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MICHAELA ERNST

ERROR 404

WIE MAN IM DIGITALEN DSCHUNGEL DIE NERVEN BEHÄLT

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2020 Ecowin bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Palatino, BigNoodle Titling

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: Thierry Wijnberg, totalitalic.com

ISBN: 978-3-7110-0257-0
eISBN: 978-3-7110-5281-0

INHALT

Vorwort

Warum man sich gleichzeitig für das gute Leben und die Digitalisierung interessieren kann? Genau deshalb.

A wie Amtswege

»Einfach« bedeutet nicht immer zielführend. Der Mensch hinterm Schalter ist noch immer das beste Modell.

B wie Bankgeschäfte

Der Kunde macht alles. Und soll auch noch zahlen dafür.

C wie Cloud, Crowd Working und Computerabsturz

Alle Arbeit landet in der Wolke. Und stürzt der Computer ab, ist das auch bald egal.

D wie Digitalisation versus Digitalisierung

Zwei »Digis« bestimmen unsere Arbeitszukunft. Die erste steht für Innovation, die andere für Umstellung. Doch immer schön eines nach dem anderen.

E wie emotionale Intelligenz

Die Maschine wird wichtiger? Der Mensch wird wichtiger! Herz ist Trumpf.

F wie Frauen und Technik. Eine Freundschaft

Warum in der neuen Arbeitswelt die »Frau am Steuer« kein Ungeheuer ist, sondern oftmals die bessere Lösung.

G wie GDP oder Bruttoinlandsprodukt

Sorgen in Zukunft die Maschinen für unseren Wohlstand? Und was bedeutet das für eine Volkswirtschaft?

H wie # Hashtag

Neue Sprache trifft immer auch auf Widerstand. Warum der neue Stichwort-Stil trotzdem für mehr Klarheit sorgt.

I wie Intelligenz

Wie klug ist künstliche Intelligenz wirklich?

J wie Jobs

Was bleibt, was kommt – und warum es derzeit eher mehr Arbeit gibt als zu wenig.

K wie Kulturkonsum und Kreativität

Alte Schöpfungskraft trifft auf neue. Und rundherum lauter geniale Dilettanten.

L wie Learning

Wird Bildung demokratischer? Und wie weit geht das gut?

M wie MINT oder Mindset

Warum die Hype-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik nicht der Weisheit letzter Schluss sind.

N wie Nerd

Hallo, gibt’s den noch? Oder sind wir nicht längst alle zu Sonderlingen mit sozialem Knacks mutiert?

O wie Open Source und Open Innovation

Gegen das Herrschaftswissen. Warum der öffentliche Zugang zu Wissen und Forschung nicht verhindert werden soll.

P wie Politik

Warum Social Media die Politik vorwärtsbringt – und das Empörium regiert.

Q wie QR-Code

Ein Kästchen, das alles einfacher macht, aber mit Vorsicht zu genießen ist.

R wie Resilienz

Wer immer schön geschmeidig bleibt, ist am Ende der Sieger.

S wie die Selbstverwirklichung des Menschen. Und Singularität der Maschinen

Mehr Freiheit, mehr Glück? Wie wir unsere persönlichen Freiheiten in Digitalien ausbauen.

T wie Transformationsprozess

Warum sich der Wandel nicht wie ein nächtliches Ungeheuer plötzlich in unser Leben drängt. Und was das alles mit der Klimadebatte zu tun hat.

U wie Ueberwachung

Wo wir sie hinnehmen und wo sie uns nervt. Und warum ein total überwachtes Arbeitsfeld nicht zur Leistungssteigerung beiträgt.

V wie Verkehr, autonom

Warum ein paar Meter Sicherheitsabstand zum Digibus oder zum selfdriving car eine ziemlich gute Idee sind.

W wie Wir. Das progressive Wir

Das Ich wird befeuert – aber das WIR ist die Lösung.

X wie »eX-ponentielles« Wachstum

Was macht ein Unternehmen fit für die nächste Generation? Wie funktionieren exponentielle Strategien? Und muss tatsächlich alles so schnell gehen?

Y wie Generation Y

Mythen und Fakten rund um die Generation der Digital Natives. Und was wir von den Jüngeren lernen können.

