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Vorwort

Die verschiedenen islamischen Länder und Gesellschaften zeichnen sich durch einen hohen Grad an Diversität aus: Uns begegnen die unterschiedlichsten Kulturen, verschiedene Formen des „gelebten Islam“, den wir in Deutschland auch als Alltagsislam bezeichnen, große Differenzen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten innerhalb einzelner Länder, unterschiedliche soziale und Bildungsschichten und eine Vielzahl an ethnischen Gruppen. Auch Geschlechterunterschiede und das Verhältnis verschiedener Generationen zueinander tragen zu dieser Vielfalt bei. Der „gemeinsame islamische Nenner“ sind die Grundlagen, die den orthodoxen Islam prägen; aber auch hier können wir 1000 Facetten beobachten, die sich zum Teil aus Einflüssen vorislamischer Glaubensvorstellungen und kultureller Erscheinungsformen ergeben. Politische Entwicklungen in den einzelnen Ländern nehmen zusätzlich Einfluss auf das jeweilige Erscheinungsbild des Islam, so wie auch globale politische und religiöse Strömungen. Historisch betrachtet, zeichnen sich Blütezeiten des Islam in den Jahren nach seiner Entstehung ab, seine Vorreiterrolle in Wissenschaft und Literatur während des europäischen Mittelalters, aber auch moderne, säkulare Tendenzen in den 1920er-Jahren, die von Vordenkern wie Atatürk und Jinnah zur Staatsformung und – bildung genutzt wurden. Zu den bedeutenden Ereignissen im islamischen Kulturkreis gehören auch die Entstehung der Muslimbruderschaft als Reaktion auf koloniales Gebaren der westlichen Großmächte, die Iranische Revolution, die Anfänge der islamistischen Widerstandsbewegung in Afghanistan und schließlich die Formierung von Al Qaida, Taliban und IS, die auch heute noch großen Einfluss auf das globale Geschehen nehmen. Zu einem nicht unerheblichen Teil beeinflussen gerade die extremistischen und islamistischen Bewegungen das Bild „des Islam“ und das Miteinander der unterschiedlichen Religionen.

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Alltagsszene auf dem Naqsch-e Dschahan in Isfahan (Iran)

Es existieren viele Fragen zum Reisen, Leben und Arbeiten in islamisch geprägten Ländern, aber auch zum Zusammenleben und zur Arbeit mit Angehörigen der verschiedenen islamischen Gesellschaften hier in Deutschland. Einige Fragen betreffen Entstehung und Grundpfeiler der Religion, Erscheinungsformen des Alltagsislam oder Auswirkungen des politischen Islam, in den meisten Fällen geht es aber um das Verständnis von Phänomenen aus den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen islamischer Länder. Sie betreffen das Familienleben, die Trennung der Geschlechter und die Verschleierung der Frau, Werte und Erziehungsideale wie Ehre und Gastfreundschaft, Ehrenmorde und Tabus, aber auch aktuelle Entwicklungen im Kontext der Jugendkultur, Smartphone- und Internetgeneration, Migration, Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung „im Westen“ sowie die Faszination (besonders für junge Männer) eines gewaltbereiten Islam, der durch islamistische Gruppierungen Terror verbreitet.

Der KulturSchock Islam stellt Hintergründe und Grundlagen dar, beantwortet aktuelle Fragen besonders zu Kultur und Gesellschaften islamisch geprägter Länder, bietet Beispiele und Erfahrungen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Situationen und verlangt den Lesern zusätzlich einen Perspektivwechsel ab. Einerseits wird der Blick nach draußen gerichtet, in islamisch geprägte Gesellschaften, die wir auf Reisen und beim Leben und Arbeiten in den entsprechenden Ländern erfahren und in denen sich Menschen aus unserem Kulturkreis erfolgreich bewegen wollen. Andererseits richten wir den Blick auf Menschen aus diesen Kulturkreisen in Deutschland, die wir verstehen und denen wir die Integration in unsere Gesellschaft und Kultur ermöglichen wollen. Das Buch soll aber auch gleichzeitig dazu ermuntern, den Blick auf sich selbst und den eigenen kulturellen Kontext zu richten und die persönlichen Werte und Normen zu reflektieren. Der Blick auf uns selbst findet auch durch die Augen der Ankommenden statt, die auf eine ihnen unbekannte Gesellschaft und die entsprechenden kulturellen Phänomene stoßen. Auch ihren Fragen und Irritationen soll in diesem Buch Raum gegeben werden. Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist, diese Themen auf möglichst unterhaltsame Weise vorzustellen, und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen des Buches.

Inhalt

Vorwort

imageVerhaltenstipps von A bis Z

imageDer Islam – ein kurzer Abriss

Die Entstehung des Islam

Das Erbe des Propheten

Die fünf Säulen des Islam

Sunniten und Schiiten – die Spaltung des Islam

Die religiöse Geistlichkeit

Die mystische Seite des Islam

Elemente des Volksislam

Die wichtigsten Feste und Feiertage

Fragen und Antworten

imageGesellschaftliche und kulturelle Phänomene

Die Familie

Von der Wiege bis zur Bahre – der Lebenszyklus

Miteinander kommunizieren

Geschlechterdynamik in islamischen Gesellschaften

Fragen und Antworten

imageMuslime in Deutschland

Muslime als Teil der deutschen Gesellschaft

Wie sind Muslime in Deutschland organisiert?

Islamische und westliche Werte sind nicht unvereinbar

„Wir“ und „die Anderen“ – Identitätsbildung von deutschen Muslimen und Muslimen in Deutschland

Brauchen wir „Heimat“ – und was ist das überhaupt?

Fragen und Antworten

Muslimische Jugendkultur

Fragen und Antworten

imageKulturschock Deutschland

Flucht und Migration

Ernüchterung nach der Ankunft

Die interkulturelle Begegnung

Gespräche in der Begegnungsstätte

imageAnhang

Glossar

Literaturangaben

Empfohlene Einführungen zum Thema Islam

Internetseiten

Register

Karte: Verbeitung des Islam

Die Autorin

Extrainfos im Buch
ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die von der Autorin aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/islam18 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z. B. „#1“) aufgerufen werden.

Exkurse zwischendurch

Der Koran

Islam versus Demokratie?

Religionsgemeinschaften mit islamischen Elementen

„Zurück zu den Wurzeln“ versus „größte Shoppingmall“

Intellektuelle Schwäche der Orthodoxie?

Die besondere Bedeutung von Farben, Symbolen und Zahlen

Religiöse Symbole

Die Sache mit der Ehre – ein Erklärungsversuch

Islamische Sexualtheorien und Blickverhalten

Länderbeispiele für den Einsatz von Schlichtern in Scheidungsfällen

Alltagsprobleme im Zusammenleben

Ein Leben im Widerstand

Das Recht auf das eigene Gotteshaus

Sind die liberalen Werte Europas bedroht?

