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Titel der Originalausgabe Smile At Fear

Erschienen bei Shambhala Publications, Inc.

4720 Walnut Street #106, Boulder, CO 80301 U.S.A.

© 1991 by Diana Mukpo

Aus dem Englischen übertragen von Michael Wallossek

Der Verlag dankt Barbara Märtens für die Durchsicht der Übersetzung im Sinne des Vermächtnisses von Chögyam Trungpa und des Copyrightinhabers.

Vollständige EBookausgabe der im Windpferd Verlag erschienenen Erstausgabe


1. Taschenbuchausgabe 2016

© 2009 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Alle Rechte vorbehalten

Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form oder zu irgendeinem Zweck elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopie, Recording und Wiederherstellung, ohne schriftliche Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Covergestaltung: KplusH Agentur für Kommunikation und Design, CH Amden

Covermotiv: Gerhard Poschung

ISBN 978-3-86410-214-1

www.windpferd.de

Inhalt

Vorwort

Einführung der Herausgeberin

Teil eins

Der Weg des Kriegers

1 Mit sich selbst konfrontiert

2 Meditation: in Berührung kommen und weitergehen

3 Der Mond in Ihrem Herzen

4 Die Sonne in Ihrem Kopf

5 Von unzerstörbarer Natur

6 Heilige Welt

7 Die Erziehung zum Krieger

8 Gewaltlosigkeit

Teil zwei

Der Weg der Furchtlosigkeit

9 Den Zweifel überwinden

10 Was uns hilft, mutig zu sein

11 Unbedingte Furchtlosigkeit

12 Himmel und Erde vereinen

13 Mit der Angst Freundschaft schließen

14 Monumentale Nichtexistenz

Teil drei

Auf der Windpferdenergie reiten

15 Unbedingte Zuversicht

16 Windpferd entdecken

17 Der Funke der Zuversicht

18 Die andere Seite der Angst

19 Unbesiegbarkeit

20 Windpferd wachrufen

Resümee

Nachwort der Herausgeberin

Dank

Quellen

Lektürevorschläge und andere Anknüpfungspunkte

Über Chögyam Trungpa

Anmerkungen

Wenn Ihnen etwas Angst einjagt, sollten Sie sich mit der Angst befassen. Sie sollten untersuchen, warum Sie verängstigt sind, und zu einer Art innerer Gewissheit gelangen. Sie können sich die Angst tatsächlich anschauen. Dann verharren Sie nicht länger in einer von Angst bestimmten Situation, die Sie fertig macht. Die Angst kann besiegt werden. Sie können frei sein von Angst, sofern Sie sich klar machen, dass die Angst kein Menschen fressendes Monster ist. Sie können im Angesicht der Angst bestehen und furchtlos werden. Freilich setzt dies voraus, dass Sie beim Anblick der Angst ein Lächeln für sie übrig haben.

Chögyam Trungpa, Große Östliche Sonne*

* siehe auch „Quellen“

Vorwort

Vertiefe ich mich in die Unterweisungen Chögyam Trungpas, dann kommt es mir so vor, als tauchte ich in einen Brunnen ein, aus dem sich unaufhörlich Weisheit schöpfen lässt. Seit über dreißig Jahren kehre ich nun immer wieder an diese Quelle zurück. Und jedes Mal aufs Neue stelle ich fest, dass sie etwas enthält, das mich inspiriert, vor eine Herausforderung stellt oder auf meinem Weg voranbringt. Angesichts der großen Probleme, mit denen unsere Gesellschaft und jede/r Einzelne von uns heutzutage fertig werden müssen, gilt erst recht: Trungpa Rinpoches Unterweisungen sind da – sie sind da, um uns weiterzuhelfen.

Wie aber kann es sein, dass die Worte von jemandem, der vor über zwei Jahrzehnten dahingeschieden ist, so erstaunlich frisch anmuten, hochaktuell sind und diejenigen Fragen betreffen, mit denen die heutige Zeit uns konfrontiert? Gar so verwunderlich ist das im Grunde nicht. Denn Rinpoche ist stets auf das eingegangen, was gerade im Raum stand, sich im gegebenen Augenblick abspielte. Und diese Art von unmittelbarer, spontaner Unterweisung bleibt allzeit aktuell und modern.

Darüber hinaus wusste er anscheinend auch, vor welchen Problemen wir in diesem Jahrtausend stehen würden. In uns und um uns herum herrscht allenthalben eine unwahrscheinlich große Beschleunigung, so viel Ängstlichkeit und Besorgnis. Und genau darauf spricht er uns an. Wir können versuchen, in Deckung zu gehen, uns zu verkriechen. Doch tief im Innern wissen wir, dass wir in Wahrheit gar keine andere Wahl haben, als die Ungewissheit und Unsicherheit der heutigen Zeit an uns heranzulassen, sie willkommen zu heißen und uns mit ihr anzufreunden. Dies gilt es jetzt zu tun. Das ist unbedingt notwendig. Denn Zeit zu vergeuden, das können wir uns hierbei nicht erlauben.

