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Martin Büsser

If the kids are united …

Von Punk zu Hardcore
und zurück

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Martin Büsser wurde 1968 geboren und hat sich in seiner Arbeit als Journalist, Autor, Verleger und Musiker zu keiner Zeit zu Kompromissen hinreißen lassen. Bereits in den 1980er-Jahren schrieb er für das Hardcore-Fanzine Zap, brachte dort entgegen den redaktionellen Interessen Artikel über u. a. John Cage, Heiner Goebbels oder Magma unter, und setzte sich am gleichen Ort kritisch mit der Hardcore-Szene auseinander. Die Konsequenz war 1995 die Gründung der testcard sowie 1999 die des Ventil Verlags, beides Orte, die seinen vielseitigen Interessen Raum ließen. Er schrieb nicht nur über Musik sondern auch über Literatur, Comic, Film, Kunst, Queere Theorie und Politik. Oftmals über alles gleichzeitig. Daneben entstanden eigene literarische Arbeiten, Comics, Bilder sowie Tonträger mit seiner Band Pechsaftha. Martin Büsser starb im Herbst 2010.

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 1995

Alle Rechte vorbehalten.

print-ISBN 978-3-930559-48-0

e-ISBN 978-3-955756-03-1

Cover: Oliver Schmitt unter Verwendung eines Fotos von Anne Ullrich

Ventil Verlag

Boppstraße 25, 55118 Mainz

www.ventil-verlag.de

Inhalt

Vorweg

Erster Teil

Einleitung

Von Punk zu Hardcore. Eine verwaschene Geschichte zum Geleit

Fuck fashion. Zu den Klamotten gleich am Anfang

Middle Class Fantasies

Hardcore und Metal

Der Weg ins Uferlose. Zum Beispiel SST-Records

Turning Krach into money. Zweites Beispiel: Earache Records

The Sound Of Independence

Punk: der Fehler im System

Hardcore, die Verwaltung des Chaos

Melodiecore

Von Hard zu Hate: Die Simulation der Gewalt

Jazzcore und der ganze Rest

Break: Interview mit Vic Bondi

Zweiter Teil

Hardcore – das rückerlangte Spießertum? Eine Art Chronik

1987–1990. Vom Neubeginn bis zum Zusammenbruch

Deutschland brennt, Hardcore pennt

Nachwort zur dritten Auflage

Punk-Revival, Chaostage und Punk im TV

Punk vs. Techno. Oder: Wie funktioniert Subkultur?

Alles ist Punkrock!

Anmerkungen

Literatur

Diskographie

Vorweg

Über das Buch

Obwohl hier kein Backstein in der Hand liegt und das Buch also punkgerecht als Wurfgeschoß völlig ungeeignet ist, bemühte sich der Autor doch, in geraffter Form die komplette Geschichte von Punk und Hardcore bis heute nachzuzeichnen. Trotz zahlreicher Lücken [versteht sich] liegt damit erstmals eine Chronik vor, die Punk und Hardcore in ihrer ganzen, spätestens heute durch die MTV-Vereinnahmung offensichtlich werdenden Widersprüchlichkeit von Anarchie und Teilnahme analysiert. Wer ist dafür verantwortlich, daß sich die wohl radikalste Protestkultur der Nachkriegszeit zum ›common sense‹ gegenwärtiger Popästhetik entwickelt hat und also aller Radikalität beraubt wurde? – Malcolm McLaren? THE EXPLOITED? Billy Idol? NIRVANA? Sony Music? Die immer professioneller gewordenen Fanzines? Die Entpolitisierung der Bewegung durch Bands wie BAD RELIGION? Die TOTEN HOSEN? Das ›Ende des Kommunismus‹? Die ›Krise der Linken‹? Das ›Verschwinden des Subjekts‹?

Wie auch immer: In diesem Buch gibt es weder Schuldzuweisungen noch ›Good times‹-Nostalgie. Andererseits handelt es sich aber auch nicht um einen nüchternen, rein deskriptiven Bericht. Der Autor, der ›seiner‹ Szene über mehr als ein Jahrzehnt angehörte, berichtet mit Anteilnahme, aber inzwischen gewonnener Distanz, wie und warum alles so kommen mußte, wie es nun gekommen ist. »If the kids are united« ist damit Selbstzeugnis, Chronik, Zitatensammlung, wissenschaftliche Analyse, Abgesang und Liebesbeweis zugleich.

