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Märchen aus 1001 Nacht

Update 1.1

Wer braucht schon einen Dschinn?

Anthologie

Hrsg. Charlotte Erpenbeck

Lampe

Machandel Verlag

Haselünne

2018

Umschlaggestaltung: Charlotte Erpenbeck

Titelbildteile:

Ruslan Kokarev / said messolhi / ddsign /pushenko / www.shutterstock.com

ISBN 9783959591140


Machandel-Logo

Vorwort

Tausendundeine Nacht – wer träumt da nicht vom Orient? Von warmen Nächten, sinnlichen Frauen, heißblütigen Kriegern, schnellen Pferden und stolzen Falken? Von Abenteuer und Liebe?

Den Autorinnen und Autoren dieses Buches ist es ähnlich gegangen. Allerdings haben sie an den Geschichten etwas gedreht und gewerkelt. Einige von ihnen spielen noch in der vertrauten Märchenwelt, andere dagegen sind in unsere Zeit und unser Leben gewandet, und ein paar sogar weit in die Zukunft gegangen.

Sie werden ihnen hoffentlich begeistert dorthin folgen. Von hilfreichen Geistern in Raumschiffen über gestrenge Richter bis hin zu liebenswerten Ganoven ist alles in diesem Buch versammelt, was Sie schon aus den alten Märchen kennen, und auch die Liebe hat ihren Platz.

 

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Antoine Galland

 

Uralt sind die Ahnen dieser Märchen, erste Aufzeichnungen stammen aus dem alten persischen Reich um das Jahr 500. Der französische Orientalist Antoine Galland (1646–1715) erwarb 1701 eine arabische Handschrift der Märchen, übersetzte sie und publizierte ab 1704 eine französische Adaptation der Geschichtensammlung. Seitdem sind sie ein Klassiker der Weltliteratur, immer wieder neu aufgelegt und bearbeitet, wie auch hier.

Staunen Sie über das, was aus alten Märchen werden kann.

Wunder gibt es eben überall, sogar im Weltraum.


Charlotte Erpenbeck

(Hrsg.)

Ursprungsmärchen

 

 

Ali Baba und die 40 Räuber

Aladin und die Wunderlampe

Der Fischer und der Dschinn

Der trauernde Schullehrer

Die Erzählung des Schuhflickers Mar’uf

Die Geschichte des kleinen Buckligen

Die zwei neidischen Schwestern

Glück und Neid

König und Falke/Prinz Seyn Alasnam

Scheherezade (Rahmenhandlung)

Sindbad der Seefahrer

 

Außerdem kommen natürlich auch in den anderen Märchen immer wieder Elemente vor, die zu verschiedenen Märchen gehören, das heißt, ein Märchen kann durchaus drei oder vier verschiedene Ursprungsmärchen haben, nur in unterschiedlichen Anteilen.

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Die Autoren

 

 

Böcker, Gisela

Die pensionierte Lehrerin Gisela Böcker lebt mit Ihrer Familie am schönen Niederrhein im Landkreis Wesel. Für Ihre fünf kleinen Enkel Anna (6), Amelie (5), Sara (4), Alexander (3) und Simon (2) ist sie die liebste Märchenoma. Sie liest, schreibt und erzählt Märchen jeder Art – nicht nur in Ihrer Familie, sondern auch in Kindergärten.

 

Brandt, Elea

Elea Brandt, 1989 im nebligen Passau geboren, reiste als Kind zweier Germanisten schon früh in phantastische Welten. Ihre Vorliebe für komplexe, ungewöhnliche Charaktere verwirklicht sie seit vielen Jahren im Pen & Paper bzw. Live Rollenspiel und legt in ihren Werken viel Wert auf authentische Figuren und atmosphärische Beschreibungen. Wer das märchenhafte Zarbahan aus ihrer Kurzgeschichte „Der Fischer und die Peri“ liebgewonnen hat, kann im Sommer in ihrem neuen Roman „Sand & Wind“ noch einmal in das orientalische Setting eintauchen.

Homepage: www.eleabrandt.com

 

Eisele, Susanne

Susanne Eisele, geboren 1965 in der Nähe von Ludwigsburg, Baden-Württemberg, entdeckte schon früh ihre Liebe zur Musik und zu Büchern. Mit der Zeit erwachte in ihr der Wunsch, selbst Bücher zu schreiben. Mit „Nachbarschaftshilfe – ein „Vampir- und Werwolfkrimi“ setzte sie diesen Wunsch schließlich in die Tat um. Seitdem hat sie mehrere Werke der Phantastik veröffentlicht und schreibt auch als Mitglied der Märchenspinnerei (www.maerchenspinnerei.de).

Susanne Eisele lebt mit ihrem Ehemann im Nordschwarzwald.

 

Eschen, T.H.

T.H. Eschen ist ein Kind der sechziger Jahre, aufgewachsen im Südwesten Deutschlands. Geprägt von der Eroberung des Weltraums mit der Mondlandung als Höhepunkt, war sein erster Berufswunsch Astronaut. Da sich dieser nicht verwirklichen ließ, hat er in seiner Phantasie das „unbekannte Land“ erforscht. Seit 2014 unternimmt er im Kreis von Gleichgesinnten Schreibversuche in den Bereichen Science Fiction, Fantasy, Mystery und Horror.

Homepage https://heilbronnerschreibtischtaeter.jimdo.com/%C3%BCber-uns/tom-h-eschen/

 

Grüger, Antje

Als gelernte Fremdsprachenkorrespondentin hat es ihr immer Spass gemacht, sich nicht nur mit fremden Sprachen, sondern auch mit fremden Welten zu beschäftigen. Sie liebt es, nicht nur fremde Welten in ihren Ge-schichten entstehen zu lassen, sondern auch Ölbilder auf Leinwand, und zusammen mit Freunden gemeinsam zu musizieren. Bisher hat sie eine Fantasy Geschichtensammlung „Elementare Geheimnisse“ im Selbstverlag und die erotischen Fantasy-Romane „Der Schatz der Drachensänger“ und „Liliths Töchter“ sowie einige Kurzromane im Plaiisir d'Amour Verlag veröffentlicht.

 

Jung, Verena

Verena Jung wurde 1985 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihrem „Kleintierzoo“ im Saarland. Ihre Freizeit verbringt die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation mit dem Schreiben von Geschichten, malen, häkeln, stricken und singen. 2008 begann sie sich mit dem Handwerk der Schriftstellerei auseinanderzusetzen und veröffentlichte 2012 ihre erste Kurzgeschichte.

 

Jürchott, Carola

Carola Jürchott wurde 1970 in Berlin geboren. Von 1989 bis 1995 studierte sie an der Humboldt-Universität und an der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität und erwarb das Diplom als Übersetzerin für Russisch und Bulgarisch. Das Genre ihrer Kinderbücher bezeichnet die Autorin gern als „Sachmärchen“. Kombiniert mit Fantasy-Elementen geben sie unter anderem Einblick in die Geschichte und Kultur berühmter Städte und können daher ebenso als Lesebuch wie als Reiseführer für Kinder dienen. In verschiedenen Sammelbänden ist sie mit Märchen für Kinder und auch für Erwachsene vertreten. Lesungen führten sie unter anderem zur Frankfurter und zur Leipziger Buchmesse, zu den Berliner Märchentagen und zur Moskauer Biblionacht.

