Arno Endler

AM ANFANG

 

AndroSF 44

 


Arno Endler

AM ANFANG

 

AndroSF 44

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Oktober 2014, Februar 2016

    Arno Endler &

    p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Christian Günther

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

 

ISBN der Printversion: 978 3 95765 017 7

 


Arno Endler

AM ANFANG

 


Vorwort

 

 

 

Am Anfang …

 

… stand ein Plan.

Der Kalender meldete das Jahr 2006 und ich bemerkte, wie sehr sich die Prioritäten in meinem Leben zu verschieben begannen. Ich suchte nach einem Ziel und besann mich auf das, was ich schon immer gerne getan hatte, aber was seit Jahren keine Rolle mehr spielte.

Ich wollte schreiben. Und so schnappte ich mir einen Zettel und schrieb zehn Punkte untereinander.

Punkt eins sollte die Vollendung eines Romanprojektes sein, welches ich im Alter von achtzehn Jahren begonnen hatte.

Punkt zwei sollte in der Veröffentlichung einer Kurzgeschichte bestehen.

Es folgten sieben weitere Schritte auf dem Weg zu Punkt zehn.

Dies sollte die Publikation eines Romans in einem großen Publikumsverlag sein.

Zugegeben ist mir das bislang nicht gelungen. Denn ich musste lernen, dass es gar nicht so einfach ist, Texte zu veröffentlichen.

Ich suchte und fand Hilfe. Und so ist die Liste der Menschen, bei denen ich mich bedanken muss, lang, und ich werde bestimmt einige vergessen. Dafür bitte ich um Entschuldigung.

 

Mein Dank geht an Ulli, Maike und Johanna, die mir die meisten Anfängerfehler ausgetrieben haben und ohne die ich niemals so viele Kurzgeschichten publiziert hätte. Die handwerklichen Fehler, die ich heute noch mache, gehen alleine auf meine Kappe.

An Ulli ein weiteres Dankeschön für all die Ermunterungen und Hinterntritte, die ich benötigte.

An Kathrin, Frank, Klaus und Olaf meinen Dank für zwei erhellende Seminare in Wolfenbüttel. Ohne eure Hinweise und Ratschläge wäre das c’t-Magazin nicht zu meiner Kurzgeschichtenheimat geworden.

An Herrn Behr für die Gelegenheit, mich einem größeren Publikum zu präsentieren, und dem Team dahinter für viele schöne Titelbilder.

An alle Lektoren in den unterschiedlichen Verlagen, die meine Texte verbesserten.

An alle Leser, die mir Meinungen, Lob und Kritik gespendet haben.

An Christian für ein kongeniales Cover. Ich bewundere deine Kreativität. Was für ein Vergnügen meine Ideen mit deinen Augen zu sehen.

Selbstverständlich geht mein Dank an Michael, der mir diese Anthologie erst ermöglicht hat. Deine Energie, derartig viel auf den Weg zu bringen, lässt mich sprachlos zurück.

 

Zuletzt und mir am wichtigsten der Dank an Kerstin, die mir nicht nur die Zeit gewährte, die ich für das Schreiben brauchte, sondern mich auch stets bestärkte und unterstützte. Die außerdem meine Gießkannen-Kommasetzung in eine erträgliche Form bringt.

Diese Kurzgeschichtensammlung ist für dich.

 

Allen Lesern wünsche ich entspannte Stunden mit meinen Texten.

Am Ende des Buches habe ich einige erläuternde Zeilen zu den einzelnen Storys beigefügt.

Auf Lob, Kritik und Meinungen zu dieser Sammlung freue ich mich. Eine Mail an kontakt@arnoendler.de wird von mir immer beantwortet.

 


Am Anfang

 

 

 

Am Anfang steht die Frage nach dem Glauben.

Glaubt ihr?

 

 

Erster Vorhang

 

Die leisen Geräusche der medizinischen Apparate, das regelmäßige Piepen und das gedimmte Licht der Deckenlampen versetzten Poul in eine Art Dämmerschlaf.

Zulange schon war er wach, wartete auf die Erlösung seines Vaters, dessen abgemagerter Körper in dem Krankenbett dahinvegetierte.

Das Zimmer war winzig, dominiert von dem Bett. Daneben stand der Sessel an die Wand gequetscht, den Poul als Sitzgelegenheit benutzte. Es gab kein Fenster, nur die Apparatur auf der anderen Seite, die Fredrik Fredrikson noch am Leben hielt, falls man dies als Leben bezeichnen wollte.

Dem Fußende des Bettes gegenüber klaffte das Loch der Tür zum Gang des Krankenhauses, an dem von Zeit zu Zeit Gestalten vorbei huschten.

Poul achtete schon gar nicht mehr darauf. Zusammengesunken saß er in dem bequemen Sessel und starrte auf den Brustkorb seines Vaters, der sich im Takt der Maschinen hob und senkte.

