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Inhalt

Vorwort (Ulrich Eggers)

Warum dieses Buch? (Dr. Michael Diener)

Missio dei – Worin Mission ihren Grund hat)

Mission in Neugier und Freude (Hans-Hermann Pompe)

Mission mit Passion (Prof. Dr. George Augustin)

Das Wesentliche (Ansgar Hörsting)

Mission im Auftrag und Geist Jesu Christi – Die befreiende Botschaft verkörpern und bezeugen (Gerold Vorländer)

Ethik – Wie Mission den Menschen dient

Mission und Dialog (Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm)

Mehr als alles andere (Ekkehart Vetter)

Zuhören und teilnehmen, aufstehen und einstehen (Annette Kurschus)

Impulse zu einer anmutigen Missionspraxis (Dr. Thies Gundlach)

Die zärtliche Sprache von Jesus (Christina Brudereck)

Einsichten eines Hüft-Kranken – Zur Krise der Evangelisation in unserem Land (Jörg Ahlbrecht)

Konzeption – Wie Mission heute gedacht und umgesetzt wird

»Unsre engen Grenzen«? (Prof. Dr. Michael Herbst)

Die Provokation der Mission (Dr. Christian Hennecke)

Wir gehen hin (Christoph Stiba)

Mission als Neugier – Fremdheit als Chance(Dr. Sandra Bils)

Für eine Mission mit ökumenischer Dynamik (Bernhard Meuser)

Gemeinde für die Welt bauen (Prof. Dr. Johannes Reimer)

Mission ist Beziehungspflege (Dr. Klaus Douglass)

Die vierfache Erneuerung (Andreas »Boppi« Boppart)

»Pardon, ich bin Christ!« – Über alte und neue Tabus und die Suche nach einem entspannt-missionarischen und zugleich leidenschaftlichen Lebensstil (Steffen Kern)

Das Entscheidende ist die Haltung – Erfahrungen eines lutherischen Vikars bei Willow Creek Huntley (Dominik Storm)

An der Basis – Wie vielfältig Mission heute lebt

Das »Wir und die«-Denken hinterfragen – Erfahrungen aus dem Berlinprojekt (Konstantin von Abendroth)

Wie hart ist der Boden, auf dem wir säen? (Steffen Beck)

Gemeinsam die Welt schöner machen (Bettina Becker)

Wanderlust auf missionalen Pfaden (Birgit Dierks)

Alte und neue missionarische Player (Alexander Garth)

Kernbereiche der Mission (Patrick Knittelfelder)

Aufbruch! Nur ein Traum? (Lothar Krauss)

Auf dem Weg zur Quellgemeinde (Markus Weimer)

Nach (fast) vierzig Jahren noch »fresh«?! (Elke Werner)

Bildnachweis

Anmerkungen

Ulrich Eggers

Vorwort

Von Justin Welby, dem Erzbischof von Canterbury und Oberhaupt der anglikanischen Kirche von England, stammen zwei radikal einfache Sätze über die Aufgabe der Kirche:

»Erstens: Die Kirche existiert, um Gott in Jesus Christus anzubeten. Zweitens: Die Kirche existiert, um neue Jünger von Jesus Christus hervorzubringen. Alles andere ist Dekoration. Manche davon sehr nützlich, notwendig oder wunderbar – aber doch Dekoration.«1

Man mag diesen Sätzen zustimmen oder nicht, aber sie drücken sehr gut aus, was für viele Tausend Haupt- und Ehrenamtliche in den verschiedensten Kirchen jede Woche Priorität ist. Und sie sind auch so etwas wie das gemeinsame Motto all jener Kongressbesucher, die sich alle zwei Jahre unter dem Motto »Zukunft, Hoffnung, Kirche« bei den Willow-Creek-Leitungskongressen treffen, um sich inspirieren zu lassen und von den Erfahrungen anderer zu lernen – und das in einem zunehmend ökumenischen Setting quer durch alle Kirchen- und Gemeindeformen.

Es ist diese Erfahrung und Prioritätensetzung, die auch Michael Diener und mich als Herausgeber dieses Buches verbindet. Und es war ein besonderer Moment beim jüngsten dieser Leitungskongresse, der für mich den unmittelbaren Anstoß für dieses Buch gegeben hat. Mehr als 12 000 Menschen vereinten sich im Februar 2018 in Dortmund mit der Hoffnung, die Zukunft der Kirche aktiv gestalten zu können. Sie lernten dabei anhand völlig unterschiedlicher Impulse von Frauen und Männern von beiden Seiten des Atlantiks. Unter den Sprechern waren Pastoren aus US-Megachurches ebenso wie ein deutscher Theologieprofessor, ein erfolgreicher Hotel-Manager ebenso wie die sozial engagierte Stifterin Melinda Gates, ein US-Psychologe und ein Schweizer Autor und Theologe. Vertreter von jungen Kirchen wie ICF oder Hillsong referierten im Konzert mit leitenden Theologen aus den katholischen Bistümern oder evangelischen Landeskirchen – eine enorme Bandbreite fokussiert auf Leitungsfragen im Kontext missionarischer Gemeindeentwicklung.

Am Ende der drei Tage voller Impulse stand ich genauso bewegt wie viele andere Besucher in der großen Halle: Ganz unterschiedlich geprägte Menschen aus völlig verschiedenen kirchlichen Strukturen eint und formt der gemeinsame Auftrag. Als erster Vorsitzender von Willow Creek Deutschland war ich dankbar, dass unsere kleine Kongress-Organisation die Plattform für solch ein Mut machendes Event bilden durfte. Innerlich bewegt und mit einiger Dringlichkeit formulierte ich am Ende des Abschlussplenums: »Es geht nicht um Willow Creek, sondern um Jesus. Und um den einen Auftrag, die ›one mission‹, die wir gemeinsam empfangen haben. Und die wir auch nur gemeinsam umsetzen und gemeinsam angehen können. Wir müssen voneinander lernen! Es geht nur gemeinsam!«

Wir leben von der Ermutigung durch die Erfahrungen anderer! Wir brauchen Inspiration, neue Ideen, geschärfte Prioritäten, belastbare Erfahrungen. Und wir brauchen den weiten Horizont völlig unterschiedlicher Lebenshorizonte, um im Lernen voneinander neu aufzubrechen.

Egal ob in der Kirche, Freikirche oder einer hippen Gemeinde-Neugründung: Gemeinde zu bauen, Gemeinde zu entwickeln, das ist eine Berg- und Talbahn ganz unterschiedlicher Erfahrungen. Die christliche Basis in Mitteleuropa verschwindet zunehmend, die Voraussetzungen für das Blühen der christlichen Botschaft sind beschwerlicher, die Anmarschwege länger geworden. Zugleich leben wir in einer Zeit, in der das Profil von Kirche sich immer mehr verwischt. Altgewohnte Loyalitäten lösen sich auf. Für eine neue Generation ist es weniger die Marke, die Anziehung auslöst, als das reale Leben, das sich in einem kirchlichen Gehäuse finden lässt – die Hoffnung, Ermutigung, Alltagsnähe und Qualität der Antworten, die dort zu Hause sind.