Die Religion ist nur eine Facette meiner Identität

Polygamie in Deutschland

Kinderehen in Deutschland

Vermittlung von Wertvorstellungen durch Medien der islamischen Herkunftsländer

Nafiza, die mit ihren Söhnen seit zwei Jahren in Deutschland lebt, erklärt, was „Heimat“für sie bedeutet

Islam als Identität

Steckt mich nicht wegen meines Kopftuchs in eine Schublade!

Ich bin Muslimin, aber keine unterdrückte Frau!

Leben in zwei verschiedenen Welten

Woran ich mich als junger deutscher Muslim orientiere

Natürlich will ich hier bleiben, aber auch mein Anderssein leben!

Psychologische Erklärungsversuche

Selbstverständliches hinterfragen – Wer sind „Wir“, wer „die Anderen“?

Die besondere Beziehung der Deutschen zu Regeln und Vorschriften

Die Entwicklung des Individualismus und das Verhältnis des Einzelnen zum Staat

Historische Hintergründe von Sachlichkeit und Direktheit

Woher stammt die deutsche Rationalität und Sachlichkeit?

Freie Partnerwahl in der westlichen Welt

Gesellschaftliche Umbrüche in den 1960er-Jahren in Deutschland

Verhaltenstipps von A bis Z

imageAberglaube: Der Hang zur Spiritualität, der manchmal etwas abschätzig als „Aberglaube“ bezeichnet wird, ist in allen islamisch geprägten Ländern zu finden. Dies steht für viele Menschen nicht im Widerspruch zu den Regeln des Islam, auch wenn der Glaube an unsichtbare und oftmals unheilbringende Übermächte von vorislamischen Vorstellungen abstammt. Dämonen, Geistern und dem Bösen Blick wird mit einer Vielzahl von Abwehrpraktiken begegnet. Dazu gehören als Schutzformeln genutzte Koransprüche, Amulette, Spiegel, die „Hand der Fatima“ oder die Darstellung des Auges, die als Schmuckelemente getragen werden, Kräuter, Weihrauch, Salz und türkisblaue Gegenstände. In Marokko werden hennagefärbte Hände auf Häuserwände gedrückt, um das Haus dadurch zu schützen und Böses zu vertreiben. Auch der Zuspruch „heiliger“ Männer (und vereinzelt Frauen), die beispielsweise als Pir, Sheikh, Derwisch oder Marabout bezeichnet werden, und Besuche von Heiligenschreinen werden gern genutzt, um Segen zu erbitten und böse Kräfte abzuwehren. Auch wenn Reisenden manche Vorstellungen oder Praktiken befremdlich erscheinen mögen (so ganz frei von Aberglauben sind die Menschen in unseren Kulturkreisen ja auch nicht), ist ein verständnis- und respektvoller Umgang mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen zu empfehlen. Außerdem bereichern sie das kulturelle Leben und sind spannend zu erkunden.

imageAlkohol: Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist Muslimen der Konsum von Alkohol verboten. Der Koran ermahnt die Gläubigen, nicht betrunken zum Gebet zu erscheinen, in einigen Versen wird Alkohol als Sünde und Satanswerk bezeichnet. Alkoholverkauf und -verzehr wird in den islamisch geprägten Ländern unterschiedlich gehandhabt. Die Bandbreite erstreckt sich von einem sehr toleranten Umgang mit dem Rauschmittel, bei dem die Verantwortung dem einzelnen Gläubigen übertragen wird, bis zu einem totalen Verkaufs- und Konsumverbot, welches auch Nichtmuslime einschließt. In Zentralasien, Indonesien, der Türkei und einigen islamischen Ländern Afrikas ist der Alkoholkonsum sowohl für Einheimische als auch für Reisende unproblematisch. In Kasachstan, Usbekistan oder Kirgistan gehört der Wodka sogar in jede gesellschaftliche Runde. In den Ländern Südasiens, z. B. dem Iran, Afghanistan oder Pakistan und den meisten arabischen Ländern ist der Alkoholgenuss für Einheimische und teilweise für Ausländer verboten und auch legal in der Öffentlichkeit nicht erhältlich. Hier sollten sich Reisende außerhalb der Hotelmauern an das Konsumverbot halten und bei der Einreise keinen Alkohol einführen. Aber auch in Ländern mit strengen Regelungen wird häufig hinter verschlossenen Türen Alkohol konsumiert und zum Teil selbst gebraut oder gebrannt. Gerade in einem Land mit sehr strengen islamischen Regeln wie Pakistan gibt es ausgesprochen gut bestückte Hausbars – allerdings beschränkt sich dieser Luxus auf wohlhabende Kreise. Ganz allgemein ist Reisenden ein sensibler und an die lokalen Gegebenheiten angepasster Umgang mit Alkohol zu empfehlen. Besonders im Monat Ramadan sollten tagsüber und in der Öffentlichkeit keine alkoholischen Getränke konsumiert werden. Kontrollverlust durch Alkoholgenuss ist auch in den diesbezüglich liberaleren Ländern verpönt, sodass fast nie Betrunkene im Straßenbild in Erscheinung treten.

imageAnsehen, Gesicht wahren: Ansehen und Ehre spielen eine große Rolle in zwischenmenschlichen Beziehungen und nehmen Einfluss auf die Stellung eines Individuums in seiner Umgebung und der Gesellschaft. Viel Mühe wird darauf verwendet, „das Gesicht zu wahren“; Beleidigungen oder Ehrverletzungen können schnell zu heftigen Reaktionen führen, um die Ehre (s. S. 110) wiederherzustellen. Die Ehre der Frau ist oftmals mit Reinheits- und Moralvorstellungen verbunden. Reisende sollten im Umgang mit Angehörigen der Gastländer diese Empfindlichkeiten berücksichtigen und z. B. in Gesprächen oder bei verbalen Auseinandersetzungen die Ehre eines Mannes nicht anzweifeln oder ihn als „ehrlos“ bezeichnen. Haus und Familie gehören zu den Bereichen, die ein Ehrenmann schützen muss – verhalten Sie sich entsprechend respektvoll. Insbesondere Mädchen und Frauen gegenüber ist ein freundlich-distanziertes Verhalten anzuraten. Männer fühlen sich bei Vertraulichkeiten gegenüber weiblichen Familienangehörigen schnell provoziert, gleichzeitig kann die Ehre der Frau durch zu vertrautes oder anzügliches Verhalten verletzt werden, woraus sich gesellschaftliche Konsequenzen ergeben können (s. S. 116).

