Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hrsg.)

Ihn riefen die Sterne

Zum Gedenken an Hanns Kneifel

 

 

AndroSF 65

 


Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hrsg.)

IHN RIEFEN DIE STERNE

Zum Gedenken an Hanns Kneifel

 

AndroSF 65

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

© dieser Ausgabe: August 2017

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Rainer Schorm

Fotografien: Gertrud Stamm, Marc A. Herren

Layout & Umschlaggestaltung: Rainer Schorm, global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 084 9

 


Ihn riefen die Sterne. Zum Gedenken an Hanns Kneifel


Gisbert Haefs: Eine Handvoll Erinnerungen

 

 

Ach, Hannes, das war jetzt ein ganz blöder Streich von dir, einfach so ins Jenseits zu desertieren, ohne dich vorher abzumelden. Dabei warst du doch sonst immer ordentlich, pünktlich, zuverlässig und rücksichtsvoll deinen Freunden gegenüber. Wer dich gelesen hat, wird sich darüber nicht wundern – all deinen Protagonisten ist Freundschaft heilig, wie könnte es da bei dem Autor anders sein?

Mit gewöhnlichen Wörtern gehen wir ja alle schusselig um, aber mit heiligen Wörtern wie »Freundschaft«, überhaupt mit Schlüsselwörtern warst du immer sehr sorgfältig. In Der Einsame von Terra hättest du deinen Seymour Alcolaya sagen oder denken lassen können: »Du gehst über den Markt von Ktin Ngeci«; oder durch die Altstadt, durch den Hafen, was auch immer. Aber Alcolaya denkt: »Du gehst durch den Basar von Ktin Ngeci«, und mit diesem Wort »Basar« hast du den Kopf des Lesers aufgeschlossen für all die Farbigkeit, die Gerüche, das Durcheinander und die Gefahren, in die dein Held gerät.

 

Unter uns Überlebenden: Ich glaube, Der Einsame von Terra (Perry-Rhodan-TB 23, erschienen 1966) war mein erster »Kneifel« und der Beginn eines langen Leseabenteuers. Natürlich war es für den Einstieg hilfreich, dass mir der Hintergrund einigermaßen vertraut war: das Perry-Rhodan-Universum. Ich hatte den Anfang der Serie in einer Leihbücherei gefunden und stieß irgendwann im Herbst 1964 auf die Hefte – mein erstes war Nr. 156, Lemy und der Krötenwolf. Kosmische Rätsel, action, Abenteuer, sense of wonder, all das war bei Perry Rhodan zu finden; jenseits von Zellaktivatoren und Moskitojets fehlte aber einiges, was zum Leben gehört, die Sprache war bestenfalls zweckmäßig, und das Personal der Romane bestand (wie beim größten Teil der klassischen angloamerikanischen SF) aus volljährigen Pfadfindern, in der erfundenen Zukunft so prüde wie in den 50er Jahren. Wer, bitte schön, möchte denn, mittels eines Zellaktivators relativ unsterblich, die unabsehbare Zukunft in ewiger Keuschheit verbringen?

Da fiel mir Kneifel in den Schoß und zeigte, dass es auch anders geht. Seine Figuren (eher mit denen von Kipling und Hemingway verwandt als mit Baden Powells Pfadfindern) waren Erwachsene, oft herbe Männer und schnelle Frauen; sie taten im Raum oder auf fremden Welten interessante und gefahrvolle Dinge: kosmische Rätsel, action, Abenteuer, sense of wonder – aber sie gingen auch, wenn es zur Geschichte passte, ganz normal miteinander ins Bett, tranken Wein, führten ironische Dialoge (Er: »Ihre Sehnsucht wird Sie hergebracht haben.« – Sie: »Es war die Röhrenbahn, grüne Route.«), konnten notfalls wunderbar blödeln (»Wenn du die Flinte ins Korn wirfst, gib acht, dass du nicht zufällig ein blindes Huhn damit erschlägst.«), verwandten einige Sorgfalt auf die Einrichtung ihrer Behausungen, hängten Bilder an die Wände, interessierten sich für gutes Essen, Kunst und Literatur, hörten Musik (romantische Neoklassik des 24. Jahrhunderts mit Titeln wie Clouds of Magellan von einem Komponisten namens Singh Boncard oder Savannengräser von Peter Grey) … Anders als z.. die Pappmascheegestalten des SF-Altmeisters Asimov haben Kneifels Charaktere gewissermaßen eine Vorder- und eine Rückseite, und wenn sie das Buch verließen, könnte man sie auch von hinten betrachten.

