Einleitung

Was kommt nach dem Tod?

Bei Vorträgen fragen mich Menschen immer wieder, was wir als Christen nach dem Tod zu erwarten haben und wie wir uns das ewige Leben denken können. Ich spüre ihre Sehnsucht, sich das vorstellen zu können, was uns im Tod zuteil wird. Denn die Vorstellungen, die wir uns vom Tod und dem, was uns im Tod erwartet, machen, prägen auch unseren Umgang mit dem Tod. Sie machen uns entweder Angst oder schenken uns Zuversicht und Vertrauen. Sie machen es uns schwer, an den Tod zu denken, oder aber sie helfen uns, den Tod in unser Leben zu integrieren und angesichts unseres sicheren Todes gelassen und zugleich bewusst und achtsam zu leben. Nur wenn wir den Tod als Ziel unseres Lebens und nicht als Vernichtung annehmen, vermögen wir unserem Wesen als sterbliche und doch zur Auferstehung berufene Menschen gerecht zu werden. Wenn ich über unsere christlichen Erwartungen für das ewige Leben schreiben soll, gerate ich ins Stocken. Woher nehme ich die Gewissheit, dass meine Sehnsucht im Tod erfüllt wird, dass ich für immer in Gottes Herrlichkeit sein werde, eins mit Gott, umarmt von seiner Liebe? Wir haben in unserer christlichen Tradition viele Bilder, die uns aufzeigen, was uns im Tod erwartet. Aber ich bin mir auch bewusst, dass dies nur Bilder sind. Letztlich können wir über den Tod und das ewige Leben nur in mythologischen Bildern sprechen.

Aber dennoch ist es wichtig, dass wir in diesen Bildern zu den Menschen sprechen. Denn diese archetypischen Bilder sprechen unsere menschliche Seele an. Wenn wir das unbewusste Wissen der Seele außer Acht lassen und nur rein rational über das ewige Leben sprechen, dann geht das an uns Menschen vorbei. Dabei ist es aber wichtig, die Erwartung nicht auf ein einziges Bild zu beschränken. Die Bibel bietet uns viele Bilder an, um so die Perspektive auf das letztlich Unsagbare offen zu halten. (Vgl. Ratzinger, Eschatologie 193)

Ein anderes Dilemma, auf das ich beim Versuch, über das ewige Leben zu sprechen, stoße, ist der Zwiespalt zwischen den biblischen Aussagen und den Aussagen der Philosophie und Theologie. Die Philosophie spricht von der Unsterblichkeit der Seele und vom Leben nach dem Tod, das uns erwartet, weil wir als Menschen eine unsterbliche Seele haben. Die Bibel spricht von der Auferstehung der Toten. In der Theologie herrschte lange ein Streit, ob diese beiden Aussagen miteinander zu vereinbaren sind.

Viele Exegeten sagen, dass die Auferstehung, von der die Bibel spricht, nichts mit der Unsterblichkeit der Seele zu tun hat, die der griechische Philosoph Platon gelehrt hat. Doch wenn ich die philosophische und psychologische Aussage über den Menschen überspringe und nur rein theologisch über die Auferstehung spreche, dann wird es schnell unanschaulich und unverständlich. Dann wird die Auferweckung am Jüngsten Tag durch Gott zu einem willkürlichen Akt, an den ich zwar glauben, den ich aber nicht verstehen kann, weil er mit dem menschlichen Nachdenken über die Unsterblichkeit der Seele nichts zu tun hat.

Für mich ist es die Aufgabe der Theologie, die Aussagen der Bibel mit jener Weisheit ins Gespräch zu bringen, die in der Philosophie und im Glauben aller Religionen zum Ausdruck kommt. Wenn wir zu abstrakt über die christliche Auferstehung sprechen, dann suchen sich die Menschen anderswo Bilder, die ihnen verständlicher erscheinen – etwa in der Reinkarnation oder aber in der Vorstellung, dass mit dem Tod alles aus ist oder dass nur der Leib in den Kosmos eingeht.

