Einleitung

Welche Frau fühlt sich schon wie eine Königin? Und wie viele würden sich gar als wilde Frauen bezeichnen? Königin und wilde Frau – zahlreiche Frauen spüren zwar die Faszination dieser Bilder, doch leider erlauben sich die wenigsten diese Facetten ihrer Weiblichkeit. Was viele Frauen heute bewegt, ist vor allem die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sind auf der Suche nach dem Potenzial, das in ihnen steckt. Sie möchten sich nicht vom Beruf bestimmen lassen, aber auch nicht von den Erwartungen von Mann und Kindern. Moderne Frauen möchten ihr eigenes Leben leben. Sie möchten entdecken, wozu sie fähig sind, wenn sie sich nicht von den Erwartungen anderer her definieren, sondern aus ihrer eigenen Kraft. Zugleich leiden sie oft daran, dass sie sich unverstanden und allein gelassen fühlen auf ihrem Weg der »Frauwerdung«.

Bei einem internationalen Frauentag, an dem auch einige afrikanische Frauen teilnahmen, meinten diese, dass sie als einzelne Frauen nicht so stark seien wie die deutschen Frauen, aber aus ihrem Miteinander viel Stärke ziehen könnten. Zudem erzählten sie von ihrem Eindruck, dass die meisten Frauen in Deutschland unzufrieden seien. Tatsächlich haben sich viele Frauen heute auf den Weg gemacht, um aus ihrer Opferrolle und der ihnen oft anerzogenen Selbstentwertung auszubrechen, die zu genau ­dieser sogar nach außen hin sichtbaren Unzufriedenheit führen. Sie trauen ihrem Frau­sein jetzt etwas zu. Sie hören auf, immer nur die Männer für ihre eigene Misere verantwortlich zu machen. Sie söhnen sich aus mit den Wunden, die ihnen das Leben geschlagen hat, und gehen einen neuen Weg der inneren Freiheit.

Weil sie sich selbst achten und sich in ihrem Frausein wertschätzen, lassen sich diese Frauen nun nicht mehr durch abwertende Bemerkungen kleinmachen. Sie wissen um ihren weiblichen Wert, und das gibt ihnen Freude an ihrem Frau­sein und führt sie zu neuer Leichtigkeit. So beginnen viele Frauen nun, selbst zu leben. Wenn Frauen zusammenkommen, können sie miteinander weinen, aber noch viel lieber lachen sie herzhaft miteinander. In diesem Lachen steckt Kraft. Da spüren die Frauen, dass sie aus sich selbst leben können und keine Lust mehr haben, nur über die anderen zu jammern, die sie daran hindern, wirklich zu leben.

Die feministische Bewegung der siebziger Jahre hat vor allem um die Gleichberechtigung der Frau gekämpft. Dabei war es wichtig, alte Klischees der Frauenrolle zurückzuweisen. Jedoch geriet man in Gefahr, die Frau dem Mann anzupassen, anstatt die Eigenheit und das Anderssein der Frau zu betonen. Heute geht es der feministischen Bewegung mehr darum, zwar gleiche Rechte für die Frau zu fordern, aber zugleich auch das Anderssein der Frau herauszustellen. Schon rein biologisch hat die Frau andere Seiten entwickelt als der Mann. Gerade im Anderssein von Mann und Frau liegt ja auch das besondere Potenzial. Dabei geht es nicht darum, die Frau auf ein bestimmtes Bild festzulegen.

Norbert Bischof und seine Frau Doris Bischof-Köhler, beide Professoren an der Universität Zürich, haben, ausgehend von der Biologie und Entwicklungspsychologie, dargestellt, dass Frauen schon von Urzeiten an in bezug auf Sexualität, Fortpflanzung, Erziehung der Kinder und Nahrungsbeschaffung andere Verhaltensweisen entwickelt haben als die Männer. Und was die Biologie in unser Wesen eingeschrieben hat, lässt sich nicht einfach auslöschen.

