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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2019

 

© 2019 by Jessica Martin

 

Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

 

ISBN-13: 978-3-95823-777-3

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Klappentext:

 

Als Boris eines Tages ein sehr eindeutiges Foto seines besten Freunds Ian in einem BDSM-Forum findet, ist er mehr als überrascht. Boris lebt seine dominante Seite schon viele Jahre aus, während Ian ganz offensichtlich ein Neuling als Sub ist – und sich damit in gefährliche Situationen bringt, wie das unfreiwillig entstandene Foto beweist. Boris ist nur allzu gerne bereit, Ian auf seinen ersten Schritten in diese neue Welt zu begleiten, doch mehr kann daraus nicht werden. Denn so sehr Boris ihn als besten Freund auch liebt, er ist im Gegensatz zu Ian nicht schwul. Schon die ersten gemeinsamen Spiele berühren beide Männer jedoch auf ungeahnte Weise und plötzlich müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie aus ihrer Freundschaft mehr werden kann...


 

 

Kapitel 1

 

Boris

 

Heilige Scheiße, das durfte nicht wahr sein. Völlig perplex starrte Boris auf den Laptopbildschirm. Das konnte einfach nicht sein. Er klickte das Bild an, vergrößerte es und schob den Bildausschnitt so lange hin und her, bis er sich sicher war, dass er tatsächlich seinen besten Freund vor sich hatte.

»Scheiße«, flüsterte er und griff nach seinem Handy, hielt dann jedoch inne und starrte noch mal auf das Foto. Nur, um sicherzugehen.

Aber es war wirklich Ian, der dort mit verbundenen Augen in irgendeinem Schlafzimmer auf dem Teppich kniete. Die Narbe von seiner Blinddarm-OP vor fünf Jahren war deutlich zu erkennen, genau wie das wellenförmige Muttermal auf seinem linken Oberschenkel. Zwar verdeckte die zu breite Augenbinde sein halbes Gesicht, aber der Schwung der Kinnpartie war Boris vertraut. Auch die kurzen, blonden Haare und vollen Lippen waren ganz eindeutig Ians. Scheiße.

Boris' Herz klopfte noch immer wie wild, denn er war völlig unerwartet über das Bild gestolpert. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sein bester Freund in diesem Forum aktiv war, geschweige denn sich ebenfalls für BDSM interessierte. Dass er ein Sub war, passte allerdings zu Ian, denn er war schon immer eher der Mitläufer gewesen und hatte Boris die Führung überlassen.

Nur hätte Boris nie gedacht, dass Ian im Bett darauf stand, wenn sein Sexpartner den Ton angab. Andererseits hatte er sich auch nie Gedanken darüber gemacht, was seinen besten Freund anmachte, geschweige denn wie hart oder zart er es im Bett mochte.

Je länger Boris darüber nachdachte, desto seltsamer kam ihm die Sache vor. Wusste Ian überhaupt, dass das Foto im Netz gelandet war? Hatte er dem zugestimmt? War er mit dem Foto an sich eigentlich einverstanden gewesen? Die nicht unbedingt schmeichelhafte Bildunterschrift ließ Boris daran zweifeln. Er warf einen Blick auf den Thread-Ersteller, der Nickname sagte ihm jedoch nichts.

Unschlüssig blickte er auf das Handy in seiner Hand und wägte seine Optionen ab.

Es stand außer Frage, dass er Ian darauf ansprechen musste, aber gleichzeitig bedeutete das, sich selbst zu offenbaren. Bisher hatte er diesen Teil seiner Persönlichkeit vor seinem besten Freund geheim gehalten. Es behagte ihm nicht, dass Ian davon erfahren würde, aber gleichzeitig wusste er nicht, wie er sonst erklären sollte, das Bild gefunden zu haben. Nur registrierte Nutzer konnten auf das Forum zugreifen. Zwar war jeder willkommen, egal, für welches Geschlecht sein oder ihr Herz schlug und welche Sexpraktiken ihn oder sie anmachten, aber Ian würde Boris nie im Leben abnehmen, dass er sich einfach zum Spaß dort angemeldet hätte. Außerdem wollte Boris ihn auch nicht anlügen.

Seufzend blickte er wieder auf das Bild, doch es half alles nichts. Er musste es Ian sagen und ihm, wenn nötig, helfen, das Foto aus dem Netz löschen zu lassen. Vermutlich würden sie anschließend ein Gespräch über ihre sexuellen Vorlieben führen müssen, das jedoch mit Sicherheit deutlich unangenehmer werden würde als das letzte.

Es war mittlerweile sechzehn Jahre her, seit Ian sich Boris gegenüber als schwul geoutet hatte. Damals war er mitten beim Zocken auf der Spielekonsole damit herausgeplatzt und hatte Boris um den verdienten Sieg beim Autorennen gebracht, aber mehr als ein kurzer Schockmoment war es für ihn nicht gewesen.

Ian und er waren seit dem Kindergarten die besten Freunde. Sie waren auf die gleichen Schulen gegangen, hatten beide an der gleichen Uni BWL studiert und wohnten nur ein paar Straßen voneinander entfernt. Ihre Familien waren miteinander befreundet, sie hatten den gleichen Freundeskreis, sahen sich in so ziemlich jeder freien Minute und selbst ihre Urlaube verbrachten sie zusammen. Sie waren beide Single, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Während Boris gelegentliche One-Night-Stands der einengenden Monotonie einer Beziehung vorzog, wusste er, dass Ian sich nach einem festen Partner sehnte. Seine Schüchternheit und die völlig bescheuerten Komplexe, was sein Äußeres betraf, erschwerten Ian die Suche nach einem Partner jedoch.

Boris wusste, wie intolerant die Schwulenszene Menschen gegenüber sein konnte, die keine Idealmaße hatten. Er hasste dieses oberflächliche Verhalten und ermutigte seinen besten Freund immer wieder, mit ihren gemeinsamen, schwulen Freunden auszugehen, während er selbst in Heteroclubs unterwegs war. Hin und wieder ging er mit in einen Schwulenclub, aber dort langweilte er sich meist genauso wie Ian, der weder tanzen noch irgendwelche Typen ansprechen wollte.

