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WORTLAUT 19. PRIVAT

Der FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Die besten Texte.

Herausgegeben von
Zita Bereuter & Claudia Czesch

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© Luftschacht Verlag – Wien 2019

luftschacht.com

Einzelrechte © jeweils bei den Autor*innen

Herausgegeben von Zita Bereuter und Claudia Czesch

Die Wahl der angewendeten Rechtschreibung obliegt

dem/der jeweiligen Autor*in. Layout- und Formatvorgaben

der einzelnen Texte wurden in der Regel beibehalten.

Covergestaltung: Franz Suess – franzsuess.com

Satz: Luftschacht, gesetzt aus der Metric und der Noe

Druck und Herstellung: Print Group Sp. z o.o.

Papier: Munken Print Cream v 1,5 90 g/m2, Bilderdruck 250 g/m2

ISBN: 978-3-903081-40-6

ISBN E-Book: 978-3-903081-75-8

Inhalt

VORWORT HERAUSGEBERINNEN

Zita Bereuter, Claudia Czesch

Es muss weh tun.

VORWORT JURY

Verena Rossbacher

Win-Win

PLATZ 1

Lukas Gmeiner

erbseneintopf

PLATZ 2

Katherina Braschel

Spargel aus dem Glas

PLATZ 3

Florian Schlederer

Evelynes Kassette

PLATZ 4 (in alphabetischer Reihenfolge)

Sophia Fritz

Wohin wir Dinge stecken

Anita Hetzenauer

Wie ein Marder oder ein Murmeltier

Martin Peichl

Herzkörper

Anna Schwingenschuh

Primat Privat Ohrid

Julia Steinbichler

sackgasse

Johanna Wohlgemuth

Seit du fort bist

Andrea Zipko

Bumm und weg

DIE HERAUSGEBERINNEN

Zita Bereuter, Claudia Czesch

Es muss weh tun.

„Als Jurorin weiß man sofort: Es wird superanstrengend, ein Desaster. Es werden nur schlechte Texte kommen. Es wird unmöglich sein, irgendeine Auswahl zu treffen (schlecht, ganz schlecht, unsäglich)“, schreibt die Jurorin Verena Rossbacher in ihrem Vorwort (S. 11), um nach dem Lesen der zwanzig Kurzgeschichten überrascht neue Kategorien einzufügen: „Gut, sehr gut, am besten“.

So leicht war es dann aber doch nicht – auch die anderen in der Jury hatten ihre zwanzig Texte in diese Kategorien geteilt und hatten teilweise unterschiedliche Lieblingstexte. Folglich wurde in der Jurysitzung zwar immer freundlich, aber hart diskutiert, argumentiert und verhandelt. Schweren Herzens mussten sich einige von ihren bevorzugten Kurzgeschichten trennen. „Es muss weh tun“, beschrieb ein Juror diese Qual der Wahl.

Zuvor passierte das mittlerweile übliche Wortlautprozedere. Anfang März wurde das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, bekannt gegeben: „privat“.

Über 800 Texte erreichten uns bis Anfang Mai. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle Autorinnen und Autoren!

Wieder und wieder las die redaktionelle Vorjury (die FM4 RedakteurInnen Zita Bereuter, Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Ali Cem Deniz, Barbara Köppel, Conny Lee, Maria Motter, Martin Pieper, Lisa Schneider, Simon Welebil und Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag) die Texte, kommentierte und reichte sie weiter, bis sie sich schließlich in einer langen Sitzung auf zwanzig Kurzgeschichten einigen konnte. Die Bandbreite der Einsendungen war einmal mehr überwältigend: sie reichte von komplizierten Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern bis zu Kurzzeitlovern und gebrochenen Herzen. Erzählt wurde von „Privat“-Schildern im Schnee, an einem Badesee oder im Dorfgasthaus. ProtagonistInnen zogen durch Plattenbauten oder mazedonische Diskos oder verloren sich in versteckten Räumen. Mühsam gezüchtete Riesenschnecken oder ein fallengelassener Hase – alles ist „privat“.

Anonymisiert und gleich gestaltet wurden zwanzig Texte an die Hauptjury weitergereicht. Marc Elsberg (Autor), Diana Köhle (Slamveranstalterin & -moderatorin), Verena Rossbacher (Autorin), Mercedes Spannagel (Wortlautgewinnerin 2018) und Daniel Wisser (Musiker und Autor) haben schließlich die hier vorliegenden zehn Kurzgeschichten ausgewählt. Auch bei der Jury möchten wir uns nochmal für ihre Zeit und Arbeit bedanken!

