image

image

Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2013

©2018 Edition Förg, Rosenheim

Lektorat und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

eISBN 978-3-933-70878-6 (epub)

Inhalt

Und über uns die Ewigkeit

Weitere Bücher aus dem Rosenheimer Verlagshaus

www.rosenheimer.com

Herbst 1940. Über dem deutschen Flugfeld in der Normandie hängt Nebel, grau wie eine Waschküche, und legt den Flugbetrieb lahm – seit Tagen schon. Unentwegt treibt der Nordwest Regenböen heran, die über die Startbahn peitschen. Am Rande des Flugfeldes stehen die Kampfmaschinen in ihren Tarnbunkern. Verdrossen und unter den umgehangenen Zeltbahnen fröstelnd patrouillieren die Posten um den Platz.

Drüben in der Werfthalle wird fieberhaft gearbeitet, denn nach jedem Einsatz gibt es eine Menge zu tun. Indessen rasten die Besatzungen, schlafen sich aus oder dreschen in den Unterkünften einen Dauerskat.

Werkmeister Brenner, im Berufsleben Maschinen-bau-Diplom-Ingenieur, nun aber der Leiter der Flugwerft, wartete gespannt, bis die eben mit einem Austauschmotor versehene Ju 88 aus der Halle geschoben wird. Dann klettert er durch den Einstieg in die Maschine, klemmt sich in den Führersitz und wartet, bis der elektrische Anlasser die linke Luftschraube durchdreht. Knatternd springt der Motor an, beginnt zu rasen, zu jaulen, zu brüllen. Mit vorgeschobenem Kopf horcht Brenner auf das Dröhnen, nickt zufrieden, reguliert die Drehzahl, kontrolliert die Messinstrumente, nickt abermals. Das wäre also wieder mal in Ordnung.

Ein Beben zuckt durch den Leib der Ju. Wie ein Rennpferd, das zu lange im Stall gestanden hat, zittert der große Vogel. Das ist Musik für Fliegerohren, die schönste, die es gibt!

Das Orgeln der probelaufenden Maschine weckt Leutnant Hanke aus dem Schlaf. Erst hebt er den Kopf, dann stützt er sich auf die Ellenbogen und horcht. Schließlich begreift er, dass er nicht in der Ju sitzt, sondern tief und fest und lange geschlafen hat.

Der Leutnant rappelt sich auf, kratzt sich im Haar, dann im Nacken, gähnt, fischt nach den Zigaretten und zündet sich eine an. Er ist von kleiner, fast knabenhafter Gestalt, hat ein schmales, scharfgeschnittenes Gesicht und viele Fältchen um die grauen Augen herum.

Die unvermeidliche Zigarette zwischen den Lippen, die Barackenwand im Nacken und am Hinterkopf, die Beine weit von sich gestreckt, denkt Horst Hanke über seinen letzten Flug nach, den 67.

Wäre wieder mal um ein Haar schiefgegangen! Beim Rückflug hängte sich eine Hurricane an und verschoss sich, zerhämmerte aber noch den rechten Motor der Ju, und man kam auf dem letzten Pfiff daheim an. Glück muss der Mensch haben, zumal wenn er ein Flieger ist!

Natürlich sind Kameraden da, die mehr Erfolge aufzuweisen haben. Vor sechs Wochen hängte man Oberleutnant Greiner das Ritterkreuz um den Hals, weil er drüben eine wichtige Raffinerie zu Klumpen bombte und noch etliches mehr.

Nicht jeder Feindflug bringt besondere Schwierigkeiten oder große Kämpfe mit sich. Es gibt Besatzungen, die zu ihrem Leidwesen planmäßig ihre Routinen abspulen und nur gelegentlich zu außergewöhnlichen Kampferlebnissen kommen. Daneben stehen die, die sich ständig mit dem Tommy in den Haaren haben.

Hanke gehört zu diesen, er und seine Besatzung. Jeder einzelne steht seinen Mann, egal ob es der Bordmechaniker oder der Funker ist. Neben jedem sitzt der Tod, wenn die Motoren donnern und tief unten die Flak zu schießen beginnt.

Alles ist anders gekommen, als Hanke es sich einstmals ausgedacht hatte. Bei der Lufthansa wollte er fliegen, lange Strecken, mal dahin, mal dorthin, durch die ganze Welt. Nun muss er einen der gefürchteten Bomber fliegen, nun setzt er täglich sein Leben aufs Spiel, rauft sich mit dem Feind herum, zerstört ihm wichtige Basen, lässt Fabriken und Hafenanlagen in Qualm und Trümmer aufgehen oder visiert auch nur einen einsamen Frachter an.

Manchmal, so wie jetzt, fragt Hanke sich, wann er dran ist. Morgen schon? Oder übermorgen? Viele bleiben am Feind. Auf der schwarzen Tafel drüben in der Flugleitung stehen eine Menge Namen: Kameraden, die nicht mehr zurückkamen. Wann bin ich fällig? Oder gehöre ich zu jenen, die immer wieder Glück haben? Oder wird man eines Tages doch verheizt? Abwarten! Weitermachen und nicht dran denken! Denken macht Gedanken, und Gedanken können lästiger sein als eine angriffslustige Hurricane.

Hanke lässt sich zur Seite fallen, zieht die Beine auf das Bett, nimmt die Zigarette aus dem Mund, drückt sie auf dem Fußboden aus und dreht sich der Barackenwand zu.

