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SCHNELL,
DAS BABY KOMMT!

Ein Roman von

Alexander RÜDIGER

Dank

Diese Geschichte widme ich unter anderem meiner Exfrau Brigitte, die mit ihrer unendlichen Unterstützung und dem Einfluss ihrer Taxi-Familie vor zirka 30 Jahren unbewusst den Grundstein zu dieser bewegenden Story gelegt hat.

Darüber hinaus bedanke ich mich bei allen Menschen, die als Probleme mit „Stopp-Schildern“ in mein Leben getreten sind und somit zu Wegweisern wurden und natürlich auch bei den Menschen, die als Zeichen und Wunder eine große Bereicherung für meine kleine bunte Welt voller Leben geworden sind.

ABGEFAHREN!

Liebe ist der größte Scheiß,

aber ohne Liebe kann das Herz auch nicht

gebrochen werden!

TAXI 1710

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Über den Autor

I

„Na, do schaut’s aus“, murmelte missbilligend der Regisseur, der sich seit mindestens zwei Wochen nicht mehr rasiert hatte. „So eine Gstätten! Und da soll man arbeiten!“ Er steckte eine Zigarette zwischen die sich in alle Richtungen sträubenden Barthaare, dorthin, wo höchstwahrscheinlich sein Mund war, denn die Spitze der Zigarette glühte rot auf, als er daran zog. Der größte Teil seines Gesichtes blieb unter einer großen, blickdichten Sonnenbrille verborgen.

„Was willst“, meinte der etwas klein geratene Regieassistent in seinem gestreiften Pullover, der mit dem farbigen Herbstlaub um die Wette strahlte. „Ist halt ein Set im Freien, wo wir spontan noch die Drehgenehmigung bekommen haben, da in Wien, da kannst nicht wählerisch sein.“

„Ah“, gab der Regisseur angewidert von sich, steckte sich erneut die Zigarette zwischen die Lippen und wischte sich die Hände an seinem Gilet ab, was er offensichtlich häufig und wahrscheinlich gewohnheitsmäßig machte. Bestimmt war ihm dabei egal, von welcher Art Schmutz er seine Finger reinigte, denn die Wischspuren prangten in allen Farben und erkennbar unterschiedlichen Altersstufen. „Schau dir das an: wie sollst hier Ästhetik ins Bild bringen?“ Dabei machte er eine ausholende Geste mit seiner Zigarettenhand.

„Ja“, erwiderte der Regieassistent mit einem Blick auf das Gilet des wischenden und rauchenden Regisseurs. „Ästhetik, die wär wichtig, nicht wahr?“

„Genau.“ Wieder wischte er mit seinen Fingern über das Gilet und schaute dann seine Hände an. „Wieso sind die so dreckig? – wurscht! Jetzt versamml mir den Verein, irgendwann müssen wir ja anfangen und je eher, desto besser. Je eher wir fertig sind, desto schneller können wir diese Müllhalde verlassen.“ Er warf den Zigarettenrest zu Boden und trat darauf. „Also echt widerlich hier, direkt ekelerregend!“

Der buntgestreifte Regieassistent packte sein Klemmbrett mit den lustig darauf im Wind flatternden Papieren. „Also, was für Patienten haben wir denn da?“ Dann hob er den Kopf und rief lauthals nach Oskar …

„Ja, mein Bester?“ Ein etwas beleibter älterer Mann mit schickem roten Barett, einem mehrmals um den Hals geschlungenen, sicher mehrere Meter langen, farblich zum Barett passenden Schal, Maßanzug und glänzenden Lackschuhen löste sich aus dem Schatten des Garderobenwagens. Mit zu beiden Seiten leicht in die Höhe gewinkelten Armen und seltsamen Trippelschritten näherte sich der Mann. „Man ließ nach mir rufen? Nun denn, was ist Euer Begehr?“, fragte er näselnd.

