiris ab der 5. Dynastie (2435–2306 v. Chr.) die bis dahin wichtigste Gottheit, Re, zu verdrängen. Die Nähe des Weines zur überlebenswichtigen alljährlichen Nilflut mag ein Indiz für die kultische Bedeutung des Rebensaftes sein. Im Alltag spielte der Wein nur bei der Oberschicht und bei den Priestern eine wichtige Rolle. Mithilfe des Weines gelang es diesen, der Gottheit näherzukommen; besonders während des Totenfestes des Osiris um den 20. Juni (nach heutigem Kalender), bevor die Nilflut im Delta ankam. In der Medizin war der Wein unerlässlich, vor allem in der Herstellung von Arzneien, Salben und Bandagen.

Das Priestertum und die Ärzte (beide waren sowieso nicht strikt voneinander zu trennen) am Nil waren somit Hauptabnehmer der alkoholischen Getränke. Einem Diener Gottes standen 5 l Bier am Tag zu, einfachen Arbeitern im Tempel nur 1 l. Soldaten und Offiziere wurden ebenfalls hauptsächlich mit Bier entlohnt. Selbst im Jenseits wollte der Ägypter nicht auf sein Bier verzichten, wie ganz besondere Grabfunde, Krüge mit eingetrockneten Bierresten, belegen.2 Am verwendeten Getreide, also der Biersorte, konnte man auch den sozialen Status des so Entlohnten ablesen. Das Gerstenbier, das Taq, war für den einfachen Ägypter bestimmt, während die süßlichen Starkbiere nicht selten die Kehle des Pharaos hinunterflossen. Dessen heilige Pflicht war es im Übrigen, sich an den Festtagen (unter anderem) bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken. Wir wissen leider nicht, welcher Pharao dieser Verpflichtung in besonderem Maße nachkam, jedoch ist aus dem ägyptischen Kulturkreis eine frühe Mahnung überliefert, es zumindest als »Privatmensch« abseits der kultischen Verpflichtung nicht zu übertreiben.

Du ziehst von Schenke zu Schenke.

Biergeruch trifft jeden, der Dir naht.

Das Bier vertreibt die Menschen.

Es läßt Deine Seele Schaden nehmen.

(Zitiert nach Hoffmann, S. 33)

Doch diese Zeilen konnten nicht beim Fest zu Ehren der Göttin Sachmet gelten! Ihr musste ein Trankopfer dargebracht werden – und zwar nicht nur ein bescheidener Becher oder ein Krug, sondern ein drei Tage andauerndes Zechen. Dies war bitter nötig, um die wilde Göttin des Krieges, aber auch der Heilkunst, gnädig zu stimmen. Dem Mythos zufolge fuhr die löwenköpfige Göttin unter die Menschen mit der Absicht, diese vollständig zu vernichten. Glücklicherweise hatte Re, der für die Mordlust der Sachmet verantwortlich war, Mitleid mit den Menschen. Doch wie sollte er ihr Einhalt gebieten? Er hatte jedenfalls einen wahrhaft göttlichen Einfall, indem er 7000 Krüge mit Bier abfüllte, das er zuvor rot gefärbt hatte. Die gierige Göttin verwechselte es mit Menschenblut und trank einen ganzen See davon. Seitdem war Sachmet betrunken und konnte den Menschen nichts mehr antun. Damit dies so blieb, musste ihr stets ein entsprechend großes Trankopfer dargebracht werden. Die Ägypter wollten keinesfalls, dass sie wieder nüchtern wird, und sie selbst sollten es an diesen besonderen Tagen auch nicht sein.

Dass Bier eine Weiterentwicklung von Brot ist (oder Brot von Bier?!), wurde schon dargestellt. Bier ist gewissermaßen »flüssiges Brot«, und so bedeutete das ägyptische Schriftzeichen für Bier um 2500 v. Chr. dementsprechend auch »Mahlzeit«. Bis heute hat sich in bestimmten Redewendungen die Assoziation von Bier als Nahrungsmittel gehalten, auch wenn wir von den Kalorien und den Nährstoffen her darauf nicht mehr angewiesen sind. Anders der Arbeiter im Alten Ägypten, der den Großteil seines täglichen Kalorienbedarfs aus dem Bier bezog. »Sieben Bier sind eine Mahlzeit«, sagen wir heute noch – die Anzahl der empfohlenen Biere variiert –, wobei der Umfang mancher Bäuche nahelegt, dass es selten dabei bleibt. Immerhin galt ein dicker Bauch lange Zeit als ein Zeichen für Wohlstand; man konnte es sich also »leisten«, viel Bier zu trinken und zu essen.

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Mehr über das herzhafte Lachen dieser beiden Herren erfahren Sie im Kapitel »Hochprozentiges und Diplomatie II«.

Zweifellos – die Verbindung von Kultur und Alkohol ist uralt. Ist sie womöglich gar die wichtigste und entscheidendste? Und: Ist die Wirkung des Alkohols auf den Menschen eine Wirkung auf die Geschichte des Menschen?

