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Robin Piper Irakli West

Tiefbauunfälle

Physik, Technik, Taktik

1. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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Die Bilder stammen – soweit nicht anders angegeben – von den Autoren.

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036117-1

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-036119-5

epub:    ISBN 978-3-17-036120-1

mobi:    ISBN 978-3-17-036121-8

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Inhaltsverzeichnis

 

  1. Vorwort
  2. Der Gedanke hinter dem Buch
  3. 1 Einführung
  4. 2 Definition und Vorschriften
  5. 3 Grundlagen
  6. 3.1 Begrifflichkeiten
  7. 3.2 Bodenarten
  8. 3.3 Erddruck
  9. 3.4 Einfluss auf Baugruben
  10. 3.5 Einsturzarten
  11. 4 Gängige Einsatzszenarien
  12. 5 Einsatzablauf
  13. 5.1 Die 5 Schritte des Tiefbauunfalls
  14. 5.1.1 Schritt 1: Erkunden
  15. 5.1.2 Schritt 2: Sichern
  16. 5.1.3 Schritt 3: Verbau
  17. 5.1.3.1 Senkrechter Verbau
  18. 5.1.3.2 Rettungsverbau
  19. 5.1.3.3 Erweiterung des Rettungsverbaus und mögliche Probleme
  20. 5.1.4 Schritt 4: Rettung vorbereiten und Patient(en) befreien
  21. 5.1.5 Schritt 5: Retten
  22. 5.1.6 Abschließende Maßnahmen
  23. 6 Berechnungsbasis des Rettungsverbaus
  24. 7 Aufbau der Einsatzstelle
  25. 7.1 Abschnittsbildung
  26. 8 Persönliche Schutzausrüstung
  27. 9 Fahrzeug- und Einsatzkonzepte
  28. 10 Aus der Praxis für die Praxis
  29. 11 Knoten
  30. Schlusswort der Autoren
  31. Danksagung
  32. Abkürzungsverzeichnis
  33. Literaturverzeichnis
  34. Stichwortverzeichnis

 

 

Gewidmet

Chief Ron »Z« Zawlocki ohne den dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

For

Chief Ron »Z« Zawlocki without whom this book would not have been possible.

Vorwort

Die in diesem Buch aufgezeigten Vorgehensweisen, Werte, Tabellen und Berechnungen wurden nach bestem Wissen, gründlicher Recherche, ausführlichen Überlegungen und Erfahrungen der Autoren zusammengefasst, trotzdem sind Fehler nicht ausgeschlossen.

Das Eintreten von Unfällen hängt in der Regel mit einer nicht vorhersehbaren Entwicklung oder einer Verkettung unglücklicher Umstände zusammen. Von Seiten des Verlags, der Autoren und Heavy Rescue Germany erfolgt keinerlei Haftung für die in dieser Ausarbeitung präsentierten Vorgehensweisen, Werte, Tabellen und Berechnungen.

Die abgedruckten Fotos und Grafiken sind – sofern nicht anders angegeben – das Eigentum der Autoren. Wir bedanken uns bei allen anderen Urhebern für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Das geschilderte Vorgehen stellt den Stand der Technik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dar. Wir arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung und Erweiterung unserer Publikationen und stehen Fragen, Anregungen oder Kritik stets offen gegenüber. Nehmen Sie dazu jederzeit Kontakt mit uns unter

Fachbuch@heavy-rescue.de auf.

Wir bedanken uns bei denjenigen, die dieses Buch aufgeschlagen und damit das Interesse an unserer Arbeit bekundet haben.

Frankfurt am Main und Haar, im Juni 2019

 

Robin Piper

Irakli West

Der Gedanke hinter dem Buch

Das vorliegende Fachbuch ist das Ergebnis von rund zehn Jahren Recherche, Erfahrung, Ausbildung und Austausch mit Feuerwehrleuten, Katastrophenschützern und Sachverständigen rund um den Globus.

Irakli West begann sich erstmalig 2008 mit der Thematik »Tiefbauunfall« zu befassen. Er besuchte in den vergangenen Jahren diverse Lehrgänge in den USA und Großbritannien und erlangte im Zuge dessen die Qualifikation des Trench-Rescue-Specialist, der höchsten von vier Sachverständigen-Stufen für Tiefbaurettung in den USA.

