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Andreas Filippi, Sebastian Kühl (Hrsg.)

ATLAS DER MODERNEN
ZAHNERHALTENDEN

CHIRURGIE

Unter Mitarbeit von J. Thomas Lambrecht, Frank P. Strietzel, Georg Damerau, Adrian Kasaj und Hermann Derks

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

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Quintessenz Verlags-GmbH

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Lektorat: Anita Hattenbach, Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin

Layout und Herstellung: René Kirchner, Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin

Druck: Grafički Zavod Hrvatske d.o.o.

ISBN:

978-3-86867-482-8 (ebook)

978-3-86867-395-1 (print)

Anschrift der Herausgeber

Prof. Dr. Andreas Filippi

Prof. Dr. Sebastian Kühl

Klinik für Zahnärztliche Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde

Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel

Hebelstrasse 3

CH-4056 Basel

Anschriften der Autoren

Dr. Georg Damerau

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Klinik für Oralchirurgie

Zentrum für Zahnmedizin

Plattenstrasse 11

CH-8032 Zürich

Dr. Hermann Derks

Zahnärztliche Privatpraxis

Steinstraße 124

46446 Emmerich

Prof. Dr. Dr. h. c. Adrian Kasaj, M.Sc.

Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Augustusplatz 2

55131 Mainz

Prof. Dr. Dr. J. Thomas Lambrecht

Klinik für Zahnärztliche Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde

Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel

Hebelstrasse 3

CH-4056 Basel

Priv.-Doz. Dr. Frank P. Strietzel

Charité - Universitätsmedizin Berlin

Charité Centrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Bereich Oralmedizin, zahnärztliche Röntgenologie und Chirurgie

Aßmannshauser Straße 4–6

14197 Berlin

Vorwort

Zahnerhaltende Chirurgie wird in Zahnarztpraxen vielleicht nur gelegentlich, aber in Praxen oder Kliniken für Oralchirurgie oder Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mehrfach täglich durchgeführt. Sie ist fester Bestandteil der Zahnmedizin, die sich trotz aller Fortschritte in der oralen Implantologie wann immer möglich um Zahnerhalt bemüht. Vor jeder Zahnentfernung sollten daher die Möglichkeiten der zahnerhaltenden Chirurgie geprüft werden. Dies entspricht oft dem Wunsch der immer älter werdenden Patienten, eigene Zähne, solange es vertretbar und möglich ist, zu erhalten.

Manche Techniken der zahnerhaltenden Chirurgie sind Klassiker (Wurzelspitzenresektion, Freilegung und Einordnung von Zähnen, Hemisektion, Wurzelamputation), manche haben in den letzten Jahren eine erstaunliche Renaissance erlebt (Zahntransplantation) und manche sind leider immer noch kaum bekannt (intentionelle Replantation) oder sogar vollkommen unbekannt (Transreplantation). Ihnen allen ist gemeinsam, dass es innerhalb der letzten 10 bis 15 Jahre einen erheblichen Wissenszugewinn gegeben hat. Dieser zeigt sich in immer besser werdenden Techniken, höheren Erfolgsraten und besserer Vorhersagbarkeit, wovon die betroffenen Patienten maßgeblich profitieren.

Das vorliegende Buch soll die moderne zahnerhaltende Chirurgie so präsentieren, wie sie heute möglich ist, mit dem Ziel, das therapeutische Spektrum in der täglichen Praxis zu erweitern oder auf den aktuellen Stand zu bringen. Es wurde von Autoren mit langjähriger Erfahrung in der zahnerhaltenden Chirurgie verfasst. Das Buch ist nicht als Lehrbuch, sondern als Bildatlas und Nachschlagewerk konzipiert. Gleichzeitig soll es Studierenden der Zahnmedizin das aktuelle Wissen zum Wohle ihrer späteren Patienten übersichtlich vermitteln.

Die von den Autoren verwendeten und empfohlenen Produkte bzw. Medikamente sind am Ende der jeweiligen Kapitel aufgelistet. Die Literaturzitate in den klinischen Kapiteln 3 bis 7 wurden auf ein absolutes Minimum reduziert, um Redundanzen mit Kapitel 8 zu vermeiden, in dem die Erfolgsraten und Einflussfaktoren auf Basis der existierenden Literatur aktuell ausgewertet worden sind.

