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Annabel Rose

A Delicious Submission

© 2019 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

info@plaisirdamourbooks.com

© Covergestaltung: Mia Schulte

© Coverfoto: ©PeriodImages.com

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-413-9

ISBN eBook: 978-3-86495-414-6

 

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1: Der Abschiedskuss

Kapitel 2: Ein ganz spezieller Geburtstag

Kapitel 3: Dämonen und Engel

Kapitel 4: Angst und Sehnsucht

Kapitel 5: Die dunkle Seite der Macht

Kapitel 6: Rituale, Regeln, Pflichten

Kapitel 7: Handyspiele

Kapitel 8: Die Überraschung

Kapitel 9: Die Vorführung

Kapitel 10: Du gehörst mir!

Autorin

 

Kapitel 1: Der Abschiedskuss

 

Perfekt, dachte Christopher, als die letzten Sonnenstrahlen den Himmel über der Stadt in ein dunkles Orange tauchten. Es war der perfekt-romantische Moment, um das zu tun, was er sich für heute vorgenommen hatte: Julia zu küssen, bevor übermorgen die großen Ferien begannen. Genau wie die anderen Schüler hatten Julia und er auf der diesjährigen Schüler-Sommerparty getanzt. Nach dem letzten Tanz, einem Blues, bei dem er ihren Körper zum ersten Mal ganz nah an seinem gespürt hatte, hielt er es in dem großen Saal nicht mehr aus. Er wollte, nein, er musste mit ihr allein sein. Und zwar sofort. Da es drinnen stickig und laut war, hatte er ihr vorgeschlagen, an die frische Luft zu gehen. Der Spiel- und Sportplatz auf der anderen Straßenseite der Schule war um diese Zeit verwaist – ein idealer Ort, um ungestört zu sein. Mit den Füßen auf einer der Bänke, die Lehne als Sitzfläche benutzend, hatten sie es sich in einer von Büschen geschützten Ecke bequem gemacht. Nur gedämpft drangen die Bässe der Rockmusik aus der Aula zu ihnen herüber.

Da hockten sie auf der Bank und redeten, redeten, redeten. Von Zeit zu Zeit hob der warme Sommerwind Julias luftiges Kleidchen ein wenig an. Dann sah er für einen Sekundenbruchteil ihren Oberschenkel bis zum Ansatz des Höschens, das sie darunter trug, bevor sie den flatternden Stoff, zu seinem Bedauern, mit der Hand jedes Mal wieder nach unten drückte. Je nachdem, wie sie den Arm bewegte, konnte er einen Blick auf ihren BH erhaschen, was in ihm den Wunsch weckte, seine Hand durch den Achselausschnitt zu schieben und sie dort zu berühren.

Julia ging schon lange auf die gleiche Schule wie er. Sie war zwei Klassen unter ihm. Er kannte sie vom Sehen. Bis zum letzten Schuljahr war sie für ihn nur irgendein Mädchen gewesen: dünn, hager, ein halber Junge mit blondem Pferdeschwanz. Aber nach den letzten Sommerferien war nichts mehr von dem unscheinbaren, knabenhaften Mädchen zu sehen gewesen. Sie trug die schulterlangen Haare jetzt offen – und als hätte das nicht genügt, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, entdeckte er auf einmal Kurven an Stellen, die für ihn äußerst interessant waren und den drängenden Wunsch in ihm hervorriefen, diese zu berühren. Und nicht nur ihr Körper hatte sich verändert, auch ihr Gesicht: Es kam ihm ovaler, femininer als bisher vor, ihre Wangenknochen traten deutlicher hervor. Das zarte Rosa ihres Mundes erschien ihm die verlockendste Farbe, die er je gesehen hatte, und wenn sie lachte und die Haare dabei nach hinten warf, sah sie aus wie ein Engel.

Von da an hatte er sie heimlich beobachtet, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Irgendwann waren sich ihre Blicke begegnet, kurz und flüchtig, immer nur für die Dauer eines Wimpernschlages. Eine gefühlte Ewigkeit später hatten sie sich zum ersten Mal angelächelt, aber erst nach den Osterferien hatte Christopher sich getraut, mehr als nur ein Guten Morgen an sie zu richten.

Jetzt saßen sie auf der Bank und redeten miteinander. So, als wäre es das Normalste der Welt.

Doch Reden allein war ihm inzwischen zu wenig. Übermorgen fingen die Sommerferien an. Er würde den Sommer mit seinen Eltern bei Vaters Familie in England verbringen. Deswegen konnte und wollte er nicht in die Ferien fahren, ohne ihr das Versprechen abgenommen zu haben, dass sie auf ihn wartete, ohne sie nicht wenigstens einmal geküsst zu haben. Auch wenn er nicht genau wusste, worauf es beim Küssen ankam. Allein der Gedanke, ihre rosigen Lippen auf seinen zu spüren, ihre Zungenspitze mit seiner zu berühren, ließ das Blut schlagartig in seinen Penis schießen.

Das machte ihm bewusst, dass nicht nur Julia sich verändert hatte, sondern er sich auch. Er war nicht mehr der kleine, schwächliche Pimpf, der sich vor den Jungs aus den Klassen über ihm duckte, wenn sie ihn schief ansahen. Im Gegenteil: Jetzt kuschten die Kleineren vor ihm, wenn er es darauf anlegte. Mit seinen eins zweiundachtzig war er nicht der Größte in der Jahrgangsstufe, aber das störte ihn nicht. Er war stolz auf seinen Körper, den er mit regelmäßigem Training im Fitness-Studio so geformt hatte, dass sich die Muskeln genau an den Stellen abzeichneten, wo sie es sollten: an Schultern, Armen, Brust, Bauch und Beinen. Vor Kurzem hatte er außerdem mit dem Boxen angefangen, denn manchmal wusste er schlicht und ergreifend nicht, wohin mit der Kraft, die er neuerdings in sich spürte.