Z wie Zeitersparnis

Warum die längst enttarnte Lüge immer noch wie ein großes Versprechen wirkt.

Epilog

Danksagung

Literatur

Die Autorin

Für Michael, Kristof und Desirée

»In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten.«

Albert Einstein

»Technologie ist kein Schicksal. Wir haben unser

Schicksal selbst in der Hand.«

Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee in The Second Machine Age

VORWORT

WARUM MAN SICH GLEICHZEITIG FÜR DAS GUTE LEBEN UND DIE DIGITALISIERUNG INTERESSIEREN KANN? GENAU DESHALB.

Googeln Sie sich eigentlich manchmal selbst?

Jetzt fragen Sie vielleicht: »Wie bitte? Was soll der Blödsinn?«

Ähnliches habe ich gesagt, als man mir zum ersten Mal diese Frage stellte. Das liegt schon etwas länger zurück und war noch in meiner Pre-Social-Media-Phase. Sich selbst zu googeln erschien mir damals als eine Form der narzisstischen Abartigkeit, die es zu vermeiden galt. Was gab es schon, was mir Google über mich erzählen konnte, was ich selbst nicht längst wusste? Die reine Neugierde, was das Internet so über mich zu sagen hatte, ließ mich dann doch ein bis zwei Mal im Jahr nachsehen.

Mittlerweile google ich mich nicht mehr, sondern habe meinen Namen auf Google Alerts aktiviert und fühle mich dabei total normal. Denn bei dieser Einstellung geht es nicht um digitales Posieren, sondern darum, den Überblick zu behalten – einen Überblick über das, was der Algorithmus da draußen über einen zusammenrechnet.

Für mich stimmt das Ergebnis. Und es stimmt nicht. Es erzählt von journalistischen Stationen, die das Bild eines genussfreudigen Menschen zeichnen, der sich vorzugsweise mit Kochbüchern, guten Restaurants und Ernährungstipps befasst. Zumindest ist das ein Teil der Wahrheit. Die Listung ändert sich auch nicht, wenn ich den Zusatz »Digitalisierung« eingebe. Das tut es erst bei »Industrie 4.0«, aber wer kommt schon auf die Idee »Michaela Ernst Industrie 4.0« einzugeben, außer vielleicht die Studienkollegen, die mich durch meinen zweiten Bildungsweg begleiteten.

Schon dieses ganz banale Beispiel zeigt, wie widersprüchlich beziehungsweise irreführend und ungenau die digitale Welt ist. Deshalb auch dieser Titel: Error 404. Er entspricht der Meldung, die am häufigsten aufpoppt, wenn man sich gerade wieder einmal die Zähne an den Hindernissen des digitalen Paralleluniversums ausbeißt. Und er bedeutet: Page not found. Fehler! Zurück an den Start.

Error 404 soll dieses ganze Dilemma auf den Punkt bringen, dem wir derzeit ausgesetzt sind. Wir – das ist eine Gesellschaft im Transitraum, in der die alten Erzählungen grobe Risse haben und die neuen sich noch nicht unter Beweis gestellt haben. Mit diesem Buch versuche ich die zahlreichen, einander oft konterkarierenden Zuspitzungen rund ums Digitale aufzuzeigen, egal ob es sich um moderne Amtswege, die Angst vor dem Jobverlust, Resilienz als Überlebensstrategie oder die Lüge der Zeitersparnis handelt. Müssen wir uns deshalb fürchten? Können wir darüber lachen? Sollen wir einfach auf den Zug aufspringen und schauen, wohin die Reise geht? Oder wäre es nicht angebracht, auch Widerstand zu leisten? Meine Antwort auf diese Fragen lautet: Ja. Von allem ein bisschen. Deshalb die Aufteilung in 26 Kapitel, die alle in irgendeiner Form unseren Alltag betreffen – durchaus mit dem Anspruch wachzurütteln. Denn wenn wir schon Teil der Veränderung sind, sollten wir die Macht, diese mitzugestalten, nicht allein Datenexperten und 25-jährigen Programmierern von Algorithmen überlassen.

