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Wichtiger Hinweis:

Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gemachten praktischen oder theoretischen Hinweisen resultieren, Haftung übernehmen.

Impressum

Copyright © 2016 by Jan Silberstorff

Lektorin: Manuela Schönfeld, Lektorenbeirat: Dr. Lothar Birke
Kalligrafien: Mit freundlicher Genehmigung von GM Chen Xiaowang
(Kalligrafien auf dem Buchcover von Herrn Deng aus dem Louguantai)

Alle Rechte, insbesondere Vervielfältigung jeglicher Art, auch durch elektronische Medien und die Übersetzung in andere Sprachen sind vorbehalten. Keine Reproduktion – auch nicht teilweise – ohne Zustimmung des Verlages.

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Inhalt

Einleitung

Das Qingjingjing - Originaltext und Übersetzung

Anmerkungen von Jan Silberstorff

Das Qingjingjing-Wörterbuch von Manuela Schönfeld

Quellen für die Einleitung

Über den Autor

Danksagung

Auch von Jan Silberstorff

Der leere Kreis
Symbol der Leerheit

Einleitung

Vielleicht spiegelt neben dem Dàodéjīng (道德經, „Das Buch vom Dao und seiner Wirkkraft“) kein anderes chinesisches Weisheitsbuch meine eigene Meditation so klar, wie das Qīngjìngjīng (清靜經), „der Klassiker von der Stille und der Klarheit“.1 Früher überwiegend in Kreisen der inneren Alchemie verehrt, ist der Text des Qingjìngjing heute einer der wichtigsten Bestandteile in der daoistisch, klösterlichen Ordensschule der „vollständigen Vervollkommnung“, Quánzhen (全真), deren Praktiken stille Rezitationen, sowie das Sitzen in Versenkung sind. Ziele der Transformationsmethoden innerhalb der Meditation sind das Erlangen von Unsterblichkeit durch Reinigung des Bewusstseins, alchemistische Selbsttransformation durch Gedankenlosigkeit, das Aufgeben von Begierden und die Rückkehr zum ursprünglichen Bewusstsein und somit die Wiederherstellung des sogenannten ‚strahlend leuchtenden Geistes‘ bzw. der ‚wahren Natur‘. Sprich die Rückkehr zur wahren Wesensnatur. Obwohl der physische Tod letztendlich doch eintritt, überdauert der strahlend leuchtende Geist diesen und verweilt in seiner ureigenen Ewigkeit.

Der Text selbst ist mit seinen 380 Schriftzeichen um ein Vielfaches kürzer als der Klassiker nach Laozi (老子) mit seinen rund 5000 Schriftzeichen. Aber er ist in seiner Tiefe so umfassend, dass für den inneren geistigen Weg sowohl zur Wahrnehmung, als auch zur Vollendung des Dao auf der Ebene der meditativen Versenkung prinzipiell alles gesagt ist.

Dort wo es im Dàodéjing an konkreter Meditationsanweisung verstreut wertvolle Hinweise zu finden gibt, erleben wir im Qingjìngjing geballte Fülle. Und dort, wo sich im Qingjìngjing in abstrakter Andeutung Hinweise auf eine auf den Alltag ausgerichtete Lebensführung finden lassen, ergänzt das Dàodéjing in großer Menge.

Beide Werke werden dem Laozi zugeschrieben, wobei wir in der Gesamtheit beider Texte entsprechende Vollständigkeit finden. Wenn auch bis heute nicht erwiesen werden konnte, ob das Dàodéjing wirklich vom „Alten Meister“ allein erstellt wurde oder es sich vielmehr um eine Textansammlung handelt, die über die Zeit gereift ist, so können wir beim Qingjìngjing wohl mit Gewissheit sagen, dass dieser Text, trotz seiner großen inhaltlichen Nähe, dem Laozi bestenfalls nur zu seiner Ehre unterstellt wird aber mit angrenzender Sicherheit nicht von ihm stammen kann. Allein schon die vielen und deutlichen Entlehnungen aus buddhistischem Geistesgut machen dies zur Zeit Laozis undenkbar. So wurden einige Sätze u.a. aus dem buddhistischen Satipatthana Sutra übernommen.

Dennoch ist ihm alleine dadurch, dass das Qingjìngjing ihn seine Worte, ja mehr noch, ihn bereits angedeutet als Gottheit, wenigstens aber als Hohe Herrschaft sprechen läßt, ein wichtiges Denkmal gesetzt.2 Natürlich dient eine solche Unterschiebung auch immer der Aufwertung eines Textes. Doch neige ich aufgrund der Großartigkeit des Materials eher dazu, hier einen tiefgreifenden Inhalt mit einem der höchsten Weisen in Verbindung gestellt zu sehen.