Dank

Dank geht an alle, die mir Texte und Ideen beisteuerten oder durch ihre Veröffentlichungen Vorarbeit geleistet haben, insbesondere an Thomas Lau, Michael Arndt, Fredi Laaser / AJZ Bielefeld, Jochen Kleinhenz, Johannes Ullmaier und Michael Fichert, aber auch an alle im Laufe der Jahre interviewten Musikerinnen und Musiker. Nicht näher gekennzeichnete Zitate stammen aus eigenen Interviews. Für dieses Buch habe ich – sofern noch vorhanden – die alten Interviewbänder neu abgehört, da vieles im Rückblick eine ganz andere Note erhält. Diese Methode hat sich als besser erwiesen, da die Zeitschriftentexte je nach gerade herrschender Stimmung gefärbt gewesen sind. Natürlich setzt sich auch dieser Text aus einem Puzzle subjektiver Empfindungen zusammen, doch während des Schreibens stellte sich mehr und mehr heraus, daß sich bei mir schon eine gewisse Distanz zur Sache entwickelt hatte. Das macht vielleicht auch die ›Wissenschaftlichkeit‹ der Sprache aus, für die ich mich entschuldige, denn sie ist, zugegeben, alles andere als Punk. Doch sie hilft vielleicht auch, Außenstehenden begreiflich zu machen, welches Fieber uns im Laufe der Achtziger gepackt und durch die Jahre getrieben hatte.

Außerdem

Dies hier ist ein Buch, kein Fanzine. Das heißt nicht, daß ich mir den Anstrich des Seriösen geben möchte – über Punk kann man nicht rein akademisch schreiben, ohne der Sache zu schaden. Es ist der Versuch, die Phänomene an sich zu fassen und historisch zu bewerten. Es ist an der Zeit.

Zugegeben: Viel ist schon über Punk geschrieben worden, und wahrscheinlich wird auch noch viel darüber geschrieben werden. Eine ganze Menge von Leuten, die mit Punk aufwuchsen, sind inzwischen in ihrer akademischen Laufbahn nach oben gerutscht und nutzen diese Lage kokett, um nun mit der wilden Jugend zu schwadronieren. Ich finde das nicht grundsätzlich verwerflich. Also, wenn etwas Vernünftiges, Sachgerechtes dabei rauskommt. Die komplette Entwicklung der ›Bewegung‹ bis heute ist allerdings noch nicht geschrieben worden. Ich mache – zumindest hierzulande – einen Anfang und bitte zu korrigieren, wo auch immer mir Fehler unterlaufen sein könnten. Sollte es zu weiteren Auflagen kommen, können sie verbessert werden.

Die vorliegende Ausgabe ist bereits gegenüber der ersten, 1995 erschienenen, und auch gegenüber der dritten überarbeiteten Auflage von 1996 stark korrigiert worden. Bei einem solchen Thema ist ein Ende der Korrekturen allerdings nicht abzusehen.

Martin Büsser, Mai 1997

ERSTER TEIL

Einleitung

Wenn es nur noch um Musik geht
Dann war alles nur ein Irrtum
Volker Rühe macht jetzt Punkrock
Es ist nichts mehr wert
[… BUT ALIVE, »Scheiße erkennen«]

Hardcore ist neben Punkrock die einzige Musik, die innerhalb der autonomen Linken eine solche internationale Akzeptanz erreichte, daß die kritische Aufarbeitung, die nicht nur ein Nachdenken über Musik, sondern über ein subkulturelles Medium mit all seinen Widersprüchen und Bruchstellen sein sollte, längst überfällig ist.

Von Punk ausgehend eine ›Hardcore history‹ zu skizzieren, kann nicht allen an der Szene Beteiligten nach den Lippen reden, da Hardcore als soziopolitische Gegenkultur je nach Alter, Region und persönlicher Erwartung/Erfahrung anders erlebt wurde und wird. So entstand (wie auch schon im Punk) ein extrem weit gefächerter Aktionsradius, der von unpolitischen Fun-Bands bis zu Personen reicht, die Musik ganz in den Dienst der ›message‹ stellen oder sogar zugunsten von politischer Aktion aufgegeben haben; von strikten Alkohol- und Drogengegnern bis zu Personen, die unter dem ›harten Kern‹ Abgewracktsein verstehen und zelebrieren; von Menschen, die mit hohem Engagement und geringstem Einkommen Leben und Beruf Punk/Hardcore widmen bis hin zur kulturindustriellen Ausschlachtung, die (zum Teil mit Erfolg) versucht, aus Punk/Hardcore eine massenwirksame Jugendkultur zu erstylen.

