image

PETRA LAHNSTEIN

SO GEHT GLÜCK!

Schulfach für ein ganzes Leben

Vorwort

»Petra Lahnstein beschreibt in ihrem spannenden und unterhaltsamen Roman, wie die Liebe zum Wegbereiter für die Suche nach dem Glück wird. Der Schauplatz Schule scheint auf den ersten Blick exotisch. An diesem Ort sind einfach zu viele Fehlerfahnder unterwegs, die vor allem die Schwächen und nicht die Stärken der Kinder sehen.

Alexandra, die Protagonisten des Romans, gelingt es aber, sich aus dieser Rolle zu befreien. Sie wird zur Schatzsucherin, die die persönlichen Stärken, die Lebensfreude und die Lebenskompetenz ihrer Schüler in den Vordergrund ihrer pädagogischen Arbeit stellt.

Allerdings sind Widerstände der leistungsorientierten Schulbürokratie immens und nur zu überwinden, wenn sie sich selbst weiterentwickelt und auf die Unterstützung ihrer Schüler und einige Mitstreiter hoffen kann.«

Dr. Ernst Fritz-Schubert

Zweite unveränderte Auflage

Copyright © 2019 by Petra Lahnstein

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
dnb.dnb.de abrufbar.

978-3-945067-50-5 (EBOOK)

Für Ernst-Fritz-Schubert,

den Erfinder des Schulfachs Glück

Für meine Glücksmädels

und

für alle Lehrer, die wahre Glückslehrer sind

oder es noch werden wollen

Inhalt

1Macht Wissen glücklich?

2Glück ist eine neue Idee

3Glück beginnt mit einem Wunsch

4Glücklich ist, wer weiß, was er will

5Glück braucht Sinn

6Glück ist Teamarbeit

7Glück kann man fördern

8Glück ist für jeden etwas anderes

9Glück braucht Beziehungen

10Glück kann man lernen

11Glück braucht Werte

12Glück kommt von Herzen

13Glück ist nicht einfach

14Italienisches Glück

15Glück statt Deutsch

16Glück ist, das Richtige zu essen

17Glück ist viral

18Glück geht manchmal seltsame Wege

19Glück ist eine gute Entscheidung!

Prolog

Fabrice

Fabrice stand auf, zuppelte an seinem dunkelblauen Jackett herum und ging mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf seine Lehrer zu. »Weiter so!«, sagte Dr. Vogt und schüttelte ihm fest die Hand. Frau Siepmann lächelte ihn freundlich an und streckte ihm die gerahmte Urkunde entgegen.

Er konnte es immer noch kaum glauben, dass ausgerechnet sein Aufsatz von der Heidelberger Universität als herausragend und für einen Schüler seines Alters ›überdurchschnittlich analytisch und zukunftsweisend‹ bewertet worden war. Dabei hatte es ihm große Freude gemacht zum Thema ›Internationalisierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen‹ wochenlang zu recherchieren und seine Erkenntnisse auf rund hundert Seiten zusammen zufassen. Die Arbeit hatte sich ausgezahlt! Mit der Urkunde erhielt er die Erlaubnis, schon während seiner Oberstufenzeit Vorlesungen und Seminare im Studiengang ›International Business‹ zu belegen. Jetzt standen ihm alle Türen offen und das mit gerade einmal sechzehn Jahren! Er konnte es kaum erwarten das zehnte Schuljahr abzuschließen und mit dem Studium zu beginnen. Fabrice lächelte und schaute sich zufrieden in der Aula um. Der sonst so karg und lieblos wirkende Raum war mit Blumengestecken geschmückt, ein paar Stehtische waren mit weißen Hussen umhüllt und mit weinroten Schleifen verziert. Auf der Bühne hingen Fahnen seiner Schule und der Heidelberger Universität, die ihn ausgezeichnet hatte. Gleich neben dem Eingang waren ein paar Häppchen sowie Sekt und Orangensaft vorbereitet. Neben Dr. Vogt und Frau Siepmann, die ihn dazu ermuntert hatten, seine Arbeit einzureichen, waren auch zwei Vertreter der Hochschule, der Schulleiter sowie eine Handvoll anderer Lehrer des Schubert-Gymnasiums vorbeigekommen, um ihm zu gratulieren. Ihm und den beiden anderen Kandidaten, die es in diesem Jahr geschafft hatten, die Studienerlaubnis zu erhalten.

Schade, dass sein Vater das nicht sehen konnte! Er musste ihm unbedingt davon erzählen! Wer weiß, wenn er noch ein bisschen mehr Gas geben würde, könnte er vielleicht ein Schuljahr überspringen und schon in ein paar Jahren die Firma seines Vaters übernehmen.

»Es liegt an so leidenschaftlichen und talentierten Leuten wie Ihnen, dafür zu sorgen, dass Deutschland auch in Zukunft einer der wichtigsten Player in der Wirtschaft bleibt«, sagte Dr. Vogt nur kurze Zeit später in seiner offiziellen Rede. Fabrice nickte innerlich, hörte seinem Lehrer aber nur mit einem Ohr zu. Das alles hier verdankte er seinem Vater. Schon als Kind hatte er ihn oft mit in die Firma und zu seinen Ökonomievorlesungen an der Hochschule mitgenommen. ›Fleiß ist aller Tugenden Anfang‹, ›Der größte Feind des Fortschritts ist nicht der Irrtum, sondern die Trägheit‹ und ›Nur wer etwas leistet, kann sich etwas leisten‹. Fabrice hatte das Gefühl, seinen Vater sprechen zu hören. Immer und immer wieder hatte er ihm diese Lebensweisheiten mit auf den Weg gegeben und so war es kein Wunder, dass er schon in jungen Jahren gewohnt war, stundenlang an einer Sache dran zu bleiben. Sein Vater hatte recht gehabt: Strebsamkeit und Fleiß zahlten sich schnell aus! Schon jetzt hatte es sich für ihn gelohnt, bis spät in die Nacht die unzähligen BWL-Bücher zu verschlingen und sich gemeinsam mit seinem Vater Vorträge angesehener Ökonomie-Experten anzusehen. »Wissen, Fleiß und Macht gehören untrennbar zusammen, vergiss das nie«, hatte sein Vater immer wieder zu ihm gesagt, während er ihn stolz im Betrieb herumführte. Wie stolz würde er jetzt auf ihn sein, wenn er ihm die Urkunde zeigte? Fabrice durchfuhr ein Schauer, als er daran dachte.

»Wir sind sehr stolz, Fabrice Schumann nicht nur als Besten seines Jahrgangs in unserem Projekt ›Schüler auf der Überholspur‹ auszeichnen zu dürfen, sondern ihn auch als den Besten aller teilnehmenden Schulen in Baden-Württemberg ehren zu dürfen!«, beendete Dr. Vogt seine Rede. Tosender Applaus setzte ein. Fabrice beobachtete wie die Schulsekretärin mit einem Tablett voll Sekt umherging. Ob er auch einen trinken sollte?

»Jetzt nimm ihn schon«, forderte Alexandra Siepmann ihn auf und reichte ihm einen üppigen Blumenstrauß.