»Far, ach, Far«, murmelte Poul das schwedische Wort für Vater, mit dem er ihn in seiner Kindheit gerufen hatte.

Vor vier Tagen war Poul ein glücklicher Mann gewesen, dessen Leben nicht hätte besser verlaufen können. Er leitete eine erfolgreiche mittelgroße Firma, musste sich um die Auftragslage keine Sorgen machen und wusste so recht nicht, was er mit all dem Geld tun sollte, das er verdiente.

In seinem geräumigen Haus an der Westküste Dänemarks freute sich seine hübsche, zehn Jahre jüngere Frau, Selma, eine heißblütige Mexikanerin, jeden Abend auf ihn, wenn er Feierabend hatte. Mit ihr verbanden ihn nicht nur viele wunderbare Erinnerungen, sondern auch die gemeinsamen Töchter. Elli und Bella, Zwillinge, neun Jahre alt und wahre Wildfänge, die ihren Vater über alles liebten.

Dies war die Welt gewesen, bevor ihn die Ärzte kontaktiert hatten und ihm mitteilten, dass es mit seinem Vater zu Ende ginge.

Pouls Verhältnis zu ihm war in den letzten Jahren geprägt von gegenseitigem Respekt und einem großen räumlichen Abstand, der Streitigkeiten verhinderte.

Fredrik Fredrikson, Erfinder, Pionier, Milliardär, Kettenraucher, dreifach Wiederverheirateter, zweifacher Vater, schien am Ende seines Weges angelangt zu sein.

Poul versuchte sich an den kraftvollen Mann zu erinnern, doch die Hülle in dem Bett verdeckte alle Bilder aus vergangenen Tagen. Freder, wie ihn seine Freunde genannt hatten, weilte bereits nicht mehr unter den Lebenden. Aber die Totenwelt wartete immer noch auf seine Ankunft.

Der Vibrationsalarm seines Handgelenkpads erschreckte Poul. Er blickte auf die Anzeige. Zwei Anrufe in Abwesenheit. Selma verlangte nach Informationen.

»Hallo, Paul.«

Poul hob seinen Kopf und sah Fiona, die dritte und somit auch letzte Ehefrau seines Vaters, in der Tür stehen. Er verzichtete darauf, ihre falsche Aussprache seines Namens zu verbessern. Fiona würde es nie lernen.

»Fiona«, grüßte er zurück.

Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihre leuchtend rote, gelockte Mähne. Fiona war vor wenigen Tagen zweiunddreißig Jahre alt geworden und damit knapp zehn Jahre jünger als Poul.

»Wie geht es ihm?«, fragte sie.

»Unverändert.« Poul seufzte. »Wir warten eigentlich nur auf deine Freigabe. Dann können wir die Maschinen abschalten und ihn schlafen lassen.«

»Wir?«

»Dr. Wolfsohn und ich«, erklärte Poul.

Fiona schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Sie nestelte an ihrem Halsreif, als wenn er sie strangulieren würde.

Poul erkannte die neueste Generation der Bodysupports. Automatische Körperdiagnosesysteme, deren sichtbare Komponente der Halsreif war. Dieser beinhaltete die Recheneinheit, welche alle zehn Sekunden Körperscans veranlasste, die von Millionen Nanobots im Innern von Fionas Körper ausgeführt wurden.

Bei bestimmten Konstellationen aktivierten sich die Bots und emittierten Medikamente, entfernten oder tauschten ganze Zellkomplexe. Für den Fall einer schweren Erkrankung, die durch die Nanobots so nicht behebbar war, gab der Bodysupport Alarm und der Träger suchte einen Mediziner auf.

Ein narrensicheres System und natürlich immens teuer, doch Fiona verfügte über gewaltige finanzielle Ressourcen, welche noch größer werden würden, sobald ihr Mann gestorben war. Poul fragte sich, warum sie zögerte.

»Fiona?«

»Ja, Paul!« Die jüngere Frau antwortete gereizt. »Es ist nicht so einfach.«

»Was ist nicht einfach?«

»Er stirbt, wenn ich mein Einverständnis gebe.«

»Er ist schon tot.«

»Sag so etwas nicht«, flüsterte Fiona und Tränen stiegen ihr ins Auge, die sie hastig wegwischte. »Es wäre endgültig.«

Poul beobachtete Fiona. Empfand sie wirklich derart viel für seinen Vater? Liebte sie ihn? Poul war immer davon ausgegangen, dass sie es nur des Geldes wegen mit dem alten Zausel ausgehalten hatte.

»Er hat seinen Frieden verdient.« Poul wünschte, sein Bruder Kjell hätte ihn unterstützen können.

»Ich weiß, Paul. Ich weiß.« Fiona trat neben das Bett, griff nach der Hand des Sterbenden und streichelte sie. »Freder, ach, Freder!«

»Du möchtest bestimmt mit ihm alleine sein«, sagte Poul, erhob sich, ignorierte seine steife Muskulatur und verließ das Zimmer.

