Cover

Der kleine Fürst
– 225–

Graf Casimir unter Verdacht

Kann er seine Unschuld beweisen?

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-280-9

Weitere Titel im Angebot:

Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot

»Herr Hagedorn«, rief Baronin Sofia erschrocken, als sie den alten Butler an der Tür auftauchen sah. »Was tun Sie denn hier? Sie sollten im Bett liegen!«

Sie war die Erste, die sich am Frühstückstisch eingefunden hatte, Baron Friedrich war durch ein Telefongespräch aufgehalten worden.

Eberhard Hagedorn kam langsam näher. Er hielt sich sehr gerade, sein Gesicht war unbewegt, aber sie kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass er Schmerzen hatte.

»Ich kann nicht länger untätig bleiben, Frau Baronin«, erwiderte er. »Wenigstens ein paar Stunden täglich möchte ich arbeiten. Morgens zwei und abends zwei, wenn es möglich ist.«

»Aber Jannik vertritt Sie sehr gut«, sagte sie. »Und niemandem ist damit gedient, wenn Sie zu früh aufstehen und dann nur umso länger ausfallen. Wir wollen doch alle, dass Sie bald wieder völlig gesund sind.«

»Ich werde nicht gesund, wenn ich weiterhin im Bett liegen bleibe. Sie kennen mich, Frau Baronin, Sie wissen, dass ich mich nur wohl fühle, wenn ich arbeiten kann.«

»Aber Herr Dr. Brocks hat dringend vor einer zu frühen Belastung gewarnt, und Sie müssen doch noch immer starke Schmerzen haben.«

»Ja«, gab er nach kurzem Zögern zu. »Ich habe Schmerzen, aber eine Weile kann ich sie aushalten. Sie können sich auf mich verlassen: Ich werde nichts Schweres heben und mich auch sonst nicht unvernünftig verhalten, aber ich will nicht länger in meinem Bett liegen, das macht mich verrückt.«

Unwillkürlich musste Sofia lächeln. »Mir geht es genau so, ich kann das also verstehen. Unvernünftig ist es allerdings trotzdem.«

»Mit Verlaub, Frau Baronin, das glaube ich nicht. Wenn man nur im Bett liegt und grübelt, ist das auch nicht gesund. Mein Rücken schmerzt, das stimmt, aber allein dadurch, dass ich das Gefühl habe, mich wenigstens ein paar Stunden am Tag nützlich zu machen, geht es mir automatisch besser, und ich empfinde die Schmerzen nicht so stark. Das hilft mir.«

»Weiß Herr Dr. Brocks, dass Sie aufgestanden sind?«

»Nein, aber ich werde, wenn er heute wieder kommt, um nach mir zu sehen, mit ihm darüber reden und ihm sagen, was ich jetzt gerade zu Ihnen gesagt habe.«

Baron Friedrich erschien an der Tür und reagierte wie zuvor seine Frau mit Bestürzung. »Herr Hagedorn, was tun Sie hier? Sie sollten im Bett liegen.«

Eberhard Hagedorn wiederholte seine Meinung, stark abgekürzt, in etwas anderen Worten, und auch der Baron gab schließlich zu, wie sehr es ihm selbst zuwider war, krank im Bett zu liegen. »Verstehen kann ich Sie, aber ich fürchte, Herr Dr. Brocks wird nicht nur mit Ihnen schimpfen, sondern auch mit uns, dass wir Sie haben gewähren lassen.«

»Sie können mich ja nicht gut ans Bett fesseln«, erwiderte Eberhard Hagedorn mit einem Lächeln. »Das wird Herr Dr. Brocks schon einsehen.«

»Aber schonen Sie sich bei der Arbeit, darum bitte ich Sie.«

»Ich verspreche es, Herr Baron.«

»Ach, Herr Hagedorn, falls Sie irgendwo mein Diamantarmband sehen sollten: Ich vermisse es seit gestern.«

»Ich habe schon davon gehört, Frau Baronin. Wir halten alle die Augen offen.« Mit diesen Worten zog sich Eberhard Hagedorn zurück.