Wir finden nicht zuletzt eine ganze Bandbreite an Verhaltensweisen des Menschen, die durch den Alkohol bestimmt sein können: nobles Streben, mutige Kämpfe, tiefste Traurigkeit, höchste Freude, schlimmste Barbarei und furchtbarste Verbrechen. All das gehört zur Geschichte der Menschen, die uns auf den folgenden Seiten begegnen. Diese Episoden sind Ausschnitte, Lichtblitze, Schnappschüsse, die die Weltgeschichte des Menschen kurz erhellen und die nicht selten mit einem Becher, einem Krug, einem Bier- oder Schnapsglas abgelichtet wurden. Doch was und wie viel da getrunken wurde, ist – wenn überhaupt – nur beiläufig zur Kenntnis genommen worden. Handbücher, Nachschlagewerke und kulturgeschichtliche Darstellungen zum Thema »Alkohol« gibt es zur Genüge, die Herstellung und Art der Getränke viel intensiver und detailreicher beschreiben, als es hier erfolgt. Welchen tatsächlichen Einfluss aber der Alkohol auf den Gang der Geschichte hatte, wurde dagegen noch nicht dargestellt. Nun ist es an der Zeit, dies zu ändern.

»Fecundi calices quem non fecere disertum?«,
›Wen hätten volle Becher nicht beredt gemacht?‹

(Horaz, epist. I, 5, 19)

ZECHEN ALS KULTISCHE HANDLUNG

ALEXANDER DER GROSSE UND DIE EROBERUNG DER WELT

»Aber Blut wird fließen, wenn du mit den Bakchen kämpfst.«

(Euripides, Bakchen)

image Babylon, 10. Juni 323 v. Chr.

Der Sommer ist besonders heiß. Doch noch heißer fühlt sich sein Inneres an. Immer wieder verlangt er nach einem Becher Wein zur Abkühlung. Dann und wann tauchen vertraute Figuren an seinem Bett auf. Sie sprechen mit ihm. Seine geliebte Roxane und in ihrem Bauch der noch ungeborene Alexander, der einst über die Welt herrschen soll, die er erobert hat. Bis zu den Strömen Indiens hat er seine Männer vorangetrieben, er, der neue Dionysos, der neue Achill. Immer an seiner Seite, sein treuer Freund aus Kindheitstagen, Hephaistion, sein Patroklos. Im Herbst des letzten Jahres war er von ihm gegangen. Nichts hat ihn mehr geschmerzt als jener Verlust.

Nun verlangt er nach einem weiteren Becher Wein, natürlich ungemischt. Er trinkt und lässt den halbleeren Becher fallen. Er sieht Hephaistion, er will zu ihm …

image Westkleinasien, Mai 334 v. Chr.

Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Köpfe der Krieger. Ihre Strahlen spiegelten sich im nahen Fluss Granikos und ließen die Rüstungen und Helme glühen. Zur Erfrischung hatte die Truppe an jenem Tag bereits früh am Morgen ihren Wein bekommen, genauso wie die mythischen Griechen der grauen Vorzeit im Kampf um Troja:

»Nein, zu essen befiehl bei den schnellen Schiffen den Achaiern

Von Brot und Wein, denn darin liegt Mut und Kampfkraft. […]

Der Mann aber, der gesättigt mit Wein und Speise

Den ganzen Tag über kämpft mit feindlichen Männern,

Dem ist kühn das Herz im Innern, und seine Glieder

Werden nicht eher müde, ehe alle vom Kampf zurückgehen.«

(Homer, Ilias, Neunzehnter Gesang)

Da es sich bei Alexanders Truppe hauptsächlich um Makedonen handelte, bekamen sie den unvermischten Wein, wofür sie im übrigen Griechenland als »Barbaren« beschimpft wurden. Denn dort trank man den Wein verdünnt, je nach Anlass in einem Verhältnis von 1:2 oder 1:5.

Der Wein, gepaart mit seinem wilden Wesen, hatte Alexander (356–323 v. Chr.) schon viele Male zu besonderen Taten getrieben. Bei der Schlacht am Granikos sollten dies auch die Truppen des persischen Statthalters erfahren.

Eigentlich hätten die Mittel der Perser und ihrer griechischen Verbündeten zur Genüge ausgereicht, das makedonische Heer wieder zurück über den Bosporus zu jagen. Am Fluss Granikos boten sie Alexander eine Schlacht mit doppelter Überlegenheit an. Zudem waren sie besser positioniert: Der Granikos schützte die persische Stellung und dahinter lag eine weite Ebene, wo sich die berühmte persische Reiterei voll entfalten konnte. Nachdem Alexander einige Einwände seiner Generäle, vor allem Jahres- und Tageszeit betreffend, abgetan hatte, hielt es den Feldherrn nicht mehr.

»Und er stürzte sich an der Spitze von 13 Reiterschwadronen in den Fluß. Wie er so im Geschoßhagel gegen ein steiles, mit Fußvolk und Reitern besetztes Gelände lossprengte, von der Strömung mitgerissen und von den Wogen umbrandet, sah er eher aus wie ein Rasender und Verrückter als wie einer, der einem strategischen Plan folgte.«

(Plutarch, Alexander, 16)

Nur mit größter Mühe gelang es Kleitos, einem treuen Freund und Offizier, zu verhindern, dass Alexander vom gegnerischen Feldherrn Spithridates mit einer persischen Streitaxt niedergeschlagen wurde. Doch statt sich endlich zu besinnen und sich aus dem unmittelbaren Kampfgetümmel zurückzuziehen, trieb Alexander sein Pferd weiter in die Reihen der Gegner. Seine entsetzte Leibwache musste wohl oder übel ihrem Herrn folgen, so auch der Rest des Heeres.