Die bei Weitem beste Veränderung in seinem Leben aber war der Sex. Okay, er hatte noch mit keinem Mädchen echten Sex gehabt, sondern nur mit sich selbst. Gerade aber deswegen wusste er, dass es kein besseres Gefühl gab als das bei einem Orgasmus. Wie viel besser mochte es sich wohl anfühlen, wenn er das mit einem Mädchen zusammen erlebte? Am liebsten natürlich nicht mit irgendeinem Mädchen, sondern mit Julia. Im Moment war die Erfüllung dieses Wunsches jedoch in weiterer Ferne als der nächste Schulbeginn. Zunächst einmal musste und wollte er sie küssen.

»Ich muss allmählich nach Hause, sonst bekomme ich Ärger«, sagte Julia.

»Morgen ist doch der letzte Schultag. Darfst du da nicht mal länger wegbleiben?«

Julia schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Eltern sind da sehr streng. Wenn ich schon achtzehn wäre, so wie du, könnte ich nach Hause kommen, wann ich will, aber darauf muss ich leider noch ein bisschen warten.«

»Ist okay. Ich will nicht, dass du Ärger kriegst.« Christopher stand auf. »Ich begleite dich bis nach Hause.«

Dankbar lächelte sie ihn an, als sie von der Bank herunterstieg.

»Das Erste, was ich mache, wenn ich achtzehn werde, ist, mir ein Tattoo stechen zu lassen«, sagte sie, als sie den Platz überquerten.

»Ein Tattoo? Was für eins?«

»Einen Schmetterling. Hier«, sie zog das Kleidchen etwas über die Schulter. »Dort, wo der Leberfleck ist. Er sieht hässlich aus. «

Christopher betrachtete die Stelle mit dem länglich-braunen Fleck, rechts oben auf ihrem Schulterblatt.

»Ich finde es nicht schlimm. Warum lässt du dir das Muttermal nicht einfach entfernen?«

»Dann habe ich da eine Narbe. Das ist auch blöd. Ich lasse mir einen Schmetterling drumherum tätowieren. Das sieht bestimmt süß aus.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Dann fragte Julia: »Was machst du in den Ferien? Fährst du weg?«

»Ja. Ich bin fast die ganze Zeit bei meiner Tante in England.«

»Wo denn da?«

»Südlich von London. Guildford. Kennst du das?«

»Nein. Noch nie gehört. Ist es schön da?«

»Ja, ist ganz okay. Vermutlich ist es das letzte Mal, dass ich in den Ferien dorthin fahre.«

»Warum denn das?«

»Wenn ich zurückkomme, beginnt mein letztes Schuljahr – und nach dem Abitur werde ich studieren.«

»Weißt du schon, was?«

Christopher nickte. »Ja. Ich will Medizin studieren. Irgendwann bin ich dann Doktor Christopher Stone. Mein Vater möchte natürlich lieber, dass ich Anwalt werde. So wie er. Aber ich will kein Paragrafenreiter sein. Das ist mir zu langweilig.«

»Ich habe noch überhaupt keine Vorstellung, was ich mal werden will.«

»Du hast ja auch noch ein bisschen Zeit.«

Sie waren vor dem Friedhof angelangt. Der kürzeste Weg führte quer über das Gelände.

»Sollen wir?«, fragte Christopher mit dem Kopf auf das Friedhofstor deutend.

»Ich finde es nachts auf dem Friedhof gruselig.«

»Ist aber viel kürzer als außen herum. Und noch hat der Friedhof geöffnet.« Er sah, dass sie zögerte. »Uns passiert schon nichts. Wir sind doch zu zweit.«

»Na gut«, willigte Julia ein. »Aber wir bleiben auf dem Hauptweg.«

Anstelle einer Antwort hielt er ihr das Tor auf.

»Ladies first«, sagte er mit einer Verbeugung, was Julia zum Lachen brachte.

Schweigend und mit zügigen Schritten gingen sie den Hauptweg entlang, der ein Stück bergauf führte. Sie passierten die erste große Kreuzung, an der zweiten bogen sie nach links ab. Obwohl dieser Weg fast genauso breit war wie der zuvor, war es hier bedeutend dunkler. Das lag zum einen daran, dass es auf diesem Stück weniger Laternen gab, zum anderen aber auch daran, dass hier mehr Bäume am Wegrand standen, die das spärliche Licht der Wegbeleuchtung mit ihrem Blattwerk verschluckten und dunkle Schatten warfen. Unwillkürlich beschleunigten beide das Tempo, mit dem sie den Friedhof überquerten.

»Huch!« Julia zuckte mit einem erschreckten Ruf zusammen. »Was war das?«

»Was denn?«

»Ich weiß nicht. Da drüben.« Sie deutete mit dem Finger nach rechts. »Da hat sich was bewegt.«

Christopher versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, aber da war nichts. Absolut nichts. Julia musste sich geirrt haben. Gerade wollte er es ihr sagen, als ein Rascheln zu hören war. Es kam von einem der Büsche.

»Da! Schon wieder!« Julias Stimme klang leicht panisch. Zu seiner Überraschung hatte sie seinen Arm ergriffen und hielt sich an ihm fest. Augenblicklich erwachte sein Beschützerinstinkt. »Lass uns abhauen«, flüsterte sie, als es erneut raschelte.

»Nein. Warte!« Angestrengt spähte er in die Richtung, aus der das Geräusch kam. »Ich bin sicher, es ist nur ein Tier.«

»Ein Tier? Was denn für ein Tier? Lass uns verschwinden, Chris. Bitte!«

Er hatte jedoch bereits einen abgebrochenen Ast vom Boden aufgehoben und näherte sich damit dem Gebüsch – Julia, die sich immer noch an ihm festkrallte, im Schlepptau. Er stocherte ein wenig mit dem Ast herum, als plötzlich etwas unter dem Busch hervorkam. Julia entfuhr ein Schrei. Sie ging hinter ihm in Deckung, als er erkannte, um was es sich handelte.

»Ein Igel«, sagte er, mit dem Ast in die Richtung deutend. »Guck doch! Nur ein Igel, weiter nichts.«

Er spürte, wie Julia sich entspannte, der Griff an seinem Arm lockerte sich.