Wie Chögyam Trungpa uns wachrüttelt, ist provokativ, aufrichtig, und es bereitet große Freude. Ich finde, seine Shambhala-Unterweisungen, die das Kernstück dieses Buches ausmachen, versetzen uns in die Lage, uns von ganzem Herzen zu öffnen und genügend echten Wagemut zu entwickeln, um offen auf unsere Mitmenschen zugehen zu können. Dem liegt zugrunde, dass wir zwar verletzlich, aber dennoch stark sind. Im Nichtangreifen, in Nichtaggression, dem ruhigen Verweilen in innerem Frieden, liegt enorme Stärke. Genau das versteht Rinpoche unter einem Shambhala-Krieger. Danach strebt, glaube ich, jeder von uns. Nehmen wir doch seine Einladung an, in aller Aufrichtigkeit den Blick nach innen zu richten, damit wir furchtlose, freundliche Menschen sein können.

Pema Chödrön

Einführung der Herausgeberin

Dieses Buch handelt von all der Angst, die wir haben: angefangen mit vorübergehender Besorgnis oder Panik bis hin zu den größten Schrecknissen, mit denen wir im Umfeld von Leben und Tod möglicherweise konfrontiert werden. Darüber hinaus geht es um die elementaren Quellen einer uns alle betreffenden Angst und Besorgnis. Der Autor bietet praktische Ratschläge, jedoch keine Schnellschuss-„Lösungen“. Er möchte uns dabei helfen, unser Leben und unsere Wahrnehmung von Grund auf zu wandeln – in der Weise, dass wir die Angst überwinden können, statt sie lediglich eine Zeit lang zu verdrängen. Wollen wir uns von unserer Angst wahrhaft befreien, wollen wir wirklich furchtlos werden, dann dürfen wir, so legt er uns nahe, nicht länger vor ihr davonlaufen. Vielmehr sollten wir Freundschaft mit ihr schließen, wir sollten lernen, ihr ein Lächeln zu schenken. Darauf kommt es, wenn wir die Angst wirklich überwinden wollen, ganz entscheidend an.

Während ich dieses Vorwort schreibe, befinden wir uns gerade inmitten einer dramatischen Wirtschaftskrise. Und die von ihr ausgelösten Schockwellen rufen Erschütterungen hervor, in deren Gefolge sich weltweit Angst und Besorgnis breit machen. Daher könnte man meinen, für ein Buch, das der Frage nach einem produktiven Umgang mit der Angst auf den Grund geht, handele es sich nun um einen besonders gut geeigneten Zeitpunkt. Aber mit Blick auf die menschlichen Daseinsbedingungen und das nicht enden wollende Chaos in der Welt erweist sich wahrscheinlich jeder Zeitpunkt als ein guter Zeitpunkt, die Thematik von Angst und Furchtlosigkeit einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen.

Chögyam Trungpa, einer der größten buddhistischen Lehrer des 20. Jahrhunderts, verstarb im Jahr 1987. Dessen ungeachtet wirken diese Unterweisungen, die sich mit der Geisteshaltung und Lebensführung eines spirituellen Kriegers wie auch mit dem dazu notwendigen Wagemut befassen, als seien sie genau für den jetzigen Zeitpunkt geschrieben worden. Trungpa Rinpoche (der Titel Rinpoche bezeichnet einen verwirklichten Lehrer und bedeutet „Kostbarer“) hat gespürt, dass der Westen, und in der Folge zwangsläufig die ganze Welt, im 21. Jahrhundert mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert sein würde. Zu seinen Schülern hat er über diese potenziellen Nöte und Härten mit einer Mischung aus Zuversicht und Realismus gesprochen. Die Menschheit würde mit dem, was auf sie zukäme, gut zurechtkommen können. Dessen war er gewiss. Nicht minder groß war allerdings seine Gewissheit, dass wir dabei vor kapitalen Herausforderungen stehen werden. Persönlich habe ich an einigen ernüchternden Gesprächen mit ihm teilgenommen, bei denen es um die wirtschaftliche und politische Zukunft Nordamerikas und anderer Teile der Welt ging.

