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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft – Steuern – Recht GmbH, Stuttgart

Impressum

[4]Systemisches Management

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Print: ISBN 978-3-7910-4322-7 Bestell-Nr. 20347-0002
ePub: ISBN 978-3-7910-4324-1 Bestell-Nr. 20347-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-4323-4 Bestell-Nr. 20347-0151

Roswita Königswieser/Alexander Exner
Systemische Intervention - Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager
9. Auflage 2006 - Sonderausgabe 2019

© 2019 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
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Januar 2019

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[8]Für unsere geduldigen und anregenden Partner
Hella und Reinhard

[9]Danksagung

Wir haben vielfachen Dank auszusprechen.

Ohne die Beiträge der „Neuwaldegger“ Kollegen und die unserer Netzwerkpartner fehlte die Vielfalt.

Ohne Michaela Schenkermayers und Kerstin Rommels Konsequenz beim Schreiben, beim Stichwörter- und Suchbegriffe-Erstellen, beim Organisieren usw. wäre nicht alles so reibungslos verlaufen.

Ohne Herrn Rathgebs Engagement und Kreativität wäre das Buch nicht in diesem Verlag erschienen.

Ohne Nora Stuhlpfarrers Sprachgefühl, Geduld, Genauigkeit und jahrelange Lektoratserfahrung mit uns wären die Designs und Fallbeschreibungen wie „Kraut und Rüben“, ohne einheitlichen Guß und sicher unverständlich.

Wir danken den Kollegen, dem Team und allen Netzwerkpartnern!

[11]1 Einleitung

[12][13]Es gibt kaum ein Unternehmen, das nicht durch die atemberaubenden Veränderungen seines Umfelds gezwungen wäre, selbst Prozesse einzuleiten, die den Wandel zu verarbeiten helfen und das Lernenlernen unterstützen. Nicht nur Berater, auch immer mehr Manager stehen vor der Frage: Auf welche Weise können wir intervenieren, um den Prozeß der Identitätsveränderung – sei es in Form von Rationalisierung, Prozeß-, Kunden- und Teamorientierung oder mit Hilfe genereller Entwicklungsprozesse – zu unterstützen?

Als Berater und Begleiter komplexer Veränderungsprozesse, als Weiterbildner und Supervisoren versuchen wir seit Jahren, auf Basis des systemischen Paradigmas Konzepte, Architekturen und Designs zu entwickeln, die fruchtbare Impulse in soziale Systeme setzen.

Wir führen seit Mitte der achtziger Jahre Langzeitgruppen für bereits professionell tätige Berater wie auch zunehmend für in verschiedensten Funktionen tätige Menschen, die für die Gestaltung von Veränderungsprozessen verantwortlich sind. Durch diese systemischen Langzeitgruppen sind wir gezwungen, unsere Interventionsstrategien zu begründen und Prinzipien und Haltungen zu vermitteln. Wir lernen aus eigenen Fehlern wie aus den Erfahrungen anderer. Den Wunsch der Teilnehmer, einen Blick in unsere „Schatzkiste“ zu werfen, verstehen wir gut, weil wir dieses Bedürfnis früher selbst hatten, es aber nie befriedigen konnten.

Wir haben uns entschlossen, dieses Buch zu machen, weil wir gelernt haben, daß die Weitergabe von Wissen intelligenter, Wissen für sich zu behalten aber dumm macht. Wir wollen mit diesem Buch Beratern und Veränderungsmanagern Anregungen geben. Wir wollen Mut machen, eigene Lernarchitekturen zu entwickeln. Die wirkungsvollsten Interventionen sind solche, die „Herzen öffnen“ und somit Strukturveränderungen tragen.

Natürlich sind Interventionen weder bezüglich ihres Verlaufs noch hinsichtlich des Resultats genau vorhersehbar, folglich immer riskant. Also gibt es auch keine Erfolgsgarantie, weder genaue Rezepte noch strenge Richtlinien. Mit der Präsentation der von uns ausgewählten Interventionen wollen wir die Intuition – den künstlerischen Aspekt unseres Berufs – in den Vordergrund stellen. Nur von Hypothesen geleitet, müssen wir Projektarchitekturen vorschlagen und Designs entwerfen. Den Ausschlag gibt letztlich die Haltung, wenn wir eine Intervention setzen.

Ein Buch kann wohl kaum die Haltung, das Erleben, die Bedeutung der Arbeit an sich selbst und die Reflexion im Beraterstaff vermitteln. Aber die [14]Lektüre kann ein Streifzug durch das Labyrinth der systemischen Interventionspraxis sein.

Wenn wir eine Reise in ein interessantes Land unternehmen, bemühen wir uns, die charakteristischen Landschaften zu durchqueren, die „typischen“ Leute kennenzulernen und die signifikanten Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, um die Eigenheiten des Landes zu erfassen. Woran denken wir etwa bei Südspanien? An Mauren? Juden? Spanier? Die Alhambra? An Gärten? Tapas? An die Sonne? Paradores? Enge Gassen? Zistrosen? Stierkampf? Dieser Vielfalt entsprechend, wird die Reiseroute individuell sehr unterschiedlich gestaltet sein.

So verhält es sich auch mit den in die Auswahl aufgenommenen Interventionen – es handelt sich um unsere sehr subjektive Selektion. Was war uns wichtig? Vielfalt, Buntheit, persönliche Nähe zu den Mitautoren aus unserem Beraternetzwerk, gute Erfahrungen. Interventionstechniken, die bereits vielfach veröffentlicht sind – z. B. zirkuläres Fragen, Splitting oder Skulpturen, Aufstellungen, Bilderzeichnen usw. –, haben wir nicht aufgenommen, sondern als vierten Punkt in Kapitel 2 kurz dargestellt.

Dieses Buch versteht sich nicht als Lehrbuch, nicht als Nachschlagewerk, sondern quasi als Fotoalbum, als Bericht von einer für uns spannenden Reise.

Die Anwendungsfelder könnten die Regionen sein, in denen man sich als Berater in Veränderungsprozessen befindet – Situationen, in denen Fragen auftauchen. Wir haben 50 Berater und Veränderungsmanager befragt, welche Begriffe ihr Interesse und ihre Neugierde erwecken, und haben danach unsere Anwendungsfelder entwickelt.