Auf den Begriff »Digitalisierung« war ich erstmals durch meinen Brotjob gestoßen. Damals leitete ich beim österreichischen Nachrichtenmagazin profil ein »Extra«-Ressort mit wöchentlich wechselnden Schwerpunkten. Um dem Ganzen einen zusätzlichen Twist zu geben, spannte ich das Thema »Innovation« als roten Faden quer durch alle Bereiche. Es waren vor allem Kollegen wie der viel zu früh verstorbene Rainer Himmelfreundpointner, aber auch Robert Prazak, Alfred Bankhamer oder Christian Prenger, die mit ihren Geschichten mein Interesse am Thema weckten.

Parallel dazu erfuhr ich, wie alle Kollegen im Journalismus, gewaltige berufliche Veränderungen. Die Digitalisierung hatte unser aller Aufgabengebiet auf fast obszöne Weise vervielfacht. Teilweise hatte ich für Verlage gearbeitet, bei denen wir vorgefertigte Layouts übermittelt bekamen, in die wir nicht nur unsere Texte, sondern auch – auf Basis einer vorgegebenen Fotoagenturliste – Bilder suchen und selbst einfließen lassen sollten. Jüngere Kollegen wurden bei ihren Recherchen zusätzlich verdonnert, Videos für den Online-Auftritt mitzudrehen. Diese Arbeitssituation liegt bald zehn Jahre zurück und war damals mehr als außergewöhnlich. Mittlerweile wird sie in vielen Unternehmen als normal vorausgesetzt.

Als ich im Herbst 2013 ein berufsbegleitendes Studium begann, wusste ich weder, worauf ich mich einließ, noch, wohin es mich führen würde. Drei Jahre später war ich um viele großartigen Erfahrungen reicher, denn diese Zeit war zeitgleich extrem anstrengend und schön. Kann ich jedem nur empfehlen, der jenseits der 40, bei bester Gesundheit und (immer noch) leicht getrieben ist. Meine Abschlussarbeit widmete ich den veränderten Arbeitsbedingungen durch Industrie-4.0-Prozesse. So nennt man sich selbst optimierende Automatisierungsprozesse, die derzeit vorwiegend in der industriellen Produktion eingesetzt werden. Dazu befragte ich Fabrikarbeiter in drei unterschiedlichen Betrieben und war mächtig stolz auf meine Idee, da es zum damaligen Zeitpunkt in Österreich noch keine vergleichbare Studie gab.

Umso schräger fand ich den Moment, als mir bewusst wurde, dass mich ausgerechnet meine Nachforschungen über die neue Arbeitswelt genau in jene »alte« Arbeitsweise zurückführte, die die Digitalisierung im Journalismus breitflächig ausgelöscht hatte. Nämlich hinaus zu den Menschen zu gehen, ihnen von Angesicht zu Angesicht Fragen zu stellen. Sich für sie Zeit zu nehmen, sie bei ihrer Tätigkeit zu beobachten und damit neue Welten erschlossen zu bekommen, über die es sich zu berichten lohnte. Genau aus diesen Gründen bin ich vor mehr als 35 Jahren Journalistin geworden. Es waren die Momente, die ich an meinem Beruf am meisten liebte. Heute stellen sie die Ausnahme dar.

Denn jemanden auf ein persönliches Gespräch zu treffen, bedeutet in unserem Zeitalter Ineffizienz. Um ein Bild von der Welt zu bekommen, schaltet man den Computer ein, klickt sich durch Twitter, Youtube und andere Nachrichtendienste. Etwas nachzu- oder zu hinterfragen, bedeutet: kompliziert sein. Und wer nicht sofort den Durchblick hat, kann ja bei Prof. Google oder Wikipedia Nachhilfe nehmen.

Unmittelbar nachdem ich begann, an Error 404 zu arbeiten, brachte ein digitaler Vorfall eine meiner Freundinnen zu Fall. Sie war Opfer eines Hacker-Angriffs geworden, möglicherweise sogar einer deepfake-attack – so nennt man jene künstliche Intelligenz, der es gelingt, täuschend echt wirkende Bilder oder Videos herzustellen, die nichts mit dem echten Leben zu tun haben. Diese Technik ist ein wahres Ungeheuer, denn sie basiert auf künstlichen neuronalen Netzwerken, die weitgehend autonom über gefälschte Medien laufen. Keine 48 Stunden später hatte sie nahezu keine Familie mehr. Fast alle hatten sich von ihr abgewandt, ohne ein Wort mit ihr gesprochen zu haben. Selbst ältere Familienmitglieder, die das Treiben im Netz stets distanziert und kritisch betrachtet hatten, stellten mit einem Mal keine Fragen mehr und ließen sich von dem Sog der Ablehnung mitreißen. Über Nacht wurde diese Person für sie ausgelöscht und mit ihr jene, die der Hetzjagd keine Folge leisten wollten.

