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Nr. 3044

 

Das Supramentum

 

Die Cairaner auf Trakarat – das »nächste Volk« wird gesucht

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ydio-Do

2. Klicker

3. Ydio-Do

4. Klicker

5. Spinoza Godaby

6. Spinoza Godaby

7. Ydio-Do

8. Ydio-Do

9. Spinoza Godaby

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das sogenannte Galaxien-Geviert aufgebrochen. Atlan reist in der Zwischenzeit zum Kugelsternhaufen M 13, wo er sich um seine alte Heimat kümmern möchte. Auch der Mausbiber Gucky ist unterwegs – bei den Cairanern, den eigentlichen Herrschern über die Milchstraße, sucht er Verständigung.

In der Zwischenzeit begibt sich ein spezielles Agentenduo auf Erkundungsmission nach Trakarat – dort entsteht als Geheimprojekt der Cairaner und Báalols DAS SUPRAMENTUM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Spinoza Godaby – Der Agent kann die Schönheit der Zahlen wertschätzen.

TARA-Psi – Der einzigartige Roboter erweist sich als Freund.

Ydio-Do – Die Tefroderin lernt den Schlaks besser kennen.

Haransoga Goanat – Für den cairanischen Konsul ist ein Scheitern der Mission nicht denkbar.

Klicker – Der Begleiter des Konsuls ist denkblind.

Was ist Leben überhaupt? Was macht es aus? Auch ein potenziell Unsterblicher muss irgendwann sterben. Es gibt viele Tage, da fürchte ich mich nicht vor dem Tod, wohl aber davor, an meinem Leben vorbeizulaufen wie an einem Fremden.

Vetris-Molaud

 

1.

Ydio-Do

 

Es roch nach ausgebranntem Feuer. An diesem Ort waren noch vor wenigen Minuten männliche Cairaner gewesen, doch nun waren sie fort.

Ydio-Do zoomte mit einem Blinzeln heran, vergrößerte die Ansicht der beiden Shenpadrisegmentraumer, die wie zwei kupferfarbene, einander in den Schwanz beißende Schlangen im Herzen der Phantomstadt aufragten und verbargen, was zwischen ihnen lag.

Dorthin mussten sie. Das war ihr Ziel.

Neben ihr schwebte der kegelstumpfförmige Robotkörper von Sallu Brown im Schatten einer messingfarbenen Pyramide, in der vermutlich ein Labor untergebracht war. Ydio-Do war noch immer erstaunt darüber, dass der TARA-Psi ein Lebewesen und keine Maschine war.

Das Äußere zeigte ihr einen zwei Meter hohen Roboter mit einem Basisdurchmesser von siebzig Zentimetern. Der halbkugelförmige Ortungskopf war typisch für Maschinen terranischer Bauweise und hatte lediglich eine grünlich schillernde Maserung aus aktiviertem PEW-Metall – ein Material das nicht wenige gerne in die Finger bekommen hätten, doch der TARA-Psi wusste sich zu wehren. In seinen vier Armen verbargen sich Waffen, im Kegelkörper Projektoren für Energieschutzschirme und mehr. Das Erstaunlichste war jedoch ohne Zweifel sein menschliches Bewusstsein, das in dem grün schillernden Metall verankert war.

Ein Intelligenzwesen im Körper einer Maschine. Keine totale Seltenheit, doch in dieser Konstellation war es unüblich. Wenn ein Tefroder schwer verletzt wurde, kam es vor, dass man neue Körperteile für ihn züchtete oder sogar sein Gehirn in einen Klonkörper operierte. In Metall dagegen steckte man Tefroder höchst selten, wenn es auch einige Geschichten über Mutanten aus der Vergangenheit des Tamaniums gab, denen Ähnliches passiert sein sollte.

Ydio-Do schüttelte die Gedanken ab. Sie wandte sich ihrem zweiten Begleiter zu, Spinoza Godaby. Der Mann vom Planeten Palden schob sich gerade mit aller Gemütsruhe einen Konzentratriegel in den Mund. Dabei sah der schlaksige, über zwei Meter lange Kybernet gar nicht aus, als würde er Nahrung brauchen.

