Corinna Griesbach (Hrsg.)

Schuld

 

 

Haller 13

 


Corinna Griesbach (Hrsg.)

SCHULD

 

Haller 13

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Oktober 2016 Corinna Griesbach, die Autoren & Künstler & p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Tatjana Frey

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Corinna Griesbach, Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

HALLER im Verlag p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.haller.pmachinery.de

www.literaturzeitschrift-haller.de

 

ISSN: 1869 4624

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 073 3

 


Vorwort

 

 

Das ist doch nicht meine Schuld – oder doch? Wir werden schuldig, machen Schulden, gehen an unserer Schuld zugrunde, sühnen, bekommen Schulden erlassen, haben Mitschuld oder sind doch unschuldig – an allem?

Deine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld: Das ist das Thema, dem sich acht Autoren gewidmet haben, deren Texte nun in dieser 13. Ausgabe unserer Literaturzeitschrift vorliegen.

Surreale, reale, ernste, verzweifelte und manchmal melancholische Geschichten warten auf Sie. Neben Autoren, die bereits bekannt und erfolgreich sind, werden Ihnen auch neue Namen begegnen: Schauen Sie in die Vitae am Ende der Zeitschrift, es wird spannend!

Dazu zeigen wir vollkommen unterschiedliche, ungewöhnliche Bilder, die das Thema auf mannigfaltige Weise aufnehmen.

 


HALLER 13 - Schuld

 

Cornelia Arbaoui: Engel der Sühne


Michael Wenzel: Der schlimmste Mensch im Dorf

 

 

Links, wo es zum Buchenwald geht, am Bach vorbei, wo die weißen Steine schimmern wie Eimer voll Milch, überwachsen vom Holunder, der duftet, als wäre der Himmel sperrangelweit offen, steht das Anwesen vom Beutler: Haus, Scheune und der lang gestreckte Saustall. Vielmehr steht dort, was von allem übrig ist.

Die Fenster mit Querhölzern vernagelt, zerworfen das blinde Staubglas, aus scherbengespickten Mäulern gähnen Moder und Schimmel. Während Salzgrind die Wände benagt, blutigrote Schrunden aufreißt, öffnet sich ein Zeitriss quer durch die Tür.

Das Dach hat seine Haut stückweise zu Boden geworfen, um das leere Herz aufzudecken hinter blanken Rippen.

 

Über die Vorderfront vom Stall ist in großen Lettern gepinselt, mit der roten Ochsenbeize: Braten sollst in der Höll, Saubeutler. Man kann ein paar Buchstaben noch lesen, wenngleich sie eine Ewigkeit her ist, die furchtbare Sache mit dem Beutler.

Von dem keiner weiß, wo sein Grab liegt, wo sie ihn verscharrt haben.

Dem sie, in der Hauptstadt dorten, den Kopf abgeschlagen haben, mit dem Fallbeil, und ihn zwischen seine Knie legten, im Brettersarg. Mit dem Gesicht nach unten. Damit er für immer in den Abgrund der Hölle schaue.

Dem sie die Totenkiste zuhämmerten, mit fingerlangen Zimmermannsnägeln, um den Sauhund nicht mehr auskommen zu lassen.

Dem sie keinen Pfarrer mitgegeben haben, keine Menschenseele, kein Gebet für seinen Weg ins Feuer, das ihn ewig brutzeln soll.

So sagen sie. So erzählen sie und fluchen ihm hintennach.

 

Über hundertfünfzig Jahr ist es her.

Doch zum Beutler haben alle vom Dorf was zu sagen, alle ihre Geschichten abzugeben: die Alten an der Dorfeiche oder die Hausfrauen beim Metzger Kaindl, die Bierdimpfel vom Ochsen, der Lehrer und Pfarrer, die Kanzelschwalben, selbst die Gassenkinder, denen der Beutler bis in den Schlaf nachläuft. Mit dem Hackebeil.

Gesoffen soll er haben, wie ein Loch, und herumgehurt in der Stadt, in so einem feinen Loch, wo der Schampus eine ganze Stange Geld kostet.

Andre sagen, er hätte eine Magd gehabt, ein Luder, wie es schlimmer nicht mehr geht, einen Schlitz, einen geilen Teufel. Sie soll ein Kind von ihm getragen haben, im Bauch, eines mit Hörnern, ein Kind des schlimmen Blutes.

