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Nr. 3068

 

Die Seele des Schulterreiters

 

Die Saphir-Heptagone von Cavtha – Monkey jagt einen Attentäter

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. NIKE QUINTO – 11. Mai 2046 NGZ

2. Cavtha – 14. Mai 2046 NGZ

3. 14. Mai 2046 NGZ

4. 14. Mai 2046 NGZ

5. 15. Mai 2046 NGZ

6. 15. Mai 2046 NGZ

7. 16. Mai 2046 NGZ

8. 16. Mai 2046 NGZ

9. Zarut – 19. Mai 2046 NGZ

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten und womöglich eine Fährte Terras zu finden, begibt sich sein Raumschiff RAS TSCHUBAI ohne ihn auf den weiten Rückweg in die Milchstraße. Mit sich nimmt die Besatzung die Erkenntnis, dass die Cairaner, die sich als Herrscher der Heimatgalaxis aufspielen, nichts anderes sind als Flüchtlinge vor einer weitaus schrecklicheren Gefahr: den Phersunen und ihrer Schutzmacht, der »Kandidatin Phaatom«.

In der Milchstraße jagt Lordadmiral Monkey von der USO derweil einen Agenten der Phersunen. Ihm geht es um DIE SEELE DES SCHULTERREITERS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Monkey – Der Lordadmiral der USO trinkt Karawanentee.

Parand Illyria – Die Kommandantin der NIKE QUINTO interessiert sich für Saphir-Heptagone.

Maxim Maximowitsch Baranow – Der Lordkommandant der USO besinnt sich auf eine frühere Berufung.

Saessbekker – Der Schulterreiter sucht Kontakt zu seinem Volk.

1.

NIKE QUINTO

11. Mai 2046 NGZ

 

Parand Illyria war im Bilde, wie sie es immer war. Diesmal fiel das Hintergrundgemälde ihrer gegenwärtigen Aktivitäten freilich etwas verwaschen aus. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

Glücklicherweise konnte die Kommandantin der NIKE QUINTO sich ihre Gedanken machen, denn Lordadmiral Monkey selbst war derzeit an Bord und füllte, wie das so seine Art war, mit seiner Präsenz die gesamte Raumschiffszentrale.

Illyria betrachtete nachdenklich die Anzeigen im Holofeld. Dort sah sie nicht mehr als die Standarddaten einer Space-Jet der CHONOSSO-Klasse: Diskusform, Durchmesser 28 Meter, Unterlichtantrieb per Librotron, Überlichtantrieb per Tevver-I-Linearkonverter, als Defensiveinrichtungen ein Prallschirm, eine hypermagnetische Abwehrkalotte und ein HÜ-Schirm, Offensivbewaffnung in Form jeweils zweier MVH-Sublicht- und Überlicht-Geschütze.

Die roten Einblendungen verrieten, dass das Überlichttriebwerk außer Funktion war, das Raumschiff selbst aber nicht gefährdet.

Ja, die Bordschützen der NIKE QUINTO verstanden ihr Handwerk ...

Parand Illyria wusste, dass sie die in den Ortungsschatten einer namenlosen Welt eintauchende Space-Jet nun aufbringen mussten, und das so schnell wie möglich, aber ein winziger Teil in ihr fürchtete sich auch davor. Denn die Besatzung bestand aus zwei Tomopaten und – sehr wahrscheinlich – Saessbekker.

Wer immer er war.

Immerhin wusste man inzwischen, dass er ein Phersune war, ein Volk, über das die USO keine Unterlagen besaß. Angeblich waren sie Feinde der Cairaner. Wie er allerdings aussah, war unbekannt, denn er trat nur als körperloser »Schulterreiter« in Wechselwirkung mit einzelnen Individuen auf und manipulierte deren Handeln.

Das machte ihn zu einem unbekannten Faktor. Die Tomopaten hingegen waren durchaus bekannt: gewalttätige, extrem gefährliche Wesen, die sich kaum stoppen ließen.

Wenn es nach Illyria gegangen wäre, hätte sie die Space-Jet geopfert und mit massivem Feuer pulverisiert, samt Tomopaten und Saessbekker.

Aber es ging nicht nach ihr.

