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Sig Meuther

Taiwan

Teil 4 Yin und Yang oder: Steine auf den Wegen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Was bisher geschah

 

Teil 1 WEEKLY, April 2010

 

WEEKLY, die wöchentliche Direktorenkonferenz, findet in einem Hotel an der Ostküste statt. In der Klausur wird über die Zukunft beraten. Es wird vorgeschlagen, einen neuartigen großen Freizeitpark im Meer zu bauen.

 

Eine Intrige gegen den Leitenden Direktor kann abgewehrt werden.

 

Ein junger Ingenieur gründet mit einem Luftschiff ein Verkehrsunternehmen.

 

 

Teil 2 SEE-PARK WEI, Mai 2010 - 24.10.2014

 

Die Arbeitsgruppe See-Park sucht nach einem Standort und schlägt den Pratas-Archipel in der Südchinesischen See vor.

 

In einem experimentellen Unterwasserhaus auf einer Sandbank vor Kaohsiung sollen Bauweise und Material erprobt, aber auch Befindlichkeiten der Gäste untersucht werden.

 

Am 24.10.2014 soll das Direktorium in dem Unterwasserhaus über den Baubeginn entscheiden, aber es gibt einen katastrophalen Wassereinbruch.

 

 

Teil 3 ALLES? NICHTS? 24.10.2014 und folgende Wochen.

 

Das Direktorium soll in dem Unterwasserhaus über den Baubeginn des See-Parks beraten. Durch einen katastrophalen Wassereinbruch wird fast das gesamte Direktorium getötet, der Leitende Direktor, dem der Anschlag galt, überlebt.

 

Der Täter wird ermittelt und muss das Land verlassen.

0. Prolog

 

 

Der Plan war kühn.

 

Noch nie hatte ein privater Unternehmer es gewagt, in einer solchen Größenordnung zu denken. Er würde für EBS Exploration, Building and Services AG Taipeh, das Unternehmen der Familie Chan, den Untergang bringen oder eine goldene, beneidete Zukunft.

 

Die Dimensionen des Vorhabens waren selbst für interessierte Fachleute unüberschaubar. Und sie strömten herbei, aus allen Fachbereichen, aus der ganzen Welt, um zu sehen, zu glauben und zu lernen.

 

Natürlich wusste man von den künstlichen Inseln in der Chinesischen See, mit denen die Volksrepublik ihren Anspruch auf rohstoffreiche Meeresregionen sichern wollte, gegen den Widerspruch der Weltöffentlichkeit.

 

Man hatte es fast schon vergessen, dass der frühere Flughafen von Hongkong, Kai Tak Airport, dem Meer, dem Victoria Harbour, aufgezwungen worden war.

 

Die Medien berichteten regelmäßig über die Aufspülungen im Golf von Dubai, die „Palme“, die „Welt“, künstliche Sandinseln in einer Größe und einer Vielzahl, die die Menschen erstaunt innehalten ließ, als die verwegenen Pläne bekannt wurden. Als man sie von der ISS, von der Internationalen Raum-Station im Erdorbit aus sehen und fotografieren konnte. Als sei die Erschaffung der Welt durch die Götter zu korrigieren.

 

Es gab in wachsender Anzahl Absichten und Visionen über Habitate im Meer, große oder kleine, stationär oder der Bewegung des Wassers folgend, die ihren Besuchern Entspannung und Erlebnis über und unter der Wasseroberfläche anbieten würden.

 

Dieser Plan war anders.

 

Betrachteten sie die Baustelle im Meer, waren die meisten der Beobachter der Überzeugung, in kürzester Zeit von der Erfolglosigkeit der Arbeiten und ihrer Einstellung unter großen finanziellen Opfern zu lesen. Weil unvorhergesehene Dinge die Kosten in untragbare Höhe trieben. Weil physikalische Gegebenheiten dem Plan im Wege standen. Oder weil das Meer sich wehrte, mit Stürmen und mit Fluten.

 

Bevor Betrachter sich mit ihren negativen Erwartungen abwenden konnten, schwebte ein Luftschiff über das Meer heran. Es war groß, so groß konnte man sich keinen Himmelsdrachen vorstellen. Seine Form war ungewöhnlich, war anders, anders als der runde Feichuán, an den die Menschen im Land sich bereits gewöhnt hatten. Es trug eine Last unter seinem flachen Leib, vorgefertigtes Bauteil für den Fortgang der Arbeiten, so unglaublich groß und schwer, dass eine andere Art seines Transportes nicht denkbar schien.

