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Yambo Ouologuem

Das Gebot der Gewalt

Roman

Aus dem Französischen
von Eva Rapsilber

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Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um eine durchgesehene und geringfügig korrigierte Textfassung der deutschen Übersetzung aus dem Jahr 1969. Die von der deutschen Übersetzerin 1969 vorgeschlagenen, dem Sprachgebrauch der Zeit entsprechenden Übersetzungslösungen für die von Yambo Ouologuem selbst bewusst verwendeten abwertenden Bezeichnungen für Afrikanerinnen und Afrikaner im Französischen blieben – wenn auch heute fragwürdig – aus Gründen der Werktreue unangetastet.

Der sanften Gefährtin böser Tage

und derer, die noch schlimmer waren

Inhalt

1Die Legende der Saïfs

2Ekstase und Agonie

3Die Nacht der Riesen

4Morgengrauen

Nachwort

1

Die Legende der Saïfs

Unsere Augen trinken gleißende Sonne und wundern sich, besiegt, ihrer Tränen. Maschallah! Oua bismillah! … Wollte man vom blutigen Abenteuer des Negerpacks berichten – Schande über die Elenden! – brauchte man kaum über die erste Hälfte unseres Jahrhunderts hinauszugehen; doch die wahre Geschichte der Neger beginnt sehr viel früher, mit den Saïfs im Jahre 1202 unserer Zeitrechnung, im afrikanischen Reich Nakem, südlich von Fessan, lange nach den Eroberungszügen des Uqba ibn Nāfi.

Wer vom Glanz dieses Reiches erzählen wollte – dessen Ruhm, in Marokko, Sudan, Ägypten, Abessinien, der edlen und heiligen Stadt Mekka bekannt, auch Engländern, Holländern, Franzosen, Spaniern, Italienern und natürlich auch den Portugiesen zu Ohren drang –, würde doch nur Folklore ohne Bedeutung berichten.

Was einen mehr berührt, ist, wenn die Alten, Würdenträger und Griots, mit weit offenen Augen auf die bitteren Wüsten starrend, von diesem Reiche sprechen. So hören wir – unter Gottes unerbittlichem »Segen«, ouallahi! – von der verzweifelten Flucht seiner Bevölkerung, die, getauft in der Folter, eingepflanzt im Randé, verstreut entlang der unfruchtbaren Berge des Goro Foto Zinko, sich auf den Inseln des Yamé über zweitausend Kilometer flussabwärts von Ziuko niederließ, die äußersten Grenzen der atlantischen Küste besiedelte, um sich endlich über die an Äquatorialafrika grenzenden Savannen, durch verschiedene Stämme voneinander getrennt, in ungleich großen Gruppen zu verteilen: den Randigen, Fulbe, Gondaïten, berberischen Nomaden, N’Godos. Im Streit um die Herrscherwürde zerrieben sie sich in inneren Fehden, deren Gewalt nur mit ihrem Schrecken vergleichbar war. Zur Vergeltung tauchten die Saïfs – mit dem Ruf: Im Lichte der Welt! – ihre Assagaien blutig von Verbrechen und Missetaten …

Um die Ergebenheit der Sklaven unter das Herrenrecht zu preisen, erlebten in jener Feudalzeit ganze Sklavengemeinden nicht nur den Frondienst, sondern viele ließen sich auch, klebrig vom Blut abgeschlachteter Kinder, den aufgeschlitzten Bäuchen schwangerer Frauen, lebendig einmauern … So geschah es in Tillabéri-Bentia, in Granta, in Grosso, in Gagol-Gosso und vielen anderen Städten, die von den arabischen Historikern im Tarikh al-fattash und Tarikh al-Sudan erwähnt werden.

Danach erhob sich immer ein stürmisches Flehen, das vom Dorfplatz bis zum dunklen Dickicht widerhallte, wo die Hyänen schliefen. Es folgte eine fromme Stille, und der Griot Koutouli, edlen Angedenkens, schloss sein Heldengedicht so: »Nicht weit von den Körpern der in Scharen abgeschlachteten Kinder zählte man siebzehn Föten, von den klaffenden Eingeweiden sterbender Mütter ausgestoßen, nachdem sie vor aller Augen von ihren Männern vergewaltigt worden waren, die sich danach, von Schande zermalmt, das Leben nahmen. Und um das Leben eines ihrer Brüder, eines ohnmächtigen Zeugen, zu retten, konnten sie sich dem Selbstmord nicht entziehen. Man beurteilte seinen von der Ungläubigkeit der Verzweiflung gezeichneten Blick – Al’allah! – als ›übertrieben verweint‹ oder ›weniger entsetzt als üblich‹.«

Der Dorfälteste, die Lippen in stummer Resignation geöffnet, schloss auf die Eitelkeit des menschlichen Lebens. Vor Erschütterung kaum noch des Denkens fähig musste er doch die aufrührerischen Geister beruhigen, indem er auf einem geflochtenen Weidenfächer Ohrläppchen anderer Aufständischer aus dem Nachbarort präsentierte, deren verkohlte Körper als Asche über den Fluss gestreut worden waren … Sodass die bösen Geister dieser Elenden, wie es heißt, das Wasser auf wenigstens drei Jahre hinaus verseuchten und die wenigen arbeitsfähigen Männer des Dorfes zwangen, weit entfernt Brunnen auszuschachten, die man nachts dauernd gegen die Geister des Bösen bewachen musste; über sie die Gnade des Allerhöchsten und die ausgesuchteste aller Segnungen.

Doch enthält dieser Bericht nichts Außergewöhnliches: Viele andere erzählen, wie der knechtende Terror jeglichen Versuch einer Rebellion im ganzen Reiche im Keim erstickte. Noch zwei Jahrhunderte lang ertrug das Herz im Nakem geduldig jede Erniedrigung und Gemeinheit; die Krone zwang einen, das Leben mühsam herunterzuwürgen, wie die Boa eine widerliche Antilope, und glitt über die Häupter ruhmloser Dynastien von sibyllinischer Herkunft – jede Niedertracht trat sie mit Füßen …

… Von diesem Bild hob sich das einmalig wunderbare Geschick des Saïf Isaac El Heït ab: Sein Los stellte ihn weit über alles Gewöhnliche und verlieh so der Legende der Saïfs den Glanz, in dem sich die Träumer von der afrikanischen Einheitstheorie noch heute sonnen.

