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CHRIZZI HEINEN

AM
SCHWARZEN
LOCH

ROMAN

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CHRIZZI HEINEN

wuchs in Köln auf, wo sie bereits in der Grundschule ihre Hefte mit Fantasiegeschichten vollschrieb. Sie arbeitete einige Zeit außerhalb Deutschlands und zog nach ihrem Studium 2005 nach Berlin.

Neben stadt- und kulturanthropologischen Forschungen, z. B. über Fluxus-Performances in Berlin-Neukölln, und der Hochschullehre widmet sie sich der künstlerischen Arbeit an Zeichnungen und kleineren Gemälden, organisiert Ausstellungen, produziert Hörspiele und wirkte als Musikerin und Texterin in diversen Projekten mit.

Chrizzi Heinen lebt mit ihrer Familie in Berlin-Friedrichshain.

www.coconut-farm.org

E-Book-Ausgabe März 2019

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2019

Cover: Bernd Eischeid, Wien

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-947106-29-5

INHALT

TEIL I

Die lange Nacht der offenen Bäder

Bodo und Gregor

Zurich Hole Insurance

Der Morgen danach

Ein-Euro-Laden

Löwenzahnernte

Aurelia und Schuschi auf dem Spielplatz

Loch und Superloch

Über Liebe

Herkunftsfragen

Tagesthemen

Tankstellenromantik

Kontrollbesuch

Sonografien

Küchenarbeit

DJ Hole-Head

Die Stadt am Ende

Staub und Hoffnung

Spinnereien

Silberner Zwirn

Nähekästchen

Kamera

Radioaktive Aufreger

Black Hole Studies

Stadtkisten

TEIL II

Holzskelett

Im Superloch

Parka

Stunde null

Juckpulver

Lava-Angst

Sargmenschen

Die Dekomenta in Schranz

TEIL III

Arschbomben ins Nirgendwo

Tobis’ Talk um Ten

Deal mit Hans Lund

Risikointerview

Likörpralinchenrituale

Bodos Körper

Stilles Adé

Epilog. Fallstudie keiner Wiedergeburt

TEIL I

DIE LANGE NACHT DER OFFENEN BÄDER

Nachts um drei erreichte der Geldtransporter mit dem Schweizer Autokennzeichen die Innenstadt. Nervös wie ein grundelnder Wels tuckerte er die Paulsberger Allee hinauf, umsäumt von schwer bewachsenen Haselnussbäumen, die ihre Köpfe neigten. Der Transporter, ein neuer Volvo in Blaumetallic, spiegelte das orangegelbe Licht der Straßenlaternen wider. An beiden Hintertüren klebten große Logos, welche man nun in der Dunkelheit kaum entziffern konnte: ein silberner Aufkleber mit den Umrissen Dagobert Ducks und dem Schriftzug »Geld sicher transportieren« – eine perfekte Tarnung! Tagsüber zog der Wagen alle Aufmerksamkeit auf sich, in den Köpfen der Menschen am Straßenrand brodelte es: Strumpfmasken, Überfälle und Unfälle, bei denen demolierte Autoteile zu geöffneten Schatztruhen wurden.

Ein Schwarm von fliegendem Müll umgab die seltsame Karre: fast unsichtbar die kleinen Folien von Bonbons und silbernen Kaugummipapierchen, die das Laternenlicht flackernd reflektierten, mehrere Bäckereitüten als braune Lappen, zwei, drei platte, tote Vögel, eine Blechdose, zwei Plastikflaschen und drei Bananenschalen. Wie ein fahrender Staubsauger zog der Volvo alles an, kurz pappte der gesamte Unrat an den Fensterscheiben und der glänzenden Karosserie. Kronkorken klirrten gegen die Windschutzscheiben, doch ein kaum sichtbarer Lüftungsschlitz auf dem Dach des Transporters pustete den gesamten Dreck wie in einer unsorgfältigen Mülltrennungsanlage auf den sauberen Asphalt zurück. Auf dem Autodach: eine tote Katze, ihr Kopf an der Seite hinunterhängend, ihr Gesicht gegen eine der getönten Scheiben gedrückt, als erspähe sie dadurch doch eine Maus auf einem Autositz, mehrere Spatzen, auf dem Rücken liegend, tote Ausstrahlung, obwohl ihr Flaum vom Fahrtwind nervös flatterte, die Köpfe im Nacken verkrampft, dazwischen Tüten und viele, viele goldene Kronkorken, die dem Geldtransporter als dilettantische Geldstücke eine ironische Note verliehen.

Der Wagen hielt nun an der Kreuzung vor der leer stehenden Fernsehtechnikwerkstatt und fuhr bei Grün langsam weiter, vorbei am größten Secondhand-Kaufhaus Europas, vorbei an Bertas Erotikfachhandel, vorbei an der Biobäckerei Atomic Bread, an Handyläden, an Aurelias Ein-Euro-Laden und der kleinen, gelben Post.

Wer genauer hinschaute, erkannte, dass sich die Häuser in der Straße aus ihrer Mitte heraus für etwa drei Millimeter in Richtung Fahrbahn beulten, als der Transporter an ihnen vorbeizog. Wie kleine Bäuche dehnten sich die Fassaden einmal kurz aus. Hatte sich der Wagen entfernt, zogen sie sich auch schon wieder zusammen. Auch die Baumkronen beugten sich nacheinander in einer umgekehrten La-Ola-Welle kurz nach vorne und richteten sich auf, sobald der Transporter an ihnen vorbeigezogen war. Die starke Anziehungskraft, die der Wagen auf seine Umgebung ausübte, war beängstigend.

Ich besuchte zu diesem Zeitpunkt »Die lange Nacht der offenen Bäder«, in der alle städtischen Schwimmbäder vom Abend bis zum frühen Morgen ihre Pforten öffnen. Da Schlafen für mich leider nie eine Lösung gewesen ist, schätze ich das Konzept der langen Nächte, das auch in anderen Einrichtungen in der Stadt in wechselnden Abständen stattfindet, sehr.

»Die lange Nacht der offenen Supermärkte« findet in ausgewählten Filialen täglich statt, das wird dann aber nicht von der Stadt organisiert. Supermärkte nach 23 Uhr sind einfach liebenswert: Sie sind wie Kneipen vor 11 Uhr; kein Mensch ist mehr richtig konzentriert, alle haben einen euphorischen Zustand tiefer Müdigkeit erreicht. Man döst den Einkaufswagen mit irgendwelchen Sachen voll, die man tagsüber nie kaufen würde. Dabei meine ich gar nicht Bier oder andere Abendgetränke, ich denke an eigenartige Lebensmittel: überteuerte rote Kartoffeln aus Frankreich oder blaue Bohnen, die man zwei Stunden kochen muss, damit sie bekömmlich werden, oder abgepackten italienischen Biskuitkuchen, der in Regenbogenfarben eingefärbt ist. Jede Farbe schmeckt gleich langweilig nach Rührteig mit zu viel Ei. Doch einmal habe ich so eine Torta Arcobaleno an einem frühen Morgen gegen 4 Uhr gekauft und kann das Glück kaum beschreiben, das ich empfand, als das bunte Ding in meine grüne Umhängetasche plumpste.