Dazu noch eine zweite Geschichte. Vor einigen Jahren wurde mein Facebook-Account von einem Porno-Virus geflutet. Ich schreibe bewusst geflutet, weil er nahezu auf all meine Follower überschwappte. Unter anderem auf den Account meiner Mutter. Geistesgegenwärtig und, wie ich fand eigentlich auch ziemlich cool, warnte meine 75-jährige Mutter daraufhin all ihre friends. Doch für einige wenige kamen ihre Bemühungen zu spät. Sie schickten ihr erboste Nachrichten, entfernten sie aus dem Freundesnetz und wollten nichts mehr von ihr wissen. Sie nahm’s mit Humor. Ein Glück.

Beide Beispiele zeigen, wie sehr sich unsere Art der Wahrnehmung durch das Digitale gewandelt hat. Sie wird nicht mehr hinterfragt. Wir haben das Prinzip der schnellen Botschaften mittlerweile so stark verinnerlicht, dass wir die meisten davon als gegeben hinnehmen. What you see, is what you get. Im Zweifelsfall greifen wir sogar noch eher zu Verschwörungstheorien, als dass wir unser Hirn bemühen. Ist ja auch kein Wunder: Information prasselt im Minutentakt auf uns ein, wie soll man da einen klaren Kopf behalten?

Als ich vor 20 Jahren ein Interview mit dem deutschen Entertainer Harald Schmidt führte, sagte er: »Das Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer«. Dieser Satz fällt mir manchmal beim Thema Digitalisierung ein. Denn so schrecklich und abstoßend die zwei Beispiele sind, die ich eben erzählte, steht auf der anderen Seite eine Vielzahl erfreulicher Veränderungen und Botschaften. Heute könnte man sagen: Das Digitale macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer. Es macht aber auch die Schlechten schlechter und die Guten besser. Diese ganze Kultur des Teilens, des sharing, ist so ein Beleg, dass sich vieles zum Besseren wendet. Es erzeugt eine neue Form des sozialen Miteinanders, der Nachhaltigkeit und einen Gegenpol zum kopflosen Konsum, der irgendwann in den 1980er-Jahren losging und 2008 implodierte. Und es zeigt ein Beispiel auf, wie sich jeder von uns im Kleinen einbringen kann, den Wandel positiv zu gestalten.

Mitten in der Schlussproduktion dieses Buches wütete das Corona-Virus auf der ganzen Welt. Innerhalb von knapp zwei Wochen kam es allein in Österreich zu mehr als 500 000 neu gemeldeten Arbeitslosen. Weil auch nicht jeder Betrieb über die Ressourcen verfügte, unter solch extremen Voraussetzungen ein innovatives Überbrückungskonzept anzugehen. Jene, die ihre Aktivitäten mit Hilfe digitaler Tools auf Home-Office umstellen konnten, hatten es vergleichsweise gut.

Vor allem offenbarte uns die Situation Folgendes: Alle Änderungen, die uns in Zusammenhang mit der Digitalisierung ankündigt wurden, hat letztendlich nicht das Virtuelle, sondern das Virus herbeigeführt. Und zwar innerhalb weniger Tage. Den massiven Jobverlust, das (vorübergehende) Verschwinden von Arbeitsmodellen, die Entstehung neuer Dienstleistungen, die Aufwertung von Krankenpflege- und Betreuungsberufen. Und es hat uns gezeigt, was das zutiefst Menschliche ausmacht – und worin dieses Postulat eigentlich besteht, das die Vordenker „Digitaliens“ immer wieder einfordern: Nämlich, dass wir uns jener Eigenschaften besinnen, die unser Zusammenleben ausmachen und uns letztendlich über die Maschinen stellen. Problembewusstsein, Lösungsorientiertheit, Mitgefühl, vernetztes Denken und die Fähigkeit unmittelbar auf Chaos einzugehen und dieses auch zu beseitigen, beziehungsweise abzuschwächen.