Wir alle, die wir versuchen, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse mitzugestalten, wissen, daß wir immer wieder ungewöhnliche, auch emotional überraschende Wege beschreiten müssen, um ein Heraustreten aus Routinen zu beschleunigen, um Bewegung in Systeme zu bringen – Strukturveränderungen allein genügen nicht.

In diesem Sinn wollen wir mit diesem Buch einen Beitrag zur Professionalisierung von Entwicklungsprozessen, aber auch zur Freude und zum Spaß am Experiment hinsichtlich dieser und noch zu kreierender Interventionen leisten.

[15]2 Systemische Intervention in der Beratung

Roswita Königswieser, Alexander Exner, Jürgen Pelikan

[16][17]Einleitung

Wir versuchen mit diesem Kapitel zu klären, was systemische Intervention für uns ist. Wir nähern uns dieser Thematik von einer theoretischen Seite und entwerfen ein Modell, setzen aber auch gleichzeitig aus der systemischen Beratungserfahrung praktische Beispiele dazu in Beziehung. Anliegen dieses Kapitels ist es auch, die in der Praxis oft intuitiv getroffenen Interventionsentscheidungen in einen systematischen Bezugsrahmen zu stellen. Unsere Weiterbildungsaktivitäten mit systemisch orientierten KollegInnen und vor allem deren Fragen haben uns dafür wichtige Impulse gebracht.

Was verstehen wir unter systemischer Intervention im Rahmen einer Organisationsberatung? Mit Willke (1987, S. 333) verstehen wir unter Intervention eine zielgerichtete Kommunikation (d. h., eine bestimmte Wirkung beim Kommunikationspartner wird in das Kalkül der Kommunikation einbezogen) zwischen psychischen und/oder sozialen Systemen, in der die Autonomie des intervenierten Systems respektiert wird. Systemische Intervention könnte eine zielgerichtete Kommunikation genannt werden, in der man sich der prekären Ausgangslage des Versuchs der wirkungsvollen Beeinflussung eines autonomen sozialen Systems bewußt ist.

Systemtheoretisch aufgeklärte Interventionsstrategien zeichnen sich demnach vor allem dadurch aus, daß sie das Risiko von Interventionen in autonome Systeme klarer bestimmen, stärker eingrenzen und deshalb wohl eher tragbar machen (Willke 1987, S. 357).

Mit Organisationsberatung meinen wir eine professionelle, vertraglich geregelte Fach- oder Prozeßberatung von Organisationen durch außenstehende Einzelberater oder Beratungsfirmen. Systemische Intervention in der Organisationsberatung bedeutet dann zielgerichtete beraterische Kommunikation in Organisationen – wobei diese als soziale Systeme begriffen werden und der gesamte Prozeß der Beratung methodisch unter Gesichtspunkten der modernen Systemtheorie reflektiert und angeleitet wird.

Aus der Beobachterperspektive unterscheiden wir Interventionen

von bloßem Verhalten: Die Berater gehen zum Seminarraum, begrüßen die Teilnehmer, ziehen sich einen wärmeren Pullover an – diese Tätigkeiten sind keine Interventionen;

von anderen Handlungen: Das Anstellen des Videogerätes, das Austeilen von Metaplankärtchen usw. sind keine Interventionen;

und von Handlungen, die dem Aufbau des Beratungssystems dienen.

[18]Das Setting beim Erstgespräch dient dazu, eine tragfähige Beziehung zwischen Klientensystem und Beratersystem herzustellen, und nicht der Entwicklung des Klientensystems.

Aus dem Blickwinkel der Klienten dagegen kann fast jedes Verhalten der Berater als beabsichtigte Intervention interpretiert werden. Allein durch die mit den Beratern assoziierten Funktionszuschreibungen können Phantasien mobilisiert werden, die fast jedes Verhalten der Berater als „interventionsverdächtig“ erscheinen lassen. Fragen wie „Was bedeutet das? Was wollen uns die Berater damit sagen?“ laufen meist permanent mit.

Wir jedoch bezeichnen Beraterhandlungen nur dann als Interventionen, wenn sie am Klientensystem orientiert sind und eine bestimmte Wirkung erzielen wollen, was voraussetzt, daß vor den Interventionen vom Beratersystem Hypothesen über die Situation und die gewünschte Wirkung der Interventionen gebildet wurden. Dieser Begriff von Intervention unterscheidet sich von einer linearen Vorstellung von Eingreifenkönnen, Verändernkönnen. Wir gehen davon aus, daß lebende Systeme nur in ihren tradierten, spezifischen Mustern reagieren können. Gleichzeitig meinen wir mit Will- ke, daß jedes System „Druckpunkte und Stellen“ hat, auf die es sensibel reagiert (Willke, 1992). Grundsätzlich sollen durch Interventionen Impulse für eine Weiterentwicklung des Klientensystems gegeben werden: Freiräume für Handlungsalternativen, Strategien und Entscheidungen sollen vergrößert und Energie soll deblockiert werden.

Oft wird die traditionelle Form der Betriebsberatung mit einem chirurgischen Eingriff verglichen, der systemische Ansatz mit der homöopathischen Methode. Beide Bilder sind einseitig – es geht vielmehr darum, die Selbstheilungskräfte und Energien eines Systems zu mobilisieren. Aber auch Berater, die sich dem systemischen Ansatz zugehörig fühlen, setzen nicht nur systemische Interventionen – im engeren Sinne –, sondern häufig auch sehr linear orientierte. Systemische Interventionen sind vor allem dann zweckmäßig, wenn es in einer Organisation zu „rigiden Schleifen“, d. h. zu über lange Zeit nicht veränderbaren, sich stets wiederholenden Mustern, die vom System als dysfunktional erlebt werden, kommt.

Ein Beispiel dafür: In einem Großunternehmen wird der Marketingvorstand innerhalb kürzester Zeit zum vierten Mal neu von außen besetzt. Jedesmal wird der neue Vorstand am Anfang als großer Experte herzlich willkommen geheißen. Nach einiger Zeit treten Zweifel an seinen Branchenkenntnissen auf, und kurz darauf muß er gehen. Was wird wohl mit dem fünften Marketingvorstand, der selbstverständlich von außen besetzt [19]werden muß, weil es keine entsprechende interne Persönlichkeit gibt, geschehen?