Um über diese Persönlichkeit die Renaissance des Nakemreiches zu erfassen, muss man die düstere Litanei der damaligen Diktaturen aus dem Munde der Alten vernommen haben. So geschah es, dass Saïf Mosche Gabbaï aus Honaine – auf die Worte eines Wahrsagers hin, denen zufolge er 1420, an einem Tag wie alle anderen, von einem Kind gestürzt würde, das im Laufe des kommenden Jahres in Tillabéri-Bentia, der Hauptstadt des Nakemreiches, zur Welt käme – sich plötzlich um die seltsamen Gelüste schwangerer Frauen kümmerte. Er ließ alle Neugeborenen den roten Tod schmecken und reihte ihre vertrockneten Köpfe an der Wand seines Vorzimmers auf. Doch rettete eine Mutter, Tiëbiramina – vom Glück begünstigt –, ihr Neugeborenes im Schutze der Nacht und ergriff, gefolgt von ihrem Gatten und drei getreuen Dienern, die Flucht, um sich in Gagol-Gosso niederzulassen.

Als dieser Sohn, Isaac El Heït, ebenso groß wie stark und kühn geworden war, schloss er sich einer Gruppe von Kriegern an.

Hier gelangen wir an den kritischen Punkt, über den hinaus die Überlieferung sich in der Legende verliert, von ihr verschlungen wird; denn es fehlt an schriftlichen Berichten, und die Versionen der Alten weichen von denen der Griots ab, die wiederum den Darstellungen der Chronisten widersprechen.

Nach den einen war Isaac El Heït, schon ehe er in den Krieg zog, ein mächtiger Herr gewesen, dessen Eltern unter den Fürsten der Provinz Randé einen glücklichen Lebensabend verbrachten. Andere meinen, er habe seine Eltern bei einer Strafexpedition des Saïf Mosche Gabbaï aus Honaine verloren und sei, von einem Assagai durchbohrt, von einem gondaïtischen Bauern gerettet worden, der ihn während langer Monde pflegte und endlich heilte. Wieder andere behaupten, er habe sich einer Kriegertruppe angeschlossen, weil er für Glanz und Ruhm des Waffenhandwerks nicht unempfänglich war.

Wenn der Unsterbliche die Sonne sinken lässt – Diamant des Hauses Seiner Macht –, erzählt man in den zauberkräftigen Annalen der alten Weisen, neben Berichten der mündlichen Überlieferung, auch das berühmte Heldengedicht (das einige anzweifeln, da sie die jüdische Herkunft des Saïf abstreiten und behaupten, er sei ein pechschwarzer Neger gewesen) von Mahmud Meknud Traré, der Nachkomme von Griots und selbst Griot der afrikanischen Republik Nakem-Ziuko ist, die vom alten Nakemreich allein übrig blieb:

Der Herr – heilig ist Sein Name – hat uns die Gnade erwiesen, bei der Geburt des Negerreiches Nakem einem Einzigen Glanz zu verleihen, unserem Ahnen, dem schwarzen Juden Abraham El Heït. Er war Mestize, der Vater ein Neger, die Mutter eine jüdische Orientalin – aus Kénana (Kanaan) –, sie stammte von den Juden der Kyrenaika und des Twat ab, die auf der Marschroute des Cornelius Balbus über das Aïr in den Nakem eingewandert sein sollen.

So handelte der Allerhöchste, um in seiner Gnade – Gebet und Friede ruhen auf ihr! – die Fortdauer der Saïf-Dynastie zu segnen, an deren Ursprung man die Größe eines Einzigen findet, des sehr frommen und gottesfürchtigen Isaac El Heït, der täglich einen Sklaven freiließ. An der Quelle seiner Macht steht sein gerechtes Opfer; er verzichtete auf den fürstlichen Besitz, um sich einer durchziehenden Abenteurerbande anzuschließen.

Aber seht: Der kühne, überaus tapfere Isaac El Heït erlebte Hunger, Durst und Fieber, das Klirren des Kampfgetümmels, den Anblick Sterbender. Hundertmal hielt man ihn für tot. Durch die Gunst des allermildesten und gerechtesten Herrn der Welten entging er stets diesem Schicksal, denn sein Hinscheiden wäre Gott und den tugendhaften Menschen unerträglich gewesen: ouassalam!

Seht weiter: Mitten unter den Bergen von Leichen, die nach dem Durchzug des Saïf Mosche aus Honaine – Gottes Fluch komme über ihn! – zurückblieben, erwachte die edle Glut des Isaac El Heït zu neuem Leben – Gott kühle sein Lager! Er zog den Degen: Auf der Klinge erglänzten Sonne und Mond, in ihr spiegelte sich die Erde.

Endlich – der Ewige segnete Isaac: Flüchtige Sklaven, aufständische Bauern, brave Leute ohne Besitz, Krieger, Abenteurer, Waisen, Unerschrockene aller Art sammelten sich unter seiner Fahne, bildeten seine Armee.

Sie wuchs. Er gewann Ruhm. Man umwarb ihn.