»Verfolgung fortsetzen!«, befahl Monkey und unterbrach die Gedanken der Kommandantin. »Kurs anpassen. Ich will Ly und Genner lebend.«

»Was tun wir, wenn sie sich auf dem Planeten verbergen wollen?«, fragte Zemina Paath.

Lordadmiral Monkey warf der Thesan einen gelassenen Blick zu. »Das entspricht nicht dem Persönlichkeitsprofil der beiden Tomopaten. Sie werden sich nicht verbergen. Sie werden fliehen – von sich aus ebenso wie auf Saessbekkers Betreiben.«

»Mit allem Respekt, Lordadmiral«, sagte die Kommandantin, »es steht nicht fest, dass dieser Saessbekker überhaupt an Bord ist.«

Zemina Paath drehte den Kopf und sah sie an mit ihren fast blendend blauen Augen. Aber sie sagte nichts, sondern schenkte Illyria nur diesen verstörenden Blick.

»Er ist es«, sagte der Oxtorner. Kein Gefühl schwang in der Stimme mit, sie war so kalt wie die anthrazitfarbenen SAC-Implantate anstelle von Augen, die zum Erkennungszeichen des USO-Chefs geworden waren.

Illyria war es gewöhnt, mit der unsterblichen Legende zu sprechen. Und sie vertraute seiner Einschätzung grundsätzlich. »Gut. Können Sie ausschließen, dass Saessbekker seinen Fluchtwirt nicht längst verlassen hat? Er ist offenkundig keineswegs dumm.«

»Er ist in Panik«, sagte Monkey. »Ich kann nichts ausschließen. Aber möchten Sie zwei Tomopaten entkommen lassen?«

Illyria seufzte innerlich. Selbstverständlich nicht, und das wusste Lordadmiral Monkey nur zu gut.

Die NIKE QUINTO raste hinter der Space-Jet her. Es gab kein Entkommen.

»Abstand verringern!«, befahl Illyria. »Wir brauchen die beiden lebend. Das hat Priorität!«

Die Zentralemannschaft war ein perfekt eingespieltes Team und bedurfte keiner weiteren Anweisungen.

Monkey legte die Hände auf den Rücken und nickte langsam. »Noch nicht zugreifen!«, sagte er.

Mit diesen Worten überraschte er die Kommandantin nun doch. Sie überlegte kurz. Für den Lordadmiral war es untypisch, etwas hinauszuzögern, er war keine Katze, die mit ihrer Beute spielte.

Dann begriff sie – oder glaubte es zumindest: Die Tomopaten mochten mörderische Kreaturen sein, aber Monkeys Interesse galt Saessbekker.

Saessbekker war ein paranormaler Schulterreiter, dessen realer Körper anderswo existierte, während er seinen Geist in den eines anderen Lebewesens transferieren und sich ihm aufsetzen konnte. Saessbekker war ein parasensuelles Phänomen, ein telepathisch induziertes Bild – und gleichzeitig viel mehr. In gewisser Weise partizipierte er an Körper und Geist seines Wirtes, konnte ihn dirigieren, ihm einflüstern. Und zehrte ihn dabei aus, falls die Beobachtungen bei Daan Gudatis Besessenheit repräsentativ waren.

Wenn Monkey ihm nun also Zeit ließ ... schwächte er damit womöglich einen oder gar beide Tomopaten so, dass sie leichter zu überwältigen waren?

»Jetzt!«, sagte der Oxtorner in diesem Moment.

Und wieder überrascht er mich, dachte Illyria. Laut sagte sie: »Blitzt sie!«

 

*

 

Der Blitz war mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen. Es handelte sich um eine genau dosierte fünfdimensionale Wellenfront in einem exakt definierten Bereich des Hyperspektrums.

Die Auswirkungen waren hingegen unmittelbar zu erkennen: Die Space-Jet erzitterte, als hätte sie die Hand eines Riesen gepackt. Äußerlich unbeschädigt setzte sie ihren Flug fort, beschleunigte aber nicht mehr.

Um die Space-Jet aufzubringen, ohne sie zu zerstören, war der Aagenfelt-Blitz das Mittel der Wahl. Illyria wusste, dass Monkey das ebenso sah.

Der Aagenfelt-Blitz basierte auf der Technologie der Aagenfelt-Barriere, fokussierte die Wirkung aber kleinräumig. Er bewirkte den Totalausfall aller auf fünfdimensionaler Basis arbeitenden Geräte.