Webseite: www.lust-auf-geschichten.de

 

Kaiser-Plessow, Utta

Jahrgang 1939, promovierte Juristin war Richterin am Finanzgericht. Verheiratet, drei erwachsene Kinder. Lebt mit Ehemann in Köln. Im Ruhestand mit literarischem Schreiben begonnen. Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien.

Bei BoD veröffentlicht: ‚ 2984’, utopischer Roman; ‚Neun Arten zu Tode zu kommen’, Kurzgeschichten; ,Als die Weihnachtsgänse flüchteten‘, fünfzehn Weihnachtsgeschichten.

Ihr Köln-Krimi ‚Die fremde Schuld‘ ist 2017 im CMZ Verlag erschienen.

 

Kaminski, Karl-Otto

Karl-Otto Kaminski, Jahrgang 1939, Ruheständler mit kaufmännischer Vergangenheit, lebt in Dortmund.

Er veröffentlichte bisher ein Kinderbuch in Versen, einen heiteren Ge-dichtband sowie zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten in Zeitungen, Literaturzeitschriften und Anthologien.

 

Kuboth, Herbert

Herbert Kuboth wurde in Süddeutschland geboren und zog im zarten Alter von sieben Jahren nach Norddeutschland. Inzwischen möchte er die Küste nicht mehr missen und arbeitet in einer Hansestadt als freier Entwickler und Freizeitautor. Er begann erst mit mitte Vierzig zu schreiben. Zuerst Artikel für ein Online-Verbraucherportal. Später auch Inhalte für andere Webseiten und Newsletter. Nach etwas über einem Jahr des Artikelschreibens nahm er an einem Kurzgeschichtenwettbewerb mit seiner ersten Story teil, welche Ende 2015 gedruckt wurde. Er schreibt fleissig weiter Kurzgeschichten und reicht diese bei Schreibwettbewerben ein.

 

Lindorm, Mira

Mira Lindorm schreibt, und das seit geschätzten fünfzehn Jahren. Seit rund fünf Jahren schreibt sie auch Urban-Fantasy. Wenn sie nicht schreibt, kocht sie Tee, genießt viel, viel Schokolade, und plant Urlaube mit ihren Freundinnen. Ihr Traum wäre eine Reise von Neuseeland über Japan nach Hawaii. Allerdings wird das wohl noch sehr lange nur ein Traum bleiben. Solange besucht sie halt fremde Länder (und Welten) in ihrer Fantasie.

 

Morgenroth, Evelyn

Evelyn Morgenroth, Jahrgang 1957, arbeitet an der LMU München und wohnt in Vaterstetten. Ihre Lieblings-Freizeitbeschäftigung ist das Schreiben. 2017 landete ihr Beitrag ‚Was zieh ich auf die Reise an’ in der Kategorie Gedichte auf Platz 2 des „Federleicht Schreibwettbewerbs 2017“.

https://sites.google.com/a/fun-for-writing.com/schreibwettbewerb/wettbewerb-2017

 

Münscher, Gerd

Gerd Münscher hat seine Wurzeln im Nahetal. Er betreibt das Schreiben als Hobby, um eine Ergänzung zu seinem Verkaufs- und Beratungsberuf zu haben. Seine Liebelingsthemen (sowohl zum Lesen als auch zum Schreiben) sind Märchen und Science Fiction.

 

Noah, Anna

Anna Noah, Jahrgang 1979, ist studierte Linguistin und Sinologin. 2005 war sie Gastautorin in Charles Lee Taylors Buch Reflections: A Poetic Approach II. Kurztexte sind in den Anthologien Die Magie der Weihnachtsmärkte 2016: Hrsg. Petra Pohlmann, Literarische Weinlese 2016: Hrsg. Regina Frischholz, Fernwehen: Da sein, wo andere hin wollen 2017: Hrsg. Elke Bockamp, Volle Lotte: Liebe muss man fühlen 2017: Hrsg. Lebenshilfe Berlin, LEISTUNGsfrust? LUTHER_sucht… Gnade! 2017: Hrsg. Katharina Körting u.a. erschienen.

 

Pieschke, Dolores

Dolores Pieschke wurde 1947 in Berlin geboren und ist immer noch gern Berlinerin. Hier ging sie auch zur Schule und wurde Tierärztin. Aber schon immer hing ihr Herz an Bücher(würmern) (fast) aller Genres. Diese Vorliebe haben ihre beiden Töchter übernommen. Ihr Berufsleben verbrachte sie als Tierärztin, im Umweltschutz und in der Chemie-Information, und jetzt in einem Literaturarchiv. Sie schreibt Kurzgeschichten, Märchen und Gedichte. Einige davon schafften es in Zeitschriften und Anthologien, ihre Anzahl ist überschaubar. In ihrem Schreibzirkel trainiert sie ihre Schreibe und den kritischen Blick darauf.

 

Radke, Horst-Dieter

Horst-Dieter Radke, geb. 1953 in Westfalen, lebt seit mehr als dreißig Jahren in Tauberfranken. Er arbeitet freiberuflich als Autor und Lektor, schreibt Sachbücher (zu, Beispiel über seine fränkische Wahlheimat), Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen, Romane und gemeinsam mit Monika Detering aus Bielefeld historische Kriminalromane, die in den 1950er Jahren spielen und Inselromane. Er ist Mitglied bei den »42er Autoren« und im »Syndikat«.

 

Rieger, Patricia

Patricia Rieger ist in der Schweiz geboren und lebt heute mit ihrer Familie und allerlei Getier in der Nähe von Stuttgart. Seit ihrem Studium zur Diplom-Verwaltungswirtin arbeitet sie in der Kommunalverwaltung.

Aus Spaß am Geschichtenerzählen begann sie damit, für ihre Töchter, Freunde und Familienangehörige Fantasy-Romane zu schreiben. Seit 2014 schreibt sie auch Kurzgeschichten, von denen inzwischen mehrere Texte in verschiedenen Anthologien herausgegeben wurden. Im Oktober 2016 wurde ihr erster Regionalkrimi veröffentlicht.

 

Rüsch, Martin

Martin Rüsch glaubt vielleicht nicht an manifeste Wunder, aber er hätte ganz sicher nichts dagegen, wenn es sie gäbe. Den Wundern seiner Imagination ist er seit Kindertagen auf der Spur und sie lassen ihn nicht mehr los. Heute lebt, schreibt und arbeitet er in Hannover. Fantasy- und Science-Fiction-Kurzgeschichten von ihm findet man in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften.

