image

JAN OFF
UNZUCHT

Roman
Überarbeitete Neuauflage

image

Jan Off, geb. im Jahre des Herrn 1967 in

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz, 2009

1. Auflage der Überarbeitung November 2018

Lektorat: Ingo Rüdiger

Ventil Verlag
Boppstraße 25, 55118 Mainz

»I don’t give a damn for my reputation!«

Joan Jett

»I don’t give a fuck! I dont’t give a shit!

Fuck! Shit! Fuck! Shit!«

Peaches

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

I

Der Strahl, der in kurzen Intervallen auf den Kiesweg trifft, ist überraschend durchsichtig, das Fleisch ihrer Schenkel viel zu weiß angesichts der Tatsache, dass der Sommer nicht erst gestern begonnen hat. Ich sehe ihr zu, verfolge das Schauspiel mit starrem Blick, wohl wissend, dass Offenbarungen dieser Art viel zu selten vorkommen, und ziehe wie blöd an meiner Kippe.

Sie hockt da, keine zwei Meter von mir entfernt, den Rock über die Hüften, den Slip den entscheidenden Zentimeter zur Seite geschoben. Und während der Inhalt ihrer Blase aus ihr herausströmt, sieht sie mich unverwandt an, wobei ihre Lippen von einem Lächeln umspielt werden, das ebenso unschuldig wie aufreizend wirkt. Und genau diese Mischung ist es, die mich schwach werden lässt, dieser Sprengsatz aus Hilflosigkeit und Verheißung. Noch bevor sie sich wieder erhoben hat, bin ich bei ihr, gehe ebenfalls in die Hocke und lasse meine rechte Hand aus geringer Entfernung von den letzten Tropfen benetzen. Als ich ihr dann zwischen die Beine greife, ist es für meine Finger ein Leichtes, in ihre Spalte zu schlüpfen.

»Komm, fick mich«, flüstert sie, bevor sie mein Gesicht in beide Hände nimmt und anfängt, mich zu küssen.

Aber so geil ich auch bin, aufs Vögeln werden wir verzichten müssen. Ich habe mir zwölf Stunden lang Bier und Schnaps in den Hals gegossen, kann also das Risiko nicht ausschließen, dass sich mein Schwanz nur bedingt bis gar nicht mit Blut füllen wird. Den Zustand rauschbedingter Selbstüberschätzung, in dem derlei Sorgen keine Rolle spielen, habe ich bereits weit hinter mir gelassen. Dafür bin ich wieder bei Bewusstsein, was zwischenzeitlich nicht immer der Fall gewesen sein mag. Daran, wie wir hierher geraten sind, fehlt mir zum Beispiel jede Erinnerung.

Ich war mit Freunden unterwegs gewesen, sie ebenfalls, und in irgendeinem Club waren wir dann aufeinandergetroffen, hatten getanzt, und da hatte das mit dem Küssen wohl angefangen. Im fahlen Licht der Morgendämmerung waren wir schließlich in diesem Park gelandet, hatten uns auf einer Bank breitgemacht und uns eine Flasche Bier geteilt, die einer von uns beiden an den Türstehern vorbeigeschmuggelt haben musste.

»Warte, ich geh mal pissen«, hatte sie irgendwann gesagt, und ich hatte halb im Scherz entgegnet, dass sie mich zusehen lassen sollte.

Das feuchte, geschwollene Fleisch, der Schmierfilm, die Wärme, die Beschleunigung ihres Atems – ungeachtet der Erkenntnis, dass die Lust, die mein Hirn beherrscht wie ein Tumor, keine körperliche Befriedigung finden wird, können meine Hände nicht damit aufhören, sich kundig zu machen. Ich muss das hier ohnehin zu Ende bringen, muss zusehen, dass ich aus der Geschichte halbwegs ansehnlich herauskomme. Also verändere ich den Druck, verändere die Geschwindigkeit, versuche um jeden Preis Wirkung zu erzeugen. Und dann stöhnt sie plötzlich laut auf, und dieses Geräusch lässt aus der trüben Suppe, die in meinem Denkapparat nach wie vor herumschwappt, einen Brocken Information an die Oberfläche steigen, der sich besser in den Grund gekrallt hätte: Das Mädchen, das sich da gerade an den Fertigkeiten meiner Finger erfreut, hat einen Freund, einen Freund, der dummerweise auch mein Freund ist.

