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Nr. 3062

 

Zeut

 

Die Topsider greifen an – Leben wird wiedergeboren

 

Christian Montillon / Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Ein kurzes Erwachen

1. Die Waffen sprechen

2. Verunsicherung

3. Die unnachgiebige Jägerin

4. Aufbruch und Rückkehr

5. Cheung City

6. Die Bio-Station

7. Erste Untersuchung

8. Entzug

9. Abriegelung

10. Die Suche

11. Die Gäonauten von Zeut

Epilog: Schönheit und Gefahr

Stellaris 74

Vorwort

»Die Sonne der STELLARIS« von Dennis Mathiak

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

In der Milchstraße spielen die Cairaner eine maßgebliche Rolle; die Liga Freier Galaktiker und die Arkoniden sind nur noch von untergeordneter Bedeutung. Der unsterbliche Arkonide Atlan hat beschlossen, an dieser Situation etwas zu ändern. Vor allem versucht er dem Geheimnis des hermetisch abgeschlossenen Arkonsystems auf den Grund zu gehen, das nur noch als die »Bleisphäre« bekannt ist.

Perry Rhodan hat mittlerweile die Erde wiedergefunden – in einem Zwillingsuniversum, das mit unserem durch die sogenannte Zerozone verbunden ist. Dort befindet sich die Menschheit im Konflikt mit den Topsidern. Und dort befindet sich auch ein Planet, der dem heimischen Solsystem vor langer Zeit verloren ging: ZEUT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner startet einen Bluff und unterliegt einem verstörenden Effekt.

Homer G. Adams – Der älteste Mensch erwacht zu neuem Leben.

Sichu Dorksteiger – Die Wissenschaftlerin muss gleichzeitig Lösungen für mehrere Probleme suchen.

Mitten wir im Leben sind

mit dem Tod umfangen.

(Anonyme Sammlung

altterranischer Weisen,

Kapitel 77 »Martin Luther«)

 

 

Prolog

Ein kurzes Erwachen

vor 265 Jahren

 

»Kupfer«, sagte Tonyor mit brüchiger Stimme. »Angeblich riecht es dort unten auf Zeut nach Kupfer.«

Etwa 200 Meter unter ihrem Gleiter eilte ein giraffenartiges Tier über eine schillernde Eisfläche, verlor den Halt, rutschte und versuchte sich mit tapsigen Schritten zu fangen. Zu Homer G. Adams' Überraschung entfaltete es Flügel und schlug hastig damit. Eine rote Feder löste sich und trieb im Wind davon.

»Die Tatsachen sprechen dagegen«, sagte Adams.

»Warst du bereits dort?«

»Nein«, gab er zu. Das musste er auch nicht, wenn die Fakten nun einmal anders lauteten. Mit dieser Argumentation kam er bei seinem grauhaarigen Begleiter jedoch nicht weiter, das wusste er.

Tonyor interpretierte grundlegende Gegebenheiten ganz nach eigenem Geschmack oder ignorierte sie einfach, indem er auf der Weisheit des Alters beharrte. Natürlich war Adams um ein Vielfaches älter.

»Wie riecht eigentlich Kupfer?«, fragte Tonyor. Seine wenigen Haare färbte er sich in tiefem, glänzendem Schwarz.

»Überhaupt nicht.«

»Oh.«

Ihr Gleiter war ein Spezialmodell – eher eine Mischung aus Helikopter, Flugzeug und Luftkissenboot. Anders hätte er auf der hiesigen Version des Planeten Zeut nicht funktioniert. Es hatte die terranischen Ingenieure eine Menge grauer Haare gekostet, eine Lösung zu finden, die Fluggefährte nicht einfach so abstürzen ließ.

Die Pilotin zog tiefer, zu der Forschungsstation mitten in der Eiswüste, in der zum ersten Mal seit Jahrhunderten Leben spross. Die Temperaturen stiegen seit einigen Jahren langsam, aber kontinuierlich.