So ist sowohl der Ursprung als noch vielmehr der Autor dieses wunderbaren Werkes unbekannt. Wissenschaftler datieren den Text auf Mitte der Táng Dynastie (唐朝, 618-907 n. Chr.) und schreiben seinen ersten Kommentar dem daoistischen Weisen und Hofgelehrten Dù Guangtíng (杜光庭, 850-933 n. Chr.) zu. Seine Schriften fanden wie auch das Qingjìngjing Aufnahme in den berühmten Dàozàng (道藏), den Kanon des Daoismus. Wenn auch historisch ebenfalls unwahrscheinlich, so schreibt dieser den Inhalt des Qingjìngjing dem daoistischen „Unsterblichen“ Gé Xuán (葛玄, 164-244 n. Chr.) zu, welchem eine Vielzahl wichtiger daoistischer Schriften im Laufe der Zeit zugeordnet wurden. Doch auch der Königinmutter des Westens Xi Wángmu (西王母) einer der höchsten göttlichen Wesen des damaligen Reiches der Mitte, wird der Text angedacht.

Das Qingjìngjing hatte grundlegenden Einfluss auf verschiedene daoistische Bewegungen während der Táng und besonders der Sòng Dynastie (960-1279 n. Chr., 宋朝) sowie in der Zeit danach.

Die ausgezeichnete Poesie des Textes in seinen vier Zeichen Strophen geht vermutlich auf eine anfangs mündliche Überlieferung zurück. Es beschreibt in wenigen Zeilen zusammenfassend das Wesen des DAO sowie die Bedeutung der Überwindung von Sehnsüchten und gibt Anweisungen durch Erlangung des DAO dauerhaften Frieden zu erreichen.

Ich freue mich, dem geneigten Leser durch meine bescheidene Übersetzung einen der bedeutsamsten Texte des Daoismus vorlegen zu können. Manuela Schönfeld war so aufopferungsbereit, eigens für diesen Text ein chinesisch-deutsches Wörterbuch zu entwerfen, welches es dem sinologisch unerfahrenen Leser ermöglicht, meine Übersetzung und die im Anhang gegebenen Übersetzungsalternativen nicht nur nachzuvollziehen, sondern durch Hinzunahme eigener Meditationserfahrungen vielleicht verbessern zu können. Das Wörterbuch ist in die Abfolge der Abschnitte geordnet und listet jedes Zeichen in der Reihenfolge seines Vorkommens auf, so dass der chinesische Originaltext Zeichen für Zeichen bequem nachverfolgt werden kann. Diese vom Leser zu leistende eigene Kreativität mag dazu verhelfen, noch tiefer in das Material vordringen zu können.

So soll dieses Büchlein helfen, auf dem inneren Weg zu Stille und Klarheit und dadurch für die Entwicklung inneren Friedens und innerer Befreiung einen hoffentlich wertvollen Beitrag zu leisten.

In großer Zuneigung,

Jan Silberstorff

Hamburg den 31.12.2015


1 Zur Übersetzung des Titels siehe Weiteres in den Anmerkungen.

2 Auch hierzu siehe die Anmerkungen nach der Primärübersetzung.

精诚
jing chéng
Essenzielle Ehrlichkeit

Das Qingjingjing - Originaltext und Übersetzung

 

Laojun sagt:
Das Große DAO ist ohne Form,
es gebiert und nährt Himmel und Erde.
Das Große DAO ist ohne Gemüt,
es bewegt Sonne und Mond.
Das Große DAO ist ohne Namen,
es gebiert und nährt die 10000 Dinge und Wesen.
Ich weiß nicht seinen Namen,
bemühend, nenne ich es DAO.

 

Jenes DAO:
da ist Klares, da ist Trübes,
da ist Bewegtes, da ist Stilles:
Der Himmel klar, die Erde trüb,
der Himmel bewegt, die Erde still.
Das Männliche klar, das Weibliche trüb.
Das Männliche bewegt, das Weibliche still.
Herabkommend aus dem Ursprung, fließend bis zum Ende;
so gebiert es die 10000 Dinge und Wesen;
Klarheit ist des Trüben Ursprung,
Stille ist der Bewegung Grundlage.
Ist der Mensch beständig in Klarheit und Stille,
wird Himmel und Erde ausnahmslos (zum Ursprünglichen) zurückkehren.

 

Des Menschen Geist an sich ist klar,
aber die Gefühle verdunkeln dies.