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Ein kühles Bier – garantiert alkoholfrei

imageArmut und Bettelei: Die Mildtätigkeit und das Verteilen von Almosen gehören zu den wichtigsten religiösen Regeln und sind eine der fünf Säulen des Islam. Zakat, die Pflichtspende, soll jährlich entrichtet werden, in den meisten Ländern existieren aber keine organisatorischen Zwänge. Neben diesen Pflichtspenden gelten auch freiwillige Abgaben als ehrenhaft und sind ein Gebot der Frömmigkeit. Auch wenn Bettler manchmal sehr offensiv vorgehen und lästig erscheinen können und auch organisierte Gruppen als Bettlerkolonnen auftreten, sollten sie mit Respekt behandelt werden. Eine kleine mildtätige Gabe für Alte und Gebrechliche oder Bettler vor Schreinen und Moscheen wird das Reisebudget nicht zu sehr belasten.

imageBaden/Nacktbaden: Aufgrund von islamischen Verhaltensvorschriften und Bekleidungsregeln ist Nacktbaden auch für Touristen und Touristinnen tabu. Baden in entsprechender Badekleidung (die nicht zu knapp ausfallen sollte) ist in der Regel unproblematisch. In einigen Ländern und besonders in konservativen Bevölkerungsgruppen müssen muslimische Frauen besondere Bekleidungsregeln beim Baden beachten, zu denen z. B. ein Ganzkörperbadeanzug (manchmal auch als „Burkini“ bezeichnet) gehört. Teilweise ist das Badevergnügen für Frauen auch wegen einer hohen Geschlechterdistanz in der Gesellschaft ganz und gar unüblich oder sie nutzen sogenannte „Frauentage“ in Schwimmbädern. An bestimmten Stellen der iranischen Küste ist z. B. der Strand in mehrere Abschnitte aufgeteilt. Es gilt strenge Geschlechtertrennung, aber in abgeschirmten Strandabschnitten, die nur für Frauen zugänglich sind, ist sogar das Baden „oben ohne“ möglich. Außerhalb von abgeschirmten und kontrollierten Bereichen sollten Besucherinnen von solch freizügigem Verhalten absehen.

imageBegrüßung: In den meisten islamisch geprägten Gesellschaften ist eine ausführliche und herzliche Begrüßung üblich. Die Frage nach dem Wohlbefinden des Gegenübers und seiner Familie steht dabei im Vordergrund. Teilweise haben sich lange Abfragerituale entwickelt, die einige Minuten in Anspruch nehmen. Begleitet werden Begrüßungen von Händeschütteln, Umarmungen, Wangenküssen und anderen körperlichen Ausdrucksformen, die sich in den einzelnen Ländern deutlich voneinander unterscheiden können. Aufgrund von vorherrschenden Moralvorstellungen und einer teilweise stark ausgeprägten Geschlechterdistanz in manchen islamischen Ländern finden körperliche Berührungen zwischen Männern und Frauen während der Begrüßung nicht statt. Sollten sich Besucher und Besucherinnen in diesem Kontext unsicher fühlen, tun eine verbale Begrüßung, ein freundliches Lächeln, die angedeutete Verbeugung durch Neigen des Kopfes oder die rechte Hand auf dem Herz auch ihren Dienst. Gegenüber höhergestellten Personen, z. B. geistigen Würdenträgern, sollten sich Besucher respektvoll und distanziert-freundlich verhalten. Bei der Begrüßung ist eine abwartende Haltung zu empfehlen, denn nicht immer ist es in diesem Personenkreis üblich, anderen die Hand zu reichen. Die Übernahme lokal üblicher Verhaltensweisen (der Handkuss, die tiefe Verbeugung, das Berühren der Füße der Autoritätsperson usw.) sind in der Regel nicht notwendig und würden, von Ausländern ausgeführt, auch befremdlich wirken.

Extrainfo 1 (s. S. 8): Islam erklärt: Eine Religion in (fast) fünf Minuten. Kurz und unterhaltsam von MrWissen2go.

imageBekleidung: Kleidung dient nicht nur dem Schutz vor Witterungseinflüssen, sondern nach Vorschriften des Koran auch dem Bedecken der Blöße und ist somit ein Ausdruck der Frömmigkeit. Diese Regeln gelten für beide Geschlechter, aber für Frauen ist die Kleidungsfrage in den meisten Fällen komplexer (siehe auch „Verschleierung“, S. 36). In vielen islamisch geprägten Ländern gehören ärmellose T-Shirts oder kurze Hosen nicht zur typischen Herrengarderobe. Bei Frauen sind kurze Röcke, tiefe Dekolletés und sehr eng anliegende Kleidung unüblich. In vielen der hier behandelten Gesellschaften drückt gepflegte Kleidung Respekt vor dem Gegenüber aus. Generelle Hinweise sind aufgrund der unterschiedlichen Gepflogenheiten in den verschiedenen Ländern schwierig zu formulieren; Besucher und Besucherinnen sollten sich vorab über vorhandene Bekleidungsvorschriften informieren (s. S. 117).

imageBeten: Das Pflichtgebet stellt eine der Fünf Säulen des Islam dar. Für viele Gläubige strukturiert das fünfmalige Gebet (der Sunniten) den Tagesablauf. Schiiten beten dreimal am Tag; sie verweisen aber darauf, dass auch sie fünf Gebete verrichten, nur würden das Mittags- und Nachmittagsgebet und das Abend- und Nachtgebet zusammengezogen und ergäben dann insgesamt drei Gebetsdurchgänge. Das Gebet kann nach einer kleinen Waschung an jedem beliebigen Ort durchgeführt werden, ein sauberes Tuch zum Niederknien reicht aus. Das mittägliche Freitagsgebet sollte allerdings – wenn möglich – in einer Moschee gemeinsam mit anderen Gläubigen vollzogen werden. Es gibt aber auch eine große Zahl von Muslimen, die nicht täglich oder regelmäßig betet, nur am Freitag eine Moschee besucht oder auch dies unterlässt. Eine Moschee sollte während der Gebetszeiten nicht besichtigt werden. Respektieren Sie den Gebetsvorgang und steigen Sie nicht über Betende hinweg oder gehen direkt vor ihnen her. Sowohl auf Reisen als auch im beruflichen Kontext ist tolerantes Verhalten in Bezug auf Gebetsbedürfnisse angebracht, z. B. wenn eine Überlandfahrt für ein kurzes Gebet unterbrochen oder für eine Tagung eine lange Mittagspause eingeplant wird, damit die Anwesenden das Mittagsgebet in Ruhe verrichten oder eine Moschee aufsuchen können.