Adams entdeckte das Grün eines Moosteppichs. Eine der geflügelten Giraffen – natürlich hatte dieses Wesen mit dem irdischen Tier, das sich in der anderen Hälfte des Dyoversums entwickelt hatte, nicht das Geringste zu tun – stand dort und fraß. Es war viel kleiner, als es aus der Höhe den Anschein erweckt hatte, wahrscheinlich wegen seiner Giraffen-Assoziation inmitten der endlos weißen Weite, die dem Auge keine Vergleichsmöglichkeit bot. Es sah ausgemergelt aus, trotz des dicken Fells.

Der Gleiter näherte sich der Energiekuppel rund um die Forschungsstation, einem einzelnen, weitläufigen Flachbau, der an eine schmucklose Halle für Robotfabrikation erinnerte. Alles andere als ein wohnlicher Ort. An einem uralten, im Eis konservierten Baumriesen nur wenige Meter vom Rand der Kuppel entfernt öffnete sich eine Knospe. Es kam Adams vor, als würde das Lila aus sich heraus leuchten.

Im Gleiter saßen nur sie beide als Passagiere, das einzige Besatzungsmitglied war die Pilotin, angestellt bei der privaten Firma Far Cry, die auch die Station betrieb. Adams hatte sie beim Start vom Raumhafen Terrania nur kurz gesehen – eine trotz ihrer langen, blau-silbrig gefärbten Haare erstaunlich unauffällige Frau.

Far Cry war eine Mixtur aus Architekturbüro, Stadtplanungs-Konsortium und exogeologischem Forschungsinstitut. Es gingen Gerüchte, dass ein Nachkomme des genialen Robotikers Whistler seine Finger in der Finanzierung hatte und als graue Eminenz im Hintergrund die Fäden zog, doch das hielt Adams für eine Verschwörungstheorie. Der TLD hatte in dieser Hinsicht ermittelt, um möglichen künftigen Problemen vorzubeugen, aber nie etwas gefunden, das über bloßes Hörensagen hinausging.

Tonyor diente seit Jahrzehnten als offizieller Sprecher für Far Cry und kommunizierte in dieser Funktion häufiger mit der Regierung der Liga ... genauer gesagt, mit Homer G. Adams, dem Advisor des Residenten. Adams schätzte ihn. Irgendwie zumindest. Und wo er ihn zu penetrant oder besserwisserisch fand, pflegte er einen professionellen Umgang. Mit anderen Worten: Er ließ sich nichts anmerken.

Far Cry finanzierte sich seit Jahren dank etlicher Sponsoren, die in dem offiziellen Auftrag, auf Zeut eine Stadt samt kleinem Raumhafen zu errichten, eine lukrative Investition in die Zukunft sahen.

Seit es Terra in die andere Hälfte des Dyoversums verschlagen hatte, verstand man unter Expansion längst etwas anderes. Etwas Bescheideneres. Die Milchstraße war in gewisser Hinsicht auf eine Raumkugel von wenigen Hundert Lichtjahren Durchmesser geschrumpft, die man gerade so mit waghalsigen Raumflügen bereisen konnte.

Und Zeut war ohnehin eine Legende – im Heimatuniversum existierte der Planet seit Langem nicht mehr, sondern war lediglich vor Urzeiten Teil des Solsystems gewesen. In dieser Hälfte des Dyoversums zog er nach wie vor seine exzentrische Bahn um die heimatliche Sonne.

Noch ließ sich bei einem Überflug nichts von der geplanten Stadt erahnen, und dafür gab es einen guten Grund: das Leben. Genauer gesagt, der erwartete oder erhoffte Ausbruch einer Lebensphase auf dieser eiskalten, erstarrten Welt.

Jemand in der Forschungsstation schaltete ihnen eine Schleuse in die Energiekuppel, und sie landeten wenige Sekunden später. Sie verließen den Gleiter, und zum ersten Mal atmete Adams die Luft des Planeten Zeut.