Jonas. Jonas und Rike. Ihn kenne ich aus einer Zeit, in der der Begriff Zukunft noch keinerlei Bedeutung besaß, sie seit dem Tag, an dem er sie mir vorgestellt hat, seit ungefähr fünf Jahren also – und genauso lange begehre ich sie auch. Ein stilles Verlangen, immer wieder beiseite gedrückt von der Unmöglichkeit, die Folgen eines derartigen Verrats ohne bitteren Beigeschmack zu ertragen. Und auch jetzt will das Über-Ich sein Schandmaul nicht halten, flüstert mir mit belegter Stimme Verhaltensregeln ins aufgepeitschte Hirn. Also löse ich mich von ihr, bringe mein Gesicht aus der Reichweite ihres Mundes.

»Ich muss nach Hause. Meine Freundin …«

Sie sieht mich eindringlich an.

»Das meinst du nicht ernst, oder?!«

»Ich bin ohnehin zu breit für was Sinnstiftendes.«

»Okay.« Sie erhebt sich überraschend leichtfüßig und beginnt, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen.

Ich kauere noch immer am Boden, nun aber mit einem Gefühl, das dem eines besiegten Faustkämpfers gleichkommt. Gier und Übermut sind der Scham gewichen. Und ein Zurück gibt es nicht mehr. Rikes Gesichtsausdruck verrät allzu deutlich, dass sie für weitere Mätzchen nicht zu haben ist.

»Na, dann los. Lass uns abhau’n«, sagt sie und hat bereits eine Kippe in der nichts als Herablassung signalisierenden Madonnenschnute.

Ein Stück des Heimwegs müssen wir uns teilen, und ich will das schon als zusätzliche Prüfung begreifen, aber dann sagt sie etwas, das mich die Niederlage in einem ganz anderen Licht sehen lässt.

»Hör mal, ich bin mit Jonas jetzt fünf Jahre zusammen. Da läuft sexuell nicht mehr viel. Jedenfalls nichts Spannendes. Es würde einfach albern wirken, wenn er mich fesseln würde, oder irgendwas in der Art.«

»Ja, und?«

Sie lacht.

»Du hast keine Ahnung, worauf ich hinauswill, oder?«

»Doch«, sage ich, weil mir bereits dämmert, welchen Köder sie mir gleich ins Fangeisen schmeißen wird.

Als sich unsere Wege trennen, habe ich nicht nur die Nummer ihres Ateliers in der Tasche, sondern auch das Versprechen abgegeben, mich so schnell wie möglich bei ihr zu melden.

Zu Hause angekommen, robbe ich an den warmen Arsch meiner Freundin und verabreiche mir die nötige Überdosis Schlaf. Aber das heilsame Vergessen währt gerade mal bis zum Aufwachen. Noch bevor ich mir die erste Kippe angesteckt habe, drängt sich bereits die Erkenntnis in mein Bewusstsein, dass irgendwo in meinen Klamotten ein verheißungsvoller Zettel steckt.

Die nächsten zwei Nächte schlafe ich schlecht bis gar nicht. Wieder und wieder läuft das, was im Park geschehen ist, auf meiner inneren Leinwand ab. Wieder und wieder male ich mir aus, was sonst noch möglich wäre. Und irgendwann ist klar: Ich muss da anrufen.

»Wir treffen uns am Zoo«, sagt Rike. Und ich weiß, dass ich meiner Freundin gleich eine Lüge auftischen werde.

Zum verabredeten Zeitpunkt ist sie tatsächlich da, sieht mit ihren Dreadlocks, dem kurzen Rock und den Armeestiefeln nicht minder überirdisch aus, als in jeder der ungezählten Rollen, die ihr mein persönlicher Pornoproduzent in den letzten Tagen zugewiesen hat.

Wir fahren raus aus der Stadt und ich rede mich um Kopf und Kragen, will ihr wortreich klarmachen, dass das, was wir vorhaben, niemals, noch nicht mal ansatzweise stattfinden darf, fasele von Freundschaft und anderen moralischen Verpflichtungen und weiß doch, dass sie mich nur berühren muss, um jeden meiner Sätze als gequirlte Scheiße zu entlarven.

Seltsamerweise versucht sie nicht, mir zu widersprechen.

»Fahr da rein«, sagt sie stattdessen, als mir endgültig nichts mehr einfällt, und zeigt auf einen Waldweg rechts vor uns.