Nach 23 Uhr ist im Supermarkt Love in the Air, vielleicht etwas übertrieben, aber es herrscht allgemeines Wohlwollen, man schaut Leuten auch mal direkt ins Gesicht, taucht mit ihnen kopfüber in tiefe Kühltheken ein wie in Aquarien, wühlt mit geschlossenen Augen darin herum und greift nach irgendeinem Überraschungsprodukt. Selbst das junge Kassenpersonal, das für diese späten Schichten eingesetzt wird, kommt rüber wie entspannte Barkeeper in Chill-out-Zones. Störend ist immer das grelle Licht, dafür kostet Supermarkt keinen Eintritt, anders als das Schwimmbad.

»Sieben Euro fünfzig, dafür gibt’s noch ’nen Sekt gratis dazu.« Die Frau an der Schwimmbadkasse ist luftdicht hinter einer Glasscheibe eingeschlossen, ich höre ihre durch das Kassenmikrofon verzerrte Stimme deutlich, obwohl der Geräuschpegel in der gut besuchten Eingangshalle immer weiter zunimmt.

»Ich zahl hier sons’ 4 Euro für zwei Stunden Schwimmen. Geht auch ohne Sekt?« Ich bin wohl nicht die Erste, die das fragt.

»Nein! Sekt für alle!« Es klingt wie eine Drohung. »Nacht der offenen Bäder! Oder sind Sie Schülerin oder Studentin?«

An der Uni bin ich immer noch in Physik und Mathe eingeschrieben, auf Lehramt. Das waren die beiden Fächer, derentwegen ich in der Schule in der neunten und zehnten Klasse beinahe hängen geblieben wäre, weshalb ich Physik und Mathe in der elften dann abwählte. Aber warum sollte ich etwas studieren, was ich schon konnte? Die Fortführung meiner Schulzeit sollte das Studium nicht werden. Und als ich die Unterlagen für die Immatrikulation in die Lehramtsfächer Mathematik und Physik abschickte, fühlte sich das so an, als hätte ich eine Abenteuerreise gebucht. Teilweise war das Studium auch inspirierend: Jedes Semester beendete ich mit einem weiteren Collegeblock voller lustiger Kugelschreiberzeichnungen. Die ersten beiden Semester in Hörsälen, in denen von Dingen geredet wurde, von denen ich nichts verstand, vergingen deshalb wie im Flug. Aber nach drei Semestern, also vor zwei Jahren, bin ich nicht mehr zur Uni gegangen. Den Studierendenausweis bekomme ich immer noch, trage ihn auch immer noch im Portemonnaie mit mir rum. In der Öffentlichkeit würde ich nie behaupten, dass ich jemals studiert habe, aber ohne mein vorgebliches Physikstudium hätte meine Schweizer Verwandtschaft nie den Kontakt zu mir aufgenommen, und ich hätte nie von der Erbschaft erfahren, die heute Nacht geliefert wird.

»Abendgymnasium«, lüge ich, mit der rechten Hand klopfe ich auf meine grüne Ledertasche, in der sich mein Schwimmzeug befindet. Gleichgültig reicht sie mir mein Ticket durch den Drehschlitz. Ich stecke das Kärtchen in einen Kasten am Drehkreuz, und nach einem grellen Piepton passiere ich die Sperre.

Den Sekt gibt es an einem wackeligen Bistrotisch im Barfußbereich. Eine kleine Gruppe von Abiturienten singt ein Geburtstagslied für Karina, die heute neunzehn wird. Mit nackten Füßen stehen sie auf den grau gemusterten Fliesen, die in den letzten zwanzig Jahren gelblich angelaufen sind. In der einen Hand halten die Jubilare ihre Schuhe und Socken, mit der anderen leeren sie nacheinander ihr Sektglas. Nach einigen Okays und Bis-Gleichs und Hast-du-meine-Tasche-Gesehens verteilt sich die Gruppe auf die ersten beiden Sammelumkleiden.

In der hintersten Umkleide geht es etwas ruhiger zu. Ich ziehe meinen dunkelblauen Badeanzug aus der Tasche, den ich mal bei einer Verlosung zu einem französischen Spielfilm gewonnen habe. Es ist dasselbe Modell, das die Hauptprotagonistin im Film trägt. Sie ist eine einsame, eher triste Persönlichkeit, vielleicht nachdenklich, aber welche einsame Person ist das nicht? Und das Einzige, was sie im Film tut, ist, im städtischen Hallenbad schwimmen zu gehen und dabei – erst am Beckenrand vor altmodischen Fliesen in Gelb-Hellblau-Weiß, dann im Wasser von allen Seiten – in ebendiesem dunkelblauen Badeanzug gefilmt zu werden. Ich fühle mich etwas langweilig, wenn ich diesen Einteiler trage, dafür aber auch ein bisschen wie ein Filmstar undercover. Anders gesagt: Der Anzug besticht durch Schlichtheit und lenkt dadurch nicht von meiner Persönlichkeit ab.

Während ich den Garderobenschlüssel an meinem Handgelenk befestige, betrete ich den Waschraum, in dem ich die Abiturientinnen wiedertreffe. Laut knallt das Wasser aus den Duschköpfen auf den Boden, hart läuft der Strahl über meine Schulter. Schreiend unterhalten sich die jungen Frauen. Soundso sei ja so süß, und wie gut, dass Dieunddie heute nicht dabei sei, und sie beginnen das Aussehen der abwesenden Mitschülerinnen auf einer Skala von eins bis zehn zu beurteilen.

»Boah, die Michelle, gut, dass die heute nicht kann, welche Note würdet ihr der geben?«

»Also, Nase und Beine vier, beides voll krumm und unförmig, Hintern sieben!«, tönt es aus den Duschkabinen.

Ich fürchte mich ein wenig vor der Lieferung später, aber die banale Leichtigkeit des Abiturientinnendaseins lenkt mich von den schwermütigen Gedanken an mein Schweizer Erbe ab.

Meine eigene Schulzeit ist ja noch gar nicht so lange her, etwa zehn Jahre, aber irgendwie war ich anders. Das soll nicht heißen, dass wir kein Aussehen hatten, aber es gab weniger Skala-Denken, wir haben Menschen stattdessen mit Tieren verglichen: War ein Mädchen hoch gewachsen und schlank, war sie eine Giraffe, ein Elefant hielt als eine positive Zuschreibung für die Erinnerungsstärke einer Mitschülerin oder eines Mitschülers her. Die Tiercodes zur Veranschaulichung anderer Schüler waren nicht gerade originell, aber zumindest noch nicht so durchtrieben wie die numerische Evaluation separierter Gliedmaßen, die vielleicht nur als autoalgorithmische Reaktion auf die digitalökonomischen Zustände zu deuten ist.

Den Aussagen eines Klassenkameraden zufolge war ich eine Kreuzung aus einem Apfel und einer gemütlichen Schlange. Auf dem Fahrrad glich ich einem Koalabären, über die Fahrradstange gebeugt wie über einen Eukalyptusast. Obwohl diese Vergleiche nicht sehr schmeichelhaft waren, konnte ich sie nachvollziehen. Die Letzten würden die Ersten sein, irgendwann alles wieder umgekehrt laufen, ein ewiges, mit der Gestalttheorie verknüpftes, unnützes Muster von vorne und hinten.