West bemerkte schnell, dass die in Deutschland von Rettungskräften angewandten Techniken und Taktiken zum Abarbeiten eines Tiefbauunfalls weit hinter denen anderer Länder zurücklagen. 2009 gründete er das Unternehmen Heavy Rescue Germany, kurz »HRG«, und begann unter anderem im Bereich »Tiefbauunfall« Ausbildung zu betreiben.

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Bild 1: Logo von Heavy Rescue Germany

Robin Piper war 2015 als Einsatzkraft an einem schweren Tiefbauunfall beteiligt. Die komplexe und lebensgefährliche Rettung eines verschütteten Bauarbeiters nahm er zum Anlass sich ausführlicher mit der Thematik zu befassen. Zunächst als Teilnehmer an einem Seminar von Irakli West intensivierte sich die Zusammenarbeit der beiden schnell und man begann gemeinsam Ausbildung und Recherche zu betreiben. Im weiteren Verlauf absolvierte Piper in den Vereinigten Staaten den Kurs zum Trench-Rescue-Technician, der zweithöchsten Sachverständigen-Stufe.

Der Gedanke, das erlangte Fachwissen zu einem Buch zusammenzufassen lag dabei bereits 2016 nahe. Aus zeitlichen Gründen gestaltete sich das Vorhaben aber schwierig und ruhte phasenweise komplett. Über ein Jahr lagen Entwürfe auf Festplatten und blieb der Wunsch, das Projekt doch noch in die Tat umzusetzen.

Anfang 2018 begann Piper ein Skript zu schreiben, das im Zuge von Heavy Rescue Germany-Seminaren an die Teilnehmer ausgegeben werden sollte. Es wurden Entwürfe überarbeitet, neue Grafiken erstellt und der Inhalt des Skriptes aus 2016 erweitert. Ein zufälliger Kontakt auf einer Fachmesse im Frühjahr 2018 brachte letztlich die Entscheidung das neue Skript, entgegen dem ursprünglichen Gedanken, doch einem Verlag zuzusenden.

Die Resonanz war positiv und so wurde aus dem Gedanken ein Skript zu verfassen letztlich doch ein kleines Fachbuch, keines, das die Technische Hilfe in Gänze abdeckt, aber eines, das sich mit einem in der Allgemeinheit bis dato recht stiefmütterlich behandelten Themenkomplex beschäftigt – dem Tiefbauunfall.

1          Einführung

Die Feuerwehrfachliteratur hat in den letzten Jahren ein immenses Wachstum verzeichnet. Die Bandbreite scheint dabei grenzenlos. Egal ob Brandbekämpfung, Technische Hilfe bei Verkehrsunfällen oder das Führen und Leiten von Einsätzen, zu nahezu jedem Thema existieren mittlerweile dutzende von Fachbüchern. Eine Besonderheit stellt dabei der Bereich des Tiefbauunfalls dar. Die deutschsprachige Fachliteratur ist in dieser Hinsicht sehr überschaubar. Einsatzlagen im Bereich Tiefbau sind vergleichsweise selten, die physikalischen und geologischen Hintergründe komplex und der Ausbildungsbedarf entsprechend hoch – umso besorgniserregender ist der vielerorts leichtfertige Umgang mit der Thematik.

In diesem Buch gehen die Autoren auf Schwerpunkte ein und erklären die Abarbeitung von Tiefbauunfällen anhand der »HRG 5 Schritte«, einem Konzept zur einsatztaktischen- und technischen Vorgehensweise bei komplizierten Einsatzlagen. Dabei sei an dieser Stelle auf die Ausgrenzung von Silounfällen hingewiesen – in diesem Buch geht es nur um Tiefbauunfälle in natürlichem Erdreich.