Der Vorteil von Beratern liegt vor allem darin, mit anderen Vorstellungen die Wirklichkeitskonstruktionen und Selbstbeschreibungen der Organisation und ihre Handlungen zu beobachten und daraus Interventionen abzuleiten (Wimmer, 1992). Aus der Differenz zwischen der eigenen und der fremden Sicht kann das System Informationen ableiten, die zu Entwicklungsimpulsen führen, die wieder schöpferisches Verhalten ermöglichen (Bernd Schmid, 1987). Dieser Effekt tritt dann ein, wenn sich die Problemlösungskapazität des Systems insgesamt steigert und alternative Selbstentwürfe möglich werden (Wimmer 1992).

Die an der Beratung beteiligten sozialen Systeme

Überblick

Bei der Organisationsberatung lassen sich drei Typen von sozialen Systemen, die den Beratungskontext konstituieren, unterscheiden: das Klientensystem (KS), das sich beraten läßt, das Beratersystem (BS), das die Beratung durchführt, und das Beratungssystem (BKS), ein neuer, gemeinsamer Kontext, der von den beiden genannten Systemen eigens eingerichtet werden muß, damit Beratung wirksam stattfinden kann. Sind der Klient und der Auftraggeber einer Beratung nicht identisch, so ist der Auftraggeber als zusätzliches eigenständiges System zu berücksichtigen. Der Auftraggeber ist vor allem bedeutsam für die Rahmenbedingungen des Beratungssystems (Zielsetzungen, Ressourcen, Terminsetzungen). Auftraggeber werden von uns aber nicht als Teil des BKS, sondern als eine seiner relevanten Umwelten angesehen. Alle drei (bzw. vier) Systeme sind im Regelfall soziale Systeme vom Typus Organisation (Ausnahmen: Einzelberater oder einzelne Personen als Auftraggeber).

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Die an der Beratung beteiligten sozialen Systeme

[20]Gemeinsamkeit

Folgt man der modernen Systemtheorie, wie sie in den beiden letzten Jahrzehnten in der Biologie (Maturana, Varela), in der Erkenntnistheorie (v. Förster) bzw. in der Soziologie (Luhmann, Willke) entwickelt wurde, so lassen sich die an der Beratung hauptsächlich beteiligten Organisationen folgendermaßen qualifizieren: Es handelt sich gleichermaßen um Systeme

im Gegensatz zu Umwelten, und zwar

um komplexe – im Gegensatz zu einfachen;

um autonome bzw. autopoietische und damit auch

um selbstreferentielle – im Gegensatz zu trivialen oder heteronomen;

um soziale – im Gegensatz zu maschinellen, organischen oder psychischen und

um Organisationen – im Gegensatz zu Interaktionssystemen, Gruppen, Netzwerken, funktionalen Teilsystemen oder Gesellschaften.

Was bedeuten diese Kennzeichnungen, und welche Konsequenzen haben sie für Interventionen in diese Arten von Systemen? Statt mit der Differenz Teil/Ganzes arbeitet die moderne Systemtheorie mit der Differenz System/Umwelt. Im Gegensatz zu Umwelten haben Systeme Grenzen und weisen hinsichtlich ihrer Strukturen und Prozesse Ordnung auf.

Für Beratung folgenreich sind zunächst die Grenzen der beiden involvierten Systeme. Berater gehören in dieser Betrachtungsweise gleichermaßen zur Umwelt von potentiellen Klienten, wie diese Teil der Umwelt von Beratern sind.

Beide müssen durch den Abschluß eines Beratungsvertrags zunächst zur für sie wechselseitig relevanten Umwelt definiert werden. Die Grenzen der beiden Organisationen müssen dann durch die Einrichtung von geeigneten intermediären Beratungsstrukturen und -prozessen zumindest prinzipiell für gegenseitige Beobachtungen und Kommunikationen durchlässig gemacht werden.

Inhaltlich ist der Wechsel von Teil/Ganzes zu System/Umwelt als Beobachtungsdifferenz insofern von Bedeutung, als damit die Organisation in ihrer Umwelt bzw. das Verhältnis der Organisation zu ihrer Umwelt zum Thema und Erfolgskriterium der Beratung wird – und nicht einfach die innere Ordnung der Organisation.

Beispiel:

Ein Unternehmen geht in Konkurs, obwohl ein Beraterteam das Zusammenwirken von Arbeitsvorbereitung und Produktion wesentlich besser organisiert [21]hat. Leider hat diese Strategie nicht geholfen, die Erwartungen der relevanten Umwelten – Kunden und Banken – zu befriedigen.

Für alle drei in der Beratung involvierten Typen von sozialen Systemen gilt in der Regel, daß sie komplex sind. „Als komplex wollen wir eine zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnen, wenn auf Grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann.“ (Luhmann, 1984, S. 46).

Was heißt das für den Beratungsprozeß und für beraterische Interventionen?

Das heißt auf der Ebene von Beobachtungen: Diese Systeme können weder durch sich selbst noch durch Außenbeobachter vollständig beschrieben oder modelliert, sondern nur (hoch)selektiv erfaßt werden – mit allen Risiken, die das beinhaltet. Ein Mittel der Risikominimierung ist – zumindestens auf seiten der Berater – eine adäquate Organisationstheorie. Ein anderes ist arbeitsteilige Teamarbeit und Intervision der Berater zur Erzeugung und Verbindung unterschiedlicher Beobachterperspektiven hinsichtlich ein und desselben Klientensystems. Eine für Beobachter methodisch höchst bedeutsame Strategie zur Komplexitätsreduktion ist das aktive Fragenstellen an Repräsentanten des Klientensystems – also kommunikative Interventionen – statt passiven Beobachtens im Alltagssinn.

Für Interventionen heißt das: diese können immer nur hypothetisch ins relative System-Dunkel erfolgen und müssen aufgrund ihrer – auch nur begrenzt erfaßbaren – Folgen für das System Schritt für Schritt überprüft und modifiziert werden. Das heißt natürlich auch: Einfach-universelle Erfolgsrezepte für Veränderungen sind für komplexe Systeme nicht möglich, sondern nur iterative, maßgeschneiderte – und dennoch riskante – theoriegeleitete Interventionen.

