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Michael Forcher

Michael Gaismair

Inhalt

Wer war Michael Gaismair?

Statt eines Vorwortes

Auch Tirol war keine heile Welt

Warum es zum Bauernaufstand von 1525 kam und wie er begann

Ein Sohn aus gutem Haus

Gaismairs Herkunft, Werdegang und Persönlichkeit

Rebell und Reformer

Plünderungen in Brixen und Neustift, Gaismairs Wahl zum Feldhauptmann und sein Reformprogramm

Das »wilde Bauernjahr«

Die Ausbreitung des Aufstandes, Teillandtage und Gaismairs Regiment in Brixen

Ein Sieg der Vernunft?

Der Innsbrucker Bauernlandtag und Gaismairs Entmachtung

Das Ende der Illusion

Gaismairs Verhaftung, Verteidigung, Flucht und Protestschreiben

Freundschaft mit Zwingli

Michael Gaismair auf der Flucht und seine Aktivitäten im Schweizer Exil

»Den gemainen nuz suchen …«

Inhalt und Bedeutung von Gaismairs revolutionärer »Landesordnung«

Der Kampf beginnt

Die missglückte Revolution, Gaismair in Salzburg, Einfall ins Pustertal und Rückzug nach Venedig

Die Pläne des Cavalier de’ Strozzi

Gaismair im venezianischen Exil und seine Ermordung in Padua

Verleumdet, missbraucht, rehabilitiert

Was nach Gaismairs Tod geschah und das Gaismair-Bild im Wandel der Zeiten

Anhang

Gaismairs Landesordnung

Literaturhinweise

Bildnachweis

Wer war Michael Gaismair?

Statt eines Vorwortes

Die Tiroler sind stolz auf ihre uralte demokratische Tradition, auf den unbeugsamen Freiheitssinn ihrer Vorfahren. Doch mit dem Namen Michael Gaismair wissen die meisten nicht viel anzufangen, obwohl der Bauernführer von 1525/26 einer der radikalsten Verfechter von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit in Tirol war. Von den aufständischen Bauern in Brixen zum Anführer gewählt, wollte er zunächst in Verhandlungen mit Regierung und Landesfürst Reformen zur Beseitigung der vielen Missstände in Staat und Gesellschaft erreichen, wurde jedoch eingesperrt, konnte fliehen und entwarf im Exil eine neue »Landesordnung« für Tirol, deren Ziel die Errichtung einer sozialen Bauernrepublik war. Dass er scheiterte, scheitern musste, ändert nichts daran: Gaismair gehört zu den faszinierendsten Gestalten, zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Tiroler Geschichte.

Gaismairs Gedanken eilten seiner Zeit weit voraus. Viele seiner Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit wurden erst Jahrhunderte später verwirklicht. In kaum einem politischen Programm der Vergangenheit findet man so viele Bezüge zur Gegenwart wie in Gaismairs »Landesordnung«. Privilegienabbau, Wirtschaftslenkung, Inflationsbekämpfung, Verbraucherschutz, Verstaatlichung, Gesundheitsdienst, Altenpflege, volksnahe und unbürokratische Rechtsprechung, Stärkung der Gemeindeautonomie, ein gerechter Lastenausgleich, Friedenspolitik bei gleichzeitiger Verteidigungsbereitschaft und andere Probleme, die Gaismair aufgriff (wenn auch nicht mit dieser Terminologie benannt), sind auch in unserer Zeit höchst aktuell. Wie er die Staats- und Gesellschaftsordnung von Grund auf erneuern wollte, muss selbst heute noch Staunen und Bewunderung erregen.

Obwohl von revolutionären Tendenzen aus Deutschland und der Schweiz beeinflusst und von einem Einzelgänger verfasst, ist Gaismairs »Landesordnung« tief im Rechtsbewusstsein und Freiheitssinn des Tiroler Volkes verwurzelt und von dem in der Landesverfassung festgelegten Mitspracherecht von Vertretern der Bevölkerung geprägt. Zum Revolutionär, der die bestehende Ordnung nicht verbessern, sondern stürzen wollte, wurde er erst, als der Landesfürst für notwendige und ehrliche Reformen nicht zu gewinnen war.