»Entschuldige«, sagte sie mit Bedauern in der Stimme. »Der hat mir einen tierischen Schrecken eingejagt.«

»Das macht doch nichts. Komm, lass uns weitergehen.«

Nach außen hin gab er sich cool und lässig, aber in seinem Innersten schlugen die Emotionen Kapriolen. Es war zwar nur ein kleiner Igel gewesen, aber er hatte Julia Angst gemacht und er hatte sie davor beschützt. Er fühlte sich männlich. Stolz. Mächtig. Am liebsten hätte er sie noch vor ganz anderen Dingen beschützt. Vor gefährlicheren als einem harmlosen Igel.

Als sie ihren Weg fortsetzten, hakte Julia sich, ohne zu fragen, bei ihm ein. Es gefiel ihm. Sehr sogar. Insgeheim dankte er dem Igel für seinen Auftritt.

Kurz darauf erreichten sie den Nordausgang des Friedhofs. Christopher wollte das Tor öffnen, aber es war verschlossen.

»Oh nein, was machen wir denn jetzt? Ich gehe nicht wieder zurück.«

»Das würde uns auch nichts bringen. Vermutlich ist das Haupttor inzwischen auch geschlossen. Wir klettern einfach drüber. So hoch ist es ja nicht.« Er faltete die Hände und ging in die Hocke, damit Julia einen Fuß in seine Handflächen stellen konnte. »Wir machen eine Räuberleiter. Ich helfe dir. Stütz dich mit den Händen einfach auf meinen Schultern ab.«

»Und wie kommst du dann über das Tor?«

»Ich schaffe das schon. Also los jetzt.« Julia stellte den rechten Fuß in Christophers Handflächen und legte die Hände auf seine Schultern. »Auf drei, okay?« Sie nickte, Christopher zählte an: »Eins, zwei, ... und drei!«

Bei drei streckte Julia das gebeugte Bein, während Christopher die Arme zeitgleich in die Luft hob und Julia in die Luft katapultierte. Sie schaffte es problemlos, ein Bein über das Tor zu schwingen; das zweite folgte, sodass sie auf die andere Seite des Portals hinunterspringen konnte. Christopher nahm Anlauf, hangelte sich mit Armen und Beinen an dem Gitter empor, schwang sich ebenfalls über die Absperrung und stand wieder neben ihr.

»Alles okay?«, fragte er.

Sie nickte. »Ja, alles in Ordnung. Tut mir leid, dass ich so ein Angsthase bin.«

Er wusste nicht genau, wie es passiert war, aber auf einmal lagen seine Arme um ihre Taille und er drückte sie an sich. Sie blickte zu ihm auf, Verlegenheit im Blick. Bezaubernd. Sie sah bezaubernd aus. Das hier war der richtige Moment, sie zu küssen. Er spürte es. Jetzt oder nie!

Seine Augen wanderten zwischen ihren und ihrem Mund hin und her. Es fühlte sich gut an, sie so festzuhalten. Es fühlte sich an, als würde sie ihm gehören. Ein gutes Gefühl. Verdammt gut! Es erregte ihn. In seiner Hose wurde es eng.

»Ich würde dich jetzt total gerne küssen«, hörte er sich sagen, so, als stünde er neben sich und würde die Szene von außen beobachten.

»Das würde ich eigentlich auch gerne, aber ...« Julia schlug die Augen nieder.

Eigentlich? Was hieß das? Und was sollte das aber? Wollte sie ihn küssen oder nicht? Eigentlich ... das hieß Ja. Oder nicht?

»Ich wollte es dir schon den ganzen Tag sagen ...«

»Mir was sagen?«

»Wenn die Ferien zu Ende sind, muss ich auf eine andere Schule. Mein Vater ist versetzt worden. Er muss für fünf Jahre nach England. Irgendwo in die Nähe von Oxford. Ich weiß noch nicht mal, wo das genau ist.«

Christopher fühlte sich, als hätte ihm gerade jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt.

»Wieso ist er versetzt worden? Kannst du nicht mit deiner Mutter hierbleiben?«

Sie schaute zu ihm auf. »Nein, das wollen meine Eltern nicht. Außerdem ist es gut für mich, ein paar Jahre im Ausland zu verbringen. Das macht sich später gut in meinem Lebenslauf, sagt mein Vater.«

»Vielleicht könnte ich dich besuchen. Wann zieht ihr denn um?«

»Erst in drei Monaten. Aber ich soll schon vorher nach England fliegen. Meine Mutter hat mich für einen Englischkurs angemeldet, damit ich, wenn die Schule anfängt, perfekt in Englisch bin. In fünf Tagen fliegt sie mit mir nach London.«

Fünf Tage! So schnell! Genauso gut hätte sie fünf Stunden oder fünf Minuten sagen können. Es war frustrierend. Zum Verzweifeln. Ausgerechnet jetzt, da er so kurz vor dem Ziel war.

»Ach Chris, ich will nicht nach England. Ich will nicht auf eine englische Schule gehen und eine Schuluniform tragen. Und die Engländer kann ich sowieso nicht leiden.«

Sie klang genauso verzweifelt, wie er sich fühlte. Trotzdem wollte er sie irgendwie aufmuntern. Es gefiel ihm nicht, wenn sie traurig war. Deshalb sagte er: »Hey, sag so was nicht. Immerhin bin ich auch ein halber Engländer.«

Ein kleines Lächeln erschien in ihrem Gesicht, seine Taktik schien aufgegangen zu sein.

»Bei dir ist das was anderes.«

»Und weshalb?«

»Na ja, ich weiß, es hört sich blöd an. Nach Vorurteil und so, aber ich finde dich nicht besonders englisch. Ich finde, du bist ganz normal und außerdem ...«, ihre Stimme wurde immer leiser, während sie sprach, »außerdem mag ich dich.«

Obwohl sie die letzten Worte kaum hörbar gemurmelt hatte, war jedes Wort für ihn so klar und deutlich vernehmbar, als hätte sie es ihm direkt ins Ohr gesagt. Sie mochte ihn. Vor Aufregung schlug sein Herz einen Takt schneller. Nein, zwei.