Ydio-Do hätte ihm zugetraut, sich über Wochen hinweg von den Resten irgendeiner Fünf-D- oder Sechs-D-Strahlung zu ernähren, wie es manche exotischen Lebensformen taten. Sie schätzte ihn auf kaum mehr als sechzig Kilogramm, fünfundsechzig vielleicht in der auf Trakarat herrschenden Schwerkraft.

Und doch ... wenn sie den Schlaks ansah, den dürftigen Agenten, war sie auf sonderbar zärtliche Weise irritiert; es ging nur knapp an dem Gefühl für ein niedliches Haustier vorbei, und sie hätte jeden Verdacht, es könne sich um eine besondere Form der Zuneigung handeln, strikt von sich gewiesen, aber ...

Als Godaby sah, dass sie zu ihm blickte, lächelte er auf die für ihn typische, arrogante Weise. Mit einem Kopfschütteln vertrieb er ein paar schwarze Haarsträhnen aus der Stirn. Er hatte den Helm geöffnet, war jedoch voll in das Deflektorfeld seines SERUNS gehüllt, das ihn vor herkömmlicher Sichtung und Ortung verbergen sollte. Ydio-Do konnte ihn nur sehen, weil sie die entsprechende Technik zur Verfügung hatte: Dank der im Visier integrierten Antiflex-Brillenfunktion konnte sie den tölpelhaften Menschen in ganzer Dünne bewundern.

»Tefroder und Menschen ziehen an einem Strang«, murmelte sie. »Historisch betrachtet schwer zu glauben.«

»So schwer nun auch wieder nicht.« Godaby senkte den Riegel. »Bull und Vetris-Molaud zeigen uns doch, wie's geht. Seit immerhin dreihundert Jahren. Kooperation und Partnerschaft ohne eigenen Identitätsverlust. Menschen sind wir alle.«

Sie hob die Schultern. Der Gedanke ließ sie frösteln. Es gab einige dunkle Kapitel in der Vergangenheit. »Wie haben wir's neulich umschrieben? Vertrauen und gegenseitige Konkurrenz? – Na ja, unwichtig. Was unternehmen wir nun?«

Wie sie wirkte Godaby angespannt. Bisher waren sie nicht aufgeflogen, doch die Bewacher der Phantomstadt wussten, dass jemand versucht hatte, einzudringen. Sicher waren die Kontrollen ebenso wie die Alarmstufe erhöht. Im schlimmsten Fall bauten die Cairaner just in diesem Moment Parafallen auf, die ihren größten Vorteil zunichtemachen würden: den TARA-Psi mit seinen telekinetischen und teleportativen Kräften.

Godaby fuhr sich über den gentechnisch angezüchteten, etwa zwei Zentimeter hohen, halbrunden Knochenauswuchs am Hinterkopf. Er nannte das Ding Kyberhügel, und Ydio-Do hatte bereits einen Vorgeschmack darauf bekommen, was er damit anzurichten vermochte.

In Ydio-Dos Magen rumorte es, seit sie die Phantomstadt erreicht hatten. Ihr inneres Alarmsystem schrillte, als wollte es Tote aufwecken. Etwas ging in dieser Stadt vor, das zu einer Bedrohung für die gesamte Milchstraße werden konnte.

Als würde ihm auffallen, dass er sich schon wieder auf diese dämliche, selbstverliebte Art über den Kopf strich, ließ Godaby die Hand sinken. »Wir brauchen mehr Informationen. Haben deine Sonden inzwischen etwas?«

Ydio-Do hatte einige Spionsonden losgeschickt, ebenso wie die Terraner. Um keine verräterischen Impulse zu senden, würden die Maschinen ihre Rückmeldungen nicht über Funk auf die Entfernung geben, sondern erst aus nächster Nähe. »Noch sind sie unterwegs, aber es sollte nicht mehr lange dauern.«

Seit sie die vier desaktivierten cairanischen Vital-Suppressoren gefunden hatten, waren sie dem Geheimnis von Klayndnar auf der Spur. Sie hatten eine Karte mit einer zweiten Stadt erbeuten können, die nirgendwo sonst verzeichnet war – und nun standen sie in dieser Stadt, waren tief ins Herz der Rätsel vorgestoßen und mussten den letzten Vorhang zur Seite ziehen, um herauszufinden, was die Cairaner zusammen mit den Shenpadri und Báalols für ein Spiel spielten.