»Hör mal, wir sollten …«, versuche ich ein letztes Mal zu protestieren, nachdem ich den Wagen von der Straße gesteuert und nach circa zweihundert Metern zum Stehen gebracht habe. Aber sie legt mir einen Finger auf die Lippen und bringt mich zum Schweigen.

Und dann ist sie draußen, läuft nach vorn zur Motorhaube, dreht sich zu mir und lässt den Saum ihres Rocks langsam in Richtung Bauchnabel wandern. Dass sie kein Höschen trägt, hatte ich fast erwartet, dennoch melkt mir der Anblick ihres bloßen Geschlechts augenblicklich die Hirnschale leer. Vollständig rasiert bietet es sich dar, unschuldig und vulgär zugleich. Ich versuche ihren Gesichtsausdruck zu deuten, will herausfinden, was sie jetzt von mir erwartet. Aber ihre Lider sind so weit geschlossen, dass ich ihre Pupillen nicht erkennen kann. Zum Glück hält die Irritation nicht lange vor, denn plötzlich dreht sie sich um, stützt sich mit beiden Händen auf dem Blech ab und schiebt ihren Hintern so weit nach oben, dass sie bequem die Beine anwinkeln kann. Zeit, ebenfalls auszusteigen.

Mit ein paar Schritten bin ich bei ihr, lege ihr die Hände auf die Unterschenkel, in Gedanken schon bei ihren Schamlippen, ihrem flachen Bauch, ihren Brüsten. Aber sie will noch nicht berührt werden.

»Warte«, sagt sie.

Also trete ich einen Schritt zurück, während sie langsam zu masturbieren beginnt. Es ist eher die Peepshow-Nummer, sicher nicht das Programm, das sie sich gönnt, wenn sie mit sich allein ist. Trotzdem ist es intim genug, um diesen Moment mit etwas Heiligem aufzuladen – eine Privatvorstellung; eine Gottesgabe; eine Gnade, für die nicht Wenige ihren Monatslohn hergeben würden. Und, hell yeah, ich habe noch nicht mal darum gebeten.

Während ich den willigen Spanner gebe, drängt meine Erektion unablässig gegen den rauen Stoff meiner Jeans, bis ich gar nicht mehr anders kann, als Knopf und Reißverschluss zu öffnen und meinen Schwanz herauszuzerren. Das Wichsen lindert den durch das Verlangen hervorgerufenen Schmerz, während das Verlangen selbst eine beinahe schmerzhafte Steigerung erfährt. Dennoch koste ich es aus, bewege die Rechte mal schneller, mal langsamer, während mein Langzeitgedächtnis damit beschäftigt ist, das, was ich sehe, unter der Rubrik für stille Abende im Seniorenstift abzuheften. Rike, die irgendwann den Kopf hebt, fixiert mich ebenfalls. Und so geilen wir uns gegenseitig auf, geben der Gier auf den anderen die jeweilige Bühne. Der Wunsch, sie zu vögeln, wird übermächtig, aber noch muss ich mich beherrschen. Denn bei all ihrer Bereitschaft zur Hingabe scheint das hier auch ein Kampf, mindestens eine Prüfung zu sein. Mein Instinkt sagt mir, dass es ein unverzeihlicher Fehler wäre, irgendetwas an der Situation zu verändern. Schwäche ist definitiv nicht das, was hier von mir erwartet wird. Vielmehr muss ich es so aussehen lassen, als ob ich jederzeit in der Lage wäre, mich kurzerhand umzudrehen und mir im Weggehen eine Kippe anzustecken.

Es ist dann tatsächlich Rike, die das Patt auflöst. Sie gleitet vom Blech, tritt an mich heran und fordert mit leicht geöffneten Lippen einen Kuss ein, während sich ihre linke Hand unter meine Hoden schiebt, als ob sie deren Gewicht prüfen wolle. Ich würde sie lieber sofort ficken, aber jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei, dass sie mir vorher einen bläst. Denn Rike ist ein modernes Mädchen und will das auch zeigen.