Fabrice nahm weder sie noch das Klatschen richtig wahr – er hatte nur Augen für die gerahmte Urkunde. »Kann ich jetzt gehen?«, flüsterte er und versuchte dabei, sich den Strauß unter den Arm zu klemmen, ohne dass die mit Wasser durchtränkten Stiele die Urkunde voll tropfen konnten. Die im Raum entstandene Stille empfand er als äußerst unangenehm und er war sich unsicher, ob man von ihm eine Rede erwartete. Er schaute Alexandra Siepmann stirnrunzelnd an: »Ich würde meinen Vater gerne damit überraschen.« »Er weiß nichts davon?«

Fabrice schüttelte den Kopf. »Ich wollte ihn nicht enttäuschen, falls es nicht klappen sollte.«

»Enttäuschen? Ich bin sicher, dein Vater wäre auch ohne Auszeichnung stolz auf dich!«

»Das verstehen Sie nicht«, raunte Fabrice und verzog das Gesicht. »Klar kannst du gehen, wenn du willst«, sagte Frau Siepmann und griff überrascht nach dem Blumenstrauß, den Fabrice ihr zurück in die Hand drückte.

Schnellen Schrittes eilte Fabrice zur Tür.

Acht Wochen später

1 Macht Wissen glücklich?

Alexandra

»Du willst Fabrice aus der Eliteklasse werfen?«

Alexandra Siepmann schaute Dr. Vogt fassungslos an. Seit einiger Zeit engagierte sie sich gemeinsam mit ihm für das Projekt ›Schüler auf der Überholspur‹. Die ›Eliteklasse‹ bereitete die Schüler der zehnten Klassen des Heidelberger Schubert-Gymnasiums in besonderem Maße auf die Oberstufenzeit und die Möglichkeit, in dieser Zeit parallel zu studieren, vor.

»Ich habe dem Jungen schon mehrfach gesagt, dass er sich zusammen reißen muss! Er kann sich nicht so hängen lassen und alle anderen mit runterziehen!«

»Gib Fabrice ein bisschen mehr Zeit!«, bat Alexandra.

»Ich kann keine Rücksicht auf jemanden nehmen, der nur noch in seiner eigenen Welt lebt und überall fragwürdige Botschaften hinterlässt! Seine Zukunft scheint ihm nichts mehr zu bedeuten!«

»Jetzt gehst du wirklich zu weit!« Alexandra fiel es schwer, sich gegen Dr. Vogt zu behaupten. Und das, obwohl sie eng zusammen arbeiteten. Alexandra ging einen Schritt rückwärts, um etwas mehr Abstand zwischen ihnen herzustellen und stieß dabei gegen den Drucker, der zwischen Flur und Lehrerzimmer stand. Auch jetzt war ihre Stimme wieder einmal viel zu sanft und leise: »Du weißt doch, dass sein Vater ihn schwer enttäuscht hat.«

»Enttäuscht werden wir alle. Jeden Tag! Das gibt ihm kein Recht, seine Zukunft einfach wegzuwerfen!«

»Vor acht Wochen hast du dich noch stolz mit ihm und seinem Wissensdurst gerühmt«, sagte Alexandra leise.

»Acht Wochen, in denen aus einem Überflieger ein Loser geworden ist!«

Alexandra betrachtete den 53-Jährigen, dunkelhaarigen und groß gewachsenen Mann. Wie er dastand mit ernster Miene und unnahbarem Blick. In seinem dunkelblauen Designeranzug sah er aus, als sei er auf dem Weg zu einem Managertreffen anstatt zum nächsten Mathematik-Unterricht. Wie konnte er nur so kalt und gefühllos sein? Hatte er denn überhaupt kein Verständnis für den Jungen?

»Du weißt genau, dass Fabrice immer so werden wollte wie sein Vater!«

»Das kann er doch immer noch! Nur weil sein Vater jetzt nicht mehr die uneingeschränkte Reputation von Wissenschaft und Wirtschaft genießt, heißt das doch nicht, dass er nicht genauso erfolgreich werden kann wie er!«

»Fabrice hat seinen Vater angehimmelt und ihn für unfehlbar und vor allem ehrlich gehalten. Ist doch kein Wunder, dass er die Welt jetzt nicht mehr versteht!«

Dr. Vogt zuckte mit den Schultern: »Zäsuren gehören zum Leben dazu. Manche sind notwendig und heilsam. Das muss er lernen!« Alexandra schluckte: »Er wollte seinen Vater gerade mit seiner Zulassung fürs Studium überraschen, als Polizisten die Villa der Schumanns stürmten.«

Dr. Vogt ging auf Alexandras Einwände nicht ein und fuhr unbeirrt fort: »Liebe Alex, ich bin kein Therapeut, sondern Lehrer. Meine Aufgabe ist es, die Schüler auf eine weiterführende akademische Ausbildung vorzubereiten und ich nehme diesen Bildungs- und Qualifizierungsauftrag sehr ernst. Fürs Händchen halten sind andere zuständig!«

»Wir haben die Aufgabe …«, murmelte Alexandra.

»Was hast du gesagt?«

Alexandra atmete tief ein und aus. »Gib ihm noch eine Chance bis zum Ende des Halbjahres, bitte!«, sagte sie laut und eindringlich.

Dr. Vogt schaute Alexandra überrascht an und schüttelte unbeirrt den Kopf. »Das Leistungsniveau der anderen kann er jetzt schon nicht mehr erreichen und er will es auch gar nicht! Sonst würde er nicht dasitzen, als wäre es eine Zumutung mit den Besten der Besten zu lernen!«

»So eine Situation kann jeden Teenager aus der Bahn werfen! Wir sollten ihm helfen, anstatt zusätzlichen Druck auszuüben!«

»Lassen wir das Lehrerkollegium heute Nachmittag entscheiden.«

»Was haben die Kollegen damit zu tun?«

»Der Junge ist doch für alle eine Zumutung! Ich habe bei der Schulleitung den Antrag gestellt, Fabrice aus dem Überholspur-Projekt auszuschließen. Hast du den Aushang nicht gesehen? Wir werden in der Konferenz um 16.00 Uhr darüber abstimmen!«

»Du hast was?« Alexandra starrte entgeistert auf das DIN A4 Blatt am schwarzen Brett, auf das Dr. Vogt demonstrativ zeigte. Bis jetzt war sie davon ausgegangen, dass er ihr von dieser Idee im Vertrauen erzählt hatte. Wieso hatte er das nicht mit ihr besprochen? Zählte ihre Meinung denn gar nichts? War es ihm völlig egal wie sie die Sache sah? Wenn es darum ging neue Unterrichtsmaterialien zu entwickeln, Studienfahrten und Besuche in der Hochschule vorzubereiten oder irgendwelche Anträge zu schreiben, dann setzte er auf sie – das fleißige Bienchen. Aber wenn es um etwas wirklich Wichtiges ging, machte er einfach was er wollte! Wie neulich, als er sich mit dem Studiendekan der Hochschule getroffen hatte, um neue Seminare für die Überholspur-Klasse zu besprechen, ohne ihr etwas davon zu sagen. So ging das nicht! Eigentlich sollte sie ihm die Meinung sagen – laut und deutlich, hier und jetzt. Ja, eigentlich!