Offenbar hatte Ian schließlich doch mal ein Date gehabt, von dem er Boris nichts erzählt hatte. Das war an sich kein Problem, allerdings störte es Boris sehr wohl, dass sein bester Freund so unvorsichtig gewesen und nun ein kompromittierendes Foto von ihm im Netz zu finden war.

Entschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen, fuhr er den Laptop runter, schob ihn in seine Messenger-Tasche und machte sich auf den Weg zu Ian.


 

Kapitel 2

 

Ian

 

Er hatte es sich gerade mit einem Glas Wein und einer Reiswaffel auf der Couch gemütlich gemacht, als es an der Tür klingelte. Es war schon nach neun an einem Dienstagabend, daher blickte er irritiert von seinem Buch auf. Erneut klingelte es und diesmal schien der Störenfried den Finger auf dem Knopf geparkt zu haben. Genervt warf Ian die Decke zur Seite und eilte in den Flur.

»Ja?«, brüllte er in den Hörer der Gegensprechanlage.

Das Klingeln verstummte. »Ich bin's.«

Als er die Stimme seines besten Freundes hörte, drückte er auf den Türöffner und zog die Wohnungstür auf.

»Hey, waren wir verabredet?«, fragte er Boris überrascht, als dieser die Treppe heraufkam.

»Nein.«

»Ist was passiert?« Irritiert über den ernsten Gesichtsausdruck und die fehlende Begrüßung trat Ian beiseite und gab so den Weg in seine Wohnung frei. »Boris?«

Der stieg gerade aus seinen Sneakers und deutete Richtung Wohnzimmer. »Wir müssen über etwas reden.«

»O-okay.« Mit einem mulmigen Gefühl folgte Ian ihm zum Tisch. »Willst du was trinken?«

»Nein, danke.« Boris saß bereits im Sessel und hatte seinen Laptop herausgeholt, den er auf den Tisch stellte und einschaltete.

Boris' ernste Miene war immer noch irritierend, aber es lag auch Entschlossenheit darin. Nervös setzte Ian sich aufs Sofa. »Na gut. Dann schieß mal los. Was gibt es denn so Dringendes?«

Boris antwortete nicht, tippte offenbar ein Passwort ein und sah dann auf. Sein Blick wirkte durchdringend und machte Ian noch nervöser.

Doch plötzlich wurde sein Ausdruck milder und er lächelte beinahe. Aber nur beinahe, daher ahnte Ian schon, dass ihm das folgende Gespräch nicht gefallen würde.

»Ich könnte eine Weile um den heißen Brei herumreden und dir unangenehme Fragen zu deinem letzten Date stellen, die du nicht beantworten willst, daher mache ich es kurz: Ich habe ein Foto von dir im Internet gefunden und wir müssen darüber reden.«

Perplex blinzelte Ian. »Woher weißt du, dass ich ein Date hatte?« Unweigerlich schoss ihm Hitze in die Wangen und er konnte Boris' Blick nicht mehr standhalten, sondern konzentrierte sich stattdessen auf den schwarzen Fernsehbildschirm.

»Durch das Foto«, antwortete Boris sanft und Ian sah zu ihm zurück.

»Was für ein Foto?« Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Oliver ihn fotografiert hatte. Wenn er genauer darüber nachdachte, war es sowieso eher unwahrscheinlich, dass Boris wusste, mit wem er sich getroffen hatte und vor allem, wofür, schließlich hatte er sich über ein geschlossenes Forum mit dem Dom verabredet. Ganz bestimmt verwechselte Boris ihn mit irgendjemandem und es war nur Zufall, dass er das Date angesprochen hatte.

Ians Blick fiel auf den Laptop, der mittlerweile hochgefahren war und den Boris kommentarlos zu ihm herumdrehte. Er schnappte nach Luft. Sein Magen zog sich zusammen und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Oh, Scheiße.

»Wie? Wieso? Wo hast du das gefunden?«, brachte er stotternd hervor, während ihm kalter Schweiß ausbrach und er auf die furchtbar unvorteilhafte Nacktaufnahme von sich starrte. Wie in Trance sah er sich den Rest der Internetseite an und nun wurde ihm beinahe schwindelig. »Woher weißt du davon?«

Boris seufzte und stützte die Unterarme auf den Knien ab. »Ich habe das Bild zufällig gefunden, als ich mich vorhin eingeloggt und die neuen Threads durchgeguckt habe.«

Ian verstand nur Bahnhof. »Wieso hast du dich da eingeloggt?«

»Um zu sehen, ob jemand online ist, der am Wochenende Lust auf ein Spiel hat.«

»Was?!« Ian spürte, wie seine Augen immer größer wurden und seine Kinnlade herunterklappte.

Boris schüttelte seufzend den Kopf. »Ehrlich, Ian, wie konntest du so unvorsichtig sein und dich von einem wildfremden Typen fotografieren lassen?«

Ian blinzelte. »Ich wusste das nicht«, brachte er hervor und sah wieder zum Bildschirm zurück. »Das hätte ich nie erlaubt. Guck dir das Bild doch mal an. Ich sehe furchtbar aus.« Oh Gott, was redete er da? »Nein, guck es dir nicht an.«

»Ich habe es mir schon angesehen. Ich musste ja sichergehen, dass du es wirklich bist.«

Zutiefst beschämt vergrub Ian das Gesicht in seinen Händen. Das Polster senkte sich neben ihm und ein warmer, starker Arm legte sich um seine Schultern, bevor er an Boris' Brust gezogen wurde.

»Wir sollten diesen Oli1985 melden.«

Ian nickte sofort, schaffte es aber einfach nicht, den Kopf zu heben. Das war allerdings auch nicht nötig. Noch immer den Arm um ihn gelegt, beugte sich Boris vor und Ian hörte ihn tippen.