Der Fokus von Heavy Rescue Germany war von jeher die schwere Technische Hilfeleistung. Doch was steckt dahinter? Für uns sind dies Einsätze, die für Rettungskräfte aus verschiedenen Gründen eine Besonderheit darstellen. Schwere Technische Hilfeleistungen sind selten, sie übersteigen den »alltäglichen« Einsatz in Sachen Komplexität, Zeit-, Personal- und Materialaufwand. Beispiele dafür können sein:

  Schwere Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Lastkraftwagen

  Zugunfälle

  Tiefbauunfälle

  Maschinenunfälle

  Gebäudeeinstürze

Ziel unserer Ausbildung ist es, Einsatzkräften Mittel und Wege an die Hand zu geben, diesen Situationen zu begegnen. Damit es Rettern auch unter Stress und in ungewöhnlichen Einsatzsituationen leichter fällt, vorhandenes Wissen abzurufen, wurden die »HRG 5 Schritte « entwickelt. Jede unserer Ausbildungen basiert auf diesem System von fünf aufeinander aufbauenden Schritten. Der Ablauf ist dabei unabhängig von der Lage nahezu identisch, lediglich kleinere Anpassungen wurden für die jeweiligen Einsatzszenarien vorgenommen.

Konkrete Erklärungen zu den Inhalten der einzelnen Schritte werden in den folgenden Kapiteln gegeben. Im Rahmen dieser Einführung soll lediglich ein grober Überblick über den Aufbau und Hintergrund dieser Idee aufgezeigt werden.

Den ein oder anderen Leser mögen sie an die »fünf Phasen der Bergung « erinnern, doch sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den 5 Schritten um deutlich konkretere Maßnahmen handelt, als es die fünf Bergungsphasen hergeben.

Das Ziel dieses Fachbuches ist es, dem Leser zu ermöglichen

  die Ursachen und Gefahren eines Tiefbauunfalls zu erkennen,

  Ideen zur Rettung, beziehungsweise Bergung, einer verschütteten Person zu entwickeln,

  theoretisches Basiswissen über den Rettungsverbau nach US-amerikanischem Vorbild zu erlangen sowie

  Verständnis und Weitblick für den Aufbau einer Einsatzstruktur im Bereich »Tiefbauunfall« zu bekommen.

Wie zuvor erwähnt sind Tiefbauunfälle ein seltenes Einsatzszenario verglichen mit herkömmlichen Schadenlagen wie Bränden oder Verkehrsunfällen. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) gab auf Anfrage an, über keine aktuelle Statistik zum Vorkommen von Tiefbauunfällen zu verfügen. Eine andere Quelle aus dem Jahr 2015 nennt (in Bezugnahme auf die BG Bau) pro Jahr bis zu 20 tödlich verlaufende Unfälle im gewerblichen Bereich sowie ungefähr ebenso viele tödliche Unfälle im privaten Bereich (Südmersen, 2015, S. 2). Eigene Recherchen der Autoren in den bundesweiten Medien deuten auf rund 30 Fälle pro Jahr hin, wobei nicht alle diese Fälle tödlich enden und die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alle bundesweit auftretenden Fälle erfasst wurden, als recht hoch eingeschätzt werden muss. Diese niedrige Zahl an Vorfällen trägt ihren Teil dazu bei, dass Rettungskräfte häufig zu Fehleinschätzungen von Tiefbauunfällen neigen. An dieser Stelle sei gesagt, dass für die Autoren grundsätzlich die Devise gilt, nie über eine Lage zu urteilen, die sie nicht selbst erkundet haben. Die Komplexität von Tiefbauunfällen, einhergehend mit unter Umständen fehlender Ausrüstung und mangelnder Erfahrung, zwingt Einsatzkräfte häufig zu alternativlosen und eigengefährdenden Maßnahmen, um Verschüttete zu retten. Die folgenden Schilderungen sind deswegen ausdrücklich nicht als Kritik, sondern als Analyse der Ausgangssituation in den meisten Feuerwehren und THW-Ortsverbänden zu verstehen.

Unter Betrachtung verschiedenster Einsatzbilder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz scheint es, dass unter Einsatzkräften insgesamt mit der von einem Tiefbauunfall ausgehenden Gefahr vergleichsweise leichtfertig umgegangen wird. In der Regel zeigen Einsatzdokumentationen einen unzureichenden bis nicht vorhanden Verbau von Baugruben. Für diesen Fakt gibt es verschiedene Ursachen:

Zum einen ist es sicherlich der Wunsch einem Verschütteten schnellstmöglich Hilfe zukommen zu lassen. Die Dramatik, die mit einer ganz oder teilweise verschütteten Person einhergeht ist immens – Verzögerungen bei der Rettung folglich keine Option. Da liegt der Schritt in die Grube nahe und ist – rein emotional betrachtet – zwar verständlich, bleibt aber lebensgefährlich.