Das soziologische Argument, dass das Anderssein von Mann und Frau nur durch die Erziehung bedingt ist, stimmt so nicht. So bestehen beispielsweise Unterschiede in der Einstellung der Geschlechter zu Erfolg und Misserfolg schon in der Kindheit: »Jungen neigen dazu, Erfolg im wesentlichen als Resultat der eigenen Kompetenz zu verbuchen. Misserfolge dagegen auf Pech oder äußere Umstände zurückzuführen. Bei Mädchen besteht die Tendenz, sich bei Misserfolg selbst die Schuld zu geben, während Erfolg nicht als Resultat des eigenen Könnens, sondern als ›Glück gehabt‹ erlebt wird.« (Bischof, S. 113) Gleiche Behandlung von Männern und Frauen führt nach Bischof darum eher zur Benachteiligung der Frauen. Denn die Leistung ist immer noch nach männlichen Maßstäben definiert. »Wirkliche Gleichberechtigung dagegen lässt sich nur erreichen, wenn man die Unterschiede ernst nimmt und in der Sozialisation ganz gezielt den Stärken und Schwächen jedes Geschlechts Rechnung trägt.« (Bischof, S. 115)

Gleichmacherei dagegen führt zur Langeweile. Die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau erzeugt ja gerade eine Spannung, die beiden ihre ureigene Energie schenkt und sie gegenseitig inspiriert. Ihre Verschiedenheit bedeutet Fülle und Reichtum, sie ist die Grundvoraussetzung für lebendige Beziehungen. Was Frauen heute brauchen, ist nicht Gleichbehandlung, sondern Mut zu sich selbst. Sie sollten ihre Wertmaßstäbe nicht nach dem Männlichkeitsideal ausrichten, sondern ihre eigene Identität finden. Sie sollten ihren eigenen, typisch weiblichen Stil aufwerten. Erst dann haben die Frauen gleiche Chancen wie die Männer.

Im Buch »Kämpfen und Lieben«, dem analogen Werk für Männer, sind 18 archetypische Bilder mit biblischen Männergestalten verbunden worden. Die meisten Archetypen treffen für Männer wie für Frauen zu, auch wenn Frauen sie anders mit Leben füllen. Auch in diesem Buch möchten wir uns daher auf archetypische Bilder für die Frau beziehen und sie nun mit einer biblischen Frauengestalt verbinden. Dabei geht es uns nicht um die Erforschung der Bibelstellen und ihres Hintergrunds, sondern um die Entfaltung des archetypischen Bilds, das wir in der biblischen Gestalt entdecken.

Heute werden häufig negative Bilder für Frauen hochstilisiert. Da wird die »Zicke« gepriesen, die besser lebt. Die Furie wird als Vorbild hingestellt. Manche Frauen bezeichnen sich als moderne Hexe und sind stolz auf diesen Titel. Selbst eine Prostituierte wird als Vorbild der Freiheit von allen gesellschaftlichen Normen auf einmal positiv gesehen. Gegenüber dieser Verfälschung archetypischer Bilder möchten wir, ausgehend von den biblischen Frauengestalten, diese Bilder zurechtrücken. Archetypische Bilder haben auch eine reinigende Kraft. So steckt in den negativen Bildern, die die Medien heute als Vorbild hinstellen, immer auch ein Stück Wahrheit. Aber es bedarf der Läuterung durch den Archetyp, damit die eigentliche Bedeutung und Kraft der Bilder sichtbar werden.

Eine griechische Autorin hat einmal sieben archetypische Bilder für die Frau beschrieben: die Liebende, die Mütterliche, die Prie­sterin, die Künstlerin, die Kämpferin, die Königin und die wilde Frau. Wir haben in ähnlicher Weise 14 Archetypen ausgewählt und sie mit den biblischen Frauengestalten in Bezug gesetzt. 14 ist seit jeher eine heilende Zahl. Bei den Babyloniern gab es 14 helfende Götter. Und im christlichen Bereich gibt es die 14 Nothelfer. Ebenso ist 14 eine weibliche Zahl. Sie markiert die Hälfte eines Monatszyklus, der für jede Frau eine wichtige Bedeutung hat. Wir glauben, dass in den 14 Bildern das Wesen der Frau und das Potenzial, das in ihr steckt, zum Ausdruck kommen.

Die hier vorgestellten 14 Bilder sollen Frauen also helfen, ihr eigenes Wesen zu entdecken und aus dem inneren Reichtum ihres Frauseins zu leben. Des weiteren sollen die Bilder Frauen den Weg weisen, die Wunden zu heilen, die ihnen falsche Frauenbilder geschlagen haben, und helfen, zu ihrer eigenen Ganzheit, zu ihrem »Heil« zu finden.