»Das Supramentum«, murmelte Godaby. »Wir müssen wissen, was das ist.«

In Ydio-Dos Magen zuckte es, als wollte sich etwas daraus befreien. »Sicher ist es nichts Gutes. Cairanische Technologie und Parakräfte der Báalols – was wird dabei herauskommen?« Sie dachte an die Ringe des Planeten, die teils aus Psi-Materie bestanden und für die paranormalen Begabungen der Báalols mit verantwortlich waren.

Der TARA-Psi schwebte ein Stück tiefer. »An Zufälle glaubt hier sicher niemand.«

»Richtig.« Ydio-Do rief die Ankunftszeit ab. In drei Minuten sollten die ersten Spionsonden zurück sein. Beiläufig blieb ihr Blick am Datum hängen: Man schrieb den 22. März 2046 NGZ.

»Warum ist die Zentrale des NDE ausgerechnet jetzt aufgeflogen? Wieso hat man kurz danach den Verkehr zwischen Foosaal und den anderen Kontinenten beinahe eingestellt? Ich bin schon länger hier und sage euch: Das sind Vorboten! Es steht etwas Großes bevor. Die Cairaner wollen alle aus dem Weg schaffen, die ihnen bei diesem Projekt gefährlich werden könnten.«

Godabys Lächeln wurde eine Spur schmaler. »Sagt dir das deine überragende Intuition?«

Ydio-Do ging nicht auf die Spitze ein. Sie schenkten sich beide nichts, wenn es darum ging, die Fähigkeiten oder die Ausbildung des anderen kleinzureden.

»Meine Intuition, aber auch meine Erfahrung«, gab sie zurück. »Diese Stadt birgt nicht irgendein kleines lokales Geheimnis. Genau hier passiert etwas von Bedeutung, und es passiert bald. Vielleicht wird es den Krieg, den keiner sehen will, maßgeblich beeinflussen. Was immer wir tun, wir sollten uns beeilen.«

 

*

 

Godaby rückte näher an Ydio-Do heran. Bei jedem anderen wäre ihr der Abstand zu nah gewesen – die meisten Tefroder benötigten eine größere persönliche Sphäre um sich als die Terraner – doch bei ihm machte sie eine Ausnahme. Sie mochte seinen Duft. Wenn er nur nicht so unglaublich arrogant wäre ...

Der Schlaks legte den Kopf schief. »Was macht dich eigentlich so sicher, dass wir wirklich dahin müssen?«

»Der Bewachungsstatus«, sagte Ydio-Do sofort. »Was immer zwischen den Segmentraumern liegt, da unten sind die meisten Sicherheitsanlagen, und die Patrouillen sind ebenso wenig zu verachten.«

Neben Cairanern war eine ganze Reihe von Robotern unterwegs, deren mehrarmige Kugelkörper die beiden Schiffe in einer perfekten Choreografie umrundeten. Die Kugeln waren teiltransparent mit einem hell leuchtenden Zentrum in der Mitte. Der Gesamteindruck erinnerte entfernt an die Augenraumer der Cairaner. Die perfekte Abstimmung in Abstand und Bewegung zeigte einmal mehr das hohe Maß an Koordination und Abstimmung, das unter Cairanern üblich war.

Ydio-Do löste sich vom Anblick der absolut gleich schnell und gleich hoch fliegenden Maschinen und konzentrierte sich auf die Schiffe, die sie vom Geheimnis der Phantomstadt trennten. Beim Anblick der beiden Shenpadriraumer dachte sie an zwei Schlangen, die ein Nest bewachten, und die sich erheben und angreifen würden, sollte man ihrem Gelege zu nahe kommen.

»Erster«, sagte der TARA-Psi unvermittelt.

Ydio-Do verstand nicht, was er meinte. »Erster in was? Rätsel stellen?«

Godaby grinste. »Nein. Er meint, dass unsere Sonden zuerst zurückgemeldet sind. Es gibt ein paar Bestätigungen und einige Neuigkeiten. Die Cairaner nennen diese Stadt Fabrik. Ihr Zentrum bildet die Montagehalle mit der darin befindlichen Matrix.«

»Eine Matrix?« Ydio-Do kniff die Augen zusammen. Die Montagehalle musste zwischen den Shenpadrischiffen liegen und von ihnen vollkommen verdeckt werden. Noch ein Hindernis auf dem Weg zum Ziel. »Was für eine Matrix?«

Der dünne Mann vom Planeten Palden hob die Schultern, als wäre ihm kühl. »Darüber wissen wir leider auch nichts.« Er nickte dem TARA-Psi zu.