»Ich mag dich auch, Julia. Willst du mich nicht doch küssen?«

»Lieber nicht. Ich habe Angst, dass ich mich sonst in dich verliebe.«

Verlieben. Das war das Einzige, was Christopher in diesem Satz zur Kenntnis nahm. Und es hörte sich gut an. Gut und irgendwie nach Gib nicht auf. In einem plötzlichen Anfall von Mut und Siegessicherheit kamen ihm Worte über die Lippen, die er sonst niemals auszusprechen gewagt hätte: »Und wenn ich dir sage, dass ich schon viel länger in dich verliebt bin, meinst du nicht, du könntest mir dann einen Kuss geben? Sozusagen einen Abschiedskuss?«

Erwartungsvoll blickte er sie an. Sie schien verlegen, lächelte dann aber und nickte.

»Na gut, einen Abschiedskuss.«

Ehe er sich versah, hatte sie ihn auf die Wange geküsst.

»Hey, hey, das zählt nicht. Das ging zu schnell«, protestierte er. »Noch mal, aber langsam.«

»Du bist ganz schön hartnäckig«, antwortete sie schmunzelnd. Es schien ihr zu gefallen, dass er versuchte, sie zu überreden.

»Ich warte ja auch schon sehr lange auf diesen Moment. Da will ich ihn auch auskosten. Also: Gibst du mir noch einen?«

Sie nickte. »Okay. Noch einen. Dann ist aber Schluss.«

Es gefiel ihm, dass sie sich ein bisschen zierte und streng zu sein versuchte. Nur hatte es nicht die beabsichtigte Wirkung auf ihn. Es spornte ihn nämlich immer noch mehr an. Und außerdem: Streng sein, das konnte er tausendmal besser als sie.

Dieses Mal präsentierte er ihr eine Gesichtshälfte, indem er den Kopf zur Seite drehte. Im Zeitlupentempo näherte sie sich ihm und tupfte mit ihren weichen Lippen einen Kuss auf seine Wange.

»Jetzt die andere Seite«, forderte er sie auf, indem er den Kopf um hundertachtzig Grad drehte.

Sie kicherte leise. Offenbar gefiel ihr dieses Spiel genauso gut wie ihm. Wieder näherte sie sich seinem Gesicht. Doch als sie ihn küssen wollte, drehte er blitzschnell den Kopf, sodass ihre Lippen für eine Sekunde auf seinen landeten. Ihr entfuhr ein kleiner Schrei. Für den Bruchteil einer Sekunde schlug sie die Augen nieder, bevor sie ihn wieder ansah. Christopher überlegte nicht lange. Er berührte ihre Lippen hauchzart mit seinen. Einmal. Zweimal. Beim dritten Mal öffnete sie ihren Mund ein wenig. Er tat es ihr nach und dann ... schob sich ihre Zungenspitze seiner entgegen und berührte sie.

Ein erregender Blitz durchfuhr ihn, schoss ihm geradewegs in den Schwanz. Ihre Arme legten sich um seinen Hals, ihre Finger kraulten durch sein Haar. Oh Mann, war das gut! Noch viel besser als in seiner Vorstellung. Er hielt sie fest im Arm, während seine Zunge ein Stück weiter in ihren Mund drang. Augenblicklich zog sie sich zurück, also tat er es auch – nur, um sich ihr erneut zu nähern. Wieder trafen ihre Zungenspitzen aufeinander, liebkosten sich wie zwei Eskimos, die ihre Nasen zärtlich aneinander rieben. Einer plötzlichen Eingebung folgend zog er sich zurück, wartete ab, was passierte. Er brauchte nicht lange zu warten. Suchend und tastend erkundete Julias Zunge seinen Mund. Sein Schwanz war inzwischen hart und geschwollen, der Puls pochte in der Eichel. Er begrüßte ihre Zunge mit seiner, drängte sie zurück in ihren Mund, erkundete ihre Mundhöhle nun genauso wie sie zuvor seine. Es war das Geilste, was er je erlebt hatte. Er küsste sie. Er küsste sie! Und das war geiler als jeder Orgasmus, den er bisher gehabt hatte, wenn er sich selbst befriedigte. In seiner Hose war es so eng, dass es fast schmerzte. Aber es war ihm scheißegal. Das hier war es wert. Hundertmal wert. Nein, tausendmal!

Am liebsten hätte er die Zeit angehalten und Julia für immer weitergeküsst. Aber das war natürlich Unsinn. Er war leider kein antiker Gott, der mit einem Fingerschnippen die Zeit zum Stillstand bringen konnte.

Als sie sich voneinander lösten, sprachen sie kein Wort. Den Rest des Weges legten sie – Hand in Hand – schweigend zurück, bis sie vor Julias Haustür angekommen waren.

 

Kapitel 2: Ein ganz spezieller Geburtstag

 

Moira wimmerte vor Lustschmerz, als er über ihre geröteten Pobacken strich. Er hatte sie so lange mit der Gerte geschlagen, bis ihr Hintern rot wie ein Feuermelder leuchtete. Christopher bevorzugte zwar eigentlich den Rohrstock, aber was das anging, war er wählerisch. Er benutzte nur welche, die er selbst hergestellt hatte und deren Eigenschaften er ganz genau kannte.

Gehorsam kniete Moira vor ihm auf dem Bett, die Hände zusammengebunden, die Beine weit geöffnet. Seine Hand glitt über den heißen, drallen Po, sein Zeigefinger streifte die Poritze und tauchte zwischen ihre Schamlippen. Sie triefte vor Nässe. Sein Kumpel Ben, mit dem er in dem Londoner SM-Club Drew’s Dungeon den Vorabend zu seinem achtundzwanzigsten Geburtstag verbrachte, hatte ihm nicht zu viel versprochen: Moira hatte geradezu um Schläge gebettelt – und er hatte ihr nur zu gern gegeben, wonach sie verlangte. Allerdings nicht, ohne sie vorher zu knebeln.

