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Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:

Die grüne Fee und der kalte Tod
Die grüne Fee und das rote Blut

Nina Röttger wurde am Freitag, den 13. September 1991, in Troisdorf geboren und lebt auch heute noch dort. Nachdem sie Germanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studiert und sich dabei auf mittelalterliche Literatur (und deren blutrünstigere Aspekte) spezialisiert hat, schreibt sie nun an ihrer Doktorarbeit. Die grüne Fee und der Mord auf der Marksburg ist ihr dritter Roman um die neugierige Gauklerin und Hobbydetektivin Isa Bocholt.

Nina Röttger

Die grüne Fee
und der Mord
auf der Marksburg

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Originalausgabe
© 2020 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de

E-Mail: info@kbv-verlag.de

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von © Deutsche Burgenvereinigung e. V.
Lektorat: Nicola Härms, Rheinbach
Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm
Printed in Germany
Print-ISBN 978-3-95441-521-2
E-Book-ISBN 978-3-95441-532-8

Inhalt

Über den Autor

Hinweis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Quellenverzeichnis

Danksagung

Hinweis

Werte Recken, holde Maiden: Das Burgenfest zu Manderscheid gibt es natürlich wirklich. Ebenso wie die Marksburg, in deren Küche man tatsächlich ein sogenanntes »Grafenmahl« genießen kann. Die Figuren und Ereignisse in diesem Roman sind jedoch allesamt frei erfunden – sie haben nichts mit echten Personen oder Veranstaltungen zu tun.

Prolog

Ist das dein Ernst?«

»Ich sage nur, dass du besser auf dich aufpassen sollst.«

»Und das von dem Mann, der mal einem zwei Meter großen Berserker die Freundin ausgespannt hat.«

Isa Bocholt fühlte sich, gelinde gesagt, verarscht.

Das Burgenfest zu Manderscheid, auf dem sie an diesem Wochenende auftraten, war perfekt. Zu Füßen der mächtigen Niederburg, die auf ihrem grün bewaldeten Felsen thronte, lag die Turnierwiese, wo Handwerker ihre Buden aufgebaut hatten, Schankwirte die Kelche füllten und Ritter zu Pferde kämpften. Eingerahmt von der wilden Vulkaneifel, erreichte man diesen Ort kaum auf anderem Wege als mit speziellen Shuttlebussen. Die Felsen und Bäume waren wie ein Vorhang, der das Tal vom Rest der Welt zu trennen schien. Den ganzen Tag über hatte die Sonne geschienen, kein einziges Wölkchen den Himmel getrübt; selbst nachdem es dunkel geworden und zum Ende des Markttages ein prächtiges Feuerwerk veranstaltet worden war, blieb die Sommernacht schwer und warm und süß.

Und ausgerechnet dort, an ausgerechnet diesem Abend, fing Alex schon wieder davon an.

»Im Ernst, Isa. Marek hat es schon einmal geschafft, dich aufzuspüren. Beim nächsten Mal begnügt sich der Dreckskerl vielleicht nicht mehr damit, dir bloß Angst einzujagen.«

Isa seufzte.

Im vergangenen Mai – keine zwölf Stunden, nachdem Isa alias »die grüne Fee von Absinth«, ihres Zeichens Gauklerin und Hobbydetektivin, eine Doppelmörderin dingfest gemacht hatte – war das Grauen über sie gekommen, untermalt vom statischen Rauschen einer schlechten Telefonverbindung.

»Hier spricht Kommissar Pösch aus Siegburg. Ich muss Sie leider darüber informieren, dass Ihr Exfreund, Marek Koskov, bei einem routinemäßigen Ausführungsversuch aus dem Gewahrsam entkommen konnte. Nach ihm wird jetzt bundesweit gefahndet. Wir werden ihn sicher bald fassen, aber Sie sollten trotzdem auf sich aufpassen, Frau Bocholt. Koskov ist eventuell auf der Suche nach Ihnen.«

Eventuell. Isa musste noch immer ein verächtliches Schnauben unterdrücken, wenn sie an dieses Wort dachte. Marek hatte sich zum Zeitpunkt des Telefonats schon längst in ihrer Nähe aufgehalten. Sie beobachtet. Ihr Gegenstände gestohlen. Eine rote Rose am Eingang ihres Zelts hinterlassen. Was Isa zuerst für seltsame Zufälle gehalten hatte, waren in Wahrheit Psychospielchen gewesen. Machtdemonstrationen ihres ganz persönlichen Dämons, der in den Schatten lauerte und darauf wartete, dass die Furcht sie übermannte.

Und sie hatte sich gefürchtet. Auch wenn sie es nur ungern zugab.

Etwa einen Monat lang hatte sie auf jedem Mittelaltermarkt, auf dem sie mit ihrer Band Manus Furis auftrat, in der Menge sein Gesicht gesehen. Überall hatte sie braune Augen entdeckt, deren Blick sie zu verfolgen schien. Hatte ständig seinen Atem im Nacken gespürt, heiß und fiebrig wie in jener Nacht, als sie herausgefunden hatte, dass er seinen eigenen Vater umgebracht hatte. Als er versucht hatte, Isa mit ihrem eigenen Messer zu töten, damit sie niemandem verriet, was er getan hatte.

Doch irgendwann, nach der wohl hundertsten Gänsehaut, war ihr etwas Wichtiges klar geworden.

Es passierte gar nichts.

Alles, was sie sah und hörte, entsprang bloß ihrer eigenen, blühenden Fantasie. Genau wie die Albträume, die sie manchmal heimsuchten. Marek hinterließ keine schaurigen Blumengrüße mehr, passte sie nicht in der Dunkelheit ab und glänzte auch sonst durch Abwesenheit.

Nach dieser Erkenntnis hatte die Angst begonnen, sich wie ein Gespinst aus kaltem Nebel in der stärker werdenden Sommersonne aufzulösen. Und nun, am letzten Wochenende im August, stand die grüne Fee mit Alex, dem Dudelsackspieler ihrer Band, in der Nähe der Zelte, in denen die Spielleute die Nacht verbringen würden, und fühlte sich frei. Eine sanfte Brise brachte die Baumkronen zum Rascheln und die Kerzen in den mittelalterlichen Laternen, die zwischen den Zelten brannten, zum Flackern. Wie Glühwürmchen tanzten die kleinen Flammen in der Dunkelheit.

Isa blickte Alex ins Gesicht. »Hör mal, ich weiß deine Sorge zu schätzen, wirklich. Auch die der anderen. Aber ich kann mein restliches Leben nicht in Angst verbringen, und ihr könnt mich nicht ständig bewachen wie die Jungfrau im Turme.«

»Stimmt, weil du schwerer zu hüten bist als ein Sack Flöhe.«

»Ich bin nach dem Feuerwerk nur spazieren gegangen.«

»Du warst über eine Stunde lang wie vom Erdboden verschluckt! Und normalerweise muss man –«

»… muss man mich, wenn das passiert, am Ende aus den Klauen des Bösen befreien oder reanimieren. Dass ihr euch über Kleinigkeiten immer so aufregen müsst.«

Als sie sah, dass er über ihren Scherz nicht lächelte, sondern immer noch besorgt wirkte, legte die grüne Fee ihre Handflächen sanft auf Alex’ Wangen. Seine Barthaare kitzelten ihre Fingerspitzen. Um ihm das Grinsen zu entlocken, das er sonst allzu gerne zur Schau trug, knautschte Isa sein Gesicht ein kleines bisschen zusammen, bis er, wenn auch widerwillig, ein belustigtes Schnauben von sich gab.