„Was redest denn so schwul daher“, fragte der Regisseur Hans Ruzowitzky bei Oskar nach.

„Na, das ist doch meine Rolle, du Herzensbrecher!“

„Jetzt der Fakir mit der Schlange!“, rief der buntgestreifte Regieassistent dazwischen.

„Ein letztes Mal: Du bist kein Schwuler! Und im Drehbuch gibt’s auch keinen“, knurrte der Regisseur.

„Ich leg die Rolle halt so an!“, kickste Oskar und hopste davon.

„Oskar!“, rief der Regieassistent. Aber der Angerufene stellte sich taub.

Just in diesem Moment trat eine mehr als üppige, nicht mehr ganz junge Dame an den Regieassistenten heran, gekleidet in einem in allen Farben schillernden phantasievollen Kostüm, auf dem Kopf ein Turban, auf dem eine wippende Feder vom Vogel Strauß sich nach den vorherrschenden Windrichtungen ausrichtete. Sie packte die Hand des Regieassistenten und drehte sie so, dass sie die Handfläche betrachten konnte. „Lass mich deine Hand lesen, ich sage dir dein Schicksal voraus!“, wisperte sie geheimnisvoll.

„Ah geh!“, meinte der Regieassistent und entzog ihr seine Hand.

„Kartenaufschlagen kann ich auch!“

„Lies doch dem was aus der Hand“, sagte er und wies auf den Regisseur.

Erwartungsvoll wandte sich die Frau in die Richtung, in welche der Regieassistent gedeutet hatte. Als sie erkannte, dass er den Regisseur gemeint hatte, wandte sie sich mit einem Laut, der ihren Ekel erkennen ließ, ab.

Wie bestellt tauchte nun ein Fakir aus dem Nichts auf und erfreute den Regieassistenten mit seiner Anwesenheit. „Gut, dass du schon da bist“, sagte er, „und wo hast die Kobra glassen?“

„Die ist bei der Gewerkschaft und kommt nicht raus, wenn’s so herbstlich ist.“

„Sehr witzig!“, knurrte der Regisseur. „Her mit dem Vieh, sonst verkauf ich’s an ein Running Sushi in da Lugna City!“

Ein Taxifahrer drängte sich in das Gruppenbild aus Regisseur, Regieassistent, Adele der Handleserin und dem Fakir ohne Schlangenkorb. „Ich will jetzt die Unterschrift!“, rief er und wedelte mit einigen Blättern Papier vor der Nase des Regisseurs herum. „Ohne Vertrag gebe ich mein Auto nicht her! Das ist die Vereinbarung!“

Waagrecht an der Gruppe vorbei bewegte sich eine lange Stange durchs Bild, die an einem Ende von einem Mann im Sportlerdress getragen wurde. „Bin ich schon dran? Bin ich schon dran?“

Vom Auftritt des Stabhochspringers abgelenkt, vergaß ein jeder, was zu tun war. „Nein, Stabhochsprung wird separat gedreht. Ich sag dir, wenn du drankommst!“, rief der Regieassistent.

„Schön, dann üb ich noch ein bisschen weiter!“

„Ich könnt Ihnen derweil aus der Hand lesen“, sprach die unterbeschäftigte Adele ungefragt den Hochspringer an.

„Na gut, ich hol sie“, grantelte der Fakir, der sich als erster wieder seiner Aufgabe erinnerte: „Aber die ist heut wirklich nicht gut drauf!“ Sprach’s, wandte sich um und murmelte irgendetwas vor sich hin.

Plötzlich war Oskar wieder da: „Du wünschst, Süßer?“, sprach er den Fakir an.

„Vielleicht Sie?“ Die Handleserin suchte scheinbar verzweifelt nach Kundschaft während der buntgestreifte Regieassistent sein Blatt auf dem Klemmbrett befragte: „Cheerleader!“, rief er den Kopf hebend dem zweiten Garderobenwagen zu. Dieser spuckte in der Sekunde ein Dutzend quietschender und kreischender, leicht bekleideter Mädchen aus; alle in das gleichfarbige kirschrot-weiße Outfit, das an eine Uniform erinnern sollte, gepresst.