Einig war sich die Jury recht schnell beim Gewinnertext: „erbseneintopf“. Eine Geschichte, die in der Vorjury die Frage aufgeworfen hat, ob man denn aus der Sicht von Menschen mit Beeinträchtigungen schreiben dürfe. Die Jury war sich sicher: Man soll sogar so schreiben. „Es ist viel von Einfühlung und Empathie heutzutage die Rede in der Literatur und der Text „erbseneintopf“ ist ein Beispiel, wo das wirklich grandios gelingt. Ein Text mit einer eigenartigen Form, auch etwas eigenartigen Formatierungen, der wirklich gegen den Strich gebürstet ist und der einem stummen Charakter einen Text, eine Stimme gibt. Das ist großartig gelungen.“

Was wir alle erst später erfuhren: „erbseneintopf“ ist eine Geschichte von Lukas Gmeiner, die er für sein Studium der Rehabilitationspädagogik geschrieben hat. Es ging um ein Experiment in „Einfacher“ bzw. „Leichter Sprache“. Diese richtet sich besonders an Menschen mit kognitiven Einschränkungen, mit Demenzerkrankungen oder auch Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Erklärungen von Lukas Gmeiner finden sich auf FM4.ORF.at/Wortlaut.

Wichtig ist ihm: „Normalerweise werden Texte in ‚Leichter Sprache‘ durch eine Prüfgruppe getestet und solange modifiziert, bis der Text den Kriterien der Prüfgruppe genügt und als verständlich eingestuft wird. ‚erbseneintopf‘ ist nicht geprüft und demnach auch nicht LS zertifiziert.“ Dafür ist „erbseneintopf“ der beste Text von Wortlaut 2019.

Wir gratulieren herzlich!

Für die Zukunft wollen wir Verena Rossbachers Rat befolgen: „Dass man einfach immer den Kampf aufnehmen muss, wenn einen ein dummes Thema provoziert. Man wird es niederringen, man wird es besiegen.“ Das ist dabei auch klar: „Es muss weh tun.“

Zita Bereuter und Claudia Czesch

Win-Win

Ich weiß nicht, welche Rolle eigentlich ärger ist: die des Autors oder die des Jurors.

Beides ist schlimm. Als Jurorin angefragt, sagt man immer sofort Ja klar und hinterher denkt man ein bisschen nach und bereut es immer sofort. Als Autor sagt man auch immer Ja klar und dann sitzt man da mit dem Thema für eine Anthologie, für eine Zeitschrift, für einen Preis und bereut es auch immer sofort. Als Jurorin weiß man sofort: Es wird superanstrengend, ein Desaster. Es werden nur schlechte Texte kommen. Es wird unmöglich sein, irgendeine Auswahl zu treffen (schlecht, ganz schlecht, unsäglich). Als Autor weiß man sofort: Zu diesem dummen Thema fällt einem im Leben nichts ein. Es ist ein dummes Thema. Immer. Themen sind dumm, es ist dumm, dass sie immer ein Thema haben und einem die Kohle nicht einfach so rüberschieben, es ist dumm, dass es einen Wettbewerb gibt, weil Wettbewerbe dumm sind, Anthologien sind auch dumm, liest kein Mensch. Zeitschriften liest man schon, zum Beispiel beim Frisör, aber bei den Geschichten blättert man immer weiter. Als Jurorin graust es einen beim schieren Gedanken an diese vielen Texte, die irgendwann über einen hereinbrechen werden, genau dann, wenn es nicht passt. Man wird sich einen Tag frei schaufeln müssen, man wird keine Ahnung haben, wo und wann man das ganze Zeug überhaupt lesen soll. Möglichst früh am Morgen am Küchentisch, á la: schnell hinter sich bringen? Am Schreibtisch, ganz: ein Job wie jeder andere auch, ich bin Profi? Lieber im Café, weil: Ich mach das so nebenbei? Angetrunken in einer Bar? Man wird wissen, es gibt keinen Ort. Keinen Ort und keine Zeit, die einen vergessen lässt, dass man wieder einmal Ja klar gesagt hat anstatt Auf keinen Fall.