Keine digitalen Technologien, sondern nur Menschenwissen, Menschenkönnen und Menschenhilfe werden dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich der Orkan, der dieser Tage über unser aller Leben fegte, auch wieder legte. (Ich hoffe sehr, dass die Vergangenheitsform bis zum Erscheinen dieses Buches angemessen ist!). Doch auch für die Digitalisierung wird nach dieser Katastrophe vieles nicht mehr so sein wie früher. Auch sie wird ihren Platz inmitten von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Sinnhaftigkeit teilweise neu definieren müssen.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen guten Aufenthalt in meinem »Digitalien« – anregend, informativ und, trotz der schwierigen Zeiten, hoffentlich auch zum Lachen. Und noch ein paar Tipps für die Reise:

Sagen Sie nichts in den Social Media, was dem echten Leben nicht standhält.

Drehen Sie keine krummen Dinger, denn eines hat uns dieses junge 21. Jahrhundert bereits gelehrt: Alles, was ans Tageslicht kommen soll, landet auch dort.

Hüten Sie Ihre Passwörter, als wären sie die Liebesbriefsammlung ihrer Großeltern. Behalten Sie Ihr Smartphone im Auge, besonders wenn alkoholisierte Freunde rund um Sie sind. Gönnen Sie Ihren Kindern regelmäßig Langeweile. Bleiben Sie integer, verständnisvoll, engagiert und hinterfragend. Be a Mensch.

A WIE AMTSWEGE

»EINFACH« BEDEUTET NICHT IMMER ZIELFÜHREND. DER MENSCH HINTERM SCHALTER IST NOCH IMMER DAS BESTE MODELL.

Als mein letzter Steuerberater seine Kanzlei schloss, um sich einer neuen Lebensphase abseits von Zahlen und Paragrafen zuzuwenden, beschloss ich, leicht zu erledigende Dinge ab nun selbst in die Hand zu nehmen. Umsatzsteueranmeldung, Einkommensvorauszahlungen, Ansuchen um Ratenzahlungen, so Sachen. Doch dazu muss man sich erst einmal bei Finanzonline anmelden.

Die Anmeldung ist meines Erachtens der schwierigste Schritt – sowie ich überhaupt der Meinung bin, dass der Amtsweg ein besonders perfider Intelligenztest ist. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber jedes Mal, wenn mich eine staatliche Institution zur Handlung zwingt, lande ich an den Grenzen meiner Möglichkeiten. Um mich für die Zusendung der Registrierungsdaten anzumelden, verbrachte ich einen Vormittag auf dem Finanzamt. Analog wohlgemerkt. Zur Sicherheit ließ ich mir dort alles anhand von Schimmelformularen erklären, sodass eigentlich nichts mehr schiefgehen konnte. Wenige Tage später wurden mir die Daten per Einschreiben zugestellt. Doch vor lauter Angst erneut zu versagen, ließ ich das Kuvert so lange liegen, bis die Anmeldefrist verstrichen war und die mir zugesandten Codes den Wert einer abgelaufenen Packung Eier hatten. Das bedeutete: Neustart. Beim zweiten Anlauf scheiterte ich an Ich-weiß-nicht-was. Möglicherweise brachte ich die Vielzahl der Pins, Passwörter und sonstigen Identifikationen durcheinander, die zur Aktivierung eingegeben und in einem zweiten Arbeitsschritt personalisiert werden mussten.

Sie steigen beim Lesen aus?

Sehen Sie, genauso geht’s mir, wenn ich mit digitalen Ämtern zu tun habe. Offenbar befinde ich mich mit meiner Formular-Phobie, für die noch kein medizinischer Fachausdruck existiert (Warum eigentlich nicht?) in guter Gesellschaft. Laut EU-weitem DESI-Index 2019 – das Kürzel steht für den Digital Economy and Society Index – nützen gerade einmal 64 Prozent der EU-Bürger die Applikationen ihres jeweiligen E-Governments. In Deutschland sind es überhaupt nur 43 Prozent. Damit rangiert das Land, das ansonsten den Ruf genießt, technikaffin und im Umgang mit dem Internet überdurchschnittlich begabt zu sein, auf Platz 26 der 28 EU-Staaten. Dahinter kommen nur mehr Italien und Griechenland.