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Gemeinsame Koranstunde

imageBeziehungspflege: Die Gesellschaften islamisch geprägter Länder basieren auf einem weit verzweigten Beziehungsnetz, das Verwandtschaft, Freunde und berufliche Personengruppen umfasst. Diese Netzwerke beruhen auf Gegenseitigkeit, Solidarität und Gefälligkeiten und werden durch häufigen Austausch, Besuche und Smalltalk gefestigt. Ohne diese Beziehungsnetze sind ganz alltägliche Angelegenheiten, Behördengänge, Geschäfte oder beruflicher Aufstieg oftmals nicht zu meistern. Die Pflege der Beziehungen braucht Zeit: Man trifft sich in Tee- oder Kaffeerunden, tauscht sich aus, diskutiert und trifft Entscheidungen. Wenn Besucher Sinn, Zweck und Notwendigkeit dieser für sie manchmal zeitaufwendig erscheinenden Zusammenkünfte und Rituale erkennen, werden sie diese nicht vorschnell als ineffektiv oder Zeitverschwendung verurteilen (s. S. 104).

imageFrauen unterwegs in islamischen Ländern: Nicht verschleierte Frauen, die sich frei auf den Straßen, in Ämtern und Geschäften bewegen oder sogar selbst Auto fahren, können in einigen islamischen Ländern immer noch die Ausnahme sein und erregen dementsprechend viel Aufsehen. Besonders interessant für die (männliche) Bevölkerung sind Ausländerinnen. Auch in ländlichen Gebieten, wo die Menschen wenig Kontakt zu Fremden haben, erhalten reisende Frauen viel Aufmerksamkeit. Die ständige Beobachtung und das „Anstarren“ werden von den meisten Frauen als Belästigung und äußerst störend empfunden. Treten Sie bestimmt und selbstbewusst auf und lassen Sie sich von den starrenden Blicken nicht aus der Ruhe bringen. Vermeiden Sie provozierende Reaktionen. Laufen Sie nicht allein durch unübersichtliche Basare oder Ihnen unbekannte Stadtteile/Gegenden. Sollten Sie belästigt werden, wenden Sie sich an Passanten, ältere Männer oder Ladenbesitzer, welche die meist jugendlichen Störenfriede zur Ordnung rufen können. Das kleine arabische Wort aib (Schande) kann im arabischen Raum Wunder wirken. Laut ausgerufen, kann es „Belästigern“ zur Besinnung verhelfen und die Aufmerksamkeit der Umstehenden wecken. Stellen Sie sich darauf ein, dass autofahrende Frauen eventuell Belästigungen und rüdem (Verkehrs-)Verhalten ausgesetzt sind.

imageEhre: Die Begriffe „Ehre“ und „Ansehen“ spielen in vielen islamischen Gesellschaften eine große Rolle und bestimmen das zwischenmenschliche Miteinander. Der Ehrenmann ist sehr auf seinen tadellosen Ruf bedacht – er kann durch sein eigenes unehrenhaftes Verhalten, das seiner Familienmitglieder und besonders das seiner Frau, Schwester oder Tochter beschädigt werden. Sofortige Reaktionen auf die Verletzung der Ehre sind erforderlich und führen manchmal zu Vergeltungstaten, Ehrenmorden und Familienfehden. Das Idealbild der ehrenhaften Frau beinhaltet Keuschheit vor der Ehe, bedingungslose Loyalität gegenüber der Familie und tadelloses moralisches Verhalten (s. S. 116). Auch wenn der vorherrschende Moralkodex nicht direkt Auswirkungen auf Ausländer und Ausländerinnen hat, sollte das Verhalten beider Geschlechter in manchen Situationen daran ausgerichtet werden: Begegnen Sie, besonders als ausländischer Mann, den Frauen in diesen Gesellschaften mit distanziert höflichem Verhalten, um diese nicht in Situationen zu bringen, die Zweifel an ihrer Ehrbarkeit aufwerfen. Vermeiden Sie unter allen Umständen Vertraulichkeiten und intimere körperliche Kontakte; in einigen arabischen oder südasiatischen Ländern ist selbst das Händeschütteln als Begrüßung nicht statthaft. Auch ausländische Frauen sollten einheimischen Männern gegenüber ein eher distanziertes Verhalten zeigen, um Missverständnissen vorzubeugen.

imageEinladungen: Menschen aus Gesellschaften islamisch geprägter Länder sind häufig sehr gastfreundlich und sprechen gerne Einladungen aus. Sie anzunehmen, ist eine wunderbare Gelegenheit, die Bewohner der besuchten Länder und ihre Gepflogenheiten kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Meistens erfolgt die Einladung aus Gründen der Wahrung der Privatsphäre nicht nach Hause, sondern in ein Café oder in eine Teestube. Häufig steht hinter der Einladung nichts als reine Gastfreundschaft, aber manchmal ist sie auch mit Verkaufsabsichten verbunden oder dem Versuch, sich einen Gefallen zu erbitten. Sollten sie länger vor Ort verweilen, können Sie durchaus Gegeneinladungen aussprechen. Einladungen können auch eine geschlechtsspezifische Komponente haben; wenn Frauen von einheimischen Männern eingeladen werden, sind eventuell bestimmte Erwartungen oder amouröse Absichten damit verbunden. Auch Händler laden gern zum Tee oder Kaffee ein; auch dies ist eine freundliche Geste, bindet den Kunden jedoch auch eine Weile an das Geschäft und gibt Gelegenheit für ein Gespräch oder das Anpreisen der jeweiligen Waren. Auch wenn mit dem Tee eine Verkaufsabsicht verbunden ist, entsteht für den Kunden dadurch kein Zwang, etwas zu erwerben. Im Iran, in Afghanistan oder Pakistan werden häufig Ausländer, die an einer Gruppe Menschen vorbeigehen, die gerade eine Mahlzeit einnehmen, mit einer freundlichen Geste zum Mitessen eingeladen. Es wird nicht unbedingt erwartet, dass der Eingeladene der Aufforderung folgt – es reicht aus, sich herzlich für diese Freundlichkeit zu bedanken und den Weg fortzusetzen.

imageEss- und Trinksitten: Ess- und Trinksitten sind in den islamisch geprägten Ländern so unterschiedlich, dass sie kaum auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. In einigen Staaten und besonders in ihren ländlichen Bereichen, wird auf dem Boden sitzend gespeist. Zum Essen wird dann meist ein Tuch auf dem Boden ausgebreitet oder es wird ein niedriger Tisch genutzt, auf dem die Speisen angeboten werden. Man sitzt mit eingeschlagenen Beinen um das Tuch oder den Tisch herum und nimmt die Speisen ein. Im ländlichen Familienverband wird oft gemeinsam aus Schüsseln gegessen und man bedient sich dabei der Finger. Gegessen wird ausschließlich mit der rechten, der „reinen“ Hand. Gästen werden aber auch in diesem Kontext oft eigenes Geschirr und Besteck gereicht. Getränke werden meist erst nach dem Essen angeboten, denn Überlieferungen zufolge soll auch der Prophet bevorzugt nach dem Essen zu Getränken gegriffen haben. Über die reine Funktion als Getränk hinaus werden Kaffee und Tee auch oft im Rahmen der sozialen Kontaktpflege angeboten und ergänzen und „versüßen“ Gespräche und das gesellschaftliche Miteinander.