In der Bücherwelt gibt es Schamanen, Hohepriester ihrer selbst, die sich als ernste und wichtige Mittler zu einem höheren Wesen namens »Literatur« verstehen und sich vor allem an die Großhirnrinde ihrer Leser wenden. Und es gibt Spielleute, die sich freuen, wenn man zu ihrer Musik tanzt und trinkt und lacht. Kneifel war so ein Spielmann; seine Bücher bieten genug fürs Gehirn, wenden sich aber auch an Herz und Bauch (und Lachmuskeln). Damit gewissermaßen der Film im Kopf des Lesers sich entwickeln und ablaufen kann, damit der Kopf des Lesers den Film selbst produziert, sind Anreize nötig, Schlüsselreize; die wichtigsten sind wahrscheinlich sinnlich wahrnehmbare Details: die Gerüche und Geräusche des Basars von Ktin Ngeci, Farben, Aromen, der Duft von Kaffee und Rosen, Wasser auf der Haut, Haut unter den Fingerspitzen, rauer oder weicher Stoff, die Klänge (und Assoziationen) von Peter Greys Savannengräsern. Sprachlicher Witz nicht zu vergessen; Kneifels Texte waren immer sinnlich.

Ab Band 352 bereicherte er mit seinem ausgeprägten Stil und seinem handwerklichen Geschick die Perry-Rhodan-Serie. Daneben entstanden zahlreiche Hefte der Nebenserien Atlan, Dragon, Mythor, unter verschiedenen Pseudonymen einige Dutzend Hefte »Seewölfe« und »Dämonenkiller« und in der Rhodan-TB-Reihe neben anderen »Planetenromanen« die Atlan-Zeitabenteuer, in denen er die Taten und Erlebnisse des unsterblichen, auf der Erde gestrandeten Arkoniden von der Steinzeit bis »heute« schilderte. Und ein paar Sachbücher, und die klug ausgearbeiteten Romanfassungen (plus Fortsetzungen) zu den Drehbüchern der Fernsehserie ORION, und bestimmt habe ich hier dies und das vergessen. Ich habe nicht alles gelesen; »Seewölfe« und »Dämonenkiller« waren nicht meine Sache, bei Mythor und Atlan bin ich irgendwann ausgestiegen. Besonders geschätzt habe ich seine »allgemeine« SF, die nicht an Rhodan etc. gebunden war, etwa den ebenso witzigen wie einfallsreichen Zyklus Die interstellaren Händler oder die Romane Der Traum der Maschine, Lichter des Grauens und Das brennende Labyrinth. Sie kommen, wie ich immer noch finde, ziemlich nah an die Werke eines der gemeinsamen Lieblingsautoren heran: Jack Vance.

Als fünfzehn Jahre, nachdem mir Der Einsame von Terra in die Hände geraten war, mein erster Krimi erschien, war es mir ein Bedürfnis und ein Vergnügen, Kneifel ein Exemplar zu schicken, mit einem Brief, in dem ich ihm für zahllose Stunden guter Lektüre dankte und die Hoffnung ausdrückte, mich so wenigstens ein bisschen revanchieren zu können. Daraus entwickelte sich zunächst eine intensive Korrespondenz, dann folgten Besuche und Gegenbesuche, unzählige leere Flaschen und volle Aschenbecher, nächtelanges Reden und Lachen darüber, dass es zwischen Himmel und Erde mehr Dinge gibt als woanders (u. a. in Horatios Philosophie), gemeinsame Veranstaltungen, ein paar kürzere und eine längere Reise. Er war bis zuletzt ein guter Freund; ich hoffe, das auch für ihn gewesen zu sein.

Natürlich begannen wir irgendwann, Projekte auszuhecken, aus denen samt und sonders nichts wurde, die aber zu beiderseitiger Erheiterung und intellektueller Bereicherung beitrugen. Eines dieser Projekte war ein Fantasydreidecker mit dem Arbeitstitel Purpurdämon. Das muss etwa 1985 gewesen sein. Es begann mit einer langen Unterhaltung darüber, dass man mit Fantasy viel mehr anstellen könnte. Unter dem Einfluss von Tolkien gab es damals allzu viel Edelmut und zu wenig Fleisch, Charaktere waren entweder ganz gut oder ganz böse; wir redeten darüber, dass bei Tolkien nie jemand für etwas mit Geld bezahlt, dass es keine Händler (d. h. keinerlei Wirtschaft) gibt, dass abgesehen von einer oder zwei Bemerkungen der Hobbits auf den über tausend Seiten niemand je einen Witz macht. Man könnte doch aber …