»Ich passe auf mich auf«, sagte sie. »Versprochen. Und jetzt geh schlafen.«

Er umfasste ihre Handgelenke, löste ihre Finger aber nicht von seinen Wangen, sondern hielt sie einfach fest. Isa spürte plötzlich ein seltsames Flattern in der Brust. Es wurde so stark, dass sie die Hände schließlich selbst wegzog.

Nun mach mal halblang, grüne Fee, ermahnte sie sich. Ist doch nur Alex.

Nur Alex.

»Wenn heute Nacht etwas sein sollte … du weißt, ich bin im Zelt nebenan. Ich höre dich«, sagte er.

»Was willst du machen, wenn ich schreie? Mit erhobener Lanze ins Zelt stürmen?«

»Haha, nein. Mit einem Breitschwert.«

»Geh schlafen, Alex.«

Als sie selbst eine Viertelstunde später in die Felle kroch, die ihr auf Märkten als Nachtlager dienten, fiel Isa sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Aus dem sie am nächsten Morgen von einem Schrei geweckt wurde, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Erschrocken fuhr sie in die Höhe. Das Kreischen war spitz, wie der Schrei eines verletzten Tieres. Es wurde lauter und lauter, nur um dann schlagartig zu verstummen und wieder von Neuem anzuschwellen, bis Isa das Gefühl hatte, dass es ihre Trommelfelle durchbohrte wie rostiger Stahl.

Einige Herzschläge später entzerrte sich das Geräusch. Wurde natürlicher, weniger bedrohlich.

Was die grüne Fee, noch im Halbschlaf, für einen gequälten Schmerzensschrei gehalten hatte, entpuppte sich bei genauerem Hinhören als die schlimmste und lauteste Lache, die ihr je begegnet war.

Als Isa die Zeltwand anblinzelte, konnte sie durch den dünnen, hellen Stoff die Umrisse von Menschen erkennen. Auf der Wiese waren Leute. Wahrscheinlich Frühaufsteher aus dem Heerlager, die herumalberten.

Verärgert, aber auch erleichtert stieß Isa einen Seufzer aus. Müde ließ sie sich wieder zurück auf die Felle sinken. »Noch fünf Minuten …«, brummte sie. Mit geschlossenen Augen drehte sie sich auf die andere Seite, um noch ein wenig zu dösen.

Dabei berührte sie mit der Nasenspitze die Klinge eines Dolches. Jemand hatte ihn neben ihrem Kopf ins Kissen gerammt, während sie geschlafen hatte.

Kapitel 1

Nizariten«, sagte die grüne Fee.

Sowohl der Kriminalkommissar als auch ihre vier Bandkollegen starrten sie verständnislos an.

Die Spielleute und der Polizist saßen an einem der Tische vor der großen Marktbühne. Sonst nahmen dort Zuschauer während der Konzerte Platz, tranken Met oder knabberten an Fleischspießen. Diesmal dienten die Bänke jedoch als improvisiertes Vernehmungszimmer. Ein Umstand, der Isa nur recht war. In der Sonne, deren Strahlen ihr den Nacken wärmten, und umgeben vom vertrauten Geruch nach Leder, Holz und Rauch fühlte sie sich trotz allem sicherer als in jedem Büro. Der Mittelaltermarkt war ihr Revier. Ihr Zuhause.

Der Beamte von der Kripo entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das Isa von einem Eifeler Dorfbullen hatte. Kommissar Waldästl, jung und erschreckend durchtrainiert, trug eine schlotternde Mütze aus dünnem, schwarzem Stoff auf dem Kopf. Eine Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Wenn er sich bewegte, funkelten silberne Kreolen an seinen Ohrläppchen; am Handgelenk trug er eine dieser Hightech-Armbanduhren, die vermutlich auch dann noch funktionieren, wenn man in den Marianengraben hinuntertaucht oder mit Dem Einen Ring in die Feuer des Schicksalsberges fällt.

Isa war aufgewühlt. Und weil sich ihr Verstand automatisch an Nebensächlichkeiten aufhielt, wenn sie Angst hatte oder verwirrt war, konnte sie nicht aufhören, über den Kommissar nachzudenken, bis sie endlich einen Vergleich gefunden hatte.

Rambo, gefangen im Körper eines Hipsters, dachte sie schließlich. Gestrandet im Zuständigkeitsbereich Vulkaneifel-Mitte.

»Okay, ich habe keine blasse Ahnung, was Sie meinen, Frau Bocholt.« Selbst Waldästls Dialekt klang irgendwie amerikanisch. »Und ich kann es verdammt noch mal nicht leiden, wenn ich etwas nicht verstehe. Also, spucken Sie’s schon aus: Was für Dinger?«

Die grüne Fee blickte ihre Freunde der Reihe nach an. Der Einzige, der aussah, als könnte er mit dem Begriff, den sie genannt hatte, irgendetwas anfangen, war Valentin. Zerstreut schob sich der Bandleader von Manus Furis sein Barett in den Nacken und kratzte sich am Kopf.

»Da war was …«, murmelte er. »Ich weiß nur, dass die Nizariten etwa zum Ende des elften Jahrhunderts auftauchten, aber ich kann mich gerade beim besten Willen nicht mehr ans elfte Jahrhundert erinnern …«

»Das passiert.« Alex zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich an mein komplettes zwanzigstes Lebensjahr nicht mehr erinnern.«

Gegen ihren Willen musste Isa schmunzeln. In der Mittelalterszene war Alex nicht nur unter seinem Künstlernamen, »Alec MacPipe vom Clan der MacPipes«, bekannt, sondern auch unter ein paar anderen Spitznamen: »Der Casanova mit dem Claymore-Schwert«, »der schöne Schotte« und: »Wo ist der verfluchte Arsch, der meine Frau angegraben hat? Dem schlag’ ich die Zähne ein!« Wo es Partys und hübsche Mädchen gab, war Alex nicht weit.

Er sah, dass sie lächelte, und grinste zurück.

»Die Nizariten«, erklärte die grüne Fee, »entstanden als Glaubensgemeinschaft im mittelalterlichen Orient und siedelten vor allem in Persien und Syrien. Sie erlangten zweifelhafte Berühmtheit durch die Meuchelmörder, die sie aussandten, um politische Gegner aus dem Weg zu räumen. Eine Begegnung mit diesen Assassinen war fast immer tödlich, ihre Methode besonders grausam: Sie erschlichen sich das Vertrauen ihrer Opfer, kamen ihnen näher und näher, bis sie sie mit einem gezielten Dolchstoß umbringen konnten. Kein Gift, kein Pfeil aus sicherer Entfernung – die Nizariten wollten sehen, wie das Leben in den Augen ihrer Opfer erlosch. Ob sie danach selbst gefasst und getötet wurden, war ihnen egal. Für sie zählte nur das Attentat. Ihr Ruf war irgendwann so verbreitet, dass es manchmal schon ausreichte, wenn sie nur einen Drohbrief hinterließen. Eine Warnung, die sie mit der für sie typischen Waffe, dem Dolch, in das Kissen stachen, auf dem das Opfer schlief.«

Isa deutete auf das Stück Pergament, das, eingepackt in einen Beweismittelbeutel, vor Waldästl auf dem Tisch lag. Es war mit dem Dolch in der Nacht an ihr Kissen gepinnt worden. Nur drei Worte waren darauf zu lesen, geschrieben in einer Handschrift, die sie sofort wiedererkannt hatte.