Die beteiligten Systeme sind autopoietisch und selbstreferentiell. Auto- poiese im Falle sozialer Systeme heißt mit Willke (1987, S. 336): „Die operative Schließung eines sozialen Systems zu einem autopoietischen ist also dann gegeben, wenn die ablaufenden Kommunikationen sich an den (vorausgegangenen) Kommunikationen dieses Systems orientieren, d. h. sich bilden als Reaktion auf Kommunikationen, die sich im System ereignet haben.“ Nach Maturana können diese strukturdeterminierten, selbststeuernden Systeme von Umweltereignissen nur zu eigenen Operationen angeregt oder angestoßen, nicht aber determiniert werden (Maturana nennt diese Art der Umweltbeziehung „strukturelle Kopplung“).

[22]Was heißt das für Organisationsberatung? Es gibt keine einfachen, direkt „steuernden“ bzw. determinierenden Interventionen von Beratern in eine von ihnen beratene Organisation. Das System spielt nur seine eigene Melodie und kann nur seine eigene Musik hören. Sogar für Manager mit Linienfunktionen ist in Frage zu stellen, inwieweit sie ihre Mitarbeiter bzw. Organisationen direkt steuern können. Für Berater wird nicht nur die Problemadäquatheit, sondern auch die operative Anschlußfähigkeit und das Irritationspotential zur Voraussetzung für den Erfolg von Interventionen.

Besonderheiten

Das Klientensystem

Die Systeme, d. h. Organisationen, Firmen, Unternehmen oder Teile von diesen, die im Kontext eines Beratungsauftrags zu Klientensystemen werden, existieren zunächst unabhängig vom Beratungskontext. Hinsichtlich Branche (z. B. Industrie, Handel, Dienstleistung, Non-Profit), Größe, Zielsetzung, Verhaltensmuster und Struktur gibt es beträchtliche Unterschiede innerhalb der potentiellen Klientensysteme. In der Regel nimmt nur eine Auswahl der in einer Gesellschaft existierenden Organisationen – und diese auch nur für bestimmte Phasen ihrer Entwicklung – die Rolle des Klienten in einem Beratungssystem ein.

Man kann davon ausgehen, daß man als externer Berater so „behandelt“ wird, wie es das System grundsätzlich gewohnt ist, seine Beziehungen zu gestalten. Man spürt schon beim Erstkontakt, ob z. B. Vertrauen und Verbindlichkeit vorhanden sind, ob Respekt oder Abwertung, Mißtrauen und Unverbindlichkeit in den Verhaltensmustern reproduziert werden. In einem Wirtschaftsunternehmen wird man die Logik des Kosten-Nutzen-Denkens zu spüren bekommen, in Non-Profit-Organisationen ist man häufig mit politischen Überlegungen oder Moral konfrontiert (Wimmer 1992).

Eine interessante Frage ist es, ab welchem Zeitpunkt ein System sich selbst als Klientensystem versteht. Ist es das bereits bei der Diskussion darüber, ob ein Berater(system) eingesetzt werden soll, beim Bekanntwerden mit dem Beratersystem, beim Angebot oder erst beim Vertragsabschluß? Dieselben Fragen stellen sich natürlich auch für das Beratersystem. Unserer Meinung nach ist aus Sicht des Beratersystems das Klientensystem vom Erstkontakt an als ein solches zu definieren.

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Das Beratersystem (BS)

Das Beratersystem

In dem einen möglichen Grenzfall besteht das Beratersystem aus einem einzelnen Berater, der als Experte Beratungen durchführt, im anderen haben sich mehrere Beratungsfirmen zusammengeschlossen, um gemeinsam zu arbeiten.

In der Regel bilden mehrere Berater einer Beratungsfirma ein Team, um gemeinsam einen bestimmten Auftrag hinsichtlich eines Klientensystems zu bearbeiten. Bei Beratungsfirmen handelt es sich um Expertenorganisationen, die auf kommunikative Dienstleistungen spezialisiert sind und je nach Größe und Struktur mehr team- oder mehr organisationsartig operieren.

Zur Beschreibung des Beratersystems möchten wir drei Dimensionen, nämlich Haltung, Theorien und Strukturen, sowie zwei relevante Umwelten, nämlich Personen und Heimatsystem, heranziehen.

Haltung

Sind Menschen und Organisationen lernfähig? Wie steuerbar sind Systeme? Wieviel Veränderung kann ein System verkraften? Wieviel Nähe können Berater zum Klienten entwickeln? Wann ist die Beratung ein Erfolg?

Hinter diesen Fragen stehen Annahmen, Haltungen und Werte, die Prämissen für das beraterische Vorgehen bilden.

[24]Systemische Beratung läßt sich nach unserem Verständnis durch folgende Punkte skizzieren:

Interventionen sind nur Impulse, aus denen das KS das macht, was es machen kann. Die Einflußmöglichkeit ist sehr begrenzt.

Berater können nur den Widerspruch bezüglich Verändern und Bewahren öffnen. Das Klientensystem trifft die Entscheidung, wie es damit umgeht, selbst.

Alles hat seine Funktion in Relation zum Sinn. Es ist hilfreich, nach dem Guten im Schlechten und dem Schlechten im Guten zu fragen.

Die Definition von Funktionalität ist Sache des Klientensystems.

Für das BS geht es um das permanente Durchlaufen der Reflexionsschleife:

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Vor der Intervention sind Hypothesen über die Situation zu bilden und ist die beabsichtigte Wirkung der Intervention zu planen. Gleichzeitig gilt es aber, nicht der Illusion zu verfallen, daß die erwünschte Wirkung eintreten wird.

Das Beratersystem selbst muß ein stabiles System sein (die Qualifikation des BS ist mehr als die der einzelnen Berater).

Zwischen Berater- und Klientensystem ist eine klare Grenze zu ziehen und zu erhalten.

Das Beratersystem hat sich zu bemühen, die Werte des Klientensystems zu verstehen und zu akzeptieren (Neutralität). Wenn die Werte des Klientensystems aus Sicht des BS untragbar sind, ist die Beratung zu beenden.

Berater sind Beobachter zweiter Ordnung – im Gegensatz zu den Mitarbeitern des Unternehmens, die Beobachter erster Ordnung sind.

Als Berater hat man darauf zu achten, nicht Personen, sondern die hinter den Personen wirkende Kommunikationsstruktur des Systems erkennen zu wollen.