Immerhin bietet auch die Führerperspektive was fürs Auge: Rikes fein geschnittenes Gesicht verleiht meinem Schwanz etwas Bösartiges. Ich greife ihr in die Haare, habe dabei aber weder die Absicht, ihren Rhythmus zu verändern, noch ihren Kopf näher heranzuziehen. Ich will einfach nur einen leichten Schmerz erzeugen. Müßig darüber nachzudenken, ob gerade dieser Impuls dafür verantwortlich ist, dass sie plötzlich den Blick hebt. Als sie mich ansieht, ist da jedenfalls nichts Echtes mehr in ihren Augen, und ich muss unweigerlich an eine Frau denken, mit der ich ein paar Jahre zuvor zu tun hatte. Dieser einstudierte Gesichtsausdruck; dieses Kuhäugige; das komplette Wegblenden der eigenen Persönlichkeit; der Ingrid-Steeger-Schmollmund des aktuellen Jahrzehnts, abgekupfert aus den Videocharts irgendeines Musikkanals. Ich sehe Sequenzen aus schlüpfrigen Siebzigerjahre-Streifen, sehe fleischfarbene Unterwäsche, sehe alte Quelle-Kataloge vor mir, während diese nervtötende Stimme aus meiner Vergangenheit in einer Tour komm mach’s mir, Baby greint. Und dann schiebt sich mit einem Mal Jonas’ Gesicht hinter meine Pupillen, und ich weiß, dass das hier nicht funktionieren wird. Ich ziehe meinen Schwanz aus Rikes Mund, verstaue ihn wieder in der Hose und greife dann tatsächlich nach einer Kippe.

Die Rückfahrt dehnt sich ins Unendliche; eine zermürbende Patrouille durch den feindlichen Stacheldrahtverhau. Zu sagen gibt es nichts mehr. Rike bläst ihre Verachtung in lang gezogenen Schwaden gegen die Windschutzscheibe, will nur noch nach Hause, meine Existenz am liebsten vergessen. Ich lasse immer mal wieder Verlegenheit aufblitzen und muss dafür noch nicht mal Schauspieltalent aufbieten. Hauptsächlich aber halte ich an der lachhaften Tarnung als konzentrierter Fahrer fest. Wieder beim Zoo, als sie endlich aussteigen darf, ist nichts mehr übrig, jeder Regler zurückgefahren. Es reicht noch nicht mal mehr für ein Knallen der Tür.

Mir bleiben ein halbseidenes Gefühl moralischer Unbescholtenheit und eine anhaltende Unruhe. Längst vergessen geglaubte Bilder tauchen auf, beherrschen meinen Alltag, beherrschen die allabendlichen Stunden der Zweisamkeit, stetig gefüttert von der Macht der Möglichkeiten.

Keine drei Wochen später habe ich meine Freundin verlassen.

II

Mein Verleger macht Druck, nervt mit wöchentlichen Anrufen und E-Mails, die ihrerseits mit abgehangenen Lügen von Ruhm und Reichtum nerven. Dreihundert Seiten, am besten bis vorgestern. Aber Schreiben ist ein Job für Lebensverweigerer, ist Weltflucht und Maulheldentum. Was ich brauche, ist Zerstreuung, ist die Verschwendung meiner selbst, also zigeunere ich nächtelang durch den öffentlichen Raum, schalte auf Autopilot, meist mit vernebeltem Bewusstsein. Zwischendurch hänge ich stundenlang vorm TV, bereite der Langeweile ein Festmahl, zelebriere die wiedergewonnene Entscheidungshoheit.

Wenn ich kein Mädchen kennenlerne, erscheinen mir die Streifzüge durch die immergleichen Clubs umsonst und sinnentleert. Und so bin ich auch um sechs Uhr morgens noch im Bereitschaftsdienst, darauf geeicht, mir aus den Restposten ein Schnäppchen herauszupicken. Wenn ich Kokain dabeihabe, schlüpfe ich bereitwillig in die Rolle des Spendieronkels. Die Beute ist entsprechend. Geschlechtsverkehr (so er denn überhaupt stattfindet) eher eine Frage des Anstands als der Lust. Krampf und Versagen, psychische Probleme, konsequentes Aneinandervorbeireden, wiedergekäute Lebensgeschichten, drogengesteuerte Hysterie. Nach dem Erwachen regelmäßig ein Grauschleier auf dem unappetitlichen Reiskorn namens Seele.