Unser besonderer Dank gilt allen, die an der Entstehung dieses Buches beteiligt waren: unseren Mitautoren Georg Damerau, Hermann Derks, Adrian Kasaj, J. Thomas Lambrecht und Frank Strietzel, allen Zahnärztinnen und Zahnärzten der Klinik für Zahnärztliche Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde, die viele der abgebildeten klinischen Aufnahmen angefertigt haben, Nicolas Lienert und Nicola Feola (für das wie immer hervorragende und mittlerweile vierte Titelbild), Anita Hattenbach vom Quintessenz Verlag für das angenehme und hochprofessionelle Lektorat, Johannes Wolters vom Quintessenz Verlag für die jahrelange vertrauensvolle und immer angenehme Zusammenarbeit und nicht zuletzt unseren Familien, ohne deren Geduld ein solches Buch neben all der beruflichen Belastung nicht möglich gewesen wäre.

Basel im Dezember 2017

Andreas Filippi & Sebastian Kühl

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Die Kinder der Herausgeber.

Inhalt

1Einleitung

Andreas Filippi

Literatur

2Die Geschichte der zahnerhaltenden Chirurgie

J. Thomas Lambrecht

Transplantation

Replantation

Wurzelspitzenresektion

Hemisektion und Wurzelamputation

Freilegung und Einordnung

Literatur

3Freilegung und Einordnung

Georg Damerau

Indikationen

Kontraindikationen

Chirurgisches Vorgehen

Offene Freilegungstechniken

Geschlossene Freilegungstechniken

Schrittweises Vorgehen

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Verwendete Materialien

Literatur

4Wurzelspitzenresektion

Sebastian Kühl

Indikationen

Kontraindikationen

Chirurgisches Vorgehen

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Verwendete Materialien

Literatur

5Intentionelle Replantation und Transreplantation

Andreas Filippi

Intentionelle Replantation

Indikationen

Kontraindikationen

Chirurgisches Vorgehen

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Transreplantation

Indikationen

Kontraindikationen

Chirurgisches Vorgehen

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Verwendete Materialien

Literatur

6Resektive Furkationstherapie, Hemisektion und Wurzelamputation

Adrian Kasaj, Hermann Derks

Einleitung

Diagnostik und Klassifikation des Furkationsbefalls

Therapie des Furkationsbefalls

Indikationen und Kontraindikationen für die resektive Furkationstherapie

Resektive Verfahren zur Furkationstherapie

Wurzelamputation

Hemisektion/Trisektion

Prämolarisierung

Tunnelierung

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Verwendete Materialien

Literatur

7Zahntransplantation

Andreas Filippi

Indikationen

Kontraindikationen

Chirurgisches Vorgehen

Molarentransplantation

Prämolarentransplantation

Milcheckzahntransplantation

Mögliche Komplikationen und Recall

Prognose

Verwendete Materialien

Literatur

8Erfolgsraten

Frank Peter Strietzel

Erfolgsraten nach …

… Wurzelspitzenresektion

… Hemisektion und Wurzelamputation

… intentioneller Replantation

… Zahntransplantation

Kriterien zur Bewertung des Erfolges nach …

… Wurzelspitzenresektion

… Hemisektion und Wurzelamputation

… intentioneller Replantation

… Zahntransplantation

Einflussfaktoren auf den Erfolg …

… bei Wurzelspitzenresektion

… bei Hemisektion und Wurzelamputation

… bei intentioneller Replantation

… bei Transplantation

Literatur

EINLEITUNG

1

Andreas Filippi

Vor über 20 Jahren hatte ich als noch junger Assistenzzahnarzt die Gelegenheit, bei der zweiten Auflage des Atlas der Chirurgischen Zahnerhaltung unter Professor Dr. Horst Kirschner mitschreiben zu dürfen1. Dies und das damit verbundene Umfeld haben mich sehr geprägt, sodass die Thematik immer ein Schwerpunkt in meiner klinischen Tätigkeit war. Dieser Atlas wurde damals im Hanser Verlag unter der Federführung von Johannes Wolters realisiert, mit dem ich nun auch dieses Ihnen vorliegende Buch beim Quintessenz Verlag realisieren durfte. Auch unter diesem Aspekt schließt sich für mich ein Kreis.