»Eine ... interessante Methode«, sagte Zemina Paath.

»Effektiv«, ging Monkey überraschend darauf ein. Für gewöhnlich war dem Lordadmiral Schweigen genug an Kommunikation bei dem, was er Grenzen des Small Talks nannte. Aber etwas an der Situation – oder an der fremdartigen Frau aus einem fremden Volk aus einer fremden Galaxis – schien ihn genug zu interessieren, um eine Ausnahme zu machen. »Kommandantin Illyria, erläutern Sie es unserem Gast?«

Illyria nickte knapp und drehte sich so, dass sie unmittelbaren Blickkontakt zu der Thesan hatte. »Der Aagenfelt-Blitz wirkt vor allem gegen Ziele im Standarduniversum, die nicht durch Paratrontechnologie abgeschirmt sind. Im Grunde lenkt er die Wirkung aller hyperenergetisch arbeitenden Aggregate aktiv in den Hyperraum ab, sodass sie blitzartig ausfallen, daher der Name.«

»Eine elegante Waffe«, murmelte die Thesan. »Warum setzt ihr ihn nicht öfter ein?«

»Weil er besonders energieintensiv ist«, antwortete Illyria. »Jeder Blitz geht auf Kosten der Schirmenergie. Indem wir ihn einsetzen, machen wir uns für einen kurzen Zeitraum massiv verwundbar.«

»Was aber bei einem Gegner wie einer Space-Jet ein vernachlässigbares Risiko bedeutet«, sinnierte die Thesan.

»Korrekt.« Illyria richtete den Blick wieder auf die Holokugel. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Monkey sich abwesend mit der Hand über den Verband fuhr, der sein Gesicht schützte. Er zupfte daran, offenkundig störte er ihn. Er vertraute wahrscheinlich viel eher auf die Kombination aus oxtornischer Regenerationsfähigkeit und der Vitalenergie, die ihm sein Zellaktivator lieferte.

»Fesselfeld!«, befahl sie. »Langsam heranholen.«

Monkey trat neben sie. Beinahe gelangweilt nahm er den Verband ab, während er die Bilder im Hologlobus betrachtete.

Zemina Paath kam ebenfalls zu ihnen. »Woran erkennen wir die Wirksamkeit?«

Illyria zog wortlos ein Diagnoseholo nach vorne. Die künstliche Gravitation, sämtliche Schirme und Antriebe der CHONOSSO-Jet und alle Waffen außer dem Thermostrahler waren ausgefallen. Das Schiff war damit praktisch hilflos.

»Was ist mit den Thermostrahlern?«, fragte die Thesan misstrauisch.

»Vernachlässigbar.« Monkey drehte ihr den Kopf zu. »Wir gehen an Bord der Jet. Ich nehme an, du möchtest dir das nicht entgehen lassen?«

Zemina Paath lächelte schwach. »Ich sehe immer wieder gerne einen Oxtorner in Aktion.«

Monkey drehte sich um und ging zum Zentraleschott. Sie folgte ihm auf dem Fuße.

Illyria grinste in sich hinein. Was für eine seltsame Kombination unterschiedlicher Wesen ...

»Eure Space-Jet steht bereit«, rief sie ihnen hinterher. Und schickte eine Sonde zu ihnen an Bord, die die Operation übertragen sollte.

Man sollte nichts dem Zufall überlassen.

 

*

 

Die kurze Pause nutzte die Kommandantin, um sich die Situation noch einmal zu vergegenwärtigen. Denn obwohl die nächsten Schritte einfach waren, blieb die Gemengelage nach wie vor komplex.

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Illustration: Swen Papenbrock

Die cairanische Legatin Nevesai Aiaraldi – offiziell nur die Legatin für das Poilusystem, faktisch aber für den gesamten Kugelsternhaufen M 15 – hatte zwei unterschiedliche Einsatztrupps angeheuert, um den Cairaner Orpard Surrutaio zu neutralisieren, der als Gefahr für den Friedensbund galt, weil er besessen war: auf der einen Seite Monkey – dessen wahre Identität sie allerdings nicht kannte – und Zemina Paath, auf der anderen Seite die beiden Tomopaten Ly und Genner. Nach Surrutaios Tod war nun einer der Tomopaten derzeit wohl von dem Wesen Saessbekker besessen, und ein anderer Bewusstseinsteil Saessbekkers trieb sich womöglich an Bord der NIKE QUINTO herum.