 

Hatte man das Ungewöhnliche des Anblickes akzeptiert, erschrak man, weil von dem beeindruckenden Geschehen nur ein Flüstern zu hören war. Ein leises Rauschen des Windes, denn es bewegte sich schnell. Ein sanftes Schnurren der elektrischen Motoren, die in sechs beweglichen Gondeln große Luftschrauben antrieben. Das sich nur verstärkte, wenn im Anflug gegen den Wind gehalten werden musste.

 

Dann verharrte das Luftfahrzeug in niedriger Höhe über dem Meer, über der Sandbank, auf der Gebäude wuchsen. Es verdunkelte den Himmel und schickte grelle Strahlen künstlichen Sonnenlichtes in die Tiefe. Es richtete sich an Lasermarken orientiert präzise aus und senkte seine Last zur Montage ab. Das erforderte kein Lager und keinen Bereitstellungsplatz, keine Infrastruktur, keine Kräne, Hebe- oder Absenkeinrichtungen. Nur ein auf Laserstrahlen orientiertes und funkgestütztes präzises Netz von Orientierungshilfen, die sich sogar nach tektonischen Bewegungen des Landkörpers automatisch selbst neu justierten.

 

Überwand ein Betrachter das trennende Meer, neugierig geworden auf die Herkunft des fliegenden Ungeheuers, so fand er im Süden des Inselstaates, südöstlich von Fangshan, auf dem Nordufer des Fangshan River im Windschatten naher Berge, ein Baufeld, auf dem die benötigten Bauteile hergestellt wurden. Es gab zwar eine Eisenbahnverbindung und wenige Straßenverbindungen nach Kaohsiung und in den Norden des Landes. Aber alle Anlieferungen von Material, von allem, was für die große Baustelle draußen im Meer benötigt wurde, auch der weiße Marmor aus Taroko und kupferhaltiger Fels aus Yüli, kamen mit großen Luftschiffen, schwerlastfähig wie das über dem Archipel beobachtete, und ihr Anblick wurde für die wenigen Menschen in der Nachbarschaft schnell zu etwas Alltäglichem.

 

Aber wer wagte es, hier an der Grenze zwischen zwei Machtbereichen, die sich noch nicht freundschaftlich zugewandt waren, zu investieren? Der Pratas-Archipel gehört zu Taiwan, zum Hoheitsgebiet der „Republik of China, Taiwan“. Daran bestanden wenig Zweifel, schließlich befand sich auf der nördlichen Hauptinsel, auf Dong Sha, ein Luftwaffenstützpunkt, seit Jahrzehnten den Anspruch Taiwans auf diese Insel und die zum Atoll gehörenden Sandbänke demonstrierend, dessen Beseitigung niemand betrieb, dessen Berechtigung aber von Festland-China, von der „Volksrepublik China“, aus macht- und wirtschaftspolitischen Interessen bestritten wurde. Konnte da eine private Investition eine Zukunft haben?

 

Die Familie Chan hatte ihre Ehre und ihr Ansehen, ihr gesamtes Vermögen, ihre gesamte finanzielle Leistungsfähigkeit in dieses Unternehmen gesteckt! Denn die Ahnen hatten ihnen gesagt, sie würden goldene Früchte ernten.

 

Aber es war bereits bis hierher ein steiniger Weg gewesen. Abgründe hatten sich aufgetan, den mutigen Plan zu verschlingen. Mit jedem überwundenen Hindernis, mit jedem erfolgreichen Schritt, mit jeder Anlieferung von Bauteilen wuchs jedoch die Zuversicht, dass der holprige Weg sein strahlendes Ziel finde. Die Zuversicht, nicht die Überzeugung.

 

Gab es ein Ziel? Ein letztes, endgültiges Ziel? Den See-Park auf der Sandbank Nam Wei im Pratas-Archipel für zehntausend Gäste zu errichten und zu betreiben? Ihn um einen zweiten, gleichgroßen Abschnitt auf der benachbarten Sandbank Bei Wei zu ergänzen, um auf die erwarteten hohen Besucherzahlen zeitgerecht einzugehen? Chan Mee Koi, Taipan des Unternehmens und Ältester in der Familie Chan, dachte bereits weiter. Viel weiter!