[25]Struktur

Welche Struktur sich das Beratersystem gibt, ist ebenfalls von Bedeutung. Ob es aus einem oder mehreren Beratern besteht, kann Einfluß darauf haben, wieviel Zeit für Reflexion und Staffarbeit eingeplant ist. Interventionen wirken unterschiedlich – je nachdem, ob es einen Seniorberater mit Junioren gibt, ob gleichwertige Kollegen miteinander arbeiten, ob interne oder externe Berater ein Projekt betreuen. Auch Differenzierungen (etwa in Projektleiter und Berater) oder die Zusammensetzung von Beraterteams (nur aus Frauen bzw. Männern oder gemischt zusammengesetzt) oder Unterschiede in der Honorierung sind Strukturmerkmale, die wesentlichen Einfluß haben. Je mehr Klarheit im Beratersystem vorhanden ist, desto besser ist die Eigendynamik der Beziehung zum Klientensystem zu handhaben. In diesem Zusammenhang wollen wir auch auf die Wichtigkeit der Staffarbeit aufmerksam machen. Gemeinsame Reflexion, Hypothesenbildung und Interventionsplanung sind nötig, um erfolgreich und professionell arbeiten zu können und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Nur so schafft man es, die nötige Distanz zu behalten (Wimmer, 1992).

Theorien

Alle impliziten und expliziten Theorien beeinflussen die Interventionsentscheidungen. Wir unterscheiden zwischen Paradigmen bzw. Weltsicht und Beratungstheorien. Auf der Ebene des Paradigmas macht es sicherlich einen Unterschied, ob man der systemischen Sichtweise eines „Gärtners und Kultivators“ oder der traditionellen eines „Machers und Beherrschers“ anhängt (Capra, Exner, Königswieser, 1992). Wir vertreten die Meinung, daß der systemische Ansatz – bei allen unterschiedlichen Praxisweisen – die Art und Weise ist, wie die Welt wahrgenommen werden sollte. Er ist letztlich eine Haltung.

Auch die explizite Arbeit an Beratungstheorie erscheint uns wichtig. Haben wir vor einigen Jahren noch kritisch angemerkt, daß es sehr wenige Arbeiten zu diesem Thema gibt (Exner, Königswieser, Titscher, 1987), so ist erfreulicherweise in den letzten Jahren eine verstärkte Auseinandersetzung auf diesem Gebiet zu beobachten. Insbesondere verweisen wir auf das Buch Organisationsberatung von Wimmer (1992).

Personen

Natürlich sind die einzelnen Berater – als eine sehr relevante Umwelt des Beratersystems – eine zentrale Einflußgröße für die Interventionsentscheidungen [26]und deren Auswirkungen. Sie spielen mit ihrer Geschichte, ihren Charakteren und ihren persönlichen Haltungen eine wesentliche Rolle. Es geht um Authentizität, um die soziale Kompetenz des Intervenierenden, um die eigene Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit. Professionalität bedeutet einen hohen Aus- und Fortbildungslevel und damit permanente Arbeit an sich selbst. Ohne diese fortgesetzte Selbstreflexion ist die nötige Distanz zum Klientensystem und zu sich selbst schwer aufrechtzuerhalten.

Heimatsystem

Eine andere wichtige Umwelt kann das Heimatsystem der Berater sein. Besteht das Beratersystem aus mehreren Beratern, die alle derselben Firma angehören, wird dieser Einfluß dann besonders wirksam werden, wenn diese Beraterfirma starke Normen und Regeln über die Art von Interventionen gebildet hat. Dieses Heimatsystem schaut sozusagen über die Schultern der Berater und kanalisiert die vielfältigen Möglichkeiten von Interventionen.

Beratungssystem (BKS)

Das BKS ist ein neues System und begrenzter als die beiden es konstituierenden sozialen Systeme. Es stellt sozusagen eine gemeinsame sachliche, zeitliche, soziale und räumliche Schnittmenge des KS und des BS dar, in der eine aufeinander bezogene und folgenreiche Kommunikation zumindest prinzipiell ermöglicht werden soll. Es ist sachlich beschränkt auf die Lösung von Problemen des KS, zeitlich befristet durch die Dauer des Auftrags und sozial eingeschränkt auf bestimmte Vertreter des KS und des BS. Beratung bedarf also eines gemeinsamen Problemfokus. Beratung erfordert, wie alle Prozesse, Zeit – nicht nur die eigens zu bezahlende Arbeitszeit der Repräsentanten des BS, sondern als Opportunitätskosten auch entsprechende Zeit von den involvierten Rollenträgern des KS. Und Beratung ist auf soziale Verankerung im KS und im BS angewiesen.

Das BKS wird also von zumindest zwei Kooperationspartnern mit asymmetrischer, aber komplementärer Aufgabenstellung und Funktion, nämlich sich beraten zu lassen bzw. zu beraten, für eine bestimmte Zeit zur Lösung eines oder mehrerer, genau spezifizierter oder noch offener Probleme des Klientensystems eingerichtet. Ein einmaliger oder in Schritten immer wieder bzw. kontinuierlich auszuhandelnder Vertrag (Auftrag, Arbeitsbündnis) regelt die sachlichen, zeitlichen, sozialen und ressourcenmäßigen Grenzen des Beratungssystems, innerhalb welcher der Kommunikationsprozeß der eigentlichen [27]inhaltlichen Beratung stattfinden kann. Diese Vorstellung von Beratungssystem schließt nicht aus, daß es sich bei Beratung zeitlich auch um ein fraktioniertes Unterfangen handeln kann, das mit Unterbrechungen in der Zeit stattfindet. Bezüglich der sozialen Dimension ist es auch möglich, daß getrennt an der gemeinsamen Beratungsaufgabe gearbeitet wird: im Klientensystem in Abwesenheit der Berater bzw. im Beratersystem ohne Anwesenheit der Klienten.

