Cover

VERONIKA SCHMIDT

ENDLICH
GLEICH!

Warum Gott schon immer
mit Männern und Frauen rechnet

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EINE EMANZIPATORISCHE, FEMINISTISCHE
STREITSCHRIFT ZU GESCHLECHTERROLLEN
IN DER CHRISTLICHEN LEBENSWELT,
AUSGEHEND VON DEN THEMEN
GOTT, MACHT UND SEXUALITÄT.

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Dieses Buch widme ich meinen zwei Töchtern,
meinen zwei Söhnen, ihren Lebenspartnern und
Lebenspartnerinnen, all ihren vielen Freundinnen
und Freunden und ihrer ganzen Generation.

Ich wünsche euch und mir, dass ihr Teil der kritischen
Masse seid, die die Sache Frau-Mann in der
christlichen Lebenswelt hin zur bedingungslosen
Gleichberechtigung wenden wird.

INHALT

ÜBER DIE AUTORIN

VORWORT VON PETER HÖHN

VORWORT VON JONATHAN SCHMIDT

MAN SAGT NICHT »BITTE« BEI REVOLUTIONEN

Auf die Sexfrage folgt die Frage der viel beschworenen göttlichen Ordnung

Wir haben Auseinandersetzungsbedarf

Ich habe mich emanzipiert und bedingungslos gleichgestellt

ES IST ZURZEIT HART, EIN MANN ZU SEIN

Männer unterdrückt, in den eigenen vier Wänden

Männerhass

Die Angst des Mannes um seinen Identitätsverlust

Der gesunde Mann in seiner Kraft

ANERKENNEN, WAS WAR

Der Schamfall

Die Frau ist an allem schuld

Immer schwingt da dieser leise Zweifel mit

Paulus, der Bildungsbeauftragte Gottes

JESUS UND FRAUEN, DIE DIE WELT VERÄNDERTEN

Jesus mochte starke Frauen

Jesus, der Feminist

Der Trigger »Emanzipierte, geistliche Frau«

Das Trigger-Wort »Feminismus«

DIE UNGLEICHSTELLUNG DER FRAU IST SEXISMUS PUR

Sexismus im Kleid der Körperfeindlichkeit

Es geht um Heuchelei, Manipulation und Gewalt

Religiöser Sexismus begünstigt geistlichen Missbrauch

Gewalt und Übergriffe gegen Frauen sind ein Männerproblem

Der Moraladel

Wenn Männer mir die Welt erklären

SEXISTISCHE BIBELBEWEISFÜHRUNG

Martin Luther: »Frauen sind Unkraut!«

Die Irrtumslosigkeit der Bibel

Zugang zu Wissen veränderte die Welt

Die Theologie der Geschlechterrollen neu schreiben

DIE CHRISTLICHE LEBENSWELT HAT’S VERGEIGT

Heldinnenhafte christliche Frauensolidarität des 19. und 20. Jahrhunderts

Knebel zwischen die Beine

Hudson Taylor kann nichts dafür

Frauen gründen ihre eigene Berufswelt

Ledige Frauen haben es gut!

MACHT, SEX & ROCK ’N’ ROLL – ODER WELCHER STEIN SONST NOCH INS ROLLEN KOMMT

Wem gehört der weibliche Körper?

Scheidung und Wiederheirat

Warum wir über Geld reden müssen

Großzügigkeit bricht den Fluch der gesetzlichen Zehntenlehre

Wie definieren wir Reich Gottes?

Die wahre Problemzone der Frau ist das Geld

TURNAROUND

Freiheit und Gerechtigkeit der Geschlechter

Gerechte Sexualität

Zur Freiheit berufene, starke Frauen und Männer

Jetzt kommt die Zeit der Versöhnung der Geschlechter

Frauensolidarität versus Zickenkrieg

Vom Weiblichen sich umarmen lassen

DANKE

WEITERFÜHRENDE LITERATUR, FILME & INTERNETSEITEN

ANMERKUNGEN

ÜBER DIE AUTORIN

Veronika Schmidt berät als klinische Sexologin, systemische Beraterin und Diplom-Sozialpädagogin seit über 30 Jahren Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Ihre Bücher »Liebeslust« und »Alltagslust« zu einer erfüllenden Sexualität sind Bestseller.
www.veronikaschmidt.ch
www.liebesbegehren.ch

VORWORT VON PETER HÖHN

MÄNNER – UND FRAUEN – SCHAUT WIRKLICH HIN!

Für alle die zentralen Lebensthemen wie Beziehungsfähigkeit, Ganzheitlichkeit, geistliches Gespür bis hin zu Verantwortung und Leiterschaft habe ich von Frauen – allen voran von meiner Frau Barbara – mindestens so viel gelernt wie von Männern. Allerdings muss ich zugeben: Wenn Frauen ihre Stimme erheben, fühlt es sich als Mann nicht immer angenehm an. Wir Männer lieben es nicht, wenn Frauen sich mit ihrem Realitätssinn einbringen, wenn sie einen wunden Punkt ansprechen, uns in unseren hehren Zielen hinterfragen oder im ungebremsten Vorwärtsdrang unterbrechen. Und wir geben am liebsten erst recht Gas, wenn wir tief drin spüren, dass eine Frau irgendwo recht hat. Dass sie Aspekte sieht, auf Dinge aufmerksam macht und echt gute Ideen hat, für die wir einfach blind sind. Wir haben irgendwo tief im Innern Angst, Ansehen, Macht und Männlichkeit zu verlieren. Und bezahlen für unsere Ziele genau darum oft einen teuren Preis, unterdrücken mit Machtspielen aller Art die weibliche Stimme – im schlimmsten Fall das weibliche Geschlecht überhaupt – und verlieren am Ende uns selbst. Was würde geschehen, wenn wir Männer unseren Frauen endlich zuhörten und sie wirklich hörten , weil es doch in Christus mit Galater 3,28 keinen Vorrang der Geschlechter mehr gibt?