Hallo, mein Schatz.

»Du darfst dich nie wieder sicher fühlen. Das bedeuteten die Briefe der Nizariten. Egal, wo du dich versteckst oder wie gut du dich schützt – ich bin ganz in deiner Nähe. Ich kann dich töten, wann immer ich will.«

Isa war überrascht, dass ihre Stimme nicht zitterte. Allerdings drang ein merkwürdiger, kaum wahrnehmbarer Ton an ihr Ohr, während sie redete. Ein helles Klingeln, das zunächst mit den Geräuschen im Hintergrund verschmolz, dann aber ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was es war: Unter dem Tisch, verborgen vor den Blicken der anderen, wippte ihr rechtes Bein nervös auf und ab. Dabei brachte es die Glöckchen, die sie an ihren grünen Leinenrock genäht hatte, ganz leise zum Klingen.

Noch während sie vergeblich versuchte, damit aufzuhören, spürte sie, wie ihr jemand eine Hand aufs Bein legte.

Lena, Isas beste Freundin, saß neben ihr und war vermutlich deshalb die Einzige, die das Geräusch ebenfalls hören konnte. Vielleicht lag es auch an ihrem schrecklich sensiblen Radar für menschliche Empfindsamkeiten; jedenfalls warf sie der grünen Fee einen Seitenblick zu, der zu sagen schien: Keine Angst, Süße. Die Polizei findet ihn schon.

Isa erwiderte den Blick. Pff. Wer hat hier Angst? Ich werde Marek vorher finden, und dann stecke ich ihm seinen blöden Dolch in den …

Isa! Überlass das den Profis. Wenigstens dieses eine Mal.

Das ist unfair. Die dürfen ihn pfählen, ich aber nicht?

Die beiden Mädchen kannten sich seit über sieben Jahren. Wenn nötig, konnten sie solch nonverbale Gespräche führen, während sie an den gegenüberliegenden Enden eines Ackers standen und zwischen ihnen Heerscharen historischer Darsteller gerade die Schlacht von Hastings nachspielten.

Die grüne Fee griff unterm Tisch nach Lenas Hand und drückte sie. Lena erwiderte die Geste.

Das Zittern in Isas Bein verschwand.

Kommissar Waldästl hatte sich während ihres kleinen Vortrags Notizen auf einem Tablet gemacht. Ein seltsamer Anblick auf einem Mittelaltermarkt, wo man normalerweise mit Federkielen schrieb oder Buchstaben in Wachstafeln ritzte.

»Und woher zum Teufel wissen Sie so gut Bescheid über diese Assassinen?« Mit dem Zeigefinger zog er sich die Sonnenbrille hinunter auf die Nasenspitze und musterte Isa über den Rand hinweg. »Ziemlich düsteres Thema für so ein niedliches junges Ding, oder?«

Das fünfte Bandmitglied von Manus Furis, das unseligerweise auf den Namen Kevin hörte, kicherte. Isa, die in ihrer Freizeit haufenweise Thriller und Kriminalromane las, als niedliches Mägdlein zu bezeichnen, entsprach ganz seinem Sinn für Humor.

»Ich habe mal was darüber in einem Geschichtsmagazin gelesen«, entgegnete die grüne Fee kühl.

»Wissen Sie noch, in welchem?«

»Nein. Aber es lag auf Mareks Couchtisch.«

»Wann?«

»Vorgestern, da hat er mich auf ein Gläschen Gewürzwein eingeladen … Im letzten Winter natürlich, wann denn sonst?«

Waldästl runzelte die Stirn. »Hmm … Das würde erklären, warum der Mistkerl den Zettel hinterlassen hat.«

»Korrekt. Ziemlich lange Leitung für so ein überhebliches junges Kerlchen, oder?«

Der Kommissar und die Gauklerin funkelten sich über den Tisch hinweg an.

Schließlich schob Waldästl seine Sonnenbrille wieder hoch und tippte mit undurchdringlicher Miene etwas in sein Tablet ein.

»Was auch immer sich Koskov dabei gedacht hat, weit kommt er jedenfalls nicht. Das hier«, er deutete auf die felsige Landschaft, die die Turnierwiese umgab, »ist die reinste Wildnis. Der letzte Flüchtige, den wir in diesen Wäldern gefunden haben, hat vor Erleichterung geheult, als wir ihn zurück in den Knast brachten.«

»Weil es hier von Wölfen, Riesen und Drachen nur so wimmelt, nehme ich an.«

Er ignorierte Isas Sarkasmus. »In spätestens einer Woche haben wir unseren Mann. Meine Leute sind speziell für solche Einsätze ausgebildet. Alles beinharte Jungs.«

Einer der Uniformierten, die damit beschäftigt waren, das Gelände abzusuchen und die historischen Darsteller zu befragen, schlenderte an ihrem Tisch vorbei. Gemütlich an einer frischen Waffel mümmelnd, die er sich ein paar Buden weiter bei Milan, dem Waffelbäcker, gekauft hatte, lüpfte der Polizist seine Dienstmütze.

»Tach, Chef!«, rief er, wobei er Teigkrümel auf die Wiese sprühte.

Isa grinste den Kommissar an.

Plötzlich schien Waldästl sehr daran interessiert, die Vernehmung zu beenden. Mit grimmiger Miene stand er auf und sammelte Beweismittel und Tablet ein. Dann überprüfte er demonstrativ den Sitz seiner Dienstwaffe, so als wollte er darauf hinweisen, dass er Isa trotz allem immer noch erschießen konnte.

»Eine Woche«, knurrte er, bevor er sich zum Gehen wandte. Die Sonne funkelte auf seinen dunkel getönten Brillengläsern. »Wenn ich Sie wäre, würde ich so lange von der Bildfläche verschwinden. Untertauchen. Suchen Sie sich ein ruhiges, abgeschiedenes Fleckchen, an dem Koskov Sie nicht finden kann.«

Die Spielleute von Manus Furis blickten ihm nach, als er über die Turnierwiese davonstapfte.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Alex.

Alle Augen richteten sich auf die grüne Fee.

Die zuckte mit den Schultern. »Also, mir fällt nur eine Lösung ein.«

Glühende Eisen zischten. Knisternd verbrannte das Fett, als nachgiebige Materie durch die Unbarmherzigkeit der Hitze ihre Form veränderte. Rauch stieg auf.

»Noch ’ne Lage Waffeln?«

»Ja, einmal ohne alles. Danke, Milan.«

Isa, die zwar mit einer großen Klappe gesegnet, aber von winziger Statur war, musste sich auf die Zehenspitzen stellen, als Milan ihr eine gigantische Ladung Gebäck reichte. Vorsichtig steuerte sie damit zurück zum Tisch vor der Marktbühne.