Von allen gefürchtet, besiegte er Berber, Mauren und Tuaregs, erkannte den Scheich Abderrahmân Es-Soyoûti an, half dem Scheich Mohammed ben Abdelkerîm El-Meghili, dem Scheich Chamharoûch aus dem Geschlecht der Dschinnen und dem hassanidischen Scherif Mulaï El-Abbas, dem Fürsten von Mekka – Gott erbarme sich ihrer aller. In Bengasi bekriegte er die Feinde des Imams Abu Bakr ben Omar El-Yemani, vernichtete in Tripolis die Usurpatoren, die den Kadi Abdelqahhâr ben El Fîzân ermorden wollten, und als er eines Tages in der Provinz Algier, inmitten des Stammes der Beni Tsa’âleb weilte, überbrachte ihm Scheich Abderrahmân Et-Tsa’âlbi die Weissagung des Imam Mahmud, des Großscherifs von Mekka: »Ein neuer Saïf wird kommen, um den Durst der Bewohner des Nakemreiches zu stillen: Dieser Erste von allen bist du, Isaac El Heït, denn du bist das Wasser, das Salz und das Brot, denn du bist heilig und wirst Kalif sein. Nach dir wird am Ende des 13. Jahrhunderts der Hedschra* aus der Provinz Tekrur des Nakemreiches ein anderer Kalif kommen und über seiner Herrschaft die Sonne scheinen; Gott wird euch beide mit Reichtümern, Macht und Ruhm überhäufen, ihr werdet sie für ihm gefällige Werke verwenden.«

Einige Zeit später, so heißt es, verdunkelte sich die Welt vor den Augen des tyrannischen Saïf Mosche Gabbaï aus Honaine, der, von Isaac El Heït geschlagen, sein Heil nur der Flucht verdankte – Gott verfluche sein Königtum! –, sein zorniges Antlitz wurde so gelb wie der Pfeffer: Im Gewaltmarsch erreichte er den Fluss Yamé, fuhr diesen hinab und drang schließlich in den Süden des Landes Sao ein, wo er, wie man sagt, an einem Gallenriss starb. Die Macht fiel dem milden, viel geliebten Isaac El Heït zu, der den königlichen Titel Saïf annahm und sich nun Saïf Isaac El Heït nannte (Gott kühle sein Lager!). Sein Anblick glich dem Blitz, und sein Gewand war weiß; seine Herrschaft war ebenso gerecht wie ruhmreich (Gott nehme seine Seele zu sich!).

Ob wahr oder erdacht, die Legende des Saïf Isaac El Heït spukt noch heute in der Negerromantik und in vielen Republiken in der Politik der Würdenträger. Denn sein Andenken beflügelt die Fantasie des Volkes. Viele Chronisten dienen seinem Kult durch die mündliche Überlieferung, feiern in seiner Gestalt die glorreiche Epoche der ersten Staaten, deren König, als Weiser und Philosoph, ein Heldenepos zierte, das Archäologie, Geschichte, Numismatik und andere Geisteswissenschaften, zu denen sich jetzt noch Naturwissenschaften und Ethnologie gesellten, zu ihren größten Aufgaben berief.

Doch man muss den Tatsachen ins Gesicht sehen: Diese gewiss großartige Vergangenheit lebt eigentlich nur durch die arabischen Geschichtsschreiber und die mündliche Überlieferung Afrikas weiter. Und zwar:

Als Saïf Isaac El Heït, der milde und gerechte Herrscher, 1498 starb, hinterließ er drei Söhne: den Ältesten, Josua, der Gott geweiht wurde; den Zweitgeborenen, Saïf El Haram; den Jüngsten, Saïf El Hilal; acht jüngere Töchter und vier Frauen: Ramina, Dogobousseb, Aïssina und Hawa. Doch sieben Jahre zuvor, beim Tabaskifest, als der Herrscher Saïf El Heït sich auf sein Pferd schwingen wollte, verfehlte er den Sattel und stürzte rücklings herab. Saïf El Hilal, der jüngste Sohn, war besorgt auf ihn zugeeilt und hatte dem Vater aufstehen geholfen, während sein älterer Bruder Saïf El Haram den Sturz äußerst komisch fand, unziemlich lachte und als unehrerbietiger Sohn sogar noch Höflinge und Stallknechte darauf aufmerksam machte.

Am gleichen Abend, zur Stunde, wo im Busch irrende Schakale tödlich heulen, enterbte der Herrscher vor dem gesamten Hof, der Versammlung der Würdenträger und dem Ältestenrat seinen Sohn Saïf El Haram, dessen Nachkommenschaft er Fluch und Verderben voraussagte.

Folglich bestieg beim Tode des gerechten und milden Saïf El Heït (Ihm sei Heil!) sein gesegneter Sohn Saïf El Hilal den Thron, aber – um das Unglück zu vervollständigen – nur für dreizehn Tage. Denn Saïf El Haram verkündete, das königliche Paar müsse aus der Königinmutter und dem Sohn bestehen, und heiratete in der gleichen Nacht die vier Frauen seines verstorbenen Vaters – darunter seine eigene Mutter Ramina –, ergriff die Macht, nicht ohne vorher seinen jüngeren Bruder – den rechtmäßigen Thronerben – mit gefesselten Händen und Füßen in ein Kellerloch zu werfen.

Dort musste Saïf El Hilal seine natürlichen Bedürfnisse in seine Kleider verrichten und, um sich zu ernähren, die Hände auf dem Rücken gefesselt, kniend das Essen auflecken, das man durch die halb geöffnete Falltür des Kerkers schüttete. Ab dem zwölften Tage des Ramadans wurde er lebendigen Leibes von Würmern gefressen und starb am zwanzigsten Tage des gleichen Monats … Ein Gebet für ihn.

… Da kehrte der Herrscher Saïf El Haram, der böse Bruder und fluchwürdige Sohn – die Verdammnis Gottes komme über ihn! –, mit zwölftausend Tukulorsklaven aus einem Kriege gegen die Fulbe in die Hauptstadt des Reiches heim, wo man ihn an den Toren von Tillabéri-Bentia unter glühender Sonne erwartete. Vom Pferd, das majestätisch tänzelte, grüßte er die tobende Menge. Würdenträger, Statthalter der verschiedenen Provinzen, höfische Ehrenmänner zu seiner Rechten, Frauen, Kinder und Greise zu seiner Linken, hinter ihm die Armee, zu deren Seiten die Reihen der Sklaven, die Füße in Eisen – all das als prächtiges Beiwerk der triumphalen Heimkehr dieses Mannes, von dem die Siege im Feld den Schmutz abgewaschen zu haben schienen.