Schlafen! Schlaf ist gut, viel besser, als drüben im Kasino zu sitzen und Kognak zu gurgeln oder von den Mademoiselles zu erzählen, aus denen Hanke sich gar nichts macht. Dafür hat er seinen guten Grund, einen Grund, über den der knabenhaft schlanke Leutnant nicht nachdenken, geschweige denn reden will.

Hanke kommt nicht mehr zum Schlafen. Im Barackenflur ertönen Schritte. Jemand flüstert, dann geht, leise knarrend, die Tür auf.

Hanke drehte sich um. Ein großer, breitschultriger, gutaussehender junger Mann steht auf der Schwelle, schaut grinsend auf Hanke hinunter, legt die Hand an den Mützenschirm und sagt lachend:

»Leutnant Brechtmann meldet gehorsamst seine Versetzung zur sechsten Jagdstaffel und gibt sich die Ehre, Herrn Leutnant Hanke …«

»Mensch!«, unterbricht Hanke ihn und springt auf, »Rudolf! Mich haut’s um!«

Lärmende Begrüßung, Umarmung, Schulterklopfen, Durcheinander. Zwei Freunde haben sich wiedergetroffen. Rudolf und Horst kennen sich von Berlin her. Seit Jahren schon. Rudolf Brechtmann ist der Sohn eines reichen Hotelbesitzers, kann – oder besser gesagt –, konnte sich vieles mehr leisten als Horst, der sich sein technisches Studium selbst verdienen musste. Immer aber hockten die beiden beisammen, trafen sich fast täglich, erlebten heitere und ernste Stunden. Dann brach der Krieg aus, und man verlor sich aus den Augen.

»Junge, Junge, das ist eine Überraschung!« Hanke mustert ohne Neid den Freund und stellt fest, dass Rudolf in der Uniform noch schneidiger aussieht, noch auffallender als in Zivil. Er ist der Typ, dem die Mädchen hinterherseufzen, um dann in verliebte Träumereien zu geraten. Hanke weiß einiges davon, weiß von Liebesgeschichten, über die er manchmal den Kopf geschüttelt hat.

»Mach den Spind auf«, lacht Rudolf. »Oder hast du keinen Kognak? Dann segeln wir ins Kasino rüber.«

Hanke hat Kognak. Eine halbe Flasche voll. Er schenkt zwei Zahnputzbecher ein, und dann zeigt es sich, dass der kleine Leutnant auch ein großes Glas Kognak inhalieren kann.

»Prost, Casanova!«

»Prost, Jockey!« Auch Rudolf nennt den Freund mit dem Spitznamen aus vergangenen Tagen, was sich dieser gern gefallen lässt, obwohl er noch nie auf einem Gaul gesessen hat.

»Erzähl! Erzähl!«

»Bin zur Sechsten versetzt worden«, strahlt Rudolf.

»Ah! Wunderbar! Jäger also.«

»Ich bin der glücklichste Mensch, Horst. In Berlin war’s, was Freizeit anbelangt, ganz interessant, dienstlich aber stinklangweilig. Nichts los! Die Kollegen an der Waterkant haben uns die ganze Arbeit abgenommen. Schließlich bat ich an die dreimal, schriftlich und mündlich, um Versetzung an die Front. Der Alte wollte mich partout nicht gehen lassen. Weiß der Himmel, warum er dann endlich ja sagte. Und jetzt bin ich da!«

»Großartig!«

Sie schauen sich lachend an. Sie trinken wieder. Dann muss Hanke von seinen Erlebnissen erzählen. Darüber vergeht die Zeit.

»Man hat dich ganz hübsch dekoriert«, stellt Rudolf fest, als Hanke in die Uniformjacke schlüpft. »Bei mir ist noch alles leer.«

»Hier kommst du schnell zu was«, tröstet Hanke und klopft dem Freund auf die Schulter. »Hast du schon eine Maschine?«

»Prima Vögelchen! Klasse!« Rudolf küsst seine Fingerspitzen. »Fliegt wie eine Eins.«

»Hals- und Beinbruch damit!«

Arm in Arm gehen sie hinaus zur Werfthalle hinüber. Hanke zeigt Rudolf seine startklare Maschine, klettert mit ihm hinein, startet die Motoren, lässt sie aufbrüllen, schaltet sie wieder ab.

»Eigentlich schade, dass wir nicht in einer Formation fliegen«, bedauert Rudolf. »Aber wie ich hörte, fliegt die Sechste immer mit. Es wird also zu meiner schönsten Aufgabe zählen, dir den Tommy vom Hals zu halten.«

»Kriegst sicher reichlich Gelegenheit dazu«, lacht Hanke. Sie fachsimpeln eine Weile. Der Regen prasselt auf das Kanzelglas. Es ist finster in der Maschine.

Die beiden Leutnants sitzen noch immer nebeneinander. »Was ist eigentlich aus Doris geworden?«, fragt Rudolf den Freund.