»Ich weiß nicht, ob die Admins das Foto löschen können, aber selbst wenn, hat er die Datei ja noch auf seinem Computer oder Handy, daher sollten wir sicherheitshalber einen Anwalt einschalten.«

Ian seufzte, während er Halt bei seinem besten Freund suchte. »Okay. Aber ich kenne nur seinen Vornamen.«

Boris atmete tief durch. »Weiß er persönliche Sachen von dir? Wo du wohnst oder arbeitest? Ihr habt euch nicht hier getroffen, das konnte ich erkennen, aber hat er dich vielleicht nach Hause gebracht?«

»Nein, ich hab mich nur als Ian vorgestellt. Wir haben uns in einem Hotel getroffen und ich bin hinterher allein nach Hause gegangen. Er hat noch geschlafen.«

»Okay. Hat er noch irgendwas gemacht, was du nicht wolltest?«

»Nein«, sagte Ian leise und löste sich von Boris, denn die ganze Situation war ihm immer noch mehr als peinlich. Er atmete tief durch und sah auf. Boris strahlte eine erstaunliche Ruhe aus und Ian konnte die Entschlossenheit spüren, mit der Boris versuchte, der Lage Herr zu werden. Sein Blick glitt über das ernste und gleichzeitig verständnisvolle Gesicht seines besten Freundes und plötzlich war es, als würde er ihn zum allerersten Mal sehen.

»Du bist ein Dom«, flüsterte er perplex, woraufhin Boris nickte.

»Bin ich. Und wir beide müssen uns mal ernsthaft darüber unterhalten, welche Sicherheitsregeln beim Spielen mit Fremden gelten. Ich will nicht noch mal erleben, dass du dich heimlich mit irgendwem verabredest, ohne dass ich weiß, wo du bist.«

»Wie bitte?«

»Das ist mein Ernst. Bei diesem Forum kann sich jeder anmelden, ob er nun tatsächlich an Spielpartnern interessiert ist oder nur ein leichtes Opfer für seine perversen Fantasien sucht.«

Blinzelnd schüttelte Ian den Kopf. »Du willst, dass ich dir Bescheid sage, wann ich mich mit jemandem zum Sex verabrede?«, fragte er und war kurz davor, laut loszulachen, denn das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Boris war schließlich nicht sein Aufpasser.

Sein bester Freund nickte jedoch. »Richtig. Ich will wissen, wo du bist und wir werden ausmachen, dass du mich zu bestimmten Zeiten anrufst, zumindest, wenn du zum ersten Mal mit jemandem spielst.«

Ian erwachte aus seiner Starre und sprang vom Sofa. »Spinnst du? Ich werde dir doch nicht Bericht erstatten, wann ich mit wem Sex habe oder wie es gerade so läuft.«

»Doch, wirst du.«

»Das werde ich nicht!«, brüllte er, als sich Verzweiflung, Scham und Verärgerung Bahn brachen. »Für wen hältst du dich?«

»Für deinen besten Freund.« Boris seufzte. »Ich weiß, dass dir das gerade unangenehm ist, aber –«

»Unangenehm ist gar kein Ausdruck. Hast du mir etwa nachspioniert?«, fragte er aufgebracht.

»Das ist Unsinn und das weißt du auch. Wenn ich gewusst hätte, was du vorhast, hätte ich dich davon abgehalten.«

Ian schüttelte den Kopf. »Und wie bitte schön? Wärst du mitgekommen und hättest Wache gestanden oder was?«

»Nein, aber offenbar bist du da blindlings reingestolpert und hast so ziemlich jede Sicherheitsmaßnahme missachtet«, wiederholte Boris geduldig und Ian kniff die Augen zusammen. »Wie lange spielst du überhaupt schon in der Szene?«

»Das geht dich gar nichts an!«

Offenbar um Geduld bemüht, atmete Boris tief durch. »Ich will dich hier nicht bloßstellen, Ian. Ich mache mir Sorgen um dich. Das Foto zeigt klar, dass du noch nicht viel Erfahrung als Sub hast, was völlig okay ist. Jeder hat irgendwann mal angefangen. Aber du kannst mir nicht sagen, dass es dich kaltlässt, was da passiert ist. Ich weiß, dass es nicht so ist.«

»Das Foto hätte jedem passieren können. Augenbinden gehören zum Spielen nun mal dazu«, entgegnete er trotzig, um die Panik, die gerade in ihm tobte, nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.

»Das stimmt, aber darauf wollte ich nicht hinaus. Ich sehe dir an, dass du untrainiert bist.«

Ian warf verzweifelt die Hände in die Luft und stöhnte Richtung Zimmerdecke. »Jeder sieht mir aus hundert Metern Entfernung an, dass ich untrainiert bin. Dazu muss ich nicht nackt sein.«

Lächelnd schüttelte Boris den Kopf. »Ich rede nicht von Unsportlichkeit, sondern von deiner Körperhaltung.« Er deutete auf das noch immer präsente Foto. »Du kauerst regelrecht auf dem Teppich. Auch wenn es dich offensichtlich erregt hat, sehe ich, dass du dich unwohl gefühlt hast. Dein Rücken ist krumm, deine Knie zu weit zusammen und von deinen Armen reden wir besser gar nicht erst. Ich bin mir sicher, dass dir noch kein Dom gezeigt hat, wie man sich präsentiert. Oder war der da nur besonders unfähig, dich trotz deiner Komplexe dazu zu bringen?«

Etwas in Boris' Stimme hatte sich geändert. Sein Tonfall war schärfer geworden, ernster und Ian musste unweigerlich schlucken, während seine Wangen feuerheiß wurden. »Ich...«

»Antworte mir, Florian. Seit wann bist du ein Sub?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete er leise, als etwas in seinem Inneren nachzugeben schien.