Mit allem Pomp im Hofe seines Palastes angelangt, wollte er vom Pferde steigen, um seine Gemahlinnen zu begrüßen, die zugleich seine Stiefmütter waren, als er – das sei das Los dessen, der dir flucht! – durch eine brüske Wendung des edlen Tieres abgeworfen wurde und sich überschlug, wobei die kurze Hose seiner blauen Tunika riss, sodass sich seine unteren Partien dem Publikum darboten wie bei Adams Geburt.

Verstört und fanatisiert bewies das gaffende Volk beredt seinen Unverstand, indem es in dem Vorfall ein himmlisches Omen erkannte … Mehr als ein Zeuge versicherte, ein Sattelgurt des Pferdes sei heimlich angefeilt worden, um den Skandal hervorzurufen. Man zog ihnen die Ohren lang, rasierte ihnen den Schädel, tätowierte ihnen Kreuze auf die Fußsohlen, damit jeder ihrer Schritte Gott beleidigte; drohte ihnen dann, sie mitsamt Vater, Mutter, Ahnen und Nachkommenschaft zu verfluchen; und die verratenen Höflinge mussten Gott, der sie durch den Mund seines Zauberers anrief, von ihrer Falschheit Rechenschaft ablegen; man verbannte sie nach Digal; zerschmetterte dort mit Pferdehufen ihre Glieder; mit einem Tuaregdolch, der gesegnet und siebenmal in ihren Augen, Ohren, Hoden und dann langsam in ihrem Nabel umgedreht wurde, entleerte man sie ihres aufrührerischen Blutes, bevor sie schließlich durch Einäscherung zum allermildesten Herren der Welt berufen wurden.

Aber Saïf El Haram, der wohl die väterliche Prophezeiung fürchtete und die Manen seines Vaters und ermordeten Bruders beschwichtigen wollte, »dankte ab«, nach einer langen (diplomatischen) Krankheit, die von (ebenso diplomatischen) glänzenden Siegen gegen die äußeren Feinde, die Gutés, Jakuks und Vatoungs, unterbrochen wurde. Der neue »Herrscher«, ein Tuaregsklave, war nur der Knecht und der verlängerte Arm des Saïf El Haram, der künftig den Adel von der Macht fernhalten wollte; sein Name: Abdul Hassana, schurkisch, unehrlich, sanftmütig bis in die Grausamkeit hinein.

Auf Anraten des Saïf El Haram machte dieser Knecht eine fromme Pilgerfahrt nach Mekka, von wo er nach einem Jahr, mit dem Titel eines »Hadschi« (Pilger des Heiligen Landes) geschmückt, zurückkehrte. Er verteilte das heilige Wasser der Stadt des Propheten Mohammed an die Kranken und glaubte, damit das unruhige Volk bestechen, die Lahmen gehen, die Blinden sehen und die Ungläubigen glauben machen zu können: alif lam!

Den Beweisen musste man sich stellen: Das Wasser aus dem heiligen Mekka schenkte ihm keinen Freund, ließ weder die Blinden sehen noch etwa die Lahmen gehen, und – oh Gotteslästerung – das Wasser schmeckte, wie die Ungläubigen sagten, noch nicht einmal gut …

Als beteten sie einen Rosenkranz von Hexereien, »vollbrachten« Saïf El Haram und sein Akolyth Abdul Hassana nun Wunder am laufenden Band. Am 20. Mai 1503 entzündete sich durch Beistand der göttlichen Gnade ein Scheiterhaufen von selbst; auf ihm verbrannten lebendigen Leibes achtzehn Würdenträger, dem Gedenken des gerechten Saïf Isaac El Heït und seines jüngsten Sohnes getreu. Unter ihren Gewändern glitten achtzehn schleimige Vipern hervor, krochen über die Holzscheite, ehe sie, vom unsichtbaren Atem Satans gelenkt, in kleinen Löchern verschwanden, die auf wundersame Weise im Sand des herrschaftlichen Hofes erschienen, wo man sie zuvor gegraben hatte …

Vor Ekstase röchelnd, stimmte die Menge mit einem Eulenschrei, lang wie das Brüllen eines Löwen, ein religiöses Lied an und heulte auf Knien: »Ein Wunder!«

Noch zur Stunde des Eulenschreis versengten die feurigen Zungen des Scheiterhaufens das Blau, in das der Singsang der Muezzins stieg, die die Suren der Schriften rezitierten …

Um das historische Datum dieses Wunders, dem noch manch andere ebenso blutige folgen sollten, dem Gedächtnis zu erhalten, beschloss Saïf, an jedem 20. Mai das Feuer der Vipern des Übernatürlichen zu entzünden. Damit war ein Nationalfest geschaffen. Ein Lobgesang darauf!

Nach dem Tode des gerechten Saïf Isaac El Heït unterhielten der fluchwürdige Sohn Saïf El Haram und sein Minister Hadschi Abdul Hassana, von einem Stein in der Seele getroffen, die sie nicht hatten, mit großen Kosten am Hofe die einflussreichsten und aufsässigsten Familien: Für sie waren die zwölftausend Teller bei jeder Mahlzeit, Bestechungsgelder, Pensionen, ebenso gewichtige wie leere Adelstitel, die ganze Märchenpracht: Selbst ihre Pferde, dreitausendzweihundertsechzig an der Zahl, tranken »Milch aus mit Einlegearbeiten aus Gold und Elfenbein verzierten Tränken«. Allah harmin katamadjo!

Um schließlich – als guter Herr der Negerkönige – diesen nach Ruhm und neuen Ländern verlangenden Prunk zu unterhalten, weitete Saïf mit Hilfe der Statthalter des Südens den Sklavenhandel aus, den er in einer blutrünstigen Süße segnete. Der Neger, der – im Gegensatz zu Gott – keine Seele, sondern nur Arme hat, wurde unter teuflischem Frohlocken von Priestertum und Handel, von Familie und Öffentlichkeit niedergeknüppelt, zum Verkauf hergerichtet, gelagert, verschachert, beschimpft, geschlagen, verkauft, gepeitscht, gebunden und geliefert – mit aufmerksamer, forschender, leidender Verachtung –, sowohl an Portugiesen wie an Spanier, Araber (Ost- und Nordküste), Franzosen, Holländer und Engländer (Westküste), und so in alle vier Winde verstreut.