Der Schulgong, der den Beginn der nächsten Stunde ankündigte, erlöste Alexandra aus der unangenehmen Situation. Schnell griff sie nach ihrer Tasche und den korrigierten Französisch-Arbeiten und murmelte ein »bis später« vor sich hin, ohne ihren Kollegen dabei anzuschauen.

Immer noch in Gedanken, eilte sie aus dem Lehrerzimmer Richtung Flur und die Treppenstufen hinauf. Warum musste sie zwischen den Stunden eigentlich ständig durch die Flure hetzen, um den nächsten, weit entfernten Klassenraum zu erreichen? Die Stunde um eine Minute überziehen, weil man mit dem Stoff noch nicht ganz durch war? Nach dem Gong noch kurz etwas mit einem Schüler besprechen? Ein schneller Gang zur Toilette? Nur in der großen Pause möglich! Wieso konnten die Kollegen aus dem Sekretariat das nicht anders organisieren? Autsch! Jetzt war sie auch noch umgeknickt! Alexandra beugte sich nach vorne und griff mit der Hand an ihren rechten Knöchel. Mit dem linken Arm presste sie den Stapel Klassenarbeiten fest an sich. Aber nicht fest genug! Die Hefte rutschten ihr aus dem Arm und verteilten sich auf der ganzen Treppe. Alexandra hatte Mühe, sie zwischen den Füßen der umher eilenden Schüler einzusammeln. Sie hörte ein lautes Lachen. Lachte sie da jemand aus? Fassungslos griff Alexandra nach dem letzten Heft, erwischte aber nur eine kleine Ecke des Umschlags, die sich geräuschvoll ablöste.

»Verdammt!« Alexandra fluchte. Welcher Depp stand da mit seinem dicken Turnschuh auf den Klassenarbeiten?

»Es tut mir so leid«, sagte Sarah mit leiser Stimme, das wollte ich nicht – wirklich!«

»Ist schon gut«, sagte Alexandra und bemühte sich um ein Lächeln. Sie kannte die Sechzehnjährige, die erst in diesem Halbjahr von der Realschule auf das Gymnasium gewechselt hatte, nur zu gut und wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Niemand war so darauf bedacht wie sie, nicht negativ aufzufallen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand Alexandra auf und griff nach dem ramponierten Heft, das ihr die Schülerin mit schuldbewusster Miene entgegenstreckte.

»Haben Sie sich verletzt?«, fragte Sarah mit großen Augen.

»Ist nicht so schlimm«, schwindelte Alexandra und humpelte mit langsamen Schritten Richtung Klassenzimmer.

image

»Anna?«

»Oui.«

»Lea?«

»Ici.«

»Laura?«

»Me voilà.«

»Julia?«

»Yes!«

»Wir sind hier nicht im Englischunterricht, sondern in der Französisch-Klasse«, sagte Alexandra.

»Oui, oui, Madame, but my English is much better than my French«, entgegnete Julia und schon hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.

Auch Alexandra musste lächeln – der stets gut gelaunten Julia konnte man einfach nicht böse sein, auch wenn sie noch so schlecht in Französisch war.

Sie entgegnete auf Französisch: »Ach Julia, wenn du deine gute Laune mit der wunderbaren französischen Sprache verbinden könntest, wärst du sicher schon bald die Nummer eins in der Schule – und an der Cote d´Azur.«

Einige Schüler lachten.

Alexandra fuhr mit der Anwesenheitskontrolle fort: »Jan?«

»No, he isn't here«, sagte Julia und grinste.

»Felix?«

»Non«, sagte eine Mädchenstimme.

Alexandra hob kurz den Kopf. Tatsächlich: Die Stühle der letzten Reihe waren wieder einmal unbesetzt. Nicht nur Felix und Jan, auch Melissa und Luisa glänzten erneut durch Abwesenheit.

Sie blickte auf ihre Liste. Das war schon das dritte Mal in Folge, dass alle vier gemeinsam den Französischunterricht in der achten Stunde schwänzten.

»Weiß jemand, wo Felix, Jan, Melissa und Luisa sind?«, fragte Alexandra auf Französisch.

»I think, they're enjoying the sun in the city«, sagte Julia und grinste. Alexandra seufzte und schaute auf die Sonnenstrahlen, die bis auf ihren Lehrerpult schienen. Irgendwie konnte sie sie verstehen – sie wäre jetzt auch viel lieber draußen als in diesem stickigen Klassenzimmer.

»Parlez français, s'il vous plaît!«

Julia drehte den Tintenroller zwischen ihren Fingern hin und her.

»Je croix, qu'ils sont en soleil!«.

»Sous le soleil«, korrigierte Alexandra die Schülerin.

»Nein, ich glaube nicht, dass sie unter der Sonne sitzen, sondern in der Sonne«, flüsterte Julia ihrer Sitznachbarin zu.

»Finn?«

Alexandra wartete einen Moment, aber Finn antwortete nicht. Gehörte er jetzt auch zu den Schulschwänzern? Sie blickte in die zweite Reihe. Nein! Da saß Finn und tippte, wie so oft, auf seinem Handy herum. Er machte sich nicht einmal die Mühe, es vor ihr zu verstecken.

»Finn!« Alexandra erschrak selbst über ihre laute Stimme. »Leg bitte das Handy weg!«

»Parlez français, s'il vous plaît!«, sagte Julia und erntete dafür zustimmendes Gelächter.

Erst jetzt schaute Finn von seinem Handy auf.

»Ich bin hier – wo sonst!«, sagte er trotzig.

»Leg das Handy weg!«, forderte Alexandra ihn erneut auf.

Finn schrieb seine Nachricht in Ruhe zu Ende und platzierte das Smartphone demonstrativ langsam auf seinem Tisch.

»Weiter weg! In deine Tasche oder deine Jacke, bitte!«, zischte Alexandra.

Mit seinem rechten Zeigefinger schob Finn das Handy betont langsam in die Mitte des Tisches. Alexandra atmete tief ein und aus. Sie hasste diese Spielchen! Warum provozierte er sie immer wieder? Wieso konnte er nicht einfach tun, was man ihm sagte?

Als Finn mit seinem Handy provokativ mehrere Kreise auf dem Tisch drehte, um es dann wieder an den Ausgangspunkt zurück zu schieben, reichte es ihr. Alexandra stand ruckartig auf und ging mit schnellen Schritten auf ihn zu. Autsch! Sie spürte einen heftigen Schmerz – den Fuß hatte sie völlig vergessen. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien. Etwas langsamer als geplant, ging sie auf Finn zu. »Wenn das Handy nicht sofort von deinem Tisch verschwindet, kassiere ich es ein«, sagte Alexandra.

Schnell drückte Finn das Handy seiner Sitznachbarin Sarah in die Hand, die ihn überrascht anschaute. Auch Alexandra war mehr als erstaunt darüber. Finn saß zwar neben Sarah, hatte aber bisher keinen Hehl daraus gemacht, dass er darüber alles andere als erfreut war. In der Regel beschränkte sich die Kommunikation der beiden auf ein absolutes Minimum. Dass er ausgerechnet ihr sein wertvolles Smartphone anvertraute, verwunderte sie.