 

Schneider, Dr. Boris

Jahrgang 1971, stammt aus Burbach im Siegerland. Studium der Biochemie an der Universität Bayreuth. Promotion am Lehrstuhl für Mikrobiologie der Universität Würzburg. Derzeit in München tätig. Lebt in Buchloe im schönen Allgäu. Glücklich verheiratet und zweifacher Vater. Als Autor Veröffentlichungen in zahlreichen Anthologien bei diversen Verlagen. Sein Tierroman „Mauszeiten“ ist 2013 erschienen.

http://www.landsberger-autorenkreis.de/autoren/borisschneider.html

 

Sickel, Nele

Geboren im Jahr 1990 war Nele Sickel früh begeistert vom Reden, später vom Schreiben. Ihre Vorliebe für Sprache brachte sie dazu, sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Richtungen des Schreibens auszuprobieren, darunter Gedichte, Kurzgeschichten und weniger kurze Geschichten, Journalismus und Poetry Slam. Inzwischen veröffentlicht sie ihre Texte regelmäßig in Anthologien und Zeitschriften, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

 

Wahnschaffe, Claudia

Claudia Wahnschaffe, Jahrgang 1963, lebt und arbeitet im schönen Nordhessen. Ihre Liebe zu Büchern brachte sie schon früh dazu selbst Geschichten zu erfinden. Eine Leidenschaft, die bis heute anhält. Ihre Erzählungen bewegen sich hauptsächlich im Bereich der Phantastik, mit dem Schwerpunkt High Fantasy. Seit 2002 hat sie verschiedene Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht.

 

Wolf, Michaela

Michaela Wolf, geboren 1963, lebt mit ihrer Familie im schönen Franken. Sie schreibt bevorzugt Bilder- und Kurzgeschichten für Kinder und Erwachsene. „Der trauernde Schullehrer“ ist ihre dritte Veröffentlichung.

 

 

Einleitung_Seite_006

Im Namen Gottes des Allergnädigsten, des Allerbarmherzigsten!

Preis sei Allah. Und immerdar. Wahrlich, die Worte und Werke derer, die vor uns dahingegangen sind, wurden Beispiel und Richtschnur für Menschen unserer heutigen Tage, auf daß sie sehen, welche belehrenden Geschicke anderen auferlegt wurden, und sie sich als Warnung dienen lassen; und damit sie die Annalen alter Völker lesen und alles, was ihnen zufiel, und sich danach richten und sich im Zaume halten: Preis also ihm, der die Geschichten der Vergangenheit zu einer Warnung machte der Gegenwart! Von solchen Beispielen nun handeln die Erzählungen, die da heißen Tausend Nächte und eine Nacht, mitsamt ihren weit berühmten Legenden und Wundern.

(Teil der Einleitung der Original- Erzählungen aus 1001 Nacht)

Illustratoren

 

In diesem Buch wurden überwiegend historische Illustrationen verwendet, und zwar von diese Illustratoren:

 

Bull, Renè 1871–1942

Burton, Richard F. 1821–1890

Goble, Warwick 1862–1943

Robinson, William H. 1872–1944

Sterrett, Virginia F. 1900–1931


Zusätzlich verwendete ich Material von shutterstock.com. Einige der Illustrationen bestehen aus arabischer Kalligrafie. Soweit ich auf den Webseiten der Foto-Agenturen Übersetzungen dazu finden konnte, sind sie mit angegeben. Für die einführende Kalligrafien wurde mir die Bedeutung „Bismallah“ angegeben, in etwas entsprechend unseren „Alles zur höheren Ehre Gottes“, oder, wie es ganz vorne zu lesen ist: „Im Namen Gottes des Allergnädigsten, des Allerbarmherzigsten!“

 

 

Ende

Falkenmagie

Antje Grüger

380

„Erzähle uns eine Geschichte, Sheherazade.“

Kholumrandete Augen blitzen in die Runde und Sheherazade sprach mit ihrer dunklen, alterslosen, von vielen Erfahrungen gezeichneten Stimme:

„Wartet einen Augenblick. Ihr seid zwar die letzten Gäste, doch ich schließe trotzdem lieber erst ab. Geschichten sollten immer in Ruhe und ungestört erzählt werden. Ich hole auch noch etwas Halwa und Mokka, Geschichten regen alle eure Sinne an, aber manchmal kann es nicht schaden, etwas nachzuhelfen.“

Ein kurzer Blick aus dem kleinen Fenster auf die Straße. Es hatte geregnet, der Mond spiegelte sich in dem feuchten Asphalt, sein Licht vermischte sich mit dem Widerschein der leuchtenden Buchstaben über der Eingangstür. „1001 Nacht – arabische Spezialitäten“. Fast Mitternacht, die richtige Zeit, um eine Geschichte zu erzählen. Wenig später kehrte Sheherazade zu ihren Gästen zurück, verteilte kleine Mokkatassen mit zierlichen Silberlöffeln und stellte ein silbernes Tablett mit süßem Halwa auf den Tisch.

Schwarzumrandete dunkle Augen suchten nach den blauen, die sie erwartungsvoll ansahen.

„Du wünschst dir eine Geschichte von mir, dann bitte ich dich auch um etwas. Gib mir deine Hand. Ich weiß, dass du in ein paar Tagen heiratest. Wenn du möchtest, zeichne ich dir ein glücksbringendes Hennatatoo auf deine Hand, während ich erzähle.“

Lias Augen begannen zu leuchten. Der hübschen jungen Deutschen war anzusehen, dass sie sich hier in ihrem Lieblingslokal sehr wohl fühlte und genauso wie die anderen Gäste von der exotischen Atmosphäre gefesselt war. „Das würdest du tun? Dann verzaubere meine Hand, ich bin sehr gespannt …“

Eine Hand streckte sich Sherazade auf dem schönen, mit orientalischen Mustern verzierten Tischtuch entgegen. Sheherazade nahm die Hennapaste von dem Tablett und sah noch einmal in die buntgemischte Runde. Ein deutsches Ehepaar, zwei Freundinnen aus der Nachbarschaft, zwei Emigranten aus Syrien – jeder von ihnen liebte es, hier für ein paar Stunden dem Alltag dort draußen zu entfliehen.

Dann begann sie mit ihrer kunstvollen Arbeit.

*

Meine Geschichte beginnt hier in der Gegenwart, aber wer weiß schon, wohin sie uns noch führen wird?

Sie beginnt wie so viele Geschichten mit – einer jungen, hübschen Frau, keiner Prinzessin, nein, eine junge Frau, die in ihrer Kindheit aus Arabien fliehen musste, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Sie hatte keine Erinnerungen mehr an das Leben, das sie geführt hatte, bevor sie in Europa angekommen war.

Allerdings gab es etwas, das vielleicht eine Verbindung zu ihrem alten Leben war, aber sie weigerte sich, es als solches zu sehen. Die wunderschönen Falkentätowierungen auf ihren Unterarmen trug sie bereits ihr ganzes Leben, auch wenn sie nicht wusste, woher sie stammten. Irgendwann hatte sie beschlossen, sie einfach als schönen Schmuck anzusehen, denn viele ihrer Freundinnen hatten ebenfalls Tätowierungen und betrachteten es als exotischen Modetrend.