1. Teilung

 

 Sie begrüßten nach dem Mondkalender das Neue Jahr, das Jahr des Yang, in stiller Dankbarkeit.

 

Chan Mee Koi, der Leitende Direktor, hatte mit Absicht diesen Tag für die Sitzung des Familienrates gewählt. Diesen Tag, an dem niemand, der an seinem Arbeitsplatz entbehrlich war, arbeitete. An dem das Neue Jahr mit Freude und Lärmen begrüßt wurde, in den Familien und auf der Straße. Der Tag würde eine tiefe Bedeutung erhalten. Das Zurückliegende geht zu Ende, etwas Neues beginnt!

 

Mochte es auch das Jahr des Schafes genannt werden, eines kreativlosen und antriebslosen Tieres, das die Wahrsager zu üblen Vorhersagen veranlasste, zu Kriegen und Naturkatastrophen. Es war auch das Jahr der Ziege, eines Symbols für reiche Ernten und Wohlstand.

 

Die Katastrophe hatte ihnen bereits das Vorjahr, das Jahr des Pferdes, gebracht. Was könnte ihnen da Schlimmeres geschehen?

 

Der Konzern Chan EBS Exploration, Building and Services AG Taipeh hatte zum ersten Mal vor seinem Untergang gestanden.

 

EBS war aus einem kleinen Handwerksbetrieb entstanden, den der Vater des Leitenden Direktors Chan Mee Koi nach dem großen Erdbeben in Keelung und der Zerstörung des dortigen Familienbetriebes in Taipeh gegründet hatte. Durch kluges Agieren und die Konzentration aller Erträge in den Aufbau einer konkurrenzlosen Leistungsfähigkeit in der traditionellen und in modernen Bauweisen war innerhalb der Dauer einer Generation unter der umsichtigen Leitung von Mee Koi und mit der Hilfe seiner beiden Brüder Naru-Pei und Zhanshi ein vielfältig gegliederter Konzern entstanden. Als Mee Koi seine Frau Mali Bo aus der in TaiNan ansässigen Familie Bai heiratete, wurden wichtige Teile aus deren Unternehmen, besonders der Tunnelbau und ein Teil des Transportwesens, in den Konzern eingegliedert und der Familienrat um gleichfalls drei Mitglieder aus der Familie Bai erweitert.

 

Der Familienrat hatte sich im Observatorium, in der lichtdurchfluteten Kuppel in der 88. Etage des Tower Taipeh 105 auf dem Nordufer des Keelung Ho, des Firmensitzes von EBS, versammelt. Die Sonne senkte sich im Westen in die Chinesische See und übergoss das Land mit einem Erfolg versprechenden goldenen Schimmer. Der Ausblick über den Danshuei Ho war überwältigend.

 

Während die Menschen auf der Straße das Neue Jahr mit ausgelassenem Lärmen begrüßten, dankte der Familienrat den Ahnen dafür, dass sie diesen Tag in bescheidener, stiller Freude genießen durften. Ein Jahr mit Katastrophen lag hinter ihnen. Sie hatten alle notwendigen Erklärungen, auch die Gewissheit über ihre Ursachen. Aber die Erkenntnis, warum es geschehen war, stand noch immer zwischen ihnen, als suche sie nach dem Frieden. Hatten sie sich, der modernen Auffassung folgend, von dem Glauben an den Schutz der Götter und das Wirken der Ahnen schon zu weit entfernt?

 

Es begann damit, dass entgegen allen Vereinbarungen der Partner auf der anderen Seite der Meeresenge, eine von der Volksrepublik geschaffene Arbeitsgemeinschaft, die Arbeiten an dem Tunnel zur Querung der Formosa-Straße zwischen dem Festland und der Insel einstellen ließ. Dem halbstaatlichen Unternehmen hatte die globale Wirtschaftsentwicklung alle finanziellen Grundlagen zerschlagen und der Staat selbst hatte sich entschlossen, sich der prestigeträchtigeren Raumfahrt zuzuwenden. Das führte dazu, dass Shen Tiefbau und Transport, eines der Tochterunternehmen des Konzerns EBS, den für lukrativ gehaltenen Auftrag mit riesigen Verlusten abbrechen musste. Als Bai Ma Rugu, deren leitender Geschäftsführer aus der Familie Bai, das Unheil schließlich eingestehen musste, erforderte es einen großen Teil der finanziellen Reserven beider Familien, den Ausfall zu überstehen.