Weshalb ein solches Buch heute, Mitte der Neunziger? Verweist eine solche ›history‹ bzw. Bestandsaufnahme nicht gerade darauf, daß es sich bei dem Thema um ein abgeschlossenes Kapitel handelt und Punk/Hardcore als subkulturelle Erscheinung Geschichte geworden ist? Tatsächlich ist seit Beginn der Neunziger (zeitgleich mit dem Aufstieg und Fall von NIRVANA, der letzten ernsthaft punkinspirierten Mainstream-Band, die doch niemals Mainstream werden wollte) vieles in Bewegung geraten, was darauf hindeutet, daß Hardcore als rebellischer, radikaler Musikstil und Ausdrucksmittel der Linken an Referenz verloren hat: Während eine Großzahl der einst auf ihre überschaubare Szene und Selbstverwaltung so stolzen Bands sich plötzlich von Majorfirmen und MTV verwalten läßt (HENRY ROLLINS BAND, SICK OF IT ALL, Cro Mags u. a.), wächst gleichzeitig das Interesse der Linken an anderen musikalischen Ausdrucksformen, etwa an HipHop, Drum ’n’ Bass und Raggamuffin. Obwohl es noch heute in Sachen Punk/Hardcore eine Unzahl an musikalischem Nachwuchs gibt, ist die einst voller Emotionen gepflegte homogene Szene aufgebrochen und fand schließlich ihren Weg zur Massenkultur. Außerhalb dieser überschaubaren, familiären Szene jedoch ist die politische Relevanz von Hardcore blaß geblieben: Vom autonomen Jugendzentrum zur Mattscheibe gewechselt, haben viele Bands an Schärfe verloren und klingen gegenüber Rappern wie IceT nach harmund belanglosem weißen Trash.

Während HipHop sich seiner Funktion als Massenkultur stets bewußt gewesen ist und von Anfang an lernte, in diesem Medium politisch zu agieren, sich also medienadäquat zu präsentieren, sind Schweiß, Slamdance und Stagediving, die direkte Energie, Intimität und Wut von Hardcore nicht auf einen Videoclip übertragbar. Andere Bands dagegen, die sich der Industrie (noch) entzogen haben, sind im Laufe der Zeit zu Konservendosen ihrer selbst geworden, reproduzieren sich selbst von Jahr zu Jahr ähnlich nostalgisch wie die RAMONES: Auf den fast jährlichen Tourneen von Heroen wie BAD RELIGION, THE FREEZE und NOFX versuchen Bands und Publikum einen Spirit aufzutauen, dessen Wurzeln bis zu zehn Jahre zurückliegen. Von Direktheit kann da kaum mehr die Rede sein. Damit sind Punk und Hardcore geworden, was sie nie sein wollten: konservativ – gegen alle Beteuerung, niemals sterben zu wollen und zu können, selbst schon ein Stück Musikgeschichte und damit oft so ranzig wie Mick Jagger und Manfred Mann.

Ein Stück Geschichte, das sich daran abzeichnet, daß die allsommerlich stattfindenden Open-Air-Massenveranstaltungen vor Zehntausenden längst nicht mehr nur von Konsens-Bands aus dem Rock-/Popbereich getragen werden (z. B. U2, METALLICA), sondern daß dem gegenüber Hardcore Konsens geworden ist: Headliner des ›Rheinkultur Festivals‹ in Bonn 1994 waren SICK OF IT ALL und NOFX, das ›Bizarre Festival‹ in Köln präsentierte 1994 fast ausschließlich Hardcore-Bands (SPERMBIRDS, BIOHAZARD, BAD RELIGION). Einerseits ist Hardcore damit mehr Mittelpunkt des musikalischen Geschehens denn je, hat einen zentralen Stellenwert erlangt, der in den Neunzigern daneben nur noch HipHop und Techno zukommt; andererseits zeichnet sich damit auch ein Ende ab. Wo ein ›noch größer‹ kaum mehr möglich ist, bleibt in den meisten Fällen Stagnation. Und sei es, daß die Bands, irgendwann ausgequetscht wie Zitronen, saftlos liegengelassen, als ein bedauernswertes Häuflein Jahr für Jahr durch Pubs und kleine Clubs tingeln werden. Die Zukunft des Hardcore entspricht heute schon dem Scheideweg zwischen Joe Cocker (einst als neu und wild empfunden, heute flacher Radio-Mainstream) und MAN (einst als progressiver Psych-Underground gefeiert, heute tingeln sie abgehalftert von einem Provinzschuppen zum nächsten): Aufrechterhalten der Stadiongröße durch ein medienwirksam aufgebauschtes Revival ohne erkennbare Weiterentwicklung, oder Abnudeln alter Klischees vor einem kleinen, vergangenheitstrunkenen Publikum. Genau dort fängt ein Stil ja an, sich als ausgebranntes Relikt zu erweisen: wo große oder vermeintlich große Namen umkippen ins Lächerliche und manchmal auch Bedauernswerte.