Gaismair besaß nicht die Machtmittel, seine Ideen zu verwirklichen. Im venezianischen Exil, wo er sich um die Unterstützung der damaligen Großmächte gegen die habsburgischen Beherrscher seiner Heimat bemühte, wurde er am 15. April 1532 von Kopfgeldjägern ermordet. Da die Geschichte bekanntlich von den Siegern geschrieben wird, wurde Gaismair jahrhundertelang als Räuber, Ketzer und Vaterlandsverräter verleumdet oder totgeschwiegen. Schließlich waren es Gaismairs angebliche Jünger des 20. Jahrhunderts, die ihn am ärgsten in Misskredit brachten: Indem sie sich willkürlich einzelne Aspekte und Punkte aus seinem umfassenden und vielseitig interpretierbaren Programm herausholten, beanspruchten Nationalsozialisten und Kommunisten den Rebellen aus dem 16. Jahrhundert als ihren geistigen Urgroßvater. Wer wollte in ihrer Gesellschaft Gaismair würdigen?

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Umschlagbild und rechts: Der Südtiroler Künstler Karl Plattner hat sich öfter mit Michael Gaismair befasst. Wie er ausgesehen hat, ist uns durch kein zeitgenössisches Bildnis überliefert. Der Künstler stellt ihn als überzeitliche Symbolgestalt dar: auf den Fresken der Kapelle an der Europabrücke bei Innsbruck (Ausschnitt am Umschlag) als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, auf einer Lithografie (rechts) als Schöpfer eines zukunftsweisenden Gesellschaftsmodells.

So blieben Gaismair und der Tiroler Bauernkrieg von 1525, der im Übrigen nicht so recht ins liebgewordene Bild vom sozialen Frieden in Tirol und von der »ältesten Festlanddemokratie« passen wollte, bis in die 1970er Jahre aus dem Bewusstsein der Tiroler verdrängt. Und obwohl sich seit damals viel geändert hat, obwohl 1976 im Volksbildungsheim Grillhof ein großes wissenschaftliches Symposion zum Thema Gaismair veranstaltet wurde und zahlreiche Publikationen erschienen, obwohl Politiker aller Richtungen die Bedeutung der Persönlichkeit und der Ideen des Bauernführers inzwischen gewürdigt haben, blieb allzuviel Unwissenheit, blieb viel Skepsis.

Sollte sich die bedauerliche Lücke im Tiroler Geschichtsbewusstsein schließen, so musste zunächst der Mangel an Information über Michael Gaismair behoben werden. Dazu einen kleinen Beitrag zu leisten, war die Absicht dieses dünnen Buches, als es 1982 zum ersten Mal erschien. Denn es gab zwar eine Reihe größerer Werke über den Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, doch waren sie entweder vergriffen, nicht auf dem neuesten Stand der Forschung, zu wissenschaftlich für breite Leserschichten oder zu umfangreich für den, der möglichst rasch das Wichtigste erfahren möchte. Daran hat sich bis heute wenig geändert, obwohl ihm seit damals in jedem ernstzunehmenden Buch über die Geschichte Tirols der gebührende Platz eingeräumt wird.

Also war es höchste Zeit, eine neue Auflage in moderner Gestaltung herauszubringen, zumal das alte Buch längst vergriffen war und neue Erkenntnisse der Forschung eine Ergänzung und manche Neuformulierung wünschenswert erscheinen ließen. Die Überarbeitung erfolgte nach denselben Gesichtspunkten wie die erste Fassung meiner Gaismair-Biografie: Sie soll knapp und anschaulich, durch dokumentarisches Bildmaterial aufgelockert, den heutigen Wissensstand über Michael Gaismair und sein Programm zusammenfassen, dabei aber auch Unklarheiten und verschiedene Ansichten der Forscher nicht verschweigen. Um jedermann die Möglichkeit zu bieten, selbst nachlesen zu können, was Michael Gaismair wollte, hat Dr. Werner Köfler (†) für mein Buch den Text der Gaismairschen Landesordnung erstmals vollständig und wissenschaftlich exakt in unser heutiges Deutsch übertragen.

Ich war um eine möglichst objektive und sachliche Darstellungsweise bemüht. Da und dort schien mir jedoch eine Kommentierung historischer Sachverhalte und häufig dazu geäußerter Ansichten im Interesse des mit der Materie weniger vertrauten Lesers notwendig. Wenn man an solchen Stellen die Sympathie des Verfassers für den Querkopf und gescheiterten Idealisten herauslesen kann, so möge dies verziehen werden.