„Okay! Aufstellung, Mädels“, rief der Regieassistent, „ist ein bisserl kühl heute, ihr könnt euch schon mal warm machen!“ Die Mädchen begannen ihre synchronen Tanzschritte.

„Ich mach euch einen Gruppentarif!“ Adele, die Handleserin, gab nicht auf. „Mit Kartenaufschlagen dabei!“

„Aber nein“, näselte Oskar und wiegte sich in den Hüften, „warum warm machen? Die sind doch schon ganz heiß!“ Dabei warf er den Mädchen Kusshändchen zu. Der Regisseur schüttelte nur den Kopf.

„Du bist eine Schande für deine Innung, meine Kleine!“, warf der Fakir ein, der mit einem großen Korb in den Händen, dessen Deckel sich bewegte, erschienen war. „Hat irgendwer vielleicht eine Ratte, die ich ihr geben kann, damit sie etwas ruhiger wird?“

Oskar starrte auf den Korb, in dem sich offenbar eine sehr aktive Schlange bemerkbar machte. Der Fakir hob kurz den Deckel an, die hungrige Schlange öffnete ihre Kiefer und mit einem infernalischen Schrei rannte Adele davon.

„Sag einmal, Oskar“, fragte der Regieassistent ruhig, „kannst du eigentlich deinen Text?“

„Natürlich, zur Gänze! Hab ihn tagelang gelernt!“

Auch der Taxifahrer war immer noch da. Er hatte mit Interesse die Szene verfolgt, aber den Vertrag nicht vergessen: „Nochmal: entweder ich bekomme jetzt die Unterschrift zu meinen Zusatzbedingungen oder ich fahre mit meinem Taxi weg. Ich muss ja Geld verdienen!“

„In Gottes Namen, gib her den Wisch“, rief der Regisseur, riss dem Taxifahrer den Vertrag aus den Händen und setzte zum Unterschreiben an.

„Das glaub ich, dass du tagelang gelernt hast“, feixte der Regieassistent. „Ist ja bloß ein Satz. Also, sag ihn auf!“

„Die Post bringt allen was, denn selbst dort, wo die Füchs ‚Gut Nacht‘ sich sagen, verkehren unsre Postkraftwagen!“

„Nein“, winselte der Regieassistent. „Das ist ein Werbespruch der Post aus den frühen Sechziger Jahren!“

„Oh, ja“, stimmte Oskar begeistert mit mehrfachem Augenaufschlag zu. „Das war der Beginn meiner Karriere! Hach! Das waren noch Zeiten!“

„Aber heut drehn wir doch einen Spot für die Bahn, Oskar. Weißt du’s noch?“

Der Stabhochspringer rannte derweil mal wieder von einer Seite zur anderen durch’s Bild und feuerte sich dabei selber an. Der Fakir wandte sich mit seinem Korb an die Cheerleader, die kreischend in ihren Wagen stürmten, während ein Feuerwehrwagen mit Blaulicht und Sirene unweit der Szene räderquietschend zum Halten kam. Feuerwehrmänner sprangen vom Wagen, rollten einen Schlauch aus, mit dessen Mündung sie den Taxifahrer und den Regisseur anvisierten.

„Was macht’s denn ihr da?“, brüllte der Regisseur, den Stift immer noch zur Unterschrift bereit, die Männer an.

„Lenken Sie jetzt nicht ab! Der Vertrag!“, ereiferte sich der Taxifahrer und tippte heftig aufs Papier.

Zackig salutierte einer der Feuerwehrmänner. „Wir sind der von der Stadt Wien hierher kommandierte, Feuerschutz!“ Seine Hacken knallten, als er sie zusammenschlug. „Und jetzt machen wir einen Funktionstest!“

„Aber nicht auf mich!“, riefen Regisseur und Taxifahrer gemeinsam.