 

War das der Auslöser? Trieben die Scham über das unverschuldete Versagen, das zögerliche Verschweigen und die erzwungene Aufklärung seinen Ehrgeiz zum Handeln? Ma Rugu neidete seit langem Mee Koi die Rolle des vom Erfolg verwöhnten Direktors. Ein erster Angriff konnte vor vielen Monaten von Mee Koi abgewehrt werden, jedoch ohne Ma Rugus Ambitionen zu schmälern.

 

Das neue Projekt, der Traum Mee Kois, das die finanzielle Zukunft des Unternehmens für die Dauer der nächsten Generationen vergolden würde, verlangte nach einer Grundsatzentscheidung. Alle Voruntersuchungen waren positiv abgeschlossen. Der Direktor hatte den Vorstand deshalb zu einem entscheidenden Workshop am 24. Oktober des vergangenen Jahres nach Wei Líng eingeladen. Finstere Gedanken sagten Ma Rugu, eine solche Gelegenheit komme nicht wieder.

 

Wei Líng war ein experimentelles Wohngebäude mitten im Meer auf einer Sandbank vor Kaohsiung. Es befand sich völlig unter Wasser, um Material und Bauweisen langzeitig zu testen und dabei zu erkunden, wie Menschen in ihrer Freizeit auf ein solches Angebot reagieren. Würden genug Erholungsuchende aus aller Welt diese Form der Erholung und Zerstreuung auf, in und unter dem Wasser suchen, um dem neuen Projekt eine überzeugende Rechtfertigung zu geben? Gäben ihre Befindlichkeiten Hinweise auf optimale Gestaltungsformen? Als die Mitglieder des Vorstandes vom Zugangsturm aus die Räumlichkeiten betraten, flutete ein von Ma Rugu in der Sicherheitszentrale in Taipeh über die Verbindung der Datennetze ausgelöster Wassereinbruch das Gebäude.

 

Obwohl es sich um einen seit dem Bau des Hauses bereits von Ma Rugu geplanten Anschlag auf das Leben Mee Kois und nicht um eine dem Plan innewohnende Gefährdung handelte, haftete dem Gedanken, der das neue Projekt trug, entspanntes Leben und Erleben im Wasser für zehntausend Gäste, der vernichtende Ruf eines schrecklichen Unheils an und es kostete die Überlebenden große Überwindung, den Plan nicht aufzugeben.

 

Auch die Kosten der Wiederherstellung von Wei Líng waren nur finanzieller Aufwand, schmerzlich, aber dem Gedanken unterzuordnen, dass das Projekt dieses einmaligen Freizeitparks im Meer weiterleben müsse, nicht ebenfalls an der Missetat eines Neiders sterben dürfe. Mee Koi entschloss sich deshalb, als alle Dinge wieder ihren gewohnten Gang hatten, das Gebäude und die vielen mit ihm verbundenen positiven Emotionen zu retten, den Standort aber aufzugeben. Das Haus bekam Monate später einen neuen Standort im Pratas-Archipel.

 

Mee Koi überlebte den Anschlag, so als wolle Wei Líng, das Haus, sein Geist, ihn als Vater des Gedankens retten. Es gelang ihm auch, den Direktor für Sicherheitsfragen Zhang Xun Junxu zu retten, obwohl dieser versuchte, aus Scham über sein unverschuldetes Versagen seinem Leben ein Ende zu bereiten. Aber alle anderen Anwesenden, neun Direktoren, sieben ihrer Stellvertreter und zwei für den Service anwesende Mitarbeiter, fanden im Wasser einen jämmerlichen Tod. Hochgeschätzte verdienstvolle Mitarbeiter, die sich seit vielen Jahren, in einigen Fällen bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten dem Aufbau des Unternehmens gewidmet hatten, die in Treue hinter Mee Koi, der Familie Chan und dem Erfolg des Konzerns gestanden hatten, waren plötzlich nicht mehr. Den Verlust zu verkraften hatte eine moralische, eine menschliche und eine wirtschaftliche Dimension.

 

Es war Mee Koi gelungen, mit der Hilfe seines Vertrauten Huisheng das Unheil aufzuklären und Ma Rugus Schuld zu beweisen, der sich in der nächsten Sitzung des Familienrates dem Urteil Mee Kois unterwarf, um sich nicht der Justiz stellen zu müssen, und von ihm des Landes verwiesen wurde.