Er sah kurz in Boris' Gesicht und als dieser ermutigend lächelte, schluckte er und setzte sich wieder auf die Couch. »Ich bin vor ein paar Jahren über einen Roman dazu gestolpert und fand die Story heiß. Er war aus Sicht des Subs geschrieben und hat mich angemacht. Also habe ich gezielt nach Nachschub zu diesem Thema gesucht. Erst nur fiktive Geschichten und na ja... Pornos und dann irgendwann hab ich mir so einen Ratgeber für Einsteiger gekauft, aber der war sehr allgemein gehalten. Im Internet bin ich dann auf das Forum gestoßen und nachdem ich ein Jahr nur mitgelesen hatte, habe ich vor zwei Wochen Oliver angeschrieben. Er hat sich in diesem Begrüßungsthread für Neulinge vorgestellt und wir haben ein bisschen gechattet. Er war echt nett und das Date war auch okay. Das mit dem Foto war allerdings nicht abgesprochen.«

»Wusste er, wie unerfahren du bist?«

»Na ja, ich hab's ihm nicht gesagt, aber wenn du es schon auf dem Foto gesehen hast, wird es ihm wohl auch aufgefallen sein.«

»Aber abgesehen von dem Foto lief alles auf freiwilliger Basis, ja?«

»Ja.«

Boris seufzte eindeutig erleichtert und Ian hoffte, dass das Verhör damit beendet war. Er wusste nicht, ob er Boris Details des Dates verraten wollte, war sich aber sicher, dass er es tun würde, wenn sein bester Freund ihn wieder so unnachgiebig ansah und mit strenger Stimme sprach. Es ließ sich wohl nicht leugnen, dass sein innerer Sub erwacht war und da er Boris vertraute... Trotzdem behagte es Ian nicht, dass er zukünftig über seine Dates Auskunft geben sollte.

»Na gut. Ich rufe morgen bei einem Anwalt an, damit er dafür sorgt, dass dieser Oliver keinen Unfug mehr mit dem Foto treibt, okay? Ich mache einen Termin aus, aber du musst sicher mit hin.«

Ian nickte. »Okay. Danke.«

»Jederzeit, Kumpel. Mir ist klar, dass dir das Ganze peinlich ist, aber ich musste das ansprechen.« Boris legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. »Alles klar?«

»Ja.« Ians Blick fiel auf das Weinglas und sein aufgeschlagenes Buch auf dem Tisch, doch die Lust zu lesen war ihm gründlich vergangen, obwohl er sich schon seit Wochen auf den neuen Roman seines Lieblingsautors gefreut hatte. »Ich geh dann mal ins Bett, denke ich. Sagst du mir Bescheid, wann ich wo sein soll?«

»Mache ich.« Boris nickte und musterte ihn besorgt. »Kann ich dich wirklich allein lassen?«

Er war seinem besten Freund unglaublich dankbar, dass er die Sache in die Hand nahm, denn er fühlte sich entblößt und im Moment ziemlich hilflos. Trotzdem ertrug er Boris' mitleidigen Blick nicht länger, sondern wollte nur noch allein sein.

Sein erster Ausflug in die Welt des BDSM war gründlich in die Hose gegangen und zu wissen, dass Boris ein Dom war, überforderte ihn im Moment zusätzlich. Er wusste nicht, warum ihn das so beschäftigte, schließlich war Boris hetero und sie in keiner Weise sexuell aneinander interessiert, aber vielleicht lag es daran, weil sein innerer Sub trotzdem auf den Dom in Boris reagiert hatte. Das war dämlich und er wollte auf keinen Fall, dass sich das auf ihre Freundschaft auswirkte.

»Ich komme schon klar«, sagte Ian, erhob sich demonstrativ und wartete, bis Boris den Laptop wieder eingepackt hatte und ihm zur Tür folgte. »Danke für deine Hilfe.«

Im nächsten Moment wurde er an Boris' breite Brust gedrückt. »Hey, das Ganze erscheint im Moment schlimmer, als es ist, okay? Dein Name steht nicht drunter und ich denke nicht, dass dich jemand erkennt.«

»Du hast mich erkannt«, erinnerte er resigniert.

Boris' Hände rieben über Ians Rücken. »Nur, weil ich dich im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen in deinem Umfeld schon oft genug nackt gesehen habe. Und ein Exhibitionist bist du nicht, oder?«

Ian musste unweigerlich lachen, denn die Vorstellung war einfach absurd. »Wohl kaum. Da würden die Leute sicher schreiend weglaufen.«

»Red dir nicht immer solchen Quatsch ein«, schimpfte Boris. »Du bist ein toller Kerl und wer das nicht erkennt, auf den kannst du verzichten.«

Oh Mann, wie oft hatte Ian sich diesen Satz schon anhören müssen? Auch wenn er dem prinzipiell zustimmte, machte es die Partnersuche nicht unbedingt einfacher. Als Couchpotato lernte er generell nicht oft neue Leute kennen und wenn er mal mit den anderen ausging, reichte ein Blick auf seinen moppeligen Hintern und die Fettpölsterchen an Bauch, Hüften und Oberschenkeln, dass die Kerle sich schnell wieder von ihm abwandten, sollte tatsächlich mal jemand versehentlich in seine Richtung blicken.

Boris drückte ihn noch mal an sich, dann zog er sich zurück, hielt ihn aber an den Oberarmen fest. »Wird schon wieder, hm?«

Ian blickte in die warmen braunen Augen seines besten Freundes und nickte zuversichtlich. »Ja, sicher. Du hast recht, bestimmt erkennt mich keiner. Trotzdem ist es mir peinlich.«

»Vor mir?«

»Natürlich vor dir«, antwortete er augenrollend, woraufhin Boris leise lachte.