Viel Geld habe er angeblich beiseitegeschafft, aus den Grundstücken, die die Beutlerin geerbt hat. Er wollt noch mehr zusammenraffen. Weil er den Hals nicht vollkriegte.

Manche sagen auch, der Beutler wollt raus aus dem Dorf, in die schöne und weite Welt hinaus. Nur seine Frau hätte ihn nicht gelassen. Und dann wäre es halt passiert.

Wenn man die ganzen Geschichten zusammenlegt, gibt es überhaupt keine Geschichte, höchstens einen Klumpen von Sachen, ein Knäuel von verdrehtem Zeugs, das umherkreist wie die Enten auf dem Dorfteich. Das man nie und nimmer in eine Reihe kriegt.

Manche sagen auch, dass der Beutler und seine Frau gut miteinander gelebt hätten, vielleicht ein bisschen für sich. Aber keiner hat je ein böses Wort gehört über den andern, keiner. Das sei alles spinnertes Gerede von denen, die sich wichtigmachen und ihren eignen Unrat auf den Beutler legen.

 

Man weiß höchstens, dass der Beutler anfangs ein kleiner Bauer war, der Kartoffeln anbaute und Mais und die Schweine in den Buchenwald trieb, zur Mast mit den feinen Eckern. Er und die Beutlerin lebten dorten, ein ganzes Stück vom Dorf weg. Sie gingen am Sonntag in die Kirch, er nachher in den Ochsen. Kinder haben sie keine gehabt, zum Glück, wie die Weiber flüstern. Vielleicht, weil mit dem Beutler was war. Er verkaufte seine Säue an einen Viehhändler aus der Stadt, den die andern nicht kannten. Da schauten die andern Bauern schon schief und scheel, wie man denken kann. Er soll gute Säue gehabt haben, ein gutes Geld gekriegt haben. Aber das ist Geschwätz, das kein Stück näher zur Einsicht führt.

Und dann hat die Beutlerin, wie gesagt, geerbt, Grundstücke von einem Onkel mütterlicherseits. Aber deswegen hat sie auch nicht anders gelebt, andere Sachen angehabt oder mit dem Geld um sich geschmissen. Und deswegen haute er sie nicht in Stücke.

 

Sie steht an der Mehltruhe, hat den Deckel hochgeklappt, als der Beutler hereinkommt. Er sagt nichts. Sie hört ihn und dreht sich um. Sie will allenfalls noch etwas sagen oder fragen, erschrickt womöglich, weil er den Arm hebt, wo am Ende, aus der Faust, ein Hammer ragt.

Er schlägt ihr so heftig auf den Kopf, vorne wo die Stirne glatt ist, dass er es krachen hört. Da zerbricht ziemlich viel. Eine Flüssigkeit, von der er weiß, dass es Blut ist, wirft sich zu ihm herüber, und sie fällt nach hinten wie ein umstürzendes Kalb, das den Bolzen in den Schädel bekommt. In die Mehltruhe fällt sie, wo sie hängen bleibt. Er schaut auf sie herab, der Hammer fällt zu Boden. Er geht aus dem Zimmer.

Sie haben später festgestellt, dass er sie eine ganze Weile so hat liegen lassen, halb in der Mehltruhe drinnen. Rote Klumpen im weißen Mehl, die Zeit geht mit zitternden Lippen durch die Stuben. Sie haben später gefragt, was er währenddessen gemacht habe. Ob er drüber nachgedacht habe, ob er eine Wut hatte. Er sagte nichts.

Er kommt wieder herein, sieht sie nicht an, weil genug anderes in seinem Kopf ist, zieht sie hoch, um sie sich über die Schulter zu werfen. Ihr Kopf schlenkert hin und her, das Blut läuft ihm an der Schulter herab, tropft auf den Boden. So trägt er sie aus der Kammer.

Sie haben später das Blut von einem Polizeihund erschnüffeln lassen. Er hatte nicht darüber gewischt. Das verstand keiner, warum er nicht sauber gemacht hat. Wo er sich doch sonst so viel Mühe machte, die Leiche wegzukriegen. Das fragten sie ihn. Er schüttelte den Kopf, als ob er nichts verstünde.