Saessbekkers oberstes Ziel schien es zu sein, Kontakt mit den Phersunen, seinem Volk, aufzunehmen und möglichst sogar zu ihnen heimzukehren. Über welche Möglichkeiten er im Detail verfügte, war weitgehend unbekannt. Oder wo sich sein physischer Leib befand, falls er überhaupt noch einen hatte.

Illyria war alle möglichen Analogien durchgegangen – vom Animateur der Sothos als eine Variante des Schulterreiters bis hin zum Teletemporarier Ernst Ellert –, aber nichts davon hatte ihr zu irgendeiner Art der Inspiration verholfen.

Was konnte sie dazu beitragen, den Schulterreiter zu fassen?

Und was konnten sie tun, um zu verhindern, dass Monkeys Identität den Cairanern offenbar wurde? Wie würden sie reagieren, wenn dies geschähe?

Sie mussten also nicht nur Saessbekker, sondern in jedem Fall auch die Tomopaten ausschalten. Die immerhin waren wenigstens körperlich greifbar.

Aber Saessbekker ... Vielleicht sollten sie sich mit ihm verbünden? Der Feind meines Feindes ist mein Freund, hieß es schließlich nicht umsonst. Und dass die Cairaner so eindringlich vor den Phersunen warnten, musste nicht unbedingt auch für die Galaktiker Relevanz haben.

Kurz versteifte sie sich. Waren das wirklich ihre Gedanken gewesen, oder hatte ihr eine fremde innere Stimme sie zugeflüstert?

Die Rudynerin drehte langsam den Kopf hin und her.

Nein, da saß niemand auf ihrer Schulter.

Niemand.

Ganz sicher nicht.

Sie zwang ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Statusmeldungen. Monkey und Paath betraten soeben eine Space-Jet, an der bereits ein Enterkommando aus zwei Dutzend Raumsoldaten auf sie wartete.

Startbereit, meldete Monkey.

»Viel Erfolg, Lordadmiral«, formten ihre Lippen einen lautlosen Gruß. Dann öffnete sich das Hangarschott, und die Space-Jet startete.

 

*

 

Parand Illyria verfolgte aufmerksam, wie sich die CHONOSS-Jet Monkeys jener von Ly und Genner annäherte.

»Energieanstieg bei den Thermogeschützen!«, meldete die Ortungsspezialistin.

Lyn und Genner musste es gelungen sein, den Thermostrahler in Betrieb zu nehmen, aber damit würden sie den Energieschirm der Space-Jet nicht durchdringen können. Für Monkey und sein Team bestand daher keine Gefahr.

Trotzdem. Niemand beschoss den Lordadmiral der USO.

»Gezielter Punktbeschuss«, befahl Illyria. »Schalten Sie die Kanone aus.«

Die Feuerleitoffizierin, die optisch wie eine ausgezehrte Epsalerin wirkte, folgte dem Befehl. Einen Sekundenbruchteil später schlug der Energiestrahl der NIKE QUINTO chirurgisch präzise ein.

»Ausgeschaltet«, meldete die Offizierin nüchtern. »Keine weiteren Schäden.«

Ein paar kleine Trümmerstücke schossen von der Space-Jet davon und reflektierten dabei schwach das Licht der fernen Sonne.

Illyria prüfte die angezeigten Statuswerte. Die Hüllenintegrität blieb gewahrt, das Beiboot verlor keinen Sauerstoff.

»Darf ich Ihnen einen Rat geben, Lordadmiral?«, fragte sie per Funk an.

»Positiv.«

»Da der Schutzschirm ausgefallen ist, könnte ich die Space-Jet mit Paralysestrahlen bestreichen. Das würde Ihre Mission erleichtern«, bot sie an.

»Abgelehnt«, kam es sofort. »Das erledigen wir selbst.«

Illyria hatte beinahe damit gerechnet. Monkey wollte nicht riskieren, dass Saessbekker sich fluchtartig unkontrolliert entzog.

Sie zoomte sich das Bild der aneinandergedockten Space-Jets heran. Deutlich war zu erkennen, wie einige der Raumsoldaten eine Öffnung in die Hülle schnitten.