Hankes Miene verändert sich. Er umklammert das Steuerhorn und starrt auf das Armaturenbrett. »Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist. Wir haben uns getrennt.«

»Nicht möglich!«

»Doch!«

»Wann denn?«

»Im Mai dieses Jahres, während meines Urlaubs.«

Kurzes Schweigen. Rudolf mustert den Freund. »Dann wird es dich ja nicht weiter berühren, wenn ich dir sage, dass ich Doris mit Heinz Berger gesehen habe.«

»Nein, das berührt mich nicht.«

Hankes Antworten haben so knapp und entschieden geklungen, als wäre er frei von allen Gefühlen.

»Und ich dachte immer, aus euch beiden wird was«, bemerkt Rudolf. »Ihr kanntet euch ja immerhin …«

»… zwei Jahre«, unterbricht Hanke ihn und nickt. »Dann aber brach der Krieg aus.«

»Ist das der Grund?«

Hanke lässt die Steuergriffe los und sagt: »Ja, das ist der Grund. Du weißt, ich habe niemanden, ich wollte auch niemanden um mich haben.« Hanke lehnt sich zurück und lächelt starr. »Man fliegt ein bisschen freier, wenn man keinen Anhang hat.«

»Komische Ansichten«, brummt Rudolf. »An so was habe ich noch nie gedacht …«

»Die meine wenigstens.« Hanke legt dem Freund die Hand auf die Schulter. »Reden wir nicht mehr darüber. Gehen wir ins Kasino und nehmen wir noch einen zur Brust.«

Als die beiden aus der Maschine klettern, kommt Feldwebel Semmler mit dem Funker heran, gleich darauf auch Emmes, der Bordmechaniker. Hanke stellt sie der Reihe nach vor, und Rudolf schüttelt den Kampffliegern die Hände.

»Prima Burschen«, sagt Hanke, als sie durch den Regen zum Kasino hinübergehen, das in einem alten Bauernhof untergebracht ist.

»Also bist du doch nicht ganz frei, wenn du fliegst«, meint Rudolf. »Du hast denen gegenüber die Verantwortung, sie heil heimzubringen.«

»Das ist etwas ganz anderes, Rudolf. Wir stehen schließlich alle unter einem Befehl und wissen genau, wohin wir fliegen.«

Es wird spät an diesem Abend. Rudolf fährt erst gegen Mitternacht zu seiner Einheit zurück.

Der nächste Tag bringt besseres Wetter. Früh am Morgen nehmen die Besatzungen die Einsatzbefehle entgegen. Minuten später starten die einzelnen Verbände.

Hankes Einsatzbefehl lautet: Einflug in die Themsemündung. Tiefangriffe auf feindliche Flugplätze.

Bis zur Küste fliegt Hanke im Verband der Kameraden. Dann scheren die Maschinen aus, um einzeln ihre Ziele zu suchen. Die Sicht ist hier noch gut, über England aber soll es bewölkt sein.

Gleichmäßig Brummen die Motoren. Hanke horcht gespannt auf ihren Klang, kontrolliert die Instrumente, bespricht sich durchs Kehlkopfmikrofon mit Feldwebel Semmler, der den Kurs anweist und im Auge behält. Da meldet sich der Gefreite Schöner: »Eigene Jagdverbände übernehmen Jagdschutz.«

Rudolf wird dabei sein, denkt Hanke und schmunzelt vor sich hin. Es ist ein schönes Gefühl, einen alten Kameraden in der Nähe zu wissen. Hoffentlich hat er Glück und holt einen oder zwei runter!

Lustig ist es gestern abend zugegangen. Man hatte ziemlich viel getrunken und kam aus der Fachsimpelei nicht mehr raus. Später, als Hanke Rudolf zum Wagen brachte, kam die Rede noch einmal auf Doris Brandorff. Hanke schwor Stein und Bein, dass er mit der Geschichte endgültig fertig sei. Rudolf aber wollte das nicht glauben. War Hanke wirklich fertig mit der Sache? Natürlich! Schon lange! Deshalb flog er ja so kaltschnäuzig. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Oder doch?

Der lange Feldwebel warf Hanke einen Blick zu. Hanke grinste aufmunternd. Und vorne in der Kanzel lag Emmes hinter dem MG, und hinten, fast Rücken an Rücken, hockt Schöller am Funkgerät, in Griffnähe das Heck-MG. Und der neue Motor singt so prächtig, und die Sonne scheint, und der Himmel ist mit einem Mal so blau und herrlich weit!

Diese Kameradschaft, diese brav dahinfliegende Maschine, der erhaltene Kampfauftrag und das Wissen, sich wieder einmal als Mann bewähren zu müssen, das alles bedeutet mehr als ein blondes Mädchen mit grünen Augen und einem Mund, der … Nicht dran denken!

Hanke schaut nach unten. Sie fliegen jetzt über dem Kanal. Weit vorn zeichnet sich ein heller Strich hinter dem Grau ab: England. Semmler gibt den neuen Kurs durch, und Hanke dreht nach Nordost ab.

Ein paar Minuten später nähern sich von links drei rasend schnell heranschießende dunkle Striche: Jagdmaschinen. Kameraden! Ist Rudolf dabei? Ja! Dort!

Hanke sieht die grüßende Hand hinter dem Plexiglas, sieht einen vermummten Kopf.

»Mach’s gut, Casanova«, murmelt Hanke. Semmler hört das mit und grinst.