Musikhören ist mir eh wichtiger gewesen als Aussehen, idealerweise Musik ohne Text, denn in der Stimme zeigte sich einmal mehr irgendeine Form von äußerer Erscheinung. In der zweiten Klasse bastelte ich mir eine Posaune, aus einem Schlauch und einem roten Plastiktrichter als Verstärker. Ein grauer Gummiring, den ich hinter der Waschmaschine fand, diente als Mundstück. Ich war ein total unmusikalisches Kind – beste Voraussetzung für dieses Instrument. Prustgeräusche, die ich mit den Lippen herstellte, und Klackgeräusche durch ein Zungenpeitschen an den Gaumen wurden meine Spezialität, simple Trötgeräusche weniger. Mit geübten Techniken entlockte ich dem ventillosen Aerofon onomatopoetische Schnalzmelodien mit Wiedererkennungswert. Durch Stotteratmung entwickelte ich arpeggioartige Muster und reihte sie an durch hyperglykämische Tiefenatmung erzeugte Borduntöne, die einen ruhenden Kontrapunkt ergaben. Ein A-, B- oder gar C-Teil war beim ersten Hören nicht zu erkennen. Aber je häufiger ich das komplexe Muster wiederholte, umso eingängiger wurde es, und meine Schwester meinte irgendwann, man könne sogar ansatzweise Emotionen heraushören. Meine Eltern diskreditierten die Dissonanzen meines Alltagsjazz, sodass meine Mutter den Schalltrichter eines Tages durch ein Sieb ersetzte. Nun fehlte der Verstärker, und die Geräusche, die durch den Schlauch jagten, fielen am anderen Ende einfach so durch die Maschen. Meine Schwester deutelte viel später einmal, meine Eltern hätten mich mundtot gemacht, aber so empfand ich das gar nicht. Nach außen hin sah es vielleicht so aus, als würde ich mit der neuen Siebposaune bloß eine Pantomime spielen, aber für mich verströmten die scheinbar stummen Performances dieselben Melodien wie mit Trichter. Ich wusste ja, wie sie klingen würden. Die mimische Repräsentation des Klangs wurde zu vorgestelltem Klang. Köche wissen beim Zubereiten von Gerichten ja auch meistens, wie die Zwischenergebnisse und das Endresultat schmecken, ohne nur einmal vom Holzlöffel zu kosten.

Die exaltierten Kakofonien meiner Siebposaune sind mir noch gut im Gedächtnis, im Gymnasium wurden die Instrumente komplett unsichtbar, aber die Melodien blieben. Ich habe meinen beiden Freunden Bodo und Gregor noch nie davon erzählt, sonst erwarten sie noch, dass ich in Bodos wöchentlicher Experimentalmusikreihe im Superloch mal ein Konzert gebe.

Eine alte Siebposaunenmelodie im Kopf, drehe ich den Wasserhahn der Dusche zu, nehme meinen Kulturbeutel und das Handtuch vom Haken und stoße die schwere Stahltür zur Schwimmhalle auf. Das Nichtschwimmerbecken ist heute gesperrt, das große Becken dafür knallvoll mit Badegästen, das Wasser steht so hoch, dass immer wieder ein Schwall über den Beckenrand schwappt. Mich erreicht eine Welle und umspült meine Zehen. In dem unebenen alten Fliesenboden haben sich knöcheltiefe Pfützen gebildet, durch die ich zu einem der Steinbänkchen wate, wo ich meine Schwimmsachen ablege. Vollgesogen hängen die Handtücher der Badegäste von den Bänken herunter. Während die Bademeister Pfützen zusammenkehren und das Wasser wie Straßenmüll in Eimer schaufeln, steigen immer mehr Menschen ins Becken, darunter etwa fünf Senioren, die hier vergeblich versuchen werden, Bahnen zu schwimmen. Andere kauern in Zweiergrüppchen am Beckenrand, halten sich daran fest, stoßen ihre Beine daran ab und lachen sich zu. Zwei Frauen mit trockenen Haaren halten sich an der Stahlleiter fest und unterhalten sich über Frisuren und Friseure. Nachdem ich ihnen signalisiere, dass ich ins Becken möchte, paddeln sie zur Seite. Ich gleite ins Wasser, einem braun gebrannten Omarücken hinterher, auf der Nachbarbahn ächzt ein kräftiger, mit vielen weißen Haaren übersäter älterer Herr mit einer dunkelblauen Badekappe aus Lycra, aus der lange, grüngraue Haare heraushängen. Seine Augen sind rot unterlaufen, und wenn er auftaucht, läuft Wasser aus dem großen Mund wie aus dem Rachen eines Walrosses. Anders als an regulären Abenden ist die Schwimmhalle heute abgedunkelt, fast döse ich weg. Aber bei dem Gewimmel muss ich mich konzentrieren, mit langsamen Brustzügen nehme ich Zickzackbahnen, um ja keinen anderen Schwimmer mit meinen Fuß- oder Armschlägen zu treffen. Das Publikum ist dasselbe wie sonst. Ob im Schwimmbad alle gleich sind, kann ich bis heute nicht eindeutig ausmachen, nirgends ist sich Jung und Alt so nah wie hier. Wir alle kommen hierher, weil es in der Stadt weder Meer noch Strand gibt. Wir trinken nicht aus Gläsern, aus denen andere vorher getrunken haben, aber wir schwimmen in Wasser, in das andere zuvor hineingespeichelt haben.

Die Abiturienten tauchen übereinander her, tunken sich gegenseitig, fast zärtlich, und führen leise Unterhaltungen über bereits vergangene Klausuren. Ihre Flüstergespräche schallen von den Fliesen wie geheime Stimmspiegelungen zurück in den Raum. Mir ist unbehaglich zumute, manchmal überkommt mich immer noch das Gefühl, man könne mir irgendwann meine Hochschulreife wieder aberkennen.

