May it be

– möge es sein

 

von

Marcel Stalder

Co-Autorin Erdmut Pawlitschko

May it be an evening star

Shines down upon you

May it be when darkness falls

Your heart will be true

You walk a lonely road

Oh, how far you are from home

 

Songtext aus May It Be

der irischen Sängerin

Enya

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Möge es ein Abendstern sein, der auf dich nieder scheint

Möge es sein, dass bei Einbruch der Dunkelheit, dein Herz ehrlich sein wird

Du gehst einen einsamen Weg – oh, wie weit weg du bist – von daheim.

 

 

Es war einmal...

…da schlug das Schicksal in all seiner Härte zu!

 

 

Dies ist die wahre Geschichte von mir und über mich

 

 

Am Morgen des 15. Septembers 1989, des schicksalsvollsten Tages meines Lebens, bin ich wie immer aufgestanden. Habe mir einen Kaffee runter gelassen und eine Zigarette angezündet, um darauf zum Bahnhof runter zu laufen und den Zug Richtung Basel zu nehmen, wo ich 2 Wochen zuvor meine Ausbildung als Lokomotivführer angefangen hatte. Dies war ein Beruf, bei dem ich mir gut vorstellen konnte, einige Zeit zu arbeiten. Wie die meisten jungen Leute, fand ich bei meiner ersten Lehre nicht die Befriedigung in meinem Job als Automechaniker. Dies wusste ich aber schon nach den ersten zwei Wochen. Die Lehre ging 4 Jahre, für mich war klar, dass ich diese durchziehe. Denn mit dieser Ausbildung stehen mir die Türen offen für meine weitere Zukunft. Bei mir lief das Leben wie am Schnürchen, denn ich hatte mein Leben im Griff, „dachte ich.“

Dies war nicht immer so, denn mit 15 Jahren hatte ich ein Zugehörigkeitsproblem. Ich wusste nicht, zu welchen Leuten ich passte und zu welchen nicht. Irgendwie habe ich den Zeitpunkt verpasst, an dem sich meine Clique anfing zu teilen oder wollte es auch nicht wahrhaben, dass diese tolle Zeit vorbei sein sollte. Denn es war definitiv eine der unbekümmertsten Zeiten meines Lebens.

 

Meistens findet man dann über den Sport zu seinen Leuten und da ich Handball spielte, war dies naheliegend. Also gab ich alle Energie dem Sport; leider wollte dies mein Karma nicht und mischte sich in mein Leben ein. Ich riss mir zweimal das Kreuzband, was für mich hiess, die Sportart zu wechseln. Da für mich die Ambitionen vorbei waren für Spitzensport, wechselte ich in den Breitensport zum Turnverein, wo ich auch gut aufgenommen wurde. Man kannte mich und dann ist es nicht so schwer in einem Verein Fuss zu fassen.

 

Am Abend des 15.09. fuhr ich mit meinem Vater, der auch in Basel arbeitete, nach Hause. Ich sagte ihm, dass ich noch nicht weiss ob ich heute Abend zum Training gehe, denn ich war sehr müde. Da ich noch zuhause wohnte, wusste ich auch von den Plänen meiner Eltern. Sie waren zu einem Geburtstag eingeladen und zwar in der Innerschweiz, wo meine Mutter aufgewachsen ist.

 

Als mich mein Vater wie abgemacht weckte, bevor er abfuhr, dachte ich, es täte mir sicher gut, einen körperlichen Ausgleich zur strengen Ausbildung zu haben. Am Morgen dieses Tages hatten wir eine Prüfung gehabt, die ich total vergeigte.