Sie selbst wollte mit ihrem früheren Leben nichts zu tun haben. Nichts sollte daran erinnern, dass sie arabische Wurzeln hatte. Die westliche Kultur war für sie der Inbegriff von Freiheit und Unabhängigkeit. Sie ließ sich ihre Haare abschneiden und blond färben und versuchte durch Kleidung und Auftreten deutlich zu machen, dass sie sich voll und ganz als Europäerin fühlte. Ihren ausländischen Namen konnte sie jedoch nicht ablegen. Das Dokument, das ihn belegte, ihr Reisepass, war das einzige gewesen, was sie noch besessen hatte, als sie in Europa von einer Flüchtlingshelferin aufgegriffen worden war. Sie hatte nur undeutliche Erinnerungen an verschiedene Flüchtlingsheime, auch in einer Pflegefamilie war sie für kurze Zeit untergekommen, bevor sie auf eigenen Füßen stehen konnte. In der Universität war sie als Sekina Sukur eingetragen, aber bei ihren Kommilitonen hatte sie den englischen Spitznamen Sassy, was so viel wie „frech“, „unverschämt“, aber auch „schick“ bedeutete und perfekt zu ihr passte. Für ihre berufliche Zukunft plante sie, ihre Magisterarbeit über bedeutende Frauen in der Weltgeschichte abzuschließen und dann politisch aktiv zu werden, um alle patriarchalischen Strukturen nach und nach zu sprengen.

Aber im Leben läuft nicht immer alles nach Plan.

Sie hastete gerade über den Flur ihrer Universität, einen Stapel mit Druckfahnen für die Handzettel über die Demo für die Rechte der Frauen eng an sich gepresst, den sie noch heute Abend zur Druckerei bringen sollte, als sie mit Carlotta zusammenstieß, ihrer Mitbewohnerin in der Studenten WG und ihrer derzeitigen Liebhaberin. Mit Männern konnten beide wenig anfangen, beide glaubten zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens daran, dass reine Frauenpower das war, was der Welt fehlte, um zu einem besseren Ort zu werden.

„Hoppla, nicht so schnell, junge Dame“, schmunzelte Carlotta und gab ihr einen Kuss.

„Was ist denn hier los? Hier ist ja mehr los als in der Münchner Innenstadt, Stau ohne Ende.“ Sekina versuchte, sich mit ihren Ellbogen durch die Menge zu drängeln und sah gleich darauf den Grund für den Stillstand. Eine Traube junger Studentinnen hatte sich vor einem der Vorlesungssäle versammelt und war in eine angeregte Diskussion mit jemandem vertieft, dem offensichtlich ihr geballtes Interesse galt. Sekina sah … einen wohlgeformten Hintern, der in engen Jeans steckte, Cowboystiefel, einen Cowboyhut – und, als er sich umdrehte, ein Lächeln, das eine magische Anziehungskraft auf die ihn umgebende Weiblichkeit auszuüben schien. Er hatte die Daumen lässig in die Taschen seiner Jeans gehakt und stand breitbeiig da, der Inbegriff eines Machos.

„Oh, mein Gott, wer ist denn dieser Typ da? Der sollte besser aufpassen, dass er nicht von seinem Ross heruntergeschubst und von der geballten weiblichen Meute verschlungen wird – so, wie er da herumsteht!“, zischte Sekina.

„Sei bloß still“, grinste ihre Freundin. „Ich glaube, sie haben da einen Gastdozenten aus den USA. Er scheint eine Menge in der Welt herumgekommen zu sein und hat gerade einen Vortrag über seine archäologischen Forschungen gehalten. Wie heißt er noch gleich … Henry … Falcon oder so ähnlich. Hat mir heute Morgen Suzanna erzählt, du weißt ja, sie studiert Geschichte und ist immer auf dem Laufenden, was die Geschichtsprofessoren und Gastdozenten betrifft.“

„Die hat sich auch mächtig ins Zeug gelegt, wie sie da neben ihm steht, ihr BH ist mindestens zwei Nummern zu klein“, lästerte Sekina. „Aber was tut man nicht alles für einen tiefen Einblick in die Materie! So, ich muss jetzt los, die Druckfahnen wegbringen, und danach muss ich noch zu Roswitha wegen meines Stipendiums. Sie hat so Andeutungen gemacht, dass sie mir eine Studienreise sponsern wollen, ich bin schon mächtig aufgeregt!“ Sie drehte sich um, verfing sich dabei mit ihrem Fuß in dem Hippierock ihrer Freundin und musste wild mit den Armen rudern, das Gleichgewicht zu halten. Die gesamten Druckfahnen verteilten sidn prompt auf den Flur. Sekina stürzte mit einem Fluch hinterher.

Durch den Tumult geschah natürlich genau das, was sie hatte vermeiden wollen, sie zog die Aufmerksamkeit der Menschenmenge vor dem Vorlesungssaal auf sich. Ein muskulöser Arm streckte sich ihr entgegen und richtete sie wieder auf. „Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Mit einem leichten amüsierten Lächeln übergab er ihr die Druckfahnen, die er schnell zusammengesucht hatte. „Frauen aller Länder emanzipiert Euch!“ prangte in dicken Lettern als Überschrift auf den Druckfahnen.

„Etwas weniger ungestüm, dann klappt’s auch mit der Emanzipation“, grinste er. Zu perplex, um etwas zu erwidern, raffte Sekina die Druckfahnen an sich und steuerte auf den Ausgang zu. „Sag jetzt nichts“, zischte sie Carlotta im Vorübergehen zu, die sich sichtlich bemühen musste, den aufsteigenden Lachkrampf zu unterdrücken.

*

„Hast du deine Koffer schon gepackt, Sassy? Der Flug nach Kairo ist gebucht, hier sind die Tickets. Aber ich habe auch noch eine Überraschung für dich …“ Roswitha Grabowski machte eine bedeutungsschwere Pause, legte ihre Fingerspitzen aneinander und lehnte sich in ihrem Ledersessel zurück. Sie liebte es, ihre Gesprächspartner etwas auf die Folter zu spannen. Sekina rutsche unruhig auf ihrem Sessel auf der gegenüberliegenden Schreibtischseite hin und her und bemühte sich vergeblich, ihre Aufregung nicht allzu deutlich zu zeigen.

„Uiii, ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich deinem Team bin, dass ihr mir diese Studienreise finanziert. Diese Reise wird meiner Magisterarbeit den letzten Schliff geben. Ich bin sicher, es wird spannend, Ricarda Hollistar zu interviewen und ihre Forschungsergebnisse mit meinen zu verknüpfen. Ihr Wissen über bedeutende Frauen des Altertums ist legendär. Ich bin schon sehr gespannt darauf, sie kennenzulernen.“

„Frau Hollistar ist auch schon sehr gespannt auf dich. Zur Zeit ist sie an einer Ausgrabung in der ägyptischen Wüste beteiligt. Sie scheint ziemlich bahnbrechenden Erkenntnissen auf der Spur zu sein.“

Sekinas Augen blitzen auf: „In der Wüste? Ich wollte schon immer mal mit einer Kamelkarawane reisen. Aber … was war jetzt eigentlich mit deiner Überraschung?“

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Roswitha sah auf die Uhr und rief dann „Herein!“.

Dann wandte sie sich wieder Sekina zu: „Da kommt meine Überraschung. Eine Kamelkarawane wird nicht ausreichen, dazu ist die Ausgrabungsstätte zu weit draußen, und auch mit einem Jeep wirst du nicht weit kommen. Du wirst ein kleines handliches Sportflugzeug brauchen. Glücklicherweise gibt es jemanden, der genau so etwas in Kairo stehen hat und auch in die Richtung unterwegs ist. Er wird dich mitnehmen. Ah, da ist er ja schon, dann können wir alles weitere besprechen.“

Sekina drehte sich um. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als ihr Blick dem von Henry Falcon begegnete.