Also tüftelten wir eine Welt aus, die insgesamt ein Dämon ist, eben der Purpurne, der als glühend heiße Masse unter der Erdkruste weiterlebt und sich manchmal bewegt. Es gab dort purpurne Priester, die die Bewegungen (verheerende Erdbeben) als Orakel auslegten, und weltliche Reiche, die Krieg um scheinbar ruhige Gebiete führten, eine komplette blutige Mythologie, Feldzüge, Hexerei, Gelage und Orgien; die Helden – eine abgefallene Priesterin, ein Troubadour und ein Krieger – mussten versuchen, die Priester auszuschalten und den Dämonen zu vermindern, wenn sie überleben wollten, dazu tausend bizarre und skurrile Einfälle und größere Dosen der vier heiligen Flüssigkeiten des Unterhaltungsromans: Blut und Schweiß, Schnaps und Sperma. Fast zwei Jahre lang sammelten wir Motive, schickten einander Vorschläge, erfanden Maßeinheiten, Verfassungsformen, spezialisierte Handwerker (z. B. die Molkmeister, die aus der schwarzen Milch der Hochlandbüffel den kostbaren und entsetzlich stinkenden Käse bereiteten), seltsame Lebewesen wie die in abstrakte Meditationen versunkenen Flederbären, komplizierte Transportsysteme; aus Fantasycomics schnitten wir Bilder aus, die als Vorlage für einen der finsteren Priester oder eine Landschaft in Kapitel 23 dienen könnten, und es gab auch einige Balladen für den Troubadour und mehrstrophige mysteriöse Tempelgesänge.

Am Ende hatten wir ein Konvolut von etwa 500 Seiten Sammelsurium und je zwei halbwegs fertige Kapitel. Dann mussten wir die Sache aufschieben, weil wir ums tägliche Brot zu schreiben hatten. Das Material existiert noch, aber inzwischen gibt es ja Game of Thrones und andere Fantasy für Erwachsene, nur immer noch keine Zeit.

Andere, kleinere Formen der Kooperation oder gegenseitiger »Veräppelung« waren leichter zu vollenden und unterzubringen. Hannes war über 1,90 groß, kannte sich mit Bogenschießen aus, konnte wunderbar feilschen und lügen, hatte ein Apartment in Porto Cervo auf Sardinien – in meinem Troja taucht eines Tages ein langer Sardinier namens Khanussu mit einer Gruppe exotischer Söldner (Bogenschützen) auf, der mit Agamemnon feilscht und prachtvolle Lügengeschichten über seine Heimat erzählt, ein Haus an der Bucht der Hirsche, die Meerwasser trinken, Steine fressen und sie als formbares Baumaterial ausscheiden. Er hat mit mir ähnliche Scherze getrieben.

Manchmal konnten wir auch gemeinsam feinen Unfug entwickeln. Bei einer Frankreichfahrt sahen wir am Ortseingang von Lormes (Morvan) das Schild mit den Städtepartnerschaften – u. a. Ulmen/Eifel –, und ich behauptete, ich sei gerührt. Hannes, der kein Französisch konnte, fragte wieso um Himmels willen. Ich erklärte es ihm: Die Ulme ist l’orme, und wenn Lormes eine Partnerschaft mit Ulmen eingeht, haben sich offenbar ausnahmsweise mal zwei Gemeinden wirklich etwas gedacht. Hannes schwieg ein paar Momente; dann sagte er, das sei aber sicher nicht alles, und er finde, die Lorme könnte ebenso gut ein altes Handwerksgerät sein. Unter zuweilen brüllendem Gelächter entwickelten wir dann die Lorme; es handelt sich um ein Gerät, das aus zwei gegenläufig rotierenden Hartholzwalzen besteht, getrieben von einer Handkurbel. Am vorderen Ende der Walzen gibt es löffelförmige Klingen, und mit diesen Lormen wurden in alter Zeit allzu lautstarke Troubadoure »entkernt«. Ich habe die Lorme später in einem Krimi erläutert, und in Hannes' Roman über Darius gibt es jemanden, der eine Lorme als Briefbeschwerer verwendet; ich glaube, ein Eunuch streift das Objekt irgendwann mit einem Blick und seufzt leise.