Niemand hielt sich im Gang auf. Poul humpelte einige Schritte in Richtung des Stationsempfangs, doch auch dort fand er nur einen verwaisten Stuhl hinter dem Tresen vor. Poul warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Kurz vor Mitternacht. Einige Meter weiter gab es ein Fenster. Poul wollte etwas anderes sehen, als die sterilen Wände des Medizinalzentrums, selbst wenn es draußen tiefe Nacht war.

Er wusste, dass er bei klarer Sicht Meilen hinaus auf den tosenden Atlantik hätte sehen können. Das Medizinalzentrum-West lag an der Algarve, hoch auf einigen Felsenformationen. Es war ein sehr angenehmer Ort zur Erholung, auch wenn auf der Palliativstation natürlich niemand mit einer Besserung rechnete.

Poul starrte in den wolkenlosen Himmel, sah die Sterne und fragte sich, ob einer von den funkelnden Punkten der Mars war. Auf dem Weg dorthin, fast schon da, reiste Kjell, sein jüngerer Bruder, der die Nachricht vom bevorstehenden Ableben seines Vaters mit grimmiger Genugtuung aufgenommen hatte. Poul nahm es Kjell nicht übel. »Gib ihm einen letzten Handschlag von mir, Bruder«, hatte Kjell ihm per Videomail mitgeteilt. »Wenn ich in zwei Jahren zurück bin, werde ich zusammen mit dir sein Grab besuchen. Versprochen!«

Poul bezweifelte es. Doch dies war jetzt nicht das Problem. Er aktivierte das Armbandpad und rief zu Hause an.

Selma nahm ab und sofort bildete sich ein kleines Holobild über dem Pad, welches die Schönheit seiner mexikanischen Frau nur unzureichend wiedergab.

»Schatz, hallo. Endlich meldest du dich. Ich vermisse dich und die Kinder auch. Wie geht es dir?«

»Es ist alles in Ordnung, aber Vater ist noch nicht gestorben. Also wird es noch eine Weile dauern.«

»Muss er sehr leiden?«

»Nein, Selma. Er merkt schon nichts mehr. Fiona ist auch da. Und es geht nur noch darum, wann die Geräte abgeschaltet werden. Ich werde mich melden, sobald ich erfahre, dass ich wieder nach Hause kommen kann.« Poul lächelte. »Was machen die Zwillinge?«

»Sie nehmen das Haus auseinander, Schatz. Wie immer, wenn du einige Tage nicht nach Hause kommst. Am liebsten würde ich sie mit Betäubungsgewehren jagen, obwohl ich weiß, dass sie viel zu schnell für mich wären.«

Poul lachte laut und verstummte sofort, weil der Hall seiner Stimme die Stille des Medizinalzentrums störte.

»Du wirst schon mit ihnen fertig werden. Küsse sie von mir. Ich vermisse euch alle.«

»Komm bald wieder, Schatz«, sagte Selma und warf Poul einige Luftküsse zu.

»Mache ich. Bis bald.« Poul beendete das Gespräch und aktivierte die nächste Nummer.

Diesmal dauerte es eine Weile, bevor das Pad mit einem Aufleuchten zeigte, dass die Verbindung zustande gekommen war.

»Ja?«, fragte eine leise weibliche Stimme.

»Hallo, Mor«, begrüßte Poul seine Mutter, die ihm nur per Audio zugeschaltet war.

»Poul? Was ist? Weißt du, wie spät es in Oslo ist? Wo bist du überhaupt?«

»Ach, Mor. Ich bin an der Algarve. Vater stirbt.«

Für einen Moment herrschte Stille.

»Hast du mich verstanden?«, hakte Poul nach.

»Ja. Natürlich. Fredrik ist auf dem Weg in die Unterwelt. Er ist alt, lille prins. Irgendwann geht jeder. Warum wolltest du es mir mitteilen?«

»Ich weiß nicht, Mor. Ich hatte das Gefühl, ich müsste es dir sagen. Es war eine blöde Idee. Entschuldige.«

»Poul?«

»Ja?«

»Dir geht es nicht gut, oder?«

»Nein, Mor.«

»Es macht dir zu schaffen?«

»Ja. Mehr als ich dachte. Wir hatten in den vergangenen Jahren vielleicht drei Sätze miteinander gesprochen und dennoch …« Poul starrte hinaus in die Dunkelheit des Himmels. »Es schmerzt, ihn so sehen zu müssen. Kjell fehlt mir. Er hätte mir den Kopf zurecht gerückt.«

»Da gibt es wirklich nichts, was zurechtgerückt werden müsste, lille prins. Du trauerst. Das ist in Ordnung. Daran würde auch Kjell nichts ändern.«

»Warum hast du immer noch keine Bi-Vid-Verbindung, Mor? Ich wünschte, ich könnte dir in die Augen schauen.«

»Das ist neumodischer Schnickschnack, Poul. Du weißt, wie ich dazu stehe. Was hältst du davon, wenn du auf dem Rückweg bei mir vorbeikommst und wir unterhalten uns ein wenig. Wie wäre das?«

»Ja, Mor. Ich glaube, das würde mir gut tun.«

»Dann ist es abgemacht. Melde dich, wenn du weißt, wann du ankommst.«

»Ja. Ich liebe dich, Mor.«

»Für immer bis in alle Ewigkeit, lille prins.« Die Stimme seiner Mutter klang unerträglich mütterlich. Poul unterbrach die Verbindung und starrte noch eine Weile in Gedanken versunken in den sternenklaren Nachthimmel.