Die drei Me 109 flitzen davon, fliegen einen weiten Bogen und verschwinden in einer hellen, lockeren Wolke. Gleich muss die feindliche Flak schießen. Man befindet sich bereits über England. Hier ist immer etwas los. Jeden Augenblick können feindliche Jäger auftauchen, und die Kurbelei beginnt. Um dies zu vermeiden, ist ja die sechste Jagdstaffel unterwegs. Wenn ein feindlicher Jagdverband gestartet ist, werden sie ihn stellen.

Und wieder flitzt eine Staffel quer an der Ju vorbei. Die Maschinen schimmern im Sonnenlicht, das Glas der Kabinendächer funkelt auf.

Es ist beruhigend, wenn man diese wendigen, wie Hornissen dahinjagenden Maschinen sieht. Bewährte Flieger sitzen an den Knüppeln. Fast jeder hat schon einen oder mehrere Gegner abgeschossen. Auch Rudolf wird heute zum Schuss kommen – Rudolf, der sich in Berlin so scheußlich gelangweilt und hartnäckig die Versetzung betrieben hat. Jetzt kann er beweisen, ob er fliegen kann, ob er eine ruhige Hand hat und eiserne Nerven!

Da! Flakbeschuss. Kleine, giftigfarbene Wölkchen, links voraus, wachsen plötzlich in der Luft. Der Feind wehrt sich. Und es wird noch schlimmer zugehen, je tiefer man ins Land einfliegt.

Die Ju brummt weiter. Die Spannung wächst mit jeder Minute. Dann und wann reißen die Wolken auf, und man kann hinabschauen. Tief unten rollt ein wunderlich grüner Teppich ab mit farbigen Punkten und quadratischen Mustern darauf. Jetzt verschwindet alles, und man fliegt über einen schweeweißen Lammfellteppich. Dann wieder ein Wolkenloch.

»In einer Minute müssen wir tiefer gehen«, lässt sich Semmler vernehmen.

Hanke nickt. Sie nähern sich dem Ziel: ein Flugplatz in der Nähe der Stadt Gravesend. Man vermutet dort ein großes Treibstofflager und eine Werft, in der beschädigte Maschinen überholt und repariert werden.

Das Spritlager ist das wichtigste. Wird man es finden? Gewöhnlich werden solche Lager gut getarnt und stark bewacht. Mal sehen!

Die Minute ist um. Hanke drückt die Maschine, und gleich darauf ist man in einer lichten Wolke. Augenblicke später ist sie durchstoßen, und tief unten rollt grünes Land vorbei. Dann sieht man eine Straße, die auf eine Stadt zuläuft, weit dahinter, in nördlicher Richtung, schimmert der breite Strom: die Themse. Alles schweigt, nur die Motoren dröhnen. Vorn in der Kanzel schwenkt Emmes angriffslustig das Bug-MG.

Hanke umklammert das Steuerhorn und wirft einen Blick auf die Silberscheibe rechts. Der neue Motor läuft perfekt, mit der gleichen Drehzahl wie der andere.

Ich muss Brenner noch eine Schachtel Zigaretten schenken, geht es Hanke durch den Kopf. Ich habe es ganz vergessen.

Feldwebel Semmler sagt eine Kurskorrektur durch. Hanke nickt, dreht die Ju in die neue Richtung und geht tiefer. In fünf Minuten muss das Ziel auftauchen. Nur im Tiefflug kann man den Feind überraschen. Man muss wie der Blitz auftauchen, das Erschrecken des Feindes ausnützen, das kurze Zögern, und dann zuschlagen. Wo ist das genaue Ziel?

Da! Flak schießt! Dort muss also was los sein!

Noch tiefer drückt Hanke die Maschine. Kaum fünfzig Meter über dem Boden jagt der riesige Bleistift auf die blitzenden Mündungsfeuer leichter Flak zu. Emmes schießt bereits, was das MG hergibt. Hanke späht durch das Visier und versucht, etwas auszumachen. Erst mal ein Anflug!

Wie tückische Kobolde zischen die Leuchtspurgeschosse heran, vorbei, links und rechts vorbei. Von allen Seiten wird jetzt geschossen. Hanke erkennt jetzt die getarnte Werfthalle und ein paar abgestellte Feindmaschinen. Etwas weiter dahinter wölbt sich etwas aus der Erde hoch. Von dorther schlägt ihm besonders wütendes Abwehrfeuer entgegen. Das muss also das Spritlager sein!

Hanke zieht die Ju hoch, kurvt nach links, steigt weiter. Dann jagt die Maschine in einem großen Bogen zurück und legt sich erneut in die Kurve.

»Achtung! Ich stürze!«, ruft Hanke der Besatzung zu.

Der entscheidende Moment. Der Boden rast auf die Maschine zu, unheimlich schnell wächst alles, wird überdimensional. Auf den Ohren der Flieger lastet ein dumpfer Druck. Man ist versucht, die Augen zu schließen, doch man reißt sie auf, man muss das Ziel im Auge behalten!

Hanke visiert die Werfthalle an. Menschen rennen davon. Von irgendwo spritzt und blitzt das Feuer der Flak. Die Bombe fällt.

Fast unmittelbar darauf rüttelt eine Riesenfaust an der steil hochziehenden Ju. Sie hinterlässt Tod und Vernichtung. Trümmer fliegen durcheinander, Rauch quillt hoch. Das Getöse der Bombenexplosion mischt sich mit dem Jaulen der davonjagenden Maschine.