Dass Hannes irgendwann beginnen würde, historische Romane zu schreiben, liegt eigentlich auf der Hand und war doch Zufall. Anfang der 90er Jahre saßen wir wieder einmal zwischen Flaschen und Aschenbechern in seiner Münchner Wohnung und zerbrachen uns die Köpfe. Die Serien Atlan und Mythor waren eingestellt, Perry Rhodan lief noch, aber der damals zuständige Redakteur mochte Kneifel nicht und hatte ihn ausgesondert, und Hannes wusste nicht so recht, was er nun schreiben und wovon er leben könnte. Wir gingen alle möglichen Themenbereiche und Gattungen durch; Krimis schieden aus, das war nicht seine Sache, SF in Deutschland bis auf Perry Rhodan und die Star-Wars- und Star-Trek-Bücher tot, und vielleicht dies und eher nicht jenes, und könnte man möglicherweise aus den vielen Texten der letzten Jahrzehnte irgendwas – und einer von uns (oder beide gleichzeitig?) erwähnte die Atlan-Zeitabenteuer, und ich sagte »historische Romane«. Hannes war zuerst sehr skeptisch, sagte, er sei an Umfänge zwischen Heft und Taschenbuch gewöhnt, und historische Romane müssten, wenn gründlich, dann dicker sein, und ganz anderes Handwerk, und überhaupt. Ich sagte, abgesehen von der Versform gebe es zwischen Shakespeares Königsdramen und Perry Rhodan mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede: Wie baue ich eine Figur auf, wie spricht sie, wie verbinde ich Hintergrund und Handlung und Dialog zu einer organischen Einheit …

»Ja, schön, aber die Recherche; es muss doch alles Hand und Fuß haben.«

»Du hast doch für Atlan in Ägypten, in Babylon, bei Alexander dem Großen, in Rom, im Mittelalter so viel recherchiert. Fang doch einfach mit einer Zeit und Gegend an, in der du dich schon einigermaßen auskennst. Ägypten oder Babylon, so etwas. Und hör auf zu zappeln; du hast mir viele gute Ratschläge gegeben, jetzt lass dir mal von mir etwas sagen.«

Dass daraus so schöne, gut recherchierte und gut erzählte Romane wurden wie Das Siegel des Hammurabi, Weihrauch für den Pharao, Hatschepsut oder Darius ist weder meine Schuld noch mein Verdienst; ich war einfach nur zur rechten Zeit am rechten Ort, als Katalysator. Fünf Minuten (oder Tage) später wäre er selbst darauf gekommen. Einem geborenen, begabten Erzähler, der viel gelesen und viele Geschichten im Kopf hat, geht der Stoff nie aus, und die passende Form ergibt sich früher oder später von selbst.

 

Auch mündlich warst du ein wunderbarer Erzähler; du konntest mit den richtigen Wörtern die absurdesten Anekdoten so erzählen, dass wir dir alles geglaubt haben. Bis du dann selbst angefangen hast zu grinsen.

Vielleicht hast du das von deiner Mutter gelernt. Jedenfalls gibt es da eine Geschichte, in der sie ein Zauberwort verwendet, ein Wort, das alles verändert und ungeheure Wirkung hat. Es war dies in den Hungerjahren nach dem Krieg. Eines Tages hatte deine Mutter Fleisch aufgetrieben: unvorstellbarer Luxus. Die kneifelsche Wohnung duftete betäubend nach Braten, alle setzten sich zu Tisch, aßen sich zum ersten Mal seit langer Zeit satt. Und dann fragte einer, was es denn eigentlich für ein Fleisch gewesen sei. Deine Mutter sprach jenes Zauberwort, das alles verwandelte: »Pferd.« Und die Herren Kneifel senior und junior sprangen auf und stürmten zu einer enthusiastischen und … explosiven Besichtigung des Bads. Hat ein »Abrakadabra« je soviel bewirkt?

Ansonsten hast du fast alles gegessen. Du hast geliebt, du hast sechzig Jahre lang gründlich getrunken und prächtig geraucht. Du warst gut zu deinen Freunden. Du hast gute Bücher geschrieben. Du hast gelebt, und wir waren gern dabei.

Lichtenberg schrieb: »Mir tut es allemal weh, wenn ein Mann von Talent stirbt, denn die Erde hat derlei nötiger als der Himmel.«

Du wirst uns fehlen. Gute Reise wohin auch immer, alter Freund.