Irgendwo dort oben schwebte Kjell, am Ende seines Weges. Poul beneidete ihn darum.

»Herr Fredrikson?«

»Ja?«

Dr. Wolfsohn hatte sich an Poul herangeschlichen. Der dunkelhäutige Mittfünfziger trug einen blauen Kittel und eine blauweiß gemusterte Haube auf dem ergrauten kurzen Haar. Er lächelte entschuldigend und sagte: »Wir haben die Unterschrift und ich würde die Lebenserhaltung beenden. Wenn Sie noch Abschied nehmen wollen?«

»Ich komme«, entgegnete Poul und folgte dem Arzt zum Zimmer seines Vaters.

Fiona stand neben dem Bett und weinte still. Sie hielt die linke Hand ihres Mannes.

Poul stellte sich auf die andere Seite des Bettes, streichelte die faltige Wange des Sterbenden und flüsterte: »Du hast es bald geschafft, Far.«

Dann nickte er dem Arzt zu, der Fiona fragend ansah.

Auch die junge Frau nickte, sagte aber keinen Ton mehr.

Dr. Wolfsohn sprach laut in den Raum: »Medizinalunit sieben drei fünf. Bitte abschalten!«

Aus einem verdeckten Lautsprecher ertönte eine androgyn modulierte Stimme, die KI des Medizinal-Zentrums: »Bitte wiederholen Sie den Befehl, Dr. Wolfsohn.«

»Dies ist Routine, eine reine Sicherheitsabfrage«, beeilte sich der Arzt zu erklären. Dann wiederholte er seinen Befehl: »Medizinalunit sieben drei fünf. Bitte abschalten!«

»Verstanden und ausgeführt.«

Das leise Hintergrundsummen verstummte. Nur das gleichmäßige Piepen, welches den Herzschlag anzeigte, echote durch den Raum, allerdings langsamer und unregelmäßiger.

»Was …?«, begann Fiona. Doch der Arzt unterbrach sie bereits: »Sein Herz schlägt selbstständig. Dies ist vollkommen normal. Geben Sie ihm seine Zeit. Es kann einige Minuten dauern. Ich bleibe so lange bei Ihnen.«

Poul starrte unverwandt auf das Gesicht seines Vaters. Fredrik Fredrikson kämpfte unterbewusst gegen den Tod an. Poul wischte die Tränen von seinen Wangen.

Dann endlich zeigte ein Dauerton an, dass auch das Herz nicht mehr schlug.

Dr. Wolfsohn fragte laut: »Sind noch Hirnaktivitäten messbar?«

»Negativ«, antwortete die KI.

Der Arzt blickte auf sein Armbandpad und sagte: »Zeitpunkt des Todes: 29.03.2028, null Uhr dreizehn.«

Poul hörte ein Schluchzen, das so gar nicht nach Fiona klang, bis er bemerkte, dass er es selbst war, der hemmungslos weinte. Er wich zurück bis an die Wand, fixierte einen Punkt an der Decke und atmete gegen jene unbändige Trauer an, die ihn befallen hatte. Endlich beruhigte er sich, schaute zu Fiona und dem Doktor. Beide beachteten ihn nicht, sondern starrten fassungslos auf das leere Bett.

»Was ist?«, fragte Poul. »Wo ist mein Vater?«

Dr. Wolfsohn klammerte sich an den Fußgriff des Bettes. »Er ist weg.«

»Wie weg?«

»Verschwunden, Herr Fredrikson. Vor unseren Augen.«

»Was?«

Fiona verdrehte die Augen und sank in sich zusammen. Der Arzt griff nach ihrem stürzenden Körper und legte sie sorgsam auf dem Boden ab.

Poul hatte nur Augen für das leere Bett. Er schlug das Laken beiseite und griff nach den medizinischen Anschlüssen, die seinen Vater eben noch mit den Geräten verbunden hatten. Sie alle lagen vollkommen unberührt da.