20 Jahre sind eine lange Zeit und viel hat sich seitdem verändert. Dies betrifft beispielsweise die retrograden Füllungsmaterialien bei apikaler Chirurgie (damals noch Amalgam oder sogar Stopfgold [Abb. 1-1], heute hydraulische Silikatzemente), die Terminologie der verschiedenen Arten der Zahn-Plantationen (früher: auto-, auto-allo- und alloplastisch), die Indikation zur Anwendung orthograder oder retrograder Stiftinsertionen (Abb. 1-2 bis 1-5), die aufgrund der Lernkurve und der Verfügbarkeit sowie der enormen Fortschritte in der Endodontie heute kaum noch favorisiert werden, die Schnittführungen (z. B. bei Abszessinzision am Alveolarfortsatz oder bei Wurzelspitzenresektion), intraoperative Medikamente wie Schmelz-Matrix-Proteine, die Schienungstechnik (Abb. 1-6 bis 1-9) und vieles andere mehr.

Trotz enormer Weiterentwicklungen der oralen Implantologie in den vergangenen 20 Jahren hat die zahnerhaltende Chirurgie nie an Bedeutung verloren. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Exemplarisch zu nennen wäre die noch immer nicht mögliche parodontale Heilung von Implantaten, was ihren Einsatz im wachsenden Kiefer limitiert (Abb. 1-10 und 1-11), eine spätere kieferorthopädische Behandlung beim Erwachsenen beeinträchtigt und mit Schuld am häufigen Auftreten von Periimplantitis ist. Weitere Gründe sind der Wunsch vieler Patienten, eigene Zähne so lange wie möglich zu erhalten, die Zunahme polypharmazierter Risikopatienten sowie finanzielle Erwägungen.

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Abb. 1-1Retrograde Stopfgold-Füllung an einem extrahierten Zahn.

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Abb. 1-2Retrograde Stiftinsertion: Situation nach der großlumigen rotierenden Aufbereitung und …

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Abb. 1-3… Sealer-Fixation eines glatten zylindrischen Titanstifts sowie …

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Abb. 1-4… die zugehörige radiologische Darstellung.

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Abb. 1-5Vor der Einführung der Titanstifte kamen Keramikstifte zum Einsatz.

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Abb. 1-6Ältere Draht-Bracket-Schiene.

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Abb. 1-7Unphysiologisch starre Ring-Klebe-Schiene.

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Abb. 1-8Moderne Titan-Trauma-Schiene TTS®, …

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Abb. 1-9… die seit 2017 auch in der deutlich unauffälligeren Farbe Silber erhältlich ist.

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Abb. 1-10Klinisch progrediente Infraposition 7 Jahre nach Implantation 11, die deutlich zu früh im Alter von 25 Jahren erfolgte.

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Abb. 1-11Klinisch progrediente Infraposition 14 Jahre nach Implantation 21, die deutlich zu früh im Alter von 25 Jahren erfolgte.

Auch die zahnerhaltende Chirurgie hat sich im gleichen Zeitraum erheblich weiterentwickelt und ihre Erfolgsraten müssen sich heute vor denen der oralen Implantologie nicht verstecken. Zahnerhaltende Chirurgie ist grundsätzlich günstiger, ist die deutlich biologischere Therapie, kommt dem Wunsch vieler Patienten näher, lieber den eigenen Zahn zu erhalten anstatt sich eine körperfremde Schraube operativ einsetzen zu lassen, hat die deutlich bessere Langzeitprognose als jedes Implantat, wenn der Zahn eine vitale Pulpa hat (was primär für Zahntransplantationen, kieferorthopädischen Lückenschluss sowie für Freilegung und orthodontische Einordnung gilt). Aber: Sie ist nicht in jedem Fall möglich und auch nicht in jedem Fall sinnvoll. Spätestens bei ausgedehnter Wurzelkaries, fortgeschrittener Wurzelresorption (invasive zervikale Resorption, Ersatzgewebsresorption, infektionsbedingte Resorption), „finaler“ Parodontitis marginalis, tiefen Kronen-Wurzel- oder Längsfrakturen (Abb. 1-12 bis 1-17) ist der Zahnerhalt meist nicht sinnvoll. Kommen dann noch allgemeinmedizinische Probleme hinzu, wie geplanter Herzklappenersatz, erforderliche antiresorptive Therapien (Bisphosphonate, Denosumab et al.), Immunsuppression, Radiotherapie im Kopf-Halsbereich, schwere psychische oder degenerative ZNS-Erkrankungen wie Demenz, ist die Indikation zur Zahnentfernung deutlich strenger und dadurch sind die Möglichkeiten des Zahnerhalts auch deutlich limitiert. Hier müssen in Abhängigkeit vom konkreten Einzelfall auch bereits nicht gelockerte Zähne mit parodontaler Furkationsbeteiligung, Zähne mit apikaler Parodontitis, unbehandelter Pulpanekrose oder auch teilretinierte Zähne entfernt werden, ohne dass Optionen wie Wurzelspitzenresektion, intentionelle Replantation, Transplantation, Transreplantation oder Freilegung und Einordnung überhaupt diskutiert werden können.