»Mach dich nicht lächerlich. Ich habe nicht mehr gesehen, als schon tausendmal vorher. Du hast sogar schon mal nackt vor mir gekniet.«

»Das war was anderes«, entgegnete er, schließlich hatte ihn damals im Urlaub ein fieser Virus erwischt und ihm war nach dem Duschen schwindelig gewesen. Trotzdem war er froh, dass Boris die Sache so locker nahm. »Na gut, ich geh dann mal ins Bett.«

»Was ist mit deiner überaus delikaten Reiswaffel?«

Ian boxte ihm gegen die Schulter. »Die heb ich mir für morgen auf. So kann ich dann zwei essen.«

Boris lachte. »Du Draufgänger.« Als er im Hausflur stand, wandte er sich noch mal zu Ian um. »Alles okay?«

Als er nickte, lächelte Boris und hob kurz die Hand zum Abschied, bevor er die Treppe hinunterging. Seufzend lehnte Ian sich von innen gegen die geschlossene Tür und atmete tief durch. Boris hatte es irgendwie geschafft, dass er nicht in Panik geraten war, und würde sich um einen Termin beim Anwalt kümmern. Außerdem hatte er recht. Selbst wenn ein Kollege oder Nachbar das Bild sah, würde wohl niemand erkennen, dass Ian dort kniete.

An diesen Gedanken klammerte er sich, während er ins Bad ging, um sich bettfertig zu machen.


 

Kapitel 3

 

Boris

 

»Das lief doch ganz gut, hm?« Boris sah Ian mit einem aufmunternden Lächeln an, der noch genauso rote Wangen hatte wie beim Gespräch mit der Anwältin und lediglich mit den Schultern zuckte. »Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass sie rausfindet, wer dieser Oliver ist und alles in die Wege leitet, dass das Foto nicht mehr im Netz landet.«

Ian seufzte und vergrub die Hände in seinen Hosentaschen. »Ja, bestimmt.«

Schweigend gingen sie über den Parkplatz des Einkaufszentrums, in dem sich die Anwaltskanzlei befand. Es herrschte reges Treiben, da viele Familien noch ihren Wochenendeinkauf erledigten, und Ian schien so in Gedanken versunken zu sein, dass er gegen einen Einkaufswagen gelaufen wäre, hätte Boris ihn nicht zur Seite gezogen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, Ian nach Hause zu fahren und dann seine Eltern zu besuchen, bevor er in einen Club ging, aber er änderte seinen Plan kurzerhand und schrieb seiner Mama eine Nachricht, nicht böse zu sein, weil er das wöchentliche Treffen absagte, bevor er das Auto startete.

»Wohin fährst du?«, fragte Ian, der aus seiner Trance erwacht war und verwirrt aus dem Seitenfenster in seine Straße blickte, an der Boris jedoch vorbeifuhr.

»Oak's«, antwortete er knapp.

Die kleine Bar war in den letzten Jahren zu ihrem Stammlokal geworden. Ihr Kumpel Freddy war ein totaler Whiskey-Liebhaber und hatte die Bar zusammen mit Paul, seinem Partner, entdeckt. Natürlich wurde die ganze Clique am Wochenende darauf von den beiden dorthin geschleppt und sie alle hatten die Bar für gut befunden. Die Getränkekarte bot etwas für jeden Geschmack, das Publikum war gemischt und das Ambiente gemütlich, sodass sie immer wieder gern hingingen.

Ian zog die Augenbrauen hoch. »Okay. Isst du heute nicht bei deinen Eltern?«

»Ich habe Mama gerade abgesagt. Vielleicht fahre ich morgen hin.«

»Wegen mir?«

Boris verdrehte die Augen. »Natürlich wegen dir, du Pappnase. Ich sehe doch, wie es in deinem Kopf arbeitet. Ein Wunder, dass noch kein Rauch aufsteigt. Meinst du, ich lass dich jetzt zu Hause vor dich hin grübeln, bis du vor lauter Frust deinen Schokoladenvorrat plünderst und mir morgen die Ohren vorheulst, wie träge du geworden bist?«

Ian verschränkte schnaubend die Arme vor der Brust. »Deine Fürsorge in allen Ehren, aber bist du dir sicher, dass du nicht lieber zu deinen Eltern fahren willst?«

Grinsend schüttelte Boris den Kopf, während er sich an der nächsten Kreuzung Richtung Altstadt einordnete. Ein paar Minuten später hatte er einen Parkplatz gefunden und sie bogen zu Fuß in die Straße ein, in der ihre Lieblingsbar lag. Ian schien wieder zu grübeln, doch als die rote Markise der Oak's Bar in Sicht kam, hellte sich seine Miene auf und er lächelte.

»Ist mittlerweile ein bisschen, wie nach Hause kommen, hm?«, meinte Boris erleichtert, dass er Ian eine Freude machen konnte.

Der nickte sofort. »Ja. Danke. War echt eine gute Idee.«

»Ich hab so meine Momente.« Er stieß Ian an, der lächelte und ihm anschließend die Tür aufhielt. In der Bar war noch nichts los, schließlich hatte sie gerade erst geöffnet. Der Barkeeper grinste, als er sie sah, und nach einer herzlichen Begrüßung bestellten sie ihre Getränke und setzten sich anschließend auf ihren Lieblingsplatz.

Boris beobachtete, wie sein bester Freund tief durchatmete und sich gegen das schwarze Leder sinken ließ. »Hey.«

Ian sah zu ihm auf. »Hm?«

»Es ist alles halb so wild, okay? Die Anwältin kümmert sich um das Problem.«

Er nickte. »Ja, ich weiß, aber es ist trotzdem ein beschissenes Gefühl. Wer weiß, was er noch für Fotos hat.«

»Hattest du die ganze Zeit über verbundene Augen?«, fragte Boris leise und lehnte sich vor.