 


Jörg Weigand: Han(n)s Kneifel: Sehr persönliche, kurz gefasste Chronologie

 

 

11. Juli 1936 geboren in Gleiwitz (Oberschlesien)

1945 Flucht nach Oberbayern

1948 Übersiedelung nach München

1956 Erste Romanveröffentlichung »Uns riefen die Sterne«

1960 Begabtenabitur (nach Konditorlehre mit Meisterprüfung), Studium der Pädagogik

1961 Erster Roman für »Terra« (Band 195 »Das Serum des Gehorsams«)

1961 Erster Roman für »Utopia« (als Alexander Carr; Utopia Großband 146 »Die schwarzen Adler«)

1965 Staatsexamen; Berufsschullehrer in Kitzingen/Main

1965 erster Perry-Rhodan-Planetenroman »Am Rand des blauen Nebels« (Band 8)

1965 »Der Traum der Maschine« (Terra Tb 100)

1967 Beginn der Serie »Die interstellaren Händler«, Terra Band 520: »Freihändler der Galaxis«

1967 »Das brennende Labyrinth«

1968 Mitarbeit an der »Perry Rhodan«-Heftserie (Band 352 »Planet des tödlichen Schweigens«)

1968 erstes Atlan-Zeitabenteuer Planeten-Romane Band 56 »Bruder der stählernen Wölfe«

1968 »Raumschiff Orion« nach der gleichnamigen Fernsehserie (Band 1 »Angriff aus dem All«)

1969 Mitarbeit an »Atlan«-Heftserie (Band 8 »Das Camp der Verbrecher«)

1969 Sachbuch »Menschen zum Mond«

1969 »Wie Mädchen heute Männer lieben«, Roman zum Film »Jet Generation«

1973 Mitarbeit an »Dragon« (Band 4 »Der Schrein des schlafenden Gottes«)

1973 »Die Costa Smeralda in Sardinien. Vademecum für Feriengäste«

1974 Mitarbeit an »Vampir«-Heftreihe (als Hivar Kelasker; Band 56 »Der Werwolf«)

1975 Mitarbeit an »Dämonenkiller«-Heftserie (als Hivar Kelasker; Band 51 »Sklaven des Vampirs«)

1980 Mitarbeit an »Mythor« (Band 7 »Die Peststadt«)

1987 Mitarbeit an »Seewölfe« (als Sean Beaufort; Band 590 »Das Testament«)

1992 Serie »Cade Chandra«, erster Band »Jäger der Erinnerung«

1994 Beginn der historischen Romane mit »Der Bronzehändler« und »Babylon – Das Siegel des Hammurabi«

1. März 2012 in München verstorben

 


Thomas Le Blanc: Der Einsame von Kitzingen

 

 

Du verlässt die Altstadt, überquerst den Main über die Südbrücke, fährst unter der Eisenbahnbrücke hindurch und befindest dich auf der Straße, die du den Weg der zwei Häfen nennst. Noch etwas weiter – und du siehst bereits die Lichter. Sie schwingen sich auf dem Kamm der Berge wie zu einem Kreisbogen.

Du siehst die aufblitzende Landebefeuerung, weitmaschige Drahtzäune, stählerne Pfosten und die Silhouette des Kontrollturms, aus dessen Natursteinwand die Flächen erleuchteter Fenster brechen. Du bemerkst die Umrisse der amerikanischen Militärflugzeuge, die stumpfsilbern und still neben dem Rollfeld stehen, und du ahnst die Nummern und Namen auf ihren Seitenwänden. Sie stehen auf dem Hoheitsgebiet der Macht, die dir Schutz verspricht und Sicherheit.

Du näherst dich dem Flughafen von Kitzingen.

Das beschauliche Treiben der Altstadt hinter dir wird leiser, deine Hand greift nach der Knüppelschaltung, und dein gebraucht gekaufter Wagen holpert langsam weiter. Die fremden fränkischen Laute, die du niemals richtig verstehen, nie ganz erfassen wirst, ersterben. Vor dir ist die Helligkeit einer technisierten Oase am Rande der rätselhaften Stadt am Main.

Und dann hast du plötzlich Eile, dich doch in deinen privaten Turm am Klettenberg zu begeben und biegst nach rechts ab. Kennst du das nachbarschaftliche Gerede in einer Kleinstadt in Mainfranken? Gewiss … du hörtest davon oft genug. Doch die Stadt ist dir fremd geblieben.

Endlich stehst du vor dem unscheinbaren Nachkriegshaus mit der Doppeltür aus geriffeltem Glas im Metallrahmen und mit dem schlanken Griff aus poliertem Aluminium. Irgendwo hinter dir hörst du einen Betrunkenen in der Nacht grölen. Die Türflügel sind geschlossen, und dich friert.