»Treffer!«

Wie ein Teufel hockt Hanke hinter dem Steuer. Noch einmal legt er die Ju in eine Steilkurve, fliegt zum zweiten Mal an. In diesen Sekunden ist Hanke kein Mensch mehr, in diesen kurzen Augenblicken ist er ein Satan; der kleine, schmale Leutnant mit dem melancholischen Blick verwandelt sich in einen grinsenden Dämon.

Jetzt ist das Treibstofflager dran. Todesmutig feuert die auf einem Hügel postierte Flak. In den Tragflächen splittert es, platzen winzige Löcher auf. Doch die Ju fliegt, schießt im Sturzflug auf das Ziel zu. Die Bombe löst sich, heult hinab und detoniert mit höllischer Wucht, fetzt die Erde auseinander, durchschägt den Riesentank.

Im Hochziehen wirft Hanke einen Blick zur Seite hinab. Eine rußige, feurige Wolke spritzt empor. Ein ohrenbetäubender Krach, dann steigt eine lodernd brennende Wolke auf. Fetter, schwarzer Qualm wälzt sich gegen den Himmel. Das Spritlager brennt. Von irgendwoher speit noch eine Flak Feuer auf die höher und höher ziehende Ju, aber es erreicht sie nicht mehr.

Während tief unten die Vernichtung wütet, glänzen Schweißperlen auf Hankes Gesicht, und das starre Grinsen lockert sich.

»Hat hingehauen, was?«

»Ganz prima«, nickt Feldwebel Semmler.

Hanke zieht seine Maschine höher und höher, steuert in eine lichte Wolke hinein …

Das war eine Freude! Rudolf Brechtmann ist restlos glücklich. Die neuen Kameraden sind prima Kerle, vom Alten angefangen bis zum einfachen Flieger. Auch mit dem Bodenpersonal ist Rudolf gleich auf Tuchfühlung gegangen. Man mag den gutaussehenden Leutnant, der die Maschine des verwundeten Vorgängers fliegt.

»Der kann was«, sagte der Staffelkapitän anerkennend, als Rudolf seine ersten Runden drehte und unten alles nach oben schaute. »Äh, wie heißt er gleich?«

»Leutnant Rudolf Brechtmann«, erinnerte der Oberleutnant.

Das war vor drei Tagen gewesen. Gleich nach dem Probefliegen war Rudolf zum Kampfgeschwader gefahren, um mit Hanke zusammenzutreffen. Auch diese Stunden waren heiter gewesen. Zwei gute Freunde hatten sich wiedergetroffen. Das trug noch mehr dazu bei, sich wohl zu fühlen und in einen Taumel des Glücks zu geraten.

Heute also war Rudolf auf seinen ersten Feindflug gegangen, »auf die Reise«, wie der Kommodore zu sagen pflegte.

Der Tag hatte vielversprechend hell begonnen. Es war eine Lust, in der Sonne zu fliegen – für Rudolf wenigstens. Er flog im Verband, links und rechts die neuen Kameraden, mit denen man rasch eins geworden war.

Unter Fliegern geht das besonders schnell: Man schaut sich in die Augen, man reicht sich die Hand, man spürt an dem Druck, wen man vor sich hat, und man weiß es genau, wenn der »Neuling« seine fünf Minuten Probeflug hinter sich hat und aus der Kiste steigt.

Fast gleichzeitig mit dem Start des Bombergeschwaders waren die Jäger aufgestiegen. Zehn Minuten später war Rudolf an Hankes Ju 88 vorbeigesegelt, hatte gewinkt und sich genauso gefreut wie der Freund.

Befehle vom Staffelkapitän. Von Maschine zu Maschine. Dann brausen sie durch die Wolkendecke hindurch und halten nach Gegnern Ausschau.

Rudolfs Herz schlägt ruhig und hart. Eine Spannung liegt über dem Mann am Steuer der Me 109, eine ganz andere Spannung als damals, als er in Berlin flog, über die Stadt hinweg, ohne jemals jemanden zum Kampf stellen zu können. Rudolf spürte, dass die Stunde der Bewährung gekommen war. Er hatte sich nach ihr gesehnt, er wollte die Spannung loswerden. Wo ist der Tommy? Hier soll doch immer etwas los sein!

Die Flugzeit der Me 109 ist begrenzt. Man muss auch an den Heimweg denken. Das heißt also, dass man die Spritvorräte im Auge behalten muss!

Aha. Die Flak rührt sich. Der Beschuss gilt den hoch oben dahinziehenden Kameraden.

Auch hinter den dahinjagenden deutschen Jagdflugzeugen zerplatzen jetzt Sprengwolken. Bald müssen die feindlichen Jäger auftauchen.

»Achtung! Feindjäger!«

Da ist also schon der Alarmbefehl. Und jetzt geht alles unglaublich schnell. Ein ganzes Rudel Spitfires taucht plötzlich auf und zieht unterhalb der Kette vorbei. Wie kleine, schwarze Striche hängen die Feindmaschinen in der Luft.

»Drauf auf sie!«

Schon klemmt sich der Staffelführer hinter eine Spitfire und versucht sie ins Visier zu bekommen.

Rudolf schert aus. Auch er hat einen Gegner erkannt und stößt auf ihn zu. Jeder Nerv spannt sich. Rudolf beißt die Zähne zusammen. Die Maschine schießt auf den Engländer zu … ein paar kleine Korrekturen am Steuerknüppel, dann schwimmt die Spitfire ins Fadenkreuz hinein.