Allerdings braucht es für dieses Hören viel mehr als dann und wann ein wohlwollend offenes Ohr. Es braucht eine Wurzelbehandlung, eine grundlegende Sinnesänderung in Bezug auf das gleichberechtigte und befreite Miteinander der Geschlechter. Es braucht ein wirkliches Hinschauen, Benennen, Bekennen und Umkehren von ursündigen Mustern von Vorurteilen, Verachtung und Unterdrückung zwischen den Geschlechtern ein neues, echtes verstehen wollen der »göttlichen Gleichung« zwischen den Geschlechtern.

Und genau dafür steht dieses Buch. Veronika Schmidt hält Männern und Frauen mit einem erfrischend ehrlichen, zuweilen unbequem offenen, aber echt prophetischen Plädoyer den Spiegel vor. Sie malt ein Bild aus geschichtlichen, kirchengeschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Sexismen. Angereichert mit verengten Interpretationen einschlägiger Bibelstellen und Erfahrungen aus der eigenen Biografie sowie aus ihrer Praxis als Sexologin wird es streckenweise schockierend. Es ist heilsam, all den Vorstellungen und Zerrbildern, die unser Denken, unsere Identität als Mann und Frau und unseren Umgang miteinander bis heute belasten, einmal ganz direkt und unverblümt ins Auge zu sehen. So viele Gedankenlosigkeiten, Worte und Haltungen, wofür wir uns wirklich schämen müssen! »Sich schämen« im Sinn von »in sich gehen, den Tatsachen ins Auge sehen und die eigene Einstellung ändern«.

Dabei geht es Veronika Schmidt gar nicht um Schuldzuweisungen – die Schuldfrage hat Jesus Christus am Kreuz ein für alle Mal geklärt. Sie benennt und beklagt wohl mit spitzer Feder die ganze Hässlichkeit jahrtausendealter, sexistischer Unterdrückung und Machtspiele, die leider wirklich vor allem Männer gegenüber Frauen zu verantworten haben, aber sie bleibt nicht dabei stehen. Sie ruft beide, Nachfolger und Nachfolgerinnen von Jesus zur Eigenverantwortung auf, endlich diese unsäglichen Altlasten hinter sich zu lassen und vorzudringen zu dem Miteinander von Mann und Frau so, wie es Gott im Schöpfungsauftrag von Anfang an dachte, wie es Jesus neu ermöglicht hat und wie es für Gottes Reich in unserer Zeit stimmig ist. Und hier gibt es tatsächlich noch viel Land einzunehmen! Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Veronika Schmidt eine von vielen Stimmen ist, die Gott heute gebraucht, um die Christenheit zum Thema Mann und Frau noch mal neu aufzuwecken und in eine neue Freiheit und Verantwortung zu rufen.

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Ich rate dringend, alle Lieblingsreflexe und Feindbilder beiseitezulassen und dieses Buch mit einem offenen Herzen zu lesen.

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Ich rate dringend, alle Lieblingsreflexe und Feindbilder bewusst beiseitezulassen und dieses Buch betend und mit einem offenen, lernbereiten Herzen zu lesen. Immer mit der Frage: »Jesus, was kann ich als Mann bzw. als Frau dazu beitragen, um Gottes Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, wie du sie verstehst und für unsere Zeit vorgesehen hast, zu fördern?«

Ich wünsche diesem Buch, dass es Männer und Frauen zur gegenseitigen Unterordnung motiviert, wie es Epheser 5,21 sagt: Dass Männer sich für ihre Frauen hingeben, wie Christus sich für die Gemeinde hingegeben hat. Dass Männer alles tun, um ihre Frauen zur Entfaltung zu bringen, indem sie die Berufung ihrer Frau – und der Frauen in ihrem Umfeld allgemein – von Gott her erkennen und sie in ihre Berufung »hineinfördern«. Ebenso, dass Frauen aus falscher Zurückhaltung aufstehen, wach vor Gott ihren Männern – und den Männern in ihrem Umfeld allgemein – ein weises und starkes Gegenüber sind. Dass Frauen mutig ihrer Berufung nachspüren, dabei weder kopflos aus gegebenen Lebensumständen ausbrechen noch in falscher Bequemlichkeit sich hinter ihrem Mann oder in alten Rollenbildern verstecken. Was das genau bedeutet, wird für jeden einzelnen Mann, für jede Frau und für jedes Paar wieder anders aussehen. Und das ist nicht nur eine Frage der Begabung, sondern auch der Lebensphase. Vor allem aber braucht es eine starke Verbundenheit mit Christus.

Fest steht, dass in Kirche und Gesellschaft speziell auf Leitungsebene noch viel weibliches Potenzial brachliegt, das viel zu lang für Gottes Reich ungenutzt geblieben ist und das es in seiner ganzen Wildheit und Schönheit, Fülle und Kraft willkommen zu heißen gilt. Die Herausforderungen unserer Zeit sind definitiv zu groß, als dass Männer sie allein stemmen könnten. Es braucht die Frauen, die gleichberechtigt und Seite an Seite mit den Männern vorwärtsgehen. Möge dieses Buch eine neue Generation von Männern und Frauen dafür freisetzen!

Peter Höhn

VORWORT VON JONATHAN SCHMIDT

Weshalb ich dieses Vorwort schreibe? Ganz einfach: Weil meine Mama mich gebeten hat. Und ich bin ihrer Bitte nachgekommen. So macht man das in der Regel zwischen Mutter und Sohn. Bereits Jesus wusste das. Und wir alle wiederum wissen aus der Geschichte, was die wundersamen Folgen davon sein können (siehe Hochzeit zu Kana).

Nicht, dass ich von meinen Zeilen hier Jesus-gleiche Wunder erwarte. Ich möchte vielmehr dazu ermutigen, das vorliegende Buch mit offenem Herzen und wachem Geist zu lesen und selber Teil eines Wunders zu werden. Ein Wunder, das es dringend braucht, wenn ich das aktuelle Miteinander von Frauen und Männern in weiten Teilen der christlichen Lebenswelt betrachte. Und ein Wunder, das dank dieses Buches hier ein Stück weit realistischer werden dürfte. Vorausgesetzt, wir hören zu.

