Für Brooks Sherman,

diesen einen Agenten des Universums, der uns zusammengebracht hat.

Sowie für Andrew Eliopulos und Donna Bray,

die unser Universum erweitert haben.

Teil 1 Was wäre wenn?

1. Kapitel – Arthur

Montag, 9. Juli

Ich bin kein New Yorker und ich will nach Hause.

In New York gibt es so viele ungeschriebene Regeln: Niemals mitten auf dem Gehweg stehen bleiben zum Beispiel, niemals verträumt an einem Wolkenkratzer hochschauen und niemals in Ruhe ein Graffiti lesen. Straßenkarte, Bauchtasche, Blickkontakt – verboten. In der Öffentlichkeit vor sich hin singen, selbst wenn es was aus Dear Evan Hansen ist – verboten. Und unter gar keinen Umständen, selbst wenn dieser Hotdogstand vor den gelben Taxis ein fast schon unheimlich typisches New-York-Bild abgibt, darf man an einer Straßenecke Selfies schießen. Beiläufig wertschätzen – das ist erlaubt, aber dabei immer schön cool bleiben. Soweit ich es beurteilen kann, ist das sowieso am allerwichtigsten hier: Coolness.

Ich bin nicht cool.

Jetzt gerade, zum Beispiel. Jetzt gerade habe ich den Fehler gemacht, einen Blick in den Mittagshimmel zu werfen, und nun kann ich mich nicht mehr losreißen. Aus dieser Perspektive scheint die Welt nach innen zu kippen: schwindelerregende Hochhäuser, gleißende Feuerballsonne.

Wunderschön. Das muss ich New York zugutehalten. Es ist wunderschön, surreal und kein bisschen wie Georgia. Für ein schnelles Foto richte ich mein Handy nach oben. Ohne Hashtag, ohne Filter, ohne viel Aufhebens.

Nur ein einziges schnelles Foto.

Keine Millisekunde später trifft mich die geballte Wut des Passantenstroms: Oh Gott. Mach hin. AUS DEM WEG! Scheißtouristen. Ernsthaft – zwei Sekunden Fotografieren und schon bin ich die Ausgeburt der Störung im Betriebsablauf. Ich bin jede Bahnverspätung, jede Straßensperre, ja ich bin sogar der bloße Gegenwind.

Scheißtouristen.

Dabei bin ich nicht mal Tourist. Sondern wohne quasi hier, zumindest einen Sommer lang. Und gebe mich also mitten im geschäftigen Montagstreiben auch nicht etwa müßigem Sightseeing hin. Ich arbeite. Na ja, ich wurde zu Starbucks geschickt, aber das zählt.

Und ja, vielleicht nehme ich den extralangen Weg. Vielleicht brauche ich noch ein paar Minuten, bevor ich in Moms Büro zurückkehre. Meist ist das Praktikum ja eher langweilig als schlimm, aber heute lief’s einfach beschissen. Einer von diesen Tagen halt, an denen der Drucker neues Papier braucht und im Materialraum keins mehr ist, weswegen man welches aus dem Kopierer klauen will, dessen Schubfach aber nicht aufgeht und man dann den falschen Knopf drückt und das Ding wie wild zu piepen anfängt. Dann steht man da und denkt sich, dass, wer auch immer den Kopierer erfunden hat, eigentlich einen Arschtritt verdient. Verdient, getroffen zu werden von der rasenden Wut eines jüdischen Teenagers mit ADHS, der nicht weniger als einen Meter siebenundsechzig misst. Einer von diesen Tagen.

Schon seit ich losgegangen bin, will ich Ethan und Jessie mein Leid klagen, habe aber immer noch nicht den Dreh raus, wie ich Nachrichten schreiben soll, ohne stehen zu bleiben.

Deswegen steuere ich jetzt die Eingangstreppe eines Postamtes an und – wow. Postämter wie das hier gibt es in Milton nicht. Schneeweiße Fassade, steinerne Säulen, Messingverzierungen. Bei all dieser Eleganz komme ich mir fast schon underdressed vor. Dabei trage ich heute sogar eine Krawatte.

Ich schicke Ethan und Jessie das Sonne-und-Hochhäuser-Bild. Harter Tag im Büro!

Jessie schreibt augenblicklich zurück. Ich hasse dich und will du sein.

Die Sache ist die: Jessie und Ethan sind meine besten Freunde, seit ich denken kann. Mit ihnen war ich immer Echter-Arthur. Einsamer-Verpeilo-Arthur statt Stylo-Instagram-Arthur. Doch aus irgendeinem Grund muss ich sie glauben machen, dass mein Leben hier in New York megacool ist. Warum, weiß ich auch nicht. Deswegen schicke ich ihnen seit Wochen Stylo-Instagram-Nachrichten. Allerdings bin ich nicht sicher, ob sie mir das Ganze auch abnehmen.

Und du fehlst mir, schreibt Jessie, gefolgt von einer ganzen Zeile Küsschen-Emojis. Sie ist wie meine Oma im Körper einer Sechzehnjährigen. Wenn sie könnte, würde sie mir die roten Schmatzer direkt auf die Wange texten. Dermaßen zuckerwattig ist unsere Freundschaft jedoch erst seit Kurzem. Erst seit letztem Abschlussball. Auf dem ich ihr und Ethan erzählt habe, dass ich schwul bin.

Ich vermisse euch auch, Leute, gebe ich zu.

KOMM NACH HAUSE, ARTHUR.

Vier Wochen noch. Nicht dass ich zählen würde.

Ethan klinkt sich endlich auch ein. Mit dem mehrdeutigsten Vertreter der Emoji-Familie: dem Grimassen-Smiley. Ich meine, komm schon. Der Grimassen-Smiley? Während Jessie seit dem Abschlussball wie meine Oma textet, textet Ethan seitdem wie ein Pantomime. In der Gruppe geht’s ja meistens noch, aber was unseren Zweierchat angeht … Ich sage nur: Das Volumen eingehender Ethan-Nachrichten ging etwa fünf Sekunden nach meinem Coming-out merklich zurück. Und ich werde nicht lügen: Ein mieseres Gefühl ist mir nie untergekommen. Irgendwann stelle ich ihn zur Rede. Bald. Vielleicht schon heute. Vielleicht –

Schwungvoll wird die schwere Postamttür aufgestoßen und heraus treten – ohne Witz – zwei erwachsene Männer im Partnerlook-Jumpsuit. Zwillinge. Mit Zwirbelbart. Ethan würde vor Begeisterung auf die Knie gehen. Was mich ankotzt. So was passiert mir ständig mit ihm. Gerade noch wollte ich seinen mehrdeutigen Emoji-Arsch zum Mond schießen, jetzt will ich ihn einfach nur noch lachen hören. Emotionale Hundertachtzig-Grad-Wende in weniger als sechzig Sekunden.

Während die Zwillinge an mir vorbeischlendern, kann ich ihre identischen Männerdutts bewundern. Natürlich tragen sie Dutt. New York muss ein eigener Planet sein, denn – ich schwöre es – niemand sieht auch nur ein zweites Mal hin.

Außer.

Einem Jungen, der gerade mit einem Paket in den Händen auf den Eingang zusteuert. Buchstäblich wie angewurzelt bleibt er stehen, als die beiden an ihm vorbeilaufen. Er schaut so verdutzt drein, dass ich lachen muss.