Die chlorige Luft wird schwül und schwer wie kurz vor einem Gewitter. Normalerweise komme ich hierher, um abzudriften. Innerhalb einer Bahn, die ich mit Kraulzügen durchziehe, streife ich in Gedanken mindestens zehn verschiedene Themen, doch noch nie habe ich jemals an Weihnachten gedacht, es geht mit dem Chlor einfach nicht zusammen. Und selbst heute, wo das Licht adventlich gedimmt ist, ist mir nicht danach. Meistens denke ich an meine beiden Freunde Bodo und Gregor, zu etwa achtzig Prozent. Ersterer erzählte mir einmal, er habe im Sizilienurlaub in einer blauen Bucht an einem Tag sechs Stunden auf einem schwarzen Felsbrocken gekauert, um mit einem kleinen Messer Muschelchen vom Stein abzuknibbeln, die sich daran wie mithilfe von wasserfestem Sekundenkleber festsaugten. Später am Abend habe er seine Ausbeute von knapp zweihundert Muscheln kurz mit Knoblauch, Zitrone und Salz angedünstet. Ich hätte Bodo dieses Histörchen nicht abgenommen, wenn Gregor nicht bestätigt hätte, er habe davon gekostet und an jenem Tag selbst vergeblich versucht, die harten Panzer der wild lebenden Meeresfrüchte mit seinen Fingernägeln vom Fels zu hebeln. Immer wenn eine Meereswoge den Stein heftig umspülte, sei Gregor voller Zuversicht gewesen, das Tier habe sich dann jeweils um etwa einen halben Millimeter vom Stein gelöst. Doch mit jeder Brandung sei er stattdessen vom Felsvorsprung ins Wasser gezogen worden. Später, zurück in der Küche der Finca, habe er das Meersalz aus seinem blond gefärbten Haar in Krusten direkt in Bodos Schalentierpfanne bürsten können. Wenn ich nicht an die beiden denke, dann vielleicht an mein letztes Bewerbungsgespräch, und ich spinne es so weiter, dass der Ausgang dieser unnützen Erfahrung für mich erträglicher wird. In meiner Version fragt mich der arbeitgebende Chef in spe: »Stellen Sie sich vor, Sie müssen ein Radieschen auf der Straße verkaufen – ohne jedoch die Worte ›knackig‹, ›knallpink‹, ›grellweiß‹ und ›saftig‹ zu benutzen. Wie meistern Sie die Situation?« Eigentlich fällt mir dazu unheimlich viel ein, aber ich beglückwünsche mein Gegenüber bloß zur gelungenen Aufgabenstellung und bedanke mich für das Gespräch, man brauche sich nicht bei mir zurückmelden, ich sei auch ohne Arbeit glücklich.

Nach der fünften 25-Meter-Bahn im Hallenbad macht für mich vieles wieder Sinn, Erlebnisse aus der wirklichen Welt werden einfach ad absurdum geschwommen. Doch heute komme ich nicht in den Flow, denn in der Schwimmhalle wird es immer unruhiger, laut klatscht das Wasser gegen den Beckenrand, die Abiturienten müssen ihre Gespräche einstellen. Ein paar mutige Senioren stürzen sich in die wilden Wellen, die schon eine atlantische Höhe erreicht haben, ungewöhnlich hoch für das hiesige Hallenbad. Gerade ist eine Woge von hinten genau über meinen Kopf nach vorn gezogen, für einen kurzen Moment fühle ich mich in einem grottenähnlichen Wasserschlauch gefangen. Mit viel weißem Schaum türmt sich hinter mir die nächste Welle auf, ich tauche kurz unter, in der Tiefe des Beckens höre ich ein schrilles Trillern, und als ich auftauche, sehe ich die Bademeister mit roten Pfeifen zur Ostseite des Beckens rennen. Die Schwimmer am östlichen Ende können sich vom Beckenrand dort nicht mehr losreißen, und die, die sich zum gegenüberliegenden Rand bewegen, werden nun rückwärts zum östlichen gezogen. Der alte Mann auf der Nebenbahn kommt mit seinen Armen nicht mehr gegen die Wassermassen an, starke Winde wehen durch die Halle, der älteren Dame vor mir reißt es die pinkfarbene Badekappe vom Kopf, mit einem Klatsch landet das Gummiding an der Glaswand zum Nichtschwimmerbecken. Indes rase ich wie motorisiert in Höchstgeschwindigkeit in ihren braunen Krumpelrücken, kurz wird mir schwindlig, die Kappenlose kracht auf einen rüstigen Senioren. Keine Zeit für eine Entschuldigung oder Scham, keiner kennt keinen. Von vorne saugt uns eine Böe zum Rand, eng stauche ich dort mit beiden Senioren zusammen. Der Druck auf unsere Körper wird immer größer. Meine Lunge quetscht sich in die Wirbel des alten Frauenrückens, ich kann kaum noch Luft holen. Niemand schreit, dafür fehlt der Raum, stattdessen panisches Gezappel im Wasser, Schienbeine treffen auf Schienbeine. Direkt vor meiner Nase taucht eine Stirn mit einer Verletzung auf, das Blut tropft zu hellroten Schleiern aus der frischen Wunde direkt in das Chlorwasser. Auch andere Schwimmer sind unglücklich auf den betonierten Rand aufgeschlagen. Ich sehe Abiturientinnen ihre Münder öffnen, jämmerlich japsen und Wasser spucken. Wo sind Steve und Karina, diese prominenten Abiturienten, die einzigen Personen, deren Namen mir einfallen? Alle ringen in der Enge nach Luft. Mit gebündelter Armkraft versuche ich, Beckenrand und Körper auf Abstand zu halten. Ich muss hier weg, bevor die totale Panik ausbricht, mein Wille und der Gedanke an die heutige Lieferung verleihen mir Kraft, ich strampele mich frei, und mit einem äffchengleichen Sprung hopse ich auf den Beckenrand. Ich wage einen letzten Blick in das verzweifelte Treiben. Alle Körper sind mittlerweile am östlichen Ende zu einer dichten, großen Traube zusammengestaucht, vergeblich versuchen sie, sich mit Armen und Beinen voneinander zu lösen, Köpfe krachen gegen Köpfe. Ich kann es mir nicht erklären: Außerhalb des Beckens bin ich sicher, so auch die Bademeister. Hastig fegen sie das mit Blut durchzogene Wasser mit Gummibesen außer Reichweite des Beckens, dann erst beginnen sie, die erschöpften Leiber aus dem Wasser zu ziehen. Badekappen und Bikinioberteile mit dunkelroten Sprenkeln kleben an der Glaswand zum Nichtschwimmerbereich. Die dicke Luft lässt die Menschen verstummen, ein dumpfes Wehklagen erfüllt die Schwimmhalle. Die Nebenwirkungen und Begleitumstände schwarzer Löcher wurden vor ein paar Monaten mit mir abgesprochen, lokale Risiken hat die Schweizer Versicherungsfirma thematisiert. Aber dass öffentliche Orte betroffen sein könnten, habe ich nicht erwartet, das hier ist ein Ausnahmezustand!

Noch auf dem Weg zu den Damenduschen streife ich meinen Badeanzug ab. Fürs Duschen bleibt keine Zeit. In der Umkleide drehe ich meine nassen Haare ungekämmt zu einem kleinen Dutt, umwickle das Ganze mit einem Handtuch und stülpe die Kapuze meiner dunkelblauen Jacke darüber, Unterhose, Hose, nasse Socken, Stiefel, fertig, schnell an der Kassenkabine vorbei. Mit einem seitlichen Sprung schaffe ich es am Ausgang über die Sperre, die Kassenfrau ruft mir durch ihr Mikrofon irgendetwas hinterher.