Denn das Buch, das Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, vor sich haben, hat es in sich. Obwohl ich mit meiner Mutter in regem Kontakt stehe, hat es mich bei der ersten Lektüre überrascht und gepackt. Ich habe das Manuskript eines Abends um Mitternacht in die Hand genommen und durchgelesen, ohne es auch nur einmal wegzulegen. Wie oft kann man das denn schon von einem Buch behaupten? Es kombiniert und folgert in einem schwindelerregenden Tempo. Es ist clever und pointiert. Gleichzeitig schockiert und beschämt es. Und es fordert heraus. Weil es nicht nur anprangert, sondern gleich auch mit Lösungsansätzen aufwartet. Lösungsansätze, die selbstverständlich etwas kosten, bei denen sich jedoch immer die Frage stellt, weshalb wir sie nicht schon längst umsetzen.

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Geht mir das Buch als Mann manchmal zu weit? Ja und ob! Kann ich das aushalten? Ja, ich kann.

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Geht mir das Buch als Mann manchmal zu weit? Ja, gewiss. Fühle ich mich als Mann zeitweise persönlich angegriffen? Ja und ob! Kann ich das aushalten? Ja, ich kann. Und ich muss, dessen bin ich mir mittlerweile im Klaren. Denn das bin ich – das sind wir Männer – den Frauen nach ein paar Tausend Jahren Bevorteilung schuldig. Dieses Buch hat mich in der Tat immer wieder beschämt und schuldbewusst gemacht. Aber auch erwartungsvoll: Denn hier wird eine so klare Sprache dafür gefunden, wie eine gleichberechtigte Zukunft aussehen kann. Eine Zukunft, von der ich ein Teil sein möchte.

Um dorthin zu gelangen, ist es umso wichtiger, dass wir gemeinsam das Miteinander von Mann und Frau in der christlichen Welt – die übrigens auch meine Lebenswelt ist – unter die Lupe nehmen. Oder soll ich treffender sagen: das Nebeneinander? Gar Gegeneinander? Ich, junger Ehemann und Familienvater von einem Mädchen und drei Buben, Musiker und Kirchengänger, erlebe anstatt wirklicher Gleichberechtigung Einseitigkeit, Ignoranz und Sexismus. Nicht nur. Aber öfters, als mir lieb ist.

In der Welt, in der ich mich bewege, sehe ich zu wenige weibliche Solokünstlerinnen, zu wenige Frontfrauen, Instrumentalistinnen und Bandleaderinnen, dagegen jedoch übermäßig viele »Hintergrund«-Sängerinnen. In den Kirchen, die ich von innen sehe, gibt es mir zu wenige Predigerinnen, geschweige denn Gemeindeleiterinnen. Bei den Events, zu denen ich eingeladen werde, sprechen zu wenige Frauen. Und ich sehe generell zu viele Frauen mit guter Ausbildung, die nie wirklich in ihrem Beruf gearbeitet haben oder spätestens nachdem sie Kinder bekommen haben, nicht mehr in die Arbeitswelt zurückkehren. Ich erlebe zu viele Väter, die für die Kinderbetreuung in meinen Augen unpassende Begriffe wie »Kinder hüten« oder »Papatag« verwenden. Ich persönlich hüte fremde Kinder oder den Wellensittich der Nachbarin, die in Urlaub fährt. Für meine Kinder jedoch bin ich genauso verantwortlich wie meine Frau, egal wer von uns sie öfter sieht. Es sei denn, ich habe beim Deal, den wir beim Kinderhaben eingegangen sind, etwas falsch verstanden. Genauso scheint mir die Klausel entgangen zu sein, dass ich von meinem Recht Gebrauch machen kann, nur tageweise der Papa meiner Kinder zu sein. Oder anders gefragt: Wenn es den Papatag gibt, gibt’s dann auch den Nicht-Papatag?

Solchen Beobachtungen und Erlebnissen stehen für mich ermutigende Beispiele gegenüber: Paare, die sich gegenseitig in ihren Berufungen unterstützen, sodass es für beide stimmt; Frauen, die ebenso selbstverständlich leiten wie Männer, weil es dabei eben gerade nicht um ihr Geschlecht geht, sondern um ihre Persönlichkeit; Männer, deren Sprache und Verhalten Frauen respektiert und nicht irgendwelche Klischees befeuert. Diese Beispiele gibt es und gab es schon immer, ja. Aber eben zu wenig, als dass ich darüber entzückt staunen würde.

Als Wunder bezeichnen wir, was für unser allgemeingültiges Verständnis »außergewöhnlich« ist, eben etwas »Erstaunliches«. Und ich meine, dass wir alle in höchstem Maß staunen dürften, was da vom Wesen Gottes in unserem Miteinander offenbar würde, wenn Frauen und Männer endlich auf Augenhöhe wären. Sie lesen es hoffentlich aus meiner Leidenschaft heraus: Es wäre zu kurz gegriffen, zu sagen, dass ich diese Zeilen einfach nur wegen meiner Mutter schreibe. Ich schreibe sie vielmehr für sie. Nicht, dass sie auf meine Fürsprache angewiesen wäre. Aber ihr Anliegen ist ebenso meines.

Ich schreibe diese Zeilen genauso für meine Frau Angela. Die Frau, mit der ich wie mit keinem anderen Menschen auf diesem Planeten gelernt habe zu lieben, zu leben und zu glauben, zu debattieren, zu träumen und auszuhalten, wenn Träume nicht oder noch nicht wahr werden. Wir spornen uns an und freuen uns an den gottgegebenen Eigenschaften des anderen. Wir geben uns nicht einfach mit dem Status quo zufrieden. Genauso wenig wie dieses Buch. Es spricht ein Stück weit auch von unserer Geschichte und unserer Zukunft. Das hier ist deshalb auch unser Buch!

Nicht zuletzt schreibe ich dieses Vorwort auch für unsere Tochter und unsere Söhne. Insbesondere aber für unsere Tochter Malou. Ihr Name heißt zum einen »das Gottesgeschenk«, was sie wie jedes unserer Kinder wahrlich ist. Zum anderen »die Kämpferin«. Ich wünsche mir für sie als Teil der nächsten Generation, dass sich ihr guter Kampf nicht mehr Geschlechterfragen stellen muss, sondern sich vielmehr der Entfaltung von Persönlichkeiten und Ausdrucksformen, wie Gott sie sich gedacht hat, widmen darf.