Überall aber gibt es andererseits auch Zeichen für einen missionarischen Aufbruch, der über Kirchengrenzen hinweg ausstrahlt und zu einer immer stärker werdenden gemeinsamen Such- und Lernbewegung führt: Da sind die Erfahrungen des Reformationsjubiläums, die besonders da sehr positiv waren, wo die Kirche ihre Mauern verlassen und sich auf die Menschen, ihr Leben und ihre Fragen eingelassen hat, es gibt FreshX, das heißt neue Ausdrucksformen von Kirche, Kirchen-Neugründungen oder Initiativen wie »Mission Manifest«, die Impulse der katholischen Bischofskonferenz zu einer Neuevangelisierung Europas und eine Vielfalt von Gemeinde-Kongressen.

Längst ist es in der Wirtschaft üblich, über Firmen- und Ländergrenzen hinaus international nach Modellen von »best practice«, nach realen Beispielen für Wachstum, Neuaufbruch oder Veränderung zu suchen. Auch im Bereich der Kirche wird dies immer mehr zu einem Verhaltensmuster, das uns in Zeiten eines massiven Veränderungsprozesses hilft, neu aufzubrechen und die alte Botschaft relevant und interessant zu machen. Firmen im harten internationalen Wettbewerb können es sich nicht leisten, auf Lernerfahrungen, Ideen, Techniken, Methoden oder Inspiration zu verzichten. Zu schnell verändern sich die Märkte, zu sehr wird abgestraft, wer Entwicklungen hinterherhinkt, die sich international durchsetzen. Sicher, die Kirchen hierzulande stehen nicht eigentlich im Wettbewerb zueinander, dazu ist das Feld, das gemeinsam zu beackern ist, viel zu groß. Aber sie stehen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft von Menschen und müssen sich bemerkbar machen.

So lag die Idee für uns nahe: Wie wäre es, das Gemeinsame in Sachen Mission und Evangelisation, den Herzschlag vieler ganz unterschiedlich beheimateter Menschen einmal zusammenzustellen und so eine Inspirations- und Austauschplattform in Buchform zu schaffen? »Best practice« in Impulsen aus unterschiedlichsten kirchlichen Erfahrungsfeldern als sprudelnde Ideenquelle. Dringend notwendige Vitamine für die »Mission Zukunft«, vor der wir alle stehen. Inspiration und Ermutigung für alle, die diese »one mission« auf dem Herzen haben und hörbereit, lernwillig und vielleicht sogar ein Stück neugierig darauf sind, wie wohl die Geschwister aus anderen Kirchen die »Mission Zukunft« angehen. Wie wäre es, wenn Michael Diener und ich das große Beziehungsnetzwerk, das wir haben, für diesen Zweck um Impulse bitten und sehr bewusst darauf setzen, dass es gerade die bunte Vielfalt und vielleicht auch provokante Sperrigkeit der Beiträge ist, die unser Denken fördert und unser Verhalten hinterfragt?

Wir haben zu diesem Brückenschlag eingeladen, um ein breites Konzert missionarischer Provokationen zwischen zwei Buchdeckeln zu sammeln. Dabei war es uns wichtig, sowohl die Stimmen der Kirchen-Strategen und Leitungsverantwortlichen einzufangen – die aus einem eher globalen Blickwinkel auf die missionarische Zukunftskrise der Kirche schauen – als auch die Stimmen innovativer Praktiker und Pioniere, die in konkreten Gemeindeprojekten unterwegs sind. Zugleich wollten wir eine Begegnung ermöglichen, ganz ähnlich wie bei unserer Kongress-Erfahrung: Wir wollten eine Brücke bauen zwischen innovativen Gemeindegründungen oder missionarischen Initiativen und den großen traditionellen Strömen missionarischen Gemeindebaus im Bereich der EKD, der katholischen Kirche und der etablierten Freikirchen.

Wir als Herausgeber sind sicher: Solch eine Grenzen-überschreitende und bunt gemischte Denk- und Visionsrunde in einem Buch hat es vermutlich bisher noch nicht gegeben. Aber gerade diesen Ansatz halten wir im Sinne eines Not wendenden Lernprozesses für fruchtbar, damit es im Gegenwind der Zeit zu mehr missionarischen Aufbrüchen kommt.

Dabei lebt dieses Buch auch von der freundschaftlichen Nähe und Unterschiedlichkeit seiner beiden Herausgeber: Dr. Michael Diener, als Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Mitglied der EKD-Synode und im Rat der EKD, bringt wichtige Stimmen aus der großen Bandbreite landeskirchlicher Wirklichkeit ein – samt ihrer enormen Chancen durch die noch immer flächendeckenden Möglichkeiten volkskirchlicher Strukturen. Ich als freikirchlicher Pastor spiegele eher die Netzwerk-Verbindungen zu jungen Neugründungen oder etablierten Freikirchen.

Aber es ist auch noch eine andere Einsicht, die mich für dieses Buch antreibt. Als Verleger und einer der Geschäftsführer der SCM Verlagsgruppe ist es für mich immer wieder eine irritierende Erfahrung, wie schwer es für Leitende ist, eine Organisation dauerhaft auf geistlich entscheidende Prioritäten auszurichten. Mit unseren drei Standorten, verschiedenen Verlagsmarken und gut 350 engagierten Mitarbeitenden haben wir eine Menge Bewegungsenergie. Zugleich empfinde ich immer wieder lebhaft den Konflikt zwischen dem alltäglich vorherrschenden »verlagstechnischen Grundrauschen«, das sich Jahr für Jahr mit zuverlässiger Intensität entfaltet, und der notwendigen Fokussierung auf das, was wir eigentlich als inhaltliche Priorität, als verlegerisch Not-Wendiges und Dringliches empfinden. Die Fülle an alltäglichen Herausforderungen eines Verlagsbetriebes ist so groß, dass man in der Rückschau das Gefühl hat, dass man monatelang bis über beide Ohren beschäftigt war – und doch oft zu wenig Zeit und Priorität auf das gelegt hat, was wirklich innovativ, bewegend und wichtig ist.