Aus der Differenz zwischen Aufbau und Erhaltung der Beratungsstruktur (siehe soziale Architektur) und Beratungsprozeß resultieren für das Beratungshandeln Interventionen unterschiedlicher Zielrichtung und Funktionalität – sozusagen Interventionen für das und Interventionen in das Beratungssystem. Einerseits müssen Verhandlungen geführt und Interventionen gesetzt werden, um die notwendigen strukturellen Bedingungen für die Möglichkeit von Beratung überhaupt erst herzustellen und kontinuierlich aufrechzuerhalten. Sind bei einem Auftrag Auftraggeber und Klient nicht identisch, so ist die grundsätzliche Struktur des Auftrags – und damit des Beratungssystems – zunächst mit dem Auftraggeber abzuklären. Danach ist das Beratungssystem mit dem Klienten zu konstituieren, ein Arbeitsbündnis ist zu begründen und zu erhalten. Für die Herstellung dieses für die soziale Architektur der Beratung notwendigen Rahmens, also für die Grenzen und Möglichkeiten des BKS, trägt das BS die Verantwortung. Es ist ein wesentliches Kennzeichen von beraterischer Professionalität, die für die eigene Arbeit notwendigen Bedingungen zu kennen und diese entweder herstellen zu können – oder einen Auftrag unter für ein bestimmtes Beratersystem „unmöglichen“ Bedingungen abzulehnen.

Andererseits müssen dann innerhalb dieser Struktur im Prozeß der Beratung Interventionen gesetzt werden, die auf die sachliche Bearbeitung der inhaltlichen Probleme des Klientensystems abzielen. Die gewählten Interventionstechniken zur Aufrechterhaltung des BKS bzw. zur Bearbeitung der Probleme des BS mögen sich häufig nicht sehr stark voneinander unterscheiden, wichtig ist aber, daß das BS während der gesamten Beratung beide Aufgaben (Beratungssystemaufrechterhaltung und Problembearbeitung) als zumindest gleichgewichtig im Auge behält.

Alles beraterische Intervenieren muß durch das Nadelöhr der kommunikativen Interaktion (Luhmann). Wie aber sollen durch gemeinsame Kommunikation im Beratungssystem Veränderungen in den Handlungen und Operationen des Klientensystems induziert werden, um die es letztlich gehen muß, soll die Überlebens- oder Entwicklungsfähigkeit des Klientensystems [28]tatsächlich verbessert werden? Erklärtermaßen können die Operationen des KS nicht direkt im BKS durch Interventionen des BS verändert werden. Dies ist nur im KS selbst möglich. Für direkte operative Veränderungen müßte das BS ein Teil des KS werden und dort Positionen einnehmen, die direkte Eingriffe in operative Vollzüge zulassen (in Ausnahmefällen geschieht dies auch, wenn z. B. Berater in einem Unternehmen Managementfunktionen auf Zeit einnehmen). In der Kommunikation des BKS können nichtkommunikative Handlungen oder Operationen des KS, aber auch seine Selbstbeschreibungen, lediglich thematisiert oder bestenfalls in Rollen- oder Planspielen simuliert werden. Es muß bei einer erfolgreichen Beratungsarbeit also darum gehen, jene Selbstbeschreibungen des KS im BKS zu thematisieren, die konstitutiv für sein tatsächliches, als problematisch bewertetes Operieren sind.

Kontexte der systemischen Intervention

Jede Intervention – als eine zielgerichtete Kommunikation zwischen BS und KS – kann einerseits von analytischen Kalkülen und andererseits von Intuition getragen sein.

Wir versuchen in diesem Abschnitt, Kontexte, in denen Interventionen ablaufen, aufzuzeigen. Natürlich ist die Ausdifferenzierung dieser Kontexte eine willkürliche Angelegenheit, und zusätzlich sind diese Kontexte miteinander vernetzt und in Wechselwirkung. Wir haben jedoch in unserer Praxis die Erfahrung gemacht, daß diese Kontexte für das Planen und Reflektieren von Interventionen hilfreich sind, und möchten sie daher hier näher beschreiben.

Gestaltungsebenen der Intervention

Die Gestaltung der Form, in der sich soziale Prozesse und Interventionen entwickeln können, nennen wir Interventionsarchitektur und Interventionsdesign, weil diese Entwürfe einige Parallelen mit der Arbeit von Architekten und Designern aufweisen. Auf der Basis von Annahmen und Rahmenbedingungen (Zielsetzungen, Zeit, Geld, Bedürfnisse, räumliche Gegebenheiten) werden soziale Räume entworfen, die wiederum ihrerseits einen Rahmen für soziale Ereignisse und Kommunikationsprozesse darstellen. [29]Interventionsarchitektur und Interventionsdesign determinieren Kommunikationsflüsse, strukturieren Entscheidungsabläufe und Konfliktbearbeitungsmöglichkeiten.

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Wir unterscheiden zwischen Interventionsarchitektur bzw. Interventionsdesign und Interventionstechniken.

Interventionsarchitektur

So wie ein Architekt die Umgebung, den Baugrund und die Bedürfnisse des Bauherrn als Basis seiner Entwürfe berücksichtigen muß und die Planung immer wieder überarbeitet, gestaltet der Berater seine Interventionsplanung abhängig von der Organisation des Klientensystems und schafft Strukturen, die die erwünschten Kommunikationsabläufe erleichtern und Blockaden verhindern sollen. So wie der Architekt Räume gestaltet, muß das Beratersystem den Gesamtablauf eines Beratungsprozesses planen und gemeinsam mit dem KS gestalten. Es muß sich überlegen, an welchen manifesten und latenten Inhalten gearbeitet werden soll und in welcher Abfolge, [30]in welchen Rhythmen soziale Strukturen aufgebaut werden sollen. Die Klärung der Frage, wie der Berater als solcher das Problem beantwortet, ist eine wichtige Weichenstellung für den weiteren Prozeß.

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Beispiel:

Zielsetzung einer Beratung ist es, die Arbeitsfähigkeit des Vorstands einer Tochterfirma eines großen Industriekonzerns zu erhöhen. Als Interventionsarchitektur wurde folgendes geplant: Schwerpunkte der inhaltlichen Arbeit sollen die Relation zum Gesamtkonzern und die Teamfähigkeit des Vorstands sein. Es wird ausschließlich mit dem Vorstand gearbeitet, ansonsten gibt es nur Interviewkontakte mit relevanten Umwelten. Es wird vierteljährlich in Form einer eintägigen Klausur mit dem Gesamtvorstand – immer im gleichen Hotel – gearbeitet. Dazwischen gibt es zwei- bis dreistündige „Minicoaching“-Termine mit den einzelnen Vorstandsmitgliedern.