Darum ist es möglich, 1995 ohne Sentimentalität über dieses Thema zu schreiben und mögliche Fehler aufzuzeigen, die klarmachen, warum Punk/Hardcore als subkulturelle Bewegung nicht bestehen konnte, obwohl doch entscheidende Impulse für kommende Generationen gegeben wurden.

Keine Musik stirbt von heute auf morgen. Wir befinden uns gerade im Dazwischen.

Von Punk zu Hardcore

Eine verwaschene Geschichte zum Geleit

»Hardcore Punk« nannten die MANIACS aus Rothenburg 1984 einen Song, in dessen Refrain die beiden Wörter noch friedlich, ein- und dieselbe Aggression bezeichnend, nebeneinander stehen. Und Hardcore-Punk meinte zu Beginn der Achtziger noch: je härter, desto mehr Hardcore, also rotziger als der Rest (Bands wie EXPLOITED, G.B.H. und ABRASSIVE WHEELS galten damals z. B. als Hardcore). Die Frage nach der Henne und dem Ei läßt sich in diesem Fall leicht beantworten: Punk war zuerst da, Hardcore folgte irgendwann – wann genau, anhand welchen genauen Ereignisses oder anhand welcher Band, läßt sich schwer rekonstruieren. Weder stimmt es, daß Punk Mitte der Achtziger erledigt und ausgesaugt war (der EXPLOITED-Slogan ›Punks not dead‹ ziert noch heute mahnend Häuserwände in aller Welt), noch konnte Hardcore je seine musikalische und inhaltliche Verbundenheit mit Punk völlig leugnen, weshalb die These, es habe einen prototypischen, dem Punk gegenüber völlig autonomen Hardcore-Stil gegeben, sehr anzweifelbar ist. Was den SEX PISTOLS in ihrer durchaus fragwürdigen (aber gerechtfertigten) Popularität gelang, nämlich ein Muster von Punk zu erschaffen, ist einer sich selbst als Hardcore bezeichnenden oder als Hardcore verbuchten Band niemals gelungen.

Ian McKaye, MINOR THREAT-Sänger (später FUGAZI), von vielen Fanzines als Hardcore-Ikone und Wortführer benutzt, äußert sich entsprechend unbestimmt: »Deine Definition von Hardcore wird sicher eine andere sein als meine. Und so unterscheidet sich das je nach der Gegend, aus der einer kommt und je nach den Erwartungen, die einer an Hardcore stellt.«

Eine andere Schlüsselfigur, Henry Rollins, geht 1992 sogar mit seiner Behauptung, BLACK FLAG sei nie eine Hardcore-Band gewesen, so weit, den Begriff bzw. die Bewegung an sich als Erfindung von ›beschissenen Fanzines‹ darzustellen.

Ist Hardcore etwa ein Phantom, eine Musikrichtung, die es nie wirklich als solche gegeben hat, zumindest etwas, das viele der maßgeblich Beteiligten nicht (mehr) ohne Abstriche orten können oder wollen? Oder ist Hardcore gerade dadurch der einzig sinnvolle, weil flexible Sammelbegriff für unabhängige linke Rockmusik, in dessen Spannweite von CHUMBAWAMBA bis YUPPICIDE nicht mehr Stil, sondern ›attitude‹ zum Signifikant geworden ist?

Ausgehend von diesem an sich subversiven Nicht-Definiertsein, das weniger Mangel denn Independence bedeutet (stilistische Unabhängigkeit als ökonomische Verweigerung; Uneinteilbarkeit als Trend-Verweigerung), nimmt die ganze widersprüchliche Geschichte der Hardcore-Bewegung ihren Verlauf. Es ist die Geschichte einer Idee von Freiheit, die das Marketing einer auf Buntheit versessenen Kulturindustrie verkannte und darum im Lauf der Jahre – nicht als erste Subkultur – auch zu deren Objekt wurde.