Rinpoche war eine menschliche Verkörperung der Furchtlosigkeit und des Mitgefühls. Im Jahr 1950 sind Chinas Kommunisten in seine tibetische Heimat einmarschiert. Und 1959 war er – in dem Wissen, dass man ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte – gezwungen, aus dem Land seiner Geburt zu flüchten. Von einem entlegenen Teil Osttibets aus trat er zu Fuß den Weg in Richtung Indien an, um dort Zuflucht zu suchen. Unter seiner Führung brach damals zugleich eine dreihundert Tibeter zählende Gruppe zu dieser letztlich mehr als zehn Monate dauernden Reise auf. Da braucht man wohl kaum noch zu erwähnen, dass alle Beteiligten mit extremen Herausforderungen konfrontiert worden sind und in reichem Maß Gelegenheit hatten, sich der eigenen Angst zu stellen.

Im Verlauf der letzten Reisemonate wurden die meisten Mitglieder der Gruppe bei der Überquerung des Brahmaputra in Südtibet von chinesischen Rotarmisten gefangen genommen. Kaum mehr als 50 von ihnen gelang es, den ganzen Weg bis nach Indien zurückzulegen. Während der gesamten Reise stützte Chögyam Trungpa sich auf meditative Einsicht: Sie bildete die Grundlage für seine Stärke und seinen Mut; und er wurde nicht müde, den übrigen Mitgliedern der Reisegruppe anzuraten, ebenfalls auf diese Weise mit den Situationen umzugehen.

Betrüblicherweise hat er, nachdem ihm die Flucht aus Tibet gelungen war, weder seine Mutter noch ein anderes Mitglied seiner Familie jemals wiedergesehen. Nichtsdestoweniger brachte er Jahre später großes Mitgefühl für Mao Zedong zum Ausdruck, der als Revolutionsführer den Einmarsch nach Tibet angeordnet hatte. Diejenigen buddhistischen Lehren, auf denen solch eine sanftmütige Beherztheit beruht, legt er in diesem Buch dar.

Jede/r von uns kann solch einen Mut jetzt in sich selbst zum Leben erwecken. Was uns in Angst und Schrecken versetzt, unterliegt weder von einem Jahrzehnt zum anderen noch von Mensch zu Mensch sonderlich großen Schwankungen und Veränderungen. Die Grundangst, mit der wir immer zu arbeiten haben, besteht in der Angst, uns selbst zu verlieren. Sobald die Ich-Festung sich bedroht sieht, bildet die Angst unser wohl stärkstes Abwehrbollwerk. Diese Angst abzubauen zählt zu den größten Geschenken, die wir uns selbst wie auch unseren Mitmenschen machen können.

Mit dem Bild des Kriegers veranschaulicht Chögyam Trungpa im vorliegenden Buch, welche Haltung wir einnehmen können, um Furchtlosigkeit und Beherztheit zum integralen Bestandteil unserer spirituellen Praxis und unseres Daseins zu machen. Damit die moderne Spiritualität den Erfordernissen dieser Zeit gerecht werden könnte, das war für Rinpoche klar, würden das Säkulare und das Religiöse in ihr eine vollständigere und umfassendere Verbindung eingehen müssen. Das hier Verwendung findende Bild von Shambhala, einem mythischen Land, dessen erleuchtete Bewohner von wohlwollenden Monarchen regiert werden, bringt diese Verbindung adäquat zum Ausdruck. Shambhala symbolisiert das Bestreben, eine gute Gesellschaft aufzubauen. Zugleich wird so unterstrichen, wie sehr es darauf ankommt, dass wir uns im Alltag voll und ganz auf unser Leben einlassen. Indem Trungpa Rinpoche über die Kraft der Shambhala-Welt spricht, verweist er etwa auch darauf, dass unsere Arbeit mit den weltlichen, den gewöhnlichen Aspekten des Lebens eine transzendente Dimension haben kann. Der Welt, so wie sie ist – das führt er uns auf diese Weise vor Augen –, wohnen Würde und Schönheit inne.

Chögyam Trungpa spricht verschiedene Ebenen an, auf denen es für uns ansteht, mit der Angst zu arbeiten. Unter anderem thematisiert er, wie wir extre­me Situationen angehen können: beispielsweise die Auseinandersetzung nicht nur mit einem Hindernis im eigenen Geist, sondern mit einem realen Widersacher. Die Zeiten, in denen wir heute leben, verlangen offenbar nach jener Art von echtem Mumm, von couragiertem Mut, wie er ihn verkörpert hat. Da er hatte lernen müssen, besonders schwierige Lebenssituationen zu verarbeiten, wusste er um die echten Herausforderungen im Leben. Ohne Scheu nimmt er hier in diesem Buch auch zu solchen Situationen Stellung. Ebenso spricht er davon, dass jeder Augenblick für uns die Gelegenheit sein kann, tieferes Vertrauen in uns wachzurufen, indem wir das Heilige im Alltag erblicken. Dadurch erhalten wir zugleich ein wirksames Gegenmittel gegen Angst und Besorgnis.