Wie genau das gleichberechtigte Miteinander von Mann und Frau im Detail aussehen soll, weiß ich nicht. Wer weiß das schon? Ich weiß einzig, dass wir der Gleichberechtigung näherkommen, wenn sich jede Generation von Christinnen und Christen mit ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart auseinandersetzt und wenn wir einander wirklich zuhören. Insbesondere die Männer den Frauen. Dieses Buch bietet massenhaft Lösungsansätze dafür. Doch wir können die Zukunft auch nicht einfach an dieses oder an andere Bücher abdelegieren. Die Frage ist, was Sie und ich nun machen, wie wir denken, sprechen und handeln. An Wunder darf man glauben. Mir persönlich ist das Wunder des Miteinanders um einiges sympathischer, als dass irgendwer dank seines Glaubens meine geliebten Schweizer Berge an irgendeinen anderen Ort versetzen würde.

Jonathan Schmidt

MAN SAGT NICHT »BITTE« BEI REVOLUTIONEN

Der Glaube ist wirklich wie eine arme Frau. Jedes Volk, jede Kultur und jedes Zeitalter schenkt ihr ein Kleidungsstück. Wenn die Zeiten sich wandeln, ist ihr Gewand abgetragen. Sie muss neue Kleider bekommen, wenn sie sich nicht im Keller verstecken will.1

MADELEINE DELBRÊL (1904–1964)
MYSTIKERIN

Achtung, dieses Buch beinhaltet Reizwörter wie Gleichstellung, Emanzipation, Feminismus, Zeitgeist, Revolution, Frauenbewegung, Macht, Geschlechterkampf. Es geht nicht anders. Und es geht auch nicht allzu manierlich, sondern pointiert, weil sonst Frau leicht ignoriert und überhört wird.

Dieses Buch ist eine emanzipatorische, feministische Streitschrift zu den Geschlechterrollen in der konservativen Gemeindewelt. Sind wir Christen überhaupt endlich bereit für diese grundsätzliche Auseinandersetzung? Denn selbst wenn ein Skandal hochkocht, neigen viele von uns Christen dazu, dies als Einzelereignis und nicht im Zusammenhang mit der systembedingten, patriarchalen Machstruktur in der Gemeindewelt und in der Gesellschaft generell zu sehen.

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Sind wir Christen endlich bereit für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Frauenthema?

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Ich habe nachgefragt. Von manchen Männern höre ich: »Das Frauenthema ist doch längst gegessen«, und sie sehen dabei auf die paar Frauen auf den christlichen Bühnen. Einige Frauen sagen: »Oh toll, das ist dringend nötig, endlich«, und meinen all die belehrenden Kommentare, Vorhaltungen und andere perfide Knebel zwischen den Beinen, mit denen sie immer wieder konfrontiert sind. Aber nicht alle wollen die Empörung darüber teilen. Und damit sind wir schon beim Kern der Sache: Die Streitfrage um Gottes Geschlechterordnungen. Einige von uns gläubigen Frauen und Männern zitieren die Bibel weiterhin dahingehend, dass wir Gottes gute Geschlechterordnungen längst verlassen hätten, zu unser aller Schaden. Und dass es deswegen notwendig sei, sich von den schlechten Einflüssen der gesellschaftlichen Entwicklung abzukapseln.

Das sind zwar keine offiziellen Lehrmeinungen mehr von größeren Gemeindeverbänden und Kirchen. Gott sei Dank. Aber was einmal gelernt wurde, was ins eigene Bibelverständnis übergegangen ist und zum Weltbild wurde, das sitzt tief – offizielle Lehrmeinung hin oder her. Es gibt nach wie vor ein Vakuum von nicht ausgesprochener, bedingungslos gleichstellender Freisetzung der Frau, des Weiblichen überhaupt, das keine Missverständnisse mehr erlauben würde. Keine offiziellen Gremien zur Aufarbeitung der Geschichte, wie es etwa bei anderen großen Töpfen der kollektiven Schuld in unseren deutschsprachigen Ländern passiert ist. Keine weitherum hörbaren Entschuldigungen aus der christlichen Lebenswelt gegenüber den Frauen für jahrhundertelange Missachtung, Unterdrückung und Dämonisierung. Wenige explizite Initiativen zur Versöhnung zwischen den Geschlechtern, weder von unseren Kanzeln noch im gesellschaftlichen oder privaten Kontext.

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Es gibt nach wie vor ein Vakuum von nicht ausgesprochener, bedingungslos gleichstellender Freisetzung der Frau in der christlichen Lebenswelt.

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Weshalb wäre das wichtig? Weil die krudesten Rollenvorstellungen tief in unseren Genen und im Untergrund unserer konservativen Gemeindewelt verankert sind, von denen wir nur schwer loskommen. Und weil die unversöhnte Frauenfrage in unseren ganz privaten Beziehungen sichtbar wird. Sie hat Konsequenzen für die Beziehung zum anderen Geschlecht. Die meisten an sich selbst scheiternden gläubigen Paare in meiner Beratung kämpfen mit tief sitzendem Misstrauen dem anderen Geschlecht gegenüber und sind geprägt von Geschlechterunversöhnlichkeit. Woher kommt das?

Manchmal traue ich in der Beratung meinen Ohren nicht, was da an Rollenbildern nach wie vor zum Vorschein kommt, auch bei ganz jungen Menschen. Wie gesagt, es sind nicht mehr plumpe offizielle Lehrmeinungen, doch inoffiziell wabern sie omnipräsent herum im Meinungspool vieler gläubiger Christen. Wenn ich diese Vorstellungen anspreche, kommt meist die immer gleiche Reaktion: »Ja aber, diese und jene Bibelstelle sagt doch, dass sich Frauen unterordnen sollen und nicht predigen dürfen, was doch bedeutet, dass sie sich auch nicht durchsetzen sollen.« Oder auch: »Mein Mann sollte doch aber die (geistliche) Verantwortung und Führung übernehmen.« Oder: »Aber das letzte Wort sollte doch der Mann haben.« Aus dieser großen Unsicherheit entstehen viele Konflikte und Missverständnisse in der Paarbeziehung.