»Doktor!« Poul schrie es heraus: »Wo ist mein Vater?«

Der Arzt blickte nicht auf, sondern kümmerte sich weiter um die bewusstlose Fiona. »Er ist fort, Herr Fredrikson. Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht«, entgegnete er. »Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er plötzlich verschwand. Und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wohin er verschwunden sein soll.«

Poul rannte aus dem Zimmer, den Gang entlang zum Stationsempfang. Eine entrüstete ältere Dame sah ihn strafend an. »Hier wird nicht gerannt.«

Poul ignorierte den Tadel. »Wurde hier eine Leiche vorbeigetragen?«

»Wie bitte?«

»Eine Leiche! Mein Vater. Er ist aus dem Zimmer verschwunden. Haben Sie es gesehen? Wurde er weggebracht?«

»Niemand wurde weggebracht. Wer ist überhaupt Ihr Vater? Sie waren bestimmt im falschen Zimmer.«

»Nein, nein!«, wehrte Poul ab. »Ich war dabei, als er starb. Eben – vor gerade fünf Minuten. Und nun ist er weg. Wurde er bereits abtransportiert?«

Die Empfangsdame schüttelte den Kopf und meinte: »Ich sitze hier seit einer Viertelstunde und niemand ist an diesem Tresen vorbeigekommen. Sie wirken sehr aufgeregt. Soll ich Ihnen einen Arzt rufen?«

»Nein, nein!«, schrie Poul. In diesem Augenblick unterbrach ihn der Vibrationsalarm seines Pads. Er sah auf die Anzeige. Seine Mutter kontaktierte ihn.

»Mor!?«, rief er, als er den Anruf entgegennahm.

»Poul?«

»Ja, Mor.«

»Ist Freder schon tot?«

»Ja, Mor, aber …«

»Ist seine Leiche noch da?«

»Was?« Poul hörte zwar die Frage, aber langsam begann sich, die Welt um ihn herum zu drehen. Er musste sich setzen, lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen.

»Es war doch eine klare Frage, Poul. Ist die Leiche noch da?«

»Nein, Mor. Aber woher hast du gewusst …«

»Es ist in den Nachrichten, Poul. Schau es dir an, egal, welcher Kanal. Schau es dir an.«

Poul rappelte sich auf und fragte die Empfangsdame: »Haben Sie hier einen Bildschirm, auf dem ich Nachrichten sehen kann?«

»Hier.« Die ältere Dame deutete auf den Flachbildschirm unterhalb der Sichtlinie des Tresens.

Poul umrundete den Empfang und stellte sich neben die Frau. »Machen sie mal die Nachrichten an und stellen sie lauter.«

Sie tat es.

»… scheint das Phänomen ein weltweites Ereignis zu sein, sehr verehrte Zuschauer. Es klingt unglaublich, fast wie der Klappentext eines billigen Horrorromans. Aber seit Mitternacht Central Greenwich Time hat sich unsere Sicht der Wirklichkeit verändert. Seit Mitternacht ist die Welt nicht mehr dieselbe. Seit Mitternacht birgt der Tod für uns ein neues Geheimnis. Ein Mysterium. Denn seit Mitternacht verschwinden, dematerialisieren unsere Toten. Und niemand kann es verhindern. Es ist erschreckend und faszinierend zugleich. Ein Mystiker würde sagen, dass, wenn sich bislang nur die Seele vom Körper löste, es nun der Mensch als Ganzes ist, welcher nach seinem Tod unsere Realität verlässt. Was dies für Auswirkungen in religiöser Hinsicht haben wird, kann ich nicht beurteilen …«

Der Nachrichtensprecher reihte noch weiter unsinniges, unzusammenhängendes Geplapper aneinander, doch Poul hörte nicht mehr hin.

Er wusste nur eines. Sein Vater war für immer gegangen.

 

 

Zweiter Vorhang

 

Sie war beeindruckend schön, jene blaue Murmel mitten im lebensfeindlichen All. Generationen von Astronauten hatten diesen Anblick schon genossen.

Ein silbrigweißer Kegel glitt weit oberhalb einer messbaren Atmosphäre in einer stabilen Erd-Umlaufbahn dahin. An der Außenseite wimmelte es nur so von Antennen und anderen Messinstrumenten. Der Orbiter, eine Entwicklung der europäischen Vereinigung für Raumtechnik, hatte die Möglichkeiten der Weltraumforschung revolutioniert. Seit dem ersten Einsatz vor drei Jahren benutzten ihn die Wissenschaftler der internationalen Forschungsstation für die mobile Erkundung des Orbits. Vier dieser ultraleichten Einmannorbiter standen den Astronauten auf der Raumstation zur Verfügung, gesteuert von einer KI der neuesten Generation.

»Wie weit sind wir, Allie?«, fragte Inga.

Die KI des Orbiters antwortete umgehend: »Noch zwanzig Minuten, Inga. Wir sind im letzten Umlauf.«

»Danke, Allie.« Inga löste den Gurt und entschwebte dem einzigen Sitz des Orbiters, der sie von der Station aus in Richtung der Nordpolarposition transportierte. Die dreißigjährige Blondine mit den vier Doktorgraden musste sich um die Steuerung des Raumfahrzeuges nicht kümmern, dafür gab es die KI. Daher konzentrierte sich die Wissenschaftlerin auf die Anzeigen, der fünf verschiedenen Bildschirme. Sie runzelte die Stirn und betätigte eine Taste.