Und da fällt sein Blick in meine Richtung.

Und er lächelt.

Und: heilige Scheiße.

Ich mein’s ernst. Heilige Scheiße im Himmel. Süßester Typ aller Zeiten. Sind’s die Haare, die Sommersprossen, die rosigen Wangen? Und das frage ich als jemand, dem noch nie zuvor die Wangen von jemandem aufgefallen sind. Doch seine sind es wert, bemerkt zu werden. Alles an ihm ist es wert. Perfekt zerzauste hellbraune Haare. Abgewetzte Turnschuhe, Jeans, graues Shirt mit einer Aufschrift, die fast vom Paket verdeckt ist: Dream & Bean Coffee. Der Junge ist, nun ja, wie die meisten größer als ich.

Und er sieht mich immer noch an.

Jetzt aber mal zwanzig Punkte für Gryffindor, denn ich schaffe es, zurückzulächeln. »Die beiden haben ihr Tandem mit Sicherheit vorm Barber-Shop geparkt.«

Er lacht überrascht, was mich glatt schwindlig vor Entzücken werden lässt. »Barber-Shop Schrägstrich Kunstgalerie Schrägstrich Mikrobrauerei«, ergänzt er.

Eine Weile grinsen wir uns bloß schweigend an.

»Ähm, willst du auch rein?«, fragt er schließlich.

Ich schaue zum Eingang. »Ja«, sage ich und folge ihm. Ohne überhaupt darüber nachzudenken. Oder falls doch, dann hat mein Körper mir die Entscheidung abgenommen. Dieser Junge hat etwas in mir ausgelöst. Ein Ziehen in der Brust. Die Sache scheint besiegelt: Ich muss ihn einfach kennenlernen.

Okay, ich werde es jetzt beichten, selbst wenn ich damit allgemeines Augenrollen ernte. Wahrscheinlich wurden eh schon einige Augen gerollt. Trotzdem:

Ich glaube an die Liebe auf den ersten Blick. An das Schicksal, die Macht des Universums, an all das. Nicht, wie ihr jetzt denkt. Nicht à la: Wir sind zwei Teile ein und derselben Seele, die auf ewig zusammengehören. Ich denke bloß, dass in unserem Leben einige Begegnungen vorherbestimmt sind. Dass uns das Universum bestimmte Menschen vor die Füße schiebt.

Selbst an einem x-beliebigen Montag im Juli. Selbst vor einem x-beliebigen Postamt.

Wobei zwischen einem x-beliebigen Postamt und diesem Laden hier dann doch ein Unterschied besteht. Denn wir betreten einen Raum, auf dessen glänzendem Fußboden mit Leichtigkeit ein Ball stattfinden und der wegen der klassischen Skulpturen vor den durchnummerierten Postfächern auch ein Museum sein könnte. Der Paketjunge nimmt sich an der Theke einen Adressaufkleber, stellt das Paket zwischen seine Füße und beginnt mit dem Ausfüllen.

Ich dagegen schnappe mir einen Expressumschlag vom Stapel und schlendere damit zum Platz neben ihm. Gaaanz locker. Das hier muss nicht schräg werden. Ich muss nur die richtigen Worte finden, um das Gespräch am Laufen zu halten. Tatsächlich bin ich normalerweise richtig gut im Small Talk mit Fremden. Keine Ahnung, ob das ein Georgia- oder ein Arthur-Ding ist, aber ehe ich mich’s versehe, vergleiche ich Pflaumensaftpreise für einen älteren Herrn im Supermarkt, und eine Schwangere im Flugzeug benennt noch vor der Landung ihr ungeborenes Kind nach mir. Das ist eines meiner Talente.

Oder war es, bis heute. Allem Anschein nach kann ich gerade nicht mal mehr Laute bilden. Meine Mundhöhle scheint in sich zusammenzufallen. Jetzt muss ich Kontakt zu meinem inneren New Yorker herstellen: cool sein, lässig. Ich taste mich mit einem Grinsen vor, hole tief Luft und zeige nach unten. »Ganz schön dickes Ding hast du da.«

Moment … Scheiße.

Hastig stolpern die nächsten Worte hinterher: »Ich meine nicht Ding. Dein Paket ist dick. Der Karton! Dein Karton ist … groß.« Ich zeige ihm mit beiden Händen die Größe des Kartons an. Weil ich ihm offensichtlich nur so klarmachen kann, dass es keine Anspielung sein soll. Indem ich ihm in Schwanz-mess-Manier meine Hände vor die Nase halte.

Der Paketjunge runzelt die Stirn.

»Tut mir leid, ich … ich schwöre, dass es sonst nicht meine Art ist, die Größe von Paketen anderer Leute zu kommentieren.«

Er sieht mir in die Augen und lächelt. Ein bisschen zumindest. »Schicke Krawatte«, sagt er.

Ich schaue an mir hinunter und werde rot. Logisch, dass ich mir heute Morgen keinen normalen Schlips umgebunden habe. Nein, es musste einer aus der Dad-Kollektion sein, quietschblau mit kleinen Hotdogs drauf. »Immerhin kein Jumpsuit?«

»Gutes Argument.« Er lächelt erneut, wobei mir zwangsläufig seine Lippen auffallen. Die eindeutig aussehen wie die von Emma Watson. Emma Watsons Lippen. In seinem Gesicht.

»Du bist nicht von hier, hm?«, sagt er.

Ich blicke überrascht zu ihm auf. »Woher weißt du das?«

»Weil du immer noch redest.« Jetzt wird er rot. »Das klang fies. Ich meine: Normalerweise fangen nur Touristen ein Gespräch an.«

»Oh.«

»Aber mich stört’s nicht«, fügt er hinzu.

»Ich bin kein Tourist.«

»Ach so?«

»Na gut, streng genommen bin ich nicht von hier, aber momentan ist New York mein Zuhause. Zumindest den Sommer über. Ich bin aus Milton, Georgia.«

»Milton, Georgia.« Er lächelt.

Ein fremdartiger Ausnahmezustand hat mich übermannt. Meine Gelenke sind lose, mein Kopf voller Watte. Mit ziemlicher Sicherheit glüht er mittlerweile wie eine Achtzig-Watt-Birne. Ich will’s gar nicht wissen. Einfach weiterreden. »Ja, oder? Milton. Klingt wie ein jüdischer Großonkel.«

»Ich wollte nicht –«

»Ich habe tatsächlich einen jüdischen Großonkel Milton. Wir leben gerade in seiner Wohnung.«

»Wer ist wir?«

»Mit wem ich in Großonkel Miltons Wohnung lebe?«

Er nickt und ich sehe ihn wortlos an. An wen denkt er bei der Frage? An meinen Freund? Meinen achtundzwanzigjährigen, chilischarfen Geliebten mit Tunnelohrringen, Zungenpiercing und einem Tattoo von meinem Namen auf dem linken Brustmuskel? Oder quer über beide Brustmuskeln?