Für MTV geschaffene Retorten-Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE sind das Ergebnis dessen, was die Hardcore-Legende MINUTEMEN bereits 1985 mit ihrem Project Mersh zynisch thematisierte: Jeder sich noch so radikal gebärdenden Subkultur ist im Zeitalter der ›United Colours‹ der Marktwert schon eingeimpft. Auf dem Cover waren drei Plattenbosse abgebildet, die mit den Worten ›We’ll have them write hit songs!‹ MINUTEMEN auf einer Wandtafel als ›Total Sales Artists #2‹ verbuchen.

Hardcore und Punk musikalisch zu vergleichen, dabei Differenzen und stets gegenwärtige Verknüpfungen festzustellen, ist wesentlich einfacher als anhand beider Bewegungen eine Geschichte politischer Gegenkultur aufzuzeigen. Aber auch darum soll es hier gehen. Unsinnig, den einfachen Weg zu gehen und nur über Musik zu sprechen, wo doch ›it’s more than music‹ nicht nur Hardcore-Wahlspruch wurde, sondern auch Nabelschnur, die für alle Zeit auf die libertäre Idee von Punk zurückverweist.

Gleichzeitig muß ich mich dafür entschuldigen, den Begriff ›links‹ meinerseits oft viel zu leichtfüßig zu gebrauchen. Wer oder was ist wirklich und bewußt links gewesen? – John Lydon schreibt in seiner Autobiographie No Irish, No Blacks, No Dogs: »Außer Sid war keiner der Pistols selbstzerstörerisch drauf – ganz im Gegenteil. Wir hatten die Absicht, das System zu zerstören, aber bestimmt nicht uns selbst.«

Dieser Satz, der einer der ganz wenigen in diesem mehr als 200 Seiten starken Buch ist, in dem es überhaupt diffus um Politik und ›System‹ geht, trifft die ablehnende Haltung des frühen Punk wohl ganz gut. Man kam aus einer miesen Gegend und hatte mit der Upper class nichts am Hut – links im eigentlichen Sinne ist das nicht gewesen. Auf dem Gang durch die Punk- und Hardcore-Geschichte, die dieses Buch unternimmt, wird klar, daß nur eine Handvoll Bands sich tatsächlich einer linken Terminologie bedienten; der Rest verschaffte sich einfach nur Platz gegen eine allgemeine, schwer lokalisierbare Unlust und eine als spießig empfundene Gesellschaft.

In Sachen Musik ist die Entwicklung von Punk zu Hardcore weniger spannend und originär, als es sich auf den ersten Blick darstellt. Der Weg von einer archaischen, radikalen Schlichtheit (Punk) zum ›melting pot‹, dem Sammelbecken von irgendwie – und immer nur: irgendwie – unter einer Idee laufenden Ansätzen/ästhetischen Vorstellungen, ist ein alter Hut. Es ist der Weg, auf dem Mersey Beat in Psychedelic Rock mündete, Punkrock (lange vor Hardcore) in New Wave. Die BEATLES sind diesen Weg gegangen. Und so sehr das White Album in Sachen Vielfalt, Konzeption, Bedachtheit und Unbestimmbarkeit rein stilistisch über ihre »Love Me Do«-Zeit hinausgeht, sind auch die obskur verschlungenen Werke von Psych-Bands wie SPOOKY TOOTH, SOFT MACHINE, FAUST und THIRD EAR BAND letztlich entlaufene Kinder des Viervierteltakts. Bevor Hardcore also als Begriff überhaupt in den Fanzines und auf Platten auftauchte, sorgte schon die ständige Fehde zwischen Punk und New Wave für eine oft kleinlich-feindliche Spaltung in Keine Experimente und Geräusche für die Achtziger, wie es Ale Sexfeind (GOLDENE ZITRONEN/MOTION) an den Titeln zweier deutscher LP-Sampler festmacht: »Der Frontenkampf zwischen sogenannter Kunststudenten-Kacke und Musik für die Arbeiterbewegung.« Daß sich eine ursprünglich kompakte, einfache musikalische Struktur im Laufe der Zeit auflöst, der Dekonstruktion unterworfen wird, ist also nicht neu. Dem Blues ging es so, dem Jazz, dem Rock’n’Roll und dem Beat. Selbst an jüngeren Stilen wie HipHop und Technohouse ist längst eine ähnliche Ausdifferenzierung und ansteigende Komplexität zu erkennen.