Die Bordwaffen rütteln an der Me. Rudolf hat den ersten Feuerstoß losgelassen. Der Engländer kippt ab, stürzt. Getroffen? Nein! Also ihm nach. Er täuscht nur. Er zieht schon wieder hoch und will Rudolf übersteigen. Eine tolle Kurbelei beginnt. Der Schnellere wird siegen. Die Me ist schneller, die Spitfire wendiger. Rudolf drückt den Knopf und schießt. Mitten in die dicht vor der Me hängende Spitfire zischen die Leuchtspurgarben.

Der Engländer bäumt sich auf, schießt hoch. Gleichzeitig bläst er eine dunkle Rauchwolke ab und zieht sie nach. Dann scheint die Feindmaschine eine Weile still in der Luft zu hängen. Flammen schießen aus ihr heraus. Dann stürzt sie, mit langer, lodernder Feuerfahne ab.

Der erste Abschuss. Der Engländer ist »abgestunken«. Rudolf kann es gar nicht glauben, dass alles schon vorbei ist. Geht das so schnell?

Ich bin ja gar nicht anders geflogen, als ich es gelernt hab, denkt er, während er die Me 109 hochzieht. Ich hab genau das gemacht, was man mir beim Schulfliegen eingedrillt hat. Und auf einmal hat man gesiegt.

Ein Blick nach unten überzeugt Rudolf, dass er über die Wolken hinausgeschossen ist. Also umkehren! Wieder hinein und hinunter! Weitermachen! Zwei … drei müssen noch zum »Abstinken« gebracht werden!

Als Rudolf dann durch die Wolkendecke stößt, sieht er, dass der Luftkampf weitergeht. Die Kameraden haben die Engländer aber von den Bombern abgelenkt. Im tollen Durcheinander weiß man erst gar nicht, was Feind und was Freund ist.

Da! Diesmal ist es eine Hurricane, die sich Rudolf vornehmen will. Die Kurbelei beginnt von Neuem. Aber der Engländer ist ein ausgekochter Bursche, der sich nicht packen lässt. Verbissen versuchen die beiden, hinter den Gegner und zum Schuss zu kommen.

Die Hurricane ist sehr wendig. Was der Engländer da an fliegerischem Können zeigt, will Rudolf bange machen. In engen Steilkurven geht die Jagd weiter. Dann reißen sie die Maschinen wieder hoch. Looping, Turn, alles kommt dran. Im Sturzflug geht es wieder tiefer. Auf einmal sieht Rudolf, dass unter ihm das Meer ist. Soeben rast der Engländer seitlich vorbei, stellt die Maschine auf die rechte Flügelspitze, kurvt ein und schießt auf Rudolf zu.

Zu spät merkt Rudolf, dass er der Hurricane direkt ins Schussfeld fliegt. Schon flitzen die schimmernden Perlenketten ran. Schon zersplittert das Panzerglas, wird milchig, bekommt winzige Löcher. Plötzlich greift eine höllische Hitze nach Rudolfs Beinen. Heißes Ol spritzt ihm ins Gesicht und macht die Brillengläser blind. Es hat ihn erwischt! Diesmal war der Engländer der Sieger!

Scheiße, verfluchte! Raus aus der Kiste! Kabinenhaube runter! Springen! Die Haube wird weggerissen. Eine jaulende Riesenfaust packt zu und zerrt Rudolf heraus. Dann beginnt der wahnwitzige Sturz in die Tiefe, dem grauen, schimmernden Wasser entgegen.

Etwa zweihundert Meter weiterab stürzt eine brennende Maschine in die Tiefe, schlägt auf das Wasser auf und verschwindet im Meer. Der Staffelkapitän hat sich den abfliegenden Engländer vorgenommen und abgeschossen. Dem Feind bleibt keine Möglichkeit mehr, auszusteigen. Er stürzt mit der brennenden Hurricane in den Tod.

Rudolf ist kopfüber und hin und her gepurzelt. Instinktiv hat er die Reißleine des Fallschirms gezogen. Der bringt ihn sogleich in Normallage. Rudolf pendelt aus. Eine sanfte Luftfahrt beginnt – nach unten, dem Meer zu. Weit drüben schimmert die rettende Küste … viel zu weit, um sie schwimmend zu erreichen.

Hanke ist aus den Wolken herausgestoßen und fliegt der Sonne entgegen, die jetzt im Süden steht. Die Besatzung der Ju hat den Luftkampf teilweise gesehen, hat die vier Abschüsse registriert und einander zugebrüllt, wenn einer abschmierte und eine Rauchfahne hinter sich herzog. Jetzt fliegt die Ju unter klarem Sonnenhimmel. Hoffentlich ist Rudolf gut abgekommen und hat einen abgeschossen, denkt Hanke. Da meldet Emmes, dass rechter Hand ein Fallschirm niedergeht.

Hanke schaut hinaus. Ja, dort pendelt einer runter! Ein Kamerad! Hanke fragt nach hinten, ob etwas los sei.