»Mit meinen Eltern«, antworte ich schließlich hastig. »Meine Mom ist Anwältin und ihre Kanzlei hat hier eine Niederlassung, deswegen ist sie schon Ende April hergezogen für einen ihrer Fälle und ich wäre ja direkt mitgekommen, aber Mom hatte etwas dagegen. Netter Versuch, Arthur, du hast noch einen Monat Schule vor dir. Wie sich aber jetzt herausstellt, hätte ich mir damit eh nur ins Knie geschossen, denn irgendwie dachte ich, New York wäre soundso, dabei ist es ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Und jetzt sitze ich hier fest und vermisse meine Freunde und mein Auto und mein Waffle House

»In der Reihenfolge?«

»Na ja, vor allem das Auto.« Ich grinse. »Das steht jetzt vorm Haus meiner Oma in New Haven. Sie wohnt ganz in der Nähe von Yale, meiner hoffentlich, hoffentlich künftigen Uni. Daumen drücken.« Ich kann einfach nicht aufhören zu reden. »Aber meine Lebensgeschichte interessiert dich bestimmt gar nicht.«

»Alles gut.« Er hebt sein Paket auf. »Wollen wir uns dann mal anstellen?«

Ich nicke und folge ihm. In der Schlange rückt er etwas zur Seite, damit er mich ansehen kann, wobei das Paket wie ein Turm zwischen uns aufragt. Noch hat er die Adresse nicht drangeklebt, sie liegt nur lose obendrauf. Ich versuche, sie unauffällig zu lesen, aber seine Handschrift ist eine Katastrophe und über Kopf kann ich’s erst recht nicht entziffern.

Er erwischt mich beim Hinschielen. »Du bist echt neugierig, oder?«, fragt er und kneift die Augen zusammen.

»Oh.« Ich schlucke. »Irgendwie schon. Ja.«

Er muss lächeln. »Ist nichts Spannendes. Sind bloß Überbleibsel einer Trennung drin.«

»Überbleibsel?«

»Bücher, Geschenke, ein Harry-Potter-Zauberstab. So ’n Zeug halt, das ich nicht länger haben will.«

»Du willst keinen Harry-Potter-Zauberstab mehr haben?«

»Ich will überhaupt nichts mehr von meinem Ex-Freund haben.«

Ex-Freund.

Das bedeutet, der Paketjunge datet Typen.

Okay. Wow. So was passiert mir nicht. Nie. Aber vielleicht funktioniert das Universum in New York ja anders.

Er datet Typen.

ICH BIN EIN TYP.

»Wie cool«, sage ich. Und bleibe absolut lässig. Erst als er mich komisch ansieht, schlage ich mir die Hand vor den Mund. »Nein, natürlich nicht. Himmel. Trennungen sind nicht cool. Ich meinte nur … Also: Mein Beileid für deinen Verlust.«

»Er ist nicht tot.«

»Nein, klar. Ach, ich …« Ich atme aus und lasse meine Hand auf das rote Warteschlangenband sinken.

Der Paketjunge lächelt verächtlich. »Verstehe. Du bist einer von denen, die in Gegenwart von Schwulen komisch werden.«

»Was?«, japse ich. »Nein! Ganz im Gegenteil!«

»Genau.« Er verdreht die Augen und sieht an mir vorbei.

»Du verstehst das falsch. Hör zu, ich bin selbst schwul.«

Und die ganze Welt bleibt stehen. Meine Zunge fühlt sich plump und schwer an.

Wahrscheinlich, weil ich die Worte nicht allzu oft ausspreche. Ich bin schwul. Meine Eltern wissen es, Ethan und Jessie wissen es und mehr oder weniger beiläufig habe ich es auch den Sommeraushilfen in Moms Kanzlei gesagt. Allerdings bin ich eigentlich nicht der Typ Mensch, der das in Postämtern herumposaunt.

Wobei, allem Anschein nach irgendwie doch.

»Echt?«, fragt der Paketjunge.

»Echt«, stoße ich atemlos hervor. Schrägerweise würde ich es ihm am liebsten nachweisen. Mit einem Schwulenpass, den ich zücken könnte wie eine Polizeimarke oder so. Am liebsten aber auf andere Weise. Gott, wie gerne würde ich es ihm auf andere Weise zeigen.

Der Paketjunge lächelt und seine Schultern entspannen sich. »Cool.«

Und, heilige Scheiße, das passiert gerade wirklich. Ich kriege kaum noch Luft. Es ist, als hätte das Universum selbst diese Begegnung herbeigeführt.

Dröhnend erhebt sich eine Stimme hinter dem Schalter: »Stehste nun an, oder was?« Ein schwerer Lippenring hängt der Fragenden am missbilligend verzogenen Schmollmund. Die Magie des Augenblicks? Die geht dieser Staatsdienerin hier wohl mehrere Meter am Arsch vorbei. »Yo, Sommersprosse. Du bist dran.«

Der Paketjunge wirft mir einen kurzen Blick zu und tritt an den Schalter. Während hinter mir schon die Nächsten drängeln, belausche ich sein Gespräch. Na ja, eigentlich lausche ich nicht im engeren Sinne. Mein Hörvermögen wendet sich vielmehr ganz von selbst seiner Stimme zu.

»Per Express sechsundzwanzig fünfzig«, sagt die Frau mit dem Lippenring.

»Sechsundzwanzig fünfzig? Also sechsundzwanzig Dollar?«

»Nein, sechsundzwanzig Dollar fünfzig.«

Der Paketjunge schüttelt den Kopf. »Das ist viel.«

»Ich hab die Preise nicht gemacht. Ja oder nein?«

Einen Moment lang steht er nur schweigend da. Schließlich nimmt er das Paket wieder und drückt es an seine Brust. »Sorry.«

»Nächster«, bellt der Lippenring mich an, aber ich folge dem Paketjungen.

Er blinzelt. »Wie kann es sechsundzwanzig Dollar kosten, ein Paket zu verschicken?«

»Keine Ahnung. Echt kacke.«

»Offenbar will das Universum mir sagen, dass ich es behalten soll.«

Das Universum.

Heilige Scheiße.

Er ist ein Gläubiger. Er glaubt ans Universum. Und, ohne voreilige Schlüsse ziehen zu wollen: Dass der Paketjunge daran glaubt, ist ja wohl definitiv ein Zeichen. Des Universums.

»Mh-hm«, sage ich und mein Herz schlägt schneller. »Vielleicht will es dir aber auch sagen, dass du sein Zeug wegwerfen sollst.«

»So funktioniert das nicht.«

»Ach nein?«

»Denk doch mal nach. Das Paket loswerden ist Plan A, stimmt’s? Das Universum würde doch Plan A nicht vereiteln, nur damit ich eine andere Version von Plan A umsetze. Das Universum verlangt eindeutig Plan B.«

»Und was ist Plan B?«

»Zu akzeptieren, dass das Universum ein Arsch ist.«

»Das Universum ist kein Arsch!«

»Oh doch. Glaub mir.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil ich weiß, dass das Universum irgendeinen Scheißplan für dieses Paket hat.«

»Aber darum geht’s doch!«, rufe ich und halte seinem Blick stand. »Du kannst es gar nicht wissen. Du hast keine Ahnung, was das Universum genau vorhat. Vielleicht bist du hier, weil du mir begegnen solltest, damit ich dir raten kann, das Paket wegzuwerfen.«

Er grinst. »Das Universum wollte also, dass wir uns treffen?«

»Was? Nein! Ich meine, ich weiß nicht. Das ist der Punkt. Wir können es nicht wissen.«

»Warten wir mal ab.« Nachdem er den Adressaufkleber einen Moment angestarrt hat, reißt er ihn durch, zerknüllt ihn und wirft ihn in den nächsten Papierkorb. Zumindest zielt er darauf, trifft aber daneben. »Tja«, sagt er. »Ähm, hast du –«

»Achtung, Achtung«, verkündet jemand durch die Sprechanlage. »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«

Ich werfe dem Paketjungen einen Seitenblick zu. »Was –«

Eingeleitet von einer schrillen Rückkopplung, erklingen jetzt die ersten Töne eines Klavierstücks.