Ians Wangen wurden wieder rot, während er den Kopf schüttelte. »Das war irgendwie nicht so richtig meins. Ich kannte die Umgebung nicht und nachdem ich gegen den Bettpfosten gelaufen bin, hatte er Erbarmen.«

Boris presste die Lippen aufeinander und rang mit der aufkommenden Wut auf diesen Oliver. Er war sich nicht sicher, ob er mehr über das Date erfahren wollte oder lieber nicht. Ian sah nicht glücklich damit aus, ihm davon zu erzählen, und es ging ihm augenscheinlich gut, daher haderte Boris mit sich. »Er hat den Fehler gemacht, nicht du«, sagte er schließlich, woraufhin sein bester Freund schnaubte.

»Das klang am Dienstag aber noch ganz anders. Da hast du mich für dämlich erklärt.«

Boris musste zugeben, dass das stimmte, aber da war er noch schockiert gewesen. »Okay, ja, habe ich. Natürlich kannst du nichts dagegen machen, wenn dich jemand heimlich fotografiert, aber es war trotzdem unverantwortlich von dir, dich mit einem Typen zu treffen, den du nicht kennst, und niemanden darüber zu informieren.«

»Als wenn du mir jedes Mal Bescheid sagst, wenn du eine Tussi mit nach Hause nimmst«, grummelte Ian, woraufhin Boris ihn vielsagend ansah, denn genau das tat er.

Zwar war Ian nicht sein Back-up-Kontakt, doch da sie sonntags in der Regel zusammen bei Boris frühstückten, gab er ihm immer Bescheid, wenn er eine Frau mit zu sich nahm, damit Ian nicht am nächsten Morgen mit Brötchen vorbeikommen brauchte.

Ians Augen zuckten hin und her, während er darüber nachzudenken schien. Schließlich schürzte er die Lippen. »Dann hast du ja nicht oft Sex.«

»Wie oft ich Sex habe, steht hier nicht zur Debatte«, wiegelte Boris ab. Es kam in der Tat selten vor, dass er ihr Treffen absagte, da er sein Verlangen meist auf einer der Fetischpartys befriedigte, die regelmäßig stattfanden, und dann allein nach Hause ging. Die passende Frau in einer Bar oder Disko aufzureißen, war einfach zu mühselig, und selbst im Forum war die Auswahl eher begrenzt. »Aber wenn ich eine Frau mit zu mir nehme, bestehe ich immer darauf, dass sie einer Freundin Bescheid gibt, wo sie ist, und sich zu einer festgelegten Zeit bei ihr meldet.«

Resigniert sackte Ian gleich noch etwas mehr zusammen. Bevor Boris darauf eingehen konnte, brachte der Barkeeper ihre Getränke. Ian zog seinen Irish Coffee zu sich und beschäftigte sich damit, die Sahne runterzulöffeln, bevor sie schmolz.

»Ian?«, wagte Boris sich wieder vor, als sein bester Freund nach einigen Minuten immer noch schwieg.

»Was?«

»Bitte versprich mir, in Zukunft keine heimlichen Dates mehr zu haben. Du musst mir keine Details verraten, sondern mir nur sagen, wo du bist und wann du dich wieder meldest. Oder bei einem unserer Freunde.« Letzteres fügte er eher aus Verzweiflung hinzu, denn es würde ihn schon enttäuschen, wenn Ian einem ihrer Freunde mehr vertraute als ihm. Im Zweifelsfall wäre ihm das allerdings noch lieber, als wenn Ian niemandem Bescheid gab.

»Ja, ja«, murrte der. »Ist eh nicht mehr relevant.«

Überrascht horchte Boris auf. »Wieso nicht?«

Ian sah ihn an, als wäre seine Nachfrage völlig bescheuert. »Ich habe aus meinem Fehler gelernt. Meinst du, ich hab Bock darauf, noch mal an so einen Idioten zu geraten? Dann les ich lieber nur meine Bücher.«

Boris musste unweigerlich lächeln, auch wenn er verstehen konnte, wieso Ian im Moment so dachte. »Und das würde dich befriedigen?«

Sein bester Freund zuckte lediglich mit den Schultern. »Ging doch bisher auch.«

»Offensichtlich ja nicht«, bemerkte er. »Meiner Erfahrung nach lassen sich einmal freigelassene Subs nur schlecht wieder einfangen.«

»Deiner Erfahrung nach...«, murrte Ian, bevor er ihn stirnrunzelnd ansah. »Wie viel Erfahrung hast du eigentlich? Und wieso habe ich nie was davon bemerkt?«

»Weil du mein bester Freund bist und ich nicht schwul bin? Wieso sollte ich dir gegenüber meinen inneren Dom offenbaren? Du hast mir doch auch nicht verraten, dass du ein Sub bist.«

Ian nickte langsam, auch wenn er noch nicht so richtig überzeugt zu sein schien. »Na ja, im Nachhinein betrachtet, hattest du schon immer einen Hang dazu, deinen Kopf durchzusetzen.«

»Und das macht mich automatisch zum Dom?« Boris musste lachen. »Wohl kaum. Davon abgesehen habe ich kein Verlangen danach, ständig oder überhaupt regelmäßig zu spielen. Vielleicht wäre das anders, wenn ich in einer festen Beziehung wäre, aber dafür müsste ich erst mal eine Frau finden, die mich länger als eine Nacht interessiert.«

»Gott, hörst du dich noch selbst reden?«, unterbrach Ian ihn schnaubend. »Du klingst gerade wie ein echtes Arschloch.«

Er schnappte nach Luft. »Was? Nur, weil ich die Wahrheit sage? Ich kann doch nichts dafür, dass mein Herz diese Sache mit der Liebe offenbar noch nicht verstanden hat.«

Ian runzelte die Stirn. »Du warst wirklich noch nie verliebt, oder?«

»Nein«, antwortete Boris schulterzuckend. »Stört mich aber auch nicht.« Vermutlich konnte man nichts vermissen, das man noch nie gefühlt hatte. Zumal er allein von den Gesprächen mit seinen Kollegen und deren Lamentieren über ihre Freundinnen oder Ehefrauen schon genervt von einer Beziehung war.