»Keine Feindmaschine zu sehen. Eigene Jagdstaffel entfernt sich Richtung Heimat.«

Die Me’s müssen heim. Der Sprit reicht nur noch bis zum Flugplatz. Hanke sieht, dass zwei Me 109 um den niederpendelnden Fallschirm kurven. Dann kommt ein Funkspruch, dass die Ju den abgeschossenen Flieger sichern soll.

»Wer ist es?«, fragt Hanke an.

»Leutnant Brechtmann«, lautet die Antwort im Sprechfunk.

Hanke beißt die Zähne zusammen. Armer Kerl, hast Pech gehabt, denkt er.

Dann drückt Hanke die Ju nach unten und fliegt der Stelle zu, an der eben der Fallschirm auf die graublaue Flut niedersinkt.

Hart klatscht Rudolf in die kalte See, taucht unter, rappelt sich hoch, fingert nach dem Fallschirmschloss und öffnet es. Endlich ist er frei. Die Schwimmweste trägt den Körper. Nur der Kopf schaut aus dem Wasser. Rudolf spuckt und hustet. Salzwasser schmeckt ekelhaft.

Da! Etwas donnert über Rudolf hinweg. Er schaut hinauf, drehte sich, sieht das Leitwerk einer Ju 88 und atmet auf. Er ist nicht allein. Gott sei Dank! Die Kameraden sind da! Ob es Horst Hanke ist?

Ja, er ist es!

Rudolf erkennt die Maschine, sieht die winkende Hand, als die Ju noch einmal vorbeifliegt und in eine weite Kehre geht.

Erst jetzt kommt es Rudolf zum Bewusstsein, dass er gesiegt und doch verloren hat. Ihm ist zum Heulen zumute. Die schöne Me 109 ist beim Teufel! Der erste Feindflug und schon abgeschossen! Was hilft’s, dass man einen runtergeholt hat! Wer weiß, ob der Abschuss anerkannt wird, ob ihn jemand beobachtet hat! Rudolf hängt schlaff in der Schwimmweste. Er hat keine Lust zu schwimmen. Er möchte am liebsten absaufen. Einfach die Schwimmweste runterreißen und sich sinken lassen! Aber er tut es nicht.

Die Ju ist plötzlich wieder da. Hanke winkt im Vorbeifliegen.

Er lacht mich sicher aus, denkt Rudolf. Ich spür’s direkt, dass er sich eins feixt.

Die Ju fliegt keine hundert Meter über dem Wasser. Weit und breit ist kein Schiff zu sehen. Die Küste liegt etwa zehn Meilen entfernt. Und Leutnant Rudolf Brechtmann klappert mit den Zähnen – nicht nur vor Kälte, auch vor Wut und Enttäuschung. Dann versucht er, sich durch Schwimmen warm zu machen.

Indessen funkt die Ju den Seenotdienst an: »Abgeschossener Flieger im Planquadrat 16a. Entsendet sofort Rettungsmaschine.«

Hanke wirft einen Blick auf die Treibstoffuhren. Noch etwa 15 Minuten kann er sich in der Nähe Rudolfs aufhalten, dann muss er heimfliegen.

»Emmes, pass auf, dass uns kein Tommy den Schwanz absägt!«

»Noch nischt zu sehen, Herr Leutnant.«

»Schöner, was hat die Seenotstelle geantwortet?«

»Maschine startet sofort.«

»Dann kann sie in frühestens fünfzehn Minuten da sein«, sagte Semmler und starrt aufs Wasser hinunter.

Weit drüben sieht man einen dunklen Punkt, einen Menschenkopf aus dem Wasser ragen.

Hanke fliegt noch einmal an Rudolf vorbei, streckt eine Hand durch das Schiebefenster und winkt.

»Na ja, ich kann nichts dafür«, grunzt Rudolf und hebt ebenfalls grüßend eine Hand aus dem Wasser. »Hauptsache, ich bin nicht hopsgegangen dabei …«

Nein, das ist er diesmal noch nicht. Er hat seinen ersten Luftsieg errungen. Jemand wird es bestimmt gesehen haben. Und dann … Was dann, denkt Rudolf, während er langsame Tempi macht, um das Blut zirkulieren zu lassen. Das passiert doch jedem Dritten mal, dass er eins draufgebrannt kriegt. Fürs EK II reicht’s bestimmt … Und hätte ich besser aufgepasst, hätte ich den Tommy auch noch erwischt … War ein tüchtiger Bursche! Schade, dass er doch noch runtergeholt wurde. Wäre mir beinahe auf den Kopf gefallen! … Hätte mir ebenso ergehen können. Was maule ich also? Hatte doch Glück! Riesenmassel, wie man so schön sagt!

Das sind die Gedanken, mit denen Rudolf im Wasser hängt und mit langsamen Armstößen schwimmt. Wie eine besorgte Glucke kurvt indessen die Ju um den in Seenot geratenen Flieger herum.

Hanke lässt keinen Blick von Rudolf, passt auf ihn auf, wünscht sich, Schwimmer anstelle eines Fahrgestells zu haben. Immerhin – Rudolf ist nicht draufgegangen! Dort drüben schwimmt er! Armer Kerl! Wenn man ihn herausfischt, wird er fluchen und mindestens vier Glas Glühwein oder Grog trinken.

Die fünfzehn Minuten sind um. Hanke schaut besorgt auf die Treibstoffuhren. Höchste Zeit, dass man den Heimflug antritt! Auch Feldwebel Semmler nickt, als er mit Hanke einen Blick tauscht.