Nur dass es nicht der legendäre Planet war. Stattdessen standen sie auf einem ...

... ja, was?

Auf einem Ebenbild?

Einem Zwilling?

Eigentlich ja.

Denn eigentlich war das Universum, in das es die Erde vor Jahrhunderten verschlagen hatte, ein Zwilling des Heimatuniversums – mehr noch, ein siamesischer Zwilling, wenn man es so wollte, obwohl die Analogie nur beschränkt zutraf. Entstanden im selben Urknall, entwickelten sich die beiden Universen seitdem weiter, verbunden lediglich an einem Punkt: der Zerozone.

So weit stand das Modell, und bei diesen Grundlagen endeten auch die Interpretationen, denen sämtliche Wissenschaftler zustimmten. Zumindest fast alle.

Es blieben mehr Fragen als Antworten.

Und genau das, fand Adams, machte das Leben in diesem fernen und doch so eigentümlich vertrauten Bereich überhaupt erst spannend. Er hatte sich daran gewöhnt. Oder? Es gab Tage, nein, Wochen, vielleicht sogar Monate, in denen er gar nicht an das alte Heimatuniversum und eine Rückkehr dorthin dachte.

Wenn sich die Universen seit dem Urknall getrennt voneinander entwickelten – wie konnte es dann sein, dass weitgehend dieselben Sonnensysteme mit einander stark ähnelnden Planeten entstanden waren? Es musste etwas geben, das die Entwicklung beeinflusste und regulierte. Die Zerozone?

Aber falls es eine solche Einflussnahme gab, beschränkte sie sich offensichtlich auf die Ebene unbelebter Materie. Denn kein Planet in dem von der Menschheit bislang besuchten Bereich hatte dasselbe Volk hervorgebracht wie sein Ebenbild im bekannten Heimatuniversum.

Wobei auch das nicht stimmte. Die große, unerklärliche Ausnahme bildeten die Topsider. Was wiederum von Anfang an nur zu Konflikten geführt hatte.

Fragen über Fragen.

Bei manchen schien eine Antwort geradezu greifbar nah, bei anderen unendlich weit entfernt.

Ja, überlegte Adams, es lohnte sich, das neue Umfeld der Erde mit offenen Augen, offenem Verstand und offenem Herzen zu erleben. Über wissenschaftliche Fragen zu rätseln, über Entdeckungen zu staunen und sich für Wunder zu begeistern.

Aber im Moment schob er all das beiseite.

Momentan ging es nur um Zeut.

Seltsam, dass er in all den Jahren seit der Ankunft in diesem Zwilling des Solsystems nie die Zeit gefunden hatte, diesem in der Heimat legendären und längst verschwundenen Planeten einen Besuch abzustatten. Oder sie sich nie genommen hatte.

Dieser Zeut wich stark von dem Ebenbild im Heimatuniversum ab – das der Menschheit nur aus Expeditionen durch Zeit und Raum bekannt war, an denen Adams selbst freilich nie teilgenommen hatte. Selbstverständlich kannte er trotzdem die gewonnenen Informationen.

Es gab merkliche Unterschiede, etwa das völlige Fehlen von PEW-Metall, und mehr als das ... aber es ließen sich auch verblüffende Übereinstimmungen feststellen.

»Advisor?«, riss ihn eine Stimme aus den Gedanken, dann: »Advisor! Es ist mir eine Freude und Ehre, dich hier zu sehen!«

Eine Frau kam auf die Neuankömmlinge zu. Sie hatte lange weiße Haare, was ihr auf den ersten Blick etwas Arkonidisches verlieh. Die dunkelblauen Augen sprachen dagegen.

Augen, in denen sich nach Adams' Meinung ein tiefer Schrecken eingenistet hatte, den sie zu verbergen versuchte.