 

Es gelang, innerhalb weniger Wochen Spezialisten in den verschiedenen Disziplinen zu gewinnen, die zusammengefasste Leitungsfunktionen übernahmen und das verkleinerte Direktorium neu bildeten. Es waren die Götter, die Ahnen oder einfach nur die Gunst schnellen Handelns, die dem Fortgang notwendiger Arbeiten keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legten. Ministerpräsident Mao, zongli Mao Chi-kuo, hatte in einer viel beachteten öffentlichen Erklärung seine Hilfe und Unterstützung zur Rettung des Unternehmens und seiner zahllosen Arbeitsplätze angeboten. Wer von den konkurrierenden Unternehmen hätte es da riskieren können, eine Schwäche auszunutzen?

 

Die Bilanzen zum kalendarischen Jahreswechsel zeigten, dass die Basis des Unternehmens gesund und tragfähig geblieben war. Es waren ungewohnt schmerzliche Ergebnisse, die Sorgfalt und Nachhaltigkeit anmahnten, die aber zugleich auch ermutigten.

 

Sie hatten der unschuldigen Opfer gedacht, deren frühere Plätze an dem großen ovalen Konferenztisch im Observatorium mit Blumen geschmückt und Opfergaben bereitgestellt.

 

Mee Koi hatte die wirtschaftlichen Ergebnisse des abgelaufenen Jahres vorgetragen und damit seine Überzeugung untermauert, das große neue Projekt sei trotz des traurigen Ereignisses ungewöhnlich ermutigend, erfolgreich erkundet und wirtschaftlich tragbar. Deshalb seien konkrete Schritte einzuleiten. Für die beiden Familien, für die Unternehmensgruppe und für den großen Plan.

 

Eine bescheidene Zufriedenheit begann, die Sorgen aus den Gesichtern der Anwesenden zu vertreiben. Sie waren also noch einmal davongekommen. Die Kraft und Stärke der Familien hatte mit der Gunst der Götter und dem Rat der Ahnen das Unheil überwunden. Könne man nun auch die Erinnerung an die Ursachen der Katastrophe überwinden? Sich auf die Zukunft konzentrieren und auf den wachsenden Segen ihrer Arbeit? Sie konnten nicht ahnen, dass ihre Freude zu früh aufkam.

 

Mee Koi hatte stets seine Entscheidungen niemandem angekündigt, mit niemandem besprochen, auch nicht diese. Er lebte und handelte nach einem Grundsatz, den er von seinem Vater übernommen hatte. „Entscheide und verantworte es“, hatte sein Vater ihm geraten. Sie hatten im Hof der Werkstatt heftig darüber gestritten, der Junge Herr und die alten erfahrenen Bauhelfer, ob die alten hölzernen, mit Eisen beschlagenen Räder besser seien als die neuen mit ihren schwächlich wirkenden Speichen. Die Arbeiter wollten die herkömmlichen Karren mit dem platzfordernden Lärmen auf dem Straßenpflaster. Sein Vater kam hinzu. „Du musst es entscheiden“, hatte er gefordert, „denn du trägst die Verantwortung und die Folgen.“ Dann war er weitergegangen, denn das Ende der Auseinandersetzung war für ihn absehbar.

 

Sie hatten mit dem Einen gerechnet. Sie hatten sich mit dem Gedanken, dass das Unternehmen noch eine Zukunft habe, bereits vertraut gemacht. Das Andere käme überraschend für sie. Aber es schien ihm unausweichlich. Seine beiden Brüder, Naru-Pei und Zhanshi, würden ihm folgen. Seine Frau, Mali Bo, würde sich nicht gegen ihn und seine Entscheidung aussprechen, würde es nicht wagen nach allem, was geschehen war. Hua Tao, die als seine Ehefrau den Platz Ma Rugus im Familienrat für die Familie Bai eingenommen hatte, war zu unerfahren, sie hätte Fragen und bekäme Antworten. Lei Cha, die jüngere Schwester Ma Rugus und Leiterin des Betriebes Chan Consulting Taiwan CCT, würde nicht von dem Ehrgeiz getrieben, die ausschlaggebende Stimme für oder gegen seine Absicht zu sein. Außerdem forderten alle Untersuchungsergebnisse einen nächsten Schritt. Er könnte nur in eine Richtung gegangen werden. Er würde vorher die Wege trennen.