Dein kleiner Schlüssel dreht sich in dem BKS-Schloss, ein Flügel der Haustür gibt nur mühsam dem Druck deiner Hand nach, schwingt nach innen und rastet dann mit einem hässlichen Geräusch hinter dir wieder ein. Du schließt wieder ab und fühlst dich jetzt erst geborgen. Du lachst über diese Einbildung; ist jemals etwas geschehen?

Niemals – bisher.

Trotzdem bist du froh, dass die Stadt hinter dir liegt. Das Haus nimmt dich auf; der Flur ist leer. Es ist sehr spät, schon weit nach Mitternacht. Du befindest dich im Haus deiner Vermieter, das dir leidlich Sicherheit verspricht. Du steigst die steilen gewendelten Stufen zu deiner Wohnung hinauf.

Du kommst zu dem dunkelblauen Vorhang aus schwerem Stoff, der vor dem brüchigen Holz deiner Wohnungstür liegt. Du schiebst den Stoff zur Seite, schließt abermals auf und trittst ein. Gewohnheit und Ordnung umgeben dich sofort. In deine Nase dringt ein gewohnter Geruch; kalter Zigarettenrauch und jener merkwürdige Dunst, der aus deinem alten Elektroherd kommt, wenn du ihn anschaltest. Du bist zu Hause. Der Schlüssel – ein flaches Stück Metall mit ein paar Einkerbungen – hat alles ausgesperrt: Unruhe und Sorgen über deine derzeitige Arbeit, Gedanken und Gefühle zu deiner persönlichen Freiheit.

Alles …?

Du fragst dich erneut, ob es für dich das Richtige ist, in einer langweiligen Stadt gelangweilte Lehrlinge zu unterrichten und dafür jeden Monat dein sicheres Salär zu erhalten, oder ob du nicht besser als Freidenker und Freiträumer dich in fernere Sphären schwingen solltest. Erst gestern hatte Kurt Bernhardt wieder am Telefon gepoltert, dass du in München gebraucht würdest, weil der Scheer nicht mehr mit dem Ernsting rede und der Schelwokat sowieso sein eigenes Süppchen koche und der Voltz noch zu unerfahren sei, das alles wieder zu glätten. Da könnte deine stilsichere literarische Arbeit Luft verschaffen.

Du weißt, dass die Ideen dir zufliegen wie Träume.

Du stehst am kleinen Fenster deines Arbeitszimmers und starrst schweigend in die Nacht hinaus. Du bist mittelgroß und hager und fällst in der Menge nicht weiter auf. Du trägst eine kakifarbene Hose, nicht zu eng, darunter kurze Stiefel von der Art, wie sie der Schuhmacher um die Ecke anfertigt, halbwegs erschwinglich aus roh gebliebenem Wildleder. Ein Gürtel, handbreit, aus demselben Leder, darüber ein enger schwarzer Pullover aus synthetischen Fasern, weich und mit hohem Kragen.

Eine Hand lässt du locker hängen, die andere fasst in den vergilbten Stoff des billigen Vorhangs, der kaum das Fenster ausfüllen kann. Dahinter liegt das kleine, in den Giebel eingesetzte Fenster. Der Blick vom obersten Stockwerk des Hauses geht, nur leicht verbaut, in Richtung des Kitzinger Flughafens, zur linken Hand und bergab die lang gezogene Siedlung und darunter, für dich nicht sichtbar, die Schiffsanlegestelle am Main mit dem hölzernen Kran.

Und beständig wischt das Leuchtsignal des Flughafens über dein dunkles Gesicht: Die drei Lichter drehen sich unablässig – vierhundertmal in der Stunde, zweimal ein weißes Licht, einmal ein grünes. Kitzingen ist ohne diese Lichter nicht vorstellbar.

Es ist tiefe Nacht, du stehst am Fenster und gähnst. Du bist allein. Und du wirst von dieser Szenerie auf immer träumen.

Du heißt Hanns Kneifel und bist Schriftsteller und Terraner.

 

 

Die vorliegende Hommage ist eine Rückübersetzung der ersten zweieinhalb Seiten von Hanns Kneifels Roman »Der Einsame von Terra« (Perry Rhodan Planetenroman 23) in die Realität des Jahres 1966 und ist unbedingt synoptisch zu lesen. Kitzingen war Kneifels K’tin Ngeci.

 


Monika Niehaus-Osterloh: Das Gastmahl

 

 

Ich habe Hanns Kneifel nie persönlich kennengelernt, er ist mir jedoch als Schöpfer von »Raumpatrouille Orion« seit jungen Jahren ein Begriff. Nach Auskunft derer, die ihn persönlich kannten, soll er Wein, Weib und Gesang sehr geschätzt haben. Vielleicht wäre er gern in Donnas Kaschemme dabei gewesen.