Erklärt wird das Ranking-Debakel mit der digitalen Kluft zwischen Stadt und Land. Gut, dieses Problem kennen auch andere Länder. Des Pudels Kern dürfte vielmehr in der schlecht funktionierenden Onlinekommunikation zwischen Bürgern und Behörden liegen.

Erstaunlicherweise schneidet Österreich bei DESI weit besser ab, obwohl es in den Bereichen Konnektivität, Internetnutzung und Integration der Digitaltechnik unterdurchschnittliche Werte ausweist. Im Bereich »Digitale Öffentliche Dienste« nimmt es Platz 12 ein und positioniert sich damit im obersten Drittel der Richtigmacher. Derzeit nutzen 68 Prozent der österreichischen Internetuser bei ihren Amtswegen die E-Spur. Und das, obwohl die App Digitales Amt im Google Play Store mit schwächelnden 2,5 von 5 möglichen Sternen bewertet wird.

Schlechte Noten haben nicht zwingend Bedeutung. Schließlich ist Österreich ein Land, in dem man stolz ist auf seine grantelnden Kellner, deroutierten Politiker oder zürichgroße Friedhöfe. So gesehen könnte die schlechte Bewertung auch eine besonders gute sein: Die Österreicher lieben oft, was sie hassen. Vermutlich, weil dies die besseren Geschichten erzählt. »Selbst nach Monaten unbrauchbar«, kritisiert Michael H. die App auf Google. »Stürzt laufend ab, verlangt laufend den Fingerabdruck und lässt sich nur mit weiterem Computer freischalten«, bemängelt ein anderer Michael. »Funktioniert einfach nicht … und als ich angerufen habe, wusste der Herr am Telefon nicht einmal, was das digitale Amt ist«, klagt ein anonym bleibender User unter dem Kürzel »FRM«. Hinsichtlich so manchem Beamten-Update dürfte also noch Luft nach oben herrschen.

Am stärksten schneiden beim DESI-Test 2019 die üblichen EU-Streber ab, die schon beim PISA-Test die Bestnoten kassieren: Finnland, Schweden, die Niederlande und Dänemark. Auch in Estland läuft alles wie am Schnürchen. Ob man sie darum beneiden soll, hängt wohl von der Situation ab. Denn hinter einer Begegnung mit dem Amt steckt oft mehr Lebensgeschichte, als man glaubt.

Als ich im Frühjahr 2019 am Wiener Standesamt meine Hochzeit anmelden wollte, ergab sich eine Problematik, die derzeit kein digitales Amt lösen könnte. In meinen Alt-Dokumenten war ich nach wie vor unter dem Namen meines Ex-Mannes registriert. Daher stand ich vor folgenden Möglichkeiten: Entweder behalte ich den Namen des Ex oder ich steige um auf den Namen meines zukünftigen Mannes. Oder ich führe einen Doppelnamen bestehend aus zweiter und erster Ehe.

Trotz meiner positiven Erinnerungen an die Vergangenheit und der Begeisterung für die Zukunft wollte ich eines nicht: als Männersammlerin glänzen und dafür meinen Mädchennamen aufgeben. Schon in meinen Schulzeugnissen steht »sollte ernsthafter sein« und bei beruflichen Terminen werde ich häufig mit dem Eisbrecher empfangen: »Hoffentlich sind Sie nicht so, wie Sie heißen«. Kurzum: Mein Dasein ist eng an meinen Geburtsnamen geknüpft, daher kommt es für mich nicht infrage, ihn aufzugeben.

Dieses drohende Rambazamba rund um vergangene, aktuelle und zukünftige Namen hätte ich vorausahnen sollen, erklärte mir die mir gegenübersitzende Amtsmitarbeiterin. Als ich sie fragte, woher denn eigentlich, sah sie mich nun genauso verdutzt an wie ich sie. Noch ist es ja bei uns nicht so wie beim Zürcher Straßenverkehrsamt, wo der ratsuchende Bürger telefonische Ersthilfe von einem Voice-Bot bekommt, einem Sprachroboter, der Deutsch, gebrochenes Deutsch und den Walliser Dialekt spricht und allein aufgrund dieser Vielsprachigkeit in seiner Testphase 72 Prozent der an ihn gestellten Anliegen richtig »bearbeitete«.