 

Niemand ahnte das Andere. Eine stille Freude kam auf. Kein lautstarker Stolz auf den Fortgang des Projektes, das vor seinem Untergang gestanden und einen unbegreiflich hohen Preis gefordert hatte. Kein zweifelndes Lärmen, um noch einmal dasselbe zu fragen und dieselben Antworten zu hören wie in zahlreichen früheren Sitzungen, wie in umfangreichen Dokumentationen über die abgeschlossenen Voruntersuchungen ohnehin nachzulesen.

 

Mee Koi hatte es am Ende seines Berichtes über das hinter ihnen liegende schwierige Wirtschaftsjahr angeordnet: „Der Plan erfordert den nächsten Schritt, mit der Hilfe der Götter und mit dem Segen der Ahnen.“

 

Mali Bo bemerkte es und verbarg ihr Erstaunen hinter dem neugierigen Blick ihrer dunklen Augen. Er hatte um die Hilfe der Götter und den Segen der Ahnen gebeten. Mee Koi schien sich vor den Ereignissen in den letzten Monaten, im letzten Jahr von dem Fundament, das die Fürsorge der Götter allem Wirken bietet, entfernt zu haben. Für ihn gaben seither die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen den Ausschlag, zählten Pläne und Zahlen und er hatte, so schien ihr, nicht den Rat der Ahnen gesucht. Hatte er es versäumt, nach Keelung hinauszufahren, um in dem Garten, der nach dem Erdbeben von dem elterlichen Haus, der Wohnung und dem Baubetrieb übrig geblieben und inzwischen zu einem Ehrenhain umgestaltet worden war, den Göttern zu opfern und auf den Rat der Ahnen zu lauschen? Sie war zwar überzeugt, dass die Götter Ma Rugus schändliches Handeln nicht hätten verhindern können, aber deren Fürsorge hatte die Familie Chan anscheinend ohnehin nicht mehr. Hatte Mee Koi sich jetzt besonnen?

 

Unter der Last der vergangenen Monate schien er sich verändert zu haben. Er würde in wenigen Wochen sechsundvierzig Jahre alt. Sein ehemals schwarzes Haar zeigte erste graue Strähnen. Er trug es deshalb kürzer geschnitten, es wirkte oft ungeordneter als vordem, als säße der Schrecken der Gefahr noch in seinen Wurzeln. Der Blick seiner Augen war unruhiger, forschender geworden, als fürchte er, etwas Entscheidendes zu übersehen. In den Tagen nach dem Ereignis, wie er es nannte, hatte er Gewicht verloren. Er wirkte noch stark und sportlich, aber seine Erscheinung hatte noch nicht wieder das Beharrende, das Solide, das Überzeugende des erfolgreichen Geschäftsmannes. Aber seine Energie, seine Entschiedenheit war wie gewohnt, sie schien Mali Bo klarer und direkter geworden zu sein.

 

Mee Koi erhob sich und niemand wusste, was folgen würde.

 

„Wir haben in Dankbarkeit derer gedacht, die von uns genommen wurden“, begann er. „Wir haben das Jahr betrachtet, in dem unsere Unternehmen am Abgrund standen. Wir haben uns daran erinnert, dass wir allen Grund haben, den Göttern für ihr Wirken und den Ahnen für die Obhut zu danken, mit denen sie unser Schaffen belohnen. Aber nichts wird aus einer Laune heraus gegeben. Entscheiden wir uns richtig, werden unsere Handlungen gesegnet. Hören wir ihren Rat und entscheiden uns trotzdem falsch, erfahren wir ihre Verachtung und unseren Misserfolg.“

 

Mee Koi hielt inne, griff nach seinem Glas mit frischem Quellwasser und ging bedächtig die wenigen Schritte zu der nach Nordwesten, nach Keelung hin weisenden Rundung der Kuppel. Dann verneigte er sich, wie zur Bestätigung einer von dem vor Jahren verstorbenen Vater erhaltenen unhörbaren Botschaft, trank einen kleinen Schluck des Wassers und kehrte zu seinem Platz am Tisch zurück.

 

„Wir müssen die Zukunft gestalten und dabei vor allen Gefahren gewappnet sein“, fuhr er fort. „Deshalb kündige ich euch an: Wir werden die Geschäfte der beiden Familien trennen. Chan wird wieder Chan sein und Bai wird wieder Bai sein. Möge der Familienrat, dessen bisherige Funktionen ich künftig nicht mehr anerkenne, die einvernehmliche Teilung und eine spätere Zusammenarbeit koordinieren. Ich werde die Last der Alltäglichkeiten nicht länger tragen, sondern mich nur noch der Verwirklichung unseres großen Traumes widmen. Mögen die Götter unseren Weg segnen.“

 

Fragen kamen auf wie ein Schwarm Fliegen.

