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Mahatma Gandhi (1869–1948)

Mahatma Gandhi

Was man mit Gewalt gewinnt,
kann man nur mit Gewalt behalten

Gedanken einer großen Seele

Ausgewählt von Bernhard Suchy

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Gewalt ist die Waffe des Schwachen;
Gewaltlosigkeit die des Starken.

INHALT

VORWORT

WEGMARKEN

Südafrika

Indien

Rede zur Einweihung der Hindu-Universität von Benares

Wie die Nichtzusammenarbeit ins Werk zu setzen ist

Überwindung der Furcht

Die Lehre vom Schwert

An die Engländer in Indien, Teil I

Arbeitsbedingungen

An die Engländer in Indien, Teil II

Selbsterkenntnis

Gandhis Erklärung bei seinem Prozess am 18. März 1922

Das 11-Punkte-Programm

Der Salzmarsch 1930

GEDANKEN, BEKENNTNISSE, ÜBERZEUGUNGEN

Erziehung und Bildung

Schweigen

Glaube, Religion, Gebet

Das Streben nach Vollkommenheit

Ziele und Mittel

Gewaltlosigkeit

Fasten und Ernährung

Stärke und Feigheit

Wahrheit

Staat, Kultur, Demokratie

Gerechtigkeit

Liebe

Selbsterkenntnis

Ziviler Ungehorsam

Demut

Disziplin

Mann und Frau

Vermächtnis

EDITORISCHE NOTIZ

VERWENDETE UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Die Menschen zögern häufig, einen Anfang zu machen, weil sie spüren, das Ziel kann nicht in seiner Gänze erreicht werden. Genau diese Geisteshaltung ist unser größtes Hindernis für den Fortschritt – ein Hindernis, dass jeder Mensch, wenn er nur will, beseitigen kann.

VORWORT

Anfang der 1920er-Jahre, das mörderische Tosen des Ersten Weltkriegs war kaum verklungen, begann die Kunde von einem besonderen, einem neuen Anführer der Hindus in Indien nach Europa zu dringen. Bis dahin galt Rabindranath Tagore, der 1913 als erster Asiate einen Literaturnobelpreis erhalten hatte, in Europa als wichtigste intellektuelle Stimme Indiens. Der französische Schriftsteller Romain Rolland, während des Ersten Weltkriegs und danach das von anderen so genannte »Gewissen Europas« und Mittelpunkt eines großen Netzwerkes pazifistisch orientierter europäischer Intellektueller, war derjenige, der als Erster von Gandhi zu sprechen und berichten anfing. Am 23. August 1923 notierte er in sein Tagebuch: »[Ein Besucher] erzählt von Gandhi, der einen außerordentlichen Einfluss auf die Hindus hat. Er ist ein Anwalt, der vor 7 oder 8 Jahren all seinen Besitz aufgab, um sich ganz der Errettung seines Volkes hinzugeben, auf das er eine magnetische Anziehungskraft ausübt. Er predigt gewaltlosen Widerstand und lässt [seine Leute] der Gewalt abschwören. Die Revolte letztes Jahr brach aus, als die Briten ihn kaltstellen wollten. […] Er scheint von Tolstois Ideen beeinflusst zu sein.« 1924 sorgte Rolland dafür, dass ausgewählte Schriften Gandhis auch in Deutschland und Frankreich erschienen, und schrieb einen langen Essay als Einleitung. Sie gipfelt in folgender Prophezeiung: »Die großen religiösen Erscheinungen des Orients folgen einem eigenen Rhythmus. Eines ist sicher: Entweder wird Gandhis Geist jetzt triumphieren oder er wird sich erneut manifestieren, wie Jahrhunderte zuvor im Messias oder Buddha. Bis es vollendet ist – die vollkommene Inkarnation desjenigen Lebensprinzips, das eine neue Menschheit auf einen neuen Weg führen wird, in einem sterblichen Halbgott.«