Als Titel haben wir über unser Frauenbuch die beiden archetypischen Bilder der wilden Frau und der Königin gesetzt. In diesen Bildern kommen für uns am besten die Grundeigenschaften zum Ausdruck, die eine Frau lebendig halten. Gemeinsam erzeugen sie Energie. Wenn eine Frau die wilde Frau und die Königin in sich zulässt, dann wird sie auch alle anderen Bilder mit Kraft erfüllen, sei es das Bild der Mütterlichen, mit dem die feministische Bewegung so große Probleme hatte, oder das Bild der Liebenden, der Künstlerin oder der Prophetin.

Manchen mag der Buchtitel provozierend erscheinen. Andere mögen ihn als modische Welle abtun. Wir jedoch glauben, dass gerade die Bilder der »Königin« und der »wilden Frau« Frauen zu ihrem eigentlichen Wesen führen und sie mit dem Potenzial in Kontakt bringen, das in ihrer Seele bereit liegt. Uns geht es daher in diesem Buch darum, diese beiden Pole so miteinander zu verbinden, dass Sie, liebe Leserinnen, neue Lust am Leben und neue Lust an Ihrem Frausein gewinnen.

Noch ein Wort zum Werdegang dieses Buches: Es ist entstanden aus vielen Gesprächen zwischen uns Autoren. Außerdem haben wir Manuskripte und Texte benutzt, die bei verschiedenen Frauenseminaren und aus dem Hören auf das, was Frauen uns erzählt haben, entstanden sind. Wir haben unsere gemeinsamen Texte immer wieder miteinander besprochen und darüber diskutiert. Unsere gemeinsame Arbeit am Thema wird in diesem Buch auch durch die unterschiedlichen Schrifttypen, in denen die jeweils von uns einzeln verfassten Absätze gekennzeichnet sind, nachvollziehbar:

- Texte in Schriftart ohne Serifen: Anselm Grün,

- Texte in Schriftart mit Serifen: Linda Jarosch

So spiegelt schon die äußere Form des Textes das Gespräch wider, das wir über ein Jahr hinweg geführt haben. Wir haben die einzelnen Frauenbilder alphabetisch nach ihren alttestamentlichen Namen angeordnet. Unseren Leserinnen möchten wir empfehlen, das Buch kapitelweise zu lesen und über die Bilder im einzelnen nachzudenken oder auch zu meditieren.

Keineswegs erheben die vorliegenden Gedanken den Anspruch, die einzig mögliche Sicht zu sein. Jede Frau wird und soll ihr persönliches Selbstverständnis entwickeln. Unser Buch will Frauen Mut machen, selbst das Gespräch mit anderen Frauen und mit den Männern zu suchen und im Gespräch zu entdecken, was ihre tiefste Identität ist. Und wir wollen Frauen Lust vermitteln, ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu entfalten und dankbar zu sein für die jeweils einzigartige Weise, wie jede ihr Frausein lebt.

Linda Jarosch und P. Anselm Grün,

Münsterschwarzach im Juni 2004.

Debora – Die Richterin

Das archetypische Bild der Richterin bringt Frauen in Berührung mit ihrer Fähigkeit zu unterscheiden, was gut und was böse, was Recht und Unrecht ist. Die Richterin rückt die Verhältnisse zurecht, damit sie für alle stimmen. Sie macht das, was unstimmig geworden ist, richtig. Die Richterin richtet Gebeugte auf. Auch sie selbst ist aufrichtig und geht ebenso durchs Leben. Sie entscheidet intuitiv, was dem Menschen hilft und was ihm schadet.

Das Bild der Richterin deckt Stärken der Frau auf, die heute oft übersehen werden. In der Realität gibt es mehr Männer im Amt des Richters. Und doch ist das Richten eine wesentliche Fähigkeit der Frau.