BODO UND GREGOR

Draußen ist es ruhig, kein auffälliges Lüftchen weht. Mein Fahrrad lehnt an einem Geländer, dahinter befinden sich die S-Bahn-Gleise. Ich schließe das dicke Zahlenschloss auf, binde es viermal um den Sattelhals, ich schaue auf meine Armbanduhr, eigentlich muss ich mich gar nicht so abhetzen. Dennoch flitze ich auf meinem Rad unter der Bahnunterführung hindurch auf die Linsenallee. Es tut so gut, in einer Nacht im Mai durch die Stadt zu rollen. Und mein Rennrad, ein polnisches Herrenmodell aus den Siebzigern, ist, seit ich in dieser Stadt lebe, mein treuester Begleiter. Manche Leute schwören auf Haustiere, ich auf Fahrräder. Das Rad und die Stadt sind ein unverzichtbares Gespann. Wenn ich an einem kühleren Sommertag hinter einem Bus an einer Ampel warte, in meinem knielangen, hellblauen Rock, dann wärmt der Qualm aus dem Auspuff meine unbekleideten Beine. Ich liebe mein Rad mehr als so manchen Menschen, es ist einfach verlässlicher. Vor knapp neun Jahren habe ich es bei »Radfrust« gekauft, einem Laden für Gebrauchträder. Doch nur eine Woche nach Erwerb des hellgrünen Metallicschätzchens wurde es mir gestohlen. Und als ich ein paar Tage später »Radfrust« aufsuchte, um nach einem neuen zu schauen, stand es wieder dort, aber mit Preisschild an den Korkgriffen und fünfzig Euro teurer als zuvor! Ich strich mit meinen Fingern über die Konturen des herzförmigen Rostflecks an der Querstange und entfernte entschlossen das Preisschild: »Netter Versuch, ihr habt wohl ’nen Vogel!« Radfrust-Micha wirkte nicht einmal ertappt, er blieb einfach hinter der Theke stehen, während ich mein Rennrad aus dem Laden schob.

Das Rad fährt wie Butter auf Brot, doch seit ein paar Wochen macht es Hupgeräusche, wenn ich bremse. Ich habe Angst, dass es mir noch einmal geklaut wird, deshalb kette ich es jeden Abend an den Fahrradständern im Innenhof fest, wo es etwas sicherer steht als an einem Baum vor der Haustür.

Als ich in eine Straße mit Kopfsteinpflaster einbiege, steige ich ab und hebe das Rad auf den Bürgersteig. Eine Gruppe von Touristen ist auf dem Weg zur S-Bahn. Laut rollt ihr Gepäck hinter ihnen her, Rollkoffergewitter. Touristengruppen sind keine eleganten Vogelschwärme, mal bleibt der eine stehen, und der andere tritt aus. »Sorry, I must hurry«, sage ich, nachdem ich aus Versehen die gelbe Espadrille einer Frau überfahren habe. Langsam wird es knapp, ich schaue auf meine Armbanduhr, 00:45 Uhr, die Züricher Lieferung ist für 1 Uhr angekündigt.

»Die Hildegunde mit ihrem Fahrrad!«, tönt eine Stimme hinter mir, ich erkenne sie sofort und drehe mich um. Bodo rollt mir wie ein großer, weicher Stein entgegen. Neben ihm Gregor, leicht wie eine Feder, sein mit Wasserstoffperoxid behandelter Haarschopf leuchtet phosphoreszierend im Nachtlicht. Er zieht einen Handwagen hinter sich her, die eiernden Holzräder quietschen leise im Schritttempo der beiden. Bodo Rauleder und Gregor Uhlmann. Eigentlich habe ich es eilig, ich habe einen wichtigen Termin mit einer Schweizer Speditionsfirma, doch wenn ich die beiden sehe, breitet sich über den gesamten Stadtteil eine Gemütlichkeit aus. Zur Begrüßung hupe ich ihnen mit meiner Bremse laut zu. Wir stellen uns unter eine defekte Straßenlaterne, über uns leuchtet eine grelle Mondsichel. Wie selbstverständlich nenne ich Bodo vor Gregor, wenn ich von Bodo und Gregor rede, selbst wenn ich Gregor und Bodo meine. Gregor mag vielleicht nur Bodos kleiner Sidekick sein, aber wenn schon: ein feiner Sidekick! Und um es schnell vorwegzunehmen: Ich hege tiefe Gefühle für Gregor. Zwar charakterisiert ihn dieser überaus intime Tatbestand eigentlich ausreichend, doch muss ich wohl doch noch ein paar Takte über sein Aussehen verraten, selbst wenn es mehr Sinn machen würde, seinen Geruch zu beschreiben, aber das mache ich lieber nicht, da Gerüche oft per se negativ ausgelegt werden und ich Gregor nicht in ein schlechtes Licht stellen möchte. Sein Teint, falls das interessiert, ist von der täglichen Arbeit im Freien sonnengebräunt und überdauert den eisigsten Winter dieser Stadt bis zum nächsten Frühjahr. Seit ich ihn kenne, behandelt er seine von Natur aus schwarzbraunen Haare, die er in einem soften, selbst geschnittenen Vokuhila trägt, mit Wasserstoffperoxid. Wenn er frisch blondiert ist, sieht das immer so aus, als trüge er ein gelbweißes Mützchen auf dem Kopf. Das Ganze fängt erst dann wieder an, gut auszuschauen, wenn die Ansätze rauswachsen und sein dunkles Haar am Scheitel zum Vorschein kommt. Letzten Winter vergaß Gregor sein Haar völlig. Er wusch es zwar täglich, aber innerhalb von fünf Monaten war sein Haar schon bis unter sein Ohrläppchen gewachsen, sodass die untere Hälfte hellblond wie ein weißer Lappen an seinem langen, dunklen Scheitel hing.

»Du musst deinen Gehirnansatz nachfärben oder deine Haare abschneiden«, meinte Bodo darauf zu Gregor.

»Und du solltest dir mal deine Haare waschen!«, entgegnete Gregor nur. Gregor und Bodo gehören zu der Sorte Freunde, die sich alles sagen.

Bodo streckt mir zur Begrüßung einen Vorschlaghammer entgegen, das Abendlicht schmeichelt seinem müden Gesicht, aus dem die stets ruhelosen Augen flackern. Er gehört zu den Menschen, die mit achtzehn Jahren schon etwas Senioriges haben und dann mit Anfang dreißig plötzlich infantile Ideen entwickeln, für die man sie plötzlich ernst nehmen muss. Zu allen Zeiten wirkt er grundlos rastlos, wie durch eine fremde Kraft gesteuert.

Ich schüttle seinen groben Faustkeil herzlich wie eine Hand und berichte, dass ich gerade von der langen Nacht der Schwimmbäder komme. »Wir sind gerade auf dem Weg zur alten Schlachterei, eine große Ruinenlandschaft.« Gregors Lippen beben wie zwei weiche Hammer; als er von den Abbruchhäusern redet, ist das wie elektronische Musik: »Da müssen wir noch Steine klopfen.«

Ein schwedischer Bauherr habe die beiden beauftragt, das marode Gemäuer der Schlachterei zu retten, der brauche das Material für ein Neubauprojekt, erklärt mir Gregor.

»Derselbe Schwede, für den du diesen Öko-Hagebuttenbaustoff entwickelst, Bodo?«, frage ich.

»Psst!«, zischelt Bodo. »Das ist noch geheim!«

»Und morgen Mittag wollen wir noch mal in den Park, für die Brennnesseln. In deiner Straße wollten wir noch Löwenzahn zupfen.« Gregor zieht ein schwarzes Jeanshemd aus einem Jutebeutel auf dem Handwagen, in das er wie in eine dünne Jacke hineinschlüpft.

