Kirstin C. Schneider

 

Chiaras Welt

 

 

 

 

 

Chiara 1

 

 

Impressum

© Karina-Verlag, Wien

Ein Bild, das Text, Briefpapier enthält.

Automatisch generierte BeschreibungText: Kirstin Schneider
Lektorat: Bruno Moebius

Layout: Bruno Moebius

Coverdesign: Karina Moebius

Illustrationen: Karina Pfolz

Titelbilder: Kirstin Schneider, Pixabay

ISBN: 978-3-96610-425-8

 

© 2019, Karina Verlag, Vienna, Austria

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und Autor unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

Vorwort

 

 

Ich wollte nie eine Katze. Ich fand sie schon immer süß, aber haben wollte ich keine. Hunde fand ich viel toller.

Katzen sind schwierig, das weiß man doch. Die machen, was sie wollen, sind unnahbar und kratzen, wenn ihnen irgendwas nicht passt. Ach ja, und wenn ihnen mal so richtig was nicht passt, dann machen sie ihre Geschäfte überall hin, nur nicht da, wo sie hingehören. Und die Wohnung zerlegen sie in ein Trümmerfeld.

Voll hinterhältig, so ’ne Katze. Unemotional.

Hat man mir gesagt.

 

Ich habe eine Katze. Ich habe mich in dem ersten Moment, in dem ich sie gesehen hab, in sie verliebt, aber haben konnte ich sie nicht, weil sie jemand anderem gehörte. Dachte ich.

Nun lebt sie bei mir seit mehr als 11 Jahren, aber sie gehört mir nicht – sie gehört zu meinem Leben.

Katzen sind einzigartig. Sie machen, was sie wollen, sind unnahbar und anhänglich, abweisend und zugewandt und kratzbürstig, wenn man das Äußere eines Sisalstammes hat.

Wenn meine Katze ihre Geschäfte irgendwo hinmacht, wo sie nicht hingehören, bin ich todunglücklich – weil sie offensichtlich todunglücklich ist. Meine Wohnung steht noch und ist, egal in welchem Zustand, der beste Ort der Welt, weil sie hier lebt.

Meine Katze ist das ehrlichste Wesen, das mir in meinem Leben begegnet ist. Ihre Zuneigung rührt mich jeden Tag aufs Neue.

Katzen sind. Perfekt.

Das weiß ich, seitdem ich nicht mehr einfach so darauf höre, was man mir sagt.

Begegnung

 

 

Ob ich ein Problem mit Katzen hätte, hat er gefragt.

Nö. Hab ich nicht. Solange sie kein Problem mit mir haben, werden wir schon miteinander klarkommen. Ich mag Katzen. Glaub ich. Auf jeden Fall find ich sie süß.

Mein neuerdings Herzallerliebster wohnt 200 Kilometer von mir entfernt, sodass es eine Weile dauern soll, bis ich seine vierbeinigen Mitbewohnerinnen kennenlerne.

Anlässlich meines ersten Besuches bei ihm ist es so weit. Drei sind es. Eine Perserdame und zwei Britisch Kurzhaar – Mutter und Tochter. Na ja, zumindest in der Theorie. Mama BKH, Chiara ihr Name, krieg ich weder am ersten gemeinsamen Wochenende noch während der nächsten zwei Monate in meiner neuen Beziehung mit einem Katzenpapa zu Gesicht.

Da ich bislang nie über ein kurzes Streicheln mir zufällig über den Weg laufender Katzen hinausgekommen bin, muss ich mich erst einmal daran gewöhnen, dass ich von nun an bei jedem Aufenthalt in seiner Wohnung unmittelbar belagert werde.