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Abb. 1-12Fortgeschrittene invasive zervikale Resorption des Zahnes 26, …

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Abb. 1-13… des Zahnes 46 …

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Abb. 1-14… und des Zahnes 33.

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Abb. 1-15Wurzelkaries und Parodontitis marginalis mit Furkationsbeteiligung Zahn 26.

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Abb. 1-16Längsfraktur Zahn 14.

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Abb. 1-17Fortgeschrittene unfallbedingte Wurzelresorption Zahn 21.

Bei vielen Patienten können jedoch beide Varianten in Erwägung gezogen oder zumindest diskutiert werden: zahnerhaltende Chirurgie oder Zahnentfernung mit nachfolgendem zahn-, implantat- oder schleimhautgetragenem Zahnersatz. Neben den bereits genannten Aspekten – von der allgemeinen Anamnese über das Lebensalter bis hin zu den finanziellen Möglichkeiten – spielen auch lokale anatomische Faktoren, die Sichtbarkeit der Zähne beim Lachen, die Situation der Nachbarzähne und des Restgebisses sowie die Compliance bzw. Behandelbarkeit eine Rolle. Leider wird diese Gesprächsführung pro oder kontra Zahnerhalt auch durch individuelle Faktoren des behandelnden Zahnarztes beeinflusst. Manche Möglichkeiten der zahnerhaltenden Chirurgie, wie z. B. die Transreplantation, sind nicht bekannt oder werden in der Zahnarztpraxis beziehungsweise bei den oral- oder kieferchirurgischen Praxen in der Nähe nicht durchgeführt. Gut informierte und motivierte Patienten nehmen dann oft lange Anreisewege zu spezialisierten Zentren auf sich, was schade ist. Das vorliegende Buch soll daher Zahnärztinnen und Zahnärzte über die aktuellen Möglichkeiten der zahnerhaltenden Chirurgie informieren und sie auch ermutigen, die eine oder andere Behandlungsoption dem Patienten zumindest vorzustellen.

Literatur

1.Kirschner H (Hrsg.): Atlas der chirurgischen Zahnerhaltung. Band I und II. München: Carl Hanser, 1996.

DIE GESCHICHTE DER ZAHNERHALTENDEN CHIRURGIE

2

J. Thomas Lambrecht

Die moderne zahnerhaltende Chirurgie wird im vorliegenden Werk in folgende Bereiche eingeteilt: Transplantation, Replantation, Wurzelspitzenresektion, Hemisektion und Wurzelamputation sowie Freilegung und Einordnung.

Transplantation

Die geschichtliche Aufarbeitung der Zahntransplantation beginnt im Jahre 1554, als Ambroise Paré, Pariser Wundarzt und Leibchirurg des französischen Königs, in einem Werk mit dem Titel „Opera chirurgica“ über einen solchen Eingriff berichtete: Einer Prinzessin wurde an Stelle eines kariösen Zahnes ein gesunder Zahn ihres Kammermädchens eingesetzt. Nach Parés Mitteilung soll dieser Zahn eingeheilt sein (zitiert nach Costich et. al.8, Nordenram36, Pape und Heiss37).

1633 findet sich ein weiterer Hinweis auf eine erfolgreiche Zahntransplantation im Protokoll einer wissenschaftlichen Gesellschaft mit dem Namen „Royal Society of London“ (zitiert nach La Roche30).

1687 empfahl Charles Allen, ein Barbier-Chirurg, die Zähne von Tieren zu entnehmen; er hielt die Zahnentfernung bei einem menschlichen Spender für inhuman1.