Die provokante Beobachtung und Fokussierung von Bischof Welby gilt im Grunde also für jede Organisation – wie viel ist notwendige Priorität, wie viel ist schöne Dekoration? Die Spannung zwischen Grundrauschen und Fokussierung wohnt offenbar allen Organisationen inne. Und wir werden sie nur positiv lösen, wenn es uns immer wieder gelingt, die Fenster aufzureißen, damit das, was spitz und scharf und Priorität ist, auch Priorität bleibt.

Offensichtlich ist das »betriebliche Grundrauschen« auch in der Kirche eines der größten Hindernisse für klar umrissene Prioritäten: So wie ich Gruppen- und Gemeindearbeit kennengelernt habe und nach dem, was ich von den Notwendigkeiten pfarramtlicher Lebenspraxis weiß, teilen Firmen und Gemeinden diese Problematik: Trotz eigentlich vorhandener Offenheit für Veränderung oder Neuausrichtung kommen wir kaum dazu, aus guten Absichten auch Wirklichkeit werden zu lassen. Meine Erfahrung ist hier: Ich brauche immer wieder die bewusste Unterbrechung, ein Heraustreten aus dem Fluss des Üblichen, um mich zu neuem Denken und Handeln provozieren zu lassen.

Ich lasse mich dabei besonders gern in Bewegung bringen von gelebter Praxiserfahrung anderer: von Siegen und Niederlagen und neuen Ideen – egal aus welchem Kontext sie kommen. Von allem, was mir Brennstoff und Kraft gibt, um Extra-Energie in die Zukunft, fokussierte Prioritäten und wirklich klare, neue Wege fließen zu lassen. Was mich anregt durch Quergedachtes und Fremdes, das erst fruchtbar für mich wird, wenn ich es an mich heranlasse und bedenke.

Solch eine Unterbrechung des »betrieblichen Grundrauschens« will dieses Buch sein. Wenn es uns hilft, beim gemeinsamen Bewältigen der »Mission Zukunft« und des Auftrags zur Evangelisation hier oder da Neues zu denken und auszuprobieren, dann hat es seinen Zweck erfüllt. Bestenfalls soll dabei klar werden: Wir spielen in einem Team – und wir können diesen großen Auftrag nur gemeinsam, mit gegenseitigem Respekt und im offenen Lernen voneinander angehen.

Es ist Zeit für ein weiteres entschiedenes missionarisches Aufbrechen!

Ulrich Eggers, Verleger der SCM Verlagsgruppe, Gründer mehrerer Zeitschriften und 1. Vorsitzender von Willow Creek Deutschland

Dr. Michael Diener

Warum dieses Buch?

»Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen. Und Defizite bei der missionarischen Tätigkeit der christlichen Kirche, Mängel bei ihrem »evangelizzesthai« würden sofort zu schweren Herzrhythmusstörungen führen. Der Kreislauf des kirchlichen Lebens würde hypotonisch werden. Wer an einem gesunden Kreislauf des kirchlichen Lebens interessiert ist, muss deshalb auch an Mission und Evangelisation interessiert sein. Weithin ist die ausgesprochen missionarische Arbeit zur Spezialität eines ganz bestimmten Frömmigkeitsstils geworden. Nichts gegen die auf diesem Felde bisher besonders engagierten Gruppen, nichts gegen wirklich charismatische Prediger! Doch wenn Mission und Evangelisation nicht Sache der ganzen Kirche ist oder wieder wird, dann ist etwas mit dem Herzschlag der Kirche nicht in Ordnung.«2

Was Eberhard Jüngel vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1999 in Leipzig vortrug, ist bis heute nicht vergessen. Fast zwanzig Jahre sind seit Jüngels Vortrag vergangen. Zeit, einmal zu fragen, wie es denn heute im Blick auf die Zukunft (!) um »Mission und Evangelisation«, um den Herzschlag »der Kirche« in unserem Land steht, die hier zuerst einmal als »Kirche Jesu Christi« und nicht »konfessionell« verstanden werden muss.

Ulrich Eggers und mich verbindet die feste Überzeugung, dass sich diese Fragestellung aufdrängt, weil sich theologische und praktische Übereinstimmungen in Sachen Mission sowohl zwischen den immer noch großen Volkskirchen und vielen Freikirchen als auch zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitsprägungen, ob liberal oder konservativ, pietistisch oder evangelikal, abzeichnen, die vor einigen Jahren noch kaum vorstellbar waren. Für diese Entwicklung gibt es natürlich nicht nur eine Ursache, sondern mehrere. Vier, die sich mir in besonderer Weise nahelegen, will ich kurz benennen:

• Die Kirche Jesu Christi ist überzeugt davon, dass das Wesentliche in ihr zuerst und vor allem immer Geschenk ist, Antwort auf Gebete und Gabe des Heiligen Geistes.

• Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung und Individualisierung, ganz unabhängig davon, wie man diese Phänomene im Einzelnen deuten mag, führt in den Volkskirchen zu schmerzlichen Einbrüchen in der Mitgliedschaft. Damit verbunden ist ein kaum mehr aufzuhaltender Traditionsabbruch in der Weitergabe von Glaubensformen und Glaubensinhalten zwischen den Generationen. Auch die klassischen Freikirchen bleiben von dieser Entwicklung nicht verschont und stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Die katholische Kirche reagiert auf diese Entwicklung etwa seit 1985 mit einem Ansatz zur »Neu-Evangelisation«, insbesondere in Europa.

• Das 500. Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 war geprägt von dem Gedanken, Menschen wirklich mit den Kernüberzeugungen der Reformation zu erreichen, und stärkte die gar nicht so neue Erkenntnis, dass Kirche vor allem dann wahrgenommen wird, wenn sie sich außerhalb ihrer eigenen Mauern auf die Lebenswelt der Menschen einlässt und die Begegnung, das Gespräch mit ihnen sucht.

• Wir erleben das Heranwachsen einer neuen Generation von Christenmenschen aus Bistümern, Landes- und Freikirchen, welche – unabhängig von konfessionellen oder denominationellen Unterschieden – aus einem gemeinsamen Christusbekenntnis heraus miteinander Glauben entdecken, leben und weitergeben.

Wir wollen mit diesem Buch dazu beitragen, dass diese Entwicklung einerseits wahrgenommen und verstärkt, andererseits aber auch gründlich reflektiert und auf ihre innere Substanz überprüft wird. Wie belastbar ist das gemeinsame Fundament in Sachen Mission und Evangelisation? Füllen wir zentrale Begriffe mit gleichen oder zumindest ähnlichen Inhalten oder handelt es sich nur um eine »Äquivokation«, werden dieselben Wörter für letztlich nicht Vereinbares verwendet? Ist das immer noch zu beobachtende und zu spürende »Fremdeln« vieler Menschen in den Volkskirchen, wenn Worte wie »Mission« oder »Evangelisation« fallen, wirklich nur dem nicht zu leugnenden Missbrauch auf diesem Gebiet zu verdanken oder verbirgt sich dahinter eine gänzlich andere theologische Einschätzung? Und wie nachhaltig und gegründet ist der Weg, den viele evangelikal geprägte Christenmenschen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem differenzierteren Missionsverständnis gegangen sind?