Jeder Theologe und jeder Exeget muss berücksichtigen, dass die Menschen seit jeher über den Tod und das ewige Leben nachgedacht haben. Und auch die Bibel selbst hat philosophische Modelle als Grundlage für ihre Bilder der Auferstehung – so etwa Paulus im Ersten Korintherbrief oder Lukas in seinem Evangelium. Wir müssen nicht unbedingt das Modell Platons als Grundlage nehmen, aber wir können als Theologen nicht an den Erkenntnissen der Philosophie vorbeigehen. Die Kunst besteht darin, die Verheißungen der Bibel mit den Bemühungen menschlichen Nachdenkens konstruktiv zu verbinden.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche Angst machende Texte – wie etwa die Sequenz »Dies irae, dies illa« – aus der Liturgie gestrichen. Man wollte die positive Botschaft von der Auferstehung verkünden und sie nicht durch düstere Texte verdunkeln. Doch auch hier hat man manchmal die menschliche Psyche übersprungen. Da ist einmal die Gefahr, die biblischen Bilder vom Gericht nicht ernst zu nehmen und zu »billig« vom ewigen Leben zu sprechen. Man versucht, die Schärfe und Eindeutigkeit der Botschaft Jesu zu umgehen. Die andere Gefahr besteht darin, dass wir als Christen eine einseitige Auferstehungstheologie betreiben, die die Trauer überspringt. Der Pfarrer einer Freikirche erzählte mir vom Tod eines Freundes. Er konnte damals nicht in die Lobpreislieder einstimmen, die seine Mitchristen glaubten, singen zu müssen, weil sie doch als Christen nicht trauern, sondern sich über die Auferstehung freuen sollten. Doch er spürte, dass dies zwar rational stimmen würde, psychologisch aber nicht. Wir können auch in unserem Glauben nicht die Trauer und all die dunklen Bilder überspringen, die der Tod mit sich bringt.

Der Neutestamentler Klaus Berger sagt von den liturgischen Texten, die das Geheimnis des Lebens nach dem Tod in Bildern zum Ausdruck bringen, dass sie »das Unvertraute beschreiben. Dies können sie nur mit vertrauten Grundpfeilern des Lebens. So wird das Unvertraute und schlechthin Neue so weit eingefangen, dass die Angst verschwindet« (Berger 21). Man könnte sagen: Die archetypischen Bilder, mit denen die Liturgie das Geheimnis des Todes und des Lebens nach dem Tod beschreibt, sprechen die unbewussten Ängste und Sehnsüchte der menschlichen Seele an und beruhigen die tief sitzende Angst im Menschen. Obwohl sie manchmal so hart klingen, sind sie im Letzten Hoffnungsbilder: Bilder, die nichts verdrängen, sondern die das Heil und die Hoffnung mitten in die Angst hinein sprechen. So möchte ich mich in diesem Buch zum einen auf das menschliche Nachdenken über den Tod verlassen, wie es Psychologie und Philosophie betreiben, zum anderen will ich bewusst die vielen Bilder nutzen, die uns Bibel und Liturgie anbieten, um aufzuzeigen, was uns im Tod erwartet und was wir als Christen erhoffen dürfen.

Bei all dem bin ich mir jedoch bewusst, dass ich in Bildern über etwas schreibe, was sich letztlich unserem Nachdenken entzieht. Und es gilt für das, was uns erwartet, das Wort des heiligen Paulus: »Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.« (1 Kor 2,9)

Bei all den Bildern und den Verheißungen, die uns die Bibel vor Augen hält, geht es mir immer auch darum, zu fragen, welche Erfahrungen dahinterstecken und wie diese Bilder unser Leben hier und jetzt prägen. Die Bilder, die wir uns von Tod und Ewigkeit machen, wollen nicht unsere Neugier befriedigen, sondern sollen uns helfen, intensiver und bewusster zu leben. Sie wollen uns dazu anleiten, mit der Todesangst, die zum Menschen offensichtlich von seinem Wesen her gehört, so umzugehen, dass sie uns letztlich nicht im Griff hat. Die Bilder der Bibel sind immer auch Bilder gegen unsere Angst, sie sind Bilder, die unsere Angst in Hoffnung und Gelassenheit verwandeln.

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Die Aussagen der Psychologie