Er stieß mit zwei Fingern in ihre Vagina und rieb mit dem Daumen über den Kitzler. Ihr Körper zuckte zusammen, aus dem Wimmern wurde ein dunkles Stöhnen. Er musste aufpassen, dass sie nicht zu schnell kam. Offenbar hatten die Hiebe mit der Gerte Moira so erregt, dass sie kurz vor dem Orgasmus stand. Sich von hinten über sie beugend, befreite er sie von dem Knebel.

Er griff mit der freien Hand in ihr Haar, zog ihren Kopf zurück. »Du wirst erst kommen, wenn ich es dir erlaube. Hast du verstanden?«

Ein langer Blick und ein gehauchtes »Ja, Sir« war die erwartete Antwort.

Er ließ ihren Kopf los und forderte sie auf, sich auf den Rücken zu drehen. Nachdem er die Handfesseln gelöst hatte, befahl er ihr, ihre Beine mit den Händen festzuhalten. Mit kurzen, schnellen Stößen fickte er sie mit zwei Fingern – ihrer Klitoris schenkte er zunächst keine weitere Beachtung. Er beobachtete ihr Gesicht, ihren Körper, hörte auf die Laute, die sie von sich gab, und steuerte ihre Erregung, wie es ihm beliebte. Dreimal führte er sie bis kurz vor den Orgasmus, dann entzog er ihr die Finger, streifte ein Kondom über und setzte seinen Schwanz an ihren Scheideneingang. Mit einem einzigen Stoß drang er in sie ein. Nach drei schnellen Stößen legte er den Finger auf Moiras Klitoris – während er sie weiterfickte. Moira jammerte und wimmerte in den schrillsten Tönen. Es musste sie ungeheure Kraft kosten, ihren Höhepunkt zu unterdrücken. Schließlich spürte er, wie sein eigener Orgasmus herannahte. Höchste Zeit, ihr den Befehl zum Kommen zu geben – doch es war bereits zu spät. Moira stöhnte, er sah, wie ihr Körper vom Orgasmus geschüttelt wurde, und spürte, wie ihre Muskeln sich krampfartig um seinen Schwanz zusammenzogen – dann kam er auch.

Behutsam zog er den Schwanz aus ihrer Scheide und entsorgte das Kondom in dem Treteimer neben dem Bett. Dann setzte er sich zu Moira und zog sie in seine Arme.

»Es tut mir leid«, murmelte sie. »Tut mir leid, dass ich ungehorsam war.«

»Schon gut«, beschwichtigte er sie. Er wusste, dass Moira recht hatte. Eigentlich müsste er sie bestrafen, weil sie, entgegen seinem Befehl, gekommen war. Aber Christopher war in Feierlaune. Er hatte viel Spaß mit Moira gehabt und wollte heute großzügig sein und ihr diese Verfehlung durchgehen lassen. »Es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Gedanken. Du hast mir sehr gut gedient. Danke, Moira.«

Er blieb noch eine Weile mit ihr auf dem Bett liegen, streichelte sie, genoss ihren warmen Körper, bevor sie gemeinsam duschen gingen. Auf seinen Vorschlag, ihre rote Kehrseite mit einer Pflegesalbe einzureiben, reagierte sie abwehrend.

»Nicht nötig. Außerdem mag ich es, wenn die Striemen noch ein bisschen zu sehen sind, und ich würde die Erinnerung daran gern noch ein wenig behalten«, erklärte sie ihm.

Er nahm es als ein Kompliment. »Mach’s gut, Moira, und pass auf dich auf«, sagte er zum Abschied, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer.

Draußen auf dem Gang wartete Ben auf ihn. Als er Christopher sah, erhob er sich. »Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, alles bestens. Bei dir auch?«

Ben nickte. »Sollen wir gehen? Ich kenne noch eine kleine Bar, die um diese Zeit geöffnet hat. Da könnten wir einen Absacker trinken.«

»Ja, gern, warum nicht. Ich könnte wirklich einen ...«

Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn ein markerschütternder spitzer Schrei ließ sie beide innehalten. Ben und er sahen sich an, und Christopher wusste, dass Ben in diesem Moment das Gleiche dachte wie er: Das war kein Lustschrei, sondern einer aus Angst und Panik.

Worte waren nicht nötig. Mit zügigen Schritten gingen sie den Gang entlang, als der Schrei ein zweites Mal ertönte – dieses Mal lauter. Sie gingen eine Treppe hinunter. Vor einer Tür blieb Ben stehen, drückte die Klinke nach unten, aber die Tür war verschlossen. Beide schauten sich um. Es war kein Personal zu sehen, dieser Bereich des Clubs war seltsamerweise wie ausgestorben. Also hämmerte Ben mit der Faust gegen die Tür: »Aufmachen! Sofort aufmachen!«

Seine Forderung wurde ignoriert. Als der Schrei zum dritten Mal erschallte, sah Christopher seinen Freund fragend an: »Du bist doch gut versichert, oder?« Ben nickte. »Dann lass mich das machen, ja?«

Christopher trat zweimal kräftig gegen die Tür, beim dritten Fußtritt gab das Schloss nach, die Tür splitterte und sprang auf. Die Szene, die er in dem Zimmer zu sehen bekam, konnte er zunächst nicht fassen.

Vier Augenpaare blickten ihm und Ben entgegen. Sie gehörten zu vier Männern, die eine auf dem Bett liegende Frau, die sich nach Kräften wehrte, an ihren Extremitäten festhielten. Zwischen ihren Beinen stand, über ihre Scham gebeugt, ein fünfter Mann, der dort mit irgendetwas beschäftigt war. Dass Ben und er gewaltsam in den Raum eingedrungen waren, schien ihn dabei nicht im Geringsten zu stören.