Hundert Millionen von Verdammten – im Nakem beweint von den Sängern, wenn der Abendhimmel diamantene Sterne speit – wurden so geraubt. Man warf sie – zu sechst gebündelt, ihrer Menschenwürde beraubt – in das christliche Niemandsland der Zwischendecks, wo sie kaum noch ein Lichtstrahl erreichte. Und da war kein einziger besoldeter Seelenhändler, den die Angst um das Leben nicht abhielt, das Gesicht in den Luken zu zeigen. Keiner, der ungestraft auch nur eine Stunde in dieser Pesthöhle zu verweilen vermochte. Fieber, Hungersnot, Ungeziefer, Beriberi, Skorbut, Sauerstoffmangel und Elend haben dort schreckliche Orgien gefeiert. Auf jeder Reise kamen dreißig Prozent um. Und, da die Liebe zum Nächsten schön, fast unmenschlich ist, mussten diese freundlichen Sklavenhändler nach dem Löschen der Ladung für jeden toten Sklaven eine Strafe zahlen; Sklaven, die kränker waren als gebärende Ziegen, warf man ins Meer und gab sie dem Tod des Ertrinkens oder den Haifischen preis. Das gleiche Los war den Neugeborenen beschieden, die als Ausschussware über Bord gingen.

… Halb nackt und völlig verstört wurde das Negerpack, jung wie der Neumond, nach dem Ausladen auf Plätzen unter freiem Himmel eingepfercht und öffentlich zur Versteigerung ausgerufen, während es unter dem Blick des allmächtigen (und gerechten) Gottes zusammensank – eine große menschliche Flut, schwärzlich, wie eine Masse verfaulten Fleisches – und so einen schrecklichen Anblick dahinsiechenden Lebens und unaussprechlichen Leidens bot.

In den Sklavenhaufen wurden Kerben geschlagen; Schreie, Röcheln, Haufen zertretener Körper, wenn der Sklavenhändler sich entschloss, das Negerpack der vordersten Reihen durch einen Peitschenhieb aufzuwecken. Von neugierigen Zuschauern gemustert, die sich in achtungsvoller Entfernung hielten, blickte es auf die Priester, die zwar ausgezogen waren, um Christi Wort zu verkünden, aber nun, ihren Ekel beherrschend, mit gesenktem Kopf den Rosenkranz durch die Finger gleiten ließen …

Oft suchte ein junges Mädchen – mehr durch Schönheit als durch Putz geschmückt –, ein ganz junges Küken, durch den Anblick beunruhigt und mit zugeschnürter Kehle – vom Körper der Sklaven oder gar dem zitternden Glied ihrer Männlichkeit verführt –, bei ihrer rosigen Mutter, wenn nicht Trost, so doch wenigstens Beistand oder eine maßgebliche Meinung über die Sexualität der Neger. Die Antwort hieß dann unter anderen Liebenswürdigkeiten: »Der Heilige Vater hat für Milchkaffee nicht viel übrig …«

Andere, weniger umständlich, feurige Augen rollend wie der englische Pirat Hawkins, haben aus der Hand der Königin Elisabeth die Ritterwürde empfangen – was ihnen ermöglichte, in ihr Wappen »einen Halbneger in seiner eigentümlichen Farbe, mit einem Strick gefesselt«, zu setzen (»a demi-Moor in his proper colour, bound with a cord«). God save the Queen!

Währenddessen hetzte der unpopuläre Saïf El Haram, jetzt, wo der aufsässige Adel gezähmt war, seinen Minister auf, er solle zwischen den rückständigen, sich stets bekriegenden Völkern, den rebellischen, nicht zu zähmenden Stämmen »so viele Missverständnisse wie möglich« schaffen.

Saïf versuchte nämlich mit allen denkbaren Mitteln, Vieh, Land und sämtliche verfügbaren Produktionsmittel in seine Hand zu bringen. Die mit mehr als machiavellistischem Geschick ausgeführten Überfälle der Massai, der Zulus, der Jagas erweckten in jedem Volk, jeder Rasse, jedem Stamm (wie von oben befohlen) ein Zittern der Ungeduld. Der Häuptling schleuderte dann seine Waffe in Richtung der »feindlichen Rasse« (angeklagt, diese oder jene Dorfbewohner geraubt, versklavt und verkauft zu haben) und heulte, man müsse die Assagaien das Blut der Verfluchten trinken lassen.

Die Zulus, Jagas und Massai sind grausame Wesen mit krächzender Sprache, wildwütige Mörder, Waldschraten vergleichbar. Gleich Tieren lebend, paaren sie sich mit der erstbesten Frau. Sie sind von großer Gestalt und schrecklichem Aussehen, ganz behaart, mit außergewöhnlich langen Nägeln. Ihre Nahrung ist Menschenfleisch, sie gehen nackt, mit Schilden, Spießen und Dolchen bewaffnet, haben wilde Sitten, führen ein barbarisches Leben, ohne Gesetz, König, noch irgendein anderes Dach als Hütten im Wald, aus denen sie frühmorgens herauskommen, um alles mit Schwert und Feuer zu vernichten, alle Gebiete des Nakemreiches bis in den letzten Winkel zu plündern, was die dort sesshaften Völker zwingt, ein Wanderleben zu führen, zu Saïf zu gehen oder aus Hunger, Krankheit und Mangel zu sterben.

Zur gleichen Zeit herrschte in den Nakemprovinzen eine solche noch durch die Pest verschlimmerte Hungersnot, dass eine winzige Menge Nahrung schon den Preis eines Sklaven, das heißt mindestens zehn Taler, kostete. Der Not gehorchend verkaufte der Vater den Sohn, der Bruder den Bruder, versuchte ein jeder, sich durch jede erdenkliche Schurkerei Lebensmittel zu beschaffen. Die so unter dem Zwang des Hungers feilgebotenen Menschen wurden von Händlern aufgekauft, die mit Schiffen voller Lebensmittel aus São Tomé gekommen waren. Die Verkäufer behaupteten, es handele sich um Sklaven, und die so Verkauften beeilten sich, das zu bestätigen, denn sie waren froh, einer Gefahr zu entrinnen, die so sehr auf ihnen gelastet hatte. So machten sich viele freie Männer selbst zu Sklaven, verkauften sich um der Not willen.