Von der Psychologie her hat sich C. G. Jung im Jahre 1934 dem Aufsatz »Seele und Tod« mit der Frage des Lebens nach dem Tod auseinandergesetzt. Er berichtet dort von seiner Erfahrung, dass es oft die gleichen Menschen sind, die in der Jugend vor dem Leben Angst hatten und die nun im Alter Angst vor dem Sterben haben. Sie haben Angst vor der normalen Forderung des Lebens. Zur ersten Lebenshälfte gehört es, zu kämpfen und ein starkes Ich zu entwickeln. Aufgabe der zweiten Lebenshälfte ist es dagegen, sein Ich loszulassen und sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, indem wir uns in Gott hi-nein ergeben. Jung vergleicht das menschliche Leben mit einem Halbkreis. Am Anfang steigt der Kreis auf. Doch manche bleiben innerlich zurück, wenn sie noch zu sehr an ihrer Kindheit festhalten. In der Lebensmitte fängt der Halbkreis an zu sinken. Ab der Lebensmitte bleibt nur der lebendig, der im Tod ein Ziel sieht und der bereit ist, sich auf dieses Ziel zuzubewegen. »Von der Lebensmitte an bleibt nur der lebendig, der mit dem Leben sterben will.« (Jung, Seele 466) Doch viele wehren sich gegen die Notwendigkeit des Todes. Sie halten am Leben fest. Jung meint: Sie bleiben »als Erinnerungssalzsäulen stehen, die sich zwar noch lebhaft an ihre Jugendzeit zurückerinnern, aber kein lebendiges Verhältnis zur Gegenwart finden können« (ebd. 466).

So mahnt C. G. Jung den Menschen, sich mit seinem Tod auszusöhnen. Dabei möchte er nicht an den Glauben appellieren, dass der Tod eine zweite Geburt sei. Aber er erinnert an die allgemein verbreiteten Auffassungen der Religionen vom Tod: »Man kann sogar behaupten, dass die Mehrzahl dieser Religionen komplizierte Systeme der Vorbereitung auf den Tod sind.« (Ebd. 467) Religiöse Symbole würden nicht dem Kopf entstammen, sondern »aus dem Herzen, jedenfalls aus einer psychischen Tiefenschicht, die dem Bewusstsein, das immer nur Oberfläche ist, wenig ähnelt« (ebd. 468).

Jung will nicht beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Er weist aber darauf hin, dass es der allgemeinen Seele der Menschheit mehr entspräche, »wenn wir den Tod als die Sinnerfüllung des Lebens und als sein eigentliches Ziel betrachten anstatt als ein bloß sinnloses Aufhören. Wer also einer aufklärerischen Meinung in dieser Hinsicht huldigt, hat sich psychologisch isoliert und steht im Gegensatz zu seinem eigenen allgemein-menschlichen Wesen« (ebd. 469). Sich von seinen eigenen seelischen Grundtatsachen zu entfernen ist jedoch nach C. G. Jung Ursache aller Neurosen. Man würde so sein Denken verbiegen und die Verbindung mit der Tiefe seiner Seele verlieren. Jung beobachtet, dass sich die Seele auf den Tod vorbereitet. Das erkennt er vor allem an den Träumen, die in Symbolen das Herannahen des Todes anzeigen und die die Seele einladen, sich auf den Tod einzulassen und das, was verkehrt war, richtigzustellen.

Jung weiß, dass keiner etwas Definitives über den Tod und das Leben nach dem Tod aussagen kann. Aber er nimmt die Wahrheiten ernst, die ihm die Seele vor Augen führt. Er geht von telepathischen Phänomenen aus, die ihm zeigen, dass die Seele nicht an raumzeitliche Kategorien gebunden ist, sondern »dem angehöre, was unzulänglich und symbolisch als ›Ewigkeit‹ bezeichnet wird« (ebd. 474).

Ob die Wahrheiten der Seele »absolute Wahrheiten sind oder nicht, werden wir nie beweisen können« (ebd. 474). Aber wir wissen, dass der, der sich gegen die Einsichten seiner Seele wehrt, entwurzelt wird und seine Orientierung verliert. Er kann keinen Sinn mehr in seinem Leben erkennen. Und das führt letztlich zur neurotischen Rastlosigkeit. Jung schließt seinen Aufsatz mit den Worten: »Rastlosigkeit erzeugt Sinnlosigkeit, und Sinnlosigkeit des Lebens ist ein seelisches Leiden, das unsere Zeit noch nicht in seinem ganzen Umfang und in seiner ganzen Tragweite erfasst hat.« (Ebd. 474)