Das Alte Testament hat den Archetyp der Richterin durch Debora beschrieben. Ihre Geschichte reicht bis in die Ursprünge des Volkes Israel hinein. Nach dem glorreichen Auszug Israels aus Ägypten und der Landnahme im Gelobten Land erlebte das Volk schon bald die harte Realität ständiger Auseinandersetzungen mit Feinden. Israel war es nicht gelungen, die fruchtbare Jesreel-Ebene für sich zu erobern. Hier herrschten die Kanaanäer. Und das starke Volk der Philister hatte viele Städte in dieser Ebene in seine Gewalt gebracht. Israel, das sich im Gebirge mit kargem Boden begnügte, wurde immer wieder von den Philistern und Kanaanäern bedrängt. Von Zeit zu Zeit berief Gott dann Helden aus dem Volk, die Israel für eine Zeitlang Frieden und Wohlstand bescherten. Diese Helden übernahmen zugleich die Funktion von Richtern. Die Leute aus ganz Israel kamen zu ihnen, um ihnen ihre Rechtsgeschäfte vorzulegen. Normalerweise sprach man in Israel Recht im Tor des Heimatorts – vor der Versammlung der Sippenältesten. (Vgl. Ohler, S. 90) Doch offensichtlich gab es auch eine überörtliche Rechtshilfe. Man ging zu Richtern, die in Israel besonderes Ansehen erworben haben, um Klarheit in seinen Rechtsfällen zu gewinnen.

So eine überörtliche Richterin war Debora. Sie war in Rechtsfragen bewandert. Es gab in Israel immer wieder Frauen, zu denen man ging, um um Rat zu fragen oder Rechtsfragen zu lösen. So eine kluge Frau hat zum Beispiel auch die Stadt Abel vor dem Heer des Feldherrn Joab gerettet. (Samuel 20,16ff) Im Buch Samuel (2 Samuel 14) wird beschrieben, wie Joab eine weise Frau aus Tekoa zu Hilfe holt. Sie »umschreibt das Richteramt mit der Formel: ›Gutes und Böses hören wie der Engel Gottes‹ (2 Samuel 14,17)« (Ohler, S. 91). Von Debora heißt es: »Damals war Debora, eine Prophetin, die Frau des Lappidot, Richterin in Israel. Sie hatte ihren Sitz unter der Debora-Palme zwischen Rama und Bet-El im Gebirge Efraim, und die Israeliten kamen zu ihr hinauf, um sich Recht sprechen zu lassen.« (Richter 4,4f)

Männer wie Frauen kommen zu Debora, zu einer Frau, weil sie ihr zutrauen, dass sie Recht spricht, dass sie die Zusammenhänge erkennt, wenn Menschen ihr ihre Geschichten erzählen. Die Richterin ist eine Frau, die unterscheiden kann zwischen dem, was stimmt und was nicht stimmt, was Realität und was bloße Vorstellung ist, was wahr und falsch ist, was Recht und Unrecht ist und was dem Menschen gerecht wird. Debora wird auch als Mutter in Israel gepriesen. (Richter 5,7) Eine Frau, die durchblickt, die zu unterscheiden versteht, die entscheidet zwischen Recht und Unrecht, ist wie eine Mutter, an die man sich wenden kann. Sie strahlt Sicherheit und Ruhe aus.

Doch die Aufgabe Deboras beschränkt sich nicht nur darauf, Recht zu sprechen. Sie fordert Barak auf, er solle mit 10000 Mann gegen Sisera und seine 900 Streitwagen ziehen. Barak antwortet, er ziehe nur in den Kampf, wenn Debora mitgeht. Debora ist bereit. Nach außen hin ist es ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen, wenn da die schlecht ausgerüsteten Bauern Israels gegen 900 Streitwagen ziehen. Streitwagen waren Zeichen für ein hochgerüstetes Heer. Doch den Israeliten kommt ein starker Regenguss zu Hilfe, der die Streitwagen Siseras zur Umkehr zwingt. Sisera selbst flieht zu Fuß und versteckt sich im Zelt Jaels, der Frau Hebers. Sie gibt ihm Milch zu trinken. Als er eingeschlafen ist, schlägt sie ihm den Zeltpflock durch die Schläfe. Eine Frau hat den eigentlichen Sieg erfochten. Jael ist die Heldin dieses Kampfes, nicht Debora oder Barak. Doch Debora singt ein Lied über diese Schlacht. Sie deutet wiederum, was eigentlich geschehen ist. Im Lied schildert sie die hoffnungslose Situation Israels: »Es gab kein Brot an den Toren. Schild und Speer waren nicht mehr zu sehen bei den Vierzigtausend in Israel.« (Richter 5,8) Debora singt sich selbst zu: »Auf, auf Debora! Auf, auf, sing ein Lied!« (Richter 5,12) Und sie schließt ihren Gesang mit dem Preis auf Jahwe, der seine Feinde zugrunde richtet: »So gehen all deine Feinde zugrunde, Herr. Doch die, die ihn lieben, sind wie die Sonne, wenn sie aufgeht in ihrer Kraft.« (Richter 5,31)