Rollands nimmermüde Anstrengungen während der 1920er-Jahre, Gandhis Ideen der Gewaltlosigkeit in Europa bekannt zu machen, finden ihr Echo wiederum bei Stefan Zweig, einem anderen leidenschaftlichen europäischen Denker, der sich zu der Zeit eine gänzlich neue Friedensbewegung erhoffte: »Mahatma Gandhis Krieg entbehrt aller jener Elemente, die den Krieg für unsere Epoche so erniedrigt haben, er ist ›ein Kampf ohne Blut, ein Kampf ohne Gewalt, vor allem ein Kampf ohne Lüge‹. Seine Waffe ist einzig die ›Non-resistance‹, das Nicht-Widerstehen, die ›heroische Passivität‹, die Tolstoi gefordert, und die ›Non-cooperation‹, die Nicht-Teilnahme an allem Staatlichen und Solidarischen Englands, die Thoreau gepredigt. Nur mit dem Unterschiede, dass Tolstoi, indem er jeden einzelnen isoliert im Sinne des Urchristentums (im praktischen Sinne also zwecklos) sein Schicksal erleiden lässt, zum (meist sinnlosen) Märtyrertum verleitet, indes Gandhi die Passivität von dreihundert Millionen Menschen in einen Widerstand, also eine Tat, zusammenschweißt, wie sie noch niemals irgendeine Nation auf ihrem politischen Wege vorgefunden hat.«

Diese Bewunderung Gandhis, mitunter auch eine aus europäischer Sicht sehnsuchtsvolle Überhöhung, lebt seit Jahrzehnten fort, nun auch über 70 Jahre über seinen Tod hinaus. Albert Einstein richtete 1931 folgende Worte an Gandhi: »Sie haben durch Ihr Wirken gezeigt, dass man ohne Gewalt Großes selbst bei solchen durchsetzen kann, welche selbst auf die Methode der Gewalt keineswegs verzichtet haben. Wir dürfen hoffen, dass Ihr Beispiel über die Grenzen Ihres Landes hinaus wirken und dazu beitragen wird, dass an die Stelle kriegerischer Konflikte Entscheidungen einer internationalen Instanz treten, deren Durchführung von allen garantiert wird. Mit dem Ausdruck aufrichtiger Bewunderung, Ihr Albert Einstein.«

Dies war noch über 15 Jahre bevor Gandhis Ziel, die Beendigung der britischen Kolonialherrschaft in Indien, erreicht sein sollte. Später sagte Einstein über den Vater der indischen Unabhängigkeit: »Gandhis Ansichten waren die aufgeklärtesten aller politischen Männer unserer Zeit. Wir sollten uns immer weiter bemühen, Dinge in seinem Geist zu tun: nicht Gewalt anwenden, um für unsere Sache zu kämpfen, und nicht an etwas teilzunehmen, von dem [wir] glauben, dass es böse ist.« Und an anderer Stelle: »Künftige Generationen werden es nicht für möglich halten, dass ein solcher Mensch jemals leibhaftig auf unserer Erde wandelte.«

Vielen Menschen in westlichen Ländern wurde Gandhi erst wirklich bekannt durch einen Kinofilm; dieses Los teilt die Erinnerung an Gandhi mit derjenigen mancher anderer, die die Menschheit im Großen oder Kleinen verändert haben, man denke an Oskar Schindler, Sophie Scholl, Lawrence von Arabien oder sogar Wolfgang »Amadeus« Mozart. Der britische Regisseur Richard Attenborough konnte am 30. November 1982 in Neu-Delhi die Weltpremiere seines epochalen Filmes feiern, nachdem er über 20 Jahre – mit Unterbrechungen – mit den Vorbereitungen befasst war. Dieser Film sorgte weltweit für eine erneute, intensive Beschäftigung mit den Lehren und Einsichten Gandhis.