Hanke fliegt eine letzte Runde.

»Flugzeug in Sicht!«, meldet Schöller von rückwärts. Der Himmel ist leergefegt von Wolken. Die Sonne scheint hell und klar.

Von der französischen Küste her nähert sich eine Maschine. Eine Heinkel He 59 ist es, ein Wasserflugzeug für den Seenot-Rettungsdienst. Sie hat schon etliche aus dem Kanal gefischt.

Die Ju kurvt noch in halber Höhe über dem schwimmenden Punkt und dreht etwas ab, als auch die Heinkel einfliegt und um Rudolf zu kreisen beginnt. Dann hat sie ihn ausgemacht.

Hanke wartet noch, bis die Seenotmaschine auf der leicht bewegten See aufgesetzt hat, sich an Rudolf heranschiebt und ihn aus dem Wasser holt.

»Hat wieder mal einer Schwein gehabt«, lässt sich Semmler vernehmen.

Hanke nickt. Dann zieht er die Ju hoch und braust Richtung Heimat ab. Tschüss, Casanova, denkt er. Wir sehen uns ja bald wieder.

Rudolf Brechtmann hockt unterdessen in der Rettungsmaschine und schnattert mit den Zähnen.

»Wir sind gleich da«, ruft ihm ein Unteroffizier zu. »Sind Sie verwundet?«

Rudolf schüttelt den Kopf.

Erst jetzt kommt es ihm zu Bewusstsein, dass er unverschämtes Glück hatte. Nicht jedem gelingt es, auszusteigen und anschließend von den eigenen Leuten aufgefischt zu werden. Denn auch die Engländer machten sich nur zu gerne erbötig, einen deutschen Flieger aufzufischen; Verhöre, Zigaretten und freundliche Fragen leiten dann die Gefangenschaft ein.

Pfui Deibl, denkt Rudolf, das hätte mir gerade noch gefehlt.

Eine Viertelstunde später landet die Heinkel in einem kleinen Hafen. Auf der Kimme des ansteigenden Ufers glaubt Rudolf, eine Küstenbatterie in Stellung zu erkennen. Im Hafen selbst liegen nur ein paar französische Fischerkähne und drei deutsche Schnellboote. Etwa hundert Schritt weiter rechts steht ein barackenähnliches Gebäude, mit Tarnanstrich versehen und mit einem Funkmast ausgestattet.

Rudolf bedankt sich bei der Heinkel-Besatzung. Dann geht er über einen wippenden Laufsteg an Land, gefolgt von dem Unteroffizier. Von den Schnellbooten herüber gucken ein paar Matrosen. Rudolf beeilt sich. Ihm ist nicht ganz wohl zumute; er schämt sich fast. Sieht ja auch nicht gerade heroisch aus, so mit quatschenden Filzstiefeln und triefender Kombination von einem Feindflug heimzukehren.

»Ich muss meine Staffel benachrichtigen«, erklärt er dem Unteroffizier. »Wo kann ich telefonieren?«

»Das machen wir schon«, lautet die Antwort. »Kommen Sie nur, Herr Leutnant, ich bringe Sie erst mal in eine warme Stube. Sie holen sich sonst eine Erkältung!«

Wie zur Bestätigung muss Rudolf heftig niesen, und er niest noch etliche Male, ehe er eine molligwarme Stube betritt, in der ein weiß überzogenes Bett, ein Nachttisch, ein Spind und ein Tisch mit zwei Hockern stehen.

Der Unteroffizier macht den Spind auf und holt einen Bademantel und eine Garnitur Unterwäsche heraus.

»Ihre Klamotten trocknen wir ganz schnell«, sagte er. »In drei Stunden kriegen Sie sie wieder zurück und können heimfahren.«

Rudolf schält sich aus der triefenden Bekleidung.

»Haben Sie schon viele rausgefischt?«

Der Unteroffizier reicht ihm ein großes Frottiertuch. »Eine Menge schon, Herr Leutnant. Allein in den letzten acht Tagen waren es sechse. Zwei Engländer und viere von uns.«

Rudolf frottiert sich ab. Inzwischen sammelt der Unteroffizier die nassen Klamotten auf und geht zur Tür. »Ruhen Sie sich erst mal aus, Herr Leutnant. Ich werde Ihnen gleich jemanden herschicken, der Ihnen was Warmes bringt. ’n Grog tut’s meistens.«

»Einen Grog, ja, den könnte ich gebrauchen! Eh, Unteroffizier, haben Sie ’ne Zigarette für mich?«

Der Unteroffizier lässt ihm eine Packung Juno und Streichhölzer da, dann geht er. Rudolf steckt sich einen Glimmstengel an, setzt sich im Bademantel auf die Bettkante und genießt den Tabak.

Ich kann wirklich froh sein, dass es noch so gut abgegangen ist, denkt er. Man stirbt eigentlich schnell den Heldentod.

Rauchend vergegenwärtigt er sich nochmals den Luftkampf. Aber so richtig froh ist er trotz des ersten Sieges nicht. Immer wieder muss Rudolf daran denken, was die Kameraden sagen werden, wenn er sich zurückmeldet. Na ja, gleich beim ersten Feindflug abgeschossen zu werden, ist bestimmt keine schöne Sache. Diesmal ist es noch gut gegangen. Und das nächste Mal?