»Während die Reiterschlacht so auf Messers Schneide stand, setzte die makedonische Phalanx über den Fluß, und das persische Fußvolk rückte gegen sie vor. Dieses leistete aber weder tapfere noch anhaltende Gegenwehr, sondern wandte sich zur Flucht, ausgenommen die griechischen Söldner. Diese stellten sich geschlossen an einem Hügel auf und boten Alexander ihre Übergabe an. Er aber stürmte, mehr dem Zorn als vernünftiger Überlegung folgend, allen voran gegen sie los, verlor dabei sein Pferd, das von einem Schwerthieb in die Seite getroffen wurde – es war aber nicht Bukephalos, sondern ein anderes –, und es gab hier die meisten Gefallenen und Verwundeten auf makedonischer Seite.«

(Plutarch, Alexander, 16)

Alexander brachte sich und seine Armee durch sein unüberlegtes Handeln in größte Gefahr, gefährdete also den Feldzug bereits in diesem frühen Stadium. War an diesem leichtfertigen und riskanten Verhalten vielleicht der Wein schuld, den er mit den anderen Kriegern vor der Schlacht getrunken hatte?

Unerfahren waren die Griechen im Umgang mit dem Wein nicht, sie wuchsen ja mit ihm auf, waren allenthalben von ihm umgeben. »Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens«, schreibt etwa der große Dramatiker Euripides (484–406 v. Chr.) und gibt uns einen Hinweis auf die Stellung des Rebensaftes. Aller Wahrscheinlichkeit nach gelangte der Wein im zweiten vorchristlichen Jahrtausend von den Phöniziern im heutigen Libanon in die Ägäis und zu den dort herrschenden Hochkulturen der Minoer und Mykener. Rasch gehörte der Wein neben Oliven und Getreide zu den Grundnahrungsmitteln. In Homers Odyssee begegnet er uns bald hier, bald dort: »Jene mischten für sie den Wein in den Kelchen mit Wasser.« (Homer, Odyssee, I, 110) »[…] und schweigend trinke jeder den Wein […].« (Homer, Odyssee, I, 340) Der Wein gehörte allen Menschen, und wenn diese keinen Wein kannten, waren sie keine Menschen oder zumindest Barbaren.

Alexander hatte derweil im November 333 v. Chr. das Heer des persischen Großkönigs Dareios III. (ca. 380–330 v. Chr.) bei Issos besiegt und hatte damit bereits jetzt mehr erreicht, als sich jeder Grieche zu träumen gewagt hatte. Während der Perserkönig daraufhin nach Osten floh, zog der Makedonenkönig nach Ägypten. Dort ließ er sich als Pharao feiern und gründete eine Stadt, die er selbstverständlich nach sich benannte. Wie bereits erwähnt, stand der Pharao hier in der kultischen Pflicht, bei vielen Festen völlig berauscht zu sein. Wenn er sich obendrein noch übergab, war das Fest besonders gelungen und damit die Gunst der Götter sicher. Alexander dürfte das gefallen haben. Doch hätte es des ägyptischen Brauchtums gar nicht bedurft, denn die griechische Tradition bot ihrerseits reichlich Anlässe zum Zechen und die passenden Rituale gleich dazu, ja, selbst den passenden Gott: Dionysos.

Alexanders Mutter Olympias (ca. 375–316 v. Chr.) war eine große Anhängerin des Dionysos gewesen, der sich zur Zeit Alexanders großer Beliebtheit erfreute. Durch sie wurde der Prinz in die Welt des orgiastischen Rausches eingeführt. Wer war aber dieser Gott, der sinnigerweise den Beinamen »der Rasende« oder »der Lärmer« trug?

Das Werk, das uns ein wenig Aufschluss über den Gott des Rausches geben kann, ist das Drama »Die Bakchen« von Euripides. Als dritter Teil einer Tetralogie war es um 406 v. Chr. entstanden und wohl das erste Mal bei den Dionysien des Jahres 405 v. Chr. aufgeführt worden. Das Drama behandelt den Einzug des Gottes Dionysos in seine (mythische) griechische Geburtsstadt Theben. Der dortige König Pentheus sowie die Einwohner Thebens aber weigern sich, ihn als einen Gott anzuerkennen. Der König lässt ihn schließlich einsperren und spricht: »Fort mit dir! Sperrt ihn in den nahe gelegenen / Pferdestall, damit er nurmehr dunkle Finsternis / erblickt! […]« (Euripides, Bakchen, 2. Akt, 2. Stasimon)

Doch Dionysos lässt das nicht ungestraft mit sich geschehen und verwandelt die Frauen Thebens in wilde Mänaden, die mythischen Begleiterinnen des Gottes. Bei den Römern sollten sie Bacchantinnen genannt werden und Dionysos selbst Bacchus (wobei Bakchos ursprgl. aus Thrakien stammt). Bei Euripides eilt nun ein Bote zu König Pentheus, um ihm von dem wilden Treiben zu berichten. Das Drama endet damit, dass die Stadt Theben den ersten Dionysoskult einrichtet. Bestandteil dieses Kultes waren die orgiastischen Zeremonien der Frauen, die sich in Trance versetzten, um vom Gott Dionysos besessen zu werden. Alexanders Mutter Olympias habe dabei besonders engagiert gewirkt und das Treiben zu Ehren der Gottheit auf die Spitze getrieben, indem sie mit einer riesigen, zahmen Schlange in den Händen tanzte. (Vgl. Plutarch, 2)

Gerade der Rausch war Grundvoraussetzung für den Kontakt mit dem Gott und die Griechen konnten sich bei den feuchtfröhlichen Festen einmal nach Herzenslust austoben. Immerhin hatten sie auch noch das Gefühl, etwas Gottgefälliges zu tun. Was wollte man mehr?