Woraufhin eine … Marching Band durch die Tür stolziert.

Eine gottverdammte Marching Band.

Einer nach dem anderen strömen die Musikanten ins Postamt, mit Pauken und Flöten und Tubas und einer etwas schiefen Version von Bruno Mars’ Marry You. Zeitgleich verfallen Dutzende Leute – Junge und Alte, von denen ich dachte, sie stünden bloß um Briefmarken an – in eine durchchoreografierte Tanznummer mit Beingewerfe, Hüftgeschwinge und einer Menge Jazzhänden. Fast jeder hier drin, der nicht selbst mittanzt, hat mittlerweile seine Handykamera gezückt, doch ich bin zu gebannt, um auch nur einen Finger zu rühren. Denn auch auf die Gefahr hin, dass ich es überinterpretiere: Kaum fünf Sekunden nachdem ich einen süßen Typen kennengelernt habe, stehe ich mitten in einem Flashmob-Heiratsantrag? Noch deutlicher kann das Universum nicht werden.

Die Menge macht Platz für einen tätowierten Skateboarder, der gekonnt vor Lippenrings Schalter zum Stehen kommt. In der Hand hält er eine Schmuckschatulle, doch statt sich hinzuknien, stützt er beide Ellbogen auf und strahlt Lippenring an.

»Kelsey, Babe. Willst du mich heiraten?«

Kelseys Wimperntusche ist bereits bis runter zu ihrem Lippenring verlaufen. »Ja!« Als sie das Gesicht des Skaters mit beiden Händen für einen tränennassen Kuss zu sich heranzieht, bricht die Menge in Jubel aus.

Mich trifft’s mitten ins Herz. Genau dieses New-York-Gefühl besingen sie in all den Musicals – diese ungezügelte, bis zum Anschlag aufgedrehte Technicolor-Freude. Nachdem ich den ganzen Sommer lang Trübsal geblasen und Georgia vermisst habe, ist jetzt endlich das Licht in mir angegangen.

Ich frage mich, ob der Paketjunge es auch spürt. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Hand über dem Herzen drehe ich mich zu ihm um –

Doch er ist weg.

Meine Hand fällt schlaff runter. Keine Spur von dem Jungen. Keine Spur vom Paket. Suchend schaue ich mich um, gehe jedes einzelne Gesicht im Raum durch. Vielleicht hat ihn der Flashmob zur Seite gedrängt. Oder vielleicht gehörte er dazu. Oder vielleicht musste er zu irgendeinem dringenden Termin. So dringend, dass er nicht mehr nach meiner Nummer fragen, dass er sich nicht mal mehr verabschieden konnte.

Ich kann nicht glauben, dass er sich nicht mal verabschiedet hat.

Ich dachte – schon klar, das ist dämlich –, aber ich dachte, da wäre etwas Besonderes zwischen uns. Schließlich hat das Universum uns mehr oder weniger eigenhändig zueinandergebracht, oder? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie man das Ganze sonst erklären sollte.

Nur ist er jetzt verschwunden. Wie Aschenputtel um Mitternacht. Als hätte es ihn nie gegeben. Und ich werde nie seinen Namen erfahren, nie hören, wie er meinen ausspricht. Ich werde ihm nie zeigen können, dass das Universum kein Arsch ist.

Weg. Endgültig. Und die Enttäuschung trifft mich so hart in die Magengrube, dass ich fast zusammenklappe.

Bis mein Blick zum Papierkorb wandert.

Okay. Ich werde nicht etwa den Müll durchwühlen. Natürlich nicht. Ich bin zwar ein Häufchen Elend, aber so verzweifelt dann doch wieder nicht.

Vielleicht hat der Paketjunge ja recht. Vielleicht verlangt das Universum einen Plan B.

Frage: Wenn ein Stück Papier es gar nicht erst in den Papierkorb geschafft hat, kann man es dann überhaupt als Müll bezeichnen? Denn: Stellen wir uns mal vor, dass – rein hypothetisch – ein zerknüllter Adressaufkleber auf dem Boden liegt. Ist er dann Müll?

Oder wäre er dann nicht vielmehr so was wie ein gläserner Schuh?

2. Kapitel – Ben

Na toll, jetzt kann ich von vorne anfangen.

Ich hatte eine Aufgabe. Die Trennungskiste wegschicken und ohne die Trennungskiste das Postamt verlassen. Zu meiner Verteidigung: Es war ganz schön was los da drin. Allem voran der coole, süße Typ, der ganz offensichtlich noch nicht vom Universum enttäuscht wurde, schließlich hat er tatsächlich geglaubt, dass unser Treffen vorherbestimmt war. Ausgerechnet, als ich gerade versucht habe, Hudson sein Zeug zurückzuschicken. Jetzt, nachdem die Marching Band uns auseinandergebracht hat, singt dieser Arthur bestimmt ein anderes Liedchen vom Universum.

Schnell steige ich in den nächsten Zug nach Alphabet City, wo ich mich mit Dylan treffe. Ich wohne auf der Avenue B, mein bester Freund auf der Avenue D. Kennengelernt haben wir uns aufgrund unserer Nachnamen: Alejo und Boggs. In der Dritten saß er dadurch hinter mir und tippte mir pausenlos auf die Schulter, um sich Stifte, Schmierpapier und auch sonst alles zu leihen. Das gleiche Spiel Jahre später, als er sich mein zwei Generationen altes iPhone lieh, um seiner Flamme der Woche weiter schreiben zu können, nachdem sein eigener Akku den Geist aufgegeben hatte. Wenn ich mir etwas von ihm »leihe«, dann nur ein paar Dollar für die Mittagspause. In Anführungsstrichen deshalb, weil ich ihm das Geld kaum je zurückzahlen kann, was ihm nichts ausmacht. Dylan ist ein guter Kerl. Ihm ist egal, dass ich auf Typen stehe und mir ist egal, dass er auf Mädchen steht. Danke an meinen guten Freund, das Alphabet, für diese Bromance.

Auf dem Weg von der Bahnstation zu Dylan stoppe ich an mehreren Mülleimern und halte die Trennungskiste darüber, bringe jedoch nicht den Mumm auf, das verdammte Ding loszulassen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Schlussmachen auch dann scheiße ist, wenn man es selbst macht. Und eigentlich fühlt es sich sowieso eher danach an, als hätte Hudson durch seine Fremdknutscherei die Sache beendet. Schon seit der Scheidung seiner Eltern lief es nicht mehr rund zwischen uns, aber ich hatte Geduld mit ihm. Als er zum Beispiel meinen Geburtstag planen durfte und wir zu einem Konzert seiner Lieblingsband gingen. Das ließ ich ihm durchgehen, schließlich war es mein erstes richtiges Konzert und die Killers haben schwer was drauf. Anschließend hat er den großen Jahrestagsbrunch meiner Eltern geschwänzt. Auch das ließ ich ihm durchgehen. Klar, es musste ja schwer für ihn sein, nach der Scheidung seiner Eltern die Ehe von meinen zu feiern. Aber als er bei dieser romantischen Komödie über zwei Jungs die ganze Zeit nur darüber gelästert hat, dass keine Liebe je hollywoodwürdig wäre, auch unsere nicht, da bin ich aus dem Kinosaal gestürmt. Und ging fest davon aus, dass er mir nachlaufen oder meinen Namen rufen oder zumindest irgendetwas tun würde, was ein fester Freund in so einer Situation tun sollte.