Alexandra streckte ihr die rechte Hand mit der Handfläche nach oben entgegen: »Sarah, bitte!«

Sarah zögerte einen Moment, bewegte ihren Arm dann aber doch ihrer Lehrerin entgegen. Alexandra griff nach dem Handy. Sarah zog just in diesem Moment ihre Hand zurück und beugte sich nach vorn, um Finn das Handy entgegen zu strecken. Alexandra erwischte statt des Handys Sarahs Gesicht. Erschrocken ließ diese das Handy fallen.

»Sie haben sie geschlagen!«, rief Finn entsetzt.

Alexandra schaute Sarah und Finn bestürzt an.

»Ist schon okay«, sagte Sarah, hielt sich aber ihre Hand schützend vor die Wange.

»Dafür zeige ich sie an!«, rief Finn aufgeregt. Er rutschte mit dem Oberkörper unter den Tisch und schob mit dem rechten Fuß sein Handy zu sich.

»Sarah, es tut mir leid, es war wirklich nicht meine Absicht, dich zu schlagen!«

»Ich weiß«, sagte Sarah.

Finn rammte Sarah seinen Ellenbogen in den Oberschenkel. »Pst! Sag nichts mehr, bevor wir mit unseren Eltern gesprochen haben!«

Er hob das Handy auf und schaute fassungslos auf das Display. Es hatte mehrere Risse.

»Das werden Sie bezahlen!«, rief er aus, »haben Sie überhaupt eine Ahnung, was dieses iPhone gekostet hat?«

Alexandra runzelte besorgt die Stirn. Sie kannte Finn und seine Eltern, die niemals die Schuld bei ihrem geliebten Sohn sahen. Schlechte Noten? Dann musste die Lehrerin es nicht gut erklärt haben! Mangelnde Konzentration? Vermutlich ein Nährstoffmangel. Sicher würden sie auch einen guten Grund dafür finden, warum ihr Sohn während des Unterrichts auf dem Handy herum getippt hatte.

»Lasst uns nach der Stunde noch einmal in Ruhe darüber sprechen«, sagte Alexandra leise und humpelte zurück zum Lehrerpult.

Eigentlich hatte sie heute mit einem neuen Thema anfangen wollen. Aber nach der ganzen Sache war an normalen Unterricht nicht mehr zu denken.

Alexandra blätterte in ihrer Französisch-Mappe herum. Ja, die Übersetzung eines angesagten französischen Popsongs, war für heute genau das Richtige.

image

Alexandra schaute ihre Kollegen am Nachmittag erschüttert an. Wie sie dasaßen mit verschränkten Armen, gesenktem Blick und bewusst emotionsloser Mimik. Warum widersprach denn keiner von ihnen Dr. Vogts Vorschlag, Fabrice aus der Eliteklasse zu werfen?

»Es ist doch klar, dass der Junge gerade einen seelischen Tiefpunkt erreicht hat. Wir sollten ihm helfen und ihm in dieser außergewöhnlichen Situation zur Seite stehen, anstatt ihn zusätzlich unter Druck zu setzen!«

Im Kollegium brach ein Gemurmel aus, aber keiner stimmte ihr zu.

»Wie soll das gehen, wenn er schweigt wie ein Mönch, sich nicht am Unterricht beteiligt und Botschaften wie ›Ist Bildung der Sinn des Lebens?‹ ›Ist Wissen wirklich Macht?‹ oder ›Wozu lernen?‹ an die Tafel schreibt?«, fragte Dr. Vogt verächtlich.

»Endlich mal einer, der sich was traut!«, warf Herr Meyer ein.

Einige Kollegen lachten.

»Was, wenn er recht hat?«, murmelte Alexandra.

»Ein bisschen lauter, bitte«, forderte Dr. Vogt sie entnervt auf.

Alexandra zuckte zusammen. Immer diese Zurechtweisungen vor versammelter Mannschaft! Wieso erlaubte sich Dr. Vogt sie vor allen zu behandeln als wäre sie ein kleines Mädchen? Warum musste er ihr ständig sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte? Sie sollte lauter reden? Das konnte er haben! Sie hatte schon viel zu lange ihren Mund gehalten: »Fabrice hat recht! In der Schule des einundzwanzigsten Jahrhunderts sollte es um mehr gehen, als um sture Wissensvermittlung!«, sagte sie laut und deutlich.

»Falsch, Frau Kollegin, wir haben einen ganz klaren Bildungs- und Qualifizierungsauftrag! Dafür bekommen wir vom Staat jeden Monat unser Gehalt. Für nichts Anderes!«, widersprach Dr. Vogt.

»Bildungsauftrag hin oder her! Als Pädagogen sollten wir den Schülern auch helfen, für die Herausforderungen des Lebens gewappnet zu sein!«, sagte Alexandra.

»Die einzige Herausforderung, die die heute noch kennen, ist doch die Frage, wie sie sich das neueste Smartphone leisten können!«, warf eine Kollegin süffisant ein und brachte die Versammlung zum Lachen.

»Nicht mal das! Die übereifrigen Helikoptereltern kaufen den verwöhnten Kindern heute doch sowieso sofort alles, was sie wollen! Wer muss sich denn heute noch durch Zeitung austragen oder Rasen mähen das Taschengeld aufbessern? Da lachen die doch drüber!«, entgegnete ein älterer Kollege.

»Darum geht es doch überhaupt nicht!«, unterbrach Alexandra die immer lauter werdenden Gespräche. »Wir haben hier einen Schüler, der bis vor wenigen Wochen noch ein Musterschüler war: Fleißig, ehrgeizig und mit den allerbesten Noten. Ein Schüler, den sich jeder in seiner Klasse wünscht! Aber dann hat er erfahren, dass sein Vater, der hochgelobte BWL-Professor und Großunternehmer, nicht aufgrund seines Wissens und Könnens zu Ruhm und Ehre gelangt ist, sondern wegen Betrugs und unsauberer Machenschaften. Wie soll er sich da fühlen?«

Alexandra pinzte sich mit dem Fingernagel in die Fingerspitzen und konzentrierte sich auf ihre nächsten Worte, die sie mit Bedacht wählte und ruhig, aber laut aussprach: »Könnt ihr euch nicht mehr daran erinnern, wie es für euch war, als ihr die erste Krise eures Lebens hattet? Als die erste große Liebe euch verlassen hat? Als sich die eigenen Eltern getrennt haben? Als ihr eine wirklich wichtige Prüfung nicht geschafft habt?« Alexandra setzte bewusst eine kleine Pause und fügte etwas sanfter hinzu: »Als ein wichtiger Mensch in eurem Leben gestorben ist? Konntet ihr da am nächsten Tag einfach weitermachen wie bisher? Oder habt ihr einen Moment der Ruhe und der Neuorientierung gebraucht?«

Alexandra konnte sehen, dass sie ihre Kollegen zum Nachdenken gebracht hatte. Während einige betreten unter sich schauten, steckten andere die Köpfe zusammen und tuschelten leise vor sich hin. Unbeirrt fuhr sie fort und ging zur Tafel. Mit übergroßen Buchstaben schrieb sie Fabrices Worte an die Tafel: ›IST BILDUNG DER SINN DES LEBENS?‹, ›IST WISSEN WIRKLICH MACHT?‹ »Sind Fabrices Fragen nicht mehr als berechtigt?«, fragte sie und schaute provokativ in die Runde.