Alexander ging jedoch einen Schritt weiter; und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Er wollte dorthin gelangen, wo Dionysos einst herkam. Als Mittel diente ihm der bereits von seinem Vater Philipp II. (ca. 382–336 v. Chr.) geplante Feldzug gegen die Perser. Was eigentlich als eine Racheaktion für die Zerstörung Athens im Jahrhundert zuvor und als Befreiung der griechischen Städte an der kleinasiatischen Küste gedacht war, also ein lokal begrenzter Feldzug mit konkretem Ziel, entwickelte so eine ganz andere Dynamik. Schon die Schlacht bei Issos im Jahr 333 v. Chr. ging so weit über die ursprünglichen Pläne hinaus, dass sie selbst dem kühnsten Krieger in den Reihen Alexanders fantastisch erschien. »Er selbst kämpfte dabei in vorderster Front und trug daher eine Wunde am Schenkel durch einen Schwerthieb davon, und zwar, wie Chares berichtet, von Dareios selber, denn sie seien miteinander in einen Zweikampf geraten.« (Plutarch, Alexander, 20)

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Unter Ptolemäus I. benutzte Tetradrachme, die Alexander als Symbol für seine Eroberungen in Indien mit Elefantenskalp zeigt, frühes 3. Jh. v. Chr.

Der römische Historiker Arrian, der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert schrieb und auf ältere Quellen zugreifen konnte, gibt an, dass Dareios Alexander die Teilung seines Reiches und die Hand seiner Tochter nach der Schlacht angeboten habe. Dieses Angebot wurde im Kriegsrat heftig diskutiert, denn es enthielt weit mehr, als sich jeder Grieche je zu erträumen gehofft hatte. Dementsprechend soll auch der makedonische General Parmenion (ca. 400–330 v. Chr.) Alexander heftig zur Einwilligung gedrängt haben. »Ich würde annehmen, wenn ich Alexander wäre!«, soll er gesagt haben. Alexander aber habe geistreich geantwortet: »Ich auch, wenn ich Parmenion wäre!« (Vgl. Arrian, Anabasis, 2,25) Auch wenn die Echtheit dieses Dialoges angezweifelt werden darf, so zeigt er doch treffend, dass sich Alexander nicht mehr nur als Heerführer sah, der einen militärischen Auftrag ausführte. Für ihn galten die üblichen Maßstäbe nicht mehr. War er denn nicht Nachfahre des göttlichen Achilleus? War er nicht der neue Dionysos?

Nach der siegreichen und entscheidenden Schlacht bei Gaugamela im Jahr 331 v. Chr. führte der erste Weg Alexanders nach Babylon. Noch vor den Toren der Stadt erwarteten ihn die Satrapen (Statthalter), um ihm zu huldigen. In einem fröhlichen Triumphzug, der von der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen wurde, zog Alexander in die Stadt ein und ließ sich im großen Palast nieder. Seinen Männern gab er einen Monat Urlaub, damit diese sich erholen und die Stadt besichtigen konnten. Aber das war natürlich nicht alles. Laut dem römischen Historiker Quintus Curtius Rufus (ca. 1. Jh. n. Chr.) hat Alexander Babylon wahrlich zu dem gemacht, was später als »Hure Babylon« sprichwörtlich wurde. Auch wenn man Rufus als Historiker mit Vorsicht genießen sollte, so dürfte doch einiges an seiner Schilderung den Tatsachen entsprochen haben.

»König Alexander blieb länger in der Stadt als sonst wo und nirgends brachte er mehr Unheil über die Disziplin seiner Männer. Nichts ist verdorbener als die Einwohner dieser Stadt, nichts neigt eher dazu, den Wunsch nach Ausschweifungen zu wecken und zu erlangen. Väter und Ehemänner erlaubten ihren Kindern und Ehefrauen, sich für ihre Gäste zu prostituieren, sofern ein Preis für diese Schande gezahlt wird. Gesellige Feste sind in ganz Persien von den Königen und ihren Höflingen beliebt, aber die Babylonier widmen sich besonders verschwenderisch dem Wein und den Begleiterscheinungen der Trunkenheit. Die Frauen, die an diesen Festen teilnehmen, sind zu Beginn bescheiden gekleidet, dann ziehen sie nach und nach ihre Oberkleider aus und schänden allmählich ihre Scham, endlich – bei allem Respekt für Ihre Ohren – werfen sie die letzten Bedeckungen ihres Körpers fort. Dieses schändliche Verhalten ist nicht auf Kurtisanen beschränkt, sondern wird von Matronen und Jungfrauen praktiziert, welche die Niedertracht der Prostitution noch als Höflichkeit ansehen. Nach dem 34 Tage langen Verwöhnen mit solchen Ausschweifungen war die Armee, die Asien erobert hatte, zweifellos schwächer, um die kommenden Gefahren zu meistern, als wenn sie einem Feinde ausgesetzt gewesen wäre.«

(Curtius Rufus, liber V.)

Ihrem König immerhin wird es gefallen haben, da er den Ausschweifungen kultischen Stellenwert beimaß. Dennoch musste er sich bald auf den Weg machen, um Dareios endgültig zu besiegen, und ergänzte seine Truppe durch neue Söldner, die er aus Makedonien, Thrakien und von der Peloponnes erhielt.