»Willkommen auf Zeut«, fuhr sie fort. »Ich bin Muury, von Haus aus Biologin, aber auch Mädchen für alles in der Station.«

Sie drehte den Kopf zu Tonyor, nickte stumm und wandte sich wieder ab. »Wollt ihr mir folgen?«

»Muury hasst mich«, sagte Tonyor unvermittelt. »Sie war gegen meinen Vorschlag, mit dem Beginn des Städtebaus zu warten, bis die Lebensphase des Planeten vorüber ist.«

»Weil es unnötig verzögert«, sagte Muury.

Tonyor schüttelte den Kopf, und mit einem Mal wirkte er weitaus energischer als zuvor. »Es gibt eine Menge Theorien, aber niemand weiß, wie stark die Lebensphase ausfällt und welche Veränderungen bevorstehen und wo wir ungewollt die natürliche Entwicklung beeinflussen könnten.«

»Hass ist außerdem das falsche Wort«, stellte Muury unbeeindruckt fest. »Ich hasse dich nicht.«

»Wie würdest du es nennen?«, fragte Tonyor.

Sie dachte kurz nach, und ihr Gesicht blieb reglos. Adams nutzte die Gelegenheit, sie zu mustern, und er empfand noch stärker als zuvor, dass sie unter dieser Fassade Angst verbarg. Oder etwas, das einer tief empfundenen Furcht zumindest nahekam.

»Mitleid«, fasste Muury schließlich ihre Überlegungen zusammen. »Wie man es einem Menschen eben entgegenbringt, der sich für klug hält, in Wirklichkeit jedoch ein Narr ist. Und der seine Entscheidungen von Terra aus fällt, statt auch nur ein einziges Mal persönlich nach Zeut zu kommen.«

»Es muss hart für dich gewesen sein, mitzuerleben, wie alle auf den angeblichen Narren hören, aber nicht auf dich. Unterschätz nie die Weisheit des Alters!«

»Niemand hat je behauptet, im Universum ginge es gerecht zu.« Sie räusperte sich. »Ich zumindest nicht. Wie siehst du das, Advisor?«

Homer G. Adams fühlte sich nicht wohl in seiner Haut angesichts dieser offen zur Schau getragenen Feindseligkeit. »Über Gerechtigkeit ließe sich lange philosophieren. Berichte mir lieber davon, wie das Leben sich auf dem Planeten Bahn bricht.« Denn das war der eigentliche Grund seines Besuches. Er wollte es miterleben!

Die elliptische Umlaufbahn um Sol brachte Zeut derzeit in die habitable Zone. Ein Bahnumlauf dauerte in diesem Teil des Dyoversums 277 Jahre und führte vom sonnenfernsten Punkt bei neun Milliarden Kilometern Abstand zum sonnennächsten bei 130 Millionen Kilometern. Allen Erwartungen zufolge und gemäß den Erfahrungen mit dem Ebenbild des Heimatuniversums stand eine kurze Phase bevor, in der die Tier- und Pflanzenwelt erwachte, ehe der Planet auf seiner Bahn wieder in eisige Erstarrung fiel.

»Die Temperaturen steigen, die vorher niedergeschlagene Atmosphäre hat sich schon seit zwei Jahren vollständig gelöst.« Muury legte den Kopf in den Nacken und deutete vielsagend nach oben, während sie in Richtung der Station ging. Ein Eingang in das Hallengebäude lag nicht weit entfernt. »Sie ist für Menschen gut verträglich ... wenn man davon absieht, dass es viel zu kalt ist, um ungeschützt zu überleben. Deshalb wird die Energiekuppel dauerhaft bestehen bleiben müssen.«

»Riecht es dort draußen nach Kupfer?«, fragte Tonyor.

Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wie kommst du darauf?«

»Gerüchte.«

»Natürlich nicht.« Sie winkte ab. »Jedenfalls zieht sich das ewige Eis teilweise zurück. Ein Meeresbereich von aktuell mehreren Tausend Quadratkilometern liegt bereits frei. Ebenso etliche kleinere Flächen auf den Kontinenten, auch hier ganz in der Nähe.«

Sie erreichten den Eingang. Die Tür öffnete sich automatisch, als sie sich näherten.