Gaismair hatte gewiss auch Schwächen und Fehler, seine Motive sind nicht immer klar, manche Handlung ist schwer zu verstehen und einige Details seiner Biografie entziehen sich mangels eindeutiger Quellen einer seriösen Beurteilung. Wer ihn als »schillernde Persönlichkeit« bezeichnet, liegt sicher nicht falsch. Aber gerade das macht ihn zusätzlich interessant. Ein Mensch aus Fleisch und Blut vermag allemal mehr zu fesseln als eine unnatürliche Heldengestalt ohne Fehl und Tadel. Das Schicksal, zu einem Mythos umfunktioniert zu werden, bleibe Gaismair erspart. Er braucht heute genausowenig eine Verherrlichung, wie er je eine Verteufelung verdient hat.

Angelika Bischoff-Urack hat es in den 1980er Jahren unternommen, durch eine neue Interpretation der Quellen ein eher negatives Bild des Tiroler Rebellen zu zeichnen. Es scheint ihr vordringliches Anliegen gewesen zu sein, dem tschechischen Historiker Josef Macek, seinem ersten Biografen, zu widersprechen und seine Darstellung Gaismairs als selbstloser Kämpfer für die Unterdrückten zu widerlegen. Darin sieht sie, obwohl Macek umfangreiches Quellenmaterial herangezogen hat, Geschichtsinterpretation im marxistischen Sinn und stellt ihrerseits Gaismair als einen von Ehrgeiz und Geltungssucht getriebenen, nach Reichtum strebenden Emporkömmling dar, der nach dem Knick der begonnenen Karriere auf Rache sann und die revolutionären Ereignisse zur persönlichen Bereicherung nützte.

Dieses negative Urteil wird von keinem der seitdem über Gaismair schreibenden Historiker übernommen. Rudolf Palme (siehe Literaturverzeichnis im Anhang) bezeichnet Bischoff-Uracks Interpretation der Fakten als »nicht stichhaltig«; Aldo Stella, der bedeutendste italienische Gaismair-Forscher, erwähnt ihre Arbeit zwar in seinem letzten Buch zum Thema, lässt aber keines ihrer Argumente gelten. Am ausführlichsten widerlegt Giorgio Politi die Quelleninterpretation seiner deutschen Kollegin. Dennoch scheinen mir manche ihrer Schlaglichter auf Leben und Streben des Bauernführers interessant. Berücksichtigt man, dass die daraus abgeleitete negative Beurteilung von Michael Gaismairs Charakter und der Beweggründe seines Handelns offensichtlich einer vorgefassten Meinung entsprangen, ist ihre Forschungsarbeit in einer Biografie Gaismairs durchaus zu berücksichtigen.

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Gaismairs Handschrift mit eigenhändiger Unterschrift

Ich werde die divergierende Interpretation der Quellen durch Bischoff-Urack, Stella, Politi, Macek (eine kürzere, stark überarbeitete Ausgabe ohne wissenschaftlichen Apparat erschien 1988 auf Anregung der Innsbrucker Michael-Gaismair-Gesellschaft im Österreichischen Bundesverlag) und andere Historiker in Einzelfällen zwar erwähnen, mich damit aber nicht auseinandersetzen, zumal ihr Studium die Erkenntnis verfestigt, dass man viele Fakten eben nicht kennt, die Zusammenhänge und Hintergründe deshalb oft genug undurchsichtig bleiben und dass es vor allem unmöglich ist, einem Menschen vergangener Zeiten in Herz und Hirn zu schauen.

Es geht nur darum, dass Michael Gaismair viereinhalb Jahrhunderte nach seiner Ermordung endlich Gerechtigkeit zuteilwird. Er soll als das gesehen werden, was er war: als große Persönlichkeit mit eigenwilligem Charakter und vielseitigen Fähigkeiten; als Schöpfer eines in die Zukunft weisenden Staatsmodells von europäischer Bedeutung; als ein Mensch mit Mut und Durchsetzungskraft, der reformieren wollte, wo er Mängel sah, der sich in den Dienst der Allgemeinheit stellte und die Sorgen und Nöte der ärmsten Bevölkerungsschichten zu seinem eigenen Anliegen machte; als ein Tiroler, dem Freiheit und Gerechtigkeit über alles gingen.