Wir alle handeln nach unseren inneren Glaubenssätzen. Deshalb ist es so wichtig, auf neue Art und Weise über die fraglichen Bibelstellen nachzudenken. Denn es gibt da was zu ersetzen und zu erneuern in unserem Denken über Frau und Mann. Gleichstellung in der konservativen Gemeindewelt ist eben gerade nicht ge gessen, sondern wohl eher ver gessen. Vergessen, dass da doch mal was war, worüber wir nie gesprochen haben, so wirklich grundsätzlich.

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Die Welt hat sich in den letzten 150 Jahren rasant verändert. Wir fliegen um die Erde und zum Mond, unser Leben ist komplett digitalisiert, die Medizin ist in der Lage, viele Krankheiten auszumerzen, sie kann Körperteile, Organe und Gelenke ersetzen. Unser gesamtes Alltagsleben basiert auf bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Viele von uns Frauen sind top ausgebildet und erlauben sich, außerhalb der Gemeindewelt, in der es selten wirklich gewünscht ist, selbst zu denken, sich mit der eigenen Stimme zu positionieren. Kein Christ stört sich an den fortschrittlichen Errungenschaften in der Gesellschaft. Im Gegenteil: Wir alle profitieren gerne von den Segnungen unserer Zeit. Doch das Frauenbild zu revolutionieren und nochmals über ein paar Bibelstellen vernünftig laut nachzudenken, fällt uns offenbar sehr schwer. Und das, obwohl uns mit Sprüche 31 ein Frauenvorbild gegeben ist, das es möglich machen würde, das gängige Rollenbild der frommen Frau zu hinterfragen.

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Die Frau aus Sprüche 31 ist das Urmodell einer modernen, gut ausgebildeten und selbstwirksamen Frau.

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Hier präsentiert sich eine verantwortungsvolle Frau, Ehefrau und Mutter als kompetente Geschäftsfrau, die den ganzen Laden schmeißt, kauft und verkauft, ohne ihren Mann erst fragen zu müssen. Sie ist das Urmodell einer modernen, gut ausgebildeten und selbstwirksamen Frau. Doch bezeichnenderweise für die Geschichte der gläubigen Frau ist in meiner alten Scofield-Elberfelder-Bibel dieser starke Text überschrieben mit »Das Lob der tugendsamen Frau«, was moralisch, anständig, brav, sittsam, puritanisch assoziiert, aber genau genommen nicht Inhalt des Textes ist.

Manche Menschen schreiben mir: »Als Nachschlagewerk bevorzuge ich einzig und allein Gottes Wort, die Bibel.« Sie sehen es bereits als ein sich überheben über die Männer, wenn Frauen sich bemühen, mit den Männern wenigstens auf Augenhöhe zu kommen. Ich frage mich, ob sich Frauen und Männer, die so denken, einmal vorgestellt haben, wie so eine anscheinend gottgewollte Frauenwelt in der Realität aussehen würde. Haben sie den Mut, hinzuschauen, was in der Welt geschieht? Haben sie Artikel gelesen oder Dokumentationen gesehen, wie Frauen in der Vergangenheit und der Gegenwart in verschiedensten Teilen der Welt, in verschiedensten Kulturen, Religionen lebten, leben und überleben? Lassen sie Geschichte an sich rankommen? Kennen sie die Biografien der ersten studierten Frauen und Vorkämpferinnen für Frauenbildung und Frauenstimmrechte im eigenen Land, in Europa, England, Amerika? Oder verfolgen sie nur Verschwörungstheorien im Internet, die behaupten, die Rockefellers und Rothschilds hätten den Feminismus erfunden, um die Gesellschaft zu zerstören und zu mehr Macht zu gelangen? Halten sie sich vor Augen, dass unser gegenwärtiges frauliches Selbstverständnis mehr den Verdiensten der Suffragetten, Feministinnen, sprich den Vorkämpferinnen für Frauenrechte der Vergangenheit geschuldet ist als der Bibelauslegung?

Klar, es geht dabei auch wirklich ans Eingemachte: unser Weltbild und unser Gottesbild. Wir sehnen uns nach der einen unumstößlichen Wahrheit, die uns im Leben Sicherheit gibt. Gott weiß das auch und er bietet uns Wahrheit an, wenn wir ehrlich danach forschen. Gleichzeitig wundere ich mich darüber, wie schnell wir zu der Annahme kommen, dass wir so genau wüssten, was Gottes Wahrheit ist. Machen wir uns die Antwort nicht etwas zu einfach, wenn wir die Bibel als Ausrede für einen Tunnelblick heranziehen? Und: Erlauben wir uns einen unvoreingenommenen Blick in dieses »Nachschlagewerk« Gottes und sehen, wie Gott die Frauen der Bibel tatsächlich eingesetzt und berufen hat?

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Erstaunlich, wie schnell wir zu der Annahme kommen, dass wir so genau wüssten, was Gottes Wahrheit ist.

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Ob wir es glauben oder nicht, das Thema ist brandaktuell. So brandheiß, dass sofort böse Reaktionen kommen, wenn ich mich dazu in der weiten Welt des Internets äußere. Heißer als Sex, aber eng an unsere Sichtweise von Sexualität gebunden. Geschlechterrollen und die bedingungslose Gleichberechtigung der Geschlechter lassen sich nicht von der Geschichte der Sexualität trennen. Und diese Geschichte hat mit der Geschichte der Frau zu tun. So einfach und gleichzeitig so komplex stellt sich diese Sache dar. Und doch ist die Frau auch nicht einfach Opfer. Die Opfersicht hindert daran, zu sehen, wo Frauen oder weibliche Systeme Ungleichheit und Unterdrückung selbst mittragen. Sie hindert daran, Lösungen für die Befreiung aus alten Mustern zu finden. Nicht alles ist Unterdrückung und Sexismus. Es ist komplizierter.

AUF DIE SEXFRAGE FOLGT DIE FRAGE DER VIEL BESCHWORENEN GÖTTLICHEN ORDNUNG

Der Auftakt in der Bibel verheißt einen urmenschlichen Traum: Geschlechtergleichheit und unbefangene Sexualität.