»Ich habe eine ...« Adams stockte und vermied es, den Giraffen-Vergleich zu ziehen. »... ein Tier beobachtet.«

»Vier Beine, Pelz, hager, zwei Flügel? Ein Shedant.«

»Stimmt wohl. Woher stammt die Bezeichnung?«

Ein Mädchen rannte auf sie zu, kaum dass sie eintraten. »Mama!« Es umarmte Muury ungestüm.

Homer schätzte die Kleine auf etwa fünf Jahre. Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, wenn man davon absah, dass die Haare feuerrot wucherten.

Muury winkte ab. »Ach, nicht wichtig.«

»Woher?«, beharrte Adams, während er dem Mädchen zuwinkte.

Tonyor lachte. »Ja, sag es ihm!«

Muury nickte langsam. »Es leben nur wenige Leute hier in der Forschungsstation. Die Benennung neu entdeckter Spezies liegt in unserer Verantwortung, und wir bevorzugen ... unkonventionelle Methoden. Meine Tochter hat sich das Wort Shedant ausgedacht.« Sie strich dem Mädchen über die Wange.

Adams bückte sich zu ihr. »Du bist offenbar hochbegabt. Weißt du, was das bedeutet?«

»Klar«, piepste die Kleine. »Ich bin doch nicht blöd.«

»Eben.« Adams grinste. »Shedant ist ein tolles Wort. Wahrscheinlich hast du noch nie von dem Volk der Linguiden gehört. Wir hatten vor langer, langer Zeit mit ihnen zu tun. In ihrer Sprache bedeutet Shedant so viel wie Schönheit.«

Das Mädchen strahlte. »Ist ja super!« Dann fragte es: »Mama, darf ich zu Lerlei?«

Muury nickte. »Geh schon!«

Die Kleine rannte davon.

»Du hast gelogen, nicht wahr?«, fragte Muury.

»Das ist eine Unterstellung«, sagte Adams.

»Kennst du die Sprache der Linguiden überhaupt?«

»Teilweise. Was Schönheit heißt, weiß ich zugegebenermaßen jedoch nicht. Aber Shedant wäre ein guter Kandidat dafür.«

»Allerdings gibt es dort draußen nicht nur Schönheit, Advisor.« Unvermittelt wurde sie ernst, und was Adams bislang nur hatte erahnen können, brach nun aus ihr heraus. Die Sorge stand ihr überdeutlich ins Gesicht geschrieben. »Wir befürchten, dass gewaltige Probleme auf uns warten.«

1.

Die Waffen sprechen

Gegenwart

 

Alles begann mit einer Attacke auf Skiaparelli, die Hauptstadt des Mars.

Topsidische Schiffe rasten ins Solsystem, und ihr Ziel stand eindeutig fest, falls es sich nicht um eine Finte handelte und sie ihren Kurs radikal änderten.

Aber warum sollten sie das tun? Skiaparelli war aus Sicht der Angreifer die perfekte Wahl, um ein Zeichen zu setzen. Sie peilten denselben Ort an, an dem sie sich vor Jahrhunderten zum ersten Mal gezeigt und auf die Energiekuppel über den wenigen Häusern der Stadt gefeuert hatten, bis sie zusammenbrach.

Damals hatten die Echsen darauf verzichtet, die Gebäude zu zerstören; diesmal würde es in der Millionenstadt anders ablaufen.

Noch fiel kein einziger Schuss, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Waffen sprachen und der Tod Einzug hielt.

Ghizlane Madouni, die Kommandantin des Flaggschiffes ORATIO ANDOLFI, wusste, dass den Terranern schwere Tage bevorstanden, wenn nicht Wochen. Oder Jahrzehnte – falls sie diese Schlacht verloren. Und falls die Topsider sie nicht ohnehin alle töteten.