Debora ist also nicht nur eine Richterin, sondern auch eine, die das Heer anführt, die eine Führungsaufgabe in Israel einnimmt. Sie wird nicht als Führerin gewählt. Vielmehr ergreift sie die Führung, als das Volk in Not und niemand bereit ist, den Kopf hinzuhalten. Selbst Barak, der Heerführer, hat Angst, das Heer gegen die Feinde anzuführen. Er verlässt sich auf die Frau. Debora vermittelt ihm offensichtlich die Sicherheit und Kraft, die ihm selbst abgehen.

Heute übernehmen viele Frauen in Politik und Wirtschaft, in Gesellschaft und Kirche Verantwortung. Wenn ich Führungsseminare halte, höre ich oft die Frage: Führen Frauen anders als Männer? Ich denke, Frauen haben tatsächlich einen anderen Führungsstil. Die Frage ist nicht, wer besser führen kann, ein Mann oder eine Frau. Vielmehr geht es darum, dass Männer und Frauen je auf ihre eigene Weise führen. Für den Mann ist die beherrschende Idee beim Führen das Ziel, das er ansteuert. Er möchte ein gutes Ergebnis erzielen. Seine Führung dient dazu, dieses Ziel zu erreichen. Alle Führungsinstrumente haben letztlich nur den einen Zweck: das Ergebnis zu erzielen, das er sich vorgenommen hat oder das ihm von oben vorgeschrieben wurde. Eine Frau führt anders. Ihr sind erst einmal die Beziehungen wichtig. Sie möchte, dass die Beziehungen stimmen. Dann – so weiß sie – kann man auch ein gutes Ergebnis anstreben und erreichen. Der Frau geht es um eine gesunde Unternehmenskultur, in der dann der Erfolg nicht erzielt wird, sondern heranwächst.

Wenn wir das Führungsverhalten Deboras betrachten, so wird folgendes deutlich: Debora ergreift die Initiative. Sie ist es leid, nur über die schlimmen Zustände zu jammern. Sie hat den Mut, die Wurzel des Unheils in Angriff zu nehmen. Sie zieht voraus. Doch zugleich sagt sie dem Mann, der neben ihr herzieht, vo­r­aus, dass der Ruhm des Siegs nicht ihm zuteil wird, sondern ­einer Frau, die mit List Sisera vernichten wird.

Die Frau, die gut führt, vermeidet jeden Machtkampf. Sie kämpft nicht nur mit Kraft, sondern mit List. List kommt ursprünglich von »leisten« und hat mit Wissen zu tun. Dieses Wissen – so weiß der Duden – bezog sich auf die Techniken der Jagdausübung und des Kampfes, auf magische Techniken und auf handwerkliche Kunstfertigkeiten. Wenn die Frau mit List kämpft, dann heißt das, dass sie hinter die Dinge sieht, dass sie ein Gespür dafür hat, wie sich ein Problem lösen lässt. Sie kann konfrontieren. Aber ihre Führungsaufgabe erschöpft sich nicht in der Konfrontation. Den eigentlichen Sieg erringt sie mit Klugheit und List, mit ihrem inneren Gespür für das, was möglich ist. Debora gibt den Einsatz zum Kampf. Sie kennt den richtigen Zeitpunkt. Sie spürt, wann es sinnvoll ist zu handeln und wann es besser ist zu warten. Es ist nicht die rohe Gewalt, mit der sie kämpft, sondern ein Ausnützen der äußeren Gegebenheiten. So atmet ihre Führung nicht verkrampfte Anstrengung und Kampflust, sondern Intuition und Klugheit – mit Phantasie und Gespür für den rechten Augenblick.

Was in der Debora-Geschichte erzählt wird, wiederholt sich heute an vielen Orten. Die Frau ist nicht nur Führungskraft, wenn sie einen Betrieb leitet, wenn sie Oberbürgermeisterin einer großen Stadt oder Ministerin geworden ist. Viele Frauen übernehmen auch in der Familie Führung. Nach außen hin ist es vielleicht der Mann, der wie Barak die Truppen anführt. Der Mann verdient oft das Geld. Er plant vielleicht auch den Bau des Hauses. Aber das Eigentliche gestaltet die Frau. Sie prägt das Klima des Hauses. Sie übernimmt die Einrichtung der Wohnung. Sie stellt die Weichen für die Kinder und erzieht die Kinder. Doch sie führt nicht gegen den Mann, sondern gemeinsam mit ihm. Es geht ihr dabei nicht um Machtausübung, sondern um die Gestaltung der Wirklichkeit. Und dafür sind Männer und Frauen gleichermaßen wichtig. Wie Debora kann eine Frau geschickt dem Mann die Aufgabe zuweisen, in der er seine Stärken hat.