Alexandra lenkte ihren Blick absichtlich in Dr. Vogts Richtung. Aus den Augenwinkeln heraus konnte sie sehen, dass er es gar nicht abwarten konnte, ihr zu widersprechen. Schon seit einiger Zeit trommelte er nicht nur ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, er beugte sich auch mehrfach nach vorne, so als wolle er am liebsten vom Stuhl aufspringen und ihr etwas entgegnen. Das wollte und musste sie verhindern. Unbeirrt fuhr sie fort: »Sollten wir ihm nicht helfen, auf seine Fragen eine Antwort zu finden? Sollten wir ihm nicht den Weg zeigen – raus aus seinem Gedankenkarussell und hin zu neuer Motivation für die Schule und für das Leben?«

Alexandra schaute zufrieden in die Runde. Das Stimmengewirr war deutlich angeschwollen: Sie hatte die Kollegen erreicht! Sie hatten ihr aufmerksam zugehört, was bei Konferenzen nicht selbstverständlich war. Aber nicht nur das: Sie war sich sicher, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine dastand. Jetzt musste sich nur noch jemand trauen, das auch laut auszusprechen.

Leider war es kein zustimmender Kollege, sondern Dr. Vogt, der sich eilig von seinem Stuhl erhob und sich als Erster zu Wort meldete. Alexandra konnte nur vermuten, dass er absichtlich auf die gegenüberliegende Seite des Raums marschierte. Jedenfalls folgten alle seinem Blick und sie hatte wieder einmal das Gefühl von ihm abgehängt worden zu sein, wenn zunächst auch nur visuell. »Ein Schüler ist von seinem Vater enttäuscht, einer ist süchtig nach Videospielen, einer wirft sich Pillen ein, einer hat eine alkoholkranke Mutter oder trinkt selbst zu viel, einer muss ständig auf seine kleinen Geschwister aufpassen, einer hat Liebeskummer, einer stopft zu viele Süßigkeiten in sich rein«, begann Dr. Vogt seinen Vortrag. Dabei machte er demonstrativ große Gesten, die Trinken, Essen und Tabletten schlucken imitierten und ihm einige Lacher bescherten. »Wir sind keine Sozialarbeiter, sondern Lehrer – und das aus gutem Grund!«, blaffte Dr. Vogt und verschränkte für einen kurzen Moment demonstrativ die Arme. »Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Schüler das Abitur schaffen und studieren können. Für alles andere sind Familie, Therapeuten und vielleicht auch noch die Kirche zuständig, aber ganz sicher nicht wir! Wir sollten die Schüler, die wirklich etwas erreichen wollen, schützen, indem wir solche wie Fabrice in einer anderen Klasse unterbringen!«, fuhr er lautstark fort.

Schützen? Vor einem sechzehnjährigen Jungen, der sich selbst aus den Augen verloren hatte? Alexandra wusste nicht, wie sie sich gegen diese unangemessenen und lächerlichen Worte wehren sollte.

»Es ist schon auffällig, dass es immer mehr schwierige, nein, sagen wir ›verhaltensoriginelle‹ Schüler gibt. Selbst hier auf dem Gymnasium gibt es genügend Kandidaten, die nicht wirklich schulreif sind, geschweige denn die Voraussetzung für die Hochschulreife besitzen«, meldete sich eine Lehrerin zu Wort.

Ein Großteil der Lehrer nickte und in Sekundenschnelle wurden weitere Namen auffälliger Schüler und typischer Verhaltensweisen in den Raum geworfen. Auf einmal trauten sich alle wieder, etwas zu sagen.

»Ich würde mir wünschen, Wege zu finden, wie ich meine Schüler besser erreichen kann!« Dr. Schuster musste zweimal Anlauf nehmen, bis zumindest ein Teil der Kollegen ihm zuhörte.

»Das liegt am Unterrichtsfach Ethik, werter Kollege«, lästerte Dr. Vogt und erntete dafür einige Lacher, »unsere Schüler sind mehr an praktischen Fragen als an veralteten, theoretischen Inhalten interessiert.«

Wieder lachten einige Kollegen. Auch Alexandra musste grinsen, obwohl ihr Dr. Schuster leid tat. Sie wusste, dass er sich trotz seiner angestaubten Art wirklich für seine Schüler engagierte. Noch bevor sie etwas erwidern und Dr. Schuster verteidigen konnte, fuhr Dr. Vogt fort: »Und vergessen Sie nicht die normative Kraft des Faktischen – Geld wird anders verdient – das wissen die Schüler! Allen voran meine Eliteschüler! Mathe, Gemeinschaftskunde, Wirtschaftsthemen und Informatik sind heute gefragter denn je. Deshalb muss ich mir keine Gedanken darüber machen, wie ich meine Schüler besser erreichen kann! In meinem Unterricht sind alle ruhig, fleißig, interessiert und konzentriert.«

»Weil sie keine andere Wahl haben …«, sagte Alexandra kleinlaut.

»Ich schlage vor, dass Fabrice ab sofort am normalen Unterricht teilnimmt und die Klasse wechselt!« Endlich meldete sich Schulleiter Wilhelm Schmitz zu Wort und beendete die immer lauter werdende Diskussion, die zu entgleiten drohte.

»Frau Siepmann vielleicht finden Sie ja eine Möglichkeit, ihm irgendwie zu helfen. Ich würde es begrüßen, wenn der Junge sich wenigstens wieder am Unterricht beteiligt und nicht allzu viele Fünfen kassiert, wenn das mit dem Parallelstudium schon nichts wird. Oder will sonst jemand den Jungen gerne aufnehmen?«

Bewusst suchte Alexandra den Blickkontakt zu ihren Kollegen, aber auch jetzt schauten die meisten wieder nach unten. Dann würde sie sich eben alleine für Fabrice einsetzen!

»Natürlich kann Fabrice zu mir wechseln, wenn er bei ›Schüler auf der Überholspur‹ nicht mehr erwünscht ist, vorausgesetzt er stimmt dem zu. Meine geschätzten Kollegen sind ja offensichtlich alle überlastet!«, ergänzte Alexandra wütend und stand unvermittelt auf. Der Fuß schmerzte enorm. Sie presste ihre Lippen kurz aufeinander und zog die Stirn in Falten. Nein! Jetzt, war kein guter Zeitpunkt, um Schwäche zu zeigen, ermahnte sie sich. Viel zu oft hatte sie sich durch ihre Harmonie suchende Art schon von den Kollegen einschüchtern lassen. Sie richtete ihren Oberkörper auf, zog ihre Schultern nach hinten, streckte ihren Hals und sagte lauter als man es von ihr gewohnt war: »Wir sollten die Potenziale unserer Schüler fördern, statt sie zu vernichten!«

Schneller als Dr. Vogt etwas entgegnen konnte, verließ Alexandra den Besprechungsraum. Für heute reichte es ihr!

image

Alexandra konnte kaum laufen. Ihr geschwollener Fuß drückte sich schmerzhaft gegen das viel zu harte Leder. Der Schulflur schien heute noch länger zu sein als ohnehin schon. Wieso hatte sie heute wieder zu den Absatzschuhen und dem unbequemen Businessjackett gegriffen? Nur weil Roland der Ansicht war, dass man sich nur mit dieser Art von Kleidung den nötigen Respekt verschaffen konnte? Alexandra ärgerte sich über sich selbst. In Sneakers wäre sie auf der Treppe sicher nicht gestürzt – und mit mehr Bewegungsfreiheit, ohne dieses blöde Jackett, hätte sie vermutlich auch die Hefte besser halten können!