imageFotografieren: Aufgrund religiöser und gesellschaftlicher Vorstellungen wie dem islamischen Bilderverbot und der Zurückgezogenheit von Frauen stehen einige Muslime dem Fotografieren kritisch gegenüber. Männer und besonders kleine Jungen posieren in der Regel aber gern für Fotos – auch die Smartphone-Kultur und die sozialen Netzwerke haben sicherlich zu Veränderungen beigetragen. Trotzdem: Fotografieren Sie Menschen – und ganz besonders Frauen – nur mit deren Erlaubnis. Findige Einheimische haben die Fotografierlust der Besucher auch als Einkommensquelle entdeckt und bitten um einen Obolus dafür, dass sie sich bereitwillig ablichten lassen. Ein weiterer sensibler Bereich sind religiöse Einrichtungen und Würdenträger: Moscheen als Sehenswürdigkeiten abzulichten, stellt kein Problem dar, aber im laufenden Moscheebetrieb sollten möglichst keine Aufnahmen von Mullahs, Imamen oder den Betenden gemacht werden. Ein solches Verhalten könnte als Belästigung angesehen werden, weil in der Moschee im Augenblick der Andacht gegen das islamische Bilderverbot verstoßen wird (auch Besucher eines christlichen Gottesdienstes möchten nicht gern im Blitzlichtgewitter von Touristen beten). Bei Angehörigen von Polizei und Militär sollten Sie ebenfalls Zurückhaltung üben, weil Empfindlichkeiten vorliegen könnten; militärische Einrichtungen, Flughäfen oder ähnliche öffentliche Einrichtungen sind – wie in den meisten Ländern – für Fotografen tabu.

imageFrau und Mann: Innerhalb jeder Gesellschaft gibt es unterschiedliche kulturelle Sphären für Frauen und Männer – in einigen islamisch geprägten Gesellschaften ist diese Spaltung sehr ausgeprägt. In der männlichen Sphäre, die gleichzeitig auch die Öffentlichkeit darstellt, können Frauen fast gänzlich fehlen, was sich in allen politischen, gesellschaftlichen und sozioökonomischen Bereichen bemerkbar macht und Frauen auf breiter Linie benachteiligt. Die hohe Geschlechterdistanz hat auch Auswirkungen auf Ausländer und Ausländerinnen in den Gastländern. Akzeptieren sie die Spielregeln der Geschlechtertrennung und Aufteilung der Räumlichkeiten in privaten und beruflichen Zusammenhängen und vermeiden Sie vorschnelle Kritik an den vorherrschenden Verhältnissen. Männern bleibt der Einblick in weibliche Sphären meist verwehrt; sie sollten die Privatsphäre und geschlechtsspezifische Empfindlichkeiten beachten und sich zurückhaltend verhalten. Im ländlichen Pakistan z. B. würde ein männlicher Fremder noch nicht einmal an eine Hoftür klopfen, da er nicht weiß, ob Männer oder eventuell nur Frauen im Haus sind. Sein Verhalten würde als Affront gewertet, also spricht er ein Kind auf der Straße an und schickt es zu dem Haus, das er besuchen möchte. Der kleine Kundschafter kommt dann zurück und berichtet, ob die Annäherung erlaubt ist. In der Regel wird der Gast vom Gastgeber draußen abgeholt und in die Gästeräume geführt. Ausländische Frauen haben hier eine größere Flexibilität und können sich meistens sowohl in den männlichen als auch den weiblichen Sphären aufhalten (s. S. 94).

imageFreitag: Der Freitag gilt im islamischen Kulturraum als „Tag der Versammlung“. Das gemeinsame freitägliche Mittagsgebet in einer Moschee ist Pflicht für jeden männlichen erwachsenen Muslim. Im Gegensatz zum christlichen Sonntag und dem jüdischen Sabbat ist der islamische Freitag kein eigentlicher Ruhetag. Die Vorstellung, dass Gott von seinem Schöpfungswerk ausruhen müsste, wird nicht geteilt. Viele Geschäfte sind deshalb nur während der mittäglichen Gebetszeit geschlossen. In einigen islamischen Ländern gilt der Freitag auch als offizielles Wochenende (an dem dann z. B. staatliche und Verwaltungseinrichtungen usw. geschlossen sind). Je nach Land kann das Wochenende den Donnerstagnachmittag oder auch den Samstag mit einschließen. Andere islamische Länder haben das „westliche Wochenende“, welches Samstag und Sonntag umfasst, übernommen. Bedenken Sie die unterschiedlichen Wochenendzeiten bei Ihrer Reiseplanung und Festlegung von Terminen.

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Dieser freundliche Imam führt Gäste höchstpersönlich durch die Blaue Moschee in Mazar-e Sharif (Afghanistan)

imageFreundschaften entstehen aufgrund der Geschlechterdistanz in der Regel zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen. Für Ausländer gelten diese gesellschaftlichen Regeln zwar nur bedingt, aber auch sie sind den Moralvorstellungen unterworfen. Im modernen städtischen Kontext verlieren diese traditionellen Verhaltensweisen aber an Bedeutung. In einigen Ländern haben Freundschaften einen anderen Stellenwert und sind oftmals nicht uneigennützig. Man erwartet von Freunden kleine Gefälligkeiten, indem sie beispielsweise ihre Beziehungen spielen lassen. Freundschaft und diese Erwartungshaltung sind kein Widerspruch – man kann sich gernhaben und sich gleichzeitig gegenseitig nützen. Reisende sollten nicht enttäuscht oder frustriert sein, wenn der neue Freund oder gute Bekannte z. B. darum bittet, dass ihm bei einem Visumsgesuch geholfen wird.

Extrainfo 2 (s. S. 8): Der islamische Gebetsruf aus Mekka

imageGastfreundschaft: In vielen Gesellschaften islamisch geprägter Länder ist die Gastfreundschaft ein hohes Gut. Der ausländische Gast wird manchmal in dieses System der Gastfreundschaft einbezogen. Nehmen Sie die angebotene Gastfreundschaft an – eine freundliche Begrüßung, ein kleines Gespräch und eine Tasse Tee oder Kaffee gehören oftmals dazu. In der Regel wird von dem Gast keine Gegenleistung in Form von Geld oder Geschenken erwartet. Die meisten Menschen freuen sich aber ungemein über lobende Bemerkungen über das Essen, die Landschaft, ihre hochgeschätzte Gastfreundschaft und überhaupt das ganze Land!

imageGeduld: In vielen Gesellschaften islamischer Länder nimmt man sich Zeit, um Sachverhalte zu klären. Ungeduld und offen gezeigter Ärger beschleunigen die Vorgänge meistens nicht – oftmals tritt das Gegenteil ein und im besten Fall wird man mitleidig belächelt. Lautstarke Unmutsäußerungen oder Anschuldigungen können zu Gesichtsverlust und Ehrverletzungen führen. Bleiben Sie ruhig und gelassen, auch wenn Ihnen das in vielen Kulturen übliche „Aussitzen“, „Abwarten“ oder „Schönreden“ befremdlich erscheint.