Nun kam es im gesamten Reich und den von ihm abhängigen Ländern zu einem Blutbad ohnegleichen. Die Gefangennahme aufrührerischer Stämme, freier Männer, besiegter Krieger, die Opferung ihres Häuptlings, dessen Fleisch als Festschmaus diente, wurden zu Ritualhandlungen, die in das Brauchtum leicht erregbarer Neger übergingen, deren Barbarei den Erwartungen von Herrscher und Würdenträgern entsprach … Bei Sklavenjagden sorgte Saïf El Haram durch Mittelsleute dafür, dass man verwundete Gefangene mit einem Säbelhieb segnete, ihre Schädel auf Lanzen- und Assagaienspitzen bis zur Pforte des Siegers brachte, der – Gott will es! – zum Helden gesalbt wurde. Und, als besitze der Neger wirklich eine menschliche Seele, wurde der Häuptling der Gefangenen mitsamt seiner Familie zunächst den Frauen und Kindern des Dorfes ausgeliefert, die im Tanze um sie herumwirbelten, schrien, sangen, sie anspien, mit Spott und Hohn überhäuften, um, wie man ihnen versicherte, ihre Seele von Satans Schwärze reinzuwaschen. Am dritten Tage ihrer Gefangenschaft endlich schabte der Zauberer, funkelnden Auges, ihre Schädel mehr, als er sie rasierte, und rieb sie anschließend mit Sheabutter ein.

Dann »erdolchte« jeder der mit einem grob geschnitzten Holzmesser in der Hand vor den Gefangenen umhertanzenden Dorfbewohner den Häuptling so oft, wie er selbst Jahre zählte und bei den vergangenen Sklavenjagden Verwandte verloren hatte. Und ehe er sich entfernte, um der blutigen Zuneigung des nächsten Dorfbewohners Platz zu machen, beugte er vor dem Gefangenen das Knie, verhöhnte, beleidigte und bespie ihn und versetzte ihm unter Zungenschnalzen noch drei kurze Stöße. Beim Anblick der Opfer, aus deren blutigen Malen langsam das Blut rann, hielten sich alle vor Lachen die Seiten.

In der Nacht des dritten Tages, die Knöchel von bimmelnden Glöckchen umwunden, wurde der Häuptling der Gefangenen – mit gebundenen Händen und Füßen, während die Frauen um ihn herumwirbelten, geil für einen kurzen Augenblick ihre Nacktheit entblößten und dabei, sich in den Hüften wiegend, mit der flachen Hand auf den behaarten Teil ihres Geschlechts schlugen – unter der Ekstase der Anwesenden, deren kollektiver Genuss an Hysterie grenzte, vom Zauberer kastriert. Vom Schmerz gelähmt, die Schenkel klebrig vom Blut, sah der kastrierte Gatte ohnmächtig zu, wie seine Frauen – erst stehend und in derselben Sekunde in den Staub gewälzt – zu Freudenmädchen des Dorfes gemacht, entkleidet und im Fackelschein beim berauschenden Rhythmus der Tamtams von allen Männern und Frauen des Dorfes, einem nach dem anderen, besessen wurden …

Am übernächsten Tage, dem vor der Opferung, wurden alle – nachdem man sie durch ein Bad »gereinigt« und wie ihre Männer mit Kuhbutter massiert hatte (den Kindern war schon bei Abschluss der Sklavenjagd der Bauch aufgeschlitzt worden) – mit Erdnussöl eingerieben. Am siebten Tage ihrer Gefangenschaft fesselte man sie an einen Pfahl, während Männer und Frauen des Dorfes, aus Wut, sie noch nicht umbringen zu dürfen, sie mit Worten und Gebärden herausforderten. Die bei der Vorstellung ihres nahenden Todes fiebernden Unglücklichen, Speichel und Schmähungen im Mund, das Feuer im Blick, stießen, begierig, den Feind zu töten, mit den Köpfen in die leere Luft, wobei sie nach den Vorbeikommenden bissen und kläffend schnappten.

Am Abend des siebten Tages, des Palmweins voll, betrunken vom Hirsebier, krepierten alle heulend wie Hunde um Mitternacht im zischenden Prasseln ihres Fettes, beim Krachen des Holzes im Feuer, den erfahrenen Fingern der Kannibalen menschliches Fleisch bietend, weiß wie das von Spanferkeln. Hirn und auch Geschlechtsteile der Frauen wurden als Delikatesse von den »höhergestellten« Männern verzehrt; die Hoden des Häuptlings kamen – zur größtmöglichen Steigerung des Geschlechtstriebs – mit Piment und starken Gewürzen in den großen gemeinsamen Suppentopf der Weiber. Eine orgiastische Sauferei war Krönung dieser Anthropophagie, die von Hass oder Instinkten, dem Hang zum Bösen, von Blut- und Rachedurst oder vielleicht auch dem Wunsch regiert wurde, die Eigenschaften der verspeisten Opfer zu erlangen. Der Kannibalismus war eines der finstersten Kennzeichen dieses gespenstischen Afrikas, über dem der unheilvolle Schatten des Saïf El Haram schwebte. Ein Seufzer für dieses Land.

Am 20. April 1532, an einem Abend, weich wie ein feuchtes Atlasgewand, war Saïf El Haram, als er mehrmals in derselben Nacht bei allen vier Stiefmüttern zugleich seinen ehelichen »Pflichten« nachkam, so unvorsichtig, deren Genuss zu übertreiben, und gab dabei den Geist auf … Am nächsten Tage wurde sein Minister Hadschi Abdul Hassana, der mit dem Rabenblick, in seinem Bette, in das er sich einen Epheben und die schönste von Saïfs Stiefmüttern geholt hatte, von einer Aspisviper überrascht, die er, im Glauben etwas anderes in der Hand zu halten, streichelte. Dreimal öffnete er weit den Mund und starb, gebissen!