Auch Tirol war keine heile Welt

Warum es zum Bauernaufstand von 1525 kam und wie er begann

Leben und Wirken Michael Gaismairs fallen in eine Zeit der Unruhe und des Umbruchs in wirtschaftlicher, sozialer und geistig-kultureller Hinsicht. Ganz Europa litt unter Missständen im überkommenen Gesellschaftssystem. Unruhe und Unzufriedenheit in weiten Kreisen der Bevölkerung wuchsen und erreichten um 1520 einen Höhepunkt. Auch Tirol war alles andere als eine »heile Welt«. Zwar ging es den Bauern hier besser als ihren Standesgenossen in den meisten europäischen Ländern, doch waren die sozialen Verhältnisse auf dem Land, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung lebten, insgesamt ziemlich miserabel. Dass sie im Landtag vertreten waren, nützte den Tiroler Bauern so wenig wie ihre persönliche Freiheit. Viele ihrer allmählich erworbenen Rechte standen nur auf dem Papier. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, Verwaltung, Gerichtswesen und Kirche gaben zu vielen Klagen Anlass. Die Hoffnung, dass der Landesfürst Ordnung schaffen und den bedrängten Untertanen beistehen würde, erwies sich als verfehlt. Er hielt zu den Mächtigen und Reichen und war für ausreichende und ehrliche Reformen nicht zu gewinnen.

Früher war es anders gewesen. Da waren Bürger und Bauern in Tirol Verbündete des Landesfürsten gegen die nach unumschränkter Macht strebenden Adelsherren. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hatten die Grafen von Tirol-Görz, denen das Land seine politische Existenz verdankt, und dann die 1363 ihre Nachfolge antretenden habsburgischen Herzöge die persönlichen und politischen Freiheiten und Rechte der Stadt- und Landbevölkerung laufend erweitert und damit ihrer Herrschaft eine breite Basis gesichert. Ende des 15. Jahrhunderts gab es – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Leibeigenschaft mehr in Tirol.

Einen bedeutenden Fortschritt bezüglich Besitzrecht brachte die Übernahme Tirols durch den habsburgischen Alleinerben Maximilian I. im Jahr 1490. Er befreite – nach dem Vorbild seines Protonotarius Florian Waldauf von Waldenstein – die Bauern auf landesfürstlichen Gütern vom unsicheren Freistiftrecht und überließ ihnen ihre Anwesen in Erbleihe. Kein Bauer sollte mehr fürchten müssen, nach einem Jahr »abgestiftet« zu werden und den Hof verlassen zu müssen. Zwar kam dies landesweit kaum mehr vor, aber es war theoretisch immer möglich. Die Erbleihe hingegen kam einem Besitz gleich. Da sie zu einer engeren Bindung des Bauern an den Hof und damit zu mehr Sorgfalt bei der Bewirtschaftung führte, stieg das wirtschaftliche Ergebnis, was auch wieder dem Grundherrn und Empfänger des jährlichen Pachtzinses – zahlbar teils in Naturalien, teils in Geld – zugutekam. Andere Grundbesitzer folgten dem Landesfürsten und führten auch auf ihren Besitzungen die Erbleihe ein. Nur in den erst unter Maximilian zu Tirol gekommenen Gerichten im Unterinntal, die bis 1504 zu Bayern gehört hatten, und im Pustertal, wo Maximilian die nach dem Aussterben der Görzer Grafen erworbenen Gerichte bald wieder verpfändete, ging diese positive Entwicklung langsamer vor sich.

Was die ländliche Gesellschaft in Tirol weiters auszeichnete, war das gut ausgebildete und dem Landesfürsten unterstellte Gerichtswesen. Der Tiroler Bauer war keiner adeligen Dorfobrigkeit ausgeliefert, sondern war ausschließlich seinem Fürsten untertan, auch wenn er einem Grundherrn zu Zins- und Arbeitsleistungen verpflichtet war. Vor Willkür und grundherrlicher Zwangsgewalt hatte ihn der landesfürstliche Richter zu schützen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts geriet dieses System jedoch ins Wanken. Auch die traditionelle Gemeindeautonomie wurde immer mehr eingeschränkt. Die dörflichen Gemeinschaften hatten bisher Wald und Gewässer in Eigenverwaltung genutzt; jeder Bauer durfte nach bestimmten Regeln den Eigenbedarf an Holz decken und zur Versorgung seiner Familie jagen und fischen. Damit war jetzt Schluss. Dieses Recht – von den Juristen »Allmendregal« genannt – behielt sich nun der Landesfürst vor, ein enormer wirtschaftlicher Nachteil für die Landbevölkerung. Jedem Zuwiderhandelnden drohten strenge Strafen.