»Basis?«

»Kommen, Orbiter«, meldete sich Karl von der IFS.

»Die Messungen ergeben eine deutliche Verstärkung«, verkündete Inga.

»Das haben wir doch erwartet. Du näherst dich einer der Quellen des energetischen Feldes. Nach unseren Berechnungen solltest du bald da sein.«

»Korrekt«, unterbrach Allie. »Ich beginne mit dem Bremsschub. Vorsicht, Inga.«

»Ich bin bereit. Du kannst bremsen.«

Inga spürte leichte Vibrationen und dann einen leichten Zug in Richtung der Bildschirme, doch sie hatte längst einen Haltegriff benutzt und hielt ihre Position.

»Gibt es schon einen Sichtkontakt?«, fragte Karl, dessen Stimme gepresst klang. Seine sonst so entspannte Art mit Stress umzugehen, gehörte, seit dem Auftreten des energetischen Feldes, der Vergangenheit an. Alle Welt verlangte von dem Leiter der IFS Ergebnisse und Karl wollte sie liefern.

»Ich schalte die Außenkameras zu, gleich siehst du, was ich sehe, Karl«, bemühte sich Inga, ihn zu beruhigen.

»Gut.«

Der Orbiter bezog eine geostationäre Position. Inga spürte, wie die leichten Schwerkrafteinflüsse des Bremsmanövers endeten und sie wieder schwebte. Ein kurzer Moment der Übelkeit, dann sagte sie: »Allie. Wirf die Kameras an. Schauen wir mal, was es dort gibt.«

»Sofort«, verkündete die KI und auf drei Bildschirmen leuchteten Bilder auf.

»Sehr gut. Welcher Ausschnitt zeigt auf das Zentrum des Energiepeaks?«, fragte Inga.

Die Monitore wechselten nun alle auf das gleiche Bild.

»Mhm, Allie? Siehst du etwas?«

»Nicht aus dieser Entfernung, Inga«, entgegnete die KI.

»Vielleicht solltet ihr näher ran?«, schlug Karl vor.

»Wir sind auf absolutem Mindestabstand, der vom Protokoll für unerklärliche energetische Felder vorgeschrieben ist, Karl. Das weißt du genauso wie ich. Also, solange du deinen Kopf nicht in den brennenden Ofen stecken musst, würde ich dich bitten, akzeptable Vorschläge zu unterbreiten«, sagte Inga.

Karl schwieg.

»Vergrößere mal den Abschnitt um den Faktor zehn, Allie!«

Das Bild zeigte nichts außer dem schwarzen All und dem sanften Halbrund der Erdatmosphäre, die noch sichtbar war.

»Okay. Maximale Vergrößerung und zeig mir jedes Bild fünf Sekunden beginnend mit Planquadrat A-eins bis F-sechs. Beginne, Allie!«, befahl Inga.

Wieder wechselte das Bild, diesmal blieb es vollkommen schwarz, bis auf einige Sterne im Hintergrund. Alle fünf Sekunden ertönte ein akustisches Signal, welches den Wechsel anzeigte. Und dennoch schien es keine Veränderung zu geben. Planquadrat für Planquadrat zeigte es nichts als den lebensfeindlichen Raum.

»Mhm. Allie?«

»Ja, Inga?«

»Noch einmal dieselbe Prozedur. Beginne mit dem nächsten Durchlauf. Dann vergleiche bitte Bild für Bild und suche nach Unterschieden.«

Wieder tönten die Signale, aber für Ingas Augen tat sich gar nichts. Sechsunddreißig Bilder flimmerten über den Bildschirm, dann meldete Allie: »Eine Abweichung. C-vier.«

»Oh! Zeig es mir!«

Ein Monitor erlosch und auf den zwei nebeneinanderliegenden Bildschirmen sah Inga jeweils schwarze Flächen, ohne dass sie einen Unterschied feststellen konnte. »Markiere mir bitte den Unterschied!«

Ein kleiner Kreis kennzeichnete nun in beiden Displays eine Stelle in der rechten oberen Ecke.

»Vergrößere bitte die Ausschnitte.«

Im nächsten Moment sah Inga es. »Dort fehlt ein Stern. Etwas muss ihn verdecken, nicht wahr?«

»Ich bin nicht zu Vermutungen fähig, Inga. Aber dies ist der einzige Unterschied in den Anzeigen.«

»Karl?«, fragte Inga laut.

»Ja, Orbiter?«

»Die optischen Möglichkeiten aus dieser Entfernung sind ausgeschöpft. Ich muss näher ran, Karl.«

»Aber, das hatte ich doch eben …« Der Leiter der IFS verstummte. Dann sagte er: »Sei vorsichtig.«

»Alles klar, Basis. – Allie? Bring uns ran. Planquadrat C-vier. Vorsichtig.«

»Alle Messinstrumente sind bereit, Inga. Ich gebe Minimalschub.«

Für die junge Frau veränderte sich die Aussicht nur unmerklich. Mit zwei Metern pro Sekunde näherte sich der Orbiter dem Zentrum des energetischen Feldes.

