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AUTOR: DAVID SCHRAVEN · FOTOGRAF: UWE WEBER

 

 

 

Ankerherz

 

I wanna live

I wanna give

I‘ve been a miner for a heart of gold

it‘s these expressions I never give

that keeps me searchin‘ for a heart of gold

and I‘m gettin‘ old.

~ Neil Young, Heart of gold

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AUS DEM LAND DER TAUSEND FEUER

Ich komme aus Bottrop. Ein Ururgroßvater von mir ist aus Brabant hierhin gekommen, vor gut 150 Jahren. Er suchte im Bergbau sein Glück. Damals, als alles begann. Schacht um Schacht wurde hier in die Kohlefelder hinabgetrieben. Die Holländer kamen zuerst, dann die Polen und Türken und Italiener und Portugiesen. Die Arbeit auf den Zechen zog Arbeiter an. Siedlungen wurden gebaut. Häuser für die Männer, Frauen und Kinder. Immer mehr. Alle wollten Kohle machen, je mehr, desto besser.

Das Land veränderte sein Gesicht. Kohle wurde Koks, wurde Stahl. Fördertürme, Kokerei und Hochöfen. Die Nacht brannte flammenhell von tausend Feuern. Ich habe sie noch gesehen, diese gelb flackernde Dunkelheit. Die Häuser wurden grau und schwarz. Sie zerfielen, wurden abgerissen, neu gebaut. Nur selten blieb Altes bestehen. Das Neue begrub die Reste des Gestern unter sich. Mein erster Morgen im Smog war düster und dunkel, und es stank nach faulen Eiern. Ich ging über leere Straßen, ein Tuch vor dem Gesicht. Damals gab es Grobstaub in der Stadt.

Der Bergbau fraß sich Jahr um Jahr von den ersten Gruben im Bottroper Süden weiter nach Norden. Der Schacht Prosper III folgte auf Prosper II folgte auf Prosper I. Jacobi wurde abgeteuft1 bis schließlich in den fünfziger Jahren Franz Haniel die Förderung aufnahm. Danach kamen noch Prosper IV und im Jahr 1981 Schacht 10.

1 Abteufen: einen Schacht in die Tiefe treiben.

Ich wohne im Norden von Bottrop, in der Nähe der Zeche Franz Haniel. Die Gruben und Siedlungen im Süden der Stadt waren für uns Kinder im Norden weit weg: Die Zechenhäuser aus der Zeit vor dem Krieg, diese jahrzehntealten und dreckigen Backsteinfassaden gab es bei uns nicht. Im Norden traf der Bergbau auf eine fast noch unberührte Landschaft. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in den achtziger Jahren, da führte ein Waldweg hinter unserem Haus an Franz Haniel vorbei zum Gutshof Fernewald. Eine Landschaft wie aus einem Traum: weite Getreidefelder umstanden von hohen Pappeln, staubige Alleen, durchtrennt von wilden Hecken, Büschen und Birken. Schwalben jagten an heißen Sommertagen durch die Luft. Bussarde zogen Kreise, Heuschrecken zirpten, im Schatten spielten die Schmetterlinge. Auf einem alten Schutzbunker lagen wir und sahen in den Himmel, Strohhalme im Mund. Wir waren frei.

Doch nur drei Steinwürfe entfernt kam die Zukunft näher: unaufhaltsam, lärmend und grau. Die Zeche fraß sich jenseits des Waldweges weiter vor, schluckte die Landschaft, Feld um Feld, und mit ihr die Landschaft meiner Kindheit. Ich kann mich erinnern, als eines Nachts der Gutshof Fernewald lichterloh brannte, in seinen Mauern schrien die Rinder. Die Ruinen des Bauernhauses und der Ställe wurden später von einer Halde aus Abraum begraben, dem Schutt, der mit der Kohle ans Licht kommt. Die Getreidefelder verschwanden unter grauem Gestein.

Ich wohne bis heute in Bottrop.

Bottrop ist eine Zechenstadt. Alles hier ist vom Leben rund um die Gruben gezeichnet. Das Haus meiner Eltern wurde im Krieg wie die Häuser vieler Anderer zerschlagen, weil die Alliierten die Gruben in unserer Gegend und deren Arbeiter vernichten wollten, um den Krieg gegen die Nazis zu beenden. Tausende Bomben gingen daneben und haben das Gesicht unserer Landschaft mit Narben übersät. Im Garten unseres Hauses hat mein Großvater die Trümmer nach den Kämpfen verscharrt. Ich habe als Kind in Kratern gespielt und meine Kinder fangen noch heute in manchem Kratertümpel Molche.