Doch stattdessen: drei Tage Schweigen. Bis ich ihn schließlich anrief und fragte, ob wir je wieder miteinander reden würden. Kurze Zeit später stand er vor meiner Tür und beichtete mir, er sei davon ausgegangen, dass wir getrennt wären, und er habe deshalb irgendeinen Typen auf einer Party geküsst. Völlig aufgelöst stand er da, wollte unbedingt eine zweite Chance, aber nicht mit mir. Ich hab Schluss gemacht. Endgültig. Selbst wenn er angenommen hat, es wäre aus zwischen uns, hätte er doch wohl länger als ein paar Tage warten können, bevor er mit dem Nächsten rummacht, oder? Kaum möglich, sich nach so was nicht wertlos zu fühlen.

Als ich bei Dylan klingele, drückt er mir immerhin sofort die Tür auf. Rumwarterei ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Schließlich schleppe ich nicht nur eine Kiste mit dem Zeug meines Ex herum, sondern auch noch einen Rucksack voller Hausaufgaben für die Sommerschule. Dieser Tag kotzt mich an.

Im Aufzug gähne ich ausgiebig. Musste heute um sieben aufstehen, in den Ferien, nur wegen der dummen Schule. Ein Hoch auf das Leben. Die Welt dreht sich weiter … mit ihren Schlagringen dreht sie sich zu mir um und schlägt zu. Aufs Herz. Aufs Ego.

Dylan hat die Wohnungstür für mich offen gelassen und ich gehe wie üblich rein, ohne zu klopfen. Sein Zimmer betrete ich allerdings nicht mehr ohne Ankündigung, seit ich vor ein paar Monaten reinkam und er’s sich gerade selbst so richtig besorgt hat.

»Alles jugendfrei da drin?«, frage ich durch die Tür.

»Leider ja«, antwortet Dylan.

Ich gehe hinein. Dylan sitzt auf dem Bett und textet vor sich hin. Nach unserem gemeinsamen Abendessen gestern muss er sich den Bart frisch gestutzt haben. Außer ihm kenne ich keinen anderen Bartträger in meinem Alter. Zwar will bei mir nicht mal über der Oberlippe was wachsen, weswegen ich mich lange für einen Spätzünder hielt, doch in Wahrheit ist Dylan hier die Freakshow – eine gut aussehende Freakshow.

»Big Ben«, singt Dylan und legt sein Handy beiseite. »Licht meines Lebens. Er, dessen Arsch in der Schule festsitzt.« Was umso beschissener ist, weil Dylan, seit ich mit den schlechten Neuigkeiten aus dem Vertrauenslehrerbüro kam, ununterbrochen Witze über mich reißt. Dabei hat er nur Glück gehabt, dass keine von seinen Freundinnen ihn je vom Lernen abhalten wollte, im Glauben daran, dass sich passable Noten auf wundersame Weise von selbst einstellen würden.

»Hi«, sage ich schlicht. Kosenamen sind nicht so mein Ding.

Dylan zeigt auf meine Brust. »Das Shirt ist ein Hingucker, hab ich recht?«

Werbeshirts kleiner Coffeeshops aus allen Ecken der Stadt machen einen Großteil von Dylans Garderobe aus und wenn sein Kleiderschrank zu voll wird, profitiere ich davon. Dass mit Dream & Bean gestern Abend eins seiner Lieblingsteile bei mir gelandet ist, wundert mich zwar, aber gut, ich beschwere mich nicht.

»Hatte bloß nichts Sauberes zum Anziehn«, wiegele ich ab. »Besonders cool ist es nicht gerade.«

»Diesen Affront schiebe ich angesichts der Trennungskiste auf deinen allgemeinen Missmut. Warum hast du sie nicht wie geplant überreicht?«

»Hudson war nicht da.«

»Tag eins der Sommerschule zu schwänzen, klingt nach keinem besonders guten Start für ihn.«

»Mh-hm. Also habe ich Harriett gefragt, ob sie das Paket für ihn mitnimmt, aber sie hat Nein gesagt.« Ich seufze. »Dann wollte ich es mit der Post wegschicken, nur per Express ist zu teuer.«

»Warum per Express?«

»Weil ich die Kiste so schnell wie möglich loswerden will.«

»Dafür hätte auch Standard gereicht, du Genie.« Dylan zieht eine Braue hoch. »Du konntest es einfach nicht, stimmt’s?«

Ich stelle die Kiste ab, die ich hätte wegschicken oder in den Müll schmeißen oder an einen Anker geknotet im Meer versenken sollen. »Hör auf, mich zu durchschauen. Das ist mein Scheiß.«

Dylan steht auf und umarmt mich. »Na-na-naa«, macht er und streichelt mir den Rücken.

»Deine Tröstestimme tröstet mich nicht.«

Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Alles wird gut, mein Milky Way.«

Im Schneidersitz lasse ich mich auf Dylans Bett nieder. Kurz bin ich versucht, mein Handy auf eine Nachricht von Hudson oder ein neues Insta-Selfie zu durchforsten. Allerdings ahne ich, dass keine Nachricht da sein wird und auf Instagram und Co. folge ich ihm ja nicht mehr.

»Hoffentlich fliegt er jetzt nicht aus dem Kurs, nur weil er mich meiden will. Bei dreimal Fehlen war’s das für ihn.«

»Sein Problem. Und wenn er ganz wegbleibt, musst du deinen Sommer nicht mit ihm verbringen. Weniger Stress für dich.«

Es ist noch nicht lange her, da hätte ich mir nichts Besseres vorstellen können, als den Sommer mit Hudson zu verbringen. Als Pärchen im Schwimmbad, im Park und in der sturmfreien Wohnung. Weniger dachte ich dabei an einen Sommer als Ex-Freunde, die ihre Zeit im Nachholkurs absitzen müssen, weil sie während ihrer Beziehung zu viel übereinander statt über Chemie gelernt haben.

»Hätte ich wenigstens dich als Waffenbruder«, sage ich. »Ihm gibt seine beste Freundin Rückendeckung, und mir?«

»Alter!«, mault Dylan. »Memo an mich: Nie ein krummes Ding mit dir drehen. Kriegen die dich dran, lieferst du mich ja sofort mit ans Messer.« Er checkt währenddessen sein Handy, als wäre ich gar nicht da. Eine Angewohnheit, die ich überhaupt nicht leiden kann, bei niemandem. »Säße ich in diesem Kurs«, spricht er weiter, »wäre das eh eine einzige Soap. Eingepfercht mit meiner Ex? Neee, danke, auf keinen Fall.«

»Tja, das beschreibt exakt meine Situation.«

»Aber bisher ist er doch gar nicht aufgetaucht, und wenn er es noch tut, dann denk einfach dran, dass du die Nase vorn hast. Schließlich bist du als Schlussmacher der Trennungssieger. Wenn er sich von dir getrennt hätte, wäre das Ganze zweifach beschissen. So ist es immerhin nur einfach beschissen.«

Wie gern würde ich mein trauriges Königreich gegen jedes Universum tauschen, in dem ein einfach beschissener Herzschmerz keinen Sieg bedeutet. Aber hier sitzen wir nun.