»Hör auf, zu zappeln, Miststück«, hörten sie den Kerl noch sagen, bevor Ben und er neben ihm standen und das verheerende Ausmaß der Situation begriffen: Offenbar handelte es sich hier um einen Gang-Bang, der komplett aus dem Ruder gelaufen war. Die Frau war am ganzen Körper von den Körperflüssigkeiten der Männer bedeckt und ihre Scham war blutig. Sie schrie wie am Spieß, und das war nicht verwunderlich, denn der Typ, der vor ihr stand, war dabei, ihre Schamlippen mit Nadel und Faden zusammenzunähen – und das ganz offensichtlich gegen ihren Willen.

»Hast du total den Verstand verloren?«, schnauzte Ben den Kerl an und zerrte ihn von der Frau weg.

»Hey! Was fällt dir ein? Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen!« Er versuchte, Ben abzuschütteln, um sich wieder der Frau auf dem Bett zu nähern, aber Christopher versperrte ihm den Weg. »Lass mich sofort los, Arschloch. Das ist meine Sklavin, und ich mache mit ihr, was ich will.«

»Aber nicht, solange ich hier bin«, sagte Ben.

»Das werden wir ja sehen«, entgegnete der Wahnsinnige und holte zum Schlag in Bens Gesicht aus.

Ben konnte dem unvorhergesehenen Hieb nicht rechtzeitig ausweichen. Christopher hörte ein Knacken und sah Blut über Bens Gesicht laufen. Verdammt! Der Kerl hatte ihm wohl das Nasenbein gebrochen. Doch das beeindruckte Ben wenig. Er war mindestens einen halben Kopf größer und kräftiger als sein Widersacher und landete umgehend einen Treffer in die Magengrube seines Gegenübers, dem daraufhin die Luft wegblieb. Christopher war sich sicher, dass Ben allein mit dem Typ fertigwurde, also wandte er sich an die anderen vier Gestalten: »Lasst sie los, ihr Flachwichser! Was seid ihr nur für ein Haufen erbärmlicher Hurensöhne? Lasst sie los, verdammt noch mal!« Die vier Männer schienen wie paralysiert. »Loslassen, habe ich gesagt, oder muss ich erst handgreiflich werden?«

Christopher wusste, dass er gegen vier Gegner gleichzeitig keine Chance hatte, auch wenn er aufgrund seines Boxtrainings mit Sicherheit besser auf eine körperliche Auseinandersetzung vorbereitet war als die Typen vor ihm. Irgendetwas schien jedoch in ihren Gehirnen angekommen zu sein – vielleicht ein letzter Rest von schlechtem Gewissen oder Reue? Er konnte es nicht sagen, aber auf alle Fälle ließ einer der vier die Frau los, die übrigen drei folgten seinem Beispiel mit etwas Verzögerung.

»Raus jetzt!«, befahl er mit einer Kopfbewegung. »Bevor ich mein letztes bisschen Selbstbeherrschung verliere und euch die Eier zusammenbinde.«

Die vier klaubten ihre Klamotten zusammen und verließen, nackt wie sie waren, das Zimmer. Der Psychopath lag mittlerweile keuchend am Boden. Ben hatte ihm die Hände auf den Rücken gedreht und hielt ihn im Schwitzkasten.

»Guck mal, ob du hier was zum Fesseln findest«, forderte Ben ihn auf.

»Du mieser Drecksack«, fluchte der Typ unter ihm. »Das wird dir noch leidtun.«

Christopher sah sich um, fand aber nichts Geeignetes. »Ich habe eine bessere Idee. Stell ihn mal auf die Füße.«

Zu zweit stellten sie ihn aufrecht hin, Ben hielt ihm nach wie vor die Arme auf dem Rücken zusammen.

»Mir geht dein Gequatsche wirklich auf die Eier«, sagte Christopher zu dem Typen. Dann ballte er die rechte Faust, holte aus und traf ihn an der Schläfe. Sofort sackte er zusammen. Er war k. o. Ben ließ ihn angewidert auf den Boden fallen. »Was für ein mieses Arschloch! Einer wie der hat hier nichts verloren. Wenn es irgendwie in meiner Macht steht, sorge ich dafür, dass er Hausverbot und eine Anzeige bekommt.«

Christopher hörte zwar die Worte seines Freundes, war aber längst damit beschäftigt, sich die Frau näher anzusehen. Sie lag apathisch auf dem Bett und wimmerte. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihr Make-up war verschmiert, sie zitterte am ganzen Körper. Soweit er erkennen konnte, hatte der Schwachkopf ihre Schamlippen dreimal durchstochen. Sie blutete, die Nadel hing lose am blutverklebten Faden herunter. Er entfernte sie und warf sie in den Mülleimer, bevor er sich über die Frau beugte.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte er sie leise. »Können Sie mich verstehen?« Sie nickte. »Ich bin Arzt«, erklärte er ihr. »Haben Sie keine Angst mehr. Es ist vorbei. Ich kümmere mich um Sie. Zuerst muss ich Ihnen aber die Fäden entfernen. Das wird leider noch einmal etwas wehtun, okay? Halten Sie durch, ja?«

Wieder nickte sie, Tränen flossen aus ihren Augen. Er wischte sie behutsam mit dem Daumen fort. »Schhht. Nicht weinen. Alles wird wieder gut.« Er wandte sich an Ben. »Kannst du mir kurz helfen?«

»Klar, was soll ich tun?«

»Spreiz ihre Schamlippen auseinander.« Er zeigte es ihm. »So! Siehst du?«

»Ja. Okay.« Als Ben die Scham der jungen Frau berührte, wurde das Wimmern lauter.

»Das ziept jetzt gleich«, sagte Christopher, bevor er sie mit zwei schnellen Handgriffen von dem Nähfaden befreite. Sie schrie. Laut und durchdringend – bei der zweiten Handbewegung sackte sie ohnmächtig auf dem Bett zusammen. »So ein verdammter Mist. Mein Notfallkoffer ist im Auto«, fluchte Christopher und betrachtete die Wunde. »Ich bräuchte eine Kompresse.«

»Geht auch ein Stofftaschentuch?«

»Besser als nichts. Ist es sauber?«

Ben nickte, griff in die Tasche seines Jacketts und überreichte ihm ein gefaltetes Taschentuch, das Christopher auf die blutenden Einstiche presste.