Mittlerweile hatten sich die Eifeler Einsatzkräfte wieder verzogen. Mit Ausnahme des Dolches und der Botschaft hatten sie keine Spur von Marek finden können. Dabei war selbst in der Ruine der Manderscheider Niederburg mit ihren zahlreichen Türmen und steilen, gewundenen Wehrgängen jeder Stein zweimal umgedreht worden.

Trotzdem schien Waldästl felsenfest davon überzeugt zu sein, dass er Marek innerhalb der nächsten Tage eigenhändig aus dem Unterholz zerren würde. Deshalb hatte er den Veranstaltern erlaubt, das Burgenfest wie geplant weiterlaufen zu lassen. Seither entließen die Shuttlebusse wieder neue Menschentrauben auf die Turnierwiese, wie römische Galeeren, die Legionäre auf die Küste Britanniens spuckten.

Die grüne Fee versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, ohne etwas von ihrer kostbaren Beute fallen zu lassen. Gekonnt schlängelte sie sich an Touristen in kurzen Hosen, mittelalterlich gewandeten Bogenschützen und Maiden in gewagten Korsagen vorbei, als hinter dem Waffelberg, der ihr halb die Sicht versperrte, plötzlich ein blonder Haarschopf aufblitzte. Lena tauchte so unerwartet vor ihr auf, dass Isa fast ins Straucheln geriet.

»Lässt du mich jetzt nicht mal mehr alleine was zu essen holen?«, fragte sie ungläubig.

»Nein.«

Entschlossen nahm Lena ihr einen Teil der Waffeln ab und zog sie dann am Ärmel hinter sich her. Die »wilde Helena«, so ihr Künstlername, konnte manchmal eine ziemliche Mimose sein, aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog sie ihr Vorhaben gnadenlos durch. Da halfen weder gute Worte noch Todesdrohungen.

Hatte Isa alles schon probiert.

Als sie zum Tisch zurückkamen, hatten Valentin – der auch auf den Namen »Graf Galgenstrick« hörte – und Kevin alias »Herr Ludger der Verderbte« schon frischen Met besorgt. Tunkte man Milans traumhaftes Gebäck hinein, ergab sich daraus die Mittelalterversion einer Honigwaffel. Auf der Marktbühne, deren rot und gelb gestreifte Zeltwände in der Sonne leuchteten, unterhielt ein Gaukler die Zuschauer mit einer Fackeljonglage. Hoch und runter wirbelten die brennenden Stäbe, während er sie mal vor sich in die Luft, mal über die Schulter und mal zwischen seinen Beinen hindurchwarf. Bei jedem gelungenen Kunststück klatschte das Publikum.

Alex schaute mit einem Ausdruck beginnender Verzweiflung auf die neue Ladung Waffeln. Weil er, wie fast immer im Sommer, auf ein Hemd verzichtet hatte, konnte man erkennen, dass der Bund seines Kilts bereits ein kleines bisschen spannte.

»Als ich gefragt habe, was wir jetzt machen, hatte ich eigentlich was anderes gemeint, Isa«, sagte er und nahm einen Becher Met entgegen.

Die grüne Fee schob sich neben ihn auf die Bank. Normalerweise war sie selten um eine Antwort verlegen, doch diesmal ließ sie sich Zeit. Stippte die Waffel in den Met, genoss den Geschmack auf der Zunge. Süßer, flüssiger Sonnenschein.

»Hallo? Hören Mylady mir überhaupt zu?«

»Natürlich. Ihre Ladyschaft hat die Waffeln ja nicht auf den Ohren.«

»Also?«

Beinahe widerwillig sah sie ihn an. Wenn Isa ehrlich mit ihren Bandkollegen und auch mit sich selbst sein wollte, dann konzentrierte sie sich nur auf die Bühnenshow und das Essen, weil es sie von dem Chaos in ihrem Inneren ablenkte. Marek machte ihr Angst, das konnte sie nicht leugnen. Doch ein kleiner Teil von ihr – der Part, der auch dafür zuständig war, sie ständig in die wildesten Schwierigkeiten zu bringen – fühlte etwas anderes. Wut. Offenbar wollte Marek sie nicht einfach bloß umbringen; er wollte, dass sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher fühlte. Dass sie vor ihm und seinen unheimlichen Attacken kuschte.

Was zum Teufel bildete sich dieser räudige Sohn einer staufischen Trosshure eigentlich ein?

Valentin nuschelte, denn er hatte den Mund voll. »So wie ich das sehe, gibt es zwei Optionen. Verstecken und abwarten, bis alles vorbei ist, oder eine offene Konfrontation riskieren.«

»Die zweite Variante gefällt mir«, sagte Isa.

»Das war ja klar.«

»Ich werde mich ganz sicher nicht irgendwo verkriechen, bis Kommissar Knalltüte und seine Leute zufällig über Marek stolpern!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, gestikulierte sie so energisch, dass der Inhalt ihres Bechers fast auf Alex’ Schottenrock schwappte. »Bis diese Nasen ihn finden, bin ich wahrscheinlich schon ›die graue Fee‹.«

»Moment.« Alex schob ihre Hand samt Becher beiseite. »Ich höre dich im Singular reden. Wie kommst du eigentlich darauf, wir würden zulassen, dass du dich alleine irgendwo verkrümelst?«

Kevin grinste und strich sich über sein Ziegenbärtchen. »Genau. Wir sind nämlich deine Leibwache. Oder Leidwache. Je nachdem, ob Marek dich doch noch kriegt.«

Lena knuffte ihn in die Seite.

Ausnahmsweise sprachlos starrte Isa in die Runde. Da saßen sie: ein zerstreuter Gaukler-Graf, eine blonde Hobby-Psychologin, ihr kalauernder Freund und ein halb nackter Pseudo-Schotte.

Die verrückteste und beste Truppe der Welt.

Trotzdem bereitete ihr der Gedanke, Waldästls Rat zu befolgen, immer noch Magenschmerzen. »Wir können uns aber nicht für ein paar Jahre in die nächstbeste Grotte zurückziehen und da von Luft und Liebe leben, bis die Sache ausgestanden ist«, erwiderte sie. »Was wird aus unseren Auftritten? Was wird aus der Band?«

Lena hatte an ihrer Waffel bisher nur herumgezupft. Was vermutlich weniger an ihrer Besorgnis, sondern eher an der völlig überflüssigen Diät lag, die sie mal wieder machte. »Eine Woche«, murmelte sie gedankenverloren.

Als Isa fragend die Augenbrauen hob, erklärte sie: »Das hat der Kommissar doch gesagt, oder? Dass in einer Woche wahrscheinlich alles vorbei ist.«

»Er war auch der Überzeugung, dass er das Eifeler Äquivalent zu den US-Marines befehligt. Und nicht Schmitzens Jupp und Müllers Erwin, die dreimal am Tag ihre Uniform spazieren tragen.«

»Wir könnten diese Zeitspanne aber als Kompromiss nutzen. Lass uns der Polizei so lange die Chance geben, Marek zu finden. Wenn er danach noch nicht gefasst wurde, überlegen wir uns eben was Neues.«

Während Lena redete, bekam Valentin mal wieder diesen grüblerischen Gesichtsausdruck. Isa fand, dass die buschige weiße Feder, die an seinem Barrett wippte, in solchen Momenten an Rauch erinnerte, der aus seinem auf Hochtouren arbeitenden Oberstübchen kam. Man konnte fast zusehen, wie die Zahnräder im Inneren seines Kopfes arbeiteten – oder, um in der richtigen Epoche zu bleiben, ein kleiner Alchemist dort drin Ideen aus Einhornblut und Krötenschleim zusammenrührte.