Man vergleiche nur GRANDMASTER FLASH mit DE LA SOUL, Acidhouse mit APHEX TWIN. Jede naive, also scheinbar anfangs unreflektiert-spontane Bewegung bringt, so scheint es, eine oder mehrere Generation(en) mit sich, deren Arbeit Plünderung, Demontage, Zitat und also reflektierte Umsetzung in ihren Mittelpunkt stellt. Rob Wright von NOMEANSNO: »Unsere Lieder sind kein bißchen komplizierter als die der RAMONES. Aber distanzierter. Das macht den Unterschied aus.«
Interessante und zugleich wichtige Randbemerkung: NOMEANSNO richten sich trotz des Hervorhebens eines Unterschiedes nicht gegen die RAMONES, haben sogar unter dem Namen THE HANSON BROTHERS eine komplette RAMONES-Tribut-LP aufgenommen. Psychedelic- und Art-Rock waren eine Ausdifferenzierung des Beat, nicht unmittelbar ablehnende Reaktion auf diesen. Bis hin zum durchkomponierten Fantasy-Rock der Siebziger (YES, GENESIS, GENTLE GIANT) handelt es sich um eine klar verlaufende Entwicklungslinie, Illusions-Effekte und musikalisches Können zu verdichten.

Erst mit dem Punk kam es zu einem wegweisenden Bruch, einem unmittelbaren Dagegen: Punk negierte eine Geschichte, an die seitdem anzuknüpfen unmöglich wurde, ohne in Anachronismus zu verfallen. Punk und New Wave haben eine so klare Absage gegen Rock als Traumfabrik geschaffen, daß Hardcore als Ausdifferenzierung von Punk immer der Gefahr ausgesetzt war, selbst wiederum in die Traumfabrik zurückzufallen.

Das Zitat von Rob Wright ist damit beinahe schon paradox: Ist es überhaupt möglich, gegenüber Punk, der in seinen besten Momenten maximal distanziert gewesen ist, selbst wiederum eine Distanz aufzubauen? – Gegenüber einer Band wie den RAMONES mag eine solche Distanz gelingen, da sie zum großen Teil selbst noch Party-Rock-’n’-Roller innerhalb der alten Rock-Ästhetik waren. (Heute allerdings hört Joey Ramone Free Jazz und nahm an einem Tribute To John Cage-Sampler teil – ohne jedoch auf RAMONES-Platten dem alten »Let’s Go«-Stil untreu zu werden). Aber gelingt sie in bezug auf WIRE, auf GANG OF FOUR, auf Bands also, die selbst bereits höchst abgeklärt gearbeitet haben?

In manchen Fällen fielen musikalische Ausdifferenzierung und Komplexität jedoch weit hinter die Radikalität der ersten Generation zurück. Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS gab beispielswiese Entertainment von GANG OF FOUR als größten Einfluß für seine eigene Band an. Die Musik der CHILI PEPPERS ist zwar gegenüber dem spröden Funk-Beat auf Entertainment ausdifferenzierter und technisch gekonnter, aber keineswegs reflektierter und konturierter. Obwohl die CHILI PEPPERS also diesen Einfluß angeben, besitzen sie inhaltlich und musikalisch nichts mehr von der Schärfe ihrer Vorbilder. Die knappen, ätzenden politischen Statements der GANG OF FOUR finden sich bei ihnen ebensowenig wieder wie das spröde, aufs Wesentliche reduzierte Gerüst, in dem die Musik von GANG OF FOUR funktionierte. Woran liegt das? Etwa daran, daß die CHILI PEPPERS immer einen Hang zu Rockertum und Entertainment (ohne Anführungszeichen) hatten? Oder daran, daß sie in der Generation nach Punk festhingen, in einer Zeit also, zu der eine gewisse Radikalität einfach schon unnachahmbar historisch geworden war? Wahrscheinlich sind eine Handvoll LPs (z. B. Never Mind The Bollocks, Pink Flag, Entertainment) tatsächlich so enorm weit gegangen, daß sie zu Stolpersteinen für kommende Generationen werden mußten.

Will man Hardcore (als Musik/Denken/Jugendkultur) überhaupt von Punk trennen, ist es sinnvoll, einige ganz und gar voreilig-pauschale Thesen aufzustellen, die in ihrer Brüchigkeit nicht nur zeigen, wie dünn das Eis ist, auf dem ich hier meine Bahnen ziehe, sondern wie ungenau und unbestimmt alles zu einer Frage zweier Generationen verschwimmt oder sogar die Entwicklung einer einzigen Generation dokumentiert, deren Viervierteltakt ins Schwanken geriet.