Die jüngsten Trennungen belegen deutlich, dass wir unsere Viererfreundschaft nie für gegenseitiges Daten aufs Spiel hätten setzen dürfen. Und ich will ja niemanden angucken, aber Dylan und Harriett haben angefangen. Zwischen uns vieren lief es so lange eins a, bis die beiden sich an Silvester geküsst haben. Ich stand da zwar schon ziemlich auf Hudson und war sogar einigermaßen sicher, er auch auf mich, dennoch haben wir es den beiden in jener Nacht nicht etwa nachgemacht, sondern uns nur kopfschüttelnd angesehen, weil ich meinen besten Freund kenne und er seine beste Freundin. Wir wussten: Das mit den beiden würde niemals gut gehen. Vielleicht hätten Hudson und ich uns auch gar nicht erst inspiriert gefühlt, uns ebenfalls eine Chance zu geben, wenn wir nicht auf einmal so oft zu zweit gewesen wären, weil Dylan und Harriett fortan ihre Wochenenden als Pärchen verbrachten.

Unsere Zeit als Clique fehlt mir.

Ich stelle die Wii an, denn ich kann jetzt gut etwas Rumgealber und Entertainment gebrauchen. Gleich darauf ertönt die heroische Auftaktmusik von Super Smash Bros. Dylans Lieblingscharakter ist Luigi, denn Mario wird seiner Meinung nach überbewertet. Ich nehme immer Zelda, weil sie teleportieren, Geschosse ablenken und ihre Feuerbälle aus großer Entfernung schießen kann, was allesamt optimale Moves für jemanden sind, der Nahkämpfe vermeiden will.

Das Spiel geht los.

»Auf der Traurigkeits-Skala – wie traurig bist du heute?«, fragt Dylan. »Intro-von-Oben-traurig? Oder Nemos-Mama-stirbt-traurig?«

»Whoa. Definitiv nicht Intro-von-Oben-traurig. Der Scheiß zerreißt einem das Herz. Eher so was dazwischen, so letzte-fünf-Minuten-von-Toy-Story-3-traurig. Ich brauche einfach Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen.«

»Mh-hm. Okay, ich muss dir was sagen.«

»Machst du Schluss mit mir?«, frage ich. »Denn das wär echt nicht cool.«

»So ähnlich«, antwortet Dylan. Und macht eine dramatische Pause, während er auf den Controller einhämmert, damit Luigi weiter grüne Feuerbälle auf Zelda schießt. »Ich hab da so ein Mädchen im Coffeeshop getroffen.«

»Das ist der dylanste Satz, den ich je gehört habe.«

»Schon, oder?« Dylan lacht auf seine gewinnende Art in sich hinein. »Jedenfalls bin ich gestern nach meinem Arzttermin noch nach Uptown gefahren, um diesen einen neuen Laden zu testen.«

»Weil du natürlich nach deiner Herzuntersuchung schnurstracks in den nächsten Coffeeshop läufst. Manchmal übertreibst du’s mit deinem Image.«

»War doch bloß das alljährliche Ritual«, wiegelt Dylan ab. Er hat einen Herzfehler namens Mitralklappenprolaps, der gar nicht so schlimm ist, wie er klingt – zumindest nicht in Dylans Fall. Wenn die Ärzte ihm allerdings irgendwann den Kaffee verbieten, dann Gnade uns allen. »Auf dem Weg dahin laufe ich also an Kool Koffee vorbei, den ich ja bekanntermaßen ausdrücklich meide, weil ich diese pseudolustigen Schreibweisen einfach superunlustig finde, doch in dem Moment, in dem sie herauskommt und den Müll wegwirft, werfe ich ihr mein Herz zu Füßen.«

»Wie du das nun mal so machst.«

»Allerdings konnte ich ihr in meinem Dream & Bean-Shirt natürlich nicht nach drinnen folgen.«

»Warum nicht?«

»Hallo? Marschierst du etwa mit einem Happy Meal unterm Arm bei Burger King rein? Nein, denn so was ist unter aller Kanone. Schalt mal dein Hirn ein.«

»Mein Hirn sagt mir, dass ich schleunigst neue Freunde finden sollte.«

»Ich wollte einfach nicht respektlos sein.«

»Zu mir warst du das gerade.«

»Ich rede doch von ihr!«

»Natürlich. Warte mal, hast du mir etwa deswegen das T-Shirt geschenkt?«

»Ja, aus reiner Panik.«

»Du bist echt seltsam. Und wie ging’s weiter?«

»Heute bin ich erneut dort aufgekreuzt, diesmal in passender Rüstung …« Er zeigt auf sein einfarbig blaues Shirt. Schick und unauffällig. »… und da stand sie und summte Elliott Smith, während sie einen Espresso zubereitete. Ich war hin und weg. Und noch mal hin und wieder weg. Big Ben, in ihr verschmilzt unbegrenzte Kaffeeversorgung mit der Liebe meines Lebens! Diese Frau werde ich heiraten!«

Einerseits ist es gar nicht so leicht, sich für jemandes Verliebtheit zu freuen, wenn man selbst gerade einen herben Rückschlag hat einstecken müssen, andererseits ist das hier Dylan. »Ich kann’s kaum erwarten, meine zukünftige Schwägerin kennenzulernen.«

»Erinnerst du dich an dieses BuzzFeed-Ding mit der Harry-Potter-Hochzeit? Samantha und ich heiraten im Coffeeshop-Style. Alle Gäste kriegen Barista-Schürzen umgehängt, angestoßen wird mit Kaffeebechern, und aus dem Espresso-macchiato-Schaum lächelt mein Gesicht heraus.«

»Du machst mich fertig.«

»Allerdings gibt es einen Haken.«

»Sie hat jetzt schon einen Haken?«

»Samantha ist ein Riesenfan von Kool Koffee, weil die was von ihrem Gewinn an soziale Einrichtungen spenden. Sie findet, dass aufrechte Kaffeetrinker die richtige Entscheidung treffen sollten. Aber ich … ich bin einfach nicht bereit für ein monogames Leben mit diesem Laden.«

»Verlangt sie das denn überhaupt von dir?«

»Nicht mit Worten. Aber zwischen den Zeilen. Und wenn einem die Richtige begegnet, muss man eben Opfer bringen.«

»Nicht in tausend Jahren verzichtest du auf Dream & Bean-Kaffee.«

»Scheiße, nein. Ich verzichte nur darauf, ihn vor Samantha zu trinken. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.«

»Nur du kannst sogar Kaffeetrinken verwerflich klingen lassen.«

»Jedenfalls habe ich noch ein paar mehr Coffeeshop-Shirts in deine Schublade umgesiedelt, damit ich gar nicht erst in Versuchung gerate.«

Auf seine Worte hin gehe ich zum Schrank rüber und schaue direkt mal nach, denn vielleicht ist ja ein Hauptgewinn dabei. Und ja, Dylan und ich übernachten so oft beieinander, dass ich eine Schublade in seinem Zimmer habe und er eine in meinem. Wenn man bedenkt, dass ich mich vor allem in der ersten Zeit nach meinem Coming-out in der Schulumkleide immer superunwohl gefühlt habe, weil die anderen ja glauben könnten, ich würde sie angaffen, habe ich echt ein Schweineglück, einen Bro wie Dylan zu haben, der sich völlig selbstverständlich vor mir umziehen kann und ich mich vor ihm. Hoffentlich ist jetzt nicht wieder eine Dylan-Flaute angesagt, wie all die letzten Male, als er die Richtige gefunden hatte.