Als Autor natürlich dasselbe in Grün. Er hat gedacht, das wäre eine gute Idee, zum Beispiel Wortlaut, aber natürlich ist es keine gute Idee. Auch bei Wortlaut haben sie Themen, diesmal „privat“, es ist zweifellos ein dummes Thema, nie wird einem was dazu einfallen, aber der Autor ist ein seltsames Wesen: anstatt dass er ganz vernünftig denkt, das ist ein dummes Thema, schreibt euch eure dummen Texte selber, ich geh lieber Nussschnecken essen im Liebling, stattdessen also hockt er an seinem Schreibtisch. Es wurmt ihn. Sobald der Autor ein Thema kriegt, wurmt es ihn. Er fühlt sich provoziert. Da ist ein Thema und er ist ihm nicht gewachsen, das macht ihn fertig. Der Autor ist einer, der denkt, das Thema ist der Feind, ich muss ihn besiegen. Also schreibt er los.

Die Jurorin ist mit einem furchtbaren Stapel Texten im Café angekommen: Sie macht so was nebenbei. Die Sonne scheint. Die Kellnerin ist hübsch. Die Jurorin fragt sich, wie sie diesen schlampigen Knoten auf dem Kopf hinbekommt, so dass er nicht schlampig aussieht. Überhaupt sehen alle super aus, schönes Licht. Alle haben gute Laune.

Der Autor hat den Kampf aufgenommen, nach und nach schreibt er sich in Rage, es geht immerhin um alles: Ist das Thema stärker als ich oder kann ich es bezwingen? Komischerweise kriegt er eine diebische Freude. Er weiß wieder, warum er Autor ist, wegen der diebischen Freude nämlich, ah! denkt er enthusiastisch, Schreiben! Autor sein ist schön. Er liest, was er da geschrieben hat und es ist gut. Er spürt, er wird als Sieger diesem Fight entsteigen, nicht, weil er etwa schon den Preis gewonnen hätte (Wettbewerbe sind dumm), nein, es ist sein ganz persönlicher Sieg. Er hat einem dummen Thema einen guten Text abgerungen, wenn das nicht fantastische Neuigkeiten sind, weiß er auch nicht. Er tüftelt noch eine Weile daran herum, dann schickt er es zusammen mit den anderen 800 Autoren fünf Minuten vor Einsendeschluss ein. Fünf Minuten vor Schluss. Es ist eine geheime Autorensolidarität.

Zwischenzeitlich ist das alles, wir erinnern uns, bei der Jurorin angekommen, Café, Sonne, schicke Kellnerin, Fiestastimmung rundherum, alles klar, sie liest den ersten Text und dann den zweiten, dem Äther abgerungen von heldenhaften Autoren, die sich immer wieder und wieder diesen dummen Themen stellen und die hübsche Kellnerin fragt, ob sie die Schnecke anwärmen soll – und warum nicht! denkt die Jurorin, plötzlich selbst allerbestens gelaunt, weil: Sie hat ja im Grunde auf einmal einen freien Tag. Sie muss nicht selbst als Autorin am Schreibtisch sitzen und mit den ganzen dummen Themen kämpfen, nein, sie hockt in der Sonne, alle lachen und sind fröhlich, eine warme Nussschnecke ist herrlich, das Leben ist schön. Sie liest noch ein paar Texte. Sie schaut auf und ein wenig in die Ferne, weil manchmal kommt von da eine Antwort, denn sie fragt sich ehrlich und schonungslos: Bin ich eigentlich dumm oder sind diese Texte wirklich so gut? Und: Was mach ich jetzt mit meinen Kategorien (schlecht, ganz schlecht, unsäglich)? Und vor allem: Wie schaffen die das bloß alle, einem so dummen Thema so gute Texte abzuringen? Gott sei Dank bin ich bei der ganzen Sache nicht als Autorin beteiligt, mir wär im Leben nichts eingefallen. Jurorin sein, denkt sie zufrieden, ist wunderbar. Lauter prima Texte. Ein Tag in der Sonne, noch eine Nussschnecke und nachher lern ich von der Kellnerin, wie man so einen tollen Knoten macht, damit es bei mir nicht immer aussieht wie eine Irrenanstalt für Spatzen.

Sie macht ein paar neue Kategorien. Gut, sehr gut, am besten. Sie weiß, dass das dumm ist, weil Wettbewerbe dumm sind, sie hat sich beim Mensch-ärgere-dich-nicht schon immer geärgert, sie weiß, dass Autoren sich beim Mensch-ärgere-dich-nicht ärgern und wenn sie bei Wettbewerben nicht gewinnen. Sonst haben sie ein Gemüt wie ein Hackstock, aber diese beiden Dinge: schlimmer Ärger. Trotzdem findet sie – und das findet sie als Jurorin und als Autorin – dass eigentlich alle Sieger sind. Da war dieses dumme Thema und sie haben den Kampf aufgenommen und sie haben es niedergerungen. Sie weiß, dass es das ist, was zählt, sie weiß, dass es das ist, was einen zum Autor macht. Als Jurorin geht sie glücklich nach Haus. Es war ein guter Tag. Ein paar Schnecken intus, ein paar gute Texte gelesen, ein paar Style-Tipps. Als Autorin geht sie wieder einmal gestärkt aus dieser Erfahrung hervor. Einmal mehr hat sie verstanden, dass man einfach immer den Kampf aufnehmen muss, wenn einen ein dummes Thema provoziert. Man wird es niederringen, man wird es besiegen.