Meine Oma arbeitete am Ende des Krieges auf einer Bottroper Zeche. Sie war dankbar für die Extrarationen, die es dort gab, und nach dem Sieg der Freiheit war sie dankbar für die Care-Pakete der Amerikaner. Sie war dankbar für jede einzelne Kilokalorie, die ihr geschenkt wurde. Ihr Vater war auch ein Zechenmann. Doch der hat von seinen Extrarationen in den harten Jahren nichts abgegeben. Seine Kalorien lagerten in seiner Truhe, sicher verschlossen von einer Kette samt Schloss, damit seine Kinder nicht sein Brot aßen. Nicht immer stimmt das Bild von den Bergleuten als solidarische Einheit, die gemeinsam leben und arbeiten. Auch das ist die Wahrheit. Manchmal fand Solidarität ihr Ende zwischen den Generationen einer Familie.

Bottrop ist eine Grubenstadt. Die Gemeinde von 120.000 Menschen lebte und lebt von den Schächten, von der Kokerei, von den Ausbildungsplätzen, von den Zulieferungen, von den Männern und Frauen, die unter Tage ihr Geld verdienen und es in Bottrop ausgeben. Doch wie die Zechen verändert sich auch Bottrop. Alle Gruben der Stadt – Jacobi, Franz Haniel, die vielen Prosper-Schächte und Arenberg-Fortsetzungen – wurden irgendwann zusammengelegt in eine einzige Zeche unter Kontrolle der Ruhrkohle AG: Prosper-Haniel. Das Zechensterben erreichte Bottrop. Männer wurden nach Hause geschickt. Stattdessen kommen die Bergleute nun aus dem ganzen Ruhrgebiet, aus dem Saarland. In der Bottroper Innenstadt stehen Läden leer, es gibt kein Kino, kein Theater mehr. Firmen machen dicht. Die Zeche frisst sich noch immer weiter nach Norden vor. Die Halden werden höher und länger. Doch alles ist endlich.

Ich lebe in Bottrop. Jeden Morgen sehe ich auf den Förderturm. Als ich Kind war, waren die Häuser in meiner Stadt steingrau und kohleschwarz. Mehr Farben gab es nicht. Erst heute bleiben die weißen und blauen und gelben Anstriche auch nach Jahren weiß und blau und gelb. Es gibt keine tausend Feuer mehr in der Nacht, die den Himmel erleuchten. Von meinem Haus aus sehe ich die letzten beiden Fackeln in unserer Gegend. Ihr Glanz trägt nicht weit.

Ich wollte ein Buch machen über die Menschen, deren Leben mit der Bottroper Zeche verknüpft ist. Ich wollte ihre Wege beschreiben, die irgendwann einmal durch die Bottroper Gruben führten. Lebenswege, die miteinander verknüpft sind und doch nichts miteinander zu tun haben, die so unterschiedlich sind, wie das Leben nur sein kann, und doch einen Punkt haben, an dem sie sich alle berühren: die Bottroper Gruben. Hier waren die Männer Kumpel, um sich danach zu verstreuen: Sie gingen in die kolumbianischen Anden. Sie trommelten in Hardrock-Bands. Sie schaufelten in China um die Wette. Sie löschten in Indien Brände und kämpften in Australien um olympisches Gold.

Als ich das erste Mal unter Tage war, überzog der Kohlestaub nach wenigen Minuten meine Haut wie ein schwarzes Tuch. In den Augen brannte der Dreck und Schweiß floss meinen Nacken hinab.

Die Bottroper Gruben werden die letzten sein, auf denen in Deutschland nach Kohle gegraben wird. Ich wollte ein Bild von den Zechenkindern zeichnen: offen, ehrlich und ungeschönt. Ich wollte die Kameradschaft zeigen, aber auch den Neid. Ich wollte die Hoffnungen zeigen, aber auch das Leid. Ich wollte das Weiße zeigen und das Schwarze und die Grautöne dazwischen.

Die letzte Bottroper Zeche wird 2018 abgeworfen.

Das Leben der Bergleute bleibt.

David Schraven, geboren 1970, gründete 1987 seinen ersten Verlag und arbeitete als Journalist für die taz, die Süddeutsche Zeitung und die Welt. Er leitet das Ressort Recherche der Funke-Mediengruppe in Essen. Schraven lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Sichtweite der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop.

UNTER KUMPELN
EINE FOTOREPORTAGE VON UWE WEBER

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Gespräche unter Kumpels in 1280 Meter Tiefe

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Auf dem Weg nach unten im Förderkorb

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Kohlenmischanlage

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Bahnverkehr unter Tage. Die Bahn bringt die Kumpels zu ihren Revieren teilweise Fahrtzeiten von fünfundvierzig Minuten

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Kaue

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Uwe Weber, geboren 1960, begann seine Fotografenlaufbahn als freier Mitarbeiter von Musik-Magazinen. Seit 2001 arbeitet er als freier Fotograf in Düsseldorf. Seine Fotos erscheinen in internationalen Zeitschriften und Magazinen. Weber gewann den renommierten World Press Award für seine Aufnahmen der Love-Parade-Katastrophe. Er wohnt in Duisburg-Ruhrort.

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