Es ist erstaunlich. Ich kann mich noch so leise in das leere Wohnzimmer schleichen und meinen Alabasterhintern noch so zaghaft und geräuschlos auf das Sofa bewegen – in dem Moment, in dem ich es mir gemütlich machen will, stolzieren die beiden Grazien in den Raum und belagern mich. Luna, die Perserdame, besteht darauf, mir so dicht wie möglich unters Kinn zu krabbeln, und Emmy, Chiaras Tochter, möchte, bitte, auf meinem Bauch Platz nehmen. Wenn ich es wage, einfach so aufrecht sitzen zu bleiben, werde ich angeschrien. Von beiden. Was soll ich sagen? Ich bin neu hier. Quasi Besuch. Wie könnte ich mich da dem Willen der beiden Hausherrinnen widersetzen?

Im Ergebnis bekomme ich regelmäßig vom Film bei unseren gemütlichen Fernsehabenden nicht viel mit. Ich sehe nichts. Es guckt sich schlecht fern, auf dem Rücken liegend. Mit gefühlt 10 Kilo Lebendgewicht auf Hals und Brustkorb. Und wenn einem bei jedem Atemzug ein halbes Pfund Perser-Haare unter der Nase klebt, trägt das auch nicht gerade zur Entspannung bei. Was tut man nicht alles aus Liebe … Mann, das sind doch seine Katzen, wieso liegen die nicht bei ihm?!

Zugegebenermaßen rühren mich die beiden irgendwie. Ich stelle fest, dass ich gar kein Problem damit hab, von ihnen als Schlafunterlage ausgenutzt zu werden. Eher im Gegenteil. Katzen sind schon einnehmende Wesen.

Aber ich bin ein bisschen beleidigt. Ich finde schon, dass sich Chiara langsam mal sehen lassen könnte, wenn ich da bin. Langsam fange ich an zu zweifeln.

Ist er sicher, dass er drei Katzen hat?

 

Doch eines Tages ist es dann so weit.

Während eines meiner Wochenend-Besuche bei meinem Freund muss ich irgendwann einmal mitten in der Nacht in die Keramikabteilung. Als ich die Schlafzimmertür hinter mir zuziehe, stolpere ich im Flur fast über Luna, die mich anblinzelt und vorwurfsvoll anschreit. Also, wenn die glaubt, dass ich mich jetzt hier auf den Rücken werfe, hat sie sich aber geschnitten. Mein Blick fällt ins Wohnzimmer. Emmy schlummert auf dem Sofa. Und da, da ist der Beweis: Mitten im Wohnzimmer, platt auf den Boden gedrückt und überzeugt davon, dass sie unsichtbar ist und ich sie unmöglich sehen kann – aber unzweifelhaft die dritte Mitbewohnerin meines Freundes. Es gibt sie also doch. Chiara.

Vorsichtig nähere ich mich ihr, und als ich auf sie zugehe, duckt sie sich noch weiter auf den Boden. Offenbar mache ich ihr Angst. Na gut, dann anders. Ich lege mich auch platt auf den Boden und beschränke mich darauf, sie ein bisschen zu beobachten.

Sie tut mir leid, diese kleine verschüchterte Maus.

Es dauert eine ganze Weile, bis Chiara zaghaft ihren Kopf hebt und in meine Richtung blickt. Wobei … blicken ist hier irgendwie nicht das richtige Wort.

Aus einem zuckersüßen runden Gesichtchen gucken mich zwei … ähm, na ja, ziemlich schielende und flackernde Augen an. Du meine Güte, ist die zauberhaft. Auch wenn ich gestehen muss, dass Schielen noch geschmeichelt ist, finde ich, dass es die tollsten Augen der Welt sind.

Chiara hat Nystagmus, hat man mir erzählt. Sie ist gerade einmal anderthalb Jahre alt, viel kleiner als normal, der Körper ist kurz und gedrungen und ihr Schwänzchen nur halb so lang, wie es eigentlich sein sollte. Ihre Tochter, die sie mit nicht einmal einem Jahr bekommen hat, ist jetzt schon um einiges größer und kräftiger als sie. Das Schielen war der Grund, warum der »Züchter« sie abgegeben hat – trächtig, wie sich dann herausgestellt hatte – er sagte, sie werde von den anderen Katzen gemobbt.