Zu den Autorinnen/Autoren und Gliederung

Wir sind deshalb sehr dankbar, dass sich so viele unterschiedliche kompetente Autorinnen und Autoren dazu haben einladen lassen, einen Beitrag für dieses Buch zu verfassen. Es ist mit Sicherheit nicht selbstverständlich, dass der Ratsvorsitzende der EKD und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, dessen Stellvertreterin und Präses der westfälischen Kirche Annette Kurschus und der geistliche Vizepräsident im Kirchenamt der EKD Thies Gundlach hier ebenso vertreten sind wie Christoph Stiba, Generalsekretär der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden, Ansgar Hörsting, Präses der Freien evangelischen Gemeinden, und Präses Ekkehart Vetter, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und sich außerdem mit Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim, Bernhard Meuser, Initiator des katholischen Jugendkatechismus YOUCAT, und George Augustin SAC, Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar ganz unterschiedliche, aber relevante Stimmen aus der katholischen Kirche einbringen. Als Professoren, die sich mit Hingabe den Fragen von Mission und Kirchenentwicklung widmen, kommen Michael Herbst, Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald, und Johannes Reimer, Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Theologischen Hochschule Ewersbach zu Wort. Mit Mission und Evangelisation »von Berufs wegen« befassen sich auch Hans-Hermann Pompe, bis Ende 2018 Leiter des EKD-Zentrums für Mission in der Region (ZMiR), Gerold Vorländer, Leitender Mitarbeiter Mission bei der Berliner Stadtmission, Sandra Bils, Pfarrerin der hannoverschen Landeskirche und Referentin der ökumenischen Bewegung Kirchehoch2, Klaus Douglass, Theologischer Referent im Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau und der Vorsitzende des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg, die Apis, Steffen Kern.

Ganz wichtig war es uns darüber hinaus, »Basis«-Stimmen mit ihrem ganz eigenen Klang zu Wort kommen zu lassen: die evangelische Theologin und Schriftstellerin Christina Brudereck, den Referenten bei Willow Creek Deutschland Jörg Ahlbrecht, Andreas »Boppi« Boppart, den Leiter des Schweizer Zweigs von »Campus für Christus« und den Pastor der Schaumburg-Lippischen Landeskirche Dominik Storm. Den Abschluss bildet eine Vielfalt von Beiträgen zur praktischen Umsetzung (dazu gleich mehr).

Wie gliedert man ein Buch, wenn man so viele unterschiedliche Autorinnen und Autoren nach Grundlegendem und Bewegendem zum Thema »Mission« befragt? Wir haben uns für folgende Aufteilung entschieden:

• Die Artikel im ersten Teil befassen sich mit dem theologischen Verständnis von Mission als »missio dei«.

• Der zweite Teil stellt die unausweichliche Frage nach einer Ethik der Mission.

• Im dritten Teil finden sich Beiträge, die unterschiedliche konzeptionelle Überlegungen zur Mission anstellen.

• Im vierten und letzten Abschnitt ist ein bewusst buntes Potpourri von Praxiserfahrungen und Neuaufbrüchen versammelt.

Dabei handelt es sich jedoch nur um eine ungefähre und subjektive Zusammenstellung. Die Offenheit der Anfrage »Einsichten zu Mission und/oder Impulse für einen missionarischen Aufbruch« hat natürlich dazu geführt, dass in vielen Texten grundsätzliche, konzeptionelle und praktische Elemente gleichermaßen enthalten sind. Die Zuordnung der wertvollen Beiträge zu einem der vier Teile wollen wir deshalb nur als kleine Lesehilfe verstanden wissen. Dabei war es uns allerdings wichtig, im ersten und dritten Teil jeweils evangelisch-landeskirchliche, römisch-katholische und evangelisch-freikirchliche Stimmen nacheinander erklingen zu lassen.

Der vierte Teil stellt so etwas wie einen Höhepunkt des Buchs dar, weil in ihm ganz unterschiedliche und ermutigende Beispiele vorgestellt werden, wie ein missionarischer Aufbruch, theologisch grundsätzlich, ethisch und konzeptionell verantwortet, aussehen kann. Hier finden sich evangelisch-landeskirchliche, evangelisch-freikirchliche, römisch-katholische und ökumenische Ansätze in bunter Vielfalt, daher ist dieses Kapitel alphabetisch nach den Autorennamen geordnet: Konstantin von Abendroth hinterfragt mit dem Berlinprojekt das »Wir-und-die«-Denken, Steffen Beck kritisiert das Narrativ vom »harten Boden« und führt in den Ansatz des ICF Karlsruhe ein, Bettina Becker schreibt sehr persönlich über Ansatz und Arbeit der »Villa Wertvoll« in Magdeburg, Birgit Dierks lässt uns teilhaben an ihren biografischen Aufbrüchen und dem Teilbereich der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, der sich mit »fresh expressions« befasst, Alexander Garth, evangelischer Pfarrer in der Lutherstadt Wittenberg und Gemeindegründer, schildert mit Herzblut freikirchliche Aufbrüche und wie sehr er sich derartige Entwicklungen in den Landeskirchen wünscht, Patrick Knittelfelder inspiriert mit seinen Ausführungen zur Loretto Gemeinschaft und der HOME Mission Base in Salzburg, Lothar Krauss nimmt uns mit hinein in die starken Aufbrüche in der Freien Christengemeinde in Gifhorn, Markus Weimer, Pfarrer in Böhringen und Mitglied des Leitungskreises von »church convention«, beschreibt sehr ehrlich und strukturiert den Weg einer Kirchengemeinde zur »Quellgemeinde« und Elke Werner zeigt am Beispiel des Christustreffs in Marburg, wie wichtig es ist, dass missionarische Aufbrüche fragend bleiben und sich permanent weiterentwickeln.

Kein Zweifel, dass sich die Lektüre dieses Buchs lohnt. Sie finden hier kompetente Aussagen, anrührende Beobachtungen und nachdenkenswerte Schlussfolgerungen, Sprache von anmutiger Schönheit, originelle Vergleiche, ehrliche Eingeständnisse, ganz neue Denkansätze und kämpferische Infragestellungen. All das darf und soll sein. Daraus entsteht ein Boden, auf dem die notwendigen Diskussionen fruchtbar geführt werden können. Ohne die jeweils eigenen Erkenntnisse und Fragen vorwegzunehmen, will ich mit einigen meiner eigenen Beobachtungen, welche ich als Herausgeber bewusst neutral formuliere, diesen wichtigen Prozess der Wahrnehmung und Aufarbeitung stimulieren.