Interventionsdesign

Interventionsdesign läßt sich mit der Arbeit eines Innenarchitekten vergleichen. So wie der Innenarchitekt die vom Architekten vorgegebenen Räume mit [31]Einrichtung und Leben füllt, gilt es – im Rahmen der Metaentscheidungen der sozialen Architektur –, soziale Räume weiterzugestalten, die der Erreichung der Zielsetzungen des Beratungsprozesses hilfreich sind.

Beispiel:

Im Rahmen des o. a. Beispiels wird folgendes Interventionsdesign für die erste Klausur mit dem Gesamtvorstand geplant: Zuerst werden die Interviewergebnisse mit relevanten Umwelten rückgespiegelt und dann die Reaktionen der Vorstände eingeholt. Abschließend sollen die Themenschwerpunke für die nächsten Monate festgelegt und in Form von Aktivitätenplänen verabschiedet werden. Es werden Arbeitsformen für die einzelnen Arbeitsschritte innerhalb der Klausur geplant (z. B. die Reaktionen auf die Interviewrückspiegelung in Gesinnungsgruppen durchzuführen) und Arbeitszeiten für diesen Tag festgelegt. Bezüglich der räumlichen Ordnung wird entschieden, daß im Plenum mit einer kreisförmigen Sitzordnung ohne Tische gearbeitet wird und die Gruppenarbeiten in verschiedenen Räumen durchgeführt werden.

Dimensionen der Intervention

Einen anderen Kontext stellen die sachlichen, zeitlichen, sozialen und räumlichen Dimensionen für die Intervention dar.

Sachliche Dimension

Eine wesentliche Weichenstellung erfolgt durch die Definition der Aufgabe bzw. der inhaltlichen Schwerpunkte und Zielsetzungen des Beratungsprojekts. Das Einbringen eines inhaltlichen Inputs kann dann als systemische Intervention gesehen werden, wenn es im Verständnis einer Energiezufuhr bzw. „Verstörung“ des KS erfolgt und es dem KS überlassen bleibt, was es damit macht.

Beispiel:

Es kann das Aufzeigen von möglichen Varianten einer Aufbauorganisation oder die Gestaltungsmöglichkeiten eines strategischen Planungsprozesses als Intervention eingesetzt werden. Im Unterschied zu einer Fachberatung dient das Aufzeigen möglicher Varianten dem Vitalisieren des KS, und es wird kein inhaltlicher Einfluß durch das BS auf die entstehende Problemlösung genommen. Als vorteilhaft hat sich für solche Phasen ein Splitting (siehe Abschnitt Interventionstechniken) zwischen einem Berater, der [32]Input gibt, und einem zweiten, der die Verarbeitung der Informationen durch das KS leitet, herausgestellt.

Zeitliche Dimension

Häufig ist uns nicht bewußt, daß nicht nur das Timing der Intervention auf der Interaktionsebene ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, sondern auch die unsichtbaren bzw. impliziten Zeitdimensionen eine Rolle für den Beratungsverlauf spielen.

Schon im Gesamtprojekt sollte es einen klaren Anfang – das ist meist eindeutig inszenierbar – und eine klares Ende geben. Im Sinne des Projektmanagements sind auch die Meilensteine als Zwischenchecks eine günstige Erfolgskontrolle. Damit verknüpft sind die zeitgerechte Terminplanung, das Einhalten der Termine und damit Verbindlichkeit. Die Entscheidung, wieviel Geschichtsaufarbeitung etwa bei Interviews oder in Konfliktsituationen angebracht erscheint oder ob vor allem die Zukunft fokussiert werden soll, liegt ebenfalls in dieser Dimension.

Die zeitlichen Rhythmen und Fixierungen strukturieren Rahmenbedingungen und Sinnzusammenhänge. So verlieren zu häufige oder zu seltene Standortklausuren ihren Sinn als Reflexionsform von Rückblicken und Entwürfen für die Zukunft. Die Erfüllung dieser Funktion ist an den Jahres- und Planungsrhythmus gebunden: Ein- bis zweimal im Jahr scheint meist passend.

Je nach Arbeitsgeschwindigkeit und Unternehmenskultur sind auch die Zeiten für Gruppenarbeiten oder Plenumsprozesse verschieden zu bemessen. Will man keine tiefergehende Auseinandersetzung, gibt man weniger Zeit – mehr Zeit bringt eher auch latente Themen nach oben.

Zeitliche Strukturen geben sozialer Architektur und sozialem Design erst ihren spezifischen Charakter und sind ein wesentliches Strukturelement der Gestaltung. Gruppendynamik etwa ist in aller Tiefe nicht innerhalb nur eines Tages erlebbar.

Soziale Dimension

Es ist wichtig, welche personelle Zusammensetzung das Beratersystem hat und welche Personen des Klientensystems in das Beratungssystem direkt involviert werden. Innerhalb der sozialen Architektur und des sozialen Designs ist großes Augenmerk darauf zu legen, welche Personen zu welchen Ereignissen, in welcher Zusammensetzung eingeladen bzw. kontaktiert werden. Oft scheitern Beratungen schlicht daran, daß die zentralen Entscheidungsträger [33]nicht genügend integriert waren oder es verabsäumt wurde, das „Problemsystem“ (K. Deissler, unveröffentlichtes Manuskript) zusammenzubringen, d. h. jene Leute, die für die Lösung relevant sein können. Man kann z. B., wenn der Vertrieb „schwach ist“, mit einer Vertriebsgruppe arbeiten oder aber auch Vertreter der Produktion, der Händler oder auch interne Dienstleiter miteinbeziehen.

Es ist von unterschiedlicher Auswirkung – und sozial ein massiver Eingriff –, ob bestimmte Themen (z. B. Konflikte zwischen zwei Subsystemen) in einer Großgruppe, in mehreren Untergruppen (vier bis zehn Leute) oder in Kleingruppen (drei bis vier Leute) durchgearbeitet werden. Entscheidungen über die soziale Dimension hängen eng mit unseren eigenen Annahmen, Erfahrungen und Theorien zusammen.