Ein paar Unentwegte suchen dennoch Kontakt, fordern ein Wiedersehen ein. Ich verweigere mich selten, nehme auch das mit, sammle die Briefe, die Mails und die Mixtapes wie der Star, der ich gern wäre. Mir zugedachte Fotos klebe ich, so sie halbwegs ansehnlich sind, an die Tapete, um zukünftigen Eroberungen von vornherein klarzumachen, dass Monogamie woanders zelebriert wird. Die, die wiederkommen, sind denn auch entsprechend abgebrüht, genauer: schon so durchgeknallt, dass sie die Außenwelt nur noch eingeschränkt zur Kenntnis nehmen. Unangefochtene Spitzenreiterin in dieser Liga ist eine Psychologiestudentin namens Nadine, die sich, bevor sie das Haus verlässt, regelmäßig mit Psyllos und Hartalk abfüllt.

Der Sex mit ihr war schon während unserer ersten Begegnung erbärmlich und ist mit zunehmender Häufigkeit nicht besser geworden. Zwar dauert es normalerweise keine fünf Minuten, bis sie ausgezogen auf meinem Bett liegt, dann aber sinkt ihre Bereitschaft sich zu bewegen schlagartig gegen Null. Leblos wie ein Molch, der in einen Kübel mit Eiswasser geworfen wurde, klebt sie auf den Laken und stiert verpeilt an die Zimmerdecke. Wenn ich sie ficke, deutet nichts darauf hin, dass sie daran auch nur einen Hauch von Freude empfindet, und es wundert mich jedes Mal, dass sie zwischendurch nicht einfach die Glotze anwirft oder anfängt, sich in aller Seelenruhe die Fingernägel abzukauen. Sie bleibt so stumm wie ein Mossad-Agent, der sich den Foltermethoden eines Anfängers gegenübersieht, und lässt noch nicht mal die Vorstufe eines Orgasmus erkennen, auch nicht, als ich sie irgendwann dazu überreden kann, es sich während einer unserer sinnentleerten Nummern mit den Fingern zu machen.

Im krassen Gegensatz zur Trostlosigkeit dieser Zusammenkünfte steht die Beharrlichkeit, mit der sie mich aufsucht. Zumeist trifft sie in den frühen Morgenstunden bei mir ein und klingelt so lange Sturm, bis ich den Türöffner betätige. Eine Zeit lang probiere ich es mit Ausflüchten, behaupte, ich sei am Arbeiten oder hätte schon geschlafen. Aber sie quengelt jedes Mal so lange und so lautstark im Treppenhaus herum (Komm. Nur fünf Minuten. Nur auf ’ne Kippe. Ich hab mir extra ’n Taxi genommen. Außerdem geht’s mir heute nicht gut. Ich hatte ganz komische Träume gestern Nacht …), bis ich sie entnervt hereinbitte. Aus einem widersinnigen Ehrgeiz heraus hänge ich mich beim anschließenden Sex richtig rein. Aber wenn ich ihr dann auf den kalten, abweisenden Kabeljau-Bauch gespritzt habe, ohne dass sie bis dahin auch nur eine Regung gezeigt hätte, ist der sportliche Antrieb wieder verflogen. Zum Glück schläft sie danach ziemlich schnell ein. Dafür braucht es nach dem Aufwachen wieder einiges an Energie, bis ich sie endlich aus der Wohnung bugsiert habe. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, geschieht es nicht selten, dass ich das Haus unter irgendeinem Vorwand mit ihr gemeinsam verlasse, mich an der erstbesten Kreuzung wie ein Strauchdieb verabschiede und auf Umwegen in mein leeres Bett zurückschleiche.

Da Nadine zwar mit Abstand die Nervigste, aber bei weitem nicht die Einzige ist, die mir zwischenzeitlich nachstellt, ergreift schon bald eine gesunde Paranoia von mir Besitz. Der Genuss an den eigenen vier Wänden hat gewaltig nachgelassen und so bin ich fortan noch häufiger auf Achse. (Wer hat schon Lust, nächtelang bei ausgeschaltetem Licht durch die eigene Buchte zu huschen?) Nadine entkomme ich dadurch allerdings nur phasenweise. Denn auch sie ist regelmäßig auf Tour, und es erfordert schon einiges an Wachsamkeit, ihr nicht über den Weg zu laufen. Hat sie mich irgendwo aufgespürt, lässt sie sich kaum noch vertreiben. Entweder drängt sie sich direkt in die Gespräche, die ich führe, indem sie sich unaufgefordert an mich presst, mir Nonsens ins Ohr flüstert und die Umstehenden dadurch irritiert, dass sie sich mit einem Kuli kryptische Zeichen auf die Unterarme malt. Oder sie bezieht irgendwo in der Nähe des Ausgangs Posten, um sich an meine Fersen zu heften, sobald es mich in den nächsten Laden oder sonst wohin treibt.