ARNOLD ANGENENDT

Schon als ich über Sex zu sprechen und zu schreiben begann, war mir klar, dass die Frauenfrage folgen würde. Persönlich entspringt das »Sex-Engagement« sogar explizit der für mich geklärten Frauenfrage: dass ich mich selbst als ernst genommenes und ernsthaftes Gegenüber von Gott und dem Mann verstehe. In der Trilogie Sex – Frau – Geschlechtergleichheit liegt eine gewisse sich aufrollende Logik. Im Paradies waren sich die Geschlechter ebenbürtig zur Seite gestellt, mit demselben, die Welt zu gestaltenden Auftrag.2 Danach kam die Episode der Versuchung, sich über Gott zu erheben. Diese Versuchung traf beide Menschen gleich: Frau und Mann. Und beide erlagen ihr. Was folgte, war der Rauswurf aus dem Paradies, der Geschlechterkampf und in diesem Zusammenhang Frauenverachtung und die Dämonisierung der Sexualität, besonders der weiblichen.

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Gottes Ziel mit Mann und Frau – gleichgestellte Partnerschaft. Von Anfang an.

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Gott hat nicht den Geschlechterkampf geschaffen. Er hatte ein anderes Ziel mit Mann und Frau: bedingungslos gleichgestellte Partnerschaft. Kein Geschlecht steht über dem anderen, keines ist besser als das andere, auch nicht die Frau besser als der Mann. Das ist sie, die »Ordnung«, die Gott mit der Erschaffung von Mann und Frau im Sinn hatte. Wollen wir das in der Bibel aufgezeigte göttliche Ziel der Vollendung erreichen, werden wir genau in der Umkehrung der Reihenfolge die Sache in Ordnung bringen müssen. Dabei geht es nicht um rückwärtsgewandtes Zurückkrebsen, sondern darum, Versäumtes nachzuholen, vorwärtsgerichtet. Denn Gott bewegt sich immer nach vorne, Richtung Heil, Heiligung, Vollendung.

Wir Christen haben es verpasst, aus dem, was Jesus mit seinem Kommen auf der Erde wiederherstellte, die richtigen Schlüsse für die Geschlechterrollen zu ziehen. Sein Umgang mit Frauen war revolutionär, noch nie dagewesen. Nicht alle hatten daran Freude, wir sehen es an gewissen Reaktionen der Jünger und Pharisäer. Paulus lebte den von Jesus vorgelebten Umgang mit Frauen konsequent weiter – und wurde von den jungen christlichen Gemeinschaften konsequent missverstanden.

Diesen Missverständnissen entsprangen die an Paulus gerichteten Fragen zu Mann, Frau, Ehe, Sex, Familie und Gemeindeleben. Paulus beantwortete sie im Bestreben, dem Spagat zwischen der damaligen antiken Lebenswelt und den neuen Errungenschaften durch das Erlösungswerk von Jesus gerecht zu werden, besonders für die Frau und das Zusammenleben der Geschlechter. Dass er seine Antworten nicht als zwingend sakrosankte Weisung direkt von Gott verstand, zeigt seine Bemerkung in 1. Korinther 7,6, er sage das aber als Empfehlung, nicht als Gebot. Zudem kennen wir vor allem Paulusʼ Antworten, meist aber nicht die genauen Fragestellungen dazu. Die Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin Annegret Braun schreibt dazu:

Frauen standen vorn und predigten und Männer hörten zu. … Paulus befreite von den traditionellen, ungerechten Geschlechterrollen mitten in einer patriarchalen Welt. Das sorgte für Konfliktstoff und Paulus musste immer wieder eine individuelle Lösung für die einzelnen Gemeinden finden.3

WIR HABEN AUSEINANDERSETZUNGSBEDARF

Zuerst müssen wir Frauen uns auseinandersetzen. Wir bekommen sie nicht, wenn wir sie nicht wollen, die bedingungslose Gleichberechtigung. Sie wird uns nicht nachgetragen. Aber warum ist sie überhaupt ein erstrebenswertes Ziel für uns Frauen, für uns Christinnen? Weil sie Gottes Idee war, von Anfang an! Weil sie, wenn nicht gelebt, jede einzelne Frau in ihrer Bestimmung weit hinter ihrem göttlichen Potenzial zurückbleiben lässt und die Menschheit als Ganzes mit dazu.

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Wir bekommen sie nicht, wenn wir sie nicht wollen, die bedingungslose Gleichberechtigung.

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Die selbst gemachten Probleme der Menschheit lassen sich vermutlich nur lösen, wenn Frauen generell gleichberechtigte Teilhabe bekommen. »Es gibt keinen Konflikt unter der Sonne – ob sozialer, rassistischer, migrationspolitischer, grundrechtlicher, religiöser Natur, der nicht auch einen Genderaspekt hätte«,4 sagt der Journalist Daniel Binswanger. Nach ihm ist die Frage der Gleichberechtigung ein universeller Bezugspunkt und Gleichberechtigungsfragen überschneiden sich aus seiner Sicht in der Regel mit anderen Konfliktfeldern. Dem Feminismus komme heute eine Leitfunktion zu, gerade aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen Macht der weiblichen Hälfte der Menschheit: »Die Gleichstellung ist ein fortschreitendes Projekt, das aber noch lange nicht vollendet ist.«

Wollen wir Frauen, wir gläubigen Frauen, ein Teil oder vielleicht sogar Vorreiterinnen dieser Bewegung sein? Wie die Christin Irene Hirzel5, die sich auf höchster Ebene in Bundesbern zusammen mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga für die Bekämpfung des Frauenhandels einsetzt, oder wie Gaby Wentland6 in Deutschland oder in den USA Danielle Strickland7. Diese drei Frauen äußern sich in ihren Vorträgen aufgrund der oben beschriebenen Erfahrungen dezidiert zur christlichen Frauenfrage.

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In der Bibel finden wir eine Frau, der klar war, dass es für sie ohne Zugang zu den Ressourcen (der Macht) nichts zu holen gab. Sie wusste nicht nur, was sie wollte, sie wusste es auch einzufordern: Achsa8. Achsa war die Tochter Kalebs. Bei der Eroberung des gelobten Landes nach der Wüstenwanderung verspricht Kaleb seine Tochter dem Helden, der die Stadt Kirjat-Sefer9 einnehmen kann. So wird Achsa zur Frau Otniels, eines Neffen von Kaleb. Sie gehört zu den sieben im Buch Josua namentlich erwähnten Frauen,10 die während der kriegerischen Eroberungen das Überleben ihrer Familien sichern.