imageGeschenke: Bei Einladungen ist es üblich und gern gesehen, wenn kleine Geschenke mitgebracht werden. Mit ortsüblichen Süßigkeiten oder Obst kann man nichts falsch machen, Blumen als Mitbringsel hingegen sind nicht überall bekannt und oftmals auch als Schnittblumen nicht erhältlich. Bei aus dem Ausland mitgebrachten Nahrungsmitteln sollte auf die Speisevorschriften geachtet werden. Bei Hochzeiten sind in der Regel höherwertige Geschenke oder Geldbeträge angebracht; in diesem Fall sollte man sich über die örtlichen Gepflogenheiten informieren. In manchen islamischen Ländern und besonders in traditionellen ländlichen Kontexten haben Geburtstage eine untergeordnete Bedeutung und werden selten gefeiert (besonders ältere Menschen auf dem Land wissen oftmals nicht so genau, wann sie geboren wurden). Geburtstagsgeschenke oder Partys (insbesondere für Kinder) haben als moderne Erscheinungen verstärkt in den städtischen Gebieten Einzug gehalten. Bei Einladungen in Privathäuser sollten dort vorhandene Einrichtungsgegenstände nicht zu enthusiastisch bewundert werden – schnell werden sie als Zeichen der Gastfreundschaft eingepackt und als Geschenk mitgegeben. Diese sollten aber freundlich und hartnäckig abgelehnt werden, besonders wenn es sich um nicht verhältnismäßige Gaben handelt. Eine Tüte Äpfel von dem Baum, unter dem man beim Teetrinken gesessen hat, ist sicherlich akzeptabel, der Perserteppich, auf dem man saß, sicherlich nicht.

imageGespräche: In Gesellschaften, in denen die Beziehungspflege einen hohen Stellenwert einnimmt, haben häufige und ausgedehnte Gespräche auch eine wichtige soziale Funktion. In einigen Gesellschaften verursachen Schweigen und Alleinsein den Menschen Unbehagen. Treffen sich zwei oder mehrere Personen, führen sie zumindest ein kurzes Gespräch und selten sitzen mehrere Menschen schweigend beisammen. Am Anfang eines Gesprächs können lange Abfragerituale stehen, in denen man sich nach dem Wohlbefinden des Gesprächspartners, der Familie und der Kinder erkundigt. Erst wenn diese Erkundigungen mehrmals hin und her gegangen sind, beginnt die eigentliche Unterhaltung. In hierarchisch stark gegliederten Gesellschaften gibt es manchmal Gesprächsordnungen, die höhergestellten Menschen, Würdenträgern oder Älteren Vorrang einräumen. Jüngere Menschen halten sich in diesem Kontext aus Höflichkeit und Respekt mit ihren Meinungen oder Redebeiträgen oft zurück. Auf Reisen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Cafés usw. kommt man schnell ins Gespräch. Einheimische interessieren sich oft für die Eindrücke, die Besucher von ihrem Land haben – und freuen sich über eine freundlich-positive Rückmeldung! Kritik an der Regierung, an politischen Führern, der Religion oder anderen sensiblen kulturellen Phänomenen sollte man – zumindest im Rahmen von Smalltalk – umgehen oder vermeiden.

imageGesprächsthemen: Alles rund um die Familie und Verwandtschaft, die aktuelle Lebens- und Berufssituation, das Herkunftsland, das Wetter, aber auch Politik und Sport sind immer und überall beliebte Gesprächsthemen. Schwierige politische oder religiöse Fragen oder Kritik an bestehenden Verhältnissen sollten zunächst ausgeklammert und erst bei größerer Vertrautheit angesprochen werden.

imageHalal und Haram: Beachten Sie die Einteilung von Dingen, Nahrungsmitteln, Verhaltensweisen usw. in halal und haram, was als „erlaubt“ und „verboten“ interpretiert werden kann. So sind z. B. Schweinefleisch oder Alkohol haram, also für Muslime verboten, was Sie bei Einladungen beachten sollten. Dem erweiterten Konzept der „Reinheit“ zufolge gelten auch manche Tiere, z. B. Hunde, als unrein und manche Muslime vermeiden den Kontakt zu ihnen. Die enge Beziehung von Angehörigen westlicher Gesellschaften zu ihren Haustieren, besonders Hunden, wird von manchen Muslimen mit Unverständnis oder gar Verachtung betrachtet.

imageHand: Die linke Hand gilt in islamisch geprägten Gesellschaften als unrein, mit ihr wird die Reinigung nach dem Toilettengang vorgenommen. Gegessen wird mit der rechten Hand und auch das Anreichen von Speisen und Getränken oder anderen Gegenständen wird mit der „reinen“ Hand vorgenommen, um das Gegenüber nicht zu beleidigen. Eine Ausnahme ist ein in manchen Ländern (z. B. Iran) zu beobachtendes Verhalten, das besondere Höflichkeit und Respekt ausdrückt: Hier werden z. B. Geld oder Geschenke mit beiden Händen gleichzeitig überreicht.

imageHandeln und Feilschen gehören auf dem Basar zum Einkauf dazu. Die Rituale und die Höhe der angesetzten Preise können dabei ganz unterschiedlich sein; häufig werden bei Ausländern die Preise etwas höher angesetzt (sie kennen die Preissituation nicht so gut, sind wahrscheinlich nicht so erfahren im Feilschen und verfügen sowieso über mehr Geld – so zumindest die üblichen Annahmen). In Kaufhäusern und Supermärkten der meisten Länder sind die Waren mit Preisen ausgezeichnet, Handeln ist hier nicht üblich.

imageHeiligenkult: Im orthodoxen islamischen Religionsverständnis gibt es keine Heiligen, nur Menschen, die sich durch besondere Frömmigkeit oder Taten auszeichnen und meist aus dem Umfeld der sufistischen Mystik stammen. Man sagt, sie seien „Freunde Gottes“ und diesem durch ihren Lebenswandel näher als andere Gläubige. Von vielen Menschen werden sie aber vergleichbar mit den christlichen Heiligen verehrt. Ihre Grabmale werden regelmäßig besucht – und besonders an Feier- und den Todestagen der „Heiligen“. Man bittet dort um Beistand und Hilfe. Diese Menschen werden als Pir, Sheikh, Marabout und manchmal auch als Derwisch bezeichnet, ihre Grabmale als Ziarat oder Marabout. Dort wirkt auch ihre positive Segenskraft oder spirituelle Energie, das Baraka oder Barakat, noch immer nach und kann durch das Berühren des Grabmals übertragen werden. Beim Besuch eines Grabmals verhält man sich wie in einer Moschee; meistens werden die Schuhe ausgezogen und Frauen bedecken ihren Kopf. Für einen Besuch sollte keine freizügige Kleidung ausgewählt werden. Am Todestag des „Heiligen“ werden an manchen Schreinen jahrmarktähnliche Feiern zu dessen Ehren veranstaltet. Das bunte Treiben ist sehr sehenswert und oft mit faszinierender Sufi-Musik verbunden. Pilger von nah und fern besuchen an diesen Tagen das Grabmal. Islamische Fundamentalisten lehnen Phänomene des Volksislam und die Heiligenverehrung ab. Ihrer Meinung nach stellen sich diese Menschen zwischen Gott und die Gläubigen. Aufgrund dieser ablehnenden Haltung gehören Schreine zu den Orten, an denen häufig Anschläge verübt werden. Dies macht sie zu potenziell gefährlichen Plätzen, was Sie bei Besuchen berücksichtigen sollten.