»Wo treten wir nächstes Wochenende noch mal auf?«, fragte der Graf schließlich.

Damit erwischte er Isa, wie üblich, auf dem falschen Fuß. Terminplanung gehörte nicht gerade zu ihren Stärken.

»Äh …« Hilfe suchend schaute sie zu Alex.

Der verdrehte belustigt die Augen. »Nächstes Wochenende ist das Mittelalterfest in Herne.«

»Ließe sich absagen.« Valentin hielt noch immer seine Waffel in den Met, der vor ihm auf dem Tisch stand. Er schien nicht zu bemerken, dass sich das Gebäck langsam vollsaugte und in seine Einzelteile zerfiel. »Hört mal zu, Freunde. Letzte Woche hat mich jemand angerufen und gefragt, ob wir Interesse an einem Engagement hätten. Da war Herne aber schon gebucht, und außerdem machen wir so was eigentlich nicht, deshalb habe ich euch nichts davon erzählt. Aber jetzt … also, das wäre perfekt.«

»Was für ein Engagement?« Isa langte über den Tisch und zog seine Hand zur Seite, bevor der Rest der Waffel baden ging.

»Ein paar Tage lang im kleinen Rahmen Musik und Gaukeley feilbieten. Ohne dass mit dem Auftritt von Manus Furis öffentlich geworben würde, was uns in der gegenwärtigen Situation ja nur recht sein kann. Zuerst für eine geschlossene, mittelalterlich interessierte Geburtstagsgesellschaft – also im Grunde vor dem üblichen Publikum –, dann für eine Gruppe historischer Darsteller aus dem Bereich Living History. Letzteres würde bedeuten, dass wir dazu beitragen müssten, den Ort des Geschehens mit diesen Leuten möglichst authentisch auf mittelalterliche Art zu ›beleben‹.«

»Und dieser Ort wäre welcher?«

Valentin machte eine dramatische Pause. »Die Marksburg.«

Die grüne Fee brauchte einen Moment, bis sie ein zum Namen passendes Bild vor Augen hatte. Dann dämmerte es ihr.

Weiß verputzte Mauern. Nebel, der Türme und Zinnen verhüllte. Ein steiler Pfad, der sich zwischen Bäumen, Felsen und Wurzeln den Berg hinaufwand.

»Marksburg …«, murmelte sie. »Das ist diese Burg am Rhein, oder? Die einzig unzerstörte Höhenburg am Mittelrhein. Wir waren mal mit der Schule dort, glaube ich.«

Graf Galgenstrick nickte. »Früher gab es da oben auch Mittelaltermärkte – nein, das stimmt nicht. Eher mittelalterliche Handwerkermärkte, mehr Schau als Profit. Hat sich deshalb auch nicht rentiert, also hat man das Projekt um das Jahr 2000 herum eingestellt. Man kann heute auf der Marksburg allerdings immer noch heiraten oder die Burgküche für eine Feier im mittelalterlichen Stil mieten – so wie es auch die Geburtstagsgesellschaft tut, die ich eben erwähnte. Und alle paar Jahre quartiert sich dort eine Living-History-Gruppe ein und bespielt die Burg, um Besuchern zu zeigen, wie das alltägliche Leben im Mittelalter so aussah.«

Alex runzelte die Stirn. »Und die wollen uns für den Job?«

»Ja, wieso?«

»Ich kenne Leute, die Living History betreiben. Wenn du da ein Wams trägst, dessen Schnitt nicht haargenau aus dem Jahr 1117 stammt, oder du kein lateinisches Tischgebet aufsagen kannst, steinigen die dich. Versteht mich nicht falsch, ich liebe den Stil, den wir mit Manus Furis fahren, aber für so was sind wir definitiv nicht authentisch genug. Die werden uns sehen und die Zugbrücke gleich wieder hochziehen.« Er pfiff durch die Zähne und beschrieb mit der flachen Hand eine Aufwärtsbewegung.

Valentin tat seinen Einwand mit einem Schulterzucken ab. »Mir fällt da schon was ein. Und auf der Geburtstagsfeier können wir wie gewohnt auftreten.«

»Also, ich finde die Idee prima.« Dem Glanz in Lenas Augen nach zu urteilen, schritt sie in ihrer Vorstellung bereits als Burgfräulein verkleidet durch einen prächtigen Festsaal. »Isa? Was meinst du?«

Die Idee, ein Wochenende auf einer mittelalterlichen Burg zu verbringen, hatte durchaus einen gewissen Reiz. Dabei lockten die grüne Fee die prunkvoll gedeckten Tafeln oder die Kemenaten mit weichen Kissen eher weniger; so romantisch veranlagt wie Lena war sie nicht. Uralte, dunkle Geheimgänge hingegen, die in Verliese oder Schatzkammern führten und nur im Lichtschein einer Fackel erkundet werden konnten … Folterkeller mit Gerätschaften, um die sich schaurige Geschichten rankten …

Ich will mich nicht vor Marek verstecken, flüsterte die kleine, trotzige Stimme in ihrem Inneren wieder. Aber sie war schon merklich leiser geworden.

»Damit wäre aber nur das Wochenende abgedeckt«, gab Isa zögerlich zu bedenken.

Auch diesen Einwand ließ Valentin nicht gelten. »Bis dahin wohnst du bei einem von uns. Außerdem würden wir schon am Donnerstagmorgen hinfahren und könnten bis Montag bleiben.«

»Okay. Mag sein, dass Marek kaum eine Chance hat, mich bei einer nicht öffentlichen Veranstaltung auf einer schwer zugänglichen Burg zu überraschen. Aber ich sehe trotzdem nicht ein, mich von ihm in die, die …«, sie rang nach Worten, »Isolationshaft treiben zu lassen.«

Kevin grinste breit. »Wenn schon, dann wäre das Isalationshaft.«

Der Schmerz war unbeschreiblich. Isa kniff die Augen zusammen; neben ihr ließ Alex seinen Kopf auf die Tischplatte sinken und stöhnte.

»Und du willst wirklich, dass wir uns tagelang auf einer Burg verschanzen?«, fragte die grüne Fee ihren Bandleader. »Allein? Mit dem da?«

Valentin grinste und entblößte dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne. »Sag, was du willst, Kleines. Du weißt, dass es eine gute Idee ist.«

Vier Augenpaare starrten sie an. Isa rang mit ihrem Stolz, ihrem Zorn und, wie immer, mit ihrer Neugierde.

Wenn ich bleibe, kann ich Marek vielleicht selbst kriegen, wisperte die trotzige Stimme. Ihn eigenhändig hinter Schloss und Riegel bringen, wo er hingehört.

Eine richtige Burg, flüsterte eine andere. Essen in einer rauchigen, gemütlichen, mittelalterlichen Küche … Mauern, die so alt sind, dass sie einem Geschichten zuflüstern, wenn der Wind günstig steht und man die Ohren gegen den Stein drückt … eine eiserne Jungfrau für Kevin …

Mit einem Seufzen erhob sie ihren Becher.