Untersuchungen haben festgestellt, dass Frauen in Führungs­positionen in der Wirtschaft dann am erfolgreichsten sind, wenn sie »es fertigbrachten, neben der Karriere auch ihre privaten sozialen Beziehungen reich auszubauen, häufig in Form einer eigenen Familie mit Kindern« (Bischof, S. 116 f.). Frauen, die in der Familie gelernt haben, mit Kindern umzugehen und sie zu erziehen, entwickeln ihre eigene Fähigkeit zu führen. Im Lateinischen haben die beiden Worte führen (ducere) und erziehen (educare) die gleiche Wurzel. Erziehen heißt, das Wesen herauszuführen, das Eigentliche Gestalt werden lassen. Frauen führen anders als Männer. Es geht ihnen nicht so sehr um Ehrgeiz und Durchsetzung, sondern darum, das Wesentliche zum Vorschein zu bringen, die Fähigkeiten der einzelnen zu fördern und zu koordinieren, den richtigen Blick zu haben für das, was der einzelne braucht, um seine Gaben einsetzen zu können.

Manche Männer beklagen sich, sie hätten eine dominante Frau. Doch die Frau ist nicht immer von sich aus dominant. Oft rufen Männer durch ihr unterwürfiges und unentschiedenes Verhalten in der Frau die dominante Seite hervor. Mei­stens sind es Männer, die sich von ihrer Mutter bestimmen ließen und nun in ihrer Frau das gleiche Verhalten wie bei der Mutter hervorlocken. Jede Frau braucht einen ebenbürtigen Partner, um gut führen zu können. Barak muss an Deboras Seite ziehen. Wenn sie ihren Mann hinter sich herschleppen müßte, weil der sich vor jedem Angriff fürchtet, dann würde sie in die dominante Rolle gedrängt. Eine Frau tut daher gut daran, sich vom Mann nicht in eine Rolle drängen zu lassen, sondern auf die Weise zu führen, wie es ihr entspricht. Die Debora-Geschichte zeigt, dass Debora Barak he­r­ausfordert. Sie zieht ihn nicht einfach mit, sondern sie befiehlt ihm, auszuziehen und das Heer anzuführen. Gemeinsam mit ihm leitet sie dann das Heer. Und gemeinsam mit ihm stimmt sie das Lied an, das jedoch nur unter ihrem Namen überliefert wird. Und sie preist den Herrn dafür, »dass Führer Israel führten und das Volk sich bereit zeigte«. (Richter 5,2) Alles war in einem schlimmen Zustand, »bis du dich erhobst, Debora, bis du dich erhobst, Mutter in Israel«. (Richter 5,7) Debora ist die Frau, die sich erhoben hat. Sie hat die Initiative ergriffen. Aber das Wunder ihrer Führungskunst bestand darin, dass die Führer Israels endlich bereit waren, ihrer Führungsaufgabe gerecht zu werden, dass die Männer den Mut hatten, ihren Mann zu stehen.

Debora ist ein Bild dafür, wie Frauen mit der Angst des Mannes umgehen können. Sie hat den Mann in seiner Angst wahrgenommen, aber sie hat ihn nicht geschwächt. Er darf bei ihr seine Angst zulassen, er wird nicht lächerlich gemacht damit. Das allein schafft Vertrauen. Aber Debora spürt, dass er darin nicht hängenbleiben darf, sondern handeln muss, um eine Situation zu verändern. Sonst sind es andere, die handeln und dadurch Macht über ihn bekommen. Debora hat ihm die Not vor Augen geführt, die zum Handeln zwingt. Sie hat ihn herausgefordert, über seine Angst hinauszuwachsen. Offensichtlich hat sie ihm das Vertrauen in seine eigenen Kräfte wiedergegeben, damit er als Mann handeln konnte. Sie wusste, dass es seine Bestimmung ist, Mann zu sein.