»Wie geht’s deiner Nase?«, fragte er seinen Freund.

»Tut weh, aber ist auszuhalten.«

»Dann sollten wir besser gehen. Bevor dieser Vollhonk wieder wach wird, meinst du nicht?«

Ben nickte. »Schaffst du es mit ihr allein hier raus? Dann hole ich schon mal den Wagen.«

»Ja, sicher. Geh. Und beeil dich.«

Während Ben sich aus dem Staub machte, hob Christopher die Frau vom Bett herunter und legte sie auf einem der Sessel im Raum ab. Er schlug die blut- und spermaverschmierte Decke beiseite und zupfte das Laken aus den Bettritzen hervor. Vorsichtig, die junge Frau wie ein rohes Ei behandelnd, bettete er sie erneut um und schlug sie in das Betttuch ein, sodass ihr Körper vollständig bedeckt war. Dann nahm er sie auf die Arme und trug sie über den Gang, den Schildern mit der Aufschrift EXIT folgend.

Als er am Ausgang ankam, sah ihn der Türsteher mit finsterem Blick an.

»Was ist hier los?«, fragte er, Christopher den Weg versperrend.

»Das sollten Sie besser den Typ in Raum hundertacht fragen. Der Kerl ist meiner Meinung nach nicht ganz frisch im Oberstübchen. Die Frau hier muss ins Krankenhaus«, dramatisierte er die Lage absichtlich. »Also lassen Sie mich durch. Ich bin Arzt.« Er sah, wie es im Kopf des Mannes arbeitete. »Wenn Sie mir nicht glauben, fassen Sie in die linke Innentasche meines Sakkos, da ist mein Arztausweis drin. Na los, machen Sie schon.«

Der Mann tat nach kurzem Zögern, was Christopher von ihm verlangte, und öffnete die Brieftasche.

»Zweite Karte von unten«, wies er ihn an und sah zu, wie der Mann vor ihm den Ausweis herauszog, betrachtete und wieder zurücksteckte.

»Tut mir leid, Doktor Stone. Ich habe meine Vorschriften. Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein?«

»Ja«, erwiderte Christopher, nachdem sich die Brieftasche wieder in seiner Jackentasche befand. »Sie können mir die Tür aufhalten.«

 

Fünfundvierzig Minuten später waren sie in dem gemieteten Ferienapartment in Kensington angekommen. Christopher hatte die Wunde desinfiziert und der Frau noch während der Fahrt ein Medikament verabreicht, das entzündungshemmend wirkte, sowie ein Sedativum, von dem sie eingeschlafen war. Ben und er hatten ihre Vorderseite gewaschen, ihr Gesicht vom Sperma gereinigt und sie ins Bett gebracht. Im Schlaf sah sie friedlich aus, hatte sogar einmal gelächelt und Christopher dabei an jemanden erinnert. Nur kam er nicht darauf, an wen.

Ohne die ganze Schminke im Gesicht sah sie viel hübscher aus, fand er. Die Haare hatten allerdings einen gewöhnungsbedürftigen Rotton. Orange! Vermutlich schlecht oder selbst gefärbt. Oder gab es tatsächlich Leute, denen eine solche Kunstfarbe gefiel? Wenn er nur wüsste, an wen sie ihn erinnerte ...

Achselzuckend verließ er das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Ben wartete im Wohnzimmer auf ihn. Er kühlte sich die Nase mit ein paar Eiswürfeln, die sie in ein Handtuch gewickelt hatten.

»Lass mich mal sehen«, forderte er seinen Freund auf. Ben entfernte das Handtuch, Christopher betastete die geschwollene Stelle. »Sieht nicht gut aus. Schön weiterkühlen, sonst bist du morgen grün und blau im Gesicht. Und deine Nase«, er befühlte sie mit beiden Händen »die wird nicht mehr gerade zusammenwachsen, wenn du nicht ins Krankenhaus gehst.«

»Ich gehe nicht ins Krankenhaus. Was soll ich denen erzählen? Etwa, dass ich die Treppe runtergefallen bin? Du bist doch Arzt, kannst du das nicht machen?«

»Was? Dir die Nase richten?« Ben nickte. »Tut mir leid. Ich bin Hautarzt und kein Knochenflicker.«

»Aber du operierst doch auch, hast du gesagt. Wieso kannst du dann nicht ...?«

»Ich entferne Muttermale und mache Laserbehandlungen, aber richte doch keine Knochen wieder gerade. Das ist etwas völlig anderes. Tut mir leid, Kumpel, da musst du schon zu einem Spezialisten gehen.«

Ben presste das Handtuch wieder auf sein Gesicht. »Tut mir echt leid, Chris, dass der Abend so zu Ende gegangen ist.«

»Schon gut. In ein paar Jahren erzählen wir uns, wie wir es dem Spinner gegeben haben.«

Ben machte eine Kopfbewegung in Richtung Schlafzimmer. »Was machen wir mit ihr?«

»Ich denke, wir behalten sie über Nacht hier. Ich werde auf dem Sofa schlafen und lasse die Tür einen Spalt offen. Wenn etwas mit ihr sein sollte, will ich in der Nähe sein. Morgen früh sehen wir dann weiter.«

»Na schön. Dann hau ich mich jetzt aufs Ohr. Brauchst du noch etwas?«

»Nein, ich komme zurecht. Gute Nacht.«

Er wartete, bis Ben im zweiten Schlafzimmer verschwunden war, dann zog er sich – bis auf seinen Slip – aus, löschte das Licht und suchte eine bequeme Position auf dem Sofa. Leider war es zum Übernachten nicht ideal. Christopher drehte sich nach rechts und links, aber die richtige Schlafstellung wollte er ums Verrecken nicht finden. Entweder stieß er sich den Fuß an der Lehne oder er wusste nicht, wohin mit dem Arm. Er überlegte bereits, ob er den Wohnzimmertisch verrücken und auf dem dicken Berberteppich, der darunter lag, übernachten sollte, als aus dem Nebenzimmer ein jammerndes Stöhnen an seine Ohren drang.