Endlich an ihrem Auto angekommen, ließ Alexandra sich auf den Fahrersitz fallen. Vorsichtig zog sie ihre Schuhe aus und entledigte sich auch gleich der Jacke. Immer noch wütend auf Dr. Vogt, die Kollegen, Finn und sich selbst, warf sie beides mit Nachdruck auf den Rücksitz.

Sie hätte Dr. Vogt viel deutlicher die Meinung sagen sollen. Sie war seine Partnerin in dem Projekt – wie konnte es sein, dass er sie vor allen Kollegen so deutlich angriff? Viel zu oft hatte sie seine angsteinflößenden Methoden, mit denen er die Schüler zu noch mehr Lernen antrieb, mit der Faust in der Tasche beobachtet und nichts gesagt. Und jetzt stellte ausgerechnet er sie an den Pranger? Weil sie einem Schüler helfen wollte? Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Vorsichtig trat Alexandra mit dem rechten Fuß testweise auf das Gaspedal. Keine Chance! Den Motor brauchte sie gar nicht erst zu starten. Mit diesem lädierten Fuß konnte sie unmöglich Auto fahren!

Sie griff nach ihrem Handy und wählte Rolands Nummer. Es dauerte eine Weile, bis ihr Mann sich endlich meldete.

»Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass du mich auf der Arbeit nicht anrufen sollst!«, zischte er ihr ins Ohr.

»Ich weiß«, antwortete Alexandra genervt, »du hast einen wichtigen Posten und arbeitest nicht an der Supermarktkasse«. Diese Sprüche kannte sie in- und auswendig. »Ich würde dich nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre!«

»Ist dir etwas passiert?«, fragte Roland etwas sanfter.

»Kannst du mich an der Schule abholen und ins Krankenhaus fahren? Ich bin auf der Treppe gestürzt und passe in keinen Schuh mehr.«

»Nur der Fuß? Gott sei Dank! Kann dich kein Kollege mitnehmen?« »Roland, bitte!«

»Schon gut. Gib mir zehn Minuten. Aber ich werde dich nur kurz dort absetzen können …«

»… weil du noch ein wichtiges Projekt auf dem Tisch hast … ist schon klar«, sagte Alexandra, fügte aber etwas freundlicher ein »Danke« hinzu.

Es dauerte mehr als eine halbe Stunde bis Roland sie abholte, weil, wie er sagte, noch ein überaus wichtiger Kunde angerufen hatte. Auch jetzt hatte Alexandra das Gefühl, als wäre ihr Mann gedanklich noch im Büro. Die Schilderungen des Handyvorfalls und die Information, dass Dr. Vogt Fabrice hatte fallen lassen, hatten ihm bisher nur wenige Worte entlocken können. Alexandra schaute nachdenklich aus dem Fenster. Eigentlich mochte sie die rot und gelb gefärbten Blätter der Herbstbäume, wenngleich die Sonnenstrahlen, die zwischen den Wolken hervor blitzen, sie heute eher wütend als fröhlich stimmten. Eine große Menge Regen hätte heute viel besser zu ihrer Stimmung gepasst!

»Ich überlege ernsthaft, ob ich aus dem Überholspur-Projekt aussteigen soll«, sagte Alexandra nach einer Weile des Schweigens und drehte das Autoradio leiser. Es hatte sie eine Menge Mut gekostet, das Gespräch erneut darauf zu lenken.

»Auf keinen Fall!«, sagte Roland, »du weißt selbst, dass du als Lehrerin nicht viele Karrierechancen hast.«

»Karriere! Immer dreht sich in deinem Leben alles nur um Karriere«, hauchte Alexandra so leise vor sich hin, dass ihr Mann unbeirrt fortfuhr.

»Das Überholspur-Projekt ist das Vorzeigeprojekt eurer Schule und der ganzen Stadt. Selbst die Wirtschaft nimmt es als wichtiges Bildungsprojekt für die Zukunft des Arbeitsmarktes wahr. Wenn du dem alten Schmitz endlich mal zeigst, wer den Großteil der Arbeit im Hintergrund leistet, kannst du vielleicht sogar seinen Posten als Schulleiter übernehmen, wenn er nächstes Jahr in Rente geht!«

»Schulleiter? Das wollte ich noch nie!«, sagte Alexandra und erschreckte sich selbst ein wenig über Lautstärke und Deutlichkeit ihrer Worte.

»Jeder würde das wollen! Dr. Vogt will es ganz gewiss!«

Alexandra verzog das Gesicht. Warum wusste Roland nach all den gemeinsamen Jahren offensichtlich immer noch nicht, was sie wirklich fühlte? Für einen kurzen Moment überlegte Alexandra, ihn genau das so zu fragen, entschied sich dann aber doch beim Thema Schule zu bleiben. Schlimm genug, dass sie solch unterschiedliche Ansichten hatten, da musste sie nicht auch noch ihre Ehe aufs Spiel setzen!

»Ich habe das Gefühl, dass die Eliteklasse noch zusätzlichen Druck auf alle Schüler ausübt. Irgendwie reduziert es die Schüler nur auf Leistung.«

»Aber darum geht es doch in der Schule und im Leben!«

»Du klingst schon wie Dr. Vogt. Kannst du mir nicht einfach mal in Ruhe zu zuhören?«

»Na gut, dann sag, was du zu sagen hast, ich höre dir zu«, sagte Roland etwas versöhnlicher.

Alexandra atmete hörbar aus. Wie sollte sie nach dieser Auseinandersetzung jetzt noch ihre Argumente in Ruhe hervorbringen? Sie fixierte ihre Hände und bohrte den Fingernagel ihres Daumens in die Spitze des Zeigefingers. Einen Versuch war es wert.

»Ich würde viel lieber etwas tun, das allen Schülern zugutekommt. Das Überholspur-Projekt fördert nur die, die auch ohne unsere Hilfe ein gutes Abi schreiben könnten. Was ist mit dem Rest der knapp tausend Schüler? Was ist mit den vermeintlich Schwächeren? Was tut Schule für die?«

»Schule ist nun mal auf den Fundamenten des Leistungsprinzips aufgebaut! Und das ist auch gut so!«, sagte Roland barsch. »Es macht doch überhaupt keinen Sinn, seine Zeit mit faulen Losern zu verschwenden!«

Alexandra konnte es nicht fassen. War es das, was Roland unter ›in Ruhe zuhören‹ verstand?