Als ich bei einer dieser Gelegenheiten versuche, mit einer anderen Frau an ihr vorbeizukommen, bricht der Irrsinn vollends aus ihr heraus.

»Was willst du mit dieser gottverdammten Fotze, du mieser Schwanzlutscher?!«, brüllt sie mich an, während sie beinahe zeitgleich meiner Begleiterin das rechte Knie in die Magengrube stößt.

Als die daraufhin stöhnend zusammenknickt, habe ich meine liebe Mühe, Nadine davon abzuhalten, ihrem wehrlosen Opfer nicht auch noch gegen den Schädel zu treten. Dabei kann ich es nicht verhindern, dass sie mir mehrmals die Fingernägel durchs Gesicht zieht. Aber nach einigen Wortwechseln und zwei schnellen Nasen Kokain auf dem Klo ist es dann tatsächlich wieder Nadine, die ich mit nach Hause nehme.

Ein gutes Leben sieht anders aus. Und in einigen wenigen Momenten dämmert mir das auch – nicht mehr lange, und ich fange selber an, mir kryptische Zeichen auf die Arme zu malen. Trotzdem komme ich nicht raus aus der selbstgebauten Tretmühle. Immerhin bin ich irgendwann so klug, meine Ausflüge in Amüsierbetriebe zu verlagern, die mit der Welt, in der ich mich normalerweise bewege, nur wenig zu tun haben. In einem dieser Etablissements, einem R’n’B-Schuppen mit nicht unbedingt avantgardistisch zu nennender Klientel, entdecke ich eine Schickse, die einen derart dümmlich-blasierten Gesichtsausdruck zur Schau stellt, dass ich gar nicht anders kann, als sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Zu meiner Überraschung ziert sie sich nicht eine Sekunde, kritzelt die verlangten Zahlen anstandslos auf einen Bierdeckel.

Noch während ich die leicht durchnässte Pappe mit einem Lächeln in der Hosentasche verschwinden lasse, weiß ich bereits, wie ich sie ins Bett bekommen kann. Ich werde sie ins Spielcasino mitnehmen, sie dort einen Teil meiner Kohle verzocken lassen und danach eine dieser albernen mexikanischen Cocktailbars ansteuern, die die Oberfläche der City mittlerweile beherrschen wie eine ausgewachsene Schuppenflechte. Den anschließenden Sex sehe ich ebenfalls vor mir: langweilig und borniert wie der Grill-Nachmittag eines anthroposophischen Lehrer-Kollegiums.

Keine fünf Minuten später werde ich ausnahmsweise selbst mal angequatscht, und zwar von einer Frau in meinem Alter (maximal zwei oder drei Jahre jünger), deren legere Klamotten darauf hindeuten, dass sie hier ebenfalls eher selten verkehrt. Sie trägt einen unvorteilhaften Kurzhaarschnitt und albert im Kreis zweier Freundinnen überdreht mit einer Kamera herum.

Ob sie ein Foto von mir machen könne, möchte sie wissen, während ich – eingekeilt von anderen Wartenden – neben ihr an der Theke stehe und vergeblich versuche, einen Drink zu bestellen.

»Klar. Immer gerne«, gebe ich zur Antwort und setze eine Miene auf, die mich möglichst abweisend erscheinen lassen soll.

Sie drückt auf den Auslöser und lacht.

»Lächeln gehört wohl nicht zu deinem Repertoire.«

»Lächeln ist für Sieger«, entgegne ich, und empfinde richtiggehend Genuss an der Peinlichkeit dieser aufgesetzten Aussage.

»Na, vielleicht kann dir ja das Foto ein Schmunzeln entlocken. Wenn du ’nen Abzug haben möchtest, geb ich dir meine Nummer.«

Da mir in diesem Moment endlich die Aufmerksamkeit der Bedienung zuteilwird, verlange ich einen Kugelschreiber zum Campari, hole den Bierdeckel hervor und reiche beides an die Fotografin weiter.