»Schickt die Sonde hinein!«, befahl sie. »Ich will über alles auf dem Laufenden bleiben. – Bild in den Hologlobus!«

»Zugriff!«, ertönte Monkeys Befehl.

 

*

 

Über die Bilder der Sonde verfolgte Illyria, wie der Lordadmiral und seine Mannschaft vorgingen.

Monkey betrat vor allen anderen die geenterte Space-Jet. Er hatte nicht einmal den zweiten Fuß auf den Boden gesetzt, als ein Thermo- und ein Desintegratorstrahl zeitgleich und punktgenau in Monkeys Schirm einschlugen. Der Schirm flackerte lediglich, und Monkey drang mit stoischer Gelassenheit weiter vor. Die Sonde schwirrte lautlos direkt hinter ihm unter der Decke.

Vier Raumsoldaten folgten ihm unmittelbar, danach kamen Zemina Paath und die restlichen Männer und Frauen des Enterkommandos.

Und dann waren die Tomopaten da.

Sie trugen keine SERUNS und hatten ihre Ghyrds abgelegt, die Zwangsjacken ähnlichen Kleidungstücke, mit deren Hilfe sie ihre Aggressionen einigermaßen im Griff halten konnten. Ohne die Jacken nahmen sie ein aggressives und unberechenbares Verhalten an, gerieten in einen Blutrausch, den sie als cosghyrd bezeichneten. Genau das schienen sie momentan als einzige Möglichkeit anzusehen, sich dem Zugriff des Lordadmirals zumindest für ein paar Augenblicke zu entziehen.

Parand Illyria konnte nicht abschätzen, was sie antrieb. Hegten sie tatsächlich die Hoffnung auf ein Entkommen? Oder wollten sie Selbstmord begehen? Oder im Sterben als Trophäe den Oxtorner mit in den Tod reißen? Nichts klang in ihren Ohren wirklich vernünftig, aber Vernunft war derzeit tatsächlich nicht das, was das Geschehen auszeichnete.

Monkey schoss im Desintegratormodus seines Kombistrahlers.

Als hätten die beiden Tomopaten geahnt, dass er zu einem Gegenangriff ansetzen würde, wichen sie mit ihren äußerst gelenkigen Beinen dem Beschuss aus. Ihre Arme zuckten vor: hochflexible, extrem starke Tentakel mit veränderlicher Oberfläche. Sie bestanden aus Zehntausenden mikrofeiner Fasern, die sich unterschiedlich konfigurieren konnten. Mit ihren Armen konnten Tomopaten sogar Kampfroboter zerstören.

Monkey hatte bei einem früheren Kampf mit einem der Tomopaten durch dessen Tentakelhiebe Schnittwunden am ganzen Körper davongetragen, eine davon quer über die Brust.

Illyria wettete darauf, dass ihm dies nicht noch einmal passieren würde.

Er gab mit dem Desintegrator Dauerfeuer. Die Tomopaten konnten mit ihren Armen so geschickt sein, wie sie wollten, sie konnten nicht auf ewig unbeschadet ausweichen und wichen zurück.

Einer der beiden richtete den Blick nach oben Richtung Sonde, und für einen Augenblick war es, als sähe er direkt in Illyrias Gesicht. Ihr drohte das Blut in den Adern zu gefrieren. Die Gesichter der Tomopaten waren zwar annähernd menschenähnlich, wirkten jedoch unfertig und waren für sie kaum zu deuten. Aber sie nahm die absolute Gefühlskälte wahr, die in dem Blick lag, die Verachtung für jegliches andere Leben.

Immer weiter trieb der USO-Chef die Tomopaten vor sich her, immer tiefer in die mechanischen Eingeweide der Space-Jet. Die Kommandantin fragte sich allerdings, weshalb er den Kampf nicht längst beendet hatte.

Es gab nur eine Erklärung, die für sie halbwegs plausibel war: Monkey nahm diesen Kampf persönlich.

Die Tomopaten hatten ihm schwer zu schaffen gemacht. Ob sie nun unfair oder nicht vorgegangen waren, spielte für den Oxtorner keine Rolle, sie hatten sich als fast ebenbürtige Gegner erwiesen.