imageHochzeit: Die Hochzeit gehört im Leben der meisten Muslime zu den wichtigsten Ereignissen. Hochzeiten werden meistens lange im Voraus geplant und die Feierlichkeiten können sich über viele Tage hinziehen. In vielen Gesellschaften erhöht eine große Anzahl von Gästen das Ansehen der Familien von Braut und Bräutigam. Besonders im traditionellen Kontext verschulden sich manche Familien für den eventuell zu entrichtenden Brautpreis, die Mitgift und die Hochzeitsfeierlichkeiten über Jahre. Selbst im modernen städtischen Umfeld ist die Hochzeit meist eine Familienangelegenheit und nicht ein Bündnis zwischen zwei Individuen, das in kleinstem Kreise gefeiert wird. Eine Einladung zu einer Hochzeit ist eine schöne Gelegenheit, Einheimische und lokale Traditionen kennenzulernen – ganz abgesehen von Musik, Tanz und gutem Essen. In den verschiedenen Ländern kommen die unterschiedlichsten Gepflogenheiten vor, zu dieser besonderen Feier ist in allen Ländern gepflegte Kleidung angebracht, um dem Anlass und den Gastgebern Respekt zu zollen. Ausländische Besucher gelten als Ehrengäste und sind interessante Gesprächspartner. Über angemessene Hochzeitsgeschenke sollten Sie sich vor Ort erkundigen (s. S. 99).

imageHomosexualität ist in den meisten islamisch geprägten Gesellschaften und besonders in traditionellen Kreisen ein Tabuthema und die offen gelebte Homosexualität nach religiösen Regeln und Gesetzen verboten. Viele Homosexuelle versuchen, eine heterosexuelle Fassade aufrechtzuerhalten, um gesellschaftlichen Sanktionen zu entgehen. Die „Szene“ bleibt im Verborgenen; man trifft sich und kommuniziert unter Ausschluss der Öffentlichkeit, z. B. über spezielle Internetforen. Ein sehr dezenter Umgang mit diesem Thema wird empfohlen. Paare sollten sich möglichst nicht als homosexuell zu erkennen geben, denn dies kann in manchen Ländern strafrechtliche Folgen haben.

imageKaffeehaus und Teestube: Diese Einrichtungen sind in allen islamisch geprägten Ländern Orte der Entspannung und des kommunikativen Austauschs. In traditionellen ländlichen Gesellschaften werden sie überwiegend von Männern frequentiert, im städtischen Umfeld kann die Klientel gemischt sein. Kaffee oder Tee werden häufig als Zeichen der Gastfreundschaft angeboten, sie sind unverzichtbarer Bestandteil von Geschäftsgesprächen und Einladungen, werden oft aber auch auf dem Bazar, beim Einchecken im Hotel und bei vielfältigen anderen Gelegenheiten gereicht. In Süd- und Südostasien ist es eher üblich, grünen oder schwarzen Tee, gesüßt oder ungesüßt, mit Nüssen, Obst oder Süßigkeiten anzubieten. In Nordafrika stellt der aus frischen Minzblättern gebrühte Tee eine erfrischende und belebende Besonderheit dar. Kaffee wird besonders in arabischen Ländern gern gereicht; er wird aus frisch gerösteten Kaffeebohnen mit Kardamom und viel Zucker in kleinen Tässchen serviert. Die gemeinsame Tasse Tee oder Kaffee bietet eine gute Gelegenheit für ein kleines Gespräch und verpflichtet in der Regel zu keiner weiteren Interaktion – kann diese aber erheblich erleichtern.

imageKinderreichtum: Kinder gelten in vielen muslimischen Gesellschaften als Geschenk Gottes. Gläubige sehen es als ihre religiöse Pflicht an, die ummah, die Gemeinschaft aller Muslime, durch reichen Kindersegen zu vergrößern und zu stärken. Konservative Gruppen stehen Familienplanung und Abtreibung ablehnend gegenüber. Gründe für die Bevorzugung von großen Familien sind aber auch in kulturellen und sozialen Bereichen zu finden. Da in vielen der hier behandelten Länder die staatliche Versorgung der Bürger und Bürgerinnen durch soziale Sicherungssysteme unzureichend ist, kann ein großer und stabiler Familienverband mit vielen Kindern auch eine Absicherung für das Individuum darstellen. Die Familie übernimmt Versorgungsfunktionen für die arbeitslosen, kranken oder alten Familienmitglieder. Dort, wo nur unzureichende Kranken-und Rentenversicherungen existieren, sind Kinder ein Garant für Pflege, Versorgung und Schutz im Alter. Die hohe Kinderzahl ist in den einzelnen Gesellschaften aber auch oftmals ein Phänomen in der ländlichen Bevölkerung und den sozial schwächeren Schichten. Wohlhabende Stadtbewohner leben meist in weitaus kleineren Familien. Diese Gründe für Kinderreichtum sollten bedacht werden, um einer vorschnellen Kritik („Wenn doch der Familienvater arbeitslos ist, warum hat er dann so viele Kinder“) vorzubeugen (s. S. 84).

imageKoran: Das heilige Buch des Islam, der Koran, wird mit großem Respekt behandelt. Er gilt als Gottes Wort, das dem Propheten Muhammad offenbart und nach dessen Tod aufgezeichnet wurde. In den meisten Familien wird er im Haushalt aufbewahrt, oftmals in ein schönes Tuch gehüllt, um ihn vor Verunreinigung zu schützen. Die ungebührliche Behandlung des Koran (Entfernen oder Zweckentfremden von Seiten, usw.) wird unter dem Tatbestand der Blasphemie geahndet. Ein nicht mehr gebrauchtes Exemplar wird nicht entsorgt, sondern aufbewahrt oder in manchen Ländern in Moscheen rituell bestattet. Behandeln Sie den Koran mit Respekt und Achtsamkeit, sodass er nicht verunreinigt oder beschädigt wird; schreiben Sie auch möglichst keine Kommentare in ein Exemplar, das Sie u. U. mit sich führen. Der Koran wird im Original, also in arabischer Sprache, gelesen und gelehrt. Dies bedeutet auch, dass in nicht arabischsprachigen Ländern nur die Ulema, die einen höheren religiösen Bildungsweg mit Arabischstudium eingeschlagen haben, die Inhalte verstehen. In den Koranschulen wird das heilige Buch in der arabischen Originalsprache verwendet. Der Grund dafür ist die Annahme, dass Gott den Koran in dieser Form dem Propheten übermittelt hat – und damit ist er eigentlich unveränderlich. Trotzdem gibt es Übersetzungen in alle möglichen Sprachen, von fundamentalistischen Gruppen wird aber nur die Originalversion akzeptiert (s. S. 41).