Zu diesen Verboten, die Maximilians Beliebtheit in der Bevölkerung schon bald dämpften, kamen im Laufe der Jahre die wachsende Steuerbelastung und die Belastung durch die Kriege gegen die Schweizer Eidgenossen und vor allem gegen Venedig. Beide hatten freilich mit Tirol wenig bis nichts zu tun, sondern sollten Reichsinteressen durchsetzen oder Habsburgs Machtposition sichern. Durch viele Jahre hindurch standen Tausende Tiroler an den Grenzen, um bei den häufigen Rückschlägen auf den oberitalienischen Schlachtfeldern das Eindringen des Feindes auf Tiroler Gebiet zu verhindern. Die Regelung der Landesverteidigung im »Tiroler Landlibell« von 1511 – ein Libell ist eine mehrseitige Urkunde – enthielt zwar den Passus, dass die Tiroler nicht für den Kriegsdienst außerhalb des Landes verpflichtet werden konnten, doch bewilligten die Landstände ihrem königlichen bzw. ab 1508 kaiserlichen Landesfürsten immer wieder eine beträchtliche Anzahl von »Fähnlein« für solche Einsätze. Auch das mit einer neuen Steuerordnung verbundene Verteidigungsgesetz war unter Mitwirkung der Ständevertreter zustande gekommen.

Was die politische Vertretung der Landgemeinden im Landtag bzw. seinem Ausschuss und damit ihr Mitspracherecht in Landesangelegenheiten betrifft, darf man nicht vergessen, dass die viel bewunderte »landständische Verfassung« Tirols von dem, was wir unter Demokratie verstehen, doch ziemlich weit entfernt war. Aber immerhin gab es eine zum Teil gewählte Vertretung der Bevölkerung, an der – für die damalige Zeit ein Ausnahmefall innerhalb Europas – auch Bauern teilnahmen. Weite Bevölkerungskreise hatten die Möglichkeit, Wünsche vorzubringen und bei der Gesetzgebung mitzuwirken. Und auch wenn die einzelnen Stände im Vergleich zur Zusammensetzung der Bevölkerung sehr ungleich repräsentiert waren, so konnten Bürger und Bauern, wenn sie sich zusammentaten, doch einiges gegen die sonst viel einflussreicheren oberen Stände (Adel und Prälaten) erreichen.

Charakteristisch für diese Form der Volksvertretung ist es, dass auch innerhalb der einzelnen Stände bei Weitem nicht jedermann dieselben Rechte besaß. Dienstboten, Tagelöhner und andere Besitz- und Mittellose waren sowohl in den Städten als auch am Land von jeder Mitsprache ausgeschlossen. Während die Interessen der Bürger und der nicht vollberechtigten »Inwohner« einer Stadt jedoch nicht sehr weit auseinandergingen, weil das Wohlergehen der Gemeinde allen zugutekam, hatten die verschiedenen sozialen Schichten der Landbevölkerung ganz unterschiedliche Sorgen und Probleme. Die tonangebenden Bauern, meist Erbpächter ansehnlicher Güter, kämpften um eine Ausweitung ihrer Rechte und eine Verminderung der Grund- und Untertanenlasten; dagegen ging es den Kleinbauern und den zahlreichen Armen in den Dörfern nicht selten um die nackte Existenz. Dass sich die Landbevölkerung auch nicht als Einheit fühlte, beweist die Tatsache, dass sich die »Ehrbarkeit« sehr oft vom »gemeinen Pofl« und dessen Forderungen distanzierte.

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Die vier Stände Prälaten und Adel, Bürger und Bauern auf Matthias Burgklechners Tirol-Karte AQUILA TIROLENSIS von 1620. Seit dem frühen 15. Jahrhundert waren alle vier Stände im Tiroler Landtag vertreten.