Mohandas Karamchand Gandhi, genannt Mahatma (Große Seele), kam 1869 als Sohn hinduistische Eltern im Nordwesten Indiens zur Welt. Der heutige Bundesstaat Gujarat, in dem sein Geburtsort Porbandar liegt, schließt im Westen an Pakistan an. Mit 13 Jahren wurde Gandhi mit der gleichaltrigen Kasturbai Makanji verheiratet. Sie stammte aus einer angesehenen Familie. Seine Eltern waren der gehobenen Mittelschicht zuzuordnen. Aufgrund seines Fleißes und seines Ehrgeizes in der Schule beschloss die Familie, ihn nach London zu schicken, wo er Jura studierte. 1891 schloss er seine Studien ab, wurde Mitglied der Anwaltskammer und als Barrister zugelassen. Als ein solcher konnte er fortan überall dort, wo britisches Recht herrschte, den Anwaltsberuf ausüben, also im gesamten britischen Imperium. Kurz nach seiner Rückkehr nach Indien, wo er nur bescheidenen Erfolg als Anwalt hatte, schickte ihn seine Familie nach Südafrika, um dort einem Verwandten bei einem juristischen Problem zu helfen. Hier hatte er aufgrund seiner geschickten Verhandlungsführung und seiner Bereitschaft, alle Klienten zu betreuen, großen beruflichen Erfolg. Und hier entwickelte Gandhi seine Ideen des passiven Widerstands gegen Ungerechtigkeit. Aufgrund der von ihm angeleiteten Protestaktionen musste er mehrmals ins Gefängnis. Als er 1915 mit seiner Frau und seinen Kindern nach Indien zurückkehrte, hatte sich die Lage der in Südafrika lebenden Inder durch seinen Einsatz deutlich verbessert. Es dauerte nicht lange, bis er auch in Indien zu einem Anführer im langen Kampf um die Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien wurde. Unerschütterlich hielt er dabei an seinen Überzeugungen fest: gewaltloser Protest und religiöse Toleranz. Da es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, zwischen Hindus und Moslems, zwischen Indern und Briten, griff er wiederholt zum Mittel des Hungerstreiks, um die Parteien zur Einstellung der Kämpfe zu bewegen. Seinen friedlichen Kampf um die Unabhängigkeit Indiens führte er unermüdlich fort, bis 1947 die Engländer ihre Kolonie in die Unabhängigkeit entließen. Entgegen Gandhis Hoffnung und zu seiner erheblichen Verzweiflung wurde der Subkontinent jedoch in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan aufgeteilt. Diese Teilung und die damit einhergehenden Bevölkerungsverschiebungen und religiösen Konflikte führten zu grausamen und blutigen Auseinandersetzungen. Und Gandhi fastete wieder, um das Blutvergießen zu beenden. Ein fanatischer Hindu war es, der ihn im Januar 1948, im Alter von 79 Jahren, mitten in einem belebten Park in Neu-Delhi ermordete.

WEGMARKEN

SÜDAFRIKA

Als junger Anwalt in Südafrika entwickelte Gandhi seine Überzeugungen von Selbstbestimmung und gewaltlosem Widerstand (Satyagraha). Diese gingen zu einem nicht geringen Teil auf Lew Tolstoi zurück, einem der zu der Zeit einflussreichsten Denker weltweit. Der russische Schriftsteller hatte Ende 1908 auf zwei Briefe von Tarak Nath Das, einem zu der Zeit in Nordamerika lebenden indischen Gelehrten, geantwortet. Dieser Brief – Schreiben Tolstois galten in der Gelehrten-Community vor dem Ersten Weltkrieg als eine Art säkularer Hirtenbrief – machte schnell die Runde, so auch unter einigen der zu der Zeit ca. 60.000 in Südafrika lebenden Indern. Diese litten unter den Repressalien und Demütigungen der Rassentrennung. Gandhi wollte ihn in einer von ihm herausgegebenen Zeitung veröffentlichen, allerdings in seiner Muttersprache Gujarati. Die Bitte, diesen Brief veröffentlichen zu dürfen, verband Gandhi im Oktober 1909 mit seinen damaligen politischen Anliegen:

Mein Herr,

ich erlaube mir, Sie auf Geschehnisse aufmerksam zu machen, die seit beinahe drei Jahren im Transvaal (Südafrika) vor sich gehen.