»Warte mal, warum hast du mir nicht schon gestern Abend von Samantha erzählt?«, frage ich.

»Keine Ahnung«, sagt Dylan, als wäre das eine völlig befriedigende Antwort. Als würde ich jetzt ›Okay, cool‹ erwidern und dann übergangslos weiter seinen Luigi-Arsch vermöbeln.

»Du erzählst mir nie davon, wenn du dich verknallst.«

»Nenn mir nur ein Beispiel.«

»Bei Gabriella und Heather und Natalia und –«

»Ein Beispiel, hab ich gesagt.«

»– und Harriett. Das ist doch seltsam. Wir erzählen uns sonst alles.«

Dylan nickt. »Okay, also, ich wollte wohl kein Unglück heraufbeschwören, indem ich’s zu früh jemandem erzähle. Du kennst doch die Geschichte von meinem Dad, die er immer erzählt. Dass er, als er meiner Mom zu Anfang des Studiums zum ersten Mal begegnet ist, schon direkt gewusst hat, dass er sie eines Tages heiraten würde? Genau so fühlt es sich mit Samantha an.«

Ich tue, als hätte ich das nicht schon häufiger gehört, vor einiger Zeit erst über Harriett, von der Dylan sich im März getrennt hat. Vielleicht klappt es ja diesmal. Während wir weiterspielen, lässt Dylan sich lang und breit darüber aus, nach welchem Heißgetränk Samantha und er ihr Erstgeborenes benennen könnten, woraufhin ich ihm klarmache, dass ich nicht den Onkel Ben für ein Kind namens Chai Latte spielen werde.

Aber mich packt auch ein wenig der Neid, weil Dylan in dieser ersten Phase von Verliebtheit steckt, in der alles möglich scheint. In der Samantha die Liebe seines Lebens sein könnte. So wie Hudson früher für mich. Und ich muss daran denken, wie gern ich neben ihm aufwachte und meinen Blick über sein Gesicht wandern ließ, von seinen Lippen über seine leichte Höckernase in seine wunderschönen verschlafenen Augen unter den verschmitzten schwarzen Brauen, die nicht recht zu seinem rostroten Haar passen wollen. Ich muss daran denken, wie er meine Weltsicht verändert hat, indem er sich zum Beispiel immer wieder diesen Idioten entgegenstellte, die wegen seiner »unmännlichen« Eigenheiten auf ihn losgingen. So habe ich überhaupt erst selbst einen Großteil meiner bescheuerten Vorstellungen über »echte Männer« ablegen können. Und ich muss daran denken, wie nervös ich war, weil ich nicht wusste, ob es gut oder schlecht werden würde, als wir im März zum ersten Mal miteinander schlafen wollten. Spoiler: Es war der Hammer.

Vielleicht kann ich diese Woche in der Schule ja dermaßen punkten, dass sie mir den Rest des Sommers freigeben, Hudson-frei.

Vielleicht aber auch nicht, denn ehrlich gesagt wäre ich ohne Hudson vermutlich in der gleichen Situation gelandet. Die Schule und ich sind nicht unbedingt dicke miteinander.

»Du wirst immer meine Nummer eins bleiben, Big Ben«, sagt Dylan. »Zumindest, bis Baby Chai auf der Welt ist.«

»Bros vor Babys«, fordere ich.

»Sagen wir, fifty-fifty?«

Ich zucke die Schultern. »Schön, fifty-fifty.«

»Du wirst eh nicht lange Single bleiben«, prophezeit Dylan, als wäre er eine fleischgewordene Kristallkugel. »Du bist groß, deine Frisur ist hollywoodreif und deinen lässigen Style macht dir keiner nach. Gäbe es nicht Mrs. Samantha Nachname-muss-ich-noch-rausfinden-damit-ich-ihn-vor-meinen-setzen-kann-Boggs, würde ich definitiv in weniger als einem Jahr das Ufer wechseln.«

»Sehr süß von dir. Dass jemand für mich schwul werden würde, wäre natürlich das Highlight meines Lebens.« Ich jage Heteros nicht explizit nach, aber falls einer neugierig ist: Willkommen im Hause Alejo!

Die erste Runde Super Smash gewinne ich, weil ich nun mal ich bin, und wir starten Runde zwei.

»Reden wir doch mal über den wahren Grund dafür, dass du die Trennungskiste nicht abgeschickt hast«, sagt Dylan, als würde er mir dieses Gespräch später in Rechnung stellen wollen.

»Nur wenn du die Therapeutenstimme weglässt«, gebe ich zurück.

»Vielleicht beginnen wir damit, warum mein Tonfall dir Unbehagen bereitet. Erinnere ich dich an eine bestimmte Autoritätsperson?«

Ich knocke Luigi aus und strecke Dylan den Mittelfinger hin. Erst dann setze ich zur Erklärung an: »Ich … ich hatte halt fest damit gerechnet, die Kiste persönlich zu übergeben. So als eine Art Abschluss. Und dann ist Hudson nicht da und plötzlich stehe ich in diesem Postamt und rede mit diesem Typen und auf einmal marschiert ein Flashmob rein und –«

»Moment. Spul das zurück.«

»Ja, ein Flashmob. Sie haben diesen Bruno-Mars-Song aufgeführt und –«

»Nein. Der Typ. Wie? Wer?« Dylan dreht sich zu mir und vernachlässigt dabei wie so oft die komplexe Magie der Pausentaste. »Du Arsch. Du bringst mich dazu, dass ich dich bemitleide und eigentlich schmeißt du dich schon an den Nächsten ran.«

»Was? Nein. Du spinnst dir da was zusammen. Niemand schmeißt sich an irgendwen ran.«

»Warum nicht? Wer ist er? Vor- und Zuname. Adresse. Sozialversicherungsnummer. Name auf Twitter, auf Instagram.«

»Arthur. Nachname weiß ich nicht. Adresse erst recht nicht. Dito für Twitter und Instagram. Aber da wir gerade beim Thema sind: Warum können die Leute nicht einfach einen Namen für alles haben?«

»Der Mensch ist kompliziert.« Dylan nickt weise. »Was weißt du sonst über ihn?«

»Er ist neu in der Stadt. Zu Besuch aus Georgia. Und er trug die albernste Krawatte der Welt.«

»Schwul?«

»Jap.« Ist immer super, wenn sich das gleich zu Anfang klärt. Das Rätsel selbst zu lösen, macht nämlich keinen Spaß und bringt in den meisten Fällen auch nichts.

»Uh, mich erreichen heiße Schwingungen«, sagt Dylan und fächelt sich Luft zu.