Bestimmt unterhielt er sich wieder mit seinem Partner über Funk. Die beiden konnten sich austauschen, ohne dass Ydio-Do davon etwas mitbekam – jedenfalls nicht vom Inhalt des laufenden Gesprächs. Dass die beiden kommunizierten, war offensichtlich. Sie versuchten nicht einmal, es vor ihr zu verbergen.

In ihrer Ausbildung hatte man Ydio-Do anderes beigebracht, doch bei den Galaktikern gab es da wohl einige Unterschiede. Ydio-Dos Anzug war in der Lage, Lippenbewegungen zu analysieren und in Sprache umzusetzen, doch sie verzichtete darauf.

Mit einem weiteren Nicken beendete Godaby das Gespräch, das Ydio-Do nicht hatte hören können. »Wir müssen herausfinden, was in der Montagehalle zusammengebaut wird.«

»Du bist gut darin, das Offensichtliche überflüssigerweise festzuhalten.«

»Und du leistet wie üblich wenig hilfreiche Beiträge.«

»Falls das eine Spitze auf meine Sonden sein soll – die sind zurück, auch wenn ihr sie nicht sehen könnt. Und sie haben ebenfalls interessante Daten gesammelt.«

»Welche?«

Ydio-Do ignorierte die Frage. »Wir sind uns einig, dass in dieser Montagehalle höchstwahrscheinlich das Supramentum zusammengebaut wird, oder?«

Der TARA-Psi schwebte ein Stück in die Höhe, sank dann wieder ab. Es wirkte, als wäre er aufgeregt. »Möglich. In dieser Stadt scheint sich alles um das Supramentum zu drehen. Leider wissen wir nach wie vor nicht, was genau es ist. Bist du in der Frage dank deiner Sonden weitergekommen?«

»Nein. Aber ich habe das hier gefunden.« Mit einer Handbewegung aktivierte Ydio-Do eine vorprogrammierte Funktion.

Zwischen ihnen baute sich ein Holo auf, das ein exotisches Wesen zeigte. Es trug einen kuppelartig gewölbten Rückenpanzer aus grauen Platten, über den es einen einfachen, vorne offenen Mantel geworfen hatte. Durch den Panzer ging das Wesen gebeugt. Hätte es sich aufgerichtet, hätte es in der Höhe gut zwei Meter erreicht. Den Körper balancierte es mit einem wuchtigen, breiten Stützschwanz aus. Kräftige Hinterbeine und stämmige Extremitäten im Armbereich gaben dem Geschöpf etwas Klobiges. Im Gegensatz dazu standen die feingliedrigen Hände mit den drei langen Mittelfingern und den zwei äußeren Daumen. Ydio-Do hatte gehört, dass die Wesen damit wahre Wunderdinge vollbringen sollten.

Brauner Flaum und Knochenplatten bedeckten den Schädel. Die beinahe faustgroßen Augen saßen weit vorne, die kleinen Ohren weit hinten am Kopf.

Spinoza Godaby stieß einen leisen Pfiff aus. »Ein Kuokoa!«

»Richtig. Wie in der Siedlung. Wir sollten diese freundlichen Zeitgenossen für unsere Zwecke einspannen, denkt ihr nicht?«

»Hast du schon eine Idee?«

Dieses Mal war es Ydio-Do, die lächelte. »Natürlich. Manchmal kann man von einem Tölpel lernen.«

2.

Klicker

 

»Die Denkschauer nennen die Stadt ›Fabrik‹. Sie denken viel, diese Denkschauer. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, ob sie in ihrem Gehirn winzige Augen haben, mit denen sie ihr eigenes Denken beobachten. Aber es muss so sein, denn mich nennen sie einen Denkblinden. Mein Konsul hat ihnen den Begriff beigebracht – er hat mich zuerst so genannt, und mein Konsul hat immer recht. Wenn jemand winzige Augen im Gehirn hat, die alles sehen können, dann er. Er sieht vortrefflicher als jeder andere.