 

Die Tür flog mit einem Krachen auf, und hinein drängte sich ein lärmender Haufen absonderlich gekleideter Gestalten. Wir Stammgäste, das heißt, Willi, das Wurmlochwiesel, Quoxx, der Kuiperbelter, meine Wenigkeit und ein halbes Dutzend der üblichen Verdächtigen, für die Donnas Kaschemme so etwas wie ein Zuhause ist, hoben erstaunt den Kopf. Der Anführer der Bande, ein fülliger, in eine Art Laken gekleideter Mann mit üppiger Lockenpracht, sah sich um und runzelte die Stirn. »Bedienung!«, brüllte er, während sich einige leicht geschürzte Frauen knuffend und kichernd an ihm vorbei in die Stube drängten. »Wo bleibt der Wein? Die Reise hat uns durstig gemacht …«

Wenn Donna etwas gar nicht leiden kann, dann sind es Kerle, die sich aufspielen. Donna ist nicht besonders groß, aber sie hat die untersetzte Figur eines Ringers und bewegt sich trotz ihrer Körperfülle mit erstaunlicher Leichtigkeit. Die Arme in die Hüften gestützt, baute sie sich vor dem Dicken auf. »Schnauze!«

Dem Dicken fiel die Kinnlade herunter. »Was wagst du, Weib …« Er schnippte mit dem Finger und schien erstaunt, als sich nichts tat.

Donna holte tief Luft und trat noch einen Schritt näher an ihr Gegenüber heran. Der rote Hahnenkamm ihrer Irokesenfrisur wippte angriffslustig. »Wenn hier jemand brüllt, dann ich, Fettsack!«

Der Angeraunzte blähte die Backen. »Blitz und Donner, als zweimal Geborener habe ich Anspruch auf Respekt …«

»In meiner Kneipe bestimme noch immer ich, wer willkommen ist«, fiel Donna ihm ins Wort. »Und bei euch Karnevalsfiguren sieht es im Moment nicht so aus.« Unter zusammengekniffenen Brauen funkelten ihre Augen wie die einer wütenden Katze.

Auf dem Gesicht des Dicken machte sich Unsicherheit breit. Er kratzte sich am Kopf und rückte seinen Kranz aus Weinranken zurecht. »Wir haben doch reserviert …«

Donna schüttelte verblüfft den Kopf, doch ehe sie etwas sagen konnte, drängte sich Willi vor. Willi ist der beste Wurmlochscout diesseits und jenseits der Milchstraße und kennt buchstäblich Gott und die Welt. »Diese Truppe kommt mir irgendwie bekannt vor.« Er kniff die Augen zusammen. »Könnte es sein, dass euch ein Navigationsfehler unterlaufen ist?«

Der Dicke drehte sich um. »Hephy, komm mal her …«

Ein Alter im Lederschurz hinkte herbei und zog eine abgenutzte Karte aus seinem Wams. Alle drei beugten sich darüber und begannen sie zu studieren. Gelegentlich drangen Wortfetzen nach außen. »… völlig veraltet … neue Quantenfluktuationen … falscher Abzweig …«

Schließlich hob Willi den Kopf und grinste. »Wie ich mir gedacht habe! Die Herrschaften stammen von einer Parallelwelt im Gammaquadranten und haben sich ziemlich verirrt. Statt in einer antiken Taverna auf den elysischen Feldern sind sie hier gelandet.« Er machte eine schwungvolle Handbewegung. »Darf ich vorstellen: Der ehrenwerte Dionysos, in manchen Kreisen auch Bacchus genannt …«

»… Gott des Weines und der Trauben.« Der Dicke wies reihum. »Meine Freunde Hephy, Pan und Priap. Und mein Gefolge aus Satyrn und Nymphen, die mich an meinem Ehrentag begleiten.« Er rieb sich das Kinn und lächelte vorsichtig. »Nun, nachdem dieses Missverständnis geklärt ist, wäre es möglich – wenn wir schon mal hier sind …«

Donna musterte ihn mit verschränkten Armen. Objektiv betrachtet war dieser Dionysos kein übles Mannsbild. Und er hatte hübsche Grübchen. »Ein bacchantisches Gelage?«

Die Umstehenden, ihre Stammgäste eingeschlossen, nickten eifrig. Donna wiegte zweifelnd den Kopf. »Meine Küche ist eher rustikal, Schmalzbrote und Eier mit Speck; auf ein Mahl für Götter und ihr Gefolge bin ich nicht eingerichtet …«