Am Ende bin ich dann aber an eine grundgütige Abteilungsleiterin geraten. Die übliche Vorgehensweise in meinem Fall hätte nämlich gelautet: Reset-Taste drücken, Hochzeitstermin stornieren, von vorne beginnen – einen neuen Staatsbürgerschaftsnachweis mit Mädchennamen beantragen, sonst kann dieser später nicht im Doppelnamen geführt werden. Damit hätten mein zukünftiger Mann und ich das Risiko gehabt, mit unserem Wunschtag aus dem Rennen zu fliegen. Denn eines muss man wissen: Es wird verdammt viel geheiratet dieser Tage, dementsprechend schwer ist es, einen »guten« Termin zu bekommen.

Das Ende der Geschichte: Zwei Tage später erschien ich mit meinen neuen Dokumenten, damit gab uns die freundliche Beamtin das definitive Go.

Eine durch und durch e-gegovernte Welt hat für solche Eskapaden keinen Platz. Was nicht Norm ist, wird glattgebügelt – ansonsten fliegt der Bürger mit seinen Wünschen, seiner besonderen Biografie aus dem System. Und trotzdem. Für einen komfortablen Staatsservice liegt die Zukunft im Digitalen. Niemand will mehr zu vorgegebenen Zeiten persönlich beim Amt erscheinen oder Formulare abholen müssen, wenn diese auch auszudrucken sind. Keiner versteht, warum die Ummeldung eines Hauptwohnsitzes nicht einfach komplett am Computer, sondern teilweise immer noch persönlich beziehungsweise über den Postweg zu erledigen ist.

Genau darin sind die Skandinavier Weltmeister. Denn sie gestalteten die Übertragung von Amtswegen auf digitale Kanäle so, dass intelligente Systeme nur dort eingesetzt werden, wo es zu einfachen, repetitiven Tätigkeiten kommt. Schließlich soll es bei der Automatisierung nicht ums Ersetzen, sondern ums Verbessern von Bedingungen gehen. So sah das auch der Leiter des Zürcher Straßenverkehrsamtes, bevor er seinen Sprachroboter ins Feld schickte: »Die Bürger können wählen, ob sie statt mit einem Mitarbeiter mit dem Sprachroboter sprechen wollen und von ihm sofort eine Antwort erhalten«, sagte er in einem Interview.1 Deshalb sei in seiner Abteilung auch kein Stellenabbau geplant.

Grundsätzlich bedeutet das alles, dass digitale Services so auszustatten sind, dass der User bei seinem »Amtsweg« keine Abstempelung, sondern bestenfalls sogar eine Form von Wertschätzung empfindet. Man braucht sich ja nur etwas umzuhorchen, um zu merken, dass schon in der analogen Welt Bürger nicht selten darüber klagen, bloß eine »Nummer« zu sein. Wer das nicht glaubt, muss nur einen halben Tag im Warteraum eines Sozial-, Arbeitsamtes oder einer Krankenkasse verbringen.

Ein Algorithmus, der das Ausmaß des Persönlichen erkennt, wäre somit die Lösung, ein KI-Beamter mit Sensoren für das Individuelle. Nicht, dass so etwas technisch nicht längst möglich wäre. Diese KI-Systeme werden durch einen sogenannten »Lernprozess« geschickt, in dem Fehlermachen Bestandteil des Lernprozesses ist. Wer aber möchte schon gern Teil eines Fehlermachprozesses sein, wenn es um die eigenen Daten geht? Darüber hinaus verschlingt die Entwicklung eines solch anpassungsfähigen Programms eine gewaltige Summe Geld. Beide Argumente sind für Staaten unattraktiv, also wird die Begegnung mit Beamten wohl noch nicht so bald aus der Mode kommen.

So stellen Sie es sich mit Ihrem Beamten-Bot gut. Drei Mal Umgangsformen.

Sprechen Sie klar und deutlich, sonst schickt er Sie durchs ganze Amtsgebäude. Das geht zwar nicht in die Beine, weil virtuell – dafür umso mehr auf die Nerven.