Im Dezember 331 v. Chr. erreichten sie Susa, die alte Hauptstadt des Königreiches von Elam. Auch hier wurden Alexander Tür und Tor geöffnet. Er setzte sich dort auf den Thron der Achämeniden, dem persischen Königsgeschlecht. Weiter ging der Marsch ins persische Kernland, wo ihm das erste Mal Widerstand entgegengebracht wurde. Es war ein Bergvolk, das ihm im bergigen Gelände an der Persischen Pforte die Stirn bot. Doch Alexanders Truppen rangen es nieder und erkämpften sich den Zugang zur Straße nach Persepolis, der Hauptstadt der Perser. Obwohl ihm die Kommandanten der Stadt diese kampflos übergaben, war Alexander wohl so zornig, dass er die Plünderung durch seine Soldaten gestattete.

Im Palast feierten die Makedonen um Alexander ein großes Gelage, im Zuge dessen die alten Rachegelüste für die Zerstörung Athens 480/479 v. Chr. durch Xerxes I. (ca. 519–465 v. Chr.) wieder hochkamen. Auch wenn damit ein »rationaler« Grund für die folgende Zerstörungswut vorliegen mag, so lassen doch die Quellen den plausiblen Schluss zu,3 dass der Funkensprung dem Weinrausch geschuldet war. Beim Zechgelage waren diverse Damen anwesend, unter ihnen eine namens Thais. Diese wirkte zunächst recht geistreich, um dann mit vorgerückter Stunde und Anzahl der geleerten Becher

»sich im Rausch zu einem Ausspruch hinreißen [zu lassen, Anm. d. Autors], der zwar der Würde ihres Vaterlandes entsprach, aber weitaus gewichtiger war, als es zu ihrer Person paßte. Sie sagte nämlich, für all die Mühsal, die sie auf dem Zug durch Asien erduldet habe, ernte sie am heutigen Tag die Belohnung: Sie feiere den Triumph über Persiens stolze Königsburg. Aber eine noch größere Freude wäre es ihr, hinzuziehen und den Palast des Xerxes, der Athen in Schutt und Asche gelegt habe, anzuzünden und selber vor den Augen des Königs die Brandfackel hineinzuwerfen.«

(Plutarch, Alexander, 38)

Die Gesellschaft setzte sich betrunken in Bewegung und vollzog das Brandopfer am herrlichen Palast der persischen Großkönige. Bald aber bereute es Alexander, dass er sich im Rausch derart hinreißen ließ. Wollte er nicht ein Weltreich erschaffen? Aber das ging nur mit der Adaption bestehender kultureller und religiöser Traditionen, nur so konnte er die vielen Völker einen. Die Brandschatzung von Persepolis war so gesehen ein schwerer Fehltritt. Doch die Feste sollten exzessiver, die alkoholbedingten Ausfälle Alexanders noch massiver werden. Nichts war mehr zu spüren vom geregelten griechischen Gelage, dem Symposion.

Das im klassischen Griechenland stattfindende Symposion stellte nicht nur ein wildes Trinkgelage dar, bei dem auch öffentliches Erbrechen nicht unüblich war, (vgl. Abbildungen auf Vasen) sondern diente auch einem geistigen und musischen Erkenntnisgewinn: Es fand im privaten Rahmen im Anschluss an das Abendessen statt, bei dem noch Ehefrauen und Töchter anwesend sein durften, was beim anschließenden Symposion jedoch nicht mehr der Fall war. Hier übernahmen die weibliche Rolle die Hetären, »Spezialistinnen« für musische und körperliche Unterhaltung, die sich jedoch von Prostituierten (männlich und weiblich) unterschieden. Nicht umsonst wählte der Philosoph Platon (428–348 v. Chr.) das Symposion als Szene seines berühmten gleichnamigen Dialoges, in dem über das Wirken des Gottes Eros philosophiert wird. Bereits im Gilgamesch-Epos hatten Sexualität und Bier eng beieinander gelegen, warum sollte es also im antiken Griechenland anders sein?

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Darstellung eines Symposions aus dem Grab des Turmspringers in Paestum, Italien, 5. Jh. v. Chr.

Alexander wurde als Königssohn bereits früh in die Welt des Rausches eingeführt. Ein Symposion (eigtl. Trinkgelage, wörtl. ›zusammen Trinken‹) lief nach bestimmten Regeln ab, die ein gewählter Leiter, der Symposiarch, überwachte. Zunächst einmal erfolgte eine Einladung des Veranstalters an die Gäste. Sobald diese eintrafen, lösten sie beim Betreten des Hauses den Knoten ihres Gürtels. Damit vermieden sie es, Unglück ins Haus zu bringen, das sich eventuell hätte im Knoten festhalten können. Der Ort der Zusammenkunft war der Männerraum (andron), wo sich u-förmige Liegen (Klinen) in ungerader Zahl befanden; denn die geraden hielten die Griechen für Unglückszahlen. Vor den Liegen standen Tische, auf denen von Bediensteten oder Sklaven das Essen serviert wurde. Im Übrigen lag man meist zu zweit auf den Klinen, während der Ehrengast zur Rechten des Hausherrn seinen Platz hatte. Nach dem Abendessen (deîpnon) wurde ein Schluck Wein als Opfergabe dargebracht (spondē) und der Rest getrunken. Dann trugen die Sklaven die Tische weg (»die Tafel aufheben«) und die Hetären betraten den Raum.