In dieser Kolonie lebt eine britisch-indische Bevölkerung von fast 13.000 Menschen. Diese Inder leiden seit etlichen Jahren unter verschiedenen gesetzlichen Drangsalierungen. Vorurteile gegen die Hautfarbe und in gewisser Hinsicht gegen alle Asiaten sind in dieser Kolonie sehr ausgeprägt. […] Der Höhepunkt wurde vor drei Jahren mit einem Gesetz erreicht, das ich und viele andere als erniedrigend betrachteten und das darauf abzielte, diejenigen zu entwürdigen, auf die es zielt. Ich fühlte, dass die Unterwerfung unter ein Gesetz dieser Art im Widerspruch zum Geist wahrer Religion steht. Ich und einige meiner Freunde waren und sind feste Gläubige in der Lehre, dem Bösen keinen Widerstand entgegenzusetzen. Ich hatte das Privileg, auch Ihre Schriften zu studieren, die mich tief beeindruckt haben. Britische Inder, die konsultiert wurden, äußerten den Rat, dass wir uns nicht der Gesetzgebung unterwerfen, sondern Gefängnisstrafen akzeptieren sollten, oder welche anderen Strafen das Gesetz für Verstöße auch vorsehen würde. Im Ergebnis hat fast die Hälfte der indischen Bevölkerung, die die Hitze des Kampfes nicht ertragen und die Strapazen der Inhaftierung nicht ertragen konnte, sich aus dem Transvaal zurückgezogen, um sich nicht dem Gesetz zu unterwerfen, das sie als erniedrigend betrachteten.

Von der anderen Hälfte haben sich fast 2500 aus Gewissensgründen inhaftieren lassen, einige sogar bis zu fünf Mal. Die jeweilige Haftdauer betrug zwischen vier Tagen und sechs Monaten; in den meisten Fällen als harte Zwangsarbeit. Viele wurden dadurch finanziell ruiniert. Gegenwärtig gibt es im Transvaal über hundert Menschen, die passiv Widerstand leisten. Einige von ihnen waren sehr arm und müssen ihren Lebensunterhalt von Tag zu Tag verdienen. Nun mussten ihre Frauen und Kinder mit Zahlungen unterstützt werden, die größtenteils ebenfalls von passiven Widerstandskämpfern aufgebracht wurden. Dies hat die britischen Inder stark belastet, doch ich denke, sie sind dem gewachsen. Der Kampf geht weiter und man weiß nicht, wann das Ende kommt. Einige von uns haben deutlich erkannt, dass passiver Widerstand dort Erfolg haben kann, wo rohe Gewalt versagen muss. Wir erkennen auch, dass eine Verlängerung der Auseinandersetzung jeweils größtenteils auf unsere eigene Schwäche zurückzuführen ist und daher der Überzeugung der Regierung geschuldet ist, dass wir das fortgesetzte Leiden nicht ertragen können.

Zusammen mit einem Freund bin ich hierhergekommen, um die britischen Hoheitsträger aufzusuchen und ihnen Wiedergutmachung nahezulegen. Passive Widerstandskämpfer wissen, dass Bitten an die Regierung zu nichts führen, aber die Abordnung erfolgte auf Veranlassung der schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft, und sie repräsentiert daher eher ihre Schwäche als ihre Stärke. Aber während meiner Zeit hier hatte ich das Gefühl, dass ein Schreibwettbewerb für einen Aufsatz über Ethik und Wirksamkeit des passiven Widerstands die Bewegung popularisieren und zum Nachdenken anregen würde. Ein Freund […] ist der Meinung, dass eine solche Einladung nicht mit dem wahren Geist des passiven Widerstands vereinbar wäre und dass man am Ende Meinungen erkaufen würde. Darf ich Sie um Ihre Meinung zum Thema Moral bitten? Wenn Sie der Ansicht sind, dass die Einladung von zusätzlichen Beiträgen hilfreich wäre, bitte ich Sie, mir auch die Namen derer mitzuteilen, an die ich mich speziell wenden sollte, um über das Thema zu schreiben.