Im Zusammenhang mit der Vermählung stellt Achsa an ihren Vater die Forderung, ihr zusätzlich zum bereits erhaltenen, trockenen Land auch die »oberen und unteren Quellen« zu geben. Kaleb erfüllt damit den Wunsch seiner Tochter nach Segen und Wasser. In alten Bibelübersetzungen wird aufgrund der Septuagintafassung11 von Richter 1,14 Achsas Bedeutung bagatellisiert, indem die Initiative Otniel zugeschrieben wird. Danach soll dieser Achsa dazu gedrängt haben, die Bitte gegenüber ihrem Vater auszusprechen. In den aktuell revidierten Übersetzungen ist das wieder richtiggestellt.

Aufmerksam auf diese Geschichte machte mich eine Frau, die jahrelang und ehrenamtlich mit viel Engagement und Herzblut die Kinder- und Jugendarbeit einer großen Gemeinde verantwortete, ohne je Zugang zur Gemeindeleitung erhalten zu haben. Sie sagte: »Ich musste mit allen meinen Anliegen immer über einen Mann gehen, der mich dann in der Leitung vertrat. Bis Gott mir Achsa zeigte und mir mit einem Mal klar wurde, was da abläuft. Ich war die Zuträgerin auf dem Esel und hatte keinen Zugang zur Quelle, obwohl ich ein großes Stück Land zu bestellen hatte. Wie Achsa stieg ich vom Esel, stellte mich vor die Gemeindeleitung hin und forderte meinen Platz im Gremium.« Und wie Kaleb gab die Leitung ihrem Ansinnen ohne Wenn und Aber statt. Sie wurde die erste Frau in der Gemeindeleitung.

»Es ist die Mischung von Machtzuwachs – durch Ausbildung, Beruf, Partnerschaftsmodelle – und anhaltender Diskriminierung, die die politische Dynamik des Feminismus so stark bleiben lässt«, schreibt Daniel Binswanger weiter.12 Aus dieser Dynamik entstehen Hashtags, Bücher und Filme von Frauen, die das Anliegen wachhalten, wie der hervorragende Schweizer Dokumentarfilm #femalepleasure13. Dieser Film liefert Erklärungen und Lösungsansätze für das größte Missverständnis der Menschheit – Religion, Frau und Sexualität – und den damit einhergehenden drastischen Konsequenzen für alle, Männer, Frauen und Kinder. Er führt vor Augen, was viele noch immer nicht hören und sehen wollen: dass die Unterdrückung der Frau und ihrer Lust in allen Religionen und Konfessionen noch immer ein riesiges Problem mit gravierenden Folgen darstellt, zementiert durch patriarchale Strukturen. Die Schweizer Regisseurin Barbara Miller porträtiert im Film fünf Frauen aus verschiedenen Weltreligionen und zeigt ihre berührenden Geschichten.

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»Es ist die Mischung von Machtzuwachs und anhaltender Diskriminierung, die den Feminismus so stark bleiben lässt.« – Daniel Binswanger

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Brutale Praktiken, Missbrauch, sexuelle Unterdrückung, latente Missachtung und Ungleichbehandlung der Frau finden nicht bloß bei den anderen statt, sondern mitten in unserer Gesellschaft. Und deshalb logischerweise auch in der christlichen Lebenswelt. Die Doku zeigt, dass auch in modernen westlichen Metropolen wie London Genitalien von Frauen brutal verstümmelt werden. Dass in jüdisch-ultraorthodoxen Communitys in New York Frauen für die Gesellschaft unsichtbar gemacht und zu Heirat und Sex mit ihnen völlig fremden Männern gezwungen werden. Dass in einem Land wie Japan Penisse kulthaft verehrt werden, während es strafbar ist, über die Vulva bzw. Vagina zu sprechen, weil es als obszön gilt. Dass im System der katholischen Kirche Ordensfrauen in ihrer Persönlichkeit völlig entkernt und von Ordensmännern missbraucht werden. Trotz den happigen und auch Wut auslösenden Geschichten zieht der Film nicht nach unten, sondern macht Mut. Denn diese Frauen sind keine Opfer, sondern selbstbestimmte Gestalterinnen ihres Lebens. Dieser Kämpferinnen-Geist springt vom Film auf alle über, die zuschauen, und ermächtigt uns, unser eigenes Leben mit neuen Augen und einer neuen Kraft zu sehen. Mich haben zusätzlich die Männer im Film berührt: Für den, der zuhört und hinsieht, ist nichts mehr wie vorher!

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Gleichstellung ist ein Lebensstil, den wir uns entwickeln – und zwar beide Geschlechter gemeinsam, Hand in Hand. Und doch, ob es uns passt oder nicht, wir Frauen werden ihre Umsetzung zunächst selbst in die Hand nehmen müssen. Denn Männer haben keinen dringenden Handlungsbedarf, den Istzustand zu verändern. Es geht um uns, um unsere eigene Perspektive. Es geht erst mal um die bedingungslose Gleichstellung der Frau. Danach müssen wir die Männer für dieses Zukunftsprojekt gewinnen, uns und ihnen zuliebe, für nachkommende Generationen und letztlich auch für die Gemeinschaft der Christen. Ein Bitteschön wird nicht reichen, es wird vermutlich nicht ohne Druck und eine gewisse Dreistigkeit gehen. Ging es bei Frauenthemen noch nie.

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Gleichstellung ist ein Lebensstil, den wir uns entwickeln – und zwar beide Geschlechter gemeinsam, Hand in Hand.

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In bald 2000 Jahren nach-apostolischer Zeit wurde über die Hälfte der weltweiten christlichen Gemeinschaft – nämlich die weibliche – mehr oder weniger ignoriert bis diskreditiert und als Mehrheit zur Minderheit degradiert. Die einzige Minderheit, die de facto keine ist, sind die Frauen, weltweit, gesellschaftlich, in den Religionen. Eigentlich ist die Kirche Jesu der Ort, von dem eine völlig neue Art zu leben sichtbar werden sollte. In allen Bereichen und vor allem bei den Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Jesus hat das Königreich gepredigt, das schon im Paradies da war. Er hat seine Nachfolger aufgerufen, als Salz und Licht die Gesellschaft so zu prägen. Heute scheint es aber andersherum. Die Gesellschaft gibt Entwicklungen vor, die über die Jahrzehnte nach und nach bis in die christliche Lebenswelt durchdringen. Wir Christen reagieren unterschiedlich darauf: von Rückzug und zorniger Abkehr von allem Gesellschaftlichen über eine positive Reflexion, um das Gute zu behalten, bis hin zu ungefilterter Übernahme.