Zunächst wählten die Versammelten den Symposiarchen, der die Anzahl der zu leerenden Amphoren und das Mischverhältnis bestimmte. In einem speziellen Gefäß, dem Krater (altgr. kratér), wurde der Wein mit Wasser verdünnt und mit Gewürzen schmackhafter gemacht. Bereits hier konnten die Teilnehmer erkennen, wohin die Reise gehen sollte. Da klingen des Dichters Anakreon (ca. 575–495 v. Chr.) mahnende Zeilen fast schon zynisch: »Bruder, wenn die Gläser winken / Lerne von mir deine Pflicht: / Trinken kannst du! Du kannst trinken! / Doch betrinke dich nur nicht!«

Waren die »Zecherkränze« (altgr. stéphanos, Kranz) erst einmal angelegt, den Göttern geopfert und die Trinkschalen ausgeteilt, gab es kein Zurück mehr. Es bestand Trinkzwang! Wer dem nicht Folge leistete, riskierte es, verprügelt zu werden.

Die Trinkschale war bis zum Rand gefüllt und musste in halb liegender Position getrunken werden. Unnötig zu sagen, dass es mit jeder geleerten Schale schwieriger wurde, seine Kleidung unbefleckt zu belassen. Nicht selten wurde bald nackt weitergezecht, während man sich unterhielt und Lieder sang, deren Inhalt von Schale zu Schale immer zotiger wurde. (Vgl. Vollkommer, S. 131)

Am Boden der Trinkschale befand sich ein Bildnis, dessen Wirkung variierte. Es konnte erschreckend (Medusafratze), witzig (Szene aus einer Komödie), erbaulich (Heldenszene) oder anregend (Liebesszene) sein. Man trank allerdings nur bis zur Neige – den am Boden verbliebenen »letzten Schluck«, ein Gemisch aus Gewürzen und etwas Wein, warf man dann geschickt auf einen anderen Zecher. Dies war das Kottabos-Spiel. Daneben gab es auch andere Spiele, die nicht selten mit vorgerückter Stunde und höherem Rauschzustand zu Streit führten.

Begleitet wurde die ganze Veranstaltung meist von Hetären, die sangen und tanzten und mitunter auch diverse Liebesdienste anboten. War das Gelage zu Ende, zog man singend und grölend und oftmals nackt durch die Gassen. (Vgl. ebd.) Aber selbst dafür hatten die Griechen einen Namen gefunden, der dem wilden (und für ruhigere Nachbarn entnervenden!) Treiben einen feierlichen Anstrich gab: Komos. Späterhin wurde daraus ein festlicher (aber nach wie vor ausgelassener) Umzug zu Ehren des Gottes Dionysos, dem – wen wundert es? – Lieblingsgott der Griechen.

Im Juli 330 v. Chr. erreichte Alexander in Ekbatana die Nachricht von der Ermordung Dareios’ III. durch einen seiner Satrapen. Als ihm die Leiche präsentiert wurde, beerdigte ihn Alexander mit großer Ehrerbietung in der Königsgrablege von Persepolis. Der Tod des letzten Achämeniden räumte auch die letzten Zweifel aus – Alexander sah sich nunmehr als rechtmäßiger Nachfolger des persischen Großkönigs. Doch auch das war ihm noch nicht genug. Etwas fehlte. Er verstärkte seine Armee mit 30 000 Persern und machte sich auf, den Geburtsort des Gottes Dionysos zu erreichen, den er in Indien vermutete.

Im Frühjahr 329 v. Chr. überquerte das Heer schließlich den Hindukusch. In Sogdien und Baktrien eroberte er die Städte, die sich ihm nicht sofort unterwarfen (u. a. Marakanda, das heutige Samarkand), und er gründete weitere Städte, von denen hier nur Alexandreia Eschate (das »äußerste Alexandria«) genannt sein soll, das heutige Chudschand in Tadschikistan, das nach griechischer Vorstellung am Rande der bewohnbaren Welt lag.

Im Sommer 328 v. Chr. kam es dann bei einem Symposion in Marakanda zur Katastrophe. Als die Versammlung schon kräftig gebechert hatte, trat ein Sänger auf, der den Zorn einiger Makedonen erregte.

»Es wurde scharf gezecht, und dabei wurden Lieder eines gewissen Pranichos oder, wie einige sagen, des Pierion gesungen, Schimpf- und Spottlieder auf die makedonische Generale, die kürzlich von Barbaren besiegt worden waren. Die Älteren nahmen das sehr übel auf und schimpften auf den Dichter sowie auf den Sänger, Alexander aber und seine Umgebung hatten ihren Spaß beim Zuhören und forderten den Sänger auf, weiterzusingen. Kleitos, der dem Wein schon reichlich zugesprochen hatte und von Natur aus jähzornig und starrsinnig war, zeigte ganz besondere Empörung und erklärte, es sei keine feine Art, in einem Kreis von Barbaren und Feinden sich über die Makedonen lustig zu machen, die immer noch viel besser seien als die, die jetzt über sie lachten, auch wenn sie einmal Pech gehabt hätten. Alexander sagte darauf, Kleitos rede wohl in eigener Sache, wenn er Feigheit als einen Unglücksfall hinstelle.«

(Plutarch, Alexander, 50)