Es gibt noch eine Sache, deretwegen ich Ihre Zeit in Anspruch nehmen möchte. Eine Kopie Ihres an einen Hindu gerichteten Briefes über die gegenwärtigen Unruhen in Indien wurde mir von einem Freund überbracht. Auf den ersten Blick scheint es Ihre Ansichten deutlich darzustellen. Dieser Freund möchte auf eigene Kosten 20.000 Exemplare drucken und verteilen lassen und den Text auch übersetzen. Wir konnten das Original jedoch nicht sichern, und wir fühlen uns nicht berechtigt, es zu drucken, es sei denn, wir können gewiss sein, dass es Ihr Brief ist. Ich erlaube mir, eine Kopie der Kopie beizufügen, und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir freundlicherweise mitteilen, ob es sich um Ihr Schreiben handelt, ob es sich um eine genaue Kopie handelt und ob Sie der Veröffentlichung in der oben genannten Weise zustimmen. Wenn Sie dem Brief noch etwas hinzufügen möchten, tun Sie dies bitte. Ich möchte noch einen weiteren Vorschlag machen. Im abschließenden Absatz scheinen Sie den Leser vom Glauben an die Reinkarnation abbringen zu wollen. Ich weiß nicht, ob Sie sich speziell mit dieser Frage befasst haben (wenn es meinerseits nicht unverschämt ist, dies zu erwähnen). Reinkarnation oder Transmigration ist ein wichtiger Teil des Glaubens von Millionen Menschen in Indien, auch in China. Bei vielen von ihnen könnte man fast sagen, er sei eine Frage der Erfahrung, nicht mehr der akademischen Akzeptanz. Er erklärt durchaus die vielen Geheimnisse des Lebens. Bei einigen der passiven Widerstandskämpfer, die durch die Gefängnisse des Transvaal gegangen sind, war dieser Glaube ihr Trost. Ich möchte Sie nicht von der Wahrheit dieser Lehre zu überzeugen versuchen, sondern Sie fragen, ob Sie möglicherweise das Wort »Reinkarnation« von den anderen Aspekten loslösen möchten, von denen Sie Ihren Lesern abgeraten haben. In dem fraglichen Brief haben Sie einiges aus Krishna zitiert und Passagen erwähnt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir den Titel des Buches nennen könnten, aus dem diese Zitate stammen.

Ich habe Sie mit diesem Brief ermüdet. Ich bin mir bewusst, dass diejenigen, die Sie ehren und sich bemühen, Ihnen zu folgen, kein Recht haben, Ihre Zeit zu missbrauchen, sondern es vielmehr ihre Pflicht ist, Ihnen so weit wie möglich keine Mühsal zu bereiten. Ich habe mir jedoch die Freiheit genommen, Sie dennoch anzusprechen und Ihre Ratschläge zu Problemen einzuholen, deren Lösung Sie zu Ihrem Lebensthema gemacht haben.

Somit verbleibe ich mit allem Respekt

Ihr gehorsamer Diener,

M. K. Gandhi

Gandhi gründete im Jahr 1912 die Tolstoi-Farm auf einem Grundstück, das ihm von seinem deutschen Freund Hermann Kallenbach geschenkt wurde, um die Frauen und Kinder der in Südafrika inhaftierten Widerständler vorübergehend zu versorgen. Sowohl Kallenbach als auch Gandhi hatten diesen ersten Ashram nach Tolstoi benannt, um sich inspirieren zu lassen, ihr Leben nach Tolstois Idealen zuführen.

Als die Farm wuchs, wurde es für notwendig befunden, für die Erziehung ihrer Jungen und Mädchen zu sorgen. Darunter waren Hindu-, Moslem-, Parsi- und Christenjungen und einige Hindu-Mädchen. Es war nicht möglich und ich hielt es nicht für notwendig, jeweils eigene Lehrer für sie zu engagieren. Das war auch nicht möglich, denn qualifizierte indische Lehrer waren rar, und selbst wenn sie verfügbar sein sollten, würde keiner bereit sein, mit einem kleinen Gehalt an einen Ort zu gehen, der 21 Meilen von Johannesburg entfernt war. Auch bei uns war Geld knapp.

Und ich hielt es nicht für notwendig, Lehrer von außerhalb der Farm zu holen. Ich habe nicht an das bestehende Bildungssystem geglaubt und wollte das wahre System durch Erfahrung und Experimentieren herausfinden. Nur so viel wusste ich, dass unter idealen Bedingungen wahre Erziehung nur von den eigenen Eltern vermittelt werden konnte und dass es deshalb nur ein Minimum an Hilfe von außen geben sollte; dass die Tolstoi-Farm eine Familie war, in der ich den Platz des Vaters besetzte, und dass ich so weit wie möglich die Verantwortung für die Ausbildung der Jugendlichen übernehmen sollte.