»Stell dir vor, er stürzt noch einmal, Fritz«, raunte die Baronin ihrem Mann zu. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Dr. Brocks wird natürlich mit uns schimpfen, dass wir ihn nicht am Aufstehen gehindert haben.«

»Ja, wahrscheinlich, aber ich weiß ehrlich nicht, wie wir das hätten anstellen sollen. Du kennst Herrn Hagedorn, er hat einen festen Willen und eine geradezu legendäre Selbstbeherrschung.«

Sofia nickte, ihre Gedanken kehrten zu dem vermissten Schmuckstück zurück. »Meinst du immer noch, wir finden mein Armband wieder?«

»Es hat sich bisher alles wiedergefunden, oder etwa nicht? Mach dir nur darüber keine Sorgen.«

»Ich mache mir aber doch welche. Eine solche Häufung von kleinen und großen Missgeschicken oder Unfällen wie in letzter Zeit haben wir vorher noch nie erlebt. Ich glaube nicht länger an einen Zufall.«

»Der Gedanke, dass vielleicht ein Plan dahintersteckt, ist uns wohl allen schon gekommen, zumal plötzlich sogar die Kriminalpolizei sich für die Vorgänge im Schloss interessiert.«

»Jemand will offenbar den Eindruck erwecken, dass es hier spukt«, murmelte die Baronin. »Zuerst mit den Gegenständen, die scheinbar verschwunden und dann wieder aufgetaucht sind, dann mit diesen Abdrücken in der Eingangshalle und dem schauerlichen Geheul. Nur weiß ich nicht, wozu das gut sein soll.«

»Ich schätze, wir werden es noch erfahren«, erwiderte der Baron nachdenklich, »und vermutlich wird es uns nicht gefallen.«

Während sie mit dem Frühstück begannen, ließ sich Eberhard Hagedorn in der Küche sehr vorsichtig auf einem Stuhl am großen Holztisch in der Küche nieder. Sitzen war gar nicht gut für ihn, das wusste er bereits. Er vermied es daher, so gut es ging, aber den Espresso, den Marie-Luise Falkner ihm und Jannik gekocht hatte, wollte er nicht im Stehen trinken. Es hatte schließlich Tradition, dass sie ihn gemeinsam am Tisch genossen.

»Sie sind verrückt, Herr Hagedorn«, sagte Jannik. »Dr. Brocks wird im Dreieck springen, wenn er hört, dass Sie aufgestanden sind und sogar gearbeitet haben.«

»Ich werde es ihm schonend beibringen, außerdem arbeite ich eigentlich nicht. Ich laufe nur ein bisschen herum und sehe Ihnen auf die Finger, Jannik.«

»Ehrlich gesagt: Ich freue mich, dass Sie wieder da sind. Ohne Sie macht mir die Arbeit nur halb so viel Spaß. Ich glaube, ich arbeite lieber im Team.«

Eberhard Hagedorn hatte Mühe, die Freude über diese Worte seines Auszubildenden zu verbergen. Sie taten ihm gut, denn er hatte Jannik ins Herz geschlossen. Nichts wollte er mehr, als aus diesem aufgeschlossenen Jungen einen guten Butler zu machen – einen, der ihn selbst eines Tages ersetzen würde und sich dann seinerseits jemanden suchen konnte, mit dem er wieder ein gutes Team bildete. Er selbst war jahrzehntelang ein Einzelkämpfer im Beruf gewesen, nun bedauerte er das beinahe, denn er empfand es wie Jannik: Im Team machte die Arbeit mehr Spaß. Man lernte voneinander, man unterstützte sich, man kritisierte sich auch, wenn nötig.

Marie-Luise, die ihn schon länger kannte, fragte: »Warum sind Sie wirklich hier, Herr Hagedorn? Es geht doch nicht nur darum, dass es Sie verrückt macht, untätig im Bett zu liegen, oder?«

»Was denken Sie über die Vorkommnisse hier im Schloss?«, fragte der alte Butler, statt die Frage zu beantworten. Wobei seine Gegenfrage in gewisser Weise natürlich auch eine Antwort war.

»Jemand lässt es so aussehen, als spukte es auf Sternberg«, sagte Jannik.

»Aber wer denn, Jannik?«, rief Marie-Luise. »Du hast das gestern schon einmal gesagt, aber ich kann es nicht glauben. Keiner von uns würde so etwas tun, es ergibt ja auch überhaupt keinen Sinn.«

»Zumindest erkennen wir den Sinn dahinter nicht«, sagte Jannik. »Was glaubst du denn, warum die Eingangshalle plötzlich voller Sand ist, in denen man Abdrücke sieht, die wie die Abdrücke eines großen Tieres aussehen? Oder dieses Geheul … Wir haben das ja nicht gehört, aber …«

»Ich schon«, warf Eberhard Hagedorn ein. »Es war schauerlich, es ging, wie man so sagt, durch Mark und Bein. Eine Mischung aus menschlichen Tönen und Tierlauten, absolut furchterregend. Mir haben sich alle Haare gesträubt.«

Jannik nickte. »So haben die jungen Herrschaften es auch beschrieben. Das muss ja irgendwoher kommen, Marie. Und da wir nicht an Gespenster glauben, muss es ein Mensch hergestellt haben, und dieser Mensch muss zumindest Zugang zum Schloss haben.«

»Keiner von uns!«, sagte Marie-Luise mit fester Stimme.