Insgesamt wieder mal win-win, würde ich sagen.

Verena Rossbacher

Verena Rossbacher, geboren 1979 in Bludenz, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, lebt in Berlin; studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig; lehrt Schreiben am Schweizer Literaturinstitut Biel; schreibt Romane: „Verlangen nach Drachen“ (2009), „Schwätzen und Schlachten“ (2014), „Ich war Diener im Hause Hobbs“. Sucht eine Wohnung in Berlin und ein Haus im Bregenzerwald.

erbseneintopf

Lukas Gmeiner

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Foto: Privat

1987 geboren, studiert Rehabilitationspädagogik und arbeitet an einem Berliner Förderzentrum und als Fahrradkurier. Privat sehr glücklich. Beruflich äußerst prekär. Freut sich über aussagekräftige Jobangebote im Bereich der Rehabilitation und darüber hinaus.

Schreibt Kurzgeschichten mittlerweile nur noch exklusiv für FM4 Wortlaut (Shortlist 2017) und hält Kurzvitas für die wahre literarische Herausforderung.

Mein Haus

Ich wohne in einem Haus.

Und dieses Haus gehört mir.

Mir ganz alleine.

Mein Haus hat eine große Tür und vier große Fenster.

Zwei Fenster gehen vorne raus zu dir.

Zwei Fenster sind an den Seiten.

Hinten in meinem Haus sind keine Fenster.

Was ich ganz hinten im letzten Zimmer verberge?

Das verrate ich nicht.

Das ist privat.

Durch die Fenster und Türen kommt alles herein.

Ich kann alle Menschen hören und sehen.

Ich kann alles riechen und spüren und schmecken.

Aber ich bleibe allein in meinem Haus.

Das klingt wie ein Rätsel findest du?

Ich helfe dir damit.

Denn mein Haus sitzt auf meinen Schultern.

Meine Fenster sind die Augen und Ohren.

Die Tür ist mein Mund.

Ich mag mein Haus.

Denn mein Haus ist schön und warm.

Und mein Haus hat viele Nischen.

Diese Nischen sind wichtig.

Denn ich kann mich in den Nischen verstecken.

Stunden•lang.

Und die Leute können durch die Fenster gucken.

Aber die Leute können mich nicht sehen.

Und ich muss die Leute nicht sehen.

Manchmal muss das so sein.

Denn ich kenne viele gemeine Leute.

Montag
8 Uhr

Viele Leute mögen Montage nicht.

Aber ich finde Montage gut.

Ich sehe am Montag nämlich meine Freunde wieder.

Mein Bus•fahrer schiebt mich in die Mensa von meiner Schule.

Der Bus•fahrer hat es wie immer eilig.

Der Bus•fahrer stellt mich neben Herr K.

Ich strecke meine Hand Herr K. entgegen.

Aber Herr K. sieht meine Hand nicht.

Herr K. sieht mich nicht.

Herr K. redet mit dem Haus•meister.

Herr K. sagt:Harry,B. kommt wieder zurück,umgebracht? Hatund dervom Onkel von der B.,spielen,Donnerstag immer Fußball am Sportplatz,,mal. Umbracht undhier.Bild. Kaputtdie.,Respekt mehr. Schlimm., schon gutdie B. zurückkommt. Dann bin ich diese Klasse endlich los. Echtsag ich dir.,aufFall ein,, jetzt ist wiederschwanger.

Plötzlich bewege ich mich.

Jemand schiebt meinen Roll•stuhl.

Ich drehe mich um und sehe Momo.

Momo ist mein aller•bester Freund.

Momo grinst.

Und ich grinse auch.

Der Haus•meister schaut mich kurz an.

Dann schaut der Haus•meister wieder weg.

Jetzt schaut auch Herr K. in unsere Richtung.

Herr K. ruft:

Hey!

Hier•bleiben!

Wo wollt ihr hin?

Momo dreht sich nicht um.