Übereinstimmungen und Fragen

Der grundlegende Ansatz zum Verständnis von Mission ist die »missio dei«. Nicht die Kirche, sondern Gott selbst ist das Subjekt der Mission, die trinitarisch und umfassend verstanden wird. In der Tradition, etwa von Georg Vicedom, Lesslie Newbigin und David J. Bosch hat sich dieser Ansatz durchgesetzt. Es ist offensichtlich, dass ein individualistisches Missionsverständnis, welches nur die Rettung des Einzelnen im Blick hat, mit dem Ansatz der »missio dei« kaum vereinbar ist. Und dennoch wäre es spannend, zu erfragen, ob das folgende Zitat des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm auf die uneingeschränkte Zustimmung aller Leserinnen und Leser stößt:

»Wenn menschliche Mission wirklich Konsequenz der Mission Gottes ist, dann kommt sie ans Ziel, wenn in dieser Welt das Reich Gottes zeichenhaft sichtbar wird. Das kann in der Überwindung von Not genauso der Fall sein wie in der Erfahrung von Menschen, die durch den Glauben an Jesus Christus in ihrem Leben eine neue Basis und einen neuen Sinn gewinnen.«

Das als »Ethik der Mission« bezeichnete Dokument »Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt«, 2011 vom Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und der Weltweiten Evangelischen Allianz gemeinsam verabschiedet, bildet die Grundlage allen missionarischen Redens und Handelns, auch bei unterschiedlicher theologischer Prägung. Sowohl Heinrich Bedford-Strohm als auch der Generalsekretär der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden Christoph Stiba verweisen auf dieses wichtige Papier.

Zugleich ist nicht zu übersehen, dass das umfassende gegenseitige Zutrauen in eine christusgemäße Ethik der Mission noch weiter zunehmen muss. Auch wenn die Einteilung durch uns vorgenommen wurde, ist es wohl nicht ganz zufällig, dass sich alle Beiträge aus der Leitung der EKD mit eben diesen ethischen Haltungen der Mission beschäftigen.

Zur Wahrnehmung einer wachsenden gemeinsamen Ethik der Mission passt, dass gleich drei Personen (Sandra Bils, Christian Hennecke und Hans-Hermann Pompe) den 1994 verstorbenen Bischof von Aachen Klaus Hemmerle zitieren: »Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.« Dieses Zitat verdeutlicht, was auch sonst in diversen Beiträgen zur Sprache kommt: Wenn das Missionsgeschehen nur als »Sender-Empfänger-Geschehen« verstanden wird, wenn die Rede von der Verlorenheit zu einer »schiefen Ebene« führt, in der ein Zeuge des Evangeliums einen Menschen nicht mehr als Gegenüber, als von Gott geschaffenes und geliebtes Kind, sondern nur noch als Missionsobjekt erkennt, dann wird die Liebe Gottes zu allen Menschen, dann wird die Mission Jesu Christi verraten.

Anschließen lässt sich der Hinweis auf ein Zitat von Fulbert Steffensky, welches in zwei Beiträgen (Christina Brudereck und Hans-Hermann Pompe) aufgegriffen wird: »Mission ist die gewaltlose, ressentimentlose und absichtslose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzeptes. Mission heißt zeigen, was man liebt.«

Ich glaube, dass an genau dieser Stelle noch weiterführende Gespräche notwendig sein werden, etwa über die Frage, wie ich mir denn »absichtslose Werbung« vorzustellen habe. Um diesen Aspekt zu verdeutlichen, stelle ich kommentarlos zwei herausfordernde Zitate hintereinander, die aufzeigen, dass die Einmütigkeit über eine völlig zwangfreie, nicht manipulierende Mission keineswegs Übereinstimmung darüber bedeutet, welche Inhalte »missionarische Verkündigung denn hat«, ob es ein »Zur-Sprache-Bringen« überhaupt geben soll und wenn ja, in welchem Umfang:

»Es nützt alles nichts: Wenn ein Christ nicht erkennt, dass es beim Glauben an Jesus Christus um sehr viel geht, dann wird er letztlich nicht missionarisch wirken. Ich kenne keine missionarisch wirksame Gemeinde, in der es nicht Leute gibt, die klar auf dem Schirm haben: Ohne Jesus Christus sind Menschen verloren. Sie sind gefährdet. Sie leben an ihrer Bestimmung vorbei. Sie stehen nicht in der Gemeinschaft mit Gott und werden auch nicht hineinkommen.«

ANSGAR HÖRSTING

»Im Kern ist anmutige Mission eine berechnungsfreie, ausstrahlungsstarke Präsentation und Repräsentation des Glaubens selbst. Sie ist öffentlich dargestellte Treue zum Thema, sie versucht nicht, den anderen anzugehen, aufzurufen, aufzusuchen, einzufangen, anzusprechen, aufzurütteln, sie verzichtet auch darauf, den Gelegentlichen und Ungeübten unmittelbar auf Glaubensübernahme und Kirchenmitgliedschaft anzusprechen, sondern lobt Gott und entfaltet die Freiheit einer christlichen Seele im Gegenüber zu ihm. Anmutige Mission lebt den eigenen Glauben glaubwürdig und öffentlich, frei und absichtslos, sie präsentiert sich auf verlockende, gefällige Weise so, dass Neugier und Nachfrage sich küssen können. Anmutige Mission steigt den Menschen nicht nach wie ein Lüstling, um ihm seine Sünden aufzuzeigen, sie bietet sich selbst und ihre Wahrheit nicht jedem jederzeit an.«

THIES GUNDLACH

Die Erkenntnis, dass die missionarischen Herausforderungen unserer Zeit es erforderlich machen, dass bisherige Strukturen kirchlicher Arbeit verändert oder zumindest ergänzt werden, setzt sich immer stärker durch. In ganz unterschiedlichen Beiträgen ist angedeutet und ausgeführt, dass neben bewährten Gemeindeformen als Ausdruck des Glaubens »fresh expressions of church« ihren Platz brauchen.