»In Ordnung. Wir gehen auf die Marksburg«, sagte sie.

Honigwein schwappte auf den Tisch, als fünf Spielleute miteinander anstießen und ihren Pakt besiegelten.

Sie hatten kaum getrunken, als aus Isas Umhängetasche plötzlich Musik ertönte.

Weil Marek ihr in Xanten das Handy geklaut hatte, war die grüne Fee gezwungen gewesen, sich ein neues zu kaufen. Schnell hatte sie herausgefunden, wie man bei dem tausendmal aktuelleren Modell individuelle Klingeltöne für spezielle Kontakte festlegte, und diese Funktion weidlich ausgenutzt. Nun dudelte der Song Paules Beichtgang von Versengold aus dem Gerät:

Vater, Vater, ich will beichten
Von den schweren und den leichten
Sünden sollt Ihr mich befreien

Gottes Segen will ich kaufen
Von der Unschuld einen Haufen
Meinen Geldsack geißeln und kasteien!

Isa lief es kalt den Rücken runter.

»Nein, nein, nein«, murmelte sie, in ihrer Tasche wühlend. Der Tag war doch schon schlimm genug gewesen …

»Du hast hier Netz?« Lena schien ehrlich schockiert. Das Tal zu Manderscheid war berühmt für seinen furchtbar schlechten Handyempfang; vermutlich, weil die ansässigen Lindwürmer die Mobilfunkmasten fraßen.

Neugierig lugte Alex über Isas Schulter und las den Namen auf dem Display. »NemeSis?« Dann, einen Moment später, fiel der Groschen. »Warte. Ist das etwa deine –«

»Ja. Entschuldigt mich, ich muss das kurz hinter mich bringen.«

»Aber geh nicht zu weit weg!«

»Ja doch.«

Eilig entfernte sie sich ein paar Schritte von der Bühne und den Tischen. Dann atmete sie tief durch und nahm den Anruf entgegen. »Was kann ich für dich tun, Schwesterherz?«

Professor Dr. Brunhild Bocholt, studierte Theologin und amtlich anerkannte Schreckschraube, hielt sich gar nicht erst mit einer Begrüßung auf. »Da bitte ich dich einmal um etwas, du missratenes kleines Biest! Ein! Mal!«

»Dir auch einen wunderschönen guten Morgen.«

»Habe ich dir bei unserem letzten Treffen nicht klar und deutlich kommuniziert, dass mein neuer Arbeitgeber großen Wert darauf legt, dass seine Angestellten nicht mit fragwürdigen Personen in Kontakt stehen?«

»Äh, schon, aber …«

»Und warum, bitte sehr, musste ich dann heute Morgen erfahren, dass du von der Polizei verhört wurdest? Deine semikriminellen Eskapaden könnten mich meine Stellung kosten, hast du daran vielleicht mal einen Gedanken verschwendet? Nein, natürlich nicht, du impertinente …«

Das durfte ja wohl alles nicht wahr sein.

Die grüne Fee spürte, wie das Blut in ihren Adern zu kochen begann. »Erstens: Mich kümmern die Stellungen nicht, die du bei deiner Arbeit einnimmst.«

»Na, höre mal …«

»Zweitens: Ich wurde nicht verhört, weil ich was angestellt habe, sondern weil mir ein Verrückter heute Nacht einen Dolch ins Kopfkissen gerammt hat. Ein paar Zentimeter an meiner Schädeldecke vorbei, was dich enttäuschen dürfte.« Isa stutzte. Dann traf sie fast der Schlag, als ihr die wahre Bedeutung hinter Brunis Schimpftirade bewusst wurde. »Moment mal. Woher weißt du überhaupt von dem Polizeieinsatz? Lässt du mich etwa beschatten?« Schnell blickte sie sich um, konnte aber niemand Verdächtiges entdecken.

Die Stimme ihrer älteren Schwester klang plötzlich seltsam verschnupft. »Ich habe meine Quellen.«

»Wer glaubst du, dass du bist? Mycroft Holmes?!«

»Oh, bitte. Jetzt werd nicht gleich theatralisch.« Bruni verstummte. Als sie wieder sprach, wirkte sie – zumindest für ihre Verhältnisse – fast kleinlaut. »Ein Dolch. Wirklich?«

Zähneknirschend schluckte Isa all die Fragen herunter, die sie dem verfluchten Weibsbild an den Kopf werfen wollte. Sie wusste, dass sie sowieso keine Antworten bekommen würde. Stattdessen erzählte sie die Kurzfassung der Geschichte, die sich am Morgen ereignet hatte.

Brunis Urteil lautete wie erwartet. »Das kommt davon, wenn man sich mit den falschen Männern einlässt.«

»Danke. Es ist schön zu wissen, dass du mich immer wieder mit warmen Worten aufbaust.«

»Was wirst du jetzt tun? Etwa auf die Polizei hören?«

»Denke schon.«

»Verzeih meine Verwunderung, aber es ist sonst nicht deine Art, vernünftig zu sein.«

»Ach, ich dachte, ich probiere mal was Neues.«

Es knackte in der Leitung. Isa hörte, wie eine Männerstimme etwas Unverständliches zu ihrer Schwester sagte.

»Augenblick.« Brunis Stimme wurde undeutlich. Vermutlich hatte sie sich vom Telefon weggedreht und versuchte, es mit der flachen Hand abzudecken, während sie sprach, doch Isa gelang es trotzdem, ein paar Sätze aufzuschnappen. Zuerst verstand sie nur, dass offenbar in einer ihr fremden Sprache gesprochen wurde, doch dann, kurz bevor Bruni sich das Handy wieder ans Ohr hielt, erkannte Isa ein Wort ganz deutlich. Und hatte plötzlich das Gefühl, jeden Moment aus den Schnabelschuhen kippen zu müssen.

Camerlengo.

Isa hatte genügend Thriller von Dan Brown gelesen, um zu wissen, was dieser Name bedeutete. Kryptische Informationsfetzen setzten sich mit einem Mal in ihrem Kopf wie Puzzleteile zu einem irrwitzigen Bild zusammen.

»So«, sagte Bruni geschäftsmäßig, »wo waren wir? Ach ja, bei deinem desaströsen Liebesleben.«

»Bist du gerade im Vatikan?«

Treffer. Sie konnte förmlich hören, wie ihre Schwester zusammenzuckte. »Wie bitte?«

»Ist das etwa dein geheimnisvoller, ach so wichtiger neuer Arbeitgeber, von dem niemand was wissen darf? Der verdammte Papst

»Unsinn. Du hattest schon immer eine blühende Fantasie.«

Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf Isas Gesicht aus. »Lüg nicht, das ist Sünde. Und überhaupt, verstößt das nicht gegen irgendwelche moralischen Richtlinien der Kirche? Eine junge Frau, die für so einen alten Kerl arbeitet?«

»Isa!«

»Ist er dein Sugardaddy? Habemus papam?«

Um eine passende Antwort verlegen, spielte Bruni stattdessen die Beleidigte. »Eigentlich wollte ich dir gerade einige sehr wertvolle Ratschläge geben, die dir in deiner Situation sicher nützen würden. Aber bitte sehr, wenn du dich lieber umbringen lassen möchtest …«

Die grüne Fee verdrehte die Augen. »Ich habe hier genügend Unterstützung, auch ohne Hilfe von dir. Oder von oben.« Ihr Blick wanderte zu dem Tisch, an dem ihre Freunde saßen. Valentin hatte seinen kläglichen Rest Waffel entsorgt und dafür die letzte von Isas Stapel stibitzt. Gerade biss er herzhaft hinein. »Trotzdem danke.«

»Nun gut. Dann … also, ich muss los.« Es folgte ein Moment der Stille. Dann hörte sie, wie ihre Schwester tief durchatmete. »Pass auf dich auf.«

Wow, dachte Isa. Schickt Herolde ins ganze Land, das heutige Datum als Jubeltag auszurufen. »Du auch«, sagte sie leise. Dann legte sie auf.

Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Valentin sich plötzlich an die Kehle griff und, Schaum über die Lippen würgend, zu Boden sackte.

Kapitel 2

Feiner Regen brachte die Blätter der Kastanienbäume zum Glänzen.

Es war schon nach Mittag, als ein Auto die Straße hinauffuhr, die sich den dicht bewaldeten Berghang aus schroffem Schieferfels hinaufwand. Unter den Reifen des vollgepackten Fahrzeugs knirschten Zweige und Steine.

Der Wagen rollte auf den Parkplatz und blieb neben einem Transporter mit offener Hecktür stehen, in dessen Innerem, dem Geschaukel nach zu urteilen, entweder ein paar Leute schweres Gerät umräumten oder gerade eine Orgie feierten.

Eigentlich glich das ankommende Auto mehr einem Ungeheuer aus einer anderen Welt als einem Fahrzeug aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Sein Besitzer hatte die uralte Karre vom Dach bis zu den Felgen mit albernen mittelalterlichen Zeichnungen, sogenannten Drolerien, bemalt: Einhörner, Skelette und Mischwesen – halb Bischof, halb Pferd – tanzten zu Musik, die von Affen erzeugt wurde, indem sie sich Trompeten dorthin steckten, wo sie normalerweise nicht hingehören.

Jedes Mal, wenn der Gang gewechselt wurde, gab das Getriebe des Wagens Geräusche von sich wie ein Drache mit Keuchhusten. Der schweflige Gestank der Abgase verstärkte diese Assoziation. Anstelle einer Kühlerfigur wurde die breite Schnauze des Autos von einem Schwert geziert, das scheinbar bis zur Hälfte der Klinge in der Motorhaube steckte. Darunter prangte in großen, güldenen Lettern der Name »ExcaliBus«.

Die Türen des Wagens öffneten sich. Vier Gaukler stiegen aus.

Kevin ging zur Beifahrertür und half Lena, aus dem Bus zu klettern, wofür sie ihn mit einem regenfeuchten Kuss belohnte.

»Letzte Woche schien noch so schön die Sonne«, murrte sie.

Alex streckte dem grau bewölkten Himmel sein Gesicht entgegen. Als die Tropfen sein langes Haar durchnässten, verwandelte er sich augenblicklich in das Kilt tragende Äquivalent zu Waldläufer Aragorn. Ein Effekt, der schon die Herzen vieler Elbinnen auf Fantasy-Festivals zum Schmelzen gebracht hatte.

»Ist doch gutes schottisches Wetter. Der Regen fällt fast senkrecht und nur leicht zur Seite geneigt«, zitierte er aus Braveheart.

Er ging zu Isa hinüber, die am Heck des Wagens stand und den Bergfried betrachtete, der auf der anderen Seite des Parkplatzes über den Baumwipfeln aufragte. Der Großteil des Turms, der sich hell vom verhangenen Himmel abhob, war schmal und viereckig. Obenauf thronte ein kleineres, rundes Türmchen, das seiner architektonischen Form wegen den Namen »Butterfass« trug. Die Umrandungen sämtlicher Fenster und Zinnen leuchteten in hellem Rot und bildeten einen scharfen Kontrast zu dem cremefarbenen Mörtel, mit dem man den Bau verputzt hatte. Ein Bild, das mittelalterliche Verhältnisse besser widerspiegelte als jede noch so schöne Ruine. Das Gerücht, dass eine echte Burg aus rohen, verwitterten Steinen bestehen muss – am besten noch von Raben umflattert und mit Vollmond im Hintergrund –, hatten einst die Romantiker in die Welt gesetzt, weil der wilde Charme eines solchen Gemäuers besser zu ihren Schauergeschichten über Vampire und sensible Monster aus Leichenteilen gepasst hatte.

Nachdenklich zwirbelte die grüne Fee eine ihrer Dreadlocks zwischen den Fingern.

»Valentin hätte es hier oben gefallen«, sagte sie.

Die beiden Bandkollegen schwiegen.

»War aber auch Pech.« Alex versuchte, sich trotz des Regens eine Zigarette anzuzünden.

»Was? Dass er beim Essen eine Wespe verschluckt hat? Dass er allergisch ist? Oder dass Kevin ihn beim Besuch im Krankenhaus gleich gefragt hat, ob er einen an der Waffel hätte, so was Blödes zu tun?«

Er grinste gequält. »Ja.«

Beim Gedanken an Graf Galgenstrick, der sich im Gras gekrümmt und mit blauen Lippen und verquollenem Gesicht zu atmen versucht hatte, bekam Isa noch immer eine Gänsehaut. Und obwohl keiner aus der Band es bisher offen ausgesprochen hatte, wusste sie auch, dass ihnen allen im ersten Moment der gleiche Gedanke durch den Kopf geschossen war: dass Marek die Waffel, die eigentlich von Isas Stapel stammte, irgendwie vergiftet hatte.

Eine naheliegende, jedoch falsche Theorie. Schuld gewesen war bloß ein kleines, hungriges Insekt.

Aus dem Transporter neben ihnen ertönte ein lautes Scheppern. Als Isa sich umblickte, sah sie, wie ein großer, schmiedeeiserner Topf aus der offenen Hecktür kullerte und schlingernd über den Parkplatz rollte.

»Schnell! Hol ihn zurück, bevor er Rost ansetzt!«, kreischte eine Frauenstimme.

Es polterte erneut. Dann hüpfte ein dürrer Kerl in Jeans und T-Shirt aus dem Wagen und ging dem Kessel gemächlich hinterher, ohne sich darum zu kümmern, dass er und das wertvolle Equipment nass wurden. Regenwasser spritzte, als er den Topf am Bügel aus einem Gebüsch zog. Dann entdeckte er die Gaukler. Unter den grauen, feuchten Locken, die ihm ins Gesicht hingen, breitete sich ein freundliches Lächeln aus.

»Hey, seid ihr die Spielleute?«

Kevin, der im Laderaum des »ExcaliBus« herumfuhrwerkte, winkte zur Antwort mit einer Schalmei.

Der Mann kam zu ihnen herüber und schüttelte ihnen die Hände. »Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Ich bin der Piet, von der Living-History-Gruppe Custodes Historiae.«

Sein Händedruck war fest und herzlich, obwohl sich seine Finger wahnsinnig knöchern anfühlten.