„Na, wieder fest mit beiden Beinen auf der Erde, schöne Dame? Aber das wird nicht lange halten. Ich freue mich schon darauf, Euch in die Lüfte zu entführen.“

*

Verborgene Schätze hatten ihn fasziniert, so lange er denken konnte. Das kleine geschnitzte Holzkästchen mit den seltsamen Mustern schien auf den ersten Blick unscheinbar zu sein. Er öffnete es und ließ, wie so viele ungezählte Male zuvor, seine Finger über die aus Diamant geschnitzten Figuren gleiten. Für einen Augenblick schloss er geblendet die Augen, als sich das Licht der untergehenden Sonne, die durch das Hotelzimmer schien, in den Kristallfacetten brach. Vorsichtig strich er über die leere Aussparung in der Mitte. Die neunte Figur fehlte, aber er war sich sicher, dass er auf der richtigen Spur war und sie finden würde. Dieses Holzkästchen war das letzte, was ihm von dem Erbe seines Vaters geblieben war – außer der Liebe zur Archäologie und den Frauen natürlich. Was jedoch das Geld betraf, das sein Vater durch seine archäologische Arbeit verdient hatte – und das war nicht wenig gewesen, denn er war ein angesehener Archäologe gewesen – das hatte Henry Falcon sehr bald in diversen Spielhallen, Nachtclubs und bei zwielichtigen Geschäften unter die Leute gebracht. Bis zu dem Tag, als er an das Sterbebett seiner Mutter gerufen wurde.

„Wenn du so weiter machst, mein Junge, wird es kein gutes Ende nehmen. Du solltest dein Leben überdenken. Es gibt hier etwas, das ich dir von dem Erbe deines Vaters noch nicht gegeben habe. Du sollst selbst entscheiden, wie du es verwendest. Verkaufst du es, wird es dir wohl wieder für einige Zeit über die Runden helfen, aber das ist es sicher nicht, was dein Vater im Sinn hatte. Er hat mir gesagt, dass ich es dir erst geben soll, wenn du ganz unten auf deinem Lebensweg angekommen bist.“

Mit zitternden Fingern hatte seine Mutter ihm dann dieses geschnitzte Holzkästchen überreicht und einen Brief seines Vaters, den er wieder und wieder gelesen hatte.

Seitdem hatte er versucht, ein so angesehner Archäologe zu werden wie sein Vater. Hatte geträumt, in die Fußstapfen von Indiana Jones zu treten, oder eine so bedeutende Entdeckung zu machen wie Howard Carter, der das Grab von Tut-ench-Amun entdeckt hatte. Bisher allerdings ohne Erfolg. Er hatte zwar ein gewisses Ansehen in der Welt der Archäologie erworben, aber die bahnbrechende Entdeckung war ihm bisher verwehrt geblieben. Doch seitdem er diese diamantenen Figuren das erste Mal gesehen hatte, war in ihm mehr und mehr die Erkenntnis gewachsen, dass sie der Schlüssel zu seinem Erfolg sein würden. Noch einmal zog er den Brief seines Vaters aus dem vergilbten Kuvert:

Mein Sohn,

leider ist es mir nicht mehr vergönnt, dich noch einmal zu sehen. Ich weiß, dass dein Leben viele Höhen und Tiefen haben wird. Ich hätte dir gerne erzählt, wie ich zu diesen Figuren gekommen bin, aber ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass du ihren Ursprung selbst herausfinden sollst. Wenn du auf dem Tiefpunkt deines Lebens angekommen sein wirst, sollst du dich auf die Suche machen.

Ich bin sicher, dass es dir vergönnt sein wird, das Geheimnis dieser Figuren zu lösen und die neunte Figur zu finden, die den Schlüssel zu einem geheimen Schatz in sich trägt.

Langsam klappte er das Holzkästchen wieder zu und steckte den Brief zurück in das Kuvert. Beides verstaute er sorgfältig in dem Trecking-Rucksack, der ihn morgen auf der Reise begleiten würde.

Er war schon gespannt auf die Reise, zumal er vermutlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. In Kairo wollte er mit einigen Experten sprechen, welche die Zusammensetzung der Figuren analysieren sollten, um etwas mehr über ihre Herkunft und Verwendung zu erfahren. Und dann war da noch die junge Dame, die er in die Wüste bringen sollte. Insgeheim hatte er eine Wette mit sich selbst abgeschlossen, wie lange es dauern würde, bis er sie in seine Schlafmatten locken konnte. Bisher hatte ihm noch keine widerstanden. Das, was andere als Liebe bezeichneten, war für ihn eher eine erotische Herausforderung, die es zu meistern galt, und er war sich sicher, dass es in der Zukunft auch so bleiben würde.

*

„Falls dir langweilig wird, ich habe hinten auf dem Sitz noch eine Ausgabe von 1001 Nacht.“ Henry hatte gerade die Startformalitäten erfolgreich abgeschlossen und hielt mit dem kleinen Sportflugzeug auf die ägyptische Wüste zu.

„Das kann jetzt etwas dauern, die nächsten Stunden wirst du ziemlich viel Sand sehen.“

Sekina versuchte, ihr Lachen ironisch klingen zu lassen.

„1001 Nacht? Dieses entsetzliche, frauenverachtende Buch? Von dem Sultan, der mit allen Frauen schläft und sie danach köpfen lässt?“

„Bis Sheherazade ihn mit ihren Geschichten fesselt und ihn zu einem besseren Menschen macht“, grinste Henry.

„Hast du sie etwa alle gelesen?“

„Nein, noch nicht. Aber ich wollte es immer. Du etwa?“

„Nein, ich habe mich immer geweigert, so ein patriarchalisches Buch zu lesen.“

Doch Sekina war es nicht gewohnt, längere Zeit untätig herumzusitzen. Als Henry in der nächsten Zeit mit der Steuerung des Flugzeugs beschäftigt war und der Anblick der Wüste auch keine Abwechslung bot, griff sie unauffällig nach dem Buch auf dem Rücksitz und schlug wahllos eine Seite auf.

Geschichte des Prinzen Seyn Alasnam und des Königs der Geister war die erste Überschrift, die ihr ins Auge fiel. Sie begann zu lesen. Erstaunt stellte sie fest, dass die Geschichte durchaus ihren Reiz hatte, selbst wenn sie alle patriarchalischen Klischees erfüllte. In blumigen Worten wurde von dem Prinzen Seyn Alasman erzählt, der, zum König bestimmt, mit seiner Rolle nicht klarzukommen schien und das gesamte Vermögen des Königreiches verspielte, bis seine Mutter ihm ein geheimes, verborgenes Zimmer seines verstorbenen Vaters zeigte, eines geachteten und von seinen Untertanen geliebten Königs, in dem er acht geheimnisvolle Statuen sah. Das neunte Podest jedoch war leer, und er fand dort eine Nachricht seines Vaters, in der er ihn aufforderte, sein Leben zu ändern und sich auf die Suche nach der neunten Bildsäule zu machen, welche die Schönheit der anderen noch übertreffen und für ihn der Schlüssel zu einem geheimen Schatz sein würde. Gerade als sie an der Stelle angekommen war, an der der Prinz sich auf die Reise nach der neunten Statue begeben wollte, wurde Sekina unsanft in die Wirklichkeit zurückgeworfen.