Er trägt sie in den Stall, zieht sie aus. Die Sachen stopft er in einen Kartoffelsack, mitsamt den Schuhen. Den Sack stellt er in eine Ecke, vergisst ihn dort oder will nicht daran denken. Man kann nicht sagen, ob er die Frau noch angeschaut hat. Angeschaut, wie ein Mann seine Frau anschaut, mit der er so lange gelebt hat.

Den Sack fanden die Kriminaler. Er stand noch in der Ecke. Der Beutler hat die Kriminaler angestarrt, nichts gesagt, als sie ihm den Sack zeigten.

Den Körper legt er über den Hackklotz. Er hat ein breites Schlachterbeil. Mit dem man Schweine und Ochsen zerteilt. In Stücke hackt. Er legt die Teile übereinander zu einem Haufen. Dann zerschlägt er noch einmal die größeren Teile. Sein Arm geht auf und nieder, ohne Unterbrechung, haut sicher die Stücke heraus. Die Schweine sind unruhig, riechen vielleicht das Blut.

Sie haben ihn gefragt, ob er sich was gedacht habe, bei allem. Er sagte, er sei das gewohnt gewesen, in den Stall zu gehen. Ihm sei nichts andres eingefallen. Und er wisse nicht, was er im Hirn drin hatte.

Der Hackklotz hat gestunken wie ein Abtritt, und das Stroh klebte vom Blut und den Säften der Gedärme. Der Polizeihund war völlig verrückt, als sie den im Stall hatten.

Er wirft die Stücke in die Schweinekoben. Die Schweine fallen drüber her. Als er fertig ist, geht er in die Stube, sitzt dort eine Weile im Herrgottswinkel, dann geht er in den Ochsen. Der Wirt und die üblichen Bierspechte wundern sich schon, dass der Beutler an einem Wochentag ins Wirtshaus gehe. Sie wollen ihn aufziehen deswegen, aber er schaut höchstens, als würde er nichts verstehn, und winkt müde ab.

Sie haben ihn später gefragt, warum er in den Ochsen gegangen sei und was er sich dort gedacht habe. Er sagte, dass er einen Durst gehabt habe. Dann sei ihm eingefallen, dass er seine Frau erschlagen und zerhackt habe. Das habe er dann im Wirtshaus erzählt. Wem überhaupt, wisse er nicht mehr.

Er trinkt zwei oder drei Halbe, zwei helle Schnäpse dazu. Der Wirt will ein paar Worte zu ihm sagen, doch der Beutler schaut durch ihn hindurch. Der Wirt sieht, dass die Hände vom Beutler voll Blut und geronnenem Kot sind und die Joppe auch. Und er stinkt, als käme er aus dem Schlachthof.

Sie haben den Wirt gefragt, was er deswegen gesagt habe. Der Wirt sagte, er habe den Beutler gefragt, ob er selber eine Sau gestochen habe und der Hauschlachter bei ihm gewurstelt hätt.

Der Beutler sagt ganz langsam, als wolle er Wort für Wort wie Backsteine aneinander mörteln, dass er seine Frau erschlagen und sie den Säuen vorgeworfen habe, Stück für Stück.

Den Rest weiß jeder im Dorf, bis heute.

 

Die Kripo ist gekommen und hat alles vorgefunden. Das Blut, den Hackklotz, die Mehltruhe und die Säue. Und die abgenagten Knochen in den Koben.

Dann sind die Zeitungsleute gekommen und haben jeden ausgefragt. Doch die meisten von den Schmierfritzen haben nichts verstanden, kein Wort. Deshalb schrieben die auch, was sie wollten: vom Blutbeutler, vom Kannibalenbeutler, vom Satansbauern und seinen Säuen. Das konnte nicht einmal der Pfarrer oder Lehrer erklären, was die da meinten.

Dann sind die Zugereisten gekommen, die etwas sehen wollten, die Schaulustigen aus der Stadt. Die den Hackklotz anschauen wollten und den Stall. Aus dem sie die Säue rausgeschafft hatten. Keiner weiß, wohin.

 

Ein halbes Jahr später schlugen sie dem Beutler den Kopf ab. Er hat im Prozess kaum ein Wort gesagt.