»Vorher noch die Lupinen!« Bodo fällt ihm harsch ins Wort. Unter ihren schweren Lidern sehe ich die Augen meiner Freunde in der Dunkelheit glänzen, keine goldenen Dollarzeichen, aber Schrot und Korn, die Erntezeit hat begonnen. Nach dem Steineklopfen heute Nacht wird es für die beiden in der Früh wieder auf die Piste gehen, ich bin nicht überrascht. Das sind Bodo und Gregor: Stell dir ein kleines Feld mit Lupinen vor. Nein, stell dir besser eine Müllhalde vor, auf der Blumen mit lilablauen Blüten wachsen. Vielleicht duften sie nicht, aber sie sind wunderschön und haben keine einzige faulig-braune Stelle. Sie reflektieren das Sonnenlicht so stark, dass es blendet und du die Müllhalde nicht mehr wahrnimmst. Und dann gibt es einen Schnitt – eine kurze, schwarze Unterbrechung –, und bei der nächsten Einstellung siehst du genau dieselbe Müllhalde, aber eben ohne diese farbintensiven Lupinen, denn all die zarten, feinen Pflänzchen wurden in der kurzen Pause entfernt. Von Bodo und Gregor, sie lassen nichts anbrennen, das ist ihr tägliches Brot. Sie grasen, weiden, ernten, beuten. Wenn die Zeit reif ist und die Blumen in der Blüte stehen, ist nichts vor ihnen sicher, auch keine Müllhalde. Und von einem auf den anderen Tag liegen die opalinmauve-blauen Lupinen in langen Stapeln appetitlich aufbereitet, verkaufsfördernd angerichtet auf einem rot-weiß gepunkteten Wachstuch eines Standes auf dem Biowochenmarkt auf dem Yuppinski-Platz.

Vor allem der Löwenzahn hielt die beiden in diesem Frühjahr über Wasser, die Saison hat im März begonnen und geht bis Ende November, eine fette Ausbeute. Von den zähen Blättern bis zu den gelben Klebblüten – alles kann verwertet werden. Selbst die weiße Flüssigkeit in den makkaroniförmigen Stängeln des Löwenzahns untersuchte Bodo daheim auf Faltenminimierung. »Vielleicht hilft das sogar gegen Krebs«, vertraute er mir einmal an. Daneben versuchen es die beiden auch mit der Brennnessel. Sie ist Bodo zufolge die potenteste Pflanze der Welt, nur die Sache mit den drei »n« verhöhne die Zeitlosigkeit dieser Pflanze, die gute alte Brennnessel sei auch nicht mehr das, was sie mal war.

Ich will nicht behaupten, dass Bodo und Gregor Exkremente zu Gold machen, dafür sind ihre Ideen zu leidenschaftlich. Wenn Bodo, insgesamt betrachtet, nicht so korrupt wäre, würde ich ihre Arbeit sogar als ehrliches Handwerk bezeichnen. Trotz allem: Selbst Korruption benötigt eine kleine Portion Fantasie, die die Stadtgrenzen sprengt und dabei doch recht bodenständig bleibt. Weniger bodenständig ist sicher Das Loch, unser Stammclub, den Bodo und Gregor mit einem kleinen Kollektiv führen und wo ich die beiden vor vier Jahren auf einem Konzert kennenlernte. Seitdem kam ich regelmäßig dorthin. Das Loch liegt mitten in meinem Kiez und war in den 1920er-Jahren einmal eine Wäscherei. Bis vor acht Jahren lag das Gelände mehr oder weniger brach. In einer einwöchigen Nacht-und-Nebel-Aktion wurden die Räumlichkeiten umgestaltet, eine Wand wurde eingezogen, andere Wände leicht verputzt, und am Ende schlürfte ein riesengroßer Nasssauger die Betonkrümel der schlaflosen Woche auf.

Man gelangt in den Club über eine Treppe, die etwa fünf Meter tief in den ehemaligen Trockenraum reicht. Im Vorraum stehen außer der Theke drei Bänke, ein paar alte Stühle, Tische und zwei gemütliche Sitzecken, in denen regelmäßig geknutscht wird. Einen ähnlichen Zweck erfüllt eine alte Waschwanne, die Gregor mit Samtpolstern ausgekleidet hat und in der zwei Leute Platz haben, wenn sie sich gegenübersitzen und die Unterschenkel aus der Wanne halten. Bei fünfzig Leuten wird es im Vorraum sehr eng. Dann sammelt sich der Schweiß der Gäste zu einer Wolke, die knapp unter die weißen Deckenfliesen emporsteigt und beim Einbrechen der Nacht auf die vernebelten Thekengesichter tröpfelt. Auch die alten hellblauen Kacheln an den Wänden und auf dem Boden sind noch erhalten, werden aber von Jahr zu Jahr weniger, weil sie von Touristen immer mal wieder rausgeschlagen und als Souvenir mit nach Hause genommen werden – an der Mauer sei ja nicht mehr viel zu holen, sagen einige. Ein großes Problem ist der zerstörte Boden, über den man eigentlich regelmäßig stolpert, wenn man die Füße nicht richtig hebt. Im Sommer in Sandalen stößt man sich viel zu oft die Zehenkuppen an den demolierten Fliesen, was sehr schmerzhaft sein kann. Aber den gesamten Boden rauszuschlagen und ihn mit einer glatten Betonschicht auszufüllen oder einem weichen Linoleumboden auszulegen, kommt für das Orgateam nicht infrage.

Richtig sicher kann sich das Orgakollektiv in Bezug auf den Erhalt des Lochs leider nie sein, es gibt immer wieder Stress mit der Hausverwaltung, die den Club an die Teilhaber des Kollektivs verpachtet hat. Dabei ließ die Hausverwaltung die jungen Leute bis vor Kurzem einfach machen, schien vielmehr glücklich über die Wärme, die der nächtliche Schweiß der Bier trinkenden Menschenmassen in die ohnehin schon feuchten Kellerwände brachte.

Bodo schwenkt den Hammer vor sich hin und her. Dann bückt er sich, hebt sein rechtes Hosenbein. Ein kräftiger und spärlich behaarter Unterschenkel kommt zum Vorschein, den er mit seinen Fingernägeln an einer kleinen Stelle so sehr kratzt, dass das Geräusch von Bodos oberster Hautschicht in unseren Ohren schabt.

»So, langsam sind alle Mückenstiche abgeschwollen.« Unter dem hochgekrempelten Hosenbein läuft ein verlängerter Bluttropfen geradewegs in Bodos braune Frotteesocke.

»Das Problem an dem Schlachtereigelände ist dieser Weiher in der Baugrube, damit kommen auch die Mücken.« Gregor zwickt sich in seinen Unterarm, um sich Bodo gegenüber kollegial zu zeigen. »Ich habe kein Problem mit den Viechern, ich werde nie gestochen, deshalb bekommt Bodo die ganzen Mücken ab, weiß auch nicht, warum.«

»Sicher dein anatolischer Background«, erklärt Bodo die Sache.