„Verdammt, da nähert sich ein Sandsturm, das wird jetzt etwas turbulent“, hörte sie gerade noch Henrys Stimme, als das Flugzeug auch schon unsanft hin- und hergeworfen wurde.

„Verdammt, ich war noch nie eine gute Achterbahnfahrerin!“

Schnell klappte sie das Buch zu und steckte es in Henrys Rucksack, der sich auf dem Rücksitz befand.

„Ich hoffe, du kriegst das wieder in den Griff … mir ist jetzt schon ziemlich schlecht.“

Die Hoffnung erwies sich jedoch als trügerisch, als eine Rauchsäule neben dem Fenster auf nichts Gutes hinwies, und das Flugzeug ins Trudeln geriet.

Das letzte, was sie hörte, war Henrys Stimme, die rief: „Kopf runter, halte dich fest, das könnte eine harte Landung werden!“ Dann krachte es auch schon, und sie verlor das Bewusstsein.

*

Wann hört denn dieses Schaukeln endlich auf? Höre endlich auf, mich in der Hängematte hin und her zu schaukeln, Carlotta, sonst werde ich noch seekrank …

Aber das Schaukeln hörte nicht auf.

Sekina öffnete vorsichtig ein Auge … natürlich, sie war auf einem Kamel angebunden und um sie herum trabten noch viel mehr davon durch die Wüste, Kamele mit Männern, die gegen die Hitze und den Sand Tücher um ihren Kopf geschlungen hatten, die nur einen schmalen Augenschlitz freiließen. Einige von ihnen hatten Falken auf ihrer Schulter oder auf ihrer Faust sitzen. In der Ferne war ein Beduinendorf zu erkennen, Feuer, das zwischen den Zelten von mehreren Kochstellen aufstieg. Das musste alles ein Traum sein, und sie würde bestimmt gleich aufwachen …

Aber das Bild änderte sich nicht. Sie befand sich keinesfalls in der Hängematte im Garten ihrer Studenten WG, die Sonne brannte ungewöhnlich stark und das Stimmengewirr und die seltsamen Ausdünstungen um sie herum waren auch ganz anders als sie es gewohnt war.

Mit einem Ruck war sie hellwach.

Verdammt, das war alles überhaupt kein Traum, sondern die Wirklichkeit. Jetzt fiel ihr wieder alles ein. Der Sandsturm und der Flugzeugabsturz und dann diese Wüstenkrieger … Ihr Bedarf an Abenteuern war gründlich gedeckt. Die Mitreise bei einer Kamelkarawane hatte sie sich eigentlich anders vorgestellt.

Warum hatten diese Männer sie angebunden? Wer weiß, was diese Mistkerle mit ihr vorhatten … Ärgerlich versuchte sie an den Seilen zu zerren, um sich zu befreien – vergeblich.

Wenig später ritten sie in das Beduinendorf ein. Einer der Männer stieg von dem Kamel ab und kam auf sie zu. Ob diese Kerle wussten, dass sie eine ziemlich gute Karatekämpferin war? Zumindest in der Uni hatte sie einige ihrer Gegner ziemlich unsanft auf die Matte gelegt, aber gegen ein ganzes Beduinendorf hatte sie natürlich noch nicht gekämpft. In Gedanken überlegte sie, wie sie am besten so viel wie möglich dieser Wüstenkrieger niederstrecken könnte, bevor sie auf irgendeine Art die Flucht ergriff. Der Mistkerl, der auf sie zukam, würde sie aber vielleicht, gefesselt wie sie war, vom Kamel herunterzerren und sie wohlmöglich in sein Zelt schleppen …

„Es ist schön, dass es dir wieder gutzugehen scheint, Falkenmädchen.“

Geschmeidige starke Finger lösten ihre Fesseln.

„Du warst bewusstlos, da haben wir dich auf dem Kamel festgebunden, um dich besser in unser Dorf bringen zu können.“

Es gab kaum eine Gelegenheit, in der Sekina die Worte fehlten, doch in diesem Augenblick war es soweit. Zuerst einmal die Stimme dieses Mannes und dann seine Worte – sie verstand sie, obwohl er weder englisch noch deutsch sprach. Aber natürlich, da war sie wieder, die Zeit, an die sie nicht erinnert werden wollte, die Zeit, bevor sie nach Europa gekommen war, sie musste diese Sprache gekannt haben. Trotz ihrer blonden gefärbten Haare kam sie irgendwo aus dem Orient, auch wenn sie es immer wieder zu vergessen versuchte.

Falkenmädchen – warum hatte er sie so genannt? Fast unbewusst drehte sie ihre Arme nach oben, betrachtete die tätowierten Vögel auf ihren Unterarmen und sah, dass der Mann sie ebenso interessiert betrachtete.

„Kommt später mit in mein Zelt. Das Schicksal hat euch beide zu uns in die Wüste geweht. Wir haben uns sicher einiges zu erzählen.“

Euch beide – offensichtlich war Henry auch hier. Und dieser Wüstenkrieger wollte sie tatsächlich in seinem Zelt haben. Aber trotz eines seltsamen Gefühls war Sekina diesmal bereit dazu.

*

„Diese Suppe ist mit Sicherheit nicht vegan“, murmelte Sekina, während sie in der dicken, nach Knoblauch und Hammel duftenden Suppe, die sie vor sich auf ihre Knie gestellt hatte, herumrührte.

„… aber sie schmeckt köstlich“, konterte Henry genießerisch, der sich bereits zum dritten Mal von den schönen, feingliedrigen Händen der Beduinenfrau, die mit der Zubereitung der Suppe vor dem Zelt beschäftigt war, seine Schüssel füllen ließ.

„Ich frage mich, wo wir hier überhaupt gelandet sind“, sagte Sekina und nippte vorsichtig an der heißen Suppe. Normalerweise hätte sie einen Eintopf mit Fleisch niemals gegessen, aber ihr Magen machte ihr unmissverständlich deutlich, dass es an der Zeit war, ihn möglichst bald mit irgendetwas Nahrhaftem zu füttern. Uiii, das schmeckte ja richtig gut …

„Das würde ich auch gerne wissen“, sagte Henry und stellte seine sauber ausgekratzte Schüssel beiseite, um nach seinem Trecking-Rucksack zu greifen. Glücklicherweise hatte er ihn sich vor dem Absturz noch vor seinen Bauch gebunden, und der Inhalt hatte dank dieser Polsterung den Aufprall unbeschadet überstanden. Es war ein Glück gewesen, dass die Karawane sie gefunden hatte. Henry hatte versucht, dem Anführer ihre Situation zu erklären. Sein Arabisch war etwas eingerostet, aber er konnte sich verständigen.