 

Mee Koi lauschte eine Weile auf das Gesagte und das Nichtgesagte. Schließlich griff er nach einem unter der Tischplatte in einer Schublade verborgenen Stapel von Dokumenten. Er hatte die Kopien sorgfältig bearbeiten lassen. Niemand sollte erfahren, wer ihm die Informationen beschafft hatte. „Erinnert Ihr euch des Urteils über Ma Rugu?“, fragte er. „Ich habe ihn, um ihm eine Strafe für sein schändliches Verhalten und uns eine Verletzung der Ehre unserer Familien zu ersparen, des Landes verwiesen und er hat es akzeptiert.“ Die Beweise für sein schändliches Handeln waren eindeutig, hätten ihn für den Rest seiner Tage ins Gefängnis gebracht und den Ruf des Unternehmens, aber besonders seiner Familie geschädigt.

 

Niemand las die Niederschriften. Sie kannten ihren Inhalt, wollten sie nicht lesen, lebten in der Hoffnung, sich nicht erinnern zu müssen.

 

Schließlich fuhr Mee Koi fort: „Niemand hat um Begnadigung gebeten. Wir hätten darüber nachgedacht, auch wenn den Getöteten keine Gnade erwiesen wurde. Kein Mitglied der Familie hat den Wunsch geäußert, den Verstoßenen wieder aufnehmen zu dürfen. Die Mitglieder der Familie Chan leben in dem Glauben, dass die gegen Ma Rugu geübte Nachsicht ausreicht, den nach der Tat eingeschlagenen Weg fortsetzen zu können. Aber seit sechs Wochen befindet sich der Verstoßene entgegen der getroffenen Absprache wieder in der Obhut seiner Familie.“

 

Ein schwacher Protest erhob sich. Zhanshi, dessen Name ‚der Kämpfer‘ bedeutet, der den Platz neben Hua Tao am Tisch innehatte, rückte seinen Stuhl zurück, als gäben ihm die wenigen Zentimeter eine wirkungsvollere Abgrenzung zur Familie Bai hin. „Bei den Göttern!“, entfuhr es ihm, „Das bedarf der Erklärung!“

 

Hua Tao, die als seine Frau Ma Rugus Platz im Familienrat eingenommen hatte, war mit zweiunddreißig Jahren die Jüngste im Familienrat. Trotz ihrer konservativen Erziehung und Bildung war sie den historischen Tugenden nicht zugetan, der Auffassung vom Dienen, vom Respekt vor der Wahrheit, vom Wert der Unterordnung. Sie glaubte wohl, Mee Koi überzeugen zu können. Sie hatte an der Sitzung des Familienrates, in der das Urteil gesprochen worden war, nicht teilgenommen, war damals noch nicht Mitglied des Rates und auch nicht als Gast anwesend. Sie hatte den Platz ihres Mannes eingenommen, ohne sich den weiteren Auflagen verpflichtet zu fühlen. „Das ist doch nicht von Bedeutung“, versuchte sie zu beschwichtigen. „Es trifft wohl zu, dass wir uns gesehen haben. Unsere Wege kreuzten sich. Und schließlich ist er mein Mann und ich bin die Mutter seiner Kinder.“

 

Mee Koi verzichtete darauf, auf die Ausflüchte zu antworten. Er verzichtete darauf, sie zu bewerten, über sie nachzudenken, es hätte ihn zornig gemacht und seine Entscheidung stand ohnehin fest, wurde gefestigter, wenn es dessen bedurft hätte. Er legte weitere Nachweise auf den Tisch. Über die wiederholten Anreisen aus Hongkong. Fotografien über sein Zusammensein mit seiner Familie in der Öffentlichkeit. Bilder, die zeigten, dass er die Betriebshöfe aufsuchte, die den Tochterunternehmen gehörten und damit der Holding und dem Leitenden Direktor unterstanden. „Wie wollen wir uns in die Augen sehen?“, fragte er. „Wie können wir uns auf gemeinsam getroffene Absprachen künftig verlassen? Ich verzichte darauf, endlich Mordanklage gegen Ma Rugu zu erheben und alle Beweise wie in dem Urteil vorbehalten der Polizei zu übergeben. Das Vertrauen zwischen den Familien würde dadurch nicht wieder hergestellt. Es gibt keinen anderen Weg. Die Trennung wird vollzogen!“

2. Premierminister Mao Chi-kuo

 

 Es war einfacher gesagt als getan. Selbst der beste Plan verharrt träge vor seinen Hindernissen, wurden sie nicht rechtzeitig aus dem Weg geräumt.