Auch wenn der peroxidblonde Gregor aus dem kleinen Tête-à-Tête zwischen einem türkischen Saisonarbeiter und einer eher zurückhaltenden Ostfriesin auf einem heiteren Tanztee in Bremen hervorging – der Gedanke, ein spezifischer Genpool sei verantwortlich für Gregors Immunität gegen Mücken, ätzt sich mir als saurer Pfropfen in den hinteren Rachenraum, da, wo Gaumen auf Zunge stößt. »Biologistischer Blödsinn«, fahre ich Bodo an. Wie kann der Anspielungen auf Gregors Vater machen, wenn der in Gregors Leben so gut wie keine Rolle gespielt hat? Gregor ist bei seiner Mutter aufgewachsen, und von ein paar kulinarischen Begriffen abgesehen, spricht er deshalb auch kein Wort Türkisch. Zu seinem Vater, der Anfang der 1970er aus Anatolien kam, um in Bremen als Isolierer zu arbeiten, hält Gregor zwar bis heute sporadisch Kontakt. Jener hatte ihm aber lange verschwiegen, dass er kurz nach Gregors Geburt verheiratet wurde und eine andere Familie mit zwei Kindern gründete. Gegenüber seiner in Anatolien lebenden Verwandtschaft wiederum ließ er kein Wort über Gregor fallen. Für sie ist Gregor also gar nicht existent. Die Eigenschaft, nie geboren worden zu sein, stärkt sicher nicht die Selbstachtung eines Menschen, aber Gregor hat sich nie wehleidig oder boshaft geäußert, jedenfalls nicht über seinen Vater, obwohl er sicher Grund dazu gehabt hätte. Bodo sieht seine eigene Lebensgeschichte viel kritischer, denn dass er und Gregor erbärmliche Väter gehabt hätten, sei wohl ihre einzige Gemeinsamkeit, meinte er einmal.

Klar hatte Gregor auch frustrierte Zeiten am Tresen, das war zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte und nicht genau wusste, ob ich ihn supertoll oder ein bisschen langweilig finden sollte. Mittlerweile wirkt er in allem, was er tut, zufrieden und besonnen. Wenn er ruhig ist, dann wird’s verdächtig, ich weiß, dass hinter seiner Stirn gerade ein paar interessante Gehirnzellen im Gang sind. Manchmal kommt er mir perfekt vor, vielleicht werde ich anders darüber denken, wenn wir eines Tages ein Paar werden sollten. Bis jetzt geben Bodo und Gregor das bessere Liebespaar ab. Himpelchen und Pimpelchen. Bodo hat in Gregor den Freund fürs Leben gefunden. Dabei testet Bodo ständig Freundschaften aus, um in Erfahrung zu bringen, wer noch zu ihm hält, trotz seines Verhaltens, seines Körpers, seiner immer präsenten Stimme, die durch das viele Rauchen schon in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bodo ist Kettenraucher, aber kein hagerer, fettfreier Schlaks. Auf den ersten Blick würde ich ihn als wuchtig und ungepflegt beschreiben. Beim zweiten Hinsehen fällt seine Leber ins Auge, die oberhalb seiner Taille rechts wie eine Schinkenkeule unter seinem engen T-Shirt hervorquillt, wenn er ein solches trägt. Manchmal möchte ich Bodos Körper nicht kennen. Doch es gibt auch Momente, in denen mich seine Kraft begeistert, zum Beispiel wenn ich im Superloch, dem Hinterzimmer des Lochs, seinen Rücken sehe und er einen Verstärker mühelos vor sich herträgt, als sei der ein leerer Pappkarton. Trotz schlechter Körperhaltung klagt er nie über Rückenschmerzen. Wenn die Nächte im Das Loch kippen, hat er mir und Gregor an der Theke schon oft von seinem »Be-Yond« erzählt. Dieses Kunstwort, das sich aus »being« und »beyond« zusammensetzt, bezeichnet sein Konzept eines jenseitigen Lebens außerhalb von Raum und Zeit. Bodo versteht den Tod nur als eine Krankheit oder eine exklusive Lebensform, deshalb auch seine Lust am Risiko. Dass er unaufhörlich weitermacht und sich trotz seines geräumigen Wanstes so zäh hält, finden die Loch-Besucher anziehend und beruhigend. Mich beunruhigt es eher, und manchmal frage ich mich, wie lange Bodo das alles noch mitmacht.

Kennengelernt haben sich Bodo und Gregor nicht im Das Loch, sondern vor vielen Jahren in einer der Berliner Universitätsbibliotheken. An den ruhigen Leseplätzen gedachten sie, ihre peinlichen geisteswissenschaftlichen Abschlussarbeiten zu Ende zu bringen: Abhandlungen, in denen kritische Ansätze zu vertreten waren, so kritisch, dass es beiden eigentlich keinen Spaß mehr machte. Gregor und ich haben einmal das Resümee von Bodos Arbeit gelesen, es beginnt mit dem Hinweis, es sei schwer, »Kritik als Ermöglichungsdimension zu verstehen«, weiter haben wir nicht gelesen. Zwar war Gregors eigene Arbeit ähnlich geartet, doch seine etwas zwanghafte utopokritische Perspektive verwandelte sich nach Abgabe der Magisterarbeit über die Jahre in eine eher entspannte Weltsicht ohne Wissenschaft. Bodos innere Einstellung dagegen mutierte aufgrund starker Frustration in totale Anarchie, was zwar immer noch konstruktiver sein kann als kritische Wissenschaft, aber wahrscheinlich einfach nur Selbstgerechtigkeit meint.

Das erste Mal begegneten sich die beiden im bunkerartigen Untergeschoss der Bibliothek, klassisch am Kaffeeautomaten. Jeder überlegte für sich, aber laut, welches der tollen Kaffeeangebote er gleich ordern sollte. Dabei tauschten sie sich darüber aus, welche Erfahrungen sie mit »Wiener Melange« gemacht hatten, was zur Entscheidung führte. Ein paar Neonröhren tauchten den Pausenraum in behagliches Krankenhauslicht, während die Maschine das erste Heißgetränk fabrizierte. Etliche Male zuvor hatten Gregor und Bodo diesen Prozess beobachtet: Das Geräusch, wenn die einzelnen Münzen wie fröhliche Metallmurmeln durch den Automaten liefen, das Flopp, wenn der braune Plastikbecher ausgestoßen wurde, und schließlich das laut zischende, fast perverse Getröpfel, bei dem aus verschiedenen Düsen Flüssigkeiten zusammengemischt wurden. Sich diesen Vorgang gemeinsam anzuschauen, machte beileibe mehr Spaß. »Der Automat wurde zu einem partizipativen Erlebnis, das intensiver war als ein gemeinsamer Cafébesuch, mit weniger sozialem Zwang.« So legte es Gregor einmal dar. »Der Kaffeeautomat beseelte mich bei all der emotionslosen Schreibarbeit.«

Ihre Freundschaftsgeschichte haben mir Bodo und Gregor schon hundertmal erzählt. Obwohl ich nicht dabei war, kann ich sie mindestens genauso gut wie die beiden wiedergeben.