Etwas irritiert war er allerdings, als er die Aufregung bemerkte, die bald auf die ganze Karawane übergriff, als die Beduinen diese Vogeltätowierungen auf Sekinas Armen bemerkten.

Gemeinsam hatten sie Sekina, die offensichtlich etwas unsanfter gelandet war und noch nicht wieder das Bewusstsein erlangt hatte, auf eines ihrer Kamele gebunden. Nun, die junge Frau war schnell wieder aufgewacht, und auch ihr gewohntes freches Mundwerk war bald wieder in Betrieb genommen worden. Naja, wenigstens hatte sie der orientalischen Gastfreundschaft Ehre erwiesen und die mit Sicherheit nicht vegane Suppe gegessen.

Jetzt wühlte er in seinem Rucksack herum und versuchte erneut, mit dem GPS Gerät ihre Lage zu orten. Aber wie schon zuvor schien es sinnlos zu sein. Die Anzeigen ergaben einfach keinen Sinn.

„Dieser Ort scheint einfach nicht zu existieren“, murmelte er verwundert vor sich hin.

„Es gibt Dinge, die ihr mit euren Geräten nicht messen könnt und Orte, die ihr nicht mit eurem Willen allein entdecken könnt. Das Schicksal hat euch hierher geführt. Jetzt bitte ich euch, in mein Zelt einzutreten, Falkenmädchen und – Henry Falcon.“

Die dunkle Stimme des seltsamen Wüstenbewohners legte sich wie ein exotischer Zauber um Henry und Sekina. Nur einen Augenblick zögerte Henry. Woher kannte der Mann seinen Namen? Er war sich sicher, dass er ihn ihm bei ihrer ersten Begegnung nicht genannt hatte.

Neugierig darauf, Antwort auf ihre Fragen zu finden, folgten sie ihm in das Zelt.

„Ich kannte deinen Vater gut, er hat lange Zeit hier gelebt, und er war mir ein guter Freund. Wir haben vieles voneinander gelernt. Eure Weisheit ist anders als die unsere, eure Kultur anders als die unsere, aber dennoch hat die Freundschaft ein enges Band zwischen uns geknüpft. Das war vor langer Zeit. Jedes Mal, wenn er hierher kam, habe ich ihm etwas von unserem Stamm geschenkt, einen Teil unseres Wissens, einen Teil der Geschichte unseres Volkes.“

Henry fragte sich, wann sein Vater hier gewesen war. Vor langer Zeit? Vor wie langer Zeit? Hatte er selbst da schon gelebt? Als er in das Gesicht des Mannes blickte, der ihm gegenübersaß – jetzt ohne Tücher, die sein Gesicht vor Sand und Sonne schützten – sah er das Antlitz eines Mannes, der schon immer gelebt haben könnte.

Es war von Falten durchzogen, aber dennoch alterslos, seine Augen schienen alles gesehen zu haben und auch jetzt zu sehen und zogen Henry unwiderstehlich in seinen Bann.

„Einen Teil der Geschichte eures Volkes? Mehrere Stücke, die sich zu einem Ganzen zusammensetzen lassen …?“ Henry zögerte einen Augenblick, dann griff er hinter sich, zog das Holzkästchen aus seinem Rucksack hervor und klappte es auf.

Sekina konnte einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken, als sie die im Fackellicht geheimnisvoll glitzernden Figuren sah. Es waren die kunstvoll gearbeiteten Abbilder eines Wüstenfuchses, eines Salamanders, einer Gazelle, einer Schlange, eines Skorpions, eines Löwens, eines Schakals und einer Antilope.

Der Beduinenfürst nickte langsam und streckte seinen Arm aus, um vorsichtig über die Figuren zu streichen.

„Ich wusste, dass du eines Tages zu mir kommen würdest, um nach der letzten Figur zu fragen, und dass du jemanden mit dir bringen würdest, der dir dabei helfen würde, das zu finden, das unserem Stamm seit langem fehlt. Genau so ist es geschehen. Du hast das Falkenmädchen zu uns gebracht.“

Sein Blick wanderte zu Sekina, die seltsam bewegt die Tätowierungen auf ihren Armen betrachtete, die sie so lange Zeit nur als hübschen Körperschmuck betrachtet hatte.

Inzwischen hatte der Beduinenfürst Feuer unter der Wasserpfeife gemacht und jedem von ihnen ein Mundstück gereicht.

„Ich sehe es in deinen Augen, du möchtest Erklärungen, jedoch ernsthafte, denn du magst orientalische Märchen nicht.“

Er schmunzelte, als er den überraschten Blick in ihren Augen sah.

„Bisher jedenfalls nicht, aber das lässt sich ja ändern. Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen, ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr sie für ein Märchen haltet oder nicht.“

*

Vor langer Zeit lebten die Menschen in tiefer Verbundenheit mit der ganzen Natur und in Frieden miteinander. Neun Stämme gab es damals, und die Zauberer jedes Stammes verknüpften ihre Seelen mit der Seele eines Tieres, um für Wohlstand und Fruchtbarkeit unter ihrem Volk zu sorgen und die Tiere dazu zu bewegen, sie zu schützen. So gab es das Volk des Wüstenfuchses, des Salamanders, der Gazelle, der Schlange, des Skorpions, des Löwens, des Schakals, der Antilope und schließlich das Volk des Falkens. Jedes Tier repräsentierte die Seele seines Stammes und es war jedermann verboten, dieses Tier zu töten, damit kein Unheil über den Stamm hereinbräche.

Der Zauberer vom Stamm des Falken aber entwickelte eine besondere Beziehung zu seinem Falken. Seine Liebe und Verbundenheit zu dem schönen Tier war so tief, dass sich das Falkenweibchen eines Nachts in eine wunderschöne Frau verwandelte únd jede Nacht in sein Zelt kam, um sich in Liebe mit ihm zu vereinen. Manche sagen, dass die Nachkommen aus dieser Liebe noch immer auf der Erde wandeln.

Die Zeit floss dahin und der Zauberer entdeckte, dass das Falkenweibchen in ihrer tierischen Gestalt, die es tagsüber annahm, ihm gute Dienste auf der Jagd leisten konnte. Auch als Kundschaftervogel ließ er sie bald für sich fliegen, um seine Feinde auszukundschaften. Das Falkenweibchen sehnte sich nach der Liebe des Menschenmannes, doch diesem wurde sie immer weniger wichtig, denn er war zunehmend mit dem Erhalt und der Ausbreitung seiner eigenen Macht beschäftigt. Als er mit dem Falkenweibchen eines Tages wieder einmal zu einer Jagd aufbrach, wurden sie von der übrigen Jagdgesellschaft getrennt und irrten lange Zeit in der Wüste herum. Halb verdurstet gelangten sie schließlich an ein Wasserloch und er füllte seinen Becher mit Wasser. Gerade jedoch, als er zu trinken ansetzen wollte, kam das Falkenweibchen angeflogen und stieß den Becher um. Das geschah noch zwei weitere Male. Voller Zorn rief der Zauberer erbost aus: „Hasst du mich so, dass du mich verdursten lassen willst?“ Er zog sein Schwert und schlug nach dem aufgeregt herumflatternden Vogel. Getroffen stürzte das Falkenweibchen zu Boden, verwandelte sich erneut in eine Menschenfrau und flüsterte im Sterben: „Nein, ich habe es aus Liebe getan.“

Und erst jetzt sah der Zauberer, dass er blind gewesen war. Genauso wie er immer weniger auf die kleinen Liebesbeweise des wunderschönen Wesens sowohl in der menschlichen wie ihrer tierischen Gestalt geachtet hatte, hatte er auch jetzt das Wesentliche nicht gesehen. Um den Baum über dem Wasserloch ringelte sich eine giftige Schlange, die ihr Gift in das Wasser geträufelt hatte. Hätte er nur einen Schluck von dem Wasser getrunken, wäre jetzt er es, der tot am Boden gelegen hätte.