Also ging ich zur Turnhalle, in der das wöchentliche Training stattfand und war wie meistens pünktlich zum Trainingsbeginn da. Wir machten wie immer das Aufwärmen, dann spielten wir ein bisschen Korbball und danach stellten wir das Trampolin auf, auf dem wir noch für den alljährlichen Turnabend trainierten. Zuerst fängt man mit einem Einspringen an und dann steigert man den Schwierigkeitsgrad bis zum Salto. Ich wollte aber noch einen darauflegen und probierte einen doppelten Salto, was absoluter Blödsinn war, aus meiner späteren Sichtweise, da ich den noch nie gemacht und auch noch nie geübt hatte. Da mir der jugendliche Leichtsinn noch nicht abhanden- gekommen war, nahm ich Anlauf, lief auf das Trampolin zu, sprang ab und fing an zu drehen. Nach einer Drehung verlor ich die Orientierung und machte meine zusammengefaltete Körperhaltung auf, was ein fataler Fehler war und schwerwiegende Folgen hatte. Ich flog auf meinen Kopf. Dies wäre alles noch nicht so schlimm gewesen, wenn da nicht diese enormen Fliehkräfte auf meinen Halswirbel eingewirkt hätten, um mir den fünften Halswirbel zu zerquetschen. Als mein Körper 5 Sekunden später zur Ruhe kam, ging nichts mehr. Ich wollte aufstehen, aber mein Körper hörte nicht mehr auf mich. Was ist passiert? Ich bin bei Bewusstsein, aber meine Beine reagieren nicht mehr, wo sind sie überhaupt? Ich habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper, was soll das? Dies ist nur vorübergehend, redete ich mir zu. Da ich zu müde war, um mir ernsthafte Gedanken zu machen, beschloss ich mich auszuruhen und einfach abzuwarten bis wieder alles funktionierte. Mein Kopf konnte sich gar keine Vorstellung machen, was eigentlich passiert ist, wollte er auch nicht oder besser gesagt konnte er auch gar nicht. Wie auch? Dies ist ein böser Traum, gaukelte ich meinem Geist vor. Ich wusste ja wie das funktioniert mit den Träumen. Man wacht auf und alles ist o.k.

Erwacht bin ich dann schon, aber nicht in meinem Bett, sondern auf der Intensivstation im Paraplegikerzentrum in Basel. Die Rega hatte mich mit dem Helikopter abgeholt und mich ins Kantonsspital Basel zur näheren Untersuchung gebracht. Ich bekam von all dem nichts mehr mit, denn sie gaben mir Medikamente um mich zu beruhigen.

Intensivstation

 

Wo bin ich hier?

Was ist passiert?

Das waren meine ersten Gedanken.

Ich erinnerte mich an den Vorabend und den Sprung und in diesem Moment probierte ich meine Beine zu bewegen, es ging nicht. Dies war doch immer so einfach gewesen, ohne jeglichen Aufwand. Jetzt hörte mein Körper nicht mehr auf mich, auch meine Finger bewegten sich nicht mehr und meine Arme nur noch zum Teil. Ich konnte zwar meinen Unterarm anziehen, dank des noch funktionierenden Bizeps, dann hatte ich meinen Arm oben, aber wie brachte ich den wieder runter ohne Trizeps? Diese Fragen beantwortete mir bald darauf ein Arzt. Er war sehr offen zu mir und teilte mir ohne Umschweife die knallharten Fakten mit - dass ich eine Quetschung meines fünften Halswirbels habe und nie mehr gehen könne und mein restliches Leben im Rollstuhl verbringen werde.

Dies war natürlich eine heftige Nachricht, die ich zuerst verarbeiten musste.

Das konnte doch nicht sein? Gestern um dieselbe Zeit war ich noch zu Fuss unterwegs und heute sollte dies nicht mehr gehen? Da trieb jemand einen gewaltigen Scherz mit mir.

Ist das Leben so brutal?

Schlägt das Schicksal so hart zu, wenn man denkt man hätte sein Leben im Griff?

Gibt es einen Gott, der sowas zulässt oder ist dies eine weitere Prüfung in meinem Leben, damit ich mich weiterentwickeln kann?

Auf diese Fragen fand ich aber erst viel später eine Antwort.

 

Auf jeden Fall musste ich zuerst das Passierte verarbeiten, was mit sehr viel Traurigkeit verbunden war. Für mich war der Fall klar, so will ich nicht mehr weiterleben, was soll das für ein Leben sein? Immer auf Hilfe angewiesen zu sein. Ich sagte zu meinem Vater, er soll mir ein Gewehr bringen und mir eine Kugel in den Kopf jagen, damit dieser Alptraum ein Ende nimmt. Ich brauche Hilfe für alles, denn mein Geist weiss zwar wie es geht, aber meinen Körper interessiert das nicht.

Ich wollte nur noch schlafen. In meinen Träumen konnte ich noch gehen und da war alles noch wie vor zwei Tagen. Also verlangte ich Schlafmedikamente, um so viel wie möglich zu schlafen und zu vergessen. Irgendwann holt einen die Realität ein und man merkt, dass es so nicht weitergehen kann.

 

Die nächsten Tage waren sehr schlimm für mich, denn mir wurde immer mehr bewusst, was passiert war - mit mir.