„Auf wen dann?“

„Was weiß ich – schaut’s halt nach irgendwas Gefährlichem!“ Der Stabhochspringer raste wieder kraftbrüllend über den Platz, von den interessierten Blicken der Feuerwehrleute verfolgt.

Adele war zurück und versuchte es beim Feuerwehrmann: „Dann lese ich Ihnen das Schicksal aus der Hand.“

„Keine Zeit“, erwiderte dieser mit hektisch rollendem Blick: „Ich muss rennen, retten, löschen!“

„Also, jetzt dein Text, Oskar!“, erinnerte der Regieassistent. „Wennst ihn nicht kannst, ist das Ende deiner Karriere nah!“

„Dräng mich nicht so, sonst bleib ich hängen!“ Exaltiert warf Oskar den Kopf hoch, nahm das Barett ab und fuhr sich mit den Fingerspitzen der anderen Hand durchs Künstlerhaar.

„Ihr habt’s auch keinen Ratzen?“, fragte der Fakir plötzlich in die Runde, als habe er von all dem gerade nichts mitgekriegt; den Korb mit der Schlange hielt er fest im Arm.

„Ihr zwei kommts später dran“, knurrte der Regieassistent. „Also, jetzt dein Text, Oskar!“

„Liegt in Österreich der erste Schnee, steckt im Stau die ÖBB.“

„I glaub du wüst mi roin, is des jetzt dei Ernst?“ Oskar grinste und gab dann fast wie Chris Hohner die bekannte Bahnsteigstimme folgenden Satz von sich:

„Auch ich fahr mit der Bahn – das ist entspanntes Reisen!“

„Na, wenigstens das funktioniert“, seufzte der Regieassistent. Im Hintergrund lief der brüllende Stabhochspringer über den Platz, verfolgt von den Feuerwehrmännern mit dem Schlauch.

„Sie könnt sich ja einen suchen“, meinte der Fakir und hielt dem Regieassistenten den Korb mit dem darin zappelnden Kriechtier unter die Nase. „Gibt hier auf der Gstätten sicher welche, aber dann brauch ich wieder Tage, um sie einzufangen.“

„Du gehst mir auf den Keks!“, grollte der Regieassistent, „aber ich sag den Feuerwerkern, dass sie ihr einen Ratzen fangen sollen!“ Dann sah er sich wieder sein Klemmbrett an: „Alexander!“

„Bin hinter dir“, sprach ihn Alexander an. „Super. Also, wenn die zwei dort endlich fertig sind“ – er wies auf den Regisseur und den Taxifahrer, die offensichtlich stritten – „gehst du hinüber zum Taxi, setzt dich rein, schaust aus dem offenen Fenster und sagst ganz begeistert: „Und mit dem neuen Golden Ticket holt Sie die Bahn von zu Hause ab! Ja, das Taxi zahlt die Bahn! Dann ist Ihr Glück auf Schiene!“ Danach fährst du mit dem Taxi genau bis zu der markierten Grundstücksgrenze da. Alles klar?“

„Kein Problem.“

Eine junge, hochschwangere Frau mit Schweißperlen auf dem Gesicht schleppte sich langsam in die Szene, blieb kurz stehen, stützte sich an Baumstämmen und einigen Mauerresten ab und steuerte dann das Taxi an.

„Ja, das ist spitze! Der sag ich das Schicksal ihres Babys!“, jubilierte für alle hörbar die Handleserin, die beim Feuerwehrmann leider auch nicht zum Zuge gekommen war.

„Okay, Leute drehfertig machen!“, schrie der Regisseur durch sein Megafon. „Jetzt fangen wir die erste Durchlaufprobe an!“ Während der Taxifahrer dem Regisseur nicht von seiner Seite wich, strebte Alexander dem Taxi zu.