Von diesem Augenblick an ging eine Wandlung durch das Volk des Falken. Manche sagen, ein Fluch würde seitdem über ihm liegen, der erst gebrochen werden könnte, wenn die Seele des Falkenweibchens sich erneut mit der Seele des Falkenstammes verbinden würde.“

Es war still geworden in dem Zelt. Sekina betrachtete nachdenklich die Falkentätowierungen auf ihren Armen.

„Was ist Wahrheit und was ist Märchen? Ich fühle mich nicht wie die wiedergeborene Seele eines Falkenweibchens … und dennoch …“

Dann schüttelte sie sich, als ob sie eine Last abwerfen wollte, atmete einmal tief aus und zischte:

„Und überhaupt, ich hatte ja Recht. Diese orientalischen Märchen sind entsetzliche patriarchalische Machwerke. Die Männer darin streben nur danach, die Frauen zu unterdrücken, egal in welcher Form. Wenn ich dieses wiedergeborene Falkenweibchen wäre, würde ich dem Zauberer gehörig die Meinung sagen … Aber das ist ja alles doch nur ein Märchen …“

Der Beduinenfürst sah ihr in die Augen und sie wurde wieder etwas ruhiger.

„Du magst Recht haben, aber es kann auch anders sein und es ist kein Märchen. Warum hat das Schicksal zwei Falken zu uns gebracht, das Falkenmädchen mit den Falkenflügeln auf den Armen und den jungen Mann mit dem Falken in seinem Namen?“ Er sah Sekina und Henry Falcon – was Falke bedeutete – mit einem geheimnisvollen Blick an.

„In dem Märchen ist ja die Rede davon, dass sie Nachkommen gehabt haben, die irgendwo auf dieser Welt weitergelebt hätten. Vielleicht ist es diesen Nachkommen bestimmt, die verlorene Seele unseres Stammes wiederzufinden.“

Er nahm einen letzten Zug aus der Wasserpfeife.

„Aber es ist spät geworden. Lasst uns morgen weiterreden. Jetzt fühlt euch hier in meinem Zelt wie zuhause. Ihr könnt dort hinten auf den Schlafmatten schlafen, es war ein langer Tag. Möge euer Schlaf gesegnet sein und voller Träume, denn manchmal bringen uns die Träume Antworten auf unsere Fragen.“

Sekina öffnete langsam die Augen und horchte auf die gleichmäßigen Atemzüge Henrys, der auf der Schlafmatte neben ihr schlief. Vorsichtig robbte sie zu seinem Rucksack herüber.

Nein, jetzt nur nicht aufwachen … Der würde sich höchstens über sie lustig machen, wenn er mitkriegte, dass sie dieses patrarchalische Schundzeug las.

Vorsichtig tastete sie in seinem Rucksack herum, bis sie schließlich das Buch in ihren Händen hielt.

Nur eine kleine Geschichte noch – irgendwie wollte sie wissen, wie es weiterging …

Prinz Seyn war also auf der Suche nach der neunten Statue im Auftrag seines verstorbenen Vaters. Auf der Reise traf er auf den treuen Diener seines Vaters, Mobarek, der ihm die Beschwörungen und den Weg zum Reich des Königs der Geister zeigte, der seinem Vater die anderen Statuen gegeben hatte. Der König der Geister versprach Seyn, ihm bei der Suche nach der neunten Statue zu helfen, aber im Gegenzug dafür musste Seyn ihm eine unberührte Jungfrau bringen. Ein magischer Spiegel, der klar bleiben würde, wenn ihr Atem darauf fiele, würde ihm zeigen, wenn er die richtige gefunden hatte – und natürlich sollte er diese Jungfrau hüten wie seinen Augapfel und sie so unberührt bei ihm abliefern, wie er sie abgeholt hatte …

Ha, das geschieht ihm recht, endlich muss er seine Finger bei sich behalten, amüsierte sich Sekina. Hmmm, ich frage mich, ob in diesen Märchen irgendwann einmal starke unabhängige Frauen auftauchen … Mit diesen Gedanken glitt sie langsam in den Schlaf.

*

Die tätowierten Flügel auf ihren Unterarmen wuchsen, Federn begannen aus ihrer Haut zu sprießen, und sie breitete ihre Arme weit aus, um sich mit dem Schrei eines Falken in die Lüfte zu schwingen. Sekina flog. Unermessliche Freiheit! Wie schön es war, sich von dem Wind tragen zu lassen, weit hinaus in den Himmel, in eine andere Welt…

In der Ferne entdeckte sie einen anderen Falken, der seine Kreise zog, und sie folgte ihm, sah, wie er auf der geballten Faust eines Mannes landete, der ihn voller Stolz und Liebe betrachtete. Die Form des Falken zerfloss, bis Federn zu glatter dunkler Haut und glänzenden Haaren wurden, die fast bis auf die Erde herabflossen. Und dann, nur für einen Augenblick, berührten sich die Seelen von Sekina und der Falkenfrau über Zeit und Raum hinweg. Sie spürte die Süße ihrer Liebe zu dem Wüstenkrieger, fühlte mit ihr, wie sich ihre Körper in Liebe vereinigten und damit auch zum ersten Mal, wie es war, von einem Mann mit Körper und Seele geliebt zu werden. Fühlte mit ihr, wie es war, seine Kinder zu gebären …

Dann der alles durchdringende Schmerz, sein Schwert zum Schlag erhoben, Blutstropfen, die die Falkenfedern tränkten, ein durchscheinender Falke aus Licht, der sich aus ihrem toten Körper erhob und sich in den Sternenhimmel hinafschwang.

Wieder versuchte sie, ihm zu folgen, aber der Falke verschwand in der Dämmerung.

Und dann ein anderer Schmerz. Sie war wieder ein Mensch und sah auf ihre Unterarme, in die geschickte Hände das Muster eines fliegenden Falken ritzten. Wo befand sie sich? Es war in einer alten Steinhütte am Rand der Wüste … eine alte Frau, die ebenfalls diese Falkentätowierungen auf ihren Unterarmen trug, war mit der Ausführung dieser komplizierten Arbeit beschäftigt, hatte grade die letzten Linien gezogen … sie kannte diese Frau … es war ihre Großmutter … draußen war das Geräusch von Maschinengewehren zu hören, Schreie … dann klappte die Tür auf und eine junge Frau stürmte herein und blieb einen Augenblick sprachlos stehen, als sie sah, was gerade bei ihrer Tochter geschah.