Dirk [SLIME]: »Daß wir von der Bühne herab damit angefangen haben, dem Publikum zu erklären, wie es zu handeln und zu leben hätte, war für uns der eigentliche Beweggrund, SLIME erst einmal aufzulösen. Es war der Moment, an dem eigentlich alles der Punk-Idee widersprochen hat, der Idee, mit dem Publikum eine Einheit zu bilden, nicht von Oben nach Unten zu kommen. Inzwischen sind wir so weit, zu erkennen, daß SLIME höchstens ein Sprungbrett darstellen kann, keine Ideologie. Unsere Musik ist Emotion, die motiviert, in Antifa-Gruppen aktiv zu werden. Wir predigen das nicht mehr, sondern wir geben höchstens das Gefühl der Notwendigkeit.«

Hier also ein verknappter Fahrplan, woran man den Begriff Hardcore in Abgrenzung zu Punk aufzeigen kann:

1.Ausarbeiten und Formulieren eines über die Musik/Band hinausgehenden Polit-Konzepts; Einbinden der anarchischen Emotion von Punk in komplexe Gesellschaftstheorien. So gesehen wären quasi die englischen CRASS eine der ersten Hardcore-Bands, ihre fast manifestartige Arbeit lieferte dem diffus revoltierenden Punk erstmals eine Art Überbau. [Und dennoch oder gerade deshalb lebte diese Band auf einer Art Hippiefarm]. ›Gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus‹ wird zum Dreigespann, auf dem Hardcore aufbaut, ganz gleich wie stark nun mit der autonomen Linken verwoben. Andere Selbstverständlichkeiten [›gegen Drogen‹ im Straight Edge, ›gegen Tierversuche‹ etc.] bilden sich heraus, je mehr Hardcore in einzelne Sparten zerfällt.

Aber auch: Entpolitisierung vieler Bands und Fans nach der Erfahrung, wie sehr selbst Punk in den Achtzigern zum Runterbeten starrer Politfloskeln geworden ist; Versuch einer ›positiven‹ Gegenbewegung, die sich textlich nicht auf ein Anblöken gegen den ›Schweinestaat‹ reduzieren will. So paradox es erscheinen mag: In ihrer Gegensätzlichkeit waren beides Wege, sich von Punk abzugrenzen.

2.Ausweiten des vom Rock’n’Roll entlehnten Drei-Akkord-Schemas des Punk im Hardcore [was dann Ende der Achtziger zum oft wahllosen ›anything goes‹-Crossover führte, dessen grundsätzlich begrüßenswerte stilistische Öffnung auch eine Verwässerung mit sich brachte]. Sei es, wie schon sehr früh geschehen, durch ironische Zitate [Country-, Barjazz- und Surfrock-Demontagen bei den DEAD KENNEDYS] oder durch Hinzunahme von Funk-Elementen [MINUTEMEN] und Metal-Strukturen [BLACK FLAG, CRO MAGS u. v. m.].

Die Entwicklung der kalifornischen BLACK FLAG von 1978–86 zeigt wie keine andere Bandgeschichte exemplarisch den kontinuierlichen Abschied vom Punk: Sie haben als reine Punkband im PISTOLS-/BUZZCOCKS-Stil begonnen, entwickelten mehr und mehr einen schweren, depressiven Metal-Beat und endeten schließlich als komplexe, mit Jazz und Funk experimentierende ›Musiker‹-Band.

3.Allgemeine Bezeichnung für musikalische/textliche Verschärfung, z. B. Hardcore-Rap [PUBLIC ENEMY, ICE-T, BLADE u. a.], Hardcore-Pop [eine Wortgeburt in SWF III zugunsten von Prince], Hardcore-Techno, Hardcore-Jazz [John Zorn] usf. Dieser Ausdruck ist oft sehr problematisch; wird von gegenüber der strikt antisexistischen Hardcore-Bewegung Unkundigen gerne dazu verwendet, sexistische Inhalte zu bezeichnen. Bekanntlich existierte Hardcore ja auch lange zuvor als ein Begriff aus der Pornobranche – eine Assoziation, die wohl noch immer in der Allgemeinheit vorrangig ist.