»Und wie lange machst du dieses BDSM-Ding schon?«

»So zehn Jahre etwa«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Ja, ist doch schon so lange. Ich war kurz nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag auf meiner ersten Fetischparty. Da habe ich Hektor getroffen.«

Ian kniff die Augen zusammen. »Wer ist denn Hektor?«

»Der Dom, der mir bei den ersten Schritten geholfen hat. Ich durfte unter seiner Aufsicht mit seiner Sub spielen.«

»Echt jetzt?« Ian saß plötzlich kerzengerade auf seiner Bank. Vielleicht sollte Boris ihn öfter überraschen, damit er sich mal aus seiner gewohnten krummen Haltung bequemte.

Boris zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck seines Milchkaffees. »Ja. Die beiden haben eine 24/7-Beziehung und stehen drauf, auch mal einen Dritten dazu zu holen. Damals war das für mich echt super, aber jetzt würde mir das wohl nicht mehr gefallen. Mal zum Anlernen eines Neulings, so wie Hektor und Jenny das für mich gemacht haben, vielleicht, aber generell teile ich mein Spielzeug nicht gern.« Er zwinkerte, um Ian zu zeigen, dass er es eher scherzhaft meinte, doch dieser starrte ihn nur mit großen Augen an. »Was?«

»Ich weiß nicht. Irgendwie finde ich es gerade befremdlich, dass du mir das alles verheimlicht hast. Vor allem kann ich mir nicht so richtig vorstellen, dass du Frauen benutzt.«

Boris wusste nicht, ob er lachen oder gekränkt sein sollte. »Ich benutze keine Sub gegen ihren Willen.«

»Das wollte ich dir auch nicht unterstellen«, ruderte Ian sofort zurück und hob abwehrend die Hände. »Ich meinte nur, dass du sonst doch eher der lustige, einfühlsame Typ bist. Es ist irgendwie schwer vorstellbar, dass du auch eine andere Seite hast.«

Okay, jetzt musste er lachen. »Weil lustige, einfühlsame Doms nicht existieren?«

Ian schluckte. »Keine Ahnung. Ich kenne ja nicht viele Doms.«

Boris horchte auf. »Oh, aber du kennst mehrere? Also, jemanden abgesehen von mir und diesem Oliver?«

»Na ja, kennen wäre übertrieben«, murmelte Ian und rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee herum. »Ich war mal bei einem schwulen BDSM-Stammtisch.«

»Und wie war es?«, fragte er genauso neugierig wie überrascht. Ian konnte sich noch so sehr einreden, dass Bücher ihm reichen würden, Tatsache war, dass sein sonst eher schüchterner Freund bereits zweimal den Mut aufgebracht hatte, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. Boris war sich sicher, dass noch einmal der Zeitpunkt kommen würde, an dem Ian sein Verlangen nicht länger würde unterdrücken können.

Der zuckte jedoch lediglich mit den Schultern. »Ging so. Es waren eigentlich nur ältere Typen in Lederkluft da. Ich glaub nicht, dass sie mich ernst genommen haben. Sie fanden mich niedlich. Genau das, was ein Mann hören will, hm? Keiner von ihnen hatte Interesse an einem Newbie, aber sie haben mir ein paar Tipps gegeben.«

»Was für welche?«, hakte Boris nach.

Ian blickte sich kurz um, doch sie waren immer noch die einzigen Gäste in der Bar. Trotzdem senkte er seine Stimme noch weiter. »Ich soll auf Fetischpartys oder in entsprechende Clubs gehen, aber auf keinen Fall ein Halsband tragen, wenn ich einen Dom auf mich aufmerksam machen will, damit keiner auf die Idee kommt, ich wäre vergeben. Nur fürs Protokoll, ich habe bei dem Stammtisch keins getragen. Außerdem soll ich mir eine Lederhose kaufen. Kannst du dir mich in einer Lederhose vorstellen?« Ian verdrehte die Augen. »Presswurst lässt grüßen.«

Er überhörte den Kommentar über Ians Statur und konzentrierte sich auf das Wesentliche. »Also warst du schon auf Fetischpartys oder in Clubs?«

Ian schüttelte sofort den Kopf, wobei er fast schon panisch aussah, so wie er sich in der leeren Bar umblickte. »Ich geh doch nicht in so einen Club«, flüsterte er. »Und diese Partys haben mich bisher auch abgeschreckt. Einmal wollte ich hingehen, aber ich hab mich dann doch nicht getraut, sondern bin wieder nach Hause gefahren.«

»Warum?«

Ian verdrehte die Augen. »Weil ich mich nicht zum Gespött machen wollte.«

Boris kam nicht mehr richtig mit. »Weil du ein Newbie bist? Das ist doch nicht schlimm. Jeder hat mal angefangen, der eine früher, der andere später. Das ist echt nichts, weswegen du dich schämen müsstest.«

»Daran lag es auch nicht. Na ja, nicht nur.«

Boris schaute ihn auffordernd an. »Woran dann?«

Ian zögerte, dann seufzte er und ließ sich schwerfällig nach hinten gegen die Lehne fallen. »Weil mich doch eh keiner angesprochen hätte. Sind wir mal ehrlich, ich bin nicht gerade der Traum eines Doms.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Boris, obwohl er sich die Antwort denken konnte. Ian hatte schon immer mit seinem Gewicht gehadert und vermutlich mehr Diäten ausprobiert als die meisten Frauen, die Boris kannte, aber es gab schließlich kein Gesetz darüber, dass nur gertenschlanke Subs ihren Dom finden durften. »Nenn mir einen Grund, warum du den Dom deiner Träume nicht finden solltest, der nichts mit deinem verqueren Körpergefühl zu tun hat.«

Ian holte Luft, hielt dann jedoch inne. »Ich habe kein verqueres Körpergefühl«, antwortete er schließlich lahm. »Ich bin nur realistisch. Vielleicht gelten für euch Heteros andere Maßstäbe, aber ein Schwuler jenseits der dreißig hat es so schon schwer. Wenn du dann auch noch fett bist, kannst du froh sein, wenn du überhaupt noch in einen Club gelassen wirst.«

»Ian«, seufzte Boris, doch sein bester Freund schüttelte sofort den Kopf.