Ein Wort gab das andere; die berauschten Sinne und das Schwinden der Vernunft taten ihr Übriges. Alexander warf einen Apfel nach ihm und griff nach seinem Dolch. Ein Leibwächter hielt den König zurück. Irgendwann schafften es die Versammelten, Kleitos nach draußen zu bringen. Alexander, der sich durch das Eingreifen der Leibwache in Gefahr wähnte, hatte derweil nach der Palastwache rufen lassen. Der Trompeter, dem Alexander befahl, das Signal zu geben, dies aber verweigerte, wurde von ihm verprügelt. Immerhin: Als Alexander später erkannte, dass der Trompeter durch sein energisches Verweigern einen unnötigen Aufruhr verhindert hatte, belobigte er ihn. Der Trompeter kannte wohl die ausschweifenden Gelage seines Königs zur Genüge und konnte die Situation einschätzen. Alexander war vermutlich genau wie Kleitos nicht mehr in der Lage, einigermaßen vernünftige Urteile zu fällen – die Quellen sind sich einig, dass beide stark betrunken waren. Kleitos hatte sich seinen Bewachern entzogen und war wieder in den Palast gelangt, wo er unvermittelt dem König gegenüberstand und die folgenden Worte aus Euripides’ Andromache vortrug: »Weh, welch schlimme Sitte herrscht in Griechenland!« Alexander explodierte. Einem ihm zur Seite stehenden Palastwächter entriss er die Lanze und durchbohrte damit den unglücklichen Kleitos. Nachdem dessen Stöhnen und Röcheln verstummt waren, herrschte eine Stille, die Alexander augenblicklich ernüchtern ließ. Mit starrem Blick auf den getöteten Freund, der ihm einst am Granikos das Leben gerettet hatte, riss er den blutigen Speer herum und wandte ihn gegen sich selbst. Die Palastwache verhinderte Schlimmeres und schaffte den Rasenden fort. »Die Nacht verbrachte er elend unter ständigem Weinen, und den folgenden Tag lag er, vom Schreien und Klagen erschöpft, ohne ein Wort zu sprechen da und stieß nur schwere Seufzer aus.« (Plutarch, Alexander, 52)

Das Elend dauerte Tage und Alexander verließ sein Lager erst wieder, nachdem ihn seine engsten Vertrauten von der Schuld der Handlung freigesprochen hatten. Doch konnte dies nicht verhindern, dass die Stimmung im Umfeld Alexanders äußerst angespannt blieb. Nicht zuletzt lag das auch daran, dass der Herrscher zunehmend orientalische Sitten einzuführen begann. Es herrschte eine insgesamt erhitzte Atmosphäre, die schließlich zu einem Komplott einiger königlicher Pagen führen sollte, der sogenannten Pagenverschwörung im Frühjahr 327 v. Chr. Hatte Alexanders Neigung zum Zechen ihm zuletzt einen treuen Freund geraubt, so hat sie ihm hier wahrscheinlich das Leben gerettet. Aus den Reihen seiner etwa 50 Pagen hatten sich sieben entschlossen, ihn zu erdolchen, sobald er schlief. Sie warteten auf die Gelegenheit, da sie gemeinsam vor des Herrschers Zelt als Wachen eingeteilt waren, und wollten dann zuschlagen. In besagter Nacht feierte Alexander besonders ausschweifend. Als er schließlich berauscht zu Bett gehen wollte, sei ihm eine syrische Seherin begegnet, die ihm riet, zurück zum Gelage zu gehen und weiterzuzechen. Ob diese Begegnung nun wirklich stattgefunden hat oder nicht – das Resultat war jedenfalls, dass Alexander erst nach dem Dienstende der Verschwörer sein Lager betrat und so dem Mordanschlag entging. Einer der Pagen plauderte im Nachhinein die Pläne aus und Ptolemaios (366–282 v. Chr.), ein General der Infanterie, setzte seinen König davon in Kenntnis. Dieser nutzte die Gunst der Stunde, nicht nur mit den Verschwörern, sondern auch mit weiteren ihm unliebsam gewordenen Weggefährten abzurechnen. Alexander hatte sich somit Spielraum für sein gewagtestes Unternehmen geschaffen, den Indienfeldzug.

Aber warum eigentlich Indien? Zuerst ist zu sagen, dass sich Alexander als Weltenherrscher sah, was nicht zuletzt die Gründung des »äußersten Alexandreia« gezeigt hatte. Er wollte an das Ende der bewohnten Welt, der Oikumene, gelangen, das er in Indien vermutete. Außerdem sah er sich als Herrscher göttlicher Abkunft und musste eben dementsprechend handeln. Sein mythischer Vorfahre Herakles war bereits durch Asien gezogen, ebenso Perseus, der Medusentöter. Alle waren sie wie Alexander Söhne des Zeus, und er wollte es seinen Brüdern gleich tun. Ein Sohn des Zeus aber war auch Dionysos. Dessen Heimatort, das mythische Nysa, vermutete Alexander im Grenzland zu Indien. Diesen Ort – einen Berg – gibt es gar nicht, viel eher eine Art »Olymp« des Dio-Nys-os.

Wo im wildnährenden Nysagebirge

oder auf den Gipfeln des Parnassos

führst du, Dionysos,

deine schwärmenden Scharen mit dem Thyrsos?

(Euripides, Bakchen, 2. Stasimon)

Konsequenterweise »fand« man diesen sagenhaften Ort auch recht zügig, und die dort Einheimischen bestätigten die Makedonen in ihrem Glauben, die Heimat des Dionysos gefunden zu haben, als sie die religiöse Bedeutung realisierten. Man brachte dem Gott Opfer dar und es wurden vielerlei Rituale begangen, über deren berauschende Wirkung wir uns bereits ein gutes Bild gemacht haben.