Mein Denken dagegen hat keine Augen. Ich denke überhaupt sehr ungern und nur, wenn ich es muss. Lieber träume ich. Manchmal sind es böse Träume, von den Steinen, die den Altkörper zerquetscht haben. Die Augen übrigens auch. Die waren Matsch. Es war mein Konsul, der mich gerettet hat, der aus den Trümmern der Lawine die Grundlage herausnahm für meine Existenz.

Ich bin Klicker. Manche behaupten, ich wäre ein Halbleben. Das verstehe ich so wenig wie meine Denkblindheit. Halbleben. Ganzleben. Wie soll man das denn festlegen? Was das angeht, habe ich eine ganz einfache Logik: Da ich denke, kann ich mich auch irren, und was sich irrt, muss ganzes Leben sein. Das ganze Universum ist voll von Irrtümern, die irgendwelches Ganzleben begeht oder begangen hat. Von daher bin ich in bester Gesellschaft und habe lediglich die Aufgabe, die Verwirrung der Irrtümer nicht größer zu machen. Das ist nicht immer ganz einfach. Leider.

Ich irre mich gerne und oft. Das ist aber nicht so schlimm, solange ich nicht darauf bestehe, dass ich recht habe. Die Denkschauer wollen oft recht haben und dann wird's ungemütlich, besonders, wenn sie irgendwie wichtig sind oder glauben, sie wären wichtig. Zum Glück bin ich unwichtig, deshalb kann ich keinen Schaden anrichten und bringe weniger Unruhe in die Welt. Unwichtig sein ist gut, da kann man viel falsch machen, ohne dass es jemandem wehtut.

Die Denkschauer dagegen machen sich verrückt wegen ihrer Denkfehler. Wahrscheinlich sind ihre winzigen Denkaugen sehr harte, grausame Augen, die jeden Fehler sofort melden, damit er mit Elektroschocks bestraft wird, die ihr Gehirn durchzucken, sodass es richtig spurt. Das wäre mir viel zu anstrengend.

Obwohl ich keine Denkaugen habe, habe ich vier wunderschöne Hängeaugen in meinem Drahtgeflecht. Sie sind wahre Kunstwerke und sehen ganz hervorragend. Mit ihnen und den anderen Geflechtsinnen mache ich am liebsten eines: wahrnehmen.

Was soll ich mich verrückt machen über Augen, die ich gar nicht habe? Bin ich eben denkblind. Ich bin ein Narr aus Drahtgeflecht, ein Tier, das mehr ist als ein Tier, eine Maschine, die ein Herz hat. Hauptsache, ich sehe in der Nähe gut, schmecke höre und rieche, was mein Konsul braucht und was in meiner geliebten Stadt vorgeht.

Es ist eine wunderschöne Stadt. Der Name ›Fabrik‹ wird ihr überhaupt nicht gerecht. Ich nenne sie Supramenta, die Goldene, die Königliche, die Zauberhafte. Da ich einzigartig bin, kann ich nie mehr eine Dreierbindung haben, wie früher, als ich noch kleine Klicker machen konnte. Aber das muss ich auch nicht. Ich bin mit Supramenta verbunden. Sie ist meine vollkommene Innigkeit und unterstützt mich, wenn ich das tue, was mir am Drahtgeflecht und am Hauptherzen liegt: auf meinen Konsul achtgeben.

Die Denkschauer behaupten, meine Supramenta würde am Ende des Nichts liegen, am Rand des Nirgendwo. Sie behaupten, Foosaal wäre schlechter als der Hauptkontinent. Ja, sie schwärmen ständig von der Metropole Báalthoom, von der schönen Kaa-Bucht und der Káalhor-Halbinsel. Wenn ich sie frage, warum sie hier sind und nicht da, wo es ihnen lieb ist, werden ihre Blicke giftig, und sie nennen mich denkblind und dumm.

Aber ich verstehe es wirklich nicht! Ich bin genau da, wo ich sein will, bei meiner Supramenta und meinem Konsul. Es ist aufregend hier, denn es ist etwas Großes im Gang – und ich bin mittendrin. Was interessieren mich Lykoom, Dhóojha oder Bháal-Lhar? Ich will nicht im Sháar-Gebirge auf einem Berggipfel stehen und mir die Gitter verkühlen, nein, ich will genau hier sein, bei meinem Konsul, denn wo er ist, da ist vorn. Wo denn auch sonst?«

Klicker hielt inne und stoppte die Aufnahme, die er von der eigenen Stimme anfertigte. Er redete schon wieder zu viel. Manchmal war es ihm wichtig, seine Gedanken aufzunehmen, denn das Denken klappte nicht immer gleich gut. Es gab denkschwarze, denkgelbe und denkgraue Tage. Die wenigen denklichten, wie diesmal, waren extrem selten. Sein Konsul scherzte manchmal, er sei nicht nur denkblind, sondern auch denkfarbenblind.