… Sein Nachfolger wurde sein Vetter Holongo, ein »scheußlicher Zweifüßer mit brutalem Büffelblick«, der vorn und hinten bucklig, unter einer dennoch beneidenswerten Folter stöhnend, nach zweijähriger Regierung in den Armen seiner Kurtisane Aïosha verschied, die ihn in dem Augenblick erwürgte, als er seine Ekstase hinausjubilierte. Ihm folgte Saïf Ali, ein Päderast mit devotem Benehmen, boshaft wie ein roter Esel, der sechs Monate danach am Laster der Fresssucht verendete, wiederum abgelöst von Saïf Djibril, dem jüngeren Bruder Alis, durch die Sünde der Indiskretion ermordet, anschließend durch einen der Söhne Raminas ersetzt (Mutter des Saïf El Haram, vom Sohne mit Mühe geschwängert) – einen gewissen Saïf Youssoufi –, ein notorisch hässlicher Albino, der zweimal von einem Liebhaber seiner Gemahlin niedergeschlagen, beim dritten Mal – endlich! – von einem verderblichen Wind davongetragen wurde, was ihn selbst höchst erstaunte, und seinen Platz Saïf Medioni von Mostaganem überließ; den Gott zehn Tage später zu sich berief, wie es heißt, zerrissen von den widerstreitenden Engeln des Erbarmens und der Gerechtigkeit. Danach hatten nacheinander die letzten Kinder des verfluchten Saïf und seiner Stiefmütter die Macht inne: Saïf Hesekiel, mit vier Jahren gekrönt und dann entthront; Saïf Ismaël, sieben Monate lang gewaltsam niedergehalten und dann abgesetzt; und der dritte Saïf Benguigui von Saïda, fünf Jahre lang eingelullt: als dürfe der Hof wirklich keine andere Sprache haben als eine doppelzüngige.

Jahre ohne Ruhm, deren Schande das Vergessen tilgt. Und da diese Saïfs alle drei von einer Schlange – ihrem verfluchten Vater – gezeugt zu sein schienen, fühlten sie, ohne Hoffnung und Mut, mit leeren Händen, den eisigen Tod nahen. In Tillabéri-Bentia waren sie bis zu einem solchen Punkt der Niedergeschlagenheit und Ohnmacht abgesunken, dass sie auf dem großen Platz des Palaverbaumes von früh bis spät vor sich hindösten. Ihnen blieb nur übrig, sich der glorreichen Tage des gerechten Saïf Isaac El Heït zu erinnern. Die Beständigkeit, mit der sie ihren abgrundtiefen Träumen nachhingen, wurde ihnen bald vom Himmel gelohnt. Am gleichen Abend wurden alle drei dahingerafft, wieder von … drei Aspisvipern. O tempora, o mores

… 1545 geriet das Adelspack, das danach strebte, das Nakemvolk zu verderben, um es beherrschen zu können, in die gleiche Lage wie 1532: ebenso unbeständig wie gefährlich und scheinbar mehr denn je dem Untergang geweiht. Maschallah! Oua bismillah! Der Name Allahs sei über und mit ihm.

… Die Kassen waren leer, die Herzen müde, die Korruption unermesslich. In Erwartung des schwarzen Messias, der als Befehlshaber der Gläubigen das Herrschertum retten würde, begannen die Familien der Würdenträger in der ganzen Provinz Randé, ihre Kinder auf den Namen von Saïf dem Gerechten, Saïf Isaac El Heït, zu taufen. Die Mühe war vergebens, denn der Ewige in Seiner Barmherzigkeit ließ eine Gelbfieberepidemie kommen, die, indem sie alle Hoffnungen in weniger als einem Monat vernichtete, die Reihe der Thronprätendenten lichtete …

Abgehärtet durch dieses Patronatsfest göttlichen Willens, den Turban als Heiligenschein auf dem Kopf, zog der letzte Abkömmling des verfluchten Saïf, Saïf Rabban Yohanan ben Zaccaï, auf einem Pferd sitzend, das direkt aus seinem offenen Hosenschlitz zu kommen schien, sein kurzes Schwert. Er durchteilte die leuchtende Luft des über Tillabéri-Bentia hingebreiteten Morgens, näherte sich den Betten der Unzufriedenen am königlichen Hofe und beförderte die Schuldigen mit einem Schwertstreich vom Schlaf in den Tod. Daraufhin zum Herrscher ernannt, wurde er acht Jahre lang mit Ehrungen überhäuft und bändigte die Herde der vor Neid platzenden Würdenträger; doch als er sich einmal beim Tabaskifest inmitten des Schweißes seiner Untertanen und des Parfüms der Hofdamen in seiner Volkstümlichkeit suhlen wollte, ging er plötzlich zu Boden und küsste die kotbedeckten Füße seines Pferdes. »Der Abendtau befeuchtete seine Schläfen«, heißt es in der Chronik, »und den Arm um den Pfeil geklammert, der ihn durchbohrt hatte, blieb ihm nicht Zeit, Amen zu sagen und zum Opfer zu werden.« Eine Träne für ihn.

Als die Gondaïten nun sicher waren, dass Saïf Rabban Yohanan ben Zaccaï mit der ebenfalls schlafenden Erde eins geworden war, rissen sie, zufrieden mit den Fingern schnipsend, die Haufen von Tonerde ein – die Behausungen der letzten Anhänger des Saïf –, ehe sie sich auf den Thron schwangen.

Zweihundert Jahre, während derer Höflinge, Bauern, Krieger, Höhergestellte, Sklaven und Schmiede ihr Lob sangen, sich die Taschen füllten und um diesen herrschaftlichen Stinkkäse drängten, wo jeder in Nacheiferung des Hofes nur mit ein wenig Geschick am blutigen Tanz der Korrumpierten teilnehmen und damit Land, Vieh, Adelstitel, Geld und alles, was käuflich ist, erhoffen konnte.