In der ersten Auflage seines Werkes „Le Chirurgien Dentiste“ veröffentlichte Pierre Fauchard (1728)11 seinen authentischen Fallbericht einer Zahntransplantation. Bei einem französischen Offizier ersetzte er einen kariös zerstörten Eckzahn durch einen gleichen gesunden Zahn eines ihm untergebenen Soldaten. Der Zahn blieb sechs Jahre im Munde des Patienten. In der zweiten Auflage (1746) weist Fauchard12 auf Einzelheiten der Zahntransplantation hin: „Quand on veut mettre une dent humaine à la place d’une autre dent, il faut faire ensorte que le corps de cette dent soit bien proportionné à l’espace dans lequel on le veut mettre, & à la couleur des dents voisines“ (ein menschlicher Zahn sollte gut proportioniert sein und in der Farbe den Nachbarzähnen ähneln). Fauchard empfiehlt ebenfalls die Transplantation von tierischen Zähnen, kritisiert aber deren Volumen. Zehn Jahre später diskutiert Philipp Pfaff38 erstmalig die Vorzüge der Zähne vom „Nilpferde“ oder vom „Wallruß“. (Gemeint sind wahrscheinlich geschnitzte Teile.)

Hunter (1771)22, ein englischer Chirurg, bevorzugte Zähne von Frauen, da sie kleiner waren und daher leichter einzusetzen. Er war es, der tierexperimentell die Transplantation von Zähnen entscheidend beeinflusste, indem er einen frisch extrahierten menschlichen Zahn mit weit offenem apikalem Lumen in den Kamm eines Hahns verpflanzte (Abb. 2-1). Im histologischen Präparat konnte eine Gefäßverbindung zwischen Zahn und Transplantationslager nachgewiesen werden. Hunter beschrieb auch als erster Wurzelresorptionen an transplantierten Zähnen22.

Neben der Gefäßversorgung war die Bedeutung des Desmodonts für die Einheilung des transplantierten Zahnes fast gleichzeitig durch Woofendale49 erkannt worden. Dies blieb aber lange Zeit ohne Resonanz.

Nach Hinrichs20 kam es im 18. Jahrhundert in Mode, den Bedarf an Spenderzähnen über Grabräuber oder durch Zähne gefallener Soldaten zu decken. Dies wurde von Pfaff38 folgendermaßen kommentiert:

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Abb. 2-1Transplantation eines Zahnes in den Kamm eines Hahns (nach Hunter22).

„Die natürlichen Zähne, welche man aus einem Todtenkopf nimmt, wären wol zum einsetzen die allergeschicktesten und allen andern künstlichen Zähnen vorzuziehen. Man darf nur ihre Wurzel abfeilen und an ein Stück von Wallrußzahn befestigen. Allein die mehresten Menschen haben ein Grauen für Zähne, die aus einem Leichname genommen worden, ich habe daher niemals mich der Zähne aus einem Todtenkopfe bedienen können, als in dem Fall da die Patienten die Scrupel über dergleichen Kleinigkeiten überwinden konnten … Es lässt sich auch sehr wohl thun, dass man einen ganzen frisch ausgezogenen Zahn in den Mund eines andern Menschen versetzet. Mit den vordersten sechs untern und obern Zähnen können die Menschen ganz füglich einen Tausch treffen. Man hat dabey auf verschiedene Umstände acht zu geben, und die natürliche Beschaffenheit der Körper, so wohl auf Seiten desjenigen dem ich den Zahn ausnehme, als auf Seiten desjenigen in dessen Mund ich den frisch ausgezogenen Zahn einsetze, sonderlich in Erwegung zu ziehen. Zuförderst müssen beyde Personen nicht von sehr ungleichen Alter seyn. Derjenige welcher sich den Zahn einsetzen lassen will, muß auch nicht weit über vierzig Jahr hinaus, und der welcher seinen gesunden Zahn zum besten eines andern aufopfert, nicht viel über vier und zwanzig Jahr seyn. Vom fünfzehnten bis zum vier und zwanzigsten Jahr lässt es sich am besten thun.“

Die Zahntransplantation geriet aber schließlich zum einen wegen der humanitären Bedenken zur Beschaffung der Spenderzähne in die Kritik, zum anderen wegen des Risikos der Übertragung von Infektionskrankheiten (Watson46). Die allogene Zahntransplantation wurde in der Folgezeit weitgehend zurückhaltend beurteilt und vorübergehend wieder aufgegeben20.