Der Umstand, dass es in Deutschland so gut wie keine dokumentierten Fälle von verschütteten Einsatzkräften gibt, ist zum Großteil purem Glück geschuldet. Eine gewisse Dunkelziffer ist allerdings sicherlich vorhanden. Den Autoren liegen diesbezüglich Bilder und Berichte über Zwischenfälle vor, deren Veröffentlichung im Rahmen dieses Buches jedoch von Beteiligten ausdrücklich nicht gewünscht wurden.

Ein anderer Aspekt, der außerdem häufig seinen Teil zum gefährlichen Umgang beiträgt, ist der Umstand, dass eine Wand aus Erdreich primär stabil wirkt und Sicherheit suggeriert – Wann fallen Wände schließlich einfach um?

Ein weiteres Problem stellt die meistens nicht ausreichend vorhandene Ausrüstung (beispielsweise Rüstholz und Rettungsstützen) dar. Nur wenige Feuerwehren und THW-Ortsverbände sind nach Meinung der Autoren tatsächlich adäquat auf einen (Tief-)Bauunfall vorbereitet. Zu guter Letzt haben die wenigsten Einsatzkräfte Erfahrungen in diesem sehr komplexen Bereich. Die individuelle Einsatzerfahrung im Bereich (Tief-)Bauunfall geht gegen null.

Erschwerend kommt hinzu, dass nach einem solchen Einsatz der objektiv kritische Umgang mit dem eigenen Handeln und das Hinterfragen von getroffenen Maßnahmen für viele Feuerwehren nicht einfach ist. Wer offen spricht und Kritik äußert, stößt häufig auf Widerstand und Ablehnung – letztlich ist schließlich alles gut gegangen. Das Stichwort »Fehlerkultur« scheint vielerorts leider nach wie vor ein Fremdwort zu sein und sorgt dafür, dass trotz aufgetretener Probleme eine Besserung oftmals ausbleibt.

Der nachfolgende Erfahrungsbericht der Samtgemeinde Rodenberg (NDS) zeigt, dass es auch anders geht und aus negativen Erfahrungen wichtige Erkenntnisse gezogen und Handlungsbedarf abgeleitet werden kann.

Erfahrungsbericht aus der Praxis – »Technische Hilfe 2, zwei Personen in Baugrube verschüttet« – Text: Feuerwehr der Samtgemeinde Rodenberg

Am 29.11.2010 gegen 12:00 Uhr, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wurden die Feuerwehren der Samtgemeinde Rodenberg mit dem Stichwort »Technische Hilfe 2, zwei Personen in Baugrube verschüttet« auf das Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebes alarmiert.

Bei Eintreffen fanden wir eine teileingestürzte Grube ohne vorhandenen Verbau mit den Maßen 2m Breite, 8m Länge und 6m Tiefe mit insgesamt drei Personen darin vor. Das Erdreich bestand aus wechselnden Schichten von Sand- und Lehmboden.

Zum Zeitpunkt des Erdabrutsches befand sich eine Person in der Grube, die bis zum Hals von den Erdmassen verschüttet wurde. Noch vor Eintreffen der ersten Rettungskräfte eilte dem Verschütteten eine zweite Person zur Hilfe. Während diesem Befreiungsversuch kam es zu einem zweiten Erdrutsch, der den Helfer erfasste, selbst bis zur Hüfte begrub und schwer verletzte. In Folge sprang eine dritte Person in die Grube und versuchte die beiden Verschütteten zu befreien. Bei allen drei Personen handelte es sich um Angehörige der benachbarten Feuerwehr, die die Arbeiten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landwirte verrichteten. Zweck der Grube waren Arbeiten an Versorgungsleitungen von Futtersilos.

Bereits mit dem Eintreffen erkannten wir, dass zur Rettung der Personen erheblich mehr Personal, Gerätschaften und Material erforderlich sein würde und alarmierten deswegen das THW mit einer Räumgruppe sowie einen weiteren Rüstzug zur Einsatzstelle. Zu Beginn sicherten wir die dritte Person in der Grube mit einer Leine und bauten parallel eine schiefe Ebene über Steckleiterteile in die Grube auf, worüber die dritte Person die Grube verlies.

Zur Sicherung der Grube standen uns nur eine geringe Anzahl an Bohlen, Kanthölzern, Drehsteifen und Kanalstreben zur Verfügung. Für die klassischen Kanalstreben war – aufgrund des Abbruchs der Grubenkante – die Grube zu breit.