Als unser Vater zum Beispiel mit 60 Jahren mit seiner Firma noch einmal eine schwierige Situation durchzustehen hatte, war es ebenfalls unsere Mutter, die sich gegen Ohnmacht und Resignation erhob. Sie war es, die ihn aufrichtete und zu seiner Verantwortung führte zu handeln. Sie hat ihm Mut gemacht, nicht aufzugeben, sie hat ihn zu seiner Kraft geführt, diese Situation durchzukämpfen.

Es ist natürlich, dass der Mann nicht immer in seiner ganzen Kraft stehen und handeln kann. Er kennt genauso Angst und Resignation wie die Frau – es ist zutiefst menschlich. Auch er braucht Menschen, die ihn aufrichten und ihm wieder die eigenen Stärken aufzeigen. Frauen erleben Männer manchmal schwach gegenüber Vorgesetzten oder in der Beziehung zu ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sie spüren, dass diese hier nicht ihre männliche Kraft entgegensetzen, sondern sie zurückhalten und andere damit stärker sein lassen. Wenn ein Mann als Kind die Erfahrung gemacht hat, dass seine Eltern mit Liebesverlust oder Abwertung auf seine Kraft reagiert haben, dann kann ihn diese Erfahrung auch als Erwachsener daran hindern, eine Konfrontation zu wagen. Er kann bei seinem Vorgesetzten vielleicht um seinen Arbeitsplatz bangen, bei seinen Eltern um ihre Zuneigung. Eine Frau kann aus einer anderen Distanz heraus mit ihm darüber sprechen, ob diese Angst wirklich real ist oder von einer Erfahrung herkommt, die ihn so geprägt hat. Sie kann ihm deutlich machen, was sein Nichthandeln für ihn, für seine Familie oder für andere in seinem Umfeld bedeuten kann. Diese andere Sicht kann ihm die negativen Auswirkungen seiner Schwäche aufzeigen und ihn herausfordern, als Mann zu handeln und die Situation zu verändern.

Debora, die Richterin, ist ein treffendes Bild für die Frau. Mütter sind in der Familie ständig damit beschäftigt, Richterin zu spielen. Wenn ihre Kinder streiten, dann sorgt die Mutter dafür, dass alle Kinder ihr Recht bekommen. Sie ergreift keine Partei, sondern lässt die Kinder zu Wort kommen, um zu sehen, was da abgelaufen ist. Nur wenn sie sieht, dass einem Kind Unrecht geschieht, stärkt sie es. Sie stellt sich auf die Seite der Schwächeren, um ihnen Recht zu verschaffen. Diese Fähigkeit zur Richterin hat nichts zu tun mit juristischen Spitzfindigkeiten, die heute leider oft das Recht bestimmen. Vielmehr hat die Frau ein natürliches Empfinden für das, was richtig ist, was dem Menschen gerecht wird. Die Fähigkeit zur Richterin hat jedoch nicht nur die Mutter, die sie im Umgang mit den Kindern täglich praktiziert. Vielmehr liegt es offensichtlich im Wesen der Frau. Auch bei Sitzungen, in denen Konflikte ausgetragen werden, haben Frauen oft ein feines Gespür für das, was richtig ist. Sie haben einen Sinn für Gerechtigkeit. Es geht ihnen da nicht um Rechthaben und um Sieg oder Niederlage. Vielmehr möchten sie, dass allen Gerechtigkeit widerfährt, dass alle das bekommen, was ihnen zusteht und was sie brauchen. Manchmal lassen sich Frauen in solchen Situationen von den Argumenten der Männer blenden. Sie sollten ihrer Fähigkeit zur Richterin trauen und das sagen, was sie fühlen. Es führt oft zu einer Lösung, die allen guttut.

Die Richterin ist immer dritte Person in einer Angelegenheit, die zwei Menschen oder zwei Parteien betrifft. Sie richtet jedoch nicht, sie sagt nicht: »Das ist falsch oder das ist richtig«, sondern sie erkennt, wer sich in dieser Situation mehr Recht auf Leben nimmt als der andere. Wer sich mehr nimmt, erhebt sich über den anderen, er achtet ihn nicht, er gesteht ihm nicht das gleiche Recht auf Leben zu. Genau da ist die Richterin in uns gefordert.