Trungpa Rinpoche lehnt Aggression als Strategie zur Überwindung von Hindernissen beharrlich ab. Das ist ein wesentliches Kennzeichen seines Ansatzes. Die Tapferkeit des Shambhala-Kriegers – jenes Praktizierenden, der sich ohne Anmaßung und Aggression voll und ganz auf das Leben einlassen will – entspringt einem in seine innerste Tiefe reichenden kraftvollen Quell der Freundlichkeit. Was könnte uns leichter fallen, als mit Wut zu reagieren, wenn wir uns einer Bedrohung ausgesetzt sehen? Werden wir geschlagen, regt sich in uns der Impuls zurückzuschlagen. Rinpoche führt uns Alternativen dazu vor Augen, die wirkungsvoll, jedoch niemals destruktiv sind. Solch eine Weisheit benötigen wir.

Trungpa Rinpoches Unterweisungen sind nicht nur schonungslos, sondern ebenso sehr von Herzenswärme durchdrungen. Sie unterstreichen unsere Verbundenheit mit dem innersten Herzen, dem Wesenskern der buddhistischen Lehren: dem Herz des Buddha wie auch dem Herz von Shambhala, so könnte man sagen. Der Liebe wohnt, wie wir alle wissen, ungeheure Kraft inne. Aus der Verbindung zu einem empfindsamen Herzen und zu Traurigkeit, so beschreibt es Chögyam Trungpa, erwächst jene Energie, die zur treibenden Kraft für die Entwicklung wahrer menschlicher Tapferkeit oder wahrhafter Kriegerschaft wird – ein Thema, auf das er ein ums andere Mal zu sprechen kommt. Auf dem Weg des Kriegers Sanftheit und Entschlossenheit miteinander zu vereinen stellt ein weiteres entscheidendes Element dar. Der Schlüssel zur Aktivierung solch eines Potenzials liegt in der meditativen Disziplin. Den Ratschlag erteilt er uns immer wieder.

Letztlich geht es im vorliegenden Buch darum, wie man natürlich und unverfälscht, wie man voll und ganz Mensch ist. Bringen wir die Bereitschaft auf, verletzlich zu sein, dann merken wir, dass diese Verletzlichkeit uns unüberwindlich macht. Da wir nichts zu verlieren haben, können wir keine Niederlage erleiden. Da wir nichts zu fürchten haben, können wir nicht bezwungen werden.

Möge diese Reise durch das Territorium von Angst und Furchtlosigkeit Ihnen Freude bereiten. Möge sie zu wahrhafter Tapferkeit führen. Möge sie das Lächeln des Furchtlosen auf Ihr Gesicht zaubern. Möge sie dazu beitragen, dass in aller Welt Frieden und allgemeines Wohlergehen Einkehr halten.

Carolyn Rose Gimian

Halifax, Neuschottland (Nova Scotia)

Teil eins

Der Weg des Kriegers

Wollen Sie ein Krieger werden und sich ansehen, wer Sie wirklich sind, kommt es darauf an, aufrichtig zu sein, ohne sich selbst zu verurteilen. Bei solch einer Selbstbetrachtung werden Sie möglicherweise feststellen, dass Sie ein unartiger Junge oder ein ungezogenes Mädchen gewesen sind. Unter Umständen wird Ihnen dann ganz entsetzlich zumute sein. Vielleicht werden Sie den Eindruck haben, Ihr Dasein sei erbärmlich, in einem heillosen Zustand, durch und durch rabenschwarz, die reinste Hölle. Womöglich erblicken Sie in und an sich selbst allerdings auch mancherlei Gutes. Jedenfalls geht es hier einzig und allein darum, sich den Tatsachen zu stellen. Aufrichtigkeit spielt eine entscheidende Rolle. Sehen Sie einfach die schlichte, ungeschminkte und ungeschönte Wahrheit in Bezug auf sich selbst. Fangen Sie an, ehrlich zu sich zu sein, dann entwickeln Sie den nötigen Mumm, den man braucht, um unverbrüchlich zur Wahrheit zu stehen. Das heißt jedoch keineswegs, dass Sie sich selbst niedermachen sollen. Finden Sie lediglich heraus, was da ist. Sehen Sie es sich einfach an, und halten Sie dann inne! Betrachten Sie sich also erst einmal, aber verurteilen und verdammen Sie sich nicht. Seien Sie sachlich. Seien Sie nüchtern, sachlich und präsent. Darauf kommt es an. Sehen Sie schlicht und einfach hin. Und sobald Sie dann die Situation in größtmöglicher Vollständigkeit erblicken, hat Ihr Dasein als Krieger begonnen.