Wie soll mein Leben weitergehen? Niemand konnte mir diese Fragen beantworten. Doch meine Familie half mir sehr. Ich soll mir darüber keine Gedanken machen, war immer die Antwort meiner Eltern. Ich soll meine Kraft für die Aufgaben, die mir bevorstehen verwenden, und nicht für ihre.

Zwei Wochen vor meinem Unfall hatten meine Eltern angefangen ein Haus zu bauen. Dies war Glück im Unglück. Denn so konnten wir das Haus mit einem Lift versehen und auch sonst alles anpassen (Einfahrt, Lift, Dusche, Toilette). Denn bei meiner Verletzung des Rückenmarks wussten alle, dass ich nie mehr meine Beine werde benutzen können.

 

Die Tage waren nicht so schlimm, da hatte ich Abwechslung durch Freunde und Familie, aber die Nächte waren der Horror. Da war ich alleine mit mir, vor allem mit meinen Gedanken. Da gab es sehr viel, oder eher nichts, auf das ich eine Antwort wusste.

Was ist der Sinn meines Unfalls? Wieso überhaupt ich, was habe ich gemacht, dass das Schicksal mich so hart bestraft? Die Nächte waren wie geschaffen für diese Fragen, aber leider fand ich noch keine Antwort darauf. Werde ich je eine finden? Gibt es überhaupt eine?

Dies war so eine Sache mit Perspektiven; alle die mich besuchten, waren randvoll damit. Machten mir Vorschläge, was ich machen soll nach der Rehabilitation, dass alles nicht so schlimm war und sich eine Lösung finden werde. Dies machte mich wütend aber auch traurig, denn alle wussten, wie es um mich stand, nur ich nicht.

Noch mehr verärgerte mich, wie sie schamlos über ihre Erlebnisse und bevorstehende Freizeitgestaltung debattierten. Dies tat mir enorm weh. Ich empfand es als Verrat, dass ich nicht mitmachen konnte.

Wenn meine Besucher dann wieder gegangen waren, fühlte ich mich nur traurig und leer und war wieder allein mit meinen Gedanken.

Ich erschuf mir eine fiktive Welt und stellte mir vor, wie das wäre beim Ausgehen: Ich kam hinein ins Pub und hielt Ausschau nach meinen Leuten. Es war meistens jemand da, wenn nicht, ging ich an die Bar und bestellte mir ein Bier, in der Zeit bis ich es bekam, checkte ich die Lage. Dies ging im Normalfall sehr schnell und ich setzte mich dann zu den Auserwählten. Da ich sehr offen war, hatte ich sehr schnell Anschluss, vor allem mit weiblichen Partygästen. Ich war stets sehr schnell im Mittelpunkt.

Das Interessanteste war, wenn niemand im Pub war den ich kannte, oder nur flüchtig, dann konnte ich mit Leichtigkeit neue Menschen kennenlernen.

Bald hatte ich das Problem, dass ich alle kannte und so begann ich, mein Einzugsgebiet auszuweiten. Basel war der ideale Ort für mich, eine Schweizer Grossstadt mit sehr vielen Möglichkeiten.

 

In Basel hatte ich meine neue Ausbildung angefangen und gedacht, dass dort meine Zukunft war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch eine Freundin - da musste ich eine schwere Entscheidung treffen, denn es gab nur eine Lösung, die Trennung.

And would they let their light shine

Enough for me to follow

I look up to the heavens

But night has clouded over

No sparks of constellation

No vela no orion

 

Songtext aus Anywhere is

der irischen Sängerin

Enya

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und würden sie ihr Licht scheinen lassen –hell genug für mich, um ihnen zu folgen

Ich schaue hinauf zu den Himmeln – aber die Nacht hat sich bewölkt

Kein Funkeln eines Sternenbilds – nicht vom Vela nicht vom Orion

 

 

Mein Überlebenskampf

 

Zwei Wochen später änderte sich wieder alles in meinem Leben. Ich hatte eine Lungenembolie mit Herzstillstand. Ausgelöst wurde sie durch ein Blutgerinnsel, welches durch eine Thrombose im Körper losgerissen wurde. Ich hatte Therapie und die Therapeutin bewegte meine Arme und Beine durch, damit es keine Einschränkung meiner Bewegungen gab. Dies ist sehr wichtig für die Gelenke, da es sonst zu Verkürzungen meiner Sehnen und Muskulatur führt.