»Wer sagt, dass Schüler mit schlechteren Noten, privaten Sorgen oder Konzentrationsproblemen Loser sind?«

»Gib den Jungs Ritalin, wenn sie sich nicht konzentrieren können«, frotzelte Roland.

Alexandra biss sich auf die Unterlippe. Solche und ähnliche Sätze hatte sie schon oft von ihrem Mann gehört. Er hatte wirklich die Empathie eines Dinosauriers.

Roland parkte unmittelbar vor dem Eingang der Notaufnahme.

»Das ist nur für Notfälle«, sagte Alexandra, »hier kannst du nicht stehen bleiben!«

»Du brauchst ein Röntgenbild und ich muss zurück ins Büro – das ist ein Notfall«, sagte Roland und zwinkerte ihr zu. »Steht dir übrigens richtig gut, wenn du so kämpferisch deine Meinung vertrittst«, sagte er und küsste sie zum Abschied.

Alexandra war durcheinander. In zehn Jahren Ehe hatte sie ihre Meinung oft zurück gehalten. Einfach, weil sie keinen Streit mochte. Doch bei dieser heftigen Diskussion eben hatte sie für einen kurzen Moment sogar an ihrer Ehe gezweifelt und befürchtet, dass ihr Streit der Anfang vom Ende ihrer Beziehung sein könnte. Aber Roland sagte stattdessen, dass es ihm gefiel, wenn sie sich so kämpferisch zeigte? Verwirrt humpelte Alexandra zum Eingang des Krankenhauses.

2 Glück ist eine neue Idee

Alexandra

»Nici, du bist ein Schatz!« Alexandra strahlte ihre ehemalige Studienkollegin an.

»Ein zähes Redaktionsmeeting mit ideenlosen Lokalredakteuren oder ein Kaffee mit einer inspirierenden und gebildeten Frau, die ich meine beste Freundin nennen darf – Die Wahl ist mir wirklich leicht gefallen!«

Nici beugte sich zu Alexandra herunter, die auf einer Bank im Eingangsbereich des Krankenhauses saß, und gab ihr ein Küsschen auf die Wange.

»Schön, dass wir uns mal wieder sehen!«

Alexandra lächelte. Von Kaffee trinken hatte sie nichts gesagt, als sie Nici per SMS gebeten hatte, sie im Krankenhaus abzuholen. Aber so war sie schon immer gewesen: spontan, gut gelaunt und immer eine Idee parat, wie sie das Beste aus dem Tag machen konnte. »Einen Kaffee könnte ich wirklich gebrauchen!«, sagte Alexandra, »bei der Gelegenheit können wir ein bisschen Ordnung in mein Kopfchaos bringen.«

»Dann nichts wie los«, sagte Nici, »kannst du laufen oder soll ich einen Rolli holen?«

»Untersteh dich!«

»Mit deinem dicken Fuß und dem Rollstuhl könnten wir uns doch ein paar gut aussehenden Ärzten ›aus Versehen‹ in den Weg schieben.«

»Ist ja zum Glück nur verstaucht – die paar Schritte bis zum Auto schaffe ich schon«, sagte Alexandra und grinste, »wenn du dir einen Oberarzt angeln willst, wirst du dir etwas anderes überlegen müssen!«

»Wer hat gesagt, dass ich so einen zuhause haben will? Ich wollte dir für das stundenlange Warten auf einen Weißkittel nur eine kleine, lustige Revanche verschaffen!«

»Hilf mir lieber, meine Gedanken zu sortieren!«, sagte Alexandra und stand vorsichtig auf.

Nici schaute ihre Freundin mit großen Augen an. »Ist was mit Roland?«

»Nein!« Alexandra zögerte. »Nicht in erster Linie. Eigentlich geht es um einen Schüler und um Dr. Vogt.«

»Hat er wieder einmal die Klassenarbeiten absichtlich auf einen Montag gelegt, damit seine Schüler am Wochenende bloß nicht zu viel Spaß haben können?«

Alexandra schüttelte den Kopf.

»Dieses Mal ist er wirklich zu weit gegangen! Ich überlege ernsthaft, aus dem Überholspur-Projekt auszusteigen.«

Nici schaute Alexandra überrascht an: »Ich werde dir das ganz sicher nicht ausreden!«

Alexandra hatte die Story noch nicht richtig zu Ende erzählt, da macht Nici ihrer Wut schon deutlich Luft: »Dieser Dr. Vogt tickt doch nicht mehr ganz richtig! Wenn du willst, mach ich eine Story draus … Fabrices Vater ist ja kein Unbekannter in unserer kleinen Stadt und ich finde ganz sicher auch irgendeine dunkle Story in Dr. Vogts Vergangenheit … Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: »Überengagierter Lehrer schmeißt privat angeschlagenen Schüler aus der Klasse!«

»Auf keinen Fall! Ich will keinen Kleinkrieg gegen Dr. Vogt anstiften. Ich will einen Weg finden, wie ich Fabrice und vielen anderen Schülern helfen kann.«

»Helfen? Wobei?«

»Ich denke, Schule sollte kein Ort der bloßen Wissensvermittlung sein. Man sieht ja, wohin das führt: Wenn ein Schüler, aus welchen Gründen auch immer, gerade nicht bereit ist, dieses Wissen aufzunehmen, dann wird er ausgegrenzt und abgeschoben. Ich will einen Weg finden, Schüler in allen Lebenslagen zu unterstützen.«

»So dass sie in jeder noch so ausweglos erscheinenden Situation wissen, warum und für wen sie etwas lernen sollten?«

Alexandra fixierte mit ihrem Blick ein paar Jugendliche, die auf der großen Bank vor dem Fenster des Cafés saßen und herumalberten. In Gedanken versunken, zerriss sie dabei einen Bierdeckel in immer kleinere Stücke, bis ein kleiner Haufen Papierbrösel vor ihr lag. Es war wirklich schwerer als gedacht, ihre Überlegungen in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Schon im Krankenhaus hatten sich ihre Gedanken immer wieder im Kreis gedreht und schließlich hatte sie sogar ihr Notizbuch zur Strukturierung ihrer Ideen ausgepackt.

»Nein, es geht nicht darum, dass sie jederzeit fit sind für das Eintrichtern von Informationen in ihren Kopf. Auch wenn sich das manch ein Lehrer in Zeiten von G8 wünschen würde. Ich will nicht, dass sie ihre privaten Sorgen verdrängen, damit sie weiterhin für die Reproduktion von Wissen Bestnoten erhalten.«

»Das hat mich schon zu meiner Schulzeit genervt!«, sagte Nici und griff nach einer blonden Strähne, die sich aus ihrer unkonventionellen Hochsteckfrisur gelöst hatte. Sie drehte die Strähne um ihren Zeigefinger herum und klemmte sie mit einer Haarnadel am Hinterkopf fest, die sie an einer anderen Stelle heraus gezupft hatte. Alexandra lächelte. Nicis Frisur war jetzt noch chaotischer als vorher, aber das hatte ihre beste Freundin noch nie wirklich gestört. Sie selbst hingegen achtete immer darauf, dass ihre braunen halblangen Haare ordentlich frisiert waren.