In seiner Offenheit, die Hardcore auf seinem Weg in die Neunziger erfuhr, in der Zersplitterung, die zu einer verwirrenden, für Außenstehende kaum mehr entschlüsselbaren Aufteilung in Substile oder Fusionen führte (Straight Edge, Emocore, Grindcore, Speedcore, Post Punk, Crossover etc.), stellt sich eine Szene immer wieder selbst in Frage.

1989 erzählt Armin Hoffmann von X-MIST, einem der ersten Hardcore-Labels in Deutschland, daß gerade in dieser Undefinierbarkeit eine Chance stecke: »Es gibt keine ›richtige‹ Entwicklung. Das Gute an dieser Szene ist, so lange sie so noch besteht, daß Entwicklungen nicht vorauszusehen sind. Ich konnte auch nicht voraussehen, daß es mal eine Band wie 2 BAD geben wird auf deutschem Niveau, oder international gesehen FUGAZI. Wer hätte damals gedacht, daß aus MINOR THREAT mal FUGAZI hervorgehen? Das ist das Positive, daß es immer innovativ bleibt.« Erst ein paar Jahre später, nachdem das hier als innovativ bezeichnete Undefinierte eine kommerzielle Ausschlachtung mit sich brachte und auch viele Bands sich als Hardcore bezeichneten, ohne damit irgendwelche politischen Hintergründe zu verbinden, vermehrten sich die Rufe gegen eine ins Beliebige führende, Radikalität verlierende Offenheit. »Ich will meine kleine intolerante Szene zurück« (EN-PUNKT-Fanzine, 1993), klagt Klaus N. Frick. Er sollte sie zurückbekommen. Hierzu mehr im Nachwort zum Thema Chaostage.

Fuck fashion

Zu den Klamotten gleich am Anfang

Wenn man John Lydon glauben kann, fing alles ganz banal an; hatte überhaupt nicht zur Absicht, Beginn einer ›Bewegung‹ zu sein. Kurz nachdem John, der auch mal lange Haare hatte, bei seinen Eltern rausgeflogen war, lebte er zusammen mit Sid Vicious und einigen Hippies in einer WG und berichtet in No Irish, No Blacks, No Dogs:

»Nicht nur die Nachbarn hassen uns, die anderen Hausbesetzer auch, wegen unseres Aussehens – kurze, hochstehende Haare und alte Anzüge. Zu diesem Zeitpunkt fing Sid an, sich ein wenig mehr wie ich zu kleiden. Ich verpaßte ihm seinen ersten anständigen Haarschnitt, der später Punk-Mode wurde. Du hast dir im wahrsten Sinne Haarklumpen rausgeschnitten. Die Idee dahinter war, keine Form in deiner Frisur zu haben – sondern es schauerlich aussehen zu lassen. Das war der Anfang von der ganzen Sache.«

Die ›ganze Sache‹ endete in aufwendig gestylten Irokesenschnitten und mit Postkarten, wie man sie heute in jedem Londoner Souvenirladen kaufen kann. Noch vor dem Punk wird dort die Queen als Motiv an Attraktivität verlieren – darauf jede Wette!

Irokesenschnitte hatte es zur Zeit der SEX PISTOLS noch nicht gegeben. Die Clique der ersten Punks trat zerschlissen auf: Weil kein Geld für neue Klamotten da war, wurde aus der Not eine Tugend, nämlich ein Stil gemacht. (Den Malcolm McLaren und andere sehr schnell in Geld umzusetzen wußten.) Die Punks, von denen sich Hardcore schließlich Mitte der Achtziger absetzte, hatten dagegen ein ganz anderes Outfit.

Betrachtet man heute Photos von den klassischen Punkbands, also den PISTOLS, THE CLASH, WIRE und den STIFF LITTLE FINGERS, sehen die Beteiligten ziemlich propper und aus heutiger Sicht unspektakulär aus – weder übertriebenes Styling noch übertrieben zerfetzt. 1976 war man mit kurzen, selbstgeschnittenen Haaren schon eine Provokation.

Übrigens: Die erste Punk-Generation war gar nicht, wie die bürgerliche Presse es gerne darstellte, bewußt häßlich und verdreckt, sondern sie hatte ganz schön viel Sex appeal (der Klamottenladen von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood hieß nicht von ungefähr »Sex«). Dank ihres kreativen Umgangs mit Kleidung und Körper sahen die Punks oft sogar besser aus als der Rest der Gesellschaft. Das trifft in besonderem Maße auf die frühe New-York-Variante zu, zum Beispiel auf das transsexuelle Auftreten der NEW YORK DOLLS