Perry Rhodan stand ebenfalls in der Zentrale.

Ghizlane winkte ihn zu sich, zu ihrem Kommandantensessel. »Wir müssen handeln.«

Er nickte und warf einen Blick auf das strategische Holo, das einen Gesamtüberblick bot. Es schwebte vor ihnen in der Luft und versperrte die Sicht auf den Platz der Funkoffizierin. »Das tust du doch schon.«

Ghizlane legte die Arme auf die Sessellehnen. Ihre Handinnenflächen fühlten sich kalt und feucht an. Ja, dachte sie, aber wird es genügen?

Natürlich hatte sie längst Schiffe in der Nähe des Mars stationiert, und selbstverständlich waren diese Einheiten bereits unterwegs, um sich den Topsidern entgegenzuwerfen und Skiaparelli zu beschützen ... doch was konnte sie außerdem tun? Wie diesen Wahnsinn stoppen?

Als läse er ihre Gedanken – Rhodan war wirklich ein erstaunlicher Mensch –, machte er eine umfassende Handbewegung vor dem Holo. »Wir können es nicht aufhalten, Kommandantin. Wir haben es versucht. Die Residentin hat es versucht. Vielleicht sogar die topsidische Botschafterin, auf ihre Weise. Als sie nach unserem letzten Treffen aus dem Raum ging, hat sie es angekündigt: Dann werden die Waffen sprechen. Genau in diesem Moment waren die Würfel gefallen. Es gab keine vernünftige Lösung mehr zu diesem Zeitpunkt. Keine Möglichkeit, den Frieden zu halten oder wenigstens eine Waffenruhe.«

»So fatalistische Worte?«, fragte Ghizlane. »Von dir?« Hatte sie ihn vielleicht doch falsch eingeschätzt, in der kurzen Zeit, seit sie ihn kannte? War er nicht derjenige, der nie aufgab, der stets den Blick nach vorne richtete und den Lichtpunkt sah, wo andere nur Dunkelheit wahrnahmen?

Rhodan schüttelte den Kopf. »Nicht fatalistisch, sondern realistisch«, verbesserte er. »Es hilft nichts, wenn wir verpatzten Möglichkeiten hinterherweinen oder von einem Utopia träumen, das es nicht gibt. Und nie gegeben hat.«

»Einigen wir uns auf die Mitte?«, fragte sie.

»Was liegt zwischen Fatalismus und Realismus?«, wollte er wissen.

Sie dachte nach. »Seriosität?«

Er zeigte ein schmallippiges Lächeln. »Eines muss ich dir lassen, Kommandantin: Ein derartiges Gespräch habe ich vor dem Beginn einer Schlacht noch nie geführt. Es ist geradezu ...«

»... seriös?« Ghizlane Madouni schloss kurz die Augen, deutete dann auf das Holo. »Die Topsider werden bald den ersten Anflug auf den Mars beenden, unsere Truppen stehen bereit zur Verteidigungsschlacht. Eine Verteidigungseinheit wird sie außerdem abfangen, etwa ... hier.«

Sie markierte einen Punkt mitten im Nichts, rund einhunderttausend Kilometer vom Mars entfernt.

Die erste Welle der Angreifer bestand aus 40 Schiffen – ein Klacks angesichts der gesamten topsidischen Flotte: Vor den Grenzen des Solsystems sammelten sich gegenwärtig tausend Einheiten.

Die Terraner hätten theoretisch durchaus kontern können: Die Liga verfügte über 3000 kampffähige Schiffe – allerdings verteilt auf 30 besiedelte Sonnensysteme, wobei das Solsystem als Heimat den Schutz von imposanten 900 Einheiten genoss. Selbstverständlich wurden nun weitere Schiffe herbeibeordert, aber die Regierung durfte keines der anderen Systeme vollständig seines Schutzes berauben. Zudem würde es dauern, bis Entsatz aus den Kolonien eintraf.