Eine Weile schwiegen sie alle drei. Eberhard Hagedorn beobachtete die beiden Jüngeren und wartete geduldig, ob sie äußern würden, in welche Richtung ihre Gedanken sich bewegten. Er selbst hatte mittlerweile zwei denkbare Theorien aufgestellt, aber noch war nicht die Zeit, um darüber zu reden, denn noch fand er beide zu wenig überzeugend.

»Mir fällt dazu nichts ein«, sagte Jannik endlich. »Ich weiß, ich habe selbst gesagt, es muss jemand sein, der sich hier frei bewegen kann, aber ich kann es mir bei keinem unserer Angestellten vorstellen.«

Marie-Luise wirkte direkt erleichtert über seine Worte. »Ich auch nicht. Und Sie, Herr Hagedorn?«

Er wich erneut aus, um nicht direkt lügen zu müssen. »Ich weiß im Augenblick überhaupt nicht so recht, was von dieser Sache zu halten ist, muss ich sagen. Aber da ja gestern die Kriminalpolizei im Haus war, dürfen wir vielleicht darauf hoffen, dass von der Seite Hilfe kommt.«

Jannik schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Hier geht es ja nicht um Straftaten, Herr Hagedorn. Was soll die Kripo da schon herausfinden? Ich glaube, der Kriminalrat ist einfach neugierig geworden, weil er im Ort gehört hat, dass es bei uns angeblich spukt, und da ist er gekommen, um nachzufragen, was hier los ist. Aber insgesamt sieht es doch eher so aus, als erlaubte sich jemand ein paar dumme Scherze.«

»Sollte der Wasserrohrbruch absichtlich herbeigeführt worden sein, ist das deutlich mehr als ein dummer Scherz.« Von meinem Sturz ganz zu schweigen, dachte Eberhard Hagedorn, hütete sich aber, das laut auszusprechen, denn dieser Vorfall war für ihn der rätselhafteste von allen.

»Das war ein Unfall, wie soll denn jemand einen Wasserrohrbruch herbeiführen?«, rief Marie.

»Es gibt sicher Möglichkeiten«, erwiderte Eberhard Hagedorn, der beschloss, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden. Den beiden war also noch kein konkreter Verdacht gekommen, und offensichtlich hatten sie auch noch nicht darüber nachgedacht, wieso er auf einem rutschfesten Boden jeglichen Halt verloren hatte, so dass er schwer gestürzt war. Oder nahmen sie an, dass er aufgrund seines Alters nicht mehr sicher auf den Beinen war?

Der Gedanke schmerzte ihn, aber er musste sich wohl damit anfreunden, dass es so sein konnte.

*

»Ich fürchte, Graf von Hochburgfelden wird bald in Verdacht geraten«, stellte Kriminalrat Volkmar Overbeck fest, als er sich mit seinem Assistenten Arndt Stöver und Kriminalkommissarin Helena von Steltow zu einer Besprechung in seinem Büro zusammengefunden hatte, um über das zu sprechen, was sie am Tag zuvor im Schloss über die Häufung seltsamer Begebenheiten dort erfahren hatten.

»Noch ist offenbar niemandem aufgefallen«, fuhr der Kriminalrat fort, »dass er ungefähr seit der Zeit im Schloss ist, als die Vorfälle begannen, aber das wird sich bald ändern. Denken Sie, wir sollten diesen Verdacht ausräumen?«

Er wandte sich mit seiner Frage an Helena, denn sie war ja in erster Linie für die Ermittlungen zuständig. Sie hatten den Schlossbewohnern nicht die Wahrheit gesagt, sondern einen Vorwand für ihren Besuch genutzt: Sie interessierten sich, hatten sie behauptet, für die Gerüchte, dass es im Schloss spuke. Darüber wurde mittlerweile tatsächlich überall in der Stadt gesprochen, weil es genug Angestellte im Schloss gab, die im Ort wohnten und natürlich über das sprachen, was dort vor sich ging.

»Nein«, antwortete Helena nach kurzer Bedenkzeit. »Es könnte zwar unangenehm für ihn werden, aber vielleicht hilft uns das sogar.«

»Inwiefern?«, erkundigte sich Arndt Stöver.

»Wir streuen ein paar falsche Gerüchte, dann fühlen sich die wahren Täter sicherer. Dieses Mal sind wir ziemlich dicht dran, glaube ich.«