Im systematischen Lehrbuch der gesamten Chirurgie (Frank 185214) wird auf die Ästhetik und zum ersten Mal auf die Sprachfunktion eingegangen:

„Wenn ein oder mehrere Zähne verloren gegangen sind, so ist es vorzüglich die Entstellung, die man durch den künstlichen Wiederersatz beseitigen will, denn zum Kauen sind die künstlichen Zähne doch wenig zu gebrauchen. Ausser der Zierde gewähren sie noch den Vortheil einer deutlichen Sprache. Sind die Zähne ausgezogen oder zufällig aus der Zelle gehoben worden, und zeigen sie sich noch brauchbar, so kann man sie wieder einpflanzen; sie wachsen, wie man mit Recht allgemein voraussetzt, nicht wieder vollkommen an, aber es gibt viele Beispiele, dass solche Zähne eine genügende Festigkeit erlangt, und noch lange zum Gebrauch gedient haben. Sie werden aber grün oder gelb. Man kann demnach das Einpflanzen immerhin versuchen, dagegen verdient es keine Nachahmung, fremde Zähne oder künstlich bereitete in die Lücke eines eben ausgezogenen Zahnes zu setzen, da sie niemals gehörig passen können. Der Stoff der künstlichen Zähne ist entweder von wirklichen Menschen- oder Tierzähnen entnommen, und zwar benützt man Zähne des Rehes, Rindes, Walrosses, Schweines, Elephanten und Flusspferdes, oder sie werden aus einer Art Porzellain mit Metallgehalt und mit Glasur verfertigt. Letztere heissen Incorruptibeln. (Anmerkung: Incorruptibel ist wohl am besten mit unverwüstlich/unzerstörbar zu übersetzen.) Die Menschenzähne sind die bequemsten und beliebtesten.“

Die Transplantation als Teil der zahnerhaltenden Chirurgie entwickelte sich im 20. Jahrhundert, jedoch war sich Frank schon Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus bewusst, dass es sich lohnt Zähne zu erhalten:

„Im Allgemeinen dürfen Zähne ausgezogen werden:

1)Wenn ein Zahn dergestalt von Caries angefressen oder ausgehöhlt ist, dass er entweder sehr heftige durch nichts zu stillende Schmerzen verursacht, oder Veranlassung zu einem üblen Geruche aus dem Munde gibt, oder die benachbarten Zähne mit dem gleichen Uebel anzustecken droht.

2)Wenn ein Zahn in der Art ausserhalb der Zahnreihe steht, dass er entweder eine entstellende Missbildung im Gesichte oder ein Hindernis im Sprechen oder Kauen erzeugt.

3)Wenn ein einzelner Zahn locker geworden und daher im Kauen hinderlich ist.

4)Milchzähne müssen entfernt werden, wenn die bleibenden Zähne bereits hervortreten und wegen der noch stehenden Milchzähne eine schiefe Richtung anzunehmen drohen; oder wenn diese bereits cariös sind, und die Krone des bleibenden Zahnes unter demselben schon wahrzunehmen ist.

5)Müssen Zähne zuweilen entfernt werden, um bei anderweitigen Operationen Raum zu gewähren.

Zu unterlassen ist im Allgemeinen das Ausziehen der Zähne: Während acuter Krankheiten, bei Neigung zu krampfhaften Anfällen; bei Entzündungsgeschwulst des Zahnfleisches, der Backen oder benachbarten Theile; Kinnladen, Ohren, im Kopfe, Nacken u.s.w. bestehen; wenn mehrere Zähne zugleich schmerzhaft sind, in welchem Falle die Entfernung eines Zahnes ganz ohne Erfolg in Beziehung auf Verminderung der Schmerzen bleiben, u. man leicht den unrechten Zahn ausziehen könnte; ferner bei bestehendem Scorbut, da schwer zu stillende Blutung entstehen könnte; und endlich während der Menstruation oder während der Schwangerschaft“14.

Replantation

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheint die Transplantation von Zähnen keine Bedeutung gehabt zu haben. In den Werken von Preiswerk-Maggi41, Neumann35 bis zum „Vier-Männer-Buch“21 wird die Transplantation schlichtweg übergangen. Es ist ausschließlich von der Replantation der Zähne die Rede. Wassmund45, Pichler und Trauner40 sowie Axhausen2 stellen neben die Transplantation die Replantation und die Implantation unter den Überbegriff „Die Zahnüberpflanzung“. Pichler führt aus:

40