»Zweihundert Meter«, meldete Allie. »Das Feld erreichte vor drei Sekunden die maximale Energie. Seitdem ist der Level gleich geblieben.«

Inga starrte weiter auf den Bildschirm.

»Einhundert Meter.«

Keine Veränderung.

»Fünfzig Meter.«

»Langsamer, Allie.«

»Vierzig Meter.«

»Ich glaube, ich sehe etwas«, murmelte Inga, deren Augen zu tränen begannen.

»Zwanzig Meter.«

»Noch langsamer, bitte. Da ist etwas.«

»Inga?«, meldete sich Karl. »Spann uns nicht auf die Folter. Unsere Bilder sind weniger detailliert. Also, was siehst du, was wir nicht sehen können?«

»Zehn Meter.«

»Stopp, Allie!«

Ein kurzer Verzögerungsmoment löste einen Schwindelanfall bei Inga aus.

»Seht ihr es auch, Karl?«, fragte die junge Frau.

»Was? Nein! Verdammt, was hast du gefunden?«

»Dort schwebt etwas, ein Quader. Allie kannst du ihn vermessen?«

»Ich habe es bereits mit Radar und Radiowellen versucht, Inga, aber der Quader entzieht sich herkömmlichen Messmethoden.«

»Dann fahr mal bitte den Greifer aus, die Griffschere auf zehn Zentimeter Abstand. So sollten wir einen Vergleich haben.«

»Sofort, Inga.«

Nach wenigen Sekunden tauchte auf dem Bildschirm der silbergraue Außengreifarm des Orbiters auf, der sich langsam dem matt-schwarzen Quader näherte, welcher bewegungslos im All schwebte.

»Nicht berühren, Allie. Vorsichtig, bitte.«

Inga betrachtete angespannt, wie die KI den Greifarm bis auf wenige Zentimeter an das Objekt heran bewegte. Endlich wurden die Proportionen deutlich.

»Der Quader hat eine Seitenlänge von rund zwanzig Zentimetern. Die Tiefe beträgt knapp unter zehn und die Breite etwas über zehn Zentimeter. Ich erhalte immer noch keine genauen Messungen. Das Objekt entzieht sich den üblichen Scans. Ich messe keinerlei Werte im Infrarotbereich, keine Strahlungsanzeige, und das Material lässt sich nicht bestimmen«, meldete Allie.

»Nun gut. Karl?«

»Kommen, Orbiter.«

»Ich werde das Objekt mit dem Greifarm packen, wenn ihr einverstanden seid.«

Es dauerte einige Zeit, bis sich der Leiter der IFS wieder meldete. »Du hast unser Placet.«

»Danke.« Inga rieb sich nervös den Nacken und befahl dann der KI: »Pack es, Allie!«

 

 

Interludium

 

Er trat hinaus in das Mondlicht, blickte hinauf zu den Sternen und freute sich über den Ruf des Uhus in der Nähe. Sanft sangen die Baumwipfel ihr natürliches Schlaflied, doch der Mann fand keinen Schlaf.

Fahrig zuckten seine Hände. Er faltete sie, als wenn er beten wollte, aber das Zittern beendete er damit nicht.

»Scheiße«, murmelte er, betrachtete den funkelnden Sternenhimmel, der seine Unschuld verloren hatte.

»Warum gerade ich?« Er setzte sich auf den selbst gezimmerten Schaukelstuhl vor seinem Haus, schloss die Augen und seufzte. Selbstmitleid lag ihm doch eigentlich fern, dachte er.

Die beiden Männer des Sicherheitsdienstes hatten ihm ihre Ausweise gezeigt und gesagt: »Sie sind reaktiviert, Magnus. Es war gut, dass Sie uns informierten. Ihr Fund ist außergewöhnlich.«

Magnus schwieg.

»Die Zentrale ist in heller Aufregung und stellt ein Team für die Untersuchung zusammen. Es wird circa einen Monat brauchen. Bis dahin werden wir jedes Aufsehen vermeiden. Also bleibt es in Ihrer Obhut.«

Dann hatten sie die Sicherheit seines Kellers überprüft.

»Achten Sie darauf, Magnus. Finden Sie heraus, was es von uns will und erstatten Sie Bericht. Wir melden uns nur, wenn der Zeitpunkt für den Abtransport gekommen ist.«

Sie reichten ihm ein Armbandpad. »Gesicherte Kommunikation, Sie verstehen?«

Er nickte. »Die Signalstärke hier ist zu niedrig«, sagte er.

»Hier.« Der eine Mann in Blau übergab ihm einen kleinen Würfel aus silbrigem Material. »Der Verstärker.«

Magnus nahm ihn und wusste, dass es kein Zurück gab.