imageKritik (im Gespräch): In vielen Gesellschaften steht in der Kommunikation das Bewahren von Harmonie im Vordergrund. Man zieht es vor, zunächst Gemeinsamkeiten zu thematisieren, um durch den Konsens ein angenehmes Umfeld zu schaffen. Man kommt nicht wie in Deutschland direkt zum Punkt, sondern kreist das Problem langsam ein. Das klare und direkte deutsche „Nein“ gilt als unhöflich und wird möglichst vermieden. Kritik sollte immer behutsam und höflich vorgebracht werden, denn direkte Kritik kann sehr verletzend sein und wird in vielen Gesellschaften sehr vorsichtig gehandhabt. Kritisieren Sie Menschen nur „unter vier Augen“, um eine Kränkung der Ehre oder dem Verlust von Ansehen vorzubeugen.

imageMondkalender: Für religiöse Zwecke und die Festlegung der islamischen Feiertage dient der islamische Mondkalender. Das Mondjahr besteht aus zwölf Monaten, die stets bei Neumond beginnen, mit jeweils 29 Tagen. Der Mondkalender ist mit 354 Tagen elf Tage kürzer als der Sonnenkalender, weshalb sich die Feiertage im Lauf von 33 Jahren rückwärts durch das Sonnenjahr bewegen (pro Jahr verschieben sich die Feiertage um ca. elf Tage). Die genaue Festlegung der Daten der islamischen Feiertage richtet sich nach der tatsächlichen örtlichen Mondbeobachtung. Aufgrund der geografischen Lage und der unterschiedlichen Zeitzonen ergeben sich manchmal zwischen den einzelnen islamischen Ländern Verschiebungen um einen Tag.

imageMoscheebesuch: Erkundigen Sie sich, welche Moscheen (auch von Frauen) problemlos besucht werden können, aber verzichten Sie am Freitag auf Besuche. An diesem Tag wollen viele der zahlreichen Moscheebesucher nicht gestört werden. Ziehen Sie vor dem Betreten einer Moschee die Schuhe aus; Frauen müssen den Kopf bedecken. Steigen Sie nicht über einen Betenden hinweg oder laufen vor ihm her. Traditionell gibt es in einer muslimisch geprägten Stadt eine Freitagsmoschee, in der auch die Freitagspredigt gehalten wird, sowie mehrere einfache Gebetshäuser und -räume für das alltägliche Gebet. Charakteristisch für eine Moschee sind unter anderem die Gebetsnische, welche die Gebetsrichtung nach Mekka angibt, und Waschgelegenheiten für die rituelle Reinigung vor dem Gebet.

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Traditionelle Nauroz-Tafel einer deutsch-iranischen Familie in Indonesien

imageMüll, Umgang mit: Der teilweise wenig regulierte Umgang mit Müll führt bei vielen Reisenden zu Unverständnis und kritischen Äußerungen. Viele weniger wohlhabende Stadtviertel und Dörfer verfügen über keine oder zumindest keine regelmäßige Müllentsorgung. Mülltrennung oder Recyclingsysteme sind nur schwach – wenn überhaupt vorhanden – ausgeprägt. Menschen pflegen einen scheinbar achtlosen Umgang mit der Müllentsorgung, es gibt viele „wilde“ Müllkippen und die Verunreinigung von Landschaft und Wasserläufen ist unübersehbar. Beliebte Picknickplätze sind nach den Besuchen von zahlreichen Familien mit Müll übersät; Tausende von Plastiktüten verunstalten Straßenränder oder Strände. Angesichts der eingeschränkten geregelten Müllentsorgungsmöglichkeiten sollten Besucher Verständnis für das Verhalten der Einheimischen zeigen. Generell ist die Tendenz zu beobachten, dass für den inneren Bereich (Häuser und Höfe) Verantwortung und Pflege übernommen wird, das Verantwortungsgefühl für den äußeren Bereich (Gemeinplätze, Straßen, Öffentlichkeit) aber nicht so stark ausgeprägt ist. In vielen Ländern ist der Umgang mit Müll noch kein Thema und hat beispielsweise auch noch keinen Eingang in die Schulerziehung gefunden. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und vermeiden Sie beispielsweise den Gebrauch von Plastiktüten. Beachten Sie, dass in einigen südostasiatischen und arabischen Ländern (zumindest in den Städten) auch empfindliche Strafen für achtlos weggeworfenen Müll verhängt werden und z. B. Bußgelder gezahlt werden müssen.

imageNauruz bezeichnet das Neujahrs- und Frühlingsfest, das in vielen islamisch geprägten Ländern und besonders im iranischen Kulturraum am 20. oder 21. März gefeiert wird. Wörtlich aus dem Persischen übersetzt bedeutet es „neuer Tag“. Die Begehung des Festes lässt sich bis zu den zoroastrischen Vorfahren der heutigen iranischen Völker zurückverfolgen. Das Neujahrsfest wird heute von mehr als 300 Millionen Menschen gefeiert, die in den Ländern Süd- und Zentralasiens leben, aber auch auf der Balkanhalbinsel, in der Schwarzmeerregion und im Nahen Osten. Große Bedeutung hat Nauruz auch für kurdische Bevölkerungsgruppen. In vielen Ländern ist Nauruz ein offizieller Feiertag. Da das Fest auf vorislamische Ursprünge zurückgeht, wird es von den fundamentalistischen Strömungen im Islam abgelehnt.

imagePrivatsphäre: Beachten Sie, dass in vielen Gesellschaften islamisch geprägter Länder deutlich zwischen öffentlichen und privaten Räumen unterschieden wird: Betreten Sie fremde Häuser oder Höfe nicht unaufgefordert, besuchen Sie Dörfer möglichst nur mit Einladung. Männer sollten nie ohne Voranmeldung und Abstimmung mit dem Hausherrn ein fremdes Haus besuchen, um die anwesenden Frauen nicht in Verlegenheit oder Schwierigkeiten zu bringen. Männer sollten sich bei Besuchen in Häusern nur in den Gasträumen aufhalten und nicht ungefragt die Familienräume betreten. Halten Sie ganz generell Distanz zum anderen Geschlecht, um Missverständnisse zu vermeiden.