Auf meinem Rücken macht sich Getümmel breit. Chiaras Tochter und Luna haben offensichtlich beschlossen, dass sich auch meine Kehrseite als Liegewiese hervorragend eignet. Nachdem ich meinen Nacken unauffällig von einer Kralle befreit hab, stell ich fest, dass Chiara verschwunden ist.

Na toll. Nun lieg ich hier spärlich bekleidet mitten in der Nacht im Wohnzimmer auf dem Fußboden mit zwei Katzen auf dem Rücken. Mir fällt ein, warum ich eigentlich aufgestanden bin. Ich wollte aufs Klo.

 

Da Chiara auch weiterhin tagsüber verschollen bleibt, beschränken sich meine weiteren Annäherungsversuche auf nur wenige Gelegenheiten – meistens nachts.

Einige Monate später sitze ich eines Abends allein auf dem Sofa und gucke noch ein bisschen fern. Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas Graues ins Zimmer schlendern und mache mich schon auf die Kuschelattacke von Chiaras Tochter gefasst.

Der graue Fellklops hüpft aufs Sofa und marschiert auf mich zu. Öhm. Das ist nicht Emmy. Es ist die kleine Zaubermaus persönlich. Sie setzt sich neben mich und guckt mich an. Mist, wieso hab ich jetzt keine Leckerlis zur Hand? Ich trau mich nicht, mich zu bewegen, und warte einfach ab. Plötzlich, als hätte sie sich nach langem Nachdenken einen Ruck gegeben, kommt die Kleine auf mich zu, klettert etwas unbeholfen auf mein Bein und legt sich drauf.

Ich freu mich wie Bolle … und krieg glasige Augen. Um mich nach einer gefühlten Stunde von meinem eingeschlafenen Bein abzulenken, wage ich es: Ich streiche ihr vorsichtig über das Fell. Seidenweich ist es. Wer mir vor einem halben Jahr gesagt hätte, dass ich mal so glückselig sein würde, wenn ich eine Katze streichle, den hätte ich für bekloppt erklärt.

Das Eis ist zwar noch nicht ganz gebrochen, aber es hat Risse. Chiara fängt an, auch tagsüber in Erscheinung zu treten. Stets in sicherer Entfernung zu den anderen beiden Fellnasen, aber immerhin.

 

Als ich eines Morgens noch halb schlafend aus dem Schlafzimmer wanke, kommt klein Chiara auf mich zugelaufen und streicht mir um die Beine. Ich hocke mich hin, um sie zu streicheln, sie drückt ihren Kopf in meine Hand und schnurrt. Es mag kitschig klingen, aber mir wird ganz warm ums Herz. Hab ich schon erwähnt, dass ich unsterblich in dieses kleine Mädchen verliebt bin?

 

Chiaras häufigeres Auftreten führt offensichtlich zum Unmut der anderen beiden Damen. Wann auch immer sie mein Herzblatt erwischen, wird ihr gezeigt, wo der Hammer hängt. Ich fange ernsthaft an, mir Sorgen zu machen – insbesondere die Attacken von Emmy auf ihre eigene Mutter sind nicht ohne. Aber Chiara hält sich tapfer. Sie bemüht sich ganz offensichtlich, den beiden Krawallbürsten so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen.

Zunächst scheint es, dass wir nun einen Status quo erreicht haben, mit dem es sich leben lässt. Aber dann geht’s los: Alle drei halten plötzlich die Benutzung der Katzentoiletten für völlig überflüssig.

Sämtliche, und ich meine sämtliche, Geschäfte werden überall in der Wohnung verteilt. Über Wochen sind wir ausschließlich mit dem Versuch beschäftigt, die Wohnung in den Griff zu bekommen. Jeden Tag bis zu fünf Mal den Boden wischen, die Polstermöbel und Teppiche auswaschen … ich muss zugeben, die Nerven liegen blank.