Im Frühjahr 326 v. Chr. überquerte Alexander schließlich den Indus, wo er bald auf den mächtigen lokalen Herrscher Poros (gest. 317 v. Chr.) stieß, der nicht daran dachte, sich dem Makedonen zu unterwerfen. Am Fluss Hydaspes (heute: Jhelam) stellte sich Poros im Juni zum Kampf, und Alexander schlug die letzte große Schlacht seines Feldzuges. Ihm standen gut ausgebildete Kriegselefanten gegenüber und auch die topographischen Begebenheiten waren zu Ungunsten Alexanders. Aber den Weltenherrscher und persischen Großkönig kümmerte das wenig. Stattdessen überquerte er den Fluss in der Nacht und griff am folgenden Morgen die Elefantenphalanx mit Poros im Zentrum direkt an. Als es ihm gelang, Unordnung in die Reihen der Elefanten zu bringen, trampelten diese verwirrt ihre eigenen Soldaten nieder. Poros wurde gefangen genommen, aber mit viel Ehrerbietung behandelt, und Alexander bestätigte ihn in seiner Herrschaft. Der Makedonenkönig hatte jedoch einen herben Verlust zu beklagen, denn sein geliebtes Pferd Bukephalos fand in der Schlacht den Tod. Zu dessen Ehren gründete er die Stadt Bukephala und zur Erinnerung an seinen Sieg die Stadt Nikaia.

Alexander – den als Schüler des Aristoteles in gewisser Weise auch ein Forscherdrang trieb – erhielt Kunde von dem noch weiter im Osten gelegenen Königreich Magadha, und seine Sehnsucht wuchs, auch dieses zu unterwerfen. In einem letzten Gewaltmarsch an den Fluss Hyphasis (heute: Beas) wurden die Kräfte des Heeres, nicht zuletzt wegen des heftigen Monsunregens, vollständig aufgebraucht. Es kam zur Meuterei und die demoralisierten Soldaten und ihre Generäle weigerten sich, den Fluss zu überqueren und weiter nach Osten zu marschieren.

Zunächst schloß sich Alexander voller Zorn und Mißmut in seinem Zelt ein. Alles bisher Geleistete war in seinen Augen wertlos, wenn er nicht auch den Ganges überschritte, und ein Rückzug bedeutete für ihn das öffentliche Eingeständnis einer Niederlage. Als aber die Freunde ihm mit einleuchtenden Begründungen zuredeten und die Soldaten sich vor seinem Zelt versammelten und unter Weinen und Klagen ihre Bitten vorbrachten, ließ er sich erweichen und gab den Befehl zum Rückzug.

(Plutarch, Alexander, 62)

Zurück am Hydaspes ließ er eine Flotte bauen, um den Indus hinab zu segeln. Das Kommando erhielt Nearchos (ca. 360–312 n. Chr.), während Alexander den Hydaspes hinabmarschierte, um den letzten Widerstand einiger Einheimischer zu brechen. Dabei wurde er beim Erstürmen einer Stadt, als er in altbewährter Manier recht hitzig voranstürmte, von seinen Truppen abgeschnitten und durch einen Pfeilschuss in die Lunge verletzt. (Vgl. Plutarch, 63) Der Unterlauf des Indus wurde im Frühjahr 325 v. Chr. erobert, das Delta im Sommer desselben Jahres.

Die Beweggründe Alexanders für das nun folgende Unternehmen sind heftig diskutiert worden. Zorn und Stolz gelten als die wahrscheinlichsten. Im Herbst des Jahres 325 v. Chr. gab Alexander den Befehl zum Rückmarsch nach Westen. Ungefähr 60 000 Mann musste er geordnet nach Persien zurückbringen. Dafür gab es verschiedene Möglichkeiten, jedoch entschied er sich für die weitaus schwierigste und strapaziöseste: den Weg durch die küstennahe Bergwüste Gedrosien. Die Region gilt bis heute als einer der ödesten Orte der Erde und soll bis zu Alexanders Gewaltmarsch nur von zwei weiteren Heeresführern durchquert worden sein: der sagenhaften babylonischen Königin Semiramis und Kyros II., dem Gründer des Persischen Großreiches. Es mag schon damals nicht mehr als eine Legende gewesen sein, dass diese beiden die Wüste, wenn auch verlustreich, durchquert hatten. Nichtsdestoweniger spornte es den »legitimen« Nachfolger des persischen Großkönigs an, es diesen gleichzutun, – das war sein Stolz. Außerdem war da noch der Groll, dass ihm sein Heer den Weitermarsch nach Osten verweigert hatte, und es mag sein, dass er die Soldaten mit dem Marsch durch die Wüste bestrafen wollte – das war sein Zorn.

Als man nach 60 Tagen in Pura, der Hauptstadt Gedrosiens, ankam, waren nur noch 15 000 Mann am Leben. Von der Flotte, die man aufgrund des Marsches ins Landesinnere aus den Augen verloren hatte, fehlte ebenfalls jede Spur. Militärisch, logistisch und auch menschlich war der Marsch durch die gedrosische Wüste ein Desaster gewesen. Alexander aber kümmerte das anscheinend wenig. Zechend zog man weiter nach Westen, sodass es den Anschein hatte, ein neuer Dionysos käme aus Indien. In krassem Gegensatz zu dem verlustreichen Marsch durch Gedrosien war der Zug durch Karmanien eine dionysische Prozession.