Mal sehen, was er auf der Marksburg darstellen wird, dachte Isa. Wahrscheinlich das von Krähen abgenagte Skelett eines Gefangenen.

»Ich dachte, die Belebung der Burg startet erst morgen?«, fragte sie.

»Wir sind bloß die Vorhut. Bringen schon mal die wichtigsten Sachen nach oben, Equipment, Vorräte und so, und bereiten alles vor, damit morgen nichts schiefgeht. Na ja, jedenfalls nicht mehr als sonst.« Er lachte unbeschwert. Die Regentropfen, die in seinen Kessel fielen, spielten dazu eine heitere Melodie. »Ich find’s übrigens prima, dieses Jahr ein paar Musiker dabeizuhaben. Nicht alle von der Truppe waren von der Idee begeistert, aber ich denke, ihr werdet das gut machen. Habt ihr spätmittelalterliche Klamotten dabei? Eigenes Geschirr, Tafelmesser? Wunderbar! Notfalls können wir euch auch mit allem Möglichen aushelfen. Fragt einfach nach Piet oder Johanna.« Mit der freien Hand schirmte er seine Augen vor dem Regen ab und blickte hinüber zum Transporter. »Johanna? Komm mal raus, ich will dir ein paar Leute vorstellen!«

In Manderscheid hatte Alex die Living-History-Fraktion noch als eine Bande von Ambiente-Fanatikern dargestellt, die die kleinste historische Ungenauigkeit mit ewiger Verachtung und Peitschenhieben bestraften. Doch Piet schien ziemlich locker drauf zu sein. Er strahlte noch immer, als eine Frau mittleren Alters mit langem, strohblondem Haar den Kopf aus dem Laderaum streckte.

Und vor Entsetzen den ledernen Trinkschlauch fallen ließ, den sie in der Hand gehalten hatte.

»Nein!«, rief sie zur Verwunderung aller und zog den Kopf wieder zurück.

»Ach, nun komm schon!« Piet warf den Spielleuten einen entschuldigenden Blick zu und formte mit den Lippen lautlos die Worte: »Ein bisschen schwierig, die Gute.«

Vorsichtig lugte die grüne Fee um die Hecktür des Transporters herum ins Innere des Wagens.

Der Laderaum sah aus, als ob darin ein Mittelalterladen explodiert wäre. Krüge, Töpfe und Schüsseln aus gebranntem Ton, allesamt sicher in Luftpolsterfolie verpackt, stapelten sich neben Strohsäcken und Fellen, die vermutlich als Schlaflager dienen sollten. Isa entdeckte zu Ballen zusammengeschnürte Kleider, an der Wand befestigte Pfannen und Töpfe und außerdem Unmengen an Vorräten: Säcke voller Hirse und Mehl, Getränke- und Gemüsekisten, Schachteln mit unbekanntem Inhalt. Es roch nach frischem Holz, Bienenwachs und Tier.

Inmitten des Chaos stand Johanna. Ihre blonde Mähne umwallte ihr Gesicht, als sie mit fliegenden Fingern versuchte, einen Karton aufzuschnüren. Obwohl die Custodes Historiae, die Hüter der Geschichte, erst am nächsten Tag loslegen sollten, trug sie bereits Gewandung: ein schlichtes, graubraunes Leinenkleid, das um die Taille von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde. Das lange, schnallenlose Ende des Gürtels hing, ganz nach mittelalterlicher Sitte, dank einer geschickt platzierten Schlaufe senkrecht nach unten.

Als sie aufblickte und Isa entdeckte, deutete sie mit zitterndem Finger auf deren Kopf. Ihre Stimme klang leicht hysterisch. »Das passt niemals unter eine Haube!«

Unwillkürlich schielte Isa nach oben. Gemeint waren sicherlich ihre nicht ganz authentischen Dreadlocks, die sie zu einem großen, lockeren Dutt hochgebunden hatte.

»Ich ziehe morgen ein Kopftuch drüber, keine Sorge«, versuchte sie die Frau zu beschwichtigen. »Stimmt allerdings, noch hat mich niemand unter die Haube gebracht.«

Johanna starrte sie verständnislos an.

Der winzige Schreiber in Isas Kopf ließ die Feder übers Pergament kratzen und strich »Versuchen, witzig zu sein, um das Eis zu brechen« entschieden durch.

Piet sah seine Kollegin mit milder Strenge an. »Nun mach mal ’nen Punkt, Johanna. Das sind doch ganz nette Leute.«

Endlich war der Karton offen. Beinahe zärtlich hob Johanna ein weißes Kopftuch heraus. Kurz befürchtete Isa, dass die Frau es ihr ins Gesicht pfeffern würde, doch stattdessen band sie es sich selbst auf das noch unbedeckte Haar. »Das Wochenende sollte perfekt werden, Peter. Perfekt. Deshalb war ich von Anfang an dagegen, Musiker einzuladen. Und wie du siehst, hatte ich recht! Sie sind unmöglich in das Setting integrierbar!«

»Aber wir waren uns doch einig, dass im Jahre 1376 durchaus fahrendes Volk auf der Marksburg gastiert haben könnte.«

»Nicht! Integrierbar!«

Die grüne Fee räusperte sich. Bevor die dezimierten Mitglieder von Manus Furis die lange Reise zur Marksburg angetreten hatten, waren sie von Valentin – der zwar zeitweilig seine Stimme, nicht aber seine Liebe zum Detail verloren hatte – mit allen Informationen zu Gauklern im Spätmittelalter versorgt worden, die sie brauchten, um ihre Rollen bei der Belebung der Burg überzeugend spielen zu können.

Vielleicht war es ja möglich, mit ein wenig gefährlichem Halbwissen zu der Dame durchzudringen.

»Es ist historisch belegt, dass Spielleute und andere Personengruppen, die man zum fahrenden Volk rechnete, im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts von der Straße an die Höfe der Adligen geholt wurden, um dort dauerhaft für Unterhaltung zu sorgen«, erklärte sie, im Geiste Valentins Gekrakel durchblätternd. »Vorausgesetzt natürlich, sie waren gut genug. Und wenn man dann noch bedenkt, dass die Marksburg 1376 den Grafen von, äh …«

»Katzenelnbogen«, flüsterte ihr Kevin ins Ohr.

»Wirklich?«

»Wirklich.«

»… dass die Marksburg zu dieser Zeit den Grafen von Katzenelnbogen gehörte, die nicht nur äußerst mächtig, sondern auch Freunde der Sänger und Dichter waren, dann ist die Anwesenheit von Spielleuten auf dieser Burg doch gar nicht so abwegig, oder?«

»Im dreizehnten Jahrhundert war sogar Walther von der Vogelweide ein Günstling der Katzenelnbogener«, verkündete Kevin. »Zwar gastierte er nicht auf der Marksburg, aber trotzdem: Wenn die Hochwohlgeborenen hierzulande auf solche Künstler standen, dann habt ihr mit uns den bestmöglichen Fang gemacht. Ehrenwort.«

Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Nur der Regen klopfte stetig auf die Dächer der Autos.

Dann warf sich Johanna eine gewachste Plane über Kopf und Schultern wie einen Umhang, presste sich einen Ballen Kleider vor die Brust und sprang hinaus auf den Parkplatz.