Im Alter hat sich C. G. Jung nochmals im Gespräch mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Aniela Jaffé über das Leben nach dem Tod geäußert. Er spricht von Gedanken und Bildern, die ihn sein Leben lang umgetrieben hätten, für die er aber keine letzten Beweise liefern könne. Daher könne er über das Leben nach dem Tod nur Geschichten erzählen. Er bezeichnet diese Haltung mit dem griechischen Wort »mythologein«. »Für den Verstand ist das ›mythologein‹ eine sterile Spekulation, für das Gemüt aber bedeutet es eine heilende Lebenstätigkeit; sie verleiht dem Dasein einen Glanz, welchen man nicht missen möchte. Es liegt auch kein zureichender Grund vor, warum man ihn missen sollte.« (Jung, Erinnerungen 303) Jung meint, dass der Mythos uns »hilfreiche und bereichernde Bilder des Lebens im Totenland« anböte. Man kann diese Bilder bezweifeln. Aber wer ihnen folgt, hat genauso recht wie der, der sie leugnet. »Während aber der Leugnende dem Nichts entgegengeht, folgt der dem Archetypus Verpflichtete den Spuren des Lebens bis zum Tode. Beide sind zwar im Ungewissen, der eine aber gegen seinen Instinkt, der andere mit ihm, was einen beträchtlichen Unterschied und Vorteil zugunsten des letzteren bedeutet.« (Ebd. 309)

C. G. Jung äußert sich nicht, wie er sich das Leben nach dem Tod konkret vorstellt. Einmal spricht er aber davon, dass der Tod eine Hochzeit sei. »Die Seele erreicht sozusagen die ihr fehlende Hälfte, sie erlangt Ganzheit.« (Ebd. 317) Das Denken über das, was uns im Tod erwartet, hat für Jung Auswirkungen auf unseren Umgang mit den Dingen. Wir würden uns dann nämlich nicht auf Erfolg oder Besitz fixieren, sondern für das Wesentliche offen bleiben: »Je mehr der Mensch auf falschem Besitz insistiert und je weniger das Wesentliche für ihn spürbar ist, desto unbefriedigender ist sein Leben. Er fühlt sich beschränkt, weil er beschränkte Absichten hat, und das schafft Neid und Eifersucht. Wenn man versteht und fühlt, dass man schon in diesem Leben an das Grenzenlose angeschlossen ist, ändern sich Wünsche und Einstellungen. Letzten Endes gilt man nur wegen des Wesentlichen, und wenn man das nicht hat, ist das Leben vertan.« (Ebd. 328)

Auch wenn ich nicht alle Anschauungen C. G. Jungs teile, die er bezüglich Tod und ewigem Leben hat, so zeigen mir seine Gedanken doch, dass tief in unserer Seele eine Ahnung von ewigem Leben ist. Von der Psychologie her können wir nicht sagen, wie wir uns den Tod und das Leben nach dem Tod vorstellen sollen. Aber die Psychologie ermutigt uns, den Ahnungen der eigenen Seele zu trauen. Die Seele weiß in ihrer Tiefe, dass mit dem Tod nicht alles aus ist und dass es noch eine andere Form des Lebens gibt, die nicht an die Kategorien von Raum und Zeit gebunden ist. Sie ahnt, dass es so etwas wie »Ewigkeit« gibt: ein Leben ganz im Augenblick, ein Leben, in dem die Grenzen zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen aufgehoben werden. Die Psychologie nimmt wahr, dass in vielen Menschen und Kulturen der Glaube und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod vorhanden sind.

Man kann nun sagen, dass dies eine Einbildung des Menschen sei, damit er hier auf Erden mit dem Leid zurechtkommt und trotz allen Scheiterns hoffnungsvoll zu leben vermag. Aber wir dürfen auch vertrauen, dass uns das allgemeine Wissen der menschlichen Seele nicht in die Irre führt. Auch wenn wir nichts Endgültiges über den Tod und das ewige Leben sagen können, so verweist uns doch das »Wissen« der menschlichen Seele auf die Hoffnung, dass wir im Tod nicht für immer erlöschen.

2

Die Einsichten der Philosophie

Seit jeher hat die Philosophie über den Tod nachgedacht. Der griechische Philosoph Platon versteht den Tod als Trennung von Leib und Seele. Die unsterbliche Seele, die im Leib nur unwillig wie in einem Gefängnis gewohnt hat, wird dann frei und kehrt zu Gott zurück.

Die christliche Theologie hat diesen Gedanken, dass die Seele sich im Tod vom Leib trenne, von Platon übernommen. Doch sie hat diese Trennung anders verstanden als Platon. Der Theologe Karl Rahner geht davon aus, dass die Seele als das geistige Lebensprinzip im Tod ein anderes Verhältnis zum Leib annimmt. Die Seele trennt sich von diesem konkreten Leib, aber sie gibt ihren Weltbezug nicht auf. Die Seele wird im Tod nicht »weltjenseitig«. Karl Rahner erklärt die Beziehung der Seele zum Grund der Welt so: »Im Tod gerät die menschliche Seele gerade in eine größere Nähe und innerliche Bezogenheit zu jenem schwer fasslichen, aber doch sehr realen Grund der Einheit der Welt, in dem alle Dinge der Welt schon von ihrer gegenseitigen Einwirkung untereinander kommunizieren.« (Rahner, Tod 922) Für Rahner bedeutet dies, dass die Seele durch ihren allkosmischen Weltbezug auch den Grund der nachfolgenden Menschen mitbestimmt.