Eine sehr starke, noch dazu ziemlich geschlossene Gruppe der Bevölkerung war ohne alle politischen Rechte, und zwar die Bergknappen. Die Zahl der um 1500 in Tirol arbeitenden Knappen ist nicht exakt anzugeben. Dass sie sehr groß gewesen sein muss, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass damals allein in der Gegend von Schwaz 12.000 bis 15.000 Bergarbeiter eingesetzt waren. Alle Tiroler Städte zusammen hatten nicht viel mehr Einwohner. Die Bergknappen waren weder in den Räten der Bergwerksstädte noch im Landtag vertreten. Sie standen überhaupt außerhalb des gesellschaftlichen Lebens und oft in starkem Gegensatz zur übrigen Bevölkerung. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass ein Großteil der Bergarbeiter aus dem Ausland kam. Aber auch viele arbeitslos gewordene Bauernknechte und ländliche Tagelöhner verpflichteten sich im Bergbau.

Im Bergbauwesen kam es wiederholt zu starken sozialen Spannungen, Ende des 15. Jahrhunderts sogar zu Demonstrationen, zum Beispiel wegen der Lebensmittelteuerung, und zu Streiks gegen die reichen Unternehmer, die die Schätze der Tiroler Berge, aber auch die Arbeitskraft der Knappen ausbeuteten. Wegen des Überschusses an Arbeitskräften konnten Streiks jedoch nichts ausrichten. Kaiser Maximilian verbesserte die Stellung der Knappen durch Privilegien und Gesetze, zum Beispiel wurde im Bergbau eine regelrechte Sozialversicherung eingeführt. Dennoch bildeten die Arbeiter in den für die Tiroler Wirtschaft und für die Regierung so wichtigen Bergwerken ein unberechenbares Element in der Tiroler Politik. Die Spannungen nahmen zu, als der Bergsegen knapper wurde und die Stollen weiter und tiefer vorgetrieben werden mussten. Das verteuerte den Abbau und machte einen größeren Kapitaleinsatz notwendig. Also versuchten die Bergherren zunehmend, sich auf Kosten der Bergleute schadlos zu halten. Viele kleine Tiroler Gewerken (Grubenbesitzer) gaben auf, und auch die größeren einheimischen Unternehmer sahen sich nicht selten gezwungen, das Feld der ausländischen Konkurrenz zu überlassen. An deren Spitze positionierte sich Jakob Fugger aus Augsburg.

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Die Bergschätze machten Tirol zu einem Geldbeutel, in den die Habsburger – wie Kaiser Maximilian es ausdrückte – nie vergebens griffen (Kupferstich aus »Tirolensium principum comitum« von Dominicus Custos).

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Kaiser Maximilian I., der einen riesigen Schuldenberg hinterließ

Kaiser Maximilians Tod im Jahr 1519 stürzte Tirol in schlimme Verhältnisse. Lange war nicht klar, wer in Innsbruck regieren würde. Als sich 1521 die Enkel Maximilians, der spanische König und römisch-deutsche Kaiser Karl V. und der in Spanien aufgewachsene Erzherzog Ferdinand I. auf die Teilung ihrer Herrscherbereiche einigten, blieben Tirol und die Vorlande zunächst mit den spanischen Ländern verbunden. Das war weniger unlogisch, als es heute klingt, denn die habsburgischen Gebiete am Oberrhein (»Vorlande«, »Vorderösterreich«), die mit der Grafschaft Tirol immer schon eine Verwaltungseinheit gebildet hatten, grenzten direkt an die Freigrafschaft Burgund. Und diese wurde zusammen mit den burgundischen Niederlanden dem Königreich Spanien zugeschlagen. Erst ein Jahr später wurde im Vertrag von Brüssel die Grenze zwischen den österreichischen und den zukünftig spanischen Habsburgern anders gezogen. Tirol und Vorderösterreich wurden wieder Teil der von Ferdinand I. regierten österreichischen Länder.