»Er ist schon ganz süß. Aber eigentlich zu klein, um mein Typ zu sein. Eins siebzig mit, etwas kleiner ohne Schuhe. Photoshopblaue Augen. Wie ein Außerirdischer.«

Dylan klatscht in die Hände. »Okay, du hast mich überzeugt. Der Plan war, die Überbleibsel deiner alten Beziehung wegzuschicken. Aber jetzt werden wir einfach dich zu Postamt-Arthur hinschicken!«

Kopfschüttelnd lege ich den Controller aus der Hand. »Bitte nicht. Ich bin momentan nicht gerade ein Hauptgewinn. Vorerst sollte man mich nirgendwohin schicken.«

»Du bist immer ein Gewinn, Big Ben.«

»Das ist süß von dir, Mann. Danke.«

»Ach, weißt du, irgendwann werden du und ich nach zu vielen Drinks mal … so richtig kuscheln. Und ich verspreche, es am nächsten Morgen als gewinnbringend zu bezeichnen.«

»Du hast den Moment ruiniert.«

»Sorry. Zurück zum Thema«, sagt Dylan. »Du bist zu hart zu dir. Nur weil Hudson ein Idiot ist, der dich nicht zu schätzen wusste, heißt das nicht, dass der Nächste genauso sein wird. Und verdammt noch eins: Du triffst einen süßen Typen mit schlechtem Krawattengeschmack genau an dem Tag, an dem du deinen Ex hinter dir lassen willst. Das ist ein Zeichen.«

Mir fällt Arthurs Plädoyer für das Universum ein und auch er selbst erscheint wieder ganz deutlich vor meinem inneren Auge. Was ungewöhnlich ist, denn wenn mir sonst ein süßer Typ über den Weg läuft, male ich mir vielleicht eine hollywoodreife Liebesgeschichte mit ihm aus, habe ihn aber eine Stunde später schon wieder vergessen. Über Arthur hingegen weiß ich noch genau, dass seine Zähne schneeweiß sind und dass von seinem einen Eckzahn ein kleines Stück fehlt. Ich erinnere mich an seine wuscheligen braunen Haare. Und dass er für jemanden in unserem Alter ziemlich overdressed war. So würde sich wohl ein Außerirdischer anziehen, der aus einem anderen Sternensystem kommt und als Erwachsener durchgehen will, ohne sich seines Kindergesichts bewusst zu sein. Ich hätte nicht einfach abhauen sollen. Dylan hat vielleicht recht und ich habe ein Zeichen ignoriert.

»Ich muss dann mal los«, sage ich deprimiert. »Zeit für die Hausaufgaben.«

»An einem Montag in den Sommerferien. Läuft bei dir, was?« Dylan steht auf und drückt mich.

»Ich ruf später noch mal durch.«

»Wir hören uns. Falls ich nicht grad mit Samantha telefoniere.«

Wusst’ ich’s doch. Verliere ich jetzt in ein und demselben Sommer nicht nur meinen festen, sondern auch noch meinen besten Freund?

Ich bin schon fast aus der Tür, als Dylan mich zurückhält: »Hast du nicht was vergessen?« Er schaut demonstrativ zu meiner Trennungskiste. »Mit Absicht vielleicht? Ich kann mich um den Mistkerl kümmern, wenn du willst. Ich besorg mir eine Skimaske und schwarze Handschuhe und dann mach ich mit ihm einen nächtlichen Spaziergang. Niemand wird je davon erfahren.«

»Du brauchst Hilfe«, sage ich und nehme die Kiste an mich. »Ich kümmere mich schon selbst darum.«

Dabei bin ich noch nicht sicher, ob das nicht vielleicht gelogen ist.

 

Ich setze mich an meinen Schreibtisch und fahre den Laptop hoch. Was ein paar Minuten dauert, weil er nicht gerade das neueste Modell ist, beziehungsweise nicht mal ein neueres altes. Die Sims würden wesentlich beschwingter durchs Leben gehen, wenn ich endlich mehr Arbeitsspeicher hätte.

Die Hausaufgaben erledigen sich leider nicht von selbst, aber mich auf Chemie zu konzentrieren, war schon schwer genug, als neben mir noch kein Karton voller Erinnerungsstücke an eine Beziehung stand, die zu nichts wurde, obwohl sie alles hätte sein sollen. Um nicht ständig wieder wütend zu werden, denke ich manchmal gezielt nur an das Gute. Zum Beispiel daran, wie Hudson bei unseren Abschiedsumarmungen immer sein Gesicht an meine Schulter geschmiegt hat, fast als wollte er gar nicht nach Hause oder auch nur einen Meter von mir weggehen. Oder ich erinnere mich an das Gefühl, wirklich wahrgenommen zu werden. Denn ich wusste, dass er mich anschaute, auch wenn seine braunen Augen auf etwas anderes gerichtet waren. Oder ich denke daran, wie wir uns abwechselnd vorgelesen haben. Oder wie mein Handy bis spät in die Nacht an meiner Blitzsteckerleiste hing, damit ich weiter mit ihm facetimen konnte.

Doch dieser Hudson verschwand, als am ersten April, nach einer zwanzigjährigen Ehe, die Scheidung seiner Eltern offiziell wurde. Wobei er zunächst fest an einen dummen Aprilscherz seiner Mom glaubte und dass sie und sein Dad schon bald wieder zusammenkommen würden. Selbst nachdem beide ihren Freundes- und Bekanntenkreis über die Trennung informiert hatten und nachdem Hudsons Mom von Brooklyn nach Manhattan gezogen war, gab er die Hoffnung nicht auf. Wie eines von diesen Filmkindern, die dann irgendeinen pfiffigen Plan aushecken, um ihre Eltern wieder zusammenzubringen.

Dass er der als unerschütterlich geglaubten Liebe beim Scheitern zusehen musste, bekam uns nicht gut. Wir harmonierten nicht mehr, um es mal glimpflich auszudrücken. Manchmal wollte er mich und meinen Trost gar nicht erst um sich haben, dann wieder trafen wir uns zwar, doch er tat nichts anderes, als über die Liebe im Allgemeinen zu lästern. Und ich konnte eben nur eine gewisse Anzahl an Angriffen auf mein Herz verkraften. Irgendwann war das Maß voll, und ich musste auf Distanz gehen. Ich habe ihm eine Menge Chancen gegeben. Uns. Ich war nur einfach nicht gut genug, um ihn daran zu erinnern, dass Liebe etwas Schönes ist.

Mein Laptop ist endlich so weit. Weil ich vor den Hausaufgaben noch etwas Dampf ablassen will, öffne ich erst mal die Textdatei mit meinem selbst geschriebenen Fantasyroman. Seit Januar hält mich dieser Neujahrsvorsatz – übrigens der erste, den ich je in die Tat umgesetzt habe – in Bann. Wenngleich Der Zorn der Zauberer – oder kurz DZDZ – vorerst nur für meine Augen bestimmt ist, werde ich das vollendete Werk vielleicht eines Tages mit der Welt teilen. Oder zumindest mit Dylan, der endlich die Figur kennenlernen will, die ich nach seinem Vorbild erschaffen habe. Tatsächlich sind fast alle meine Helden im Buch dem wahren Leben entnommen.

Schnell scrolle ich zum aktuellen Kapitel. Dabei handelt es sich um eine Szene mit DZDZ