Das Sichern der Grubenwände gestaltete sich folglich schwierig. Die Drehsteifen hätten nur durch Betreten der Grube installiert werden können, wobei von einer massiven Eigengefährdung der Feuerwehrkräfte auszugehen war. Erschwerend kam hinzu, dass, bedingt durch die unebene Abbruchkante, eine Sicherung vor weiterem Einsturz ohnehin kaum möglich gewesen wäre. Ein Verbau der Grube konnte mit den vorhandenen Mitteln nicht durchgeführt werden und unterblieb bis auf Weiteres.

Aufgrund des Unfallhergangs kam für die erste Person jede Hilfe zu spät, sie verstarb noch an der Einsatzstelle. Alle weiteren Maßnahmen konzentrierten sich auf die Rettung der zweiten Person. Diese war bis zur Hüfte von den Erdmassen eingeschlossen worden und hatte sich schwere Verletzungen (unter anderem eine Becken- und Oberschenkelfraktur) zugezogen. Da sich die Vitalzeichen zunehmend verschlechterten musste eine Entscheidung getroffen werden.

Aus Sicht der Führungskräfte war ein weiteres Arbeiten innerhalb der Grube zu gefährlich. Aufgrund mangelnder Alternativen und dem dringenden Handlungsbedarf entschlossen sich trotzdem zwei Einsatzkräfte die Grube unter Lebensgefahr zu betreten und schafften es, mit bloßen Händen die zweite Person nach circa 20 Minuten aus ihrer Lage zu befreien. Sie wurde anschließend mittels Schleifkorbtrage über die schiefe Ebene aus der Grube gerettet und per Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen.

Zur Bergung der noch eingeschlossenen Person wurde aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit weiterer Einstürze eine Tiefbaufirma angefordert, die über eine mobile Verbaubox sowie einen Löffelbagger verfügte. Nach dem Eintreffen des Geräts wurden die Grubenwände durch die Fachfirma gesichert. Etwa acht Stunden nach Einsatzbeginn konnte der Verschüttete aus der Grube geborgen und die Einsatzstelle an die Polizei übergeben werden. Im Einsatz waren rund 60 Kräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und THW.

 

Hintergrundinformationen

Bei der Feuerwehr Rodenberg handelt es sich um eine auf Technische Hilfe spezialisierte Feuerwehr, die auf Jahrzehnte lange Erfahrung diesem Bereich zurückblicken kann. Die geographische Nähe zur Bundesautobahn 2 und weiteren, viel befahrenen, Bundesstraßen hatte über die Jahre unzählige Einsatzszenarien zur Folge. Der geschilderte Einsatz stellte allerdings selbst für die erfahrensten Einsatzkräfte vor Ort eine ganz neue Lage dar.

Seit diesem Ereignis arbeiten wir daran geeignetes Material zu beschaffen, die Ausbildung zu forcieren und eine Standard-Einsatz-Regel für solche Szenarien zu erstellen. Als einzelne Feuerwehr ist es schwierig sich auf solche Einsatzlagen vorzubereiten, sei es geschultes Personal mit dem nötigen Fachwissen und ausreichend Material vorzuhalten oder die Kosten für entsprechende Ausstattung bereitgestellt zu bekommen. Mit diesem Einsatzbericht möchten wir als Feuerwehr Rodenberg dazu beitragen Entscheidungsträger zu sensibilisieren und Feuerwehren dazu auffordern, sich mit der Materie auseinanderzusetzen.

- Rodenberg im Dezember 2018

Der Erfahrungsbericht macht deutlich, wie schnell Einsatzgrenzen erreicht und das Leben von Einsatzkräften gefährdet werden können. Der Feuerwehr der Samtgemeinde Rodenberg sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihren offenen Umgang mit diesem prägenden Einsatz gedankt.

Da in der Regel Routine und Fachkenntnisse von Seiten der Hilfsorganisationen also kaum bis gar nicht vorhanden sind, muss die logische Konsequenz sein, Rettungskräfte bereits im Vorhinein zumindest mit entsprechender Ausrüstung und einer Ausbildung im Rahmen der Möglichkeiten auszustatten, um die bestmögliche Vorbereitung für derlei seltene Lagen zu garantieren.