Mit einem Seufzen erhob er sich, um nachzusehen, ob es der Unbekannten gut ging. Die Situation erinnerte ihn an seine Zeit als Medizinstudent im Krankenhaus. Immer wenn man es sich bei der Nachtwache gerade gemütlich machen wollte, klingelte irgendein Patient und scheuchte einen wieder auf. Gut, dass diese Zeiten vorbei waren. Auf leisen Sohlen schlich er zur Tür, betrat das Zimmer und näherte sich dem Bett.

»Nein ... nein, Sir ... bitte ...«, hörte er sie im Schlaf flehen.

Sie träumte. Nichts Gutes anscheinend. Sie hatte die Decke fortgestrampelt und lag halb entblößt vor ihm, die Haare waren ihr ins Gesicht gefallen. Einen Moment lang betrachtete er ihren Körper, ihr Gesicht. Sie gefiel ihm. Eine richtig Hübsche war sie. Wenn er nur wüsste, an wen sie ihn erinnerte. Er schob ihr die Haare beiseite und deckte sie wieder zu. Ihr Arm hing halb aus dem Bett. Als er ihre Hand ergriff, um den Arm im Bett abzulegen, verstummte das flehende Jammern – setzte aber umgehend wieder ein, als er sie losließ. Er legte seine Hand auf ihre und das Stöhnen hörte auf.

Er runzelte die Stirn. War das ein Trick? Schlief sie gar nicht wirklich? Doch die tiefen gleichmäßigen Atemzüge überzeugten ihn. Sie schlummerte tief und fest. Er hatte schon davon gelesen, dass manche Personen im Schlaf auf Berührungen reagierten, sie sozusagen in ihre Träume einbauten. Anscheinend war das hier der Fall. Was sollte er jetzt machen? Er konnte ja schlecht die ganze Nacht hier herumstehen und Händchen halten. Aber sie loslassen und ihren Albträumen überlassen, wollte er auch nicht. Sie hatte für heute mit Sicherheit genug durchgemacht.

Na schön. Er würde sich also ihretwegen die Nacht um die Ohren schlagen. Er ließ ihre Hand los und umrundete das Bett.

»Nicht! Nein, Sir ... bitte ...«, murmelte sie.

Christopher legte sich auf die andere Betthälfte, benutzte das Laken als dünne Trennwand zwischen ihrem und seinem Körper und schob einen Arm unter ihrem Nacken hindurch, um ihre Hand festzuhalten. Sie verstummte.

Schön, dass sie nun wieder ruhig schlief, aber was war mit ihm? Sein Arm war verdreht, das Handgelenk abgeknickt und ihr Kopf drückte auf seinen Bizeps. Bequem war eindeutig anders. Verdammt! So würde er niemals schlafen können. Es half alles nichts. So vorsichtig wie möglich legte er sich auf die Seite, rutschte, so nah es ging, an sie heran und umschlang sie mit beiden Armen. Sie atmete ruhig weiter. Gott sei Dank, dachte er noch, dann fielen auch ihm die Augen zu.

 

Konnte bitte mal jemand das Karussell in seinem Schädel abstellen? Soweit er sich erinnerte, hatte er gestern gar nichts getrunken. Trotzdem fühlte sich sein Kopf an, als ob er die Nacht durchgezecht hätte. Er blinzelte ein paarmal und wollte gewohnheitsmäßig nach seiner Uhr tasten, aber es ging nicht. Irgendetwas hielt seinen Arm fest. Die Augen einen Spalt breit geöffnet sah er, was es war. Oder besser gesagt: WER.

Die hübsche Unbekannte von letzter Nacht lag nämlich mit dem Kopf auf seinem Bauch, den linken Arm über seine Brust und seinen rechten Arm ausgestreckt. Oh Mann! Auch das noch! Wie sollte er sich aus dieser Lage befreien, ohne sie aufzuwecken? Er hatte sie nicht angerührt und deswegen ein reines Gewissen, aber würde sie ihm das abnehmen? Immerhin lag sie nackt auf seinem Bauch und er hatte nur einen Slip an. Und nicht nur das. Zu allem Überfluss hatte er auch noch eine Morgenerektion. Scheiße! Manchmal lief einfach nichts, wie es sollte. Und das an seinem Geburtstag!

Also gut, sagte er sich. Bleib cool, Christopher.

So langsam wie möglich veränderte er seine Position, rutschte der Bettkante Zentimeter für Zentimeter entgegen, nach jeder Bewegung eine Pause einlegend, abwartend, ob sie aufwachte oder weiterschlief. Es war eine unsagbar mühsame Prozedur, die ihm endlos vorkam, aber schließlich sank ihr Kopf auf die Matratze und er konnte ihren Arm auf dem Kopfkissen ablegen. Es war geschafft. Christopher erhob sich und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Er sah sich noch einmal um, wollte sich vergewissern, dass sie schlief, als sein Blick auf ihre rechte Schulter fiel.

Sie war tätowiert. Eine Schar von kleinen Schmetterlingen schien über ihr Schulterblatt und den oberen Rücken zu flattern. Nur einer von ihnen, der ganz rechts oben, war größer als die anderen. In seinem immer noch von zu wenig Schlaf benebelten Kopf formte sich ein undeutlicher Gedanke. Schmetterlinge auf dem Schulterblatt ... Es sagte ihm irgendetwas. Aber was? Er machte kehrt und beugte sich über die Schlafende, um sich das Tattoo genauer anzusehen. Die vielen kleinen Schmetterlinge schienen alle zur gleichen Zeit gestochen worden zu sein, aber der große sah älter aus, denn die Farbe war eine andere und ein wenig verblasster als der Rest. Und noch einen Unterschied gab es.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag. Als stünde er an einem Abgrund, zuckte er zurück. Der Körper des Schmetterlings war kein Tattoo. Es war ein längliches Muttermal.

tönte es in seinem Kopf.