„Cheerleader!“, schrie der Regieassistent, worauf die Mädchen wieder aus dem Garderobenwagen quollen, diesmal jedoch ohne großes Gekreische. „Aufstellen!“ Die eine oder andere sah sich kurz nach dem Fakir um, dann sammelten sie sich und nahmen ihre Ausgangsposition ein.

„Und jetzt lass die Puppen tanzen!“, tönte der Regisseur und lehnte sich in seinem Regiesessel zurück. Alexander setzte sich hinter das Steuer des Taxis und startete den Motor. Überrascht blickte er auf eine Schwangere, die sich ächzend auf den Rücksitz schob. Sie war nicht nur sehr schwanger. Sie trug auch ein augenfälliges rotes, enges Kleid, das sich über ihren Kugelbauch spannte und hatte einen modischen desgleichen in rot gehaltenen Hut bei sich.

„Fahren Sie“, wimmerte die Frau und hielt sich den Bauch. „Zur Semmelweisklinik!“

„Aber ich bin doch kein Taxi?!“ entfuhr es Alexander, der diesen Satz sicher schon hunderte Male zu seinen Kindern gesagt hatte, als sie mal wieder irgendwohin wollten. Doch diesmal klang der Satz im Ausdruck gleichzeitig nach Feststellung und eine an sich selbst gestellte Frage.

Alles ist zur Aufnahme bereit, Maske und Kostüm haben die Schauspieler zum Dreh vorbereitet. Die Kommandos starten: Aufnahmeleiter: „Ruhe bitte“! Der Regisseur signalisiert und sagt leise: „Fertig.“ Der Regieassi meldet sich mit „Ton ab!“ Der Ton: „Läuft!“ Regieassi: „Kamera ab!“ Kamera: „Läuft!“ Man hört eine Ansage: „ÖBB, die Erste“; eine Klappe wird geschlagen und der Regisseur: „Bitte!“

„Action!“, brüllte der Regieassistent, die Mädchen begannen zu tanzen, während der Stabhochspringer im Hintergrund in hohem Bogen über sie sprang, offenbar auf der Flucht vor den Feuerwehrmännern, die versuchten, ihn mit dem Wasserstrahl im Flug zu treffen.

„Aus, aus, Cut!“, rief Hans Ruzowitzky und sprang aus seinem Regieklappstuhl. Die Mädchen hörten auf zu tanzen, der Wasserstrahl versiegte und der Stabhochspringer lugte an der Seite der Mädchengruppe hervor.

„Was will die da im Taxi?“, brüllte der Regisseur, dem die Frau im roten Kleid auch nicht entgangen war. „Die kommt doch noch gar nicht dran!“

„Die Frau ist schwanger“, rief Alexander.

„Ich kann ihr das Schicksal von dem Baby voraussagen!“, mischte sich Adele ein.

„Ich auch!“, brüllte Ruzowitzky: „Es wird zur Welt kommen!“

„Ich glaub, die ist wirklich sehr schwanger“, rief Alexander aus dem Taxi heraus, „das ist keine Komparsin. Die hat starke Wehen, ich kenne das!“

„Aber das muss man doch proben“, schrie der Regisseur. „Sag ihr, sie soll raus aus dem Taxi, aber pronto! Später drehen wir das mit ihr so lange, bis es sitzt!“

„Waaas?“, entsetzte sich der Taxifahrer und sprang sofort zu seinem Taxi hin. „Eine echte Schwangere? In meinem Auto?“

„Bitte fahren Sie“, seufzte die Frau im roten Kleid erneut. „Die Wehen kommen schon alle Minuten.“

Der Taxifahrer riss die Fahrertür auf: „Und ihre Wehen kommen schon in Minutenabständen? Dann raus aus meinem Auto, ich kenne das! Mein ganzes Auto wird verdreckt und ich muss zwei Tage lang putzen!“ Er schrie herum, funkelte den Regisseur an und wedelte mit den Papieren. „Das steht nicht im Vertrag! Dafür musst du bezahlen!“

„Jetzt drehen wir mal die Cheerleader, verdammt noch mal!“, tobte der Regieassistent, worauf die Mädchen wieder gehorsam zu tanzen begannen.