Wenn in Diskussionsrunden oder im privaten Kreis jemand seine Meinung zu einem Thema äußert und ein anderer lässt diese Meinung nicht stehen, sondern beurteilt sie als falsch, dann ist es die Richterin, die eingreift. Sie hört nicht einfach zu wie viele andere, sie macht den Mund auf. Sie lässt nicht zu, dass jemand dem anderen das Recht auf seine eigene Meinung nimmt. Sie richtet nicht, sie macht es vielmehr stimmig. Ihr Grundgefühl ist die Achtung vor dem anderen, vor seinem Recht auf Leben. Die Richterin spürt, wer der Schwächere ist, und steht ihm bei, sie schafft ein Gleichgewicht.

Oft erleben sich Frauen, dass ihnen kein Recht widerfährt. Sie kommen mit ihren Bedürfnissen nicht durch. Jesus hat im Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter so eine Frau geschildert. (Lukas 18) Sie wird von einem Feind bedrängt und geht deshalb zum Richter. Doch dem Richter fällt es gar nicht ein, für sie einzutreten. So ist die Frau auf sich allein gestellt, ohne Lobby und ohne Aussicht auf Erfolg. Doch sie ist so hartnäckig, dass sie immer wieder zum Richter geht, bis der mächtige Richter es mit der Angst zu tun bekommt. Er sagt sich, dass die Frau ihm vielleicht sogar das Auge blau schlagen könne. (Vgl. Lukas 18,5) Und so gibt er ihr nach und verschafft ihr Recht. Jesus nimmt diese tapfere Witwe als Bild für den Beter und die Beterin. Im Gebet erfahren wir Recht auf Leben. Gott ist der, der auch den rechtlosen Frauen Recht schafft. Im Gebet erfährt die Frau ihre unantastbare Würde und den inneren Raum, in dem sie Recht auf Leben hat, in dem sie niemand verletzen kann. Auch wenn sie nach außen hin keine Chance zu haben scheint, so entwickelt sie im Gebet eine Kraft, die sie über sich hinauswachsen lässt. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Sie spürt in sich den Raum, in dem Gott in ihr wohnt. Dort ist sie unantastbar und unverletzlich.

Frauen besitzen viel Sinn dafür, dass und wie die Schwächeren ihr Recht bekommen. Das haben sie im Umgang mit den Kindern gelernt. Gerade auch in Führungspositionen können sie dies nun zum Wohl einer Firma und der Gesellschaft einbringen. Sie haben einen Blick für die, die durch die Maschen des sozialen Netzes fallen, die vom geltenden Recht und von den herrschenden Maßstäben in der Gesellschaft benachteiligt werden. Daher ist es so wichtig, dass Frauen heute in der Politik ihre ureigensten Gaben einbringen, dass sie wie Debora gute Richterinnen sind. Dann gilt ihnen das Lob, das die Bibel auf Debora singt, die sich erhob zugunsten der Armen und daher als »Mutter in Israel« gepriesen wird. (Richter 5,7)

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Linda, was spricht dich persönlich am Archetyp der Richterin besonders an?

Die Richterin ist für mich eine sehr starke Seite unseres Frauseins. Wenn wir die Kraft der Richterin stärker ausdrücken wollen, dann müssen wir in vielen Situationen aufstehen, um anderen zu ihrem Lebensrecht zu verhelfen. Es ist die Achtung vor dem anderen, vor seinem Recht auf Leben, das die Richterin als Grundhaltung in sich trägt und das mich am meisten anspricht. Daraus bezieht sie ihr Gespür für Gerechtigkeit.Wenn jemand die Meinung eines anderen als falsch bewertet und meint, nur seine sei die richtige, dann kann ich nicht anders als mich zu rühren. Ich frage mich dann immer: »Wer hat hier das Recht, mit richtig oder falsch, mit gut oder schlecht zu urteilen, nur weil jemand andere Gedanken dazu hat oder anders empfindet?«

Die andere Seite der Richterin, die du hier angesprochen hast, ist ihre Führungsrolle. Ich glaube, dass viele Frauen solche Positionen in dieser Art leben. Wenn eine Situation schwierig ist und andere sich davor drücken, etwas zu verändern, dann erlebe ich bei Frauen oft ungeahnte Kräfte, mit denen sie andere anführen und etwas bewegen. An diesen Frauen erlebe ich trotz der Anstrengung immer ihre Freude, die sie an dieser Kraft haben.

Esther – Die Königin