Am deutlichsten formuliert dies Michael Herbst:

»Wesentlich bleibt aber auch, dass wir insgesamt begreifen, dass nicht mehr kirchliche Monokultur unsere missionarische Reichweite vergrößert, sondern mehr gemeindliche Vielfalt. Die landeskirchliche Parochie ist ebenso wenig die Antwort auf alle Fragen wie die ICF Church oder die landeskirchliche Gemeinschaft. Und selbst diese Modelle zeigen ja, wenn es gut geht, höchst vielfältige Gesichter. Ein Evangelium – viele Gemeinden, die miteinander freundschaftlich vernetzt sind, aber zugleich Profil und Vielfalt schätzen, das würde unsere Reichweite vergrößern.«

Es herrscht Einigkeit bezüglich der respektvollen Wahrnehmung anderer Kulturen und Religionen. Ob das missionarische Zeugnis sich auch an Angehörige anderer Religionen richtet, etwa an Menschen islamischen Glaubens, ist dagegen nicht unumstritten. Daran erinnert Steffen Kern:

»Ich empfinde es darum als belastend, dass die geschätzte Rheinische Kirche in einem Positionspapier im Januar 2018 genau das ausgeschlossen hat, indem sie schrieb: Das Gespräch mit Muslimen ziele nicht auf ihre Bekehrung zum christlichen Glauben, denn auch sie würden »an den einen Gott« glauben. So gut, richtig und wichtig es ist, Gemeinsamkeiten zu suchen, so klar müssen Unterschiede benannt werden. Der Rheinische Anti-Bekehrungsbeschluss gebiert sich wie ein Schweigeerlass. Schweigen von Jesus, dem Retter! Schweigen von dem, der am Kreuz Gott und Welt versöhnt. Schweigen davon, dass nur in seinem Namen Heil ist! Was sollen wir dazu sagen? Ich kann nur eines antworten: »Nein, wir werden nicht schweigen, sondern in tiefer Hochachtung vor anderen reden.«

Auch im Themenfeld »Zeugnis in Wort und Tat« gibt es Übereinstimmungen und Unterschiede. Eberhard Jüngel sprach 1999 vor der EKD-Synode davon, dass Diakonie durchaus als »indirekte Bezeugung des Evangeliums« zu verstehen sei:

»Ganz anders orientiert sind die christlichen Werke, also alles das, was man als Diakonie zu bezeichnen pflegt. Wir sollten heute, nach so viel überaus schiefen Antithesen, darüber nun wirklich nicht mehr streiten, dass auch jede samaritanische Tat eine indirekte Bezeugung des Evangeliums ist: Sie ist es gerade deshalb, weil sie gar nichts anderes im Sinn hat, als dem hilfsbedürftigen Nächsten zu helfen. Das Evangelium selber kann überaus selbstlos sein. …

Das alles setzt allerdings voraus, dass es eine redende Kirche gibt, die sich des Evangeliums nicht schämt. Alle indirekte und mittelbare Evangelisation lebt davon, dass es die direkte und unmittelbare Bezeugung des Evangeliums gibt – wie ja auch der Mond nur zu scheinen vermag, weil es das Sonnenlicht gibt.«3

Es stellt sich die Frage, wie eine »Verzweckung diakonischen Handelns« einerseits verhindert werden kann und andererseits dennoch der gesamte Mensch, ganzheitlich, mit Leib und Seele, im Blick bleibt. Christian Hennecke spricht, ganz in diesem Sinne, von einer »diakonischen Evangelisierung« durch die Tat:

»Die innovative Kraft der Kirche hat sich ohnehin seit den 70er-Jahren in den Bereichen einer diakonischen Evangelisierung gezeigt – es ist kein Zufall, dass diese caritative Offensive heute die Orte und Räume geschaffen hat, an denen das Evangelium durch die Tat verkündet wird, und dass viele Menschen, die noch nie mit dem Evangelium in Berührung gekommen sind, hier erste Erfahrungen machen.«

Klaus Douglass benennt die neuen Chancen, die da entstehen, wo »Wort und Tat« nicht voneinander getrennt, sondern durch intensives Beziehungsgeschehen aufeinander bezogen werden:

»Wenn wir Menschen nur professionell behandeln – und sei es fachlich noch so effektiv –, ihnen dabei aber keine Gemeinschaft anbieten, bleiben wir auf halbem Wege stecken. Das spricht weder gegen Evangelisations- noch gegen Diakoniewerke. Aber beide sind gleichermaßen darauf angewiesen, dass es funktionierende Beziehungsnetze vor Ort gibt: Gemeinden und Gemeinschaften, in die sie die Menschen vermitteln können …

Was mich hoffnungsfroh stimmt, ist, dass sich die Diakonie in Deutschland derzeit verstärkt wieder auf ihre geistlichen Wurzeln besinnt. Noch vor wenigen Jahren war die Frage nach dem Glauben in diakonischen Kreisen ziemlich tabu. Das ändert sich gerade. Bei einem Fachtag des Diakonischen Werkes geht es genau um dieses Thema: »Wie gelingt es, die Sensibilität für Religion nicht nur in Grundsatztexten zu beschreiben, sondern sie auch in Einrichtungen zu leben?« Solche Töne hört man in letzter Zeit immer öfter, und das ist überaus begrüßenswert. Freilich wird das ein langer Weg werden. Denn dass man den vielen Pflege- und Sozialfachkräften eine christliche Glaubenspraxis nicht einfach verordnen kann, liegt auf der Hand. Spannend ist, dass der Evangelikalismus in den letzten zwanzig Jahren quasi spiegelbildlich den gleichen Weg gegangen ist beziehungsweise immer noch geht. Hier besinnt man sich zunehmend auf seine soziale und diakonische Verantwortung und lässt dem guten Wort verstärkt auch gute Taten folgen. Hier wie dort wächst – langsam, aber sicher – zusammen, was zusammengehört.«

Ich breche an dieser Stelle ab. Es ist deutlich geworden, wie sehr die Beiträge dieses Buches, für die Ulrich Eggers und ich allen Autorinnen und Autoren noch einmal ganz herzlich danken, die zukünftige Diskussion über »Mission und Evangelisation« bereichern können und wie wichtig es ist, dass wir diese Diskussion führen. Eberhard Jüngel sprach 1999 davon, dass die »deutsche Christenheit vor einer missionarischen Herausforderung steht, wie sie größer kaum gedacht werden kann« – in der Schweiz und in Österreich sieht es sicher ähnlich aus. Verbessert hat sich die Situation in den vergangenen Jahren ganz gewiss nicht. Aber es gibt Mut machende Signale, dass diese missionarische Herausforderung sowohl in den diversen Konfessionen und Denominationen als auch gemeinsam angenommen wird.

Während ich diese Einleitung verfasse, steht die »Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung«, ein Joint Venture von Evangelischer Kirche und Diakonie in Deutschland, kurz vor ihrer Gründung – ein klares Bekenntnis der Verantwortlichen in der evangelischen Kirche und der Diakonie, dass Mission und ein vom Evangelium geprägtes Profil der Diakonie als eine zentrale Zukunftsaufgabe erkannt ist. Ähnliches lässt sich aus der katholischen Kirche und den Freikirchen berichten. Es wird Zeit, dass wir jenseits aller Schubladisierungen und Grabenkämpfe, jenseits gegenseitiger Verunglimpfungen und Verzerrungen im Blick auf das gemeinsame Fundament und gute, tragfähige Konzeptionen gemeinsam tun, was gemeinsam möglich ist, voneinander lernen und uns gegenseitig korrigieren und ermutigen.