»Ist das heute immer noch so, dass man für stures Auswendiglernen mehr Punkte bekommt, als für das Erkennen von Zusammenhängen?«, fragte Nici überrascht.

»Klar gibt es das noch! Auch ich kann manchmal nichts dagegen tun. Wenn eine Schülerin bei jedem Vokabeltest eine Eins schreibt, obwohl sie die im Unterricht behandelten Texte inhaltlich nicht richtig erfassen, geschweige denn sich damit strukturiert und kritisch auseinandersetzen kann. Dann ärgert mich das zwar kolossal, aber im Zweifelsfall ist ihre Note besser, als die eines Schülers, der das zwar kann, dem ich aber wegen mangelnder Vokabelkenntnisse keine gute Note geben kann!«

»Dann musst du einen Weg finden wie alle Schüler so gut werden können, dass du ihnen eine Eins geben kannst!«

»Von dem Prinzip der Gleich-machen-wollenden Schule bin ich schon lange nicht mehr überzeugt!«

»Dann willst du die Noten abschaffen? Da stimm ich dafür!«

»Hm. Sicher würde das den Druck, unter dem die Schüler heutzutage stehen, deutlich reduzieren. Eltern, Lehrer und die Schüler selbst glauben doch inzwischen, dass sie ohne ein Einser-Abi nichts mehr im Leben werden können.«

»Höchstens eine kleine Vorstadt-Journalistin«, frotzelte Nici.

»Aber auch das ist nicht das, was ich eigentlich meine … Nicht jeder hat dieselben Begabungen! Nicht jeder kann alles gleich gut lernen, auch wenn er sich noch so anstrengt! Und wenn man mal ehrlich ist – nicht jeder braucht dasselbe Wissen, das er in der Schule vorgekaut bekommen hat, für sein späteres Leben!«

»Du könntest die Fächer abschaffen und nur noch die Begabungen der einzelnen Schüler fördern. Jemand, der Schauspieler oder Musiker werden will, muss ja nicht zwingend gut in Mathe sein!«, schlug Nici vor.

»Und ein angehender Astrophysiker muss nicht unbedingt Spaß an Kunst oder Französisch haben«, ergänzte Alexandra und kicherte.

»Selbst ich als Journalistin hatte keine Lust, das Germanistik-Studium durchzuziehen. Viel zu trocken und angestaubt das Ganze. Vielleicht solltest du die Hochschulausbildung gleich mit revolutionieren.«

Eine Revolution! Typisch Nici. Alexandra dachte noch vage und vorsichtig über kleine Änderungsmöglichkeiten nach – von denen sie nicht einmal wusste, ob sie sich je trauen würde, auch nur eine davon in die Tat umzusetzen und Nici war schon kurz davor, Plakate zu malen, Flyer zu drucken und einen Flashmob zu organisieren.

»Ich hatte nicht vor, gleich das ganze Bildungssystem zu revolutionieren. Eigentlich möchte ich nur, dass Schule wieder ein Ort ist, an dem Schüler gerne sind!«

Nici kicherte: »Na, wenn das keine Revolution ist! Seit hunderten von Jahren geht doch niemand gerne zur Schule – von den paar Strebern in deiner Eliteklasse mal abgesehen.«

»Aber die sind ja auch nur so fleißig, weil sie glauben, dass sie es im Leben nur zu etwas bringen können, wenn sie die Besten in der Schule sind. Die stehen genauso unter Druck wie die meisten Schüler. Mit dem Ergebnis, dass sich immer mehr überlastet und überfordert fühlen. Es kann doch kein Zufall sein, dass die Zahl der ›verhaltensauffälligen‹ Schüler in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist und etliche von ihnen schon unter Depressionen leiden. Schüler, die dem Unterricht nur noch sporadisch folgen oder der Schule fernbleiben, sind ja nur die Spitze des Eisbergs! Manche sind vor lauter Leistungsdruck und Versagensängsten doch gar nicht mehr sie selbst! Ich will nicht wissen wie viele Schüler sich mit irgendwas betäuben, um den Schultag zu überstehen.«

»Du meinst, an eurer Schule werden leistungssteigernde Drogen vertickt? Soll ich das mal recherchieren?«

Alexandra schüttelte den Kopf. »Die gibt's doch an jeder Schule! Alkohol, Drogen, übermäßiges Essen, Computerspiele und Selfie-Wahnsinn… ich glaube, dass das alles irgendwie eine Form von Flucht ist.«

»Flucht? Vor was? Vor der Schule? Vor sich selbst? Vor schlechten Noten?«

»Im schlimmsten Fall von allem ein bisschen. Und genau da würde ich gerne ansetzen. Ich glaube, dass sich immer mehr Schüler alleine, abgehängt und unverstanden fühlen und vielleicht deshalb antriebslos und desinteressiert sind. Ich denke, es ist an der Zeit, Schüler mehr bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, als ihnen nur Wissen vorzukauen, das sie auch bequem im Internet nachlesen können.«

Nici schaute ihre Freundin nachdenklich an. »Wenn ich an meine Schulzeit denke, kommt mir jede langweilige Redaktionssitzung heute wie ein Freudenfest vor!«

»Genau, das meine ich!«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es heute noch so furchtbare Lehrer gibt wie zu meiner Zeit – von dem angsteinflößenden Idioten Dr. Vogt mal abgesehen!«

Alexandra grinste und kam nicht einmal dazu, dem etwas hinzuzufügen. Nici redete sich gerade richtig in Rage.

»Mein Physiklehrer in der Oberstufe zum Beispiel, das war nicht nur ein Korinthenkacker, der war auch ein klassischer Fachidiot: Staubtrocken und didaktisch völlig unbegabt, hat er mit uns jeden Lehrstoff genau so durchgenommen, wie es die Schulordnung vorgeschrieben hat. Ich glaube, der fühlte sich eigentlich zu etwas Höherem berufen als uns Deppen die Logik der physikalischen Gesetze näher zu bringen. ›Was gibt es daran nicht zu verstehen?‹ Ich kann mich noch genau an seinen abfälligen Blick erinnern, wenn sich einer getraut hat, ihn zu fragen, ob er das noch einmal anders erklären könnte.«

Alexandra wusste nicht, ob sie lachen sollte. Eigentlich stimmte es sie eher traurig, dass sie trotz wirklich engagierter junger Kollegen, auch an ihrer jetzigen Schule noch manch einen Tyrannen erkennen konnte, für den Empathie, Verständnis und Wohlwollen Fremdwörter waren. Von dem Kollegen Meyer, dem alten Zyniker, mal ganz abgesehen. »Ich habe einen Kollegen, der sich ständig über seine Schüler lustig macht. In seinen Augen sind sie entweder »faul« oder »blöd« oder »faul und blöd«. Nur bei den hübschen Schülerinnen wäre das nicht ganz so schlimm, meinte er neulich. Die könnte man wenigstens noch gut verheiraten.«

Nici schaute Alexandra entsetzt an: »Da suche ich händeringend nach interessanten Themen für einen Leitartikel und über eure Schule könnte man jeden Tag eine gute Story schreiben!«

»Such du dir lieber woanders deine Headline«, sagte Alexandra und lachte.

image