Mit geriffelten Bechern standen sie im Pausenbunker, prosteten sich loyal zu, und nachdem sie den ersten Schluck genommen hatten, fragten sie einander, ob der Kaffee des anderen auch nach Gemüsebrühe schmecke, da müsse irgendwas am Trennmechanismus der Düsen defekt sein, gestern sei die Melange noch ganz okay gewesen. Das war an Tag null. Das fehlende Tageslicht zusammen mit dem schlechten Kaffee ergaben eine verlässliche Formel, die auf angenehme Weise benebelte und von wissenschaftlichen Sorgen befreite, sodass die Treffen wiederholt wurden. Und in der vierten Pause vor der Kaffeemaschinerie, an Tag drei, waren die beiden schon so weit, dass sie ein kleines Spielchen miteinander spielten, nämlich das »Gegensatzspiel«, das folgendermaßen funktioniert: Der eine nennt einen Begriff – ein Objekt oder ein Adjektiv, was auch immer –, und der andere muss das exakte Gegenteil davon ausmachen, aber das exakte! Reizvoll ist das Spiel vor allem deshalb, weil es von den meisten Begriffen gar kein eindeutiges Gegenüber gibt. Deshalb mussten Gregor und Bodo in den meisten Fällen heftig diskutieren, welcher nun der passendste Begriffskandidat sei, mit dem beide zufrieden waren. »Was ist das Gegenteil von Blau?«, begrüßte Bodo Gregor an Tag vier.

»… ich finde, Braun ist eher das Gegenteil als Rot«, antwortete Gregor zum Beispiel, manchmal ging es also weniger um richtige Antworten als darum, einfache Sätze zu formulieren, die die verklebten Gehirnwindungen mit neuem Sauerstoff anreicherten und einer drohenden Schreibblockade beim Verfassen von Magisterarbeiten vorbeugten.

Am fünften Tag schaffte Bodo ganze zehn Seiten für seine Abschlussarbeit. Er hatte sie in den letzten neun Minuten vor der gemeinsamen Kaffeepause in den Rechner gehackt. Gehetzt trappelte er die Stufen in den Pausenbunker hinab.

»Was ist das Gegenteil von Bibliothek?«, stieß er aus, seine Schläfen leuchteten knallrot, und aus kleinen Poren auf seiner käsigen Stirn dampfte gelbliches Kondenswasser, das wahrscheinlich unangenehm roch.

Gregor ließ sich mit der Antwort Zeit, er kramte in seinem Portemonnaie, sortierte entwertete Bahntickets, die er auf einen Haufen brauner Plastikbecher in einem schmalen Abfalleimer warf. Bodo wurde langsam ungeduldig.

»Buchladen vielleicht?« Gregor schnippte Geldmünzen in den Schlitz des Automaten.

»Nein.« Entschieden schüttelte Bodo den Kopf.

»Weil man da keine Bücher ausleihen kann.« In sich versunken erläuterte Gregor seine Antwort und tippte sich dabei mit seiner Geldbörse gegen seinen schmalen Jeansoberschenkel.

»Falsch!« Bodo wurde noch lauter, um die Geräusche des Kaffeeautomaten zu übertönen.

»Videothek? Weil man da statt Büchern Filme ausleihen kann?«, riet Gregor voller Hoffnung.

»Das wäre nur einfache Gegensätzlichkeit gegenüber Bibliothek.« Bodos Gesicht brannte. »Nein, ich meine das tooootale Gegenteil von Bibliothek!«

»Bestimmt irgendwas mit Zement oder Beton …?« Sanft pustete Gregor in den regenbogenfarbenen Schaum, der am oberen Rand seines Plastikbechers in kleinen Bläschen zerplatzte.

Bodo schüttelte triumphierend seinen Kopf.

»Ich weiß es nicht.« Gregor gab auf.

Bodo zufolge hatte sich mittlerweile eine interessierte kleine Gruppe bestehend aus habilitierenden BWLern, VWLern, Juristen und einer älteren Dame um die beiden versammelt. Während alle geschäftig in ihre Telefone schauten, blieben sie ganz Ohr auf Bodos Rätsels Lösung: »Sex-Shop!«

»Oh Mann, ja, klar! Dass ich da nicht drauf gekommen bin!« Laut klatschend schlug sich Gregor an die Stirn. Und während sich Bodo einen Kaffee zog, bekam das Automatenauditorium noch mit, dass sich die beiden Kaffeefreunde für diesen Abend im Das Loch verabredeten.

»Bier kostet da 1,50 Euro!« Er wiederholte die genaue Adresse des Lochs noch zweimal besonders laut. Und nach dieser Guerillawerbung sah man dort seitdem zwei bis drei der lauschenden Bibliotheksfrusties tatsächlich öfters. Neben zwei Juristen auch die ältere Dame, die wahrscheinlich immer noch an ihrer Bachelorarbeit in Europäischer Ethnologie sitzt.

Manchmal erinnern mich Bodo und Gregor an meine Eltern: Sie scheinen mich zu mögen und haben wenig oder keinen Sex, jedenfalls nicht miteinander.

Gregor hat sich neben den Handwagen gekniet, um die darin liegenden Stoffsäcke so zu staffieren, dass sie nicht herunterfallen. Im Halbdunkel wirkt er grazil wie ein freundliches Skelett in einem lustigen Animationsfilm. Durch die tägliche Arbeit in Wald, Wiesen und auf Müllhalden haben sich seine Arme und Beine zu griffigen Stöcken geformt.

Die beiden wollen mir noch mehr erzählen, doch ich habe jetzt nicht mehr so viel Zeit. Ich klopfe auf Bodos Hammerkeil, streiche einmal mit meiner Hand über Gregors Handwagen und bekunde damit meinen Respekt für ihre nächtlichen Steinklopfarbeiten.

»Macht’s gut, aufi hü!« Ich steige auf mein Rennrad und galoppiere auf dem Bürgersteig davon.

ZURICH HOLE INSURANCE

Vorne an der Kreuzung am Krankmorter Tor sind die Ampeln ausgefallen. In drei Spuren stottern die Wagen wie verunsicherte Ameisen im Dunkeln über die Paulsberger Allee. Noch ein paar Hundert Meter weiter, dann biege ich in meine Straße ein. Der Heimweg ist das Ziel, das war schon immer so, ich liebe die Rückfahrten zu meiner Wohnung, daheim weiß ich, was auf mich zukommt, doch in dieser Nacht ist das anders, denn ein neues Kapitel wird in meinem Zuhause anbrechen, ab heute wird meine Wohnung zu einem fremden Gebiet, vielleicht muss ich sie sogar räumen.

Vor meinem Hauseingang sehe ich schon drei Männer mit Gasmasken stehen, zwei dieser mundlosen Roboter tragen flaschengrüne Overalls, ähnlich wie die von Zoowärtern. Ich kette mein Rad an den schlanken Haselbaum vor meinem Haus und gehe auf die Männer zu. Der dritte trägt einen schwarzen Anzug, darüber eine graue Wolljacke, die wirklich teuer ausschaut.

»Grüezi, da sind Sie ja endlich. Wir müssen heute noch weiter«, gibt er wie durch ein Dosentelefon mit Schweizer Akzent zu verstehen. Er streckt mir seine Hand entgegen: »Ich bin Peter Wyss, der Versicherungsleiter der ZHI, Zurich Hole Insurance. Wir versichern Löcher. Und das sind Günther und Norbert, die Installateure. Wir warten scho seit mehr als e Stund auf Sie!«

»Hildi Tropeng mein Name.« Ich frage mich, weshalb Leute in Overalls so selten mit Nachnamen vorgestellt werden. »Ich war schwimmen, guten Morgen!« Ich greife nacheinander in ihre weichen, schwarzen Lederhandschuhe.