Die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus fasst in farbigen »Tuwörtern« zusammen, worum es sowohl unter uns als auch in der Mission geht:

»Ankommen, sich umschauen, vertraut werden, sich wundern. Sich umsehen und verstehen. Zuhören und teilnehmen. Staunen. Sich selbst und das Eigene infrage stellen lassen.

Und dann – wirklich erst dann, aber dann auch wirklich! – aufstehen und einstehen und, wenn es sein muss, widerstehen. Infrage gestellt selbst Fragen stellen. Verändert etwas ändern wollen.

Sich etwas zeigen lassen und sich selbst zeigen. Mehr sehen, als man ohnehin schon weiß. Zeigen, was einen bewegt. Zu verstehen versuchen und Verantwortung wahrnehmen. Fragen stellen und Fragen mitnehmen. Gott wahrnehmen und für Gottes Wahrheit einstehen. Das ist das doppelte Maß, an dem sich Kirche messen lassen muss«.

Dieses Buch ist ein Versuch – ein Versuch, über die üblichen Resonanzräume hinaus miteinander ins Gespräch zu kommen. Ob dies gelingt, wird die Zukunft zeigen. Aber dieses Buch ist auch ein Bekenntnis: Die Zukunft der christlichen Kirchen im deutschsprachigen Raum ist ohne Mission nicht vorstellbar. Sie ist nach unserer Einschätzung aber auch ohne ein gemeinsames Verständnis von Mission, ohne eine Bündelung der Kräfte, ohne gemeinsames Beten und Arbeiten nicht vorstellbar. Die christlichen Kirchen in Mitteleuropa stehen vor gewaltigen Veränderungen, doch das muss uns nicht schrecken. Eine Kirche, die Gott lobt und den Menschen in Wort und Tat dient, wird Zukunft haben. Besser als Christina Brudereck kann ich es nicht sagen:

»Es ist eine wunderbare Mission, in unserer Zeit von einem Gott zu begeistern, der Elend und Leid sieht, der befreit, dem das gute Leben aller am Herzen liegt, dessen Gütekraft wirkt. Auf Liebe sind alle Menschen ansprechbar.«

Dr. Michael Diener, Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, berufenes Mitglied der Synode der EKD und Mitglied im Rat der EKD

Missio dei
Worin Mission ihren Grund hat

Hans-Hermann Pompe

Mission in Neugier und Freude4

Der geniale Münchner Karl Valentin hat unnachahmlich gespottet: »Die Zukunft war früher auch besser.« Die Moderne wollte die optimistische Gestaltung der Zukunft, aber diese Sicherheit ist vielen in spätmodernen Zeiten längst aus den Händen geglitten. Die Gegenwart erweist sich als höchst unsicher. Wo sind wir angekommen? Wie haben wir unseren Auftrag zu verstehen? Wie können die Kirchen in Zeiten der Spätmoderne missionarisch präsent sein? Und auf welche Menschen treffen wir? Zur Einstimmung vier Stimmen.

»Ich empfinde mich durchaus als einen … spirituellen Menschen. Ich persönlich beneide oft stark religiöse Menschen, weil ich bei ihnen einen großen Halt im Leben feststelle. Sie tragen große Hoffnung, großes Vertrauen in sich und haben eine große Schicksalsgläubigkeit bezüglich ihrer eigenen Situation. Das habe ich auch, kann es aber nicht in dem Sinne als christlich, buddhistisch, oder mit einem Gott benennen. … Ich habe einen fast kindlichen Umgang mit den Dingen. Ich ertappe mich durchaus beim Beten.«5

HELLA VON SINNEN, KOMIKERIN

»Ich bin evangelisch getauft und mit achtzehn aus der Kirche ausgetreten. In meinem Elternhaus spielte die Kirche keine große Rolle. Heute bin ich im besten Sinne ein Agnostiker, das heißt: Ich bin mir nicht sicher. Ich finde es beeindruckend, Menschen zu begegnen, die absolut sicher und gefestigt in ihrem Glauben sind. Das muss toll sein, weil es eine Art von Gemeinschaft schafft, zu der ich eben nicht gehöre. Momentan erlebe ich das nicht als Mangel, aber ich weiß ja nicht, was mir im Leben noch widerfährt.«6

MATTHIAS BRANDT, SCHAUSPIELER

Dunja Hayali erzählt zwei Erfahrungen, die zum Verlust ihres Glaubens und des Kontaktes mit ihrer Kirche geführt haben und ergänzt dann:

»So richtig ist nichts an diese Stelle gerückt. Ich habe mich zwar über viele verschiedene Religionen informiert und mich vor allem mit dem Buddhismus auseinandergesetzt, weil ich viel in Asien unterwegs war. Für mich selbst bin ich aber nicht richtig fündig geworden. Stattdessen mache ich es ein bisschen so wie beim Zeitunglesen: Ich suche mir immer das raus, was ich gerade brauche.«7

DUNJA HAYALI, MODERATORIN

»Ich bin atheistisch aufgewachsen. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass ich mit Religion hätte mehr und früher Erfahrungen machen dürfen, schon in meiner Kindheit. Das Glauben im religiösen Sinne, das kann man halt irgendwann nicht mehr lernen. Einen Zugang zum Spirituellen finden, das kann man später im Leben schon, wenn man sich auf die Suche begibt, versucht zu definieren, was einen bewegt und was die Gründe waren, dass man irgendwann da angekommen ist, wo man ist. Aber dazu braucht es halt keine Konfession.«8

DEVID STRIESOW, SCHAUSPIELER

Hella von Sinnen ertappt sich gelegentlich beim Beten. Matthias Brandt ahnt nicht, was ihm noch passieren kann. Dunja Hayali sucht sich heraus, was sie gerade braucht. Devid Striesow hält Zugänge für möglich. Die spirituelle Feministin, der neutral-offene Agnostiker, die Patchwork-Religiöse, der suchende Konfessionslose – sie sind offen für den Glauben, aber für ihr Leben ist eine Kirche oder Gemeinde, zumindest zurzeit, kaum relevant. Aus der Sicht des Evangeliums sind sie geliebte Kinder Gottes, die zu suchen und zu einer Gottesbeziehung einzuladen Auftrag der Kirche Jesu ist.

Doch was heißt Mission in spätmodernen Zeiten? Vier Punkte sind mir wichtig.