Als wir eines Abends nach Hause kommen und der Flur mal wieder mit Haufen und Seen bedeckt ist, bekommt mein Freund einen hysterischen Anfall und beschließt: Die Katzen kommen weg! Alle drei!

 

Ich bin zwar keine Katzenexpertin, aber mein Gefühl sagt mir, dass das Problem irgendwie in dem Beziehungsgeflecht der drei Mädels zu suchen ist. Ich schlage daher vor, erst einmal Chiara zu mir zu nehmen und dann abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt.

Erstaunlicherweise hat meine bessere Hälfte keinerlei Einwände. Ein bisschen wundert es mich schon … würde ich so einfach meine Katze hergeben? Ich kann mir nicht helfen, aber unter meine heimliche Freude, dass ich Chiara mitnehmen darf, mischt sich ein leises Gefühl des Zweifels, was meine Einschätzung der Persönlichkeit meines Freundes angeht …

Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich Juristin bin, oder ob es einfach eine Vorahnung ist. Auf jeden Fall möchte ich von Chiaras Noch-Herrchen wissen, was denn wohl wäre, wenn sie sich bei mir tatsächlich wohlfühlte. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen:

»Wenn Chiara sich bei Dir einlebt und sich wohlfühlt, ist und bleibt sie Deine Katze. Egal, was mit uns sein sollte.«

Aha. Egal, was mit uns sein sollte. Okay …

 

Schon die Aktion, Chiara in die Transportbox zu bugsieren, treibt mir nicht nur Schweißperlen auf die Stirn, sondern auch Tränen in die Augen. Sie hat furchtbare Angst. Und ich hab jetzt schon Gewissensbisse. Tu ich das Richtige? Ich hab mal gelesen, dass man Katzen niemals alleine halten sollte. Nicht nur, dass ich sie jetzt aus ihrem Rudel reiße, nein. Ich habe nicht die geringste Ahnung von der Katzenhaltung.

 

Während der Autofahrt zu mir nach Hause lege ich immer wieder meine Hand auf die Transportbox, die ich auf den Beifahrersitz gestellt hab. Chiara hat sich ganz an die Box-Wand gedrückt, ihr Fell quillt durch die Schlitze. Oh Mann. Mäuschen, wir sind bald da, und dann wird alles gut.

Hoffe ich.

Innerlich stelle ich mich auf einen langen Weg ein, den ich mit diesem verschüchterten Tierchen werde gehen müssen. Mal sehen, wie viele Tage sie brauchen wird, um überhaupt diese Box zu verlassen …

 

Zuhause angekommen stelle ich die Transportbox erst einmal in die Küche und mache die Tür auf. Dann geh ich ins Wohnzimmer, setze mich aufs Sofa und nehme mir vor, mich in Geduld zu üben. Sie wird schon rauskommen, wenn sie so weit ist. Irgendwann.

Nach zehn Minuten traue ich meinen Augen nicht. Chiara sitzt auf der Türschwelle der Küche, die ich vom Sofa aus sehen kann, und guckt sich um. Sie muss nur noch durch den Flur, um ins Wohnzimmer zu kommen, aber sie traut sich nicht so recht.

Nach weiteren zehn Minuten krabbelt sie neben mich auf das Sofa, legt ihre Vorderpfoten auf mein Bein und bettet ihren Kopf darauf. Es kommt mir vor, als würde sie sich an mich, das einzige ihr vertraute Wesen in einer ihr unbekannten Welt, klammern.

 

Während ich über ihr Fell streiche, wird mir etwas klar.

Erstens: Ich wollte nie eine Katze.

Und zweitens: Diese Katze werde ich niemals wieder hergeben!

 

Einmal durchchecken bitte

 

 

Es ist kaum zu glauben, aber meine neue Mitbewohnerin hat innerhalb von 24 Stunden meine gesamte Wohnung besichtigt, geprüft und offensichtlich für gut befunden.