„Wenn die Frau nicht zum Team gehört“, wütete der Regisseur, „zahl ich gar nichts, kapiert!“

„Du wirst zahlen“, schrie der Taxifahrer. „Das sind deine Filmaufnahmen, daher hast du alles, was du an meinem Auto beschädigst oder dreckig machst, zu bezahlen!“

„Bitte, bitte fahren Sie“, verlangte die Frau neuerlich und stöhnte laut auf. Alexander hatte natürlich erkannt, dass die Frau tatsächlich kurz vor der Geburt stand und war hin- und hergerissen von der offenkundigen Menschenpflicht, die Frau ins Spital zu bringen und der Weigerung des Taxifahrers, das Auto dafür benutzen zu dürfen.

„Ich werde gar nichts bezahlen, du Tschusch!“, ereiferte sich der Regisseur.

„Ich bin kein Tschusch, ich bin Türke, du Mistelbacher!“

„Ich bin kein Mistelbacher, ich bin aus dem Burgenland!“, geiferte der Regisseur.

„Jaja“, nickte der Taxifahrer, „weißt du, was passiert, wenn du im Schlaf die Hand aufmachst?“

„Häh?“

„Du fallst vom Baum!“

„Ja, was nun?“, gab der unschlüssige Alexander von sich.

„Bitte! Bitte! Schnell, das Baby kommt!“, flehte die Frau.

„Na, das geht so nicht weiter, das ist mir alles zu abgefahren“, sagte Alexander entschlossen, legte den Gang ein und fuhr mit offener Tür vor der Kamera vorbei, die gerade die tanzenden Mädchen aufnahm. Während Alexander auf die Julius-Meinl-Gasse bog, hielt ein Feuerwehrmann eine Ratte an ihrem Schwanz vor das Objektiv der Kamera und sagte stolz:

„Also, eine hätt ma schon!“

II

Der Portier des Krankenhauses in der Bastiengasse 36–38 in 1180 Wien hatte seinen Tagdienst in der Hoffnung angetreten, dass dies ein ganz normaler Tag wie viele andere würde. Und so hatte er auch angefangen, der Tag. Aber so blieb er nicht. Denn plötzlich rauschte ein Wagen von Taxi 1710 heran und blieb mit quietschenden Reifen und Bremsen direkt vor dem Eingang stehen, ein schlanker Mann sprang hinter dem Lenkrad hervor, umrundete eilig den Wagen, riss die Tür zur hinteren Sitzbank auf und beugte sich in den Fahrgastraum.

„Mein Gott“, seufzte der Portier, „der muss heut von seinem Planeten aber ganz schlecht bestrahlt sein.“ Er stand auf, öffnete das Fenster und rief hinaus: „Sie, das geht aber nicht! Sie müssen das Auto am Parkplatz abstellen!“ Nachdem keine Reaktion festzustellen war, beschloss er seinem Ordnungsruf mehr Nachdruck zu verleihen. „Hörst, du Wappler, schleich dich auf den Parkplatz! Aber gschwind!“

Die Antwort bestand aus einem markerschütternden Schrei aus dem Inneren des Autos, gefolgt von einem „Jessas, was mach ich denn jetzt?“ des Fahrzeuglenkers, der sich soeben aufrichtete.

Der Portier lehnte sich aus dem Fenster und wedelte mit einer Hand. „Du fahrst da jetzt weg, das machst!“

Mittlerweile hatten sich einige Leute um das Auto versammelt und blickten interessiert ins Wageninnere.

„Hah?“, machte Alexander entgeistert und blickte den Portier verständnislos an.

„Das ist doch der Alexander“, rief eine füllige Blondine begeistert.

„Wer?“, fragte ihre Nachbarin.