Zahlenmäßig genossen die Topsider daher bis auf Weiteres eine leichte Übermacht. Ganz davon abgesehen, dass die Echsen dem Wissensstand des TLD zufolge insgesamt mehrere zehntausend Schiffe aufbieten konnten. Vorsichtige Schätzungen gingen von rund 30.000 Kriegsschiffen unterschiedlicher Kampfkraft und Größe aus, die sich allerdings ebenfalls über die Sonnensysteme des Sternengeleges verteilten, und das waren immerhin mehr als 200.

Waffentechnisch befanden sich die beiden Zivilisationen etwa auf Augenhöhe. Sollten die aktuellen Geheimdienstinformationen stimmen, gab es für die Terraner sogar einen leichten Vorteil im Einzelkampf Schiff gegen Schiff kam.

Eines jedoch stand fest: Insgesamt waren die Topsider stärker, und dass bald weitere Flotten eintrafen, bezweifelte niemand. An dieser mehr als düsteren Grundlage gab es nichts zu rütteln.

Die 40 Topsiderraumer der ersten Angriffswelle trafen auf die terranische Verteidigungsflotte – fast genau an dem Punkt, den Ghizlane prognostiziert hatte. Gemeinsam mit Perry Rhodan starrte sie das Holo an und verfolgte diese erste Schlacht, ohne eingreifen zu können.

Ihr blieb nur, aus der Ferne zu beobachten und Rückschlüsse zu ziehen.

Es war zu wenig. Viel zu wenig, wenn dort draußen Menschen starben. Aber das war das Los einer Kommandantin.

Sie sah die schematischen Darstellungen der Ortungsechos. Am Rand des Holos standen Zahlen, die die terranischen und die topsidischen Schiffe listeten.

Zahlen, die sanken.

40 Einheiten der Echsen.

39.

Ein Flackern.

36.

Ein Flackern, sonst nichts. Ein Ortungsecho. Vernichtete Schiffe. Tausend tote Lebewesen.

Es erschütterte sie, und dabei spielte es keine Rolle, dass es sich in diesem Fall um die Leben von Feinden handelte. Vier zerstörte Echsenschiffe ... und am anderen Rand sackte die Zählung um sieben Einheiten ab.

Ghizlane Madouni spürte eisige Kälte.

Multipliziere die Zahl der Schiffe mit der Besatzungsstärke ... aber dann hast du auch nur eine Zahl. Erinnere dich an die, die du kennst, und du spürst einen Bruchteil des Schmerzes, der von diesen Zahlen ausgeht und sehr viel mehr treffen wird ...

Und genau deswegen durfte jedes vernichtete Schiff und jeder Tote für Ghizlane nicht mehr als eine Zahl sein, solange sie als Kommandantin des Flaggschiffes diente, das über Terra stand und die Stellung hielt.

Sie hatte den Oberbefehl über die Gesamtflotte, und allein das musste sie im Blick behalten. Was sie im Holo sah, waren keine tausend Schicksale, die ihr die Seele zerrissen. Das durften sie nicht sein.

Noch nicht.

Falls sie selbst diesen Krieg überlebte, würde sie die Trauer zulassen. Vorher nicht.

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Illustration: Swen Papenbrock

»Die Topsider werden den Mars nicht erreichen«, sagte Rhodan.

»Weil sie es nicht dürfen«, ergänzte sie verbissen.

»Weil sie es nicht wollen. Es ist nicht ihr Ziel. Sie testen mit diesem ersten Vorstoß nur aus. Sie demonstrieren, dass es ihnen Ernst ist.«

»Das ist doch Wahnsinn!«

Er sah sie an, nickte. »Wann wäre ein Krieg etwas anderes gewesen als Wahnsinn? Aber uns ist keine Wahl geblieben.«

»Wirklich?«

Rhodan starrte stumm vor sich hin. Sein Gesicht blieb unbewegt.