Ich weiß, dass ich sie nicht anrufen werde. Aber warum unhöflich sein …

Am übernächsten Abend ist der Zeitpunkt gekommen, sich mit der Dümmlich-Blasierten in Verbindung zu setzen. Zu langes Warten bringt nichts ein, höchstens unerfreuliche Gedächtnisverluste der Gegenseite. Ich mache es mir auf dem Bett gemütlich, öffne eine Dose Wolters und studiere den Bierfilz: zwei Nummern, eine ohne, eine mit Namen – Vera. Hieß sie so? Ich versuche mich zu erinnern, bin mir irgendwann immerhin sicher, dass ich die entsprechende Frage gestellt und auch eine Antwort erhalten habe, aber damit endet die Bild- und Tonspur bereits; die üblichen Aufzeichnungslücken einer durchsoffenen Nacht.

Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich für die Nummer ohne Zusatz. So selbstgefällig, wie sie auf mich gewirkt hat, ist die Braut wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich mir ihren Namen bis ans Ende aller Tage merken würde.

Vier Sekunden später weiß ich, dass ich mir meine wohlfeilen Überlegungen hätte sparen können. Ich habe die Stimme der Fotografin im Ohr. Das freundliche Ja, hallo? klingt dermaßen munter und aufgekratzt, dass gar kein Zweifel möglich ist. Ich will schon auflegen, einfach so tun, als hätte ich mich verwählt (und letztendlich habe ich das ja auch), aber dann gewinnen Neugier und Spieltrieb die Oberhand. Die Frage, inwieweit es möglich ist, dieser nahezu unbekannten Frau einen Happen Innenleben, also ein paar Auskünfte in Richtung gefühlsecht zu entlocken, übt mit einem Mal einen unwiderstehlichen Reiz aus. Ein Versuch sollte drin sein. Aus der Affäre ziehen kann ich mich immer noch.

»Ich habe darüber nachgedacht, was ich für dieses Foto verlangen soll«, beginne ich.

»Welches Foto?« Sie sagt das zögerlich, lässt eine Spur Nervosität erkennen. Offenkundig besitzt sie nicht den Hauch einer Ahnung, wer ich bin.

»Das, das du von mir im Velvet gemacht hast.«

»Ach, du bist das.« Die Erleichterung ist ihr deutlich anzumerken. »Ich dachte schon, ich hätte irgend’nen Freak in der Leitung.«

»Ist es fertig?«

»Was?«

»Das Bild.«

»Nein, noch nicht.«

»Umso besser.«

»Hey, das meinst du nicht ernst, dass du was dafür haben willst, oder?! Normalerweise werde ich für meine Fotos bezahlt.«

»Nein, war nur Spaß. Um ehrlich zu sein, ist mir das Foto scheißegal.«

»Oh.« Sie klingt amüsiert. »Und warum rufst du dann an?«

»Ich habe die Nummer verwechselt.«

»Ach, nee.« Das Spöttische in ihrer Stimme hat zugenommen. Wahrscheinlich hält sie meinen letzten Satz für eine Lüge, einen albernen Vorwand, um die vermeintliche Gier zu verschleiern, mit der ich schon seit zwei Tagen darauf brenne, sie wiederzusehen.

Zeit, ihr ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

»Ich habe an dem Abend noch ’n anderes Mädchen kennengelernt.«

»Und die wolltest du eigentlich anrufen, oder was?!« Treffer. Sie ist dabei, wütend zu werden.

»Genau.«

»Dann mach das doch.«

»Keine Lust mehr.«

Kurzes Schweigen, dann ist sie wieder da; ein bisschen versöhnlicher jetzt: »Versteh ich nicht.«

»Ich auch nicht. Aber ich weiß, dass ich jetzt mit dir reden möchte.«

»Und worüber?«

»Über dich.«

»Aha … Dann fang mal an.«

»Bist du allein? In deiner Wohnung, mein ich.«

»Ja.«

»Hast du was zu trinken im Haus?«

Sie lacht: »Ja. Ich hab mir grad ’ne Flasche Wein aufgemacht.«

»Roten oder Weißen?«

»Roten.«

»Trinkst du lieber für dich oder in Gesellschaft?«

»Okay, hör auf.« Sie lacht wieder. »Du kannst vorbeikommen, wenn du Lust hast.«

Ich lasse mir ihre Adresse geben, trinke mein Bier aus und mache mich auf den Weg. Zwischendurch steuere ich einen Kiosk an und nehme zwei Flaschen Rotwein mit. Sicher ist sicher.

III