Das wollte er nun geraderücken. Er wollte ihnen und sich selbst beweisen, wer bei dieser Auseinandersetzung auf lange Sicht die Oberhand behalten würde. Deshalb verzichtete er auch primär darauf, die Tomopaten paralysieren zu lassen. Er zog den direkten Kampf vor.

Immer wieder peitschten ihre Tentakel auf Monkey, versuchten, sein Gesicht zu treffen. Aber so oft sie auch zuschlugen, so oft wich er aus oder wehrte die Hiebe mit der Hand ab und trieb Sekunden später seine Gegner mit gezielten Schüssen zurück.

Die Tomopaten mussten erkennen, dass er mit ihnen spielte, sie jederzeit ausschalten konnte, und doch gaben sie nicht auf. Sie standen auf verlorenem Posten, hatten keine ersichtliche Chance, und trotzdem leisteten sie Widerstand bis zum Letzten.

Aber welche Wahl hatten sie? Sie schienen sich auf keinen Fall wieder in Gefangenschaft begeben zu wollen. Zogen sie die Auslöschung ihrer Existenz tatsächlich einer lebenslangen Haft vor? Oder dem, was sie stattdessen erwarten mochte?

Einer der Tomopaten wollte wieder zwei, drei Schritte zurückweichen, prallte mit den Schultern jedoch gegen eine Wand. Er betätigte noch einmal den Auslöser seiner Waffe und warf sie dann mit einem wütenden Schrei in Monkeys Richtung. Ihr Energiespeicher war erschöpft.

Der zweite sah den Lordadmiral drohend an, zielte auf ihn, krümmte den Finger leicht um den Abzug, überlegte es sich dann doch anders und ließ die Waffe endlich fallen. Scheppernd prallte sie auf den Boden.

Das Gesicht des Oxtorners blieb ausdruckslos. »Traktorfesseln«, befahl er dann.

Beide Tomopaten schienen von einer unsichtbaren Faust ergriffen und gegen die Wand hinter ihnen gedrückt zu werfen.

Es war vorbei.

Der Lordadmiral richtete den Blick an die Decke. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. »Kommandantin Illyria, bereiten Sie alles für die Unterbringung unserer Gäste vor.«

 

*

 

»Mein oberstes Ziel bei diesem Einsatz war in erster Linie die Ergreifung der beiden Tomopaten.«

Der USO-Chef sah sich im kleinen Kreis seiner Vertrauten um. Er hatte zum Gespräch in einen Konferenzraum direkt neben der Zentrale der NIKE QUINTO gebeten. Außer Kommandantin Parand Illyria und Zemina Paath waren vier weitere Spezialisten anwesend: die Gataserin Yervas Toi als Pilotin, der Halboxtorner Daan Gudati von der RATBER TOSTAN und dessen Vertrauter, der Topsider Wno Traekknor, und schließlich die etwas übergewichtige Bela Hogam, die Monkey als brillante Analytikerin und Taktikerin sehr zu schätzen wusste.

Illyria kannte sie und hielt sie für extrem phlegmatisch und manchmal sogar überaus furchtsam. Aber niemand stieg in der USO auf, der sein Handwerk nicht verstand.

»Den Grund dafür muss ich nicht näher erläutern«, fuhr der Lordadmiral fort. »Ich musste vor allem verhindern, dass die beiden Tomopaten Kontakt mit den Phersunen oder den Cairanern aufnehmen. Zumindest nicht, solange wir nicht wissen, was das auslösen könnte. Aber was sollen wir nun mit ihnen anfangen? Sie sind gefährlich. Einen Fluchtversuch haben sie ja bereits unternommen, wenn auch ohne Erfolg.«

»Wir könnten versuchen, sie auf unsere Seite zu ziehen«, schlug Bela Hogam vor. »Werfen Sie ihnen irgendeinen Knochen vor. Machen Sie ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können.«

Illyria räusperte sich. »Mit Verlaub, das Problem sind weniger die Tomopaten.«

Der Oxtorner nickte. »Natürlich. Saessbekker. Aber eins nach dem anderen. Bleiben wir vorerst bei den Tomopaten.«

»Haben sie eine Hyperfunknachricht absetzen können?«, fragte Wno Traekknor.

Illyria schüttelte den Kopf. »Das haben unsere Spezialisten ausschließen können.«