Vor Erheiterung stieß Klicker einige Klicklaute aus. Sein Konsul hatte Humor, das mochte er. Schwungvoll drehte er das Drahtgeflecht, schwebte mit dem Antigrav ein Stück in die Höhe und blickte mit den Hängeaugen von der Erhebung der Bronzepyramide auf die Stadt.

Nicht weit entfernt lagen einige Labors der Báalols. Daneben zogen sich mehrere Spiegelbauten wie eine Mauer entlang, in denen besonders Denkgescheite unterrichteten. Auf der anderen Seite lagen ein Forschungssegment und ein weiteres pyramidenförmiges Großlabor, in dem Cairaner aus und ein gingen und dabei heftig mit den Händen gestikulierten. Auch eine Fabrik und eine Klinik sah Klicker.

Beide hatten die Form cairanischer Gebäude. Zwei verbundene Halbkugeln saßen auf langen Stielen. Ihre Oberflächen waren ganz in Weiß gehalten. Die Bauwerke strahlten Erhabenheit und Zuversicht aus.

Das alles war Klicker vertraut. Eigentlich hätte es ihn froh machen sollen, dass es da war und wie immer an derselben Stelle lag. Stattdessen fühlte er sich bedroht. Seit der Alarm vor einigen Stunden im Konsulat losgegangen war, weil jemand Fremdes versucht hatte, in die Stadt einzudringen, waren Klickers Organe kühler als sonst.

Er versuchte sich zu beruhigen, indem er sich vorstellte, dass irgendein dummes Tier gegen den Schirm geflogen oder gelaufen war, oder ein paar Wanderer aus Versehen den falschen Weg genommen hatten. Es gab viele dumme Tiere, die weit denkblinder waren als er: langohrige Santus, fliegende Scherwaátos, kriechende Òolplo, die ihre neugierigen Fühler überall hinstecken mussten. Wer oder was versucht hatte, in seine Stadt einzudringen, war bestimmt längst fort und keine Bedrohung für seinen Konsul.

Klicker hob einen der drei Metallstränge, die ihm als Arme dienten, und sprach in das integrierte Gerät, das seine Stimme aufzeichnete und sich durch die Bewegung automatisch wieder einschaltete. »Mein Konsul ist in Sicherheit. Ich bilde mir das ein. Es gibt Hunderte von Wachrobotern, die aufpassen. Die Cairaner haben nicht nur vier Hände, sondern auch große Wachsamkeit und sie sind bestens vernetzt. Ihnen kann gar nichts entgehen.«

Er verstummte, spielte das Gesprochene noch einmal ab, als würde es ein Fremder zu ihm sagen, und fühlte sich tatsächlich beruhigt.

Trotzdem konnte es nicht schaden, ein wenig auf Spurensuche zu gehen. Er liebte es, durch Supramenta zu strolchen, wenn er Zeit hatte. Oft stieß er dabei auf Soras, kleine mausartige Tiere, die auf den Spiegelwegen seines Konsuls nichts zu suchen hatten. Er nahm die Spur aus dunklen Krümeln wahr, die wie Samenkörner am Boden verstreut lagen.

Klicker folgte ihr lautlos, fand die Übeltäterin und paralysierte sie mit dem integrierten Geflechtgerät, ehe sie sich vor Schreck auf die Hinterbeine gesetzt hatte. Die Sora kippte zur Seite, und Klicker rief einen Roboter, der das Tier hinaus ins Gebirge bringen würde.

Er setzte seinen Streifzug fort, fand ein interessant geformtes Stück Metall, das nach Regen duftete, obwohl es nicht regnete, und ein Stück Schillerstoff, das nach Shenpadri roch.

Als er in die Nähe des größten Laborsektors kam, fiel ihm ein Cairaner auf, der in die Richtung der Shenpadriraumer im Herzen von Supramenta ging.

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