»In der Küche steht doch noch ein alter Replikator«, mischte sich Quoxx plötzlich ein, »wenn wir den wieder zum Laufen brächten …«

»Replikator? Wo? Zeigt her! Ich bin Schmied, von Quantenmechanik verstehe ich was!« Hephy schob sich nach vorn. »Ich liebe Higgs-Bosonen!«

»Le boson scalaire de Higgs, c’est l’horloge des anges ici-bas«, kicherte eine der Nymphen, und als der Schmied sie aus großen Augen ansah, hob sie nur ihre füllige Schulter. »Das Anagramm funktioniert nur auf Französisch.«

»Dieses ganze Quantentheater wächst mir über den Kopf«, stöhnte Dionysos, während er Donna und den anderen half, die Tische zu einer langen Tafel zusammenzuschieben. »Und dazu noch dieses ganze Durcheinander mit den Parallelwelten – ich glaube, ich bin einfach zu alt für diesen neumodischen Kram.« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und stützte den Kopf in die Hände. »Und mit Fingerschnippen ist hier auch nichts auszurichten – hier glaubt niemand mehr an uns, nicht wahr?«

Donna stellte einen schäumenden Krug Bier vor die Nase. »Aber an Liebe, Lust und Leidenschaft.«

Der Dicke nahm einen tiefen Zug, wischte sich den Schaum vom Mund und grinste. »›Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, nach deinem weißen Leib, du Weib‹, meinst du?«

Donna grinste zurück. »So ähnlich. Mal sehen, wie weit unsere Klempner inzwischen sind.«

Aus der Küche drangen verheißungsvolle Geräusche. Hephy, der Schmied, war bis zur Hüfte in dem alten Replikator verschwunden, fluchte vor sich hin und raunzte Quoxx und Willi an, ihm dieses oder jenes zu reichen. Schließlich richtete er sich auf. »Das war’s.« Er wischte seine Hände an seinem Lederschurz ab und sah seine beiden Helfer an. »Aber ganz ohne göttlichen Funken funktioniert auch in der Quantenwelt nichts. Wenn ich die Kiste jetzt anstelle, könntet ihr … könntet ihr einen Augenblick versuchen, euch vorzustellen, das Mahl sei ein Opfer zu Dionysos’ Ehren? Könntet ihr einen winzigen Moment an die alten Götter glauben?«

»Na klar. Für einen guten Zweck können wir an alles glauben.« Willi und Quoxx grinsten sich zu.

Tief Atem holend, drückte der alte Schmied auf den Kopf. Ein leises Summen erfüllte die Küche, und im Inneren des Replikators breitete sich ein rosiger Schein aus.

»Heureka!« Hephaistos stemmte die Hände in die Hüften und tanzte einen spontanen Sirtaki. »Und nun an die Arbeit!« Er rieb sich die Hände.

 

»Wow!« Donna war sichtlich beeindruckt.

In der Zwischenzeit waren ihre Gäste nicht untätig geblieben. Die Nymphen hatten einen Teil ihrer spärlichen Bekleidung als Tischtuch geopfert, Donnas Geschirrschränke und Kerzenvorräte geplündert und die Satyrn nach Herbstlaub und den letzten bronzenen Chrysanthemen ausgeschickt. Nun ließ ein Meer von Kerzen auf dem Tisch die abgestoßenen Kanten von Gläsern und Steingut vergessen und tauchten die Tafel in ein märchenhaftes, goldenes Licht.

Dionysos, den Rankenkranz verwegen schief auf seinen Locken, wies auf den Platz zu seiner Rechten. »Setz dich zu mir, meine Liebe! – Hephy, wie weit bist du?«

Der Schmied, ganz in seinem Element, steckte den Kopf durch die Küchentür. »Wie würden euch weiche Austern im Halbschlaf, karamellisierte Lammkeule Gargantua, gespickte Spanferkel Pantagruel, Sirenenschulter mit Aphroditepüree und Paradiespfirsich munden, dazu ein frischer kleiner Weißer und ein vollmundiger kretischer Roter?« Ohne eine Antwort abzuwarten, kehrte er an seine Wirkungsstätte zurück, und in kürzester Zeit füllte sich die lange Tafel mit Gesottenem und Gebratenem, Schalen mit Trauben, Rosinen, Mandeln und Datteln, bauchigen Karaffen mit Wein und Krügen mit Bier sowie Körben voll Fladenbroten.