Dabei ist die Geschichte auch ein Zeugnis dafür, dass sich viele der heutigen gesellschaftlichen Errungenschaften auf Männer und Frauen zurückführen lassen, die sich christlichem Glauben und der Kultur verpflichtet fühlten. Unter anderem die frühen Frauenbewegungen. Aber immer war die Kirche auch vehemente Gegnerin der Freisetzung von Frauen. Die Entwicklungen in Bezug auf die Geschlechterrollen in der Gesellschaft und der christlichen Lebenswelt unterscheiden sich deswegen heute sehr.

In Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau haben wir in den westlichen Gesellschaften seit Annahme des Frauenstimm- und Wahlrechts einiges erreicht, sogar in der Schweiz, wenn auch beschämenderweise reichlich spät. Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann sagt dazu lakonisch: »Man vergisst, dass die Schweiz bis 1971 keine richtige Demokratie war.«14 Ein Land, das der Hälfte der Bevölkerung das Stimmrecht vorenthalte, sei kein demokratisches Land. In der konservativen Gemeindewelt sieht es da sehr gemischt aus, in einigen Strömungen weiterhin blamabel.

Wie konnte es passieren, dass so viele Christinnen und Christen, die aus ganzem Herzen glauben, was Gottes Wort sagt, derart meisterhaft Aufbrüche irgendwelcher Art im Namen Gottes und der (missverstandenen) Bibel niedermachen? Wir haben der Gesellschaft die prägende Position überlassen und uns zu oft in einen kleinen sicheren Schuhkarton aus vermeintlich richtiger Offenbarung zurückgezogen. Wir sind in Bezug auf die Rolle der Frau zwischen dreißig und fünfzig Jahren im Rückstand. In Bezug auf die Ordnungen Gottes je nach Blickwinkel und Auslegung sogar 2 000 Jahre.

Aktuelle Debatten zu Frauenfeindlichkeit und sexueller Gewalt verändern gerade nochmals einiges, außerhalb wie innerhalb der konservativen Gemeindewelt. Denn, nicht zu vergessen, die Schlagkraft dieser Debatten ist nur deshalb so groß, weil ihr Missbrauchsskandale aller Art vorausgingen, die Helden der konservativen Gemeindewelt inklusive. Die weltweite Debatte um sexuelle Belästigung und Gewalt, wie beispielsweise #MeToo, war nur eine Frage der Zeit. Denn schon davor waren die sexuellen Missbräuche in Politik, Showbusiness und Kirche in den Medien omnipräsent. Es brauchte das Quäntchen Zuviel des Guten und das Maß des Sexismus war schlicht und einfach voll.

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#MeToo ist nicht die Lösung unserer Geschlechter-Knacknüsse. Aber #MeToo hat die Sprachlosigkeit geknackt.

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#MeToo ist nicht die Lösung unserer Geschlechter-Knacknüsse. Zudem findet man auch in dieser Bewegung problemlos das Haar in der Suppe und Täterinnen mit demselben Verhalten gegenüber Männern. Aber #MeToo hat die Sprachlosigkeit geknackt. Die Geschehnisse um die prominenten Männer, die Sexismus weltweit zum Tagesgespräch machten, ermutigten viele Frauen, ihr Schweigen im eigenen Umfeld zu brechen. Wie leicht vorauszusehen war: inzwischen auch in der christlichen Lebenswelt. Und wie andere Frauenbewegungen wird auch diese von Männern unterstützt, die das Gebot der Stunde erkennen. Eine weitere nachhaltige Veränderung geschieht durch die Zuwanderung mit ihren ganz eigenen Fragestellungen. Auch dabei geht es um die Frau und um die sogesehenen »machohaften Kulturen«, denen die Männer des Westens scheinbar wenig entgegenzuhalten haben, wenn sie selbst in machohaftem Sexismus verhaftet sind.

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Wenn wir sehen wollen, dass Stimmen aus unserer konservativen Gemeindewelt in der Frauenfrage wieder prägenden Einfluss nehmen, innerhalb und außerhalb der christlichen Lebenswelt, dann brauchen wir eine neue Auseinandersetzung mit den zentralen Bibelstellen. Wir müssen endlich und unmissverständlich klarstellen, in welchem Kontext Paulus solche Antworten gegeben hat (auch er war ein Kind seiner Zeit), was genau da wirklich in der Bibel steht, wo unser Verständnis durch jahrhundertelange männliche Exegese verzerrt wurde, wie die Stellen auch verstanden werden können und was ihre Bedeutung für uns heute ist. Es ist unser Auftrag, dass wir Christen gesellschaftliche Veränderungen initiieren, statt jahrzehnte- oder jahrhundertelang gesellschaftlichen Bewegungen entgegenzustehen, indem wir sie dämonisieren und mit »Zeitgeist« etikettieren. Wir sollten endlich akzeptieren, dass die Auslegung der umstrittenen Bibelstellen genau das ist: antiker oder auch anderer epochaler Zeitgeist.

Diese Aussage bedeutet nichts weniger, als dass wir uns immer wieder die Frage stellen müssen: Wie leben wir in dem Umfeld, in das wir gestellt sind, das Evangelium der Erlösung, Gnade und Freiheit, um für die Menschen glaubwürdige Repräsentanten eines liebenden Gottes zu sein? Ein Gott, der sich für sie und ihre Freuden und Nöte interessiert und für Menschen eine über diese Zeitrechnung hinausgehende Perspektive eröffnet.

Wir sind dann am Ziel angelangt, wenn Galater 3,28 und 1. Mose 1,27 Indizien für die unbestrittene Selbstverständlichkeit der Gleichberechtigung geworden sind, und zwar in allen Lebensbereichen:15 Davon würden auch die Männer profitieren.

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Christen sind heute keine durchschlagenden Vorreiter für eine gerechtere Welt für alle.

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