In diesem ungeordneten, unruhigen Leben mit seiner allgemeinen Verrohung, den Unterschlagungen, seinen schreienden Lastern nahm die mehrere Jahrhunderte zurückliegende arabische Eroberung – wie das wilde Gellen einer die weißen Zähne fletschenden Hündin – schließlich die beherrschende Stellung ein: Nicht freigelassene Sklaven und unterworfene Stämme nahmen immer öfter den Weg nach Mekka, Ägypten, Äthiopien, zum Roten Meer, nach Amerika und Arabien, und zwar zu Preisen, die ebenso lächerlich waren wie die schmutzige Würde des Negerpacks.

Ein kräftiger, gesunder Mann kostete etwas mehr als eine Ziege und etwas weniger als ein Ziegenbock, ein Zehntel einer Kuh, ein Achtel eines Kamels, das heißt umgerechnet tausend Kaurimuscheln oder zwei Stangen Salz. Und, oh höchste Dankbarkeit, das weitgespannte Handelsunternehmen wurde durch den offensichtlichen Kult geistiger Werte maskiert: daher die Gründung arabischer Universitäten (bis dahin nur in beschränkter Zahl) in Tillabéri-Bentia, Granta und Grosso, die mit dem internationalen Handel und dem östlichen Sklavenmarkt Beziehungen unterhielten …

Das Reich zerbröckelte … Die Dynastie der Saïfs endete in der männlichen Linie mit den Enkeln des Saïf Rabban Yohanan ben Zaccaï, dessen ältester Sohn Jacob, wie unsere Griots berichten, »seiner Katze alle möglichen Probleme der Theologie mitteilte«. Die Diskretion des Tieres ging so weit, dass es sich, um Jacob eine übermäßige Angst vor den ihn hier unten erwartenden Schrecken zu ersparen, bei Tagesanbruch auf zwei Pfoten davonmachte. Im bloßen Überrock lernte Jacob nach kurzem Schlummer Disziplin, und mittels Stock und Stab hämmerte ihm ein Gelehrter Maximen und edle Gefühle ein. Da er jedoch immer still blieb, fand der Hof ihn nett und zu nichts nutze. Beim Tode seines Vaters begnügten sich seine jüngeren Brüder also auch nicht damit, ihm den Thron streitig zu machen, sondern bemächtigten sich auch seines Erbteils. Weshalb Jacob, dessen winziges Mündchen unter seinem Bart zu piepsen schien, von ihrer Mildtätigkeit leben musste.

Als er eines Tages im Schatten des Baumes saß, wo sich der grüne Stein befindet, der das Unglück vergessen macht, mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern, sah er die herrschaftliche Sänfte. Es war heiß, und die Träger fanden, er habe einen breiten Rücken und könne ihnen helfen. Jacob erhob sich sogleich, sanftmütig und lächelnden Blickes erwiderte er ein gehorsames Ja.

Ehe er einen der Träger ablöste, grüßte er erst den Herrscher, seinen Bruder. Aber je länger er ging, umso mehr wurde die Sänfte durchgeschüttelt. Denn beim Laufen hüpfte Jacob, um Ameisen, Insekten und Kröten nicht zu zertreten – so viel Achtung hatte er vor dem Leben der Tiere.

Schließlich brüllte der Herrscher ihn an: »Kannst du nicht gerade gehen, du Trottel! Lass sofort die Sänfte los!«

Jacob sah seinen Bruder Saïf Tsévi an und sprach mit einer Stimme, süß wie Honig: »Zu wem sprecht Ihr so, den Ihr duzt und einen Trottel nennt? Gibt es im Nakem mit seinem glasblauen Himmel und dem perlmutternen Horizont – mit dem Morgenstern hoch droben – ein Wesen, das nicht Ihr selbst seid, und wie kann in Euch irgendein Zorn sein?«

Während er sprach, strömte aus Jacobs Blick ein so ungeheuerliches Licht, dass alle, die ihm zuhörten, von Ehrfurcht ergriffen wurden.

Der Herrscher stieg aus der Sänfte, fiel vor dem Weisen nieder: »Möge ich deine Krankheiten verschlingen! Oh, verehrungswürdiger Herr, mein Bruder bei den Lebenden und bei den Toten!«

Also setzte sich Jacob an den Straßenrand, und, mit runden Augen und dem begierigen Antlitz eines Übernatürlichen, lehrte er den Herrscher Saïf Tsévi »die wahre Weisheit« so gut, dass dessen Herz in gleichmäßigen, salbungsvollen Schlägen vibrierte …

Doch ist die schöne Vereinigung von Wissen und Tugend nicht haltbar; denn Saïf Tsévi verführte bald darauf seine eigene Schwester, und diese, einmal verheiratet, wurde, kaum war sie Ehefrau, ihrerseits pervers: Ungestraft suchte sie ihre Liebhaber unter zehnjährigen Knaben aus …

… Nachdem Saïf Tsévi seine berber-jüdische Favoritin Yéhochua beweint hatte, ehelichte der geile Bock eiligst eine Negerzauberin namens Lyangombe, die einem Geheimbund von Zauberern und Magiern angehörte, deren geheiligter Ahne in Gestalt eines doppelgeschlechtlichen Wesens verehrt wurde, das auf einer Seite drei Phallen und auf der anderen drei Scheiden hatte. Im Privatleben gewährten die Angehörigen dieses Bundes, die kaum den Mut eines nassen Huhns besaßen, eine besondere Form der Gastfreundschaft, denn der Hausherr bewilligte jedem Dritten das Recht, sich der Gunst seiner Frauen zu erfreuen.

In aller Öffentlichkeit feierten sie oft scheußliche Sabbate, zu denen sich die Teilnehmer durch den nächtlichen Busch begaben, wobei sie sich gegenseitig durch nachgeahmte Hyänenschreie riefen. Bei diesen Saturnalien war Inzest erlaubt und sogar erwünscht, desgleichen Menschenopfer, auf die inzestuöse Sexualbeziehungen und Sodomie folgten: Als solle man zu Recht sagen dürfen – ya atrash! –, dass der Neger nur ein Wilder wäre.