Der E-Jeep mit den beiden Männern holperte den selten genutzten Waldweg in Richtung Zivilisation. Magnus hatte hinterhergestarrt und ausgespuckt. Er fühlte sich mit seinen siebzig Jahren zu alt für die Reaktivierung. Im Übrigen dachte er, dass er seinen alten Kumpel Freder gebrauchen konnte. Gemeinsam hatten sie jedes Rätsel gelöst.

Er blickte auf das Pad, die Verbindung in die restliche Welt.

Der Uhu schrie.

Magnus wartete. Er war noch nicht bereit.

 

 

Dritter Vorhang

 

Der Name der Mission sagte deutlich aus, welche Aufmerksamkeit den Astronauten geschenkt werden würde.

Martian Exploration Four. ME4. Die Vierte in der Reihe. Vorbei die Zeiten, zu denen zweiundneunzig Prozent der Weltbevölkerung den Füßen Commander Pratchlas zusahen, wie sie sich in den Marsstaub bohrten. Vorbei die Zeiten der Kerzen in den Kirchen. ME2 war zurückgekehrt und alle hatten überlebt.

Nun gab es nur noch monatliche Bulletins der ESA über die Fortschritte des Teams von permanenten Marsbewohnern, die die Möglichkeiten einer dauerhaften Kolonisation prüfen sollten. ME3 und ME4 waren da nur Randerscheinungen. Eine Versorgungsmission, bessere Lkw-Fahrer mit wichtiger Ladung.

Kjell genoss den Ausblick aus der Heckluke der ARES 8. Das Landeshuttle hatte längst abgelegt und er war der einzig Verbliebene an Bord.

»Findest du es nicht schade, dass du ihn zwar sehen wirst, aber nicht betrittst?«, hatte ihn einer der Psychologen gefragt.

Die Frage machte deutlich, wie sehr sie ihn falsch einschätzten. Kjell hatte nur gelächelt.

Dieses Lächeln beherrschte nun auch sein Gesicht. Er sah hinunter zum Mars, die orangegelbe bis rostrote Fläche, nur unterbrochen von tiefen Gräben und schroffen Bergen, sturmgegerbt und gefährlich.

Es war der zwölfte Umlauf im Marsorbit. Kjell freute sich auf ihn, da er erstmals die Gelegenheit haben würde, den Olympus Mons zu sehen.

Er glitt durch die engen Schleusen des Orbiters und erfreute sich dabei an der Schwerelosigkeit. Entgegen der Empfehlung seines Ausbilders, keine unnötigen Bewegungen im freien Fall zu machen, drehte Kjell sich um seine eigene Achse und jauchzte leise.

»Ist alles in Ordnung?«, erklang die Stimme der Schiffs-KI aus einem der versteckten Lautsprecher.

»Ja, Aria«, antwortete Kjell. »Ich fühle mich nur wohl.«

»Das ist schön.«

»Finde ich auch. Gibt es irgendwelche Nachrichten, die ich beantworten muss?«

»Nein, Kjell. Die Station liegt im Funklee auf der anderen Seite des Mars. Eine Übertragung von der Erde erwarte ich erst Morgen wieder. Du hast frei!«

»Haha! Lustig ist Astronauten-le-eeben, faria, faria hoh!«, sang Kjell und glitt, ohne anzuecken, durch den engen Durchgang in den Kommandostand. Er griff nach der Stuhllehne des Kommandanten, drückte sich in den Sitz und schnallte sich fest.

»Sind die Kameras bereit, Aria?«

»Jawohl.«

»Gut. Wir haben nur den einen Durchgang und ich möchte doch hoffen, dass wir anständige Aufnahmen vom höchsten Berg machen können.«

»Der Olympus Mons wurde bereits von ME2 ausreichend dokumentiert«, sagte die KI.

»Vielleicht, aber ich möchte eigene Fotos.«

»Alle Bildnachweise sind im Besitz der ESA und der kooperierenden Firmen, Kjell.«

»Ach, nun sei nicht so ernst, meine Hübsche. Ist doch nur ein Spaß. Es war mein Kindheitstraum. Es gab diesen Film, ich sah ihn mit meinem Bruder und es war um mich geschehen. Vielleicht kennst du den Film. Er heißt …«

»Der Berg kommt in Sichtweite«, unterbrach ihn Aria.

»Gut. Dann lass die Kameras laufen. Ich will Bilder in allen Auflösungen, klar?«

»Die Außenkameras laufen.«

»Zeig mir bitte die Echtfarbenaufnahme auf dem Kommandantenscreen.«

Ein Zwanzigzollbildschirm direkt vor Kjell erwachte zum Leben. Die Marsoberfläche zog dabei am oberen Rand der Anzeige majestätisch langsam vorbei.

»Einmal um hundertachtzig Grad drehen, bitte.«

Schon wechselte die Darstellung und Kjell sah den Mars nun am unteren Rand, darüber das All. Olympus Mons ragte so in die Höhe, statt wie ein Stalaktit von der Decke zu hängen.