In dieser Zeit ohne starke und glaubwürdige landesfürstliche Autorität hatte in Tirol jeder versucht, für sich das Bestmögliche herauszuschlagen: die Bauern nicht zuletzt dadurch, dass sie Maximilians verhasste Jagdverbote ganz einfach nicht mehr beachteten, die oberen Stände durch Korruption, Günstlingswirtschaft und bedenkenlose Ausbeutung der ihnen zu Zins- und Arbeitsleistung verpflichteten Bauern oder der in ihren Gruben schuftenden Bergknappen. Adel und Prälaten waren bemüht, die eigenen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten auf andere Bevölkerungsgruppen abzuwälzen. Eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, gab es nicht, auch wenn Gesetze und überlieferte Rechte gebrochen wurden. Das in Jahrhunderten gewachsene Gesellschafts- und Ordnungssystem versagte.

Auch die Regierenden waren unter sich uneins. Dem verunsichert agierenden landesfürstlichen Regiment stellte die Tiroler Landschaft – so wurde die Ständevertretung genannt – zwei Ausschüsse als eigene Regierung gegenüber. Dieser Machtkampf hatte freilich nichts zu tun mit einer Durchsetzung demokratischer Prinzipien, da die höchsten Ständevertreter ausschließlich ihren eigenen Interessen dienten. Es ging um Macht, Einfluss, Privilegien, Einnahmequellen. Den alteingesessenen Adel und die hohe Geistlichkeit hatte es ja schon lange gestört, dass seit Maximilians Behördenreform immer mehr wichtige Posten durch bürgerliche Beamte besetzt wurden, die auf der sozialen Stufenleiter ganz nach oben stiegen und ihnen die einträglichsten Pfründe wegschnappten, auf die sie glaubten ein Anrecht zu haben. Dass Fleiß, Talent und Ausbildung im Dienst des Fürsten oder des Landes bald mehr zählen sollten als eine »hohe Geburt«, wollten viele nicht wahrhaben und pflegten offen oder heimlich ihren Groll auf die erfolgreichen Aufsteiger.

Im Jänner 1523 betrat endlich Maximilians Enkel Ferdinand, sein Nachfolger in den österreichischen Ländern, erstmals Tiroler Boden und hielt gleich einen Landtag ab. Gleichzeitig setzte er der ständischen Macht wieder engere Grenzen. Bei den in ihrer »Volksvertretung« herrschenden Zuständen empfand dies die große Mehrheit der Tiroler kaum als Nachteil. Härter traf es die Allgemeinheit, dass Ferdinand I. zur Tilgung des ungeheuren Schuldenberges, den sein Großvater hinterlassen hatte, die bisher beispiellose Summe von 150.000 Gulden an Steuerleistung forderte. Was die Ständevertreter sogar bewilligten, buhlten doch alle um die Gunst des jungen Fürsten, von dem sowohl Adel und Geistlichkeit als auch Bürger und Bauern etwas wollten.

Auch die selbstherrlichen Tendenzen des neuen Fürsten erregten bald allgemein Missmut. Man gab aber nicht dem kaum zwanzigjährigen Landesherrn die Schuld, der in Spanien aufgewachsen war und zu Beginn seiner Regierungszeit nicht einmal die Landessprache beherrschte, sondern seinen Ratgebern und Beamten. Den wichtigsten Posten besetzte Ferdinand mit dem aus Spanien mitgebrachten Finanzfachmann Gabriel Salamanca, dem die schier unlösbare Aufgabe zufiel, mit Maximilians Finanzchaos fertigzuwerden. Als Ausländer musste er auf niemanden Rücksicht nehmen und zog sich auch sofort den Hass aller Stände zu. Bald zitterte alles vor dem auch persönlich raffgierigen und prunksüchtigen Günstling Ferdinands, von dem man sagte, er sei der eigentliche Herrscher Tirols. Seine Abstammung aus einer zum Christentum konvertierten jüdischen Familie weckte außerdem antisemitische Ressentiments. Nicht minder heftig war die Abneigung in allen Bevölkerungsschichten gegen Geschäftspraktiken und Monopolstellung einiger Augsburger Handelshäuser, vor allem des Jakob Fugger, dessen Wirtschaftsimperium Unsummen aus Tirol herauspumpte, weil ein Großteil der Bergschätze längst an ihn und seine Familie verpfändet war.

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Medaille mit dem Porträt Gabriel Salamancas, der Maximilians Schuldenberg abtragen musste, aber nicht nur wegen der dazu nötigen Maßnahmen den Hass von Reich und Arm auf sich zog