»Das ist mein Ernst. Bären sind okay, also die Muskelmänner mit Brusthaar und grimmigem Blick. Denen sabbert die Hälfte aller Twinks hinterher. Scheiße, selbst ich sabbere solchen Typen hinterher. Aber wenn du einfach nur durchschnittlich aussiehst und einen Schwimmring spazieren trägst, bist du halt über. Im besten Fall.«

»Ian«, wiederholte Boris, diesmal entsetzt. »Du bist doch nicht über! Red dir nicht so was ein. Das stimmt einfach nicht.«

Sein bester Freund verdrehte nur die Augen. »Woher willst du das wissen?«

»Weil in unserem Freundeskreis außer mir mittlerweile so ziemlich jeder auf Männer steht und noch keiner von ihnen hat sich abfällig über Zuckerhasen geäußert.«

Ian spuckte seinen Kaffee in die Tasse zurück, bevor er Boris hustend und röchelnd anstarrte. »Zuckerhasen?«

»Lenk nicht vom Thema ab«, entgegnete Boris abwinkend, denn darin war sein Freund ein wahrer Meister. Wann immer das Gespräch unangenehm wurde, hängte er sich an Kleinigkeiten auf und lenkte die Unterhaltung in eine andere, völlig belanglose Richtung.

Seufzend wischte Ian sich mit seiner Serviette das Kinn ab. »Natürlich lässt sich keiner unserer Freunde über Dicke aus. Sie haben Anstand, sonst wären sie nicht unsere Freunde.«

Als Ian völlig niedergeschlagen zusammensackte, streckte Boris die Hand aus und tätschelte seinen Arm. »Du bist ein wundervoller Mensch. Witzig, liebevoll und intelligent. Der richtige Mann ist da draußen irgendwo, da bin ich mir sicher. Vielleicht muss er etwas mehr Geduld aufbringen, um hinter deine Schüchternheit zu blicken, aber es gibt ihn. Nur musst du auch was dafür tun, dass er dich findet. Er wird wohl kaum plötzlich neben dir auf der Couch sitzen.«

Ian zog eine Schnute. »Wäre aber echt praktisch. Wenn er dann noch Wein und Reiswaffeln dabei hat, behalte ich ihn vielleicht sogar.«

Boris lachte. »Siehst du, am mangelnden Humor liegt es nicht. Eher an deiner ungesunden Fixierung auf deinen E-Reader und die schmutzigen Geschichten, die du darauf liest.«

»Die sind nicht schmutzig, sondern sexy«, konterte Ian sofort. »Außerdem hast du mir den Reader geschenkt, also hast du gar kein Recht, darüber zu meckern, wenn ich ihn nutze.«

»Ich meckere nicht, ich zeige dir nur die Fakten auf. Und jetzt trink aus, dann schaffen wir es noch pünktlich zum Essen zu meinen Eltern.« Jetzt, da er Ian aus seinen trüben Gedanken geholt hatte, war seine Mission erfüllt. Außerdem knurrte sein Magen und er hatte weder Lust auf Fast Food noch darauf, sich zu Hause an den Herd zu stellen.

Ian zögerte. »Hattest du nicht abgesagt?«

Boris zog sein Handy aus der Hosentasche. »Du weißt doch, dass Mama sowieso immer zu viel kocht. Sie hat mich neulich schon gefragt, ob du was angestellt hast, weil du dich schon so lange nicht mehr hast blicken lassen. Aber ich meld uns schnell noch an.«

»Dachte sie, wir hätten uns gestritten?«

Boris nickte, während er die Nachricht an seine Mutter tippte.

»Oh Mann, wie kommt sie denn darauf? Ich weiß gar nicht, wann wir uns in den letzten zehn Jahren überhaupt mal gestritten haben. Moment mal! Wieso geht sie denn davon aus, dass ich was angestellt habe?«

Er konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. »Vielleicht, weil ich schon immer ein braver Junge war, während du derjenige bist, der Kaulquappen fängt und sie dann in einem Einmachglas krepieren lässt?«

»Ey, da war ich elf und ich hab das Glas ja nicht absichtlich im Rucksack vergessen!«, echauffierte sich Ian. »Außerdem habe ich dafür geholfen, diesen Krötenzaun an der Straße aufzustellen, und bin jeden Tag vier Kilometer daran entlanggelatscht, um die blöden Viecher aus den Eimern zu sammeln.«

Als er bemerkte, dass Boris mittlerweile lachte, kniff Ian die Augen zusammen und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Überhaupt, du und ein braver Junge, dass ich nicht lache. Es ist verdammt schäbig von dir, diese alte Geschichte wieder vorzuholen, um davon abzulenken, dass du in den letzten vier Wochen ohne mich bei deinen Eltern warst. Ich werde deiner Mama sagen, dass du mich nicht mal gefragt hast, obwohl ich liebend gern mitgekommen wäre.«

»Wenn ich dich mitnehme, komme ich da wieder ewig nicht weg, weil du stundenlang mit Papa über seiner Modelleisenbahn hängst«, erinnerte Boris augenrollend.

Ian grinste fies, während er sich erhob und ihr Geschirr zusammenstellte. »Dann verabschiede dich mal von deinen Abendplänen. Tut-tuuut. Sch-sch-sch-sch-sch-sch.«

Halb lachend, halb stöhnend folgte er Ian zur Bar und anschließend aus dem Gebäude. »Du hast so was von einen an der Waffel«, brummte er und schlang seinen Arm um Ians Schultern.

Boris war froh, Ian wieder lachen zu sehen, auch wenn das bedeutete, dass er zwei erwachsenen Männern beim Zugführerspielen zusehen musste, statt ein paar hübschen Mädels beim Tanzen. Aber was tat man nicht alles für seinen besten Freund.