Momo läuft einfach weiter.

Ich mag Momo.

Momo ruft:

Zur Klasse!

Ich sehe in das Gesicht von Herr K.

Sein Gesicht sieht böse aus.

Aber irgend•wie sieht sein Gesicht immer böse aus.

Denke ich.

Und dann spüre ich meine Hand.

Meine Hand ist immer noch ausgestreckt.

Aber plötzlich wird sie ganz müde und schwach.

Ich kann meine Hand nicht mehr hoch•halten.

Ich lege meine Hand auf die Arm•lehne von meinem

Roll•stuhl.

Mein Kopf wird ganz warm.

Ich muss kurz die Vorhänge zumachen.

Mein Kopf ist ganz schwer.

Montag
13 Uhr 45

Meine Augen sind noch zu.

Aber ich spüre unter mir die Liege.

Ich spüre das Plastik auf meiner Haut.

Meine Augen sind noch zu.

Aber ich erkenne den Raum.

Ich mache die Vorhänge auf.

Ich liege im Pflege•bad und mein Schul•assistent beugt sich über mich.

Mein Schul•assistent heißt Mika.

Mika nimmt ein feuchtes Tuch.

Mika wischt mit dem feuchten Tuch über meinen Penis.

Mika lächelt und redet viel.

Mein Schul•assistent Mika redet immer viel.

Manchmal erzählt Mika witzige Sachen.

Überhaupt macht Mika viele Witze.

Nicht nur über mich.

Aber auch.

Aber auch über andere.

Und oft kommt er nicht zur Schule.

Dann sagt Frau R.:

Mika ist nicht gerade der verlässliche Typ.

Montag
13 Uhr 50

Ich kann den Marmor•kuchen kaum in meiner Hand halten.

Der Marmor•kuchen bröselt mir durch die Finger.

Mika klopft mit seiner Hand gegen meinen Nacken.

Mika sagt:

Was machst du mit deinem Kuchen?

Willst den Kuchen essen oder umbringen?

Mika lacht.

Und Mika redet weiter.

Aber ich denke lieber nach:

Umbringen.

Hat Mika gesagt.

Umgebracht.

Hat Herr K. gesagt.

Umgebracht.

Denke ich.

Damit hat heute alles angefangen:

Die Frau B. hat jemanden umgebracht.

Das hat Herr K. dem Haus•meister erzählt.

Es gibt einen Mord•fall zu lösen.

Wen hat meine Lehrerin Frau B. umgebracht?

Und warum kommt Frau B. dann zurück in die Schule?

Warum kommt sie nicht ins Gefängnis?

Frau B. ist doch die liebste Lehrerin hier an der Schule.

Ich sitze in meinem Haus.

Draußen ist es sehr laut.

Ich schließe die Fenster.

Und ich öffne das Notiz•heft in meiner Hand.

Mit meinem Mund kaue ich am Bleistift.

Schweiß läuft über meine Stirn.

Von draußen höre ich jemanden rufen.

Aber die Stimme kommt nur ganz leise durchs Fenster.

Die Stimme flüstert:

Ole, dein Bus•fahrer ist da.

Dienstag
8 Uhr 10

Der Bus•fahrer schiebt mich schnell in die Mensa.

Die Hand vom Bus•fahrer streicht mir durchs Haar.

Der Bus•fahrer geht.

Ich strecke meine offene Hand Herr K. entgegen.

Herr K. redet aber wieder mit dem Haus•meister.

Statt•dessen klatscht Momo in meine offene Hand.

Costa kommt dazu und schiebt meinen Roll•stuhl.

Momo, Costa und ich fahren zusammen mit dem Lift nach oben.

Weil mein Klassen•zimmer ist im 1. Stock.

Kein Schüler darf alleine mit dem Lift fahren.

Das sind die Regeln.

Alle Erwachsenen sagen das: So sind die Regeln. Stell

dir vor, du bleibst alleine stecken. Was machst du dann?

Vielleicht drücke ich dann einfach den gelben Knopf

mit der Glocke.

Aber was weiß ich schon.

Im Klassen•zimmer riecht es nach Kaffee.

Das bedeutet, Frau R. ist schon da.

Frau R. begrüßt mich und fragt: Wie geht es dir, Ole?

du einen schönen Nachmittag gestern? Schön,

das freut mich zu hören. Schau mal, heute gibts

Schokocreme zum Frühstück,magst

duso gerne.

Frau R. lächelt und klopft mir vorsichtig auf meinen Bauch.

Frau R. sagt:

nicht