Die psychologische Aussage, dass die Verstorbenen noch eine Wirkung auf die Nachgeborenen haben, wird so bestätigt. Leonardo Boff hat diese Einsicht Rahners aufgegriffen, wenn er schreibt: »Im Tod wird der Körper nicht mehr als Barriere empfunden, die uns von den Mitmenschen und von Gott trennt, sondern als radikaler Ausdruck unserer Gemeinschaft mit den Dingen und mit dem Kosmos insgesamt.« (Boff, 37)

Für Karl Rahner ist der Tod immer beides: Widerfahrnis von außen, Abbruch und Zerstörung, aber zugleich »personale Selbstvollendung«, »eine Tat des Menschen von innen«, in der er sich selbst zur Vollendung bringt. (Rahner, Tod 923) Dabei müssen wir zwischen dem Todesvorgang, den wir beobachten können und der oft im Koma oder plötzlich bei einem Unfall geschieht, und dem Augenblick, in dem der Mensch seine endgültige Freiheitstat vollzieht, unterscheiden. Dieser Augenblick ist für uns unsichtbar. Aber er geschieht – unabhängig von den konkreten äußeren Todesumständen. Der Augenblick, in dem sich – nach traditioneller Ansicht – die Seele vom Leib trennt, ist die einzige Freiheitstat, in der der Mensch völlig über sich verfügen kann. Er kann sich nun eindeutig und klar und in völliger Freiheit für oder gegen Gott entscheiden und dadurch sein Schicksal endgültig machen.

Diesen Ansatz Rahners hat Ladislaus Boros, ein ungarischer Jesuit, im Jahre 1962 in seinem Buch »Mysterium mortis« weiter entfaltet. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Onkel, P. Sturmius, mich damals auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat: Boros habe für ihn auf neue Weise von der Philosophie und von der Theologie her über das Geheimnis des Todes nachgedacht und so die kirchliche Lehre mit dem Licht der Vernunft erhellt.

Ladislaus Boros entfaltet seine Philosophie des Todes einmal von Martin Heidegger her, für den der Tod wesentlich in das Dasein des Menschen hineinragt. Der Tod ist für Heideg-ger in jedem Augenblick des Lebens anwesend. Der Tod ist »eine Grundbeschaffenheit des lebendigen Daseins«. So kann Boros formulieren: »Das Dasein definiert sich als Hineingehaltenheit in den Tod nicht nur, weil es dem Tod entgegengeht, sondern wesenhafter, weil die Situation des Todes sich in ihm ständig verwirklicht.« (Boros 20) Boros entfaltet durch die »transzendentale Methode« an menschlichen Grundvollzügen (Wollen, Erkennen, Wahrnehmung, Erinnerung und Liebe), wie all diese Grundvollzüge schon in sich auf den Tod verweisen und sich im Tod vollenden. Boros beschreibt, wie in jedem Akt des Wollens, des Erkennens, des Wahrnehmens und des Liebens der Tod schon anwesend ist und so – wie Heidegger sagt – der Tod ins Dasein immer schon hineinragt.

Ladislaus Boros entfaltet sein Verständnis des Todes jeweils, indem er die Ansätze verschiedener französischer Philosophen beschreibt. Ich möchte nur kurz auf die Analyse der Liebe bei Gabriel Marcel eingehen. Dieser beschreibt den Menschen in seiner Zerrissenheit. Erst die Liebe befähigt ihn zur inneren Sammlung und ermöglicht es ihm, ein Ich zu sein. »Die Eröffnung unseres Daseins auf eine andere Person hin schafft unser Sein.« (Boros 53) Unser Sein ist immer Mit-Sein. Und Sein verlangt Hingabe: »Um zu sein, muss man sich aufgeben.« (ebd. 54) Gefährdet wird die Liebe durch den Drang des Menschen, alles zu haben und zu besitzen. Es geht darum, das Haben in Sein zu verwandeln. In unserem Leben gibt es immer nur flüchtige Momente, in der wir das Haben aufgeben und uns ganz und gar der Liebe überlassen.