Sprechen Sie bloß nicht zu schnell, sonst erleben Sie eine Endlos-Fragestunde. Denn wenn Ihr Bot Sie nicht beim ersten Mal versteht, riskieren Sie, dass er auch bei den nächsten drei Anläufen scheitert.

Schreien Sie den Amts-Bot nicht an, wenn er Sie nicht gleich versteht. Sonst riskieren sie, dass er sich Negatives über Sie zusammenreimt und der Algorithmus Ihre Telefonnummer auf die Watchlist des Amtes setzt.

1 »Sie sind verbunden mit unserem Sprachrohr« von Daniel Fritzsche. Neue Zürcher Zeitung vom 3. Januar 2020

B WIE BANKGESCHÄFTE

DER KUNDE MACHT ALLES. UND SOLL AUCH NOCH ZAHLEN DAFÜR.

Manchmal, wenn das Leben droht, zu still zu werden, schlage ich meinem Mann vor, ein paar Kontoüberweisungen durchzuführen. Was dann abgeht, ist eine Mischung aus Wagner-Oper, Star Wars und Game of Thrones – je nachdem, welche Message die Zahlschein-Einlesemaschine, der elektronische Message-Dienst oder der Mitarbeiter vom Callcenter am anderen Ende der Welt von sich gibt. Dass der Überweisungsakt auch hin und wieder reibungslos abgeht, ist eher die Ausnahme als die Regel.

Zahlungen wie Sozialversicherung oder Steuern lehnt der Automat prinzipiell ab, da ihm die Summe meist zu hoch erscheint. Bei kleineren Beträgen zickt er gern herum und teilt mit, die Schrift nicht entziffern zu können. An besonders dreisten Tagen behauptet er, dass die Kontonummer, die er eben mittels eingeschobener Bankomatkarte zu lesen bekam, nicht existieren würde. Vorgedruckte Erlagscheine großer Konzerne lehnt er sicherheitshalber gerne ab – selbst wenn die Unternehmen Bankkunden sind.

Alle zwei bis drei Monate kommt es dann zur aktiven Aufregung meines Mannes beim jeweiligen Schalterbeamten, Filialleiter oder bis hin zur Geschäftsführung. Das sind wiederum Momente, in denen ich froh bin, nicht dabei zu sein – vor allem, wenn ihm vorgeschlagen wird: »Dann steigen Sie doch um auf Onlinebanking«.

Er will das nicht. Er hat die Fünfzig überschritten und wie die meisten seiner Generation kein besonders vertrauensvolles Verhältnis zur digitalen Welt, schon gar nicht, wenn es um Geld geht. Zwar verwenden 59 Prozent der Deutschen und 58 Prozent der österreichischen Internet-User ihren Anschluss auch für Online-Banking, doch insgesamt bleibt die Bankomatkarte weiter der Spitzenreiter bei Transaktionen rund ums Geld.2 In Deutschland nutzten gar nur 25 Prozent der über 65-Jährigen Online-Banking.3 Und eine Studie des Dialog Marketing Verband Österreich und Google besagt, dass eine Bank-App für die sogenannten Best Ager nur halb so eine wichtige Rolle spielt wie bei jungen Erwachsenen – das persönliche Gespräch mit dem Betreuer hingegen bestimmt weiterhin den Grad der Sympathie und des Vertrauens gegenüber der Bank.

Das zweite blutdruckfördernde Argument für Menschen wie meinen Mann ist, wenn Dienstleister ihre zunehmend schwindende Dienstleistung damit erklären, dass die Modernisierungen doch nur »zum Besten« für die Kunden seien! Rufzeichen! Doppelrufzeichen!! Was sie dabei übersehen: Ab einem gewissen Alter lassen sich Menschen nicht besonders gern erklären, was für sie »besser« sei. Bekommen sie auch noch als Draufgabe angekündigt, dass durch die neuen Maßnahmen in Zukunft alles »einfacher« werde, schaltet sich zumindest bei den Geerdeten der Verstand auf Alarmmodus. Eines hat die Erfahrung der letzten zehn Jahre den Kunden gelehrt: Wo immer »einfach« auf einer Dienstleistung stand und steht, wird es für ihn im Regelfall bloß komplizierter.