1. Die Menschen

Eine wachsende Zahl von Menschen bleibt nicht einfach weiter mit ihren Kirchen verbunden, nur weil ihre Eltern das waren. Sie wollen geworben und überzeugt, erreicht und gewonnen werden. In der Schweiz hat man vier Typen benannt9:

Da sind die Institutionellen, Menschen, die wir als kirchlich betrachten, katholisch, evangelisch, Freikirchler, insgesamt 17,5 %. Sie glauben an einen persönlichen Gott, an das ewige Leben. Und sie beten, gehen relativ regelmäßig zum Gottesdienst.

Daneben gibt es die Alternativen, spirituelle Wanderer mit einem weiten Spektrum. Sie glauben häufig an Reinkarnation und suchen Anschluss an die spirituellen Energien, die es hier und dort gibt. 13,4 % der Befragten gehören hierher, nur 2,9 % sind aber tief überzeugte Esoteriker.

Die größte Gruppe bilden die Distanzierten, 57,4 % der Befragten. Sie glauben durchaus an etwas, üben auch unregelmäßig religiöse Praktiken aus, feiern die großen Feste und sehen noch eine gewisse Verbundenheit mit den traditionellen Kirchen. Es gibt etwas Höheres, Gebet könnte helfen, man sollte anständig sein – aber dieser Glaube ist eine sehr nebelhafte Gläubigkeit.

Und dann gibt es noch die Säkularen. 11,7 %, eine Minderheit ist bewusst atheistisch, eine etwas größere Gruppe eher indifferent, schlicht unreligiös.10 In Deutschland ist diese Gruppe deutlich größer als in der Schweiz.

Die Schweizer Forscher prognostizieren, dass dieses »säkulare Driften« zunehmen wird – es wandern mehr Menschen aus jeder Glaubensbindung über die Distanz ab in die Säkularität als umgekehrt hinzukommen. Menschen, die sich weder als hochengagiert und glaubend verstehen noch als bewusst ablehnend oder atheisierend, bilden die Mehrheit der Bevölkerung. Sie sind »indifferent«, »unbestimmt« gegenüber Glaube oder Kirche, weil sie die Gottesfrage und die Kirchenbindung offenlassen. Gott, Glaube, Kirche oder Evangelium haben für sie wenig oder keine erkennbare Relevanz mehr.11

Manche Trends der Spätmoderne unterstützen diese Entwicklung.

• Eine tiefe Skepsis ist gewachsen gegen große Geschichten, gegen herkömmliche Ansprüche und ungefragte Eingemeindungen. Auch die großen Geschichten der Bibel lässt man hinter sich, ohne sie noch zu kennen. Kirche und Glauben erscheinen vielen als etwas Verstaubt-Gestriges: Man kann sich mal im Urlaub Kirchen anschauen, aber das hat keine Bedeutung für den anstrengenden Alltag.

• »Ein latentes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung wird zum Normalfall von Identitätskonzepten und prägt den Umgang in nahen sozialen Verhältnissen«.12 Viele, nicht nur Jüngere, sammeln Likes und Freunde, je mehr desto besser. Andere, nicht nur Ältere, ziehen sich zurück auf stabile Inseln des Bekannten, wo sie sich auskennen. Was durch die Globalisierung auf den Leib rückt, weckt eher Angst als Neugier. Offenheit wird ein rares Gut.

• Pluralität ist einerseits Befreiung: unterschiedliche Lebensmodelle, Meinungen und Haltungen sind nebeneinander möglich. Pluralität unterminiert aber zugleich den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn jede/r sich die Wahrheit zurechtlegt, bröckelt ein gemeinsamer Boden, gesellschaftliche Konsense und verbindliche Moral werden zunehmend in Mehrheitsentscheidungen ausgehandelt. Als Kirchen müssen wir sehr viel stärker als früher für die Öffentlichkeitsaspekte des Evangeliums kämpfen.

2. Die Mission

Mit der missionstheologischen Figur der missio dei (Sendung Gottes) haben wir einen theologischen Konsens über Mission, der erstaunlich lange und weit getragen hat. Gott handelt an der Welt, wir werden hineingenommen in seine Bewegung der Liebe hin zu seiner Schöpfung. Gott ist der Missionar, wir sind beteiligt an seiner Mission. Eine Bewegung der Liebe geht vom Schöpfer aus, wird konkret in Jesus und wirbt durch den Geist um Menschen.13 Die Verwurzelung jeder Mission in Gott selbst entlastet uns. Wir müssen die Kirche nicht schaffen, stabilisieren oder retten. Mission fordert uns heraus. Den Jüngerinnen und Jüngern Jesu ist sein Auftrag anvertraut: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Johannes 20,21; LUT). Es kann nur eine Mission sein, die alle Aspekte des Reiches Gottes einschließt, respektvoll und dialogisch. So formuliert es Fulbert Steffensky: »Mission ist die gewaltlose, ressentimentlose und absichtslose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzeptes.«14

Nun sind da die vielen Indifferenten. Wie erreicht man Menschen, die gar kein Interesse mehr verspüren? Der Schriftsteller Martin Walser sagt pointiert: »Gott ist nicht tot. Er fehlt.«15 Irgendwie ist da eine Leerstelle – aber sie scheint wenig zu stören. Vielleicht scheitern wir hier am Erbe einer alten Lückenbüßer-Mission: Sie will Gott notwendig machen, damit die Menschen nach ihm fragen. Egal ob sie bei Sünde, religiösen Bedürfnissen, Ethik oder Unerfülltheit ansetzt – spätestens wenn jemand sagt: »Danke, mir geht es gut!«, scheitert solche eine Defizit-Mission.

Dietrich Bonhoeffer schrieb dazu 1944 aus dem Gefängnis:

»Gott ist (…) kein Lückenbüßer; nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben muss Gott erkannt werden; im Leben und nicht erst im Sterben, in Gesundheit und Kraft und nicht erst im Leiden, im Handeln und nicht erst in der Sünde will Gott erkannt werden. Der Grund dafür liegt in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Er ist die Mitte des Lebens, und ist keineswegs ›dazu gekommen‹, um ungelöste Fragen zu beantworten.«16

Vereinfacht sagt solche Mission nicht: »Du brauchst Gott«, sondern: »Gott geht dir nach«. Walser würde ich nicht antworten: »Dir fehlt Gott«, sondern: »Du fehlst Gott« (vergleiche Lukas 15).

Es gibt viele Zugänge zu Indifferenten wie zum Beispiel Engagement und Gastfreundschaft, Kreativität und Humor, Neugier und Beziehungen, Partizipation und Offenheit. Zwei zentrale Dimensionen spielen bei allen Begegnungen eine Schlüsselrolle: Relevanz und Resonanz.

In der Spätmoderne orientieren die meisten ihre Entscheidungen daran, ob etwas für ihr Leben Relevanz hat 17