Beispiel Großgruppen

Sind mehr als sechzehn Menschen in einem Raum zusammen, muß man mit Großgruppenphänomenen rechnen. Massenpsychologische Phänomenen sind gleichzeitig eine Gefahr und eine Chance für und in Großgruppen:

Heimatgefühle, Empfindungen von Stärke, Energie;

Anonymität für den einzelnen;

starke Emotionalität, Mitschwingen;

Feindbilder, Idealisierungen;

Regressionstendenzen, reduzierte Eigenverantwortlichkeit;

Projektionen (gut/schlecht, Latentes wird mehr spürbar als in kleineren sozialen Räumen);

Gefahr der Manipulation (Kritikfähigkeit und Reflexionsfähigkeit sind reduziert).

Beispiel Gruppen

Arbeitsfähige Gruppen für Problemlösungen haben erfahrungsgemäß vier bis zehn Mitglieder. Ein zusätzliches architektonisches Element ist hier die Zusammensetzung der Mitglieder. Eine bereichsübergreifende Mischung zentriert die Kommunikation auf die Auseinandersetzung über die Unterschiede, homogenere Zusammensetzungen streichen die Gemeinsamkeiten heraus. Die Auseinandersetzung findet dann eher bei der Präsentation vor den anderen Gruppen statt.

Hier soll nur auf die vielbeschriebenen Phänomene von Gruppen hingewiesen werden, die es zu berücksichtigen gilt. So brauchen Gruppen Zeit, um arbeitsfähig zu werden, die einzelnen Personen sind nicht ohne weiteres [34]austauschbar, die Identifikation mit einem gemeinsamen Ergebnis hat eine breite Akzeptanzbasis. Das Sicherheitsgefühl ist größer, aber der entstehende Gruppendruck kann auch Nachteile bringen.

Beispiel Kleingruppen

Von Kleingruppen sprechen wir bei drei bis vier Mitgliedern. Man kann grundsätzlich mit großer Offenheit rechnen. Intimere Gespräche sind möglich, und es tritt weniger Angst auf. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Koalition zwei gegen einen.

Beispiel Paare

Die Paarstruktur generiert durch geringere Komplexität raschere Annäherung und Gesprächsmöglichkeit, wenn die „Chemie“ stimmt.

Beispiel Einzelarbeiten

Will man extreme Konzentration und Besinnung auf die Person selbst, ist die autokommunikative Form der Einzelarbeit sinnvoll.

Räumliche Dimension

Der räumlichen Dimension wird eigenartigerweise in der Praxis häufig viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei bedeutet es z. B. ein wesentliches Gestaltungselement, ob die Beratungsarbeit mit dem Klienten innerhalb oder außerhalb der Firma stattfindet. Normalerweise läuft eine Klausur in einem Hotel ungestörter ab als in Unternehmensräumlichkeiten. Natürlich spielt auch die Gestaltung des Raumes eine Rolle: von der Beleuchtung, den Farben bis zur „Aufgeräumtheit“, der Sitznähe und den Tischen. Ob Arbeitsgruppen in eigene, Intimität schaffende Räume geschickt werden oder ob man sie alle in einem großen Plenumsraum arbeiten läßt, in dem man die Energie aller spürt, bewirkt Unterschiedliches.

Outdoor-Übungen geben der Arbeit einen anderen Charakter als ausschließlich Indoor-Übungen. Sie nutzen das landschaftliche Umfeld.

Die relevanten Unterschiede zwischen Teilnehmern werden schlagartig sichtbar, wenn sie sich auch durch die Sitzordnung im Raum sinnlich ausdrücken – so fühlt man die Zusammengehörigkeit und Abgrenzung verschiedener Bereiche intensiver.

[35]Interventionstechniken

Die Art und Weise, wie wir als Berater versuchen, mit verschiedensten Interventionstechniken zu intervenieren, hängt von unseren Erfahrungen, unseren inneren Bildern und Vorstellungen ab, aber auch von allen anderen beschriebenen Kontexten. In jedem Fall sind sie ein wesentlicher Fundus für unsere Arbeit. Wir nennen sie auch „Schatztruhe“. Das drückt ihren Sinn besser aus als das Wort „Techniken“.

Es haben sich in Praxis und Theorie oft unterschiedliche Begriffe für zum Teil sehr ähnliche oder gleiche Techniken herausgebildet, so daß es nahezu unmöglich erscheint, einen systematisierten Überblick zu geben.

In dem „Interventionsbaum“ sind die für uns wichtigsten Techniken als Äste, Blätter und Früchte dargestellt. Sie werden vom Stamm der Interventionsarchitektur und des Interventionsdesigns getragen und wurzeln in dem durch die Beratung betroffenen System.

Sehr häufig wird übersehen, daß abgesehen von den mündlich – face to face – durchgeführten Interventionen auch schriftliche Interventionen (Briefe, Faxe, Berichte) große Wirkung erzielen können.

Beispiel:

Ein schriftliches Angebot – mit der Darstellung von Ausgangssituation, Zielvorstellungen und vorgeschlagenen Vorgangsweisen –, das von mehreren Personen im Klientensystem diskutiert wird, kann bereits eine so erhebliche Wirkung haben, daß die Beratung unter Umständen schon damit sehr wirkungsvoll durchgeführt wurde.

Wir möchten im folgenden einige typische systemische Interventionstechniken vorstellen.

Zirkuläres Fragen

Um die relationalen Strukturen eines Wirkungsgefüges ausfindig zu machen, um komplexe Handlungsabläufe klarer zu machen und um die selbstregulierenden Mechanismen zu erkennen, braucht man Informationen. Um diese zu bekommen, ist zirkuläres Fragen gut geeignet. Zirkuläre Fragen sind in der Praxis fast immer mit offenen Fragen kombiniert. Das zirkuläre Fragen, das von Selvini-Palazzoli entwickelt wurde, bringt aber nicht nur Informationsgewinn, sondern hat auch die Funktion einer Intervention, weil dadurch bereits im Laufe des Interviews für das KS verschiedene Blick-winkel [36]transparent werden und so bereits Bewegung in starre Muster kommt. Steve de Shazer nennt das das „Mehrbrillenprinzip“.

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Der Interventionsbaum

Indem die Befragten über Beziehungen von Personen und Ereignissen [37]sprechen, vermittelt sich auf einer Metaebene eine Systemstruktur, die der Zirkularität Rechnung trägt.

Wir unterscheiden zirkuläres Fragen im engeren und im weiteren Sinne. Im weiteren Sinne zählen dazu alle Fragen nach Unterschieden:

Fragen nach Rangfolgen: Wer hat die größte Belastung mit diesem Problem?