 

Chan Mee Koi hatte sich selbst befohlen, keine Zeit zu verlieren. Die zurückliegenden Ereignisse mahnten ihn unvergesslich zur Eile, hatten ihm auf erschreckende Weise gezeigt, wie unerwartet Lebenswege ihr Ende finden können.

 

Sie hatten sich auf Wunsch des Regierungschefs in einem für sie reservierten und hergerichteten Konferenzraum im Weltwirtschaftsinstitut getroffen, in der fünfzigsten Etage des Tower Taipeh 101 hoch über der Stadt. „Verstehen Sie es nicht falsch“, hatte Mao Chi-kuo geworben, „die Ausgewogenheit, die Neutralität und Harmonie machen es mir dort leichter, mich mit Ihren Problemen zu befassen.“

 

Jetzt saßen Chan Mee Koi und Premierminister Mao Chi-kuo sich alleine gegenüber. Sie hatten die Freundlichkeiten, nach denen die traditionelle Höflichkeit verlangt, ausgetauscht, das gebotene Interesse an der Person, der Familie und der Arbeit des Anderen gezeigt. Ihre Mitarbeiter hatten den Raum verlassen, nachdem die beiden 'ehrenwerten Herren' angemessen versorgt worden waren. Sie hatten vereinbart, keine Aufzeichnungen über das Gespräch anzufertigen.

 

Der siebenundsechzigjährige Mao trug lockere Kleidung, wie man es von ihm außerhalb protokollarischer Notwendigkeiten gewohnt war. Chan Mee Koi erhoffte sich für die Genehmigung seines Planes das besondere Verständnis und die Unterstützung Maos, der lange Jahre Leiter des Büros für Tourismus und später bis zu seiner Wahl Verkehrsminister war und deshalb die wirtschaftlichen Impulse des Projektes gut einschätzen könnte.

 

„Mit großer Zufriedenheit habe ich vernommen, dass der Konzern EBS seine Krankheiten überwunden hat“, wechselte der Regierungschef zu dem vereinbarten Thema.

 

„Ich danke Ihnen noch einmal für unser heutiges Gespräch und für Ihre Fürsorge, die uns geholfen hat, die Krise zu überstehen. Es sind noch tiefe Narben und Wunden auf dem Weg, die mit der Zeit ausheilen müssen, die aber unsere Arbeit nicht mehr wesentlich beeinflussen“, bestätigte Chan. „Die Familie Chan konzentriert sich auf ihre eigene Kraft und Stärke. Ich habe um dieses Gespräch gebeten, weil ich davon überzeugt bin, dass Sie dem Projekt, das ich Ihnen bereits früher vortragen durfte, wohlwollend gegenüberstehen. Ich darf Sie darüber informieren, dass ich angeordnet habe, dass meine Mitarbeiter mit dessen Verwirklichung beginnen. Ich werde alle notwendigen Schritte einleiten und alle Forderungen der Regierung stets berücksichtigen. Ich weiß, dass der Weg weit und schwierig sein wird. Aber wenn im Regierungs-Yuan unter Ihrer Leitung über die Pläne gesprochen wird, wenn das Militär zu seiner Auffassung über die Aktivitäten in seiner Nachbarschaft gefragt wird, wenn die Stellungnahme der Kommission für Infrastrukturmaßnahmen nationaler Bedeutung zu bewerten ist, dann wäre es eine große Hilfe, wenn ich Ihre Fragen, Zongli Mao, rechtzeitig beantwortet haben sollte.“

 

„Ihr Plan hat eine nationale, aber auch eine internationale Bedeutung“, wandte Premierminister Mao ein. „Wie wir in einem früheren Gespräch bereits erörtert haben, müssen wir die Gefahr einer Konfrontation mit den Brüdern und Schwestern auf dem Festland bedenken. Meine Regierung wird es nicht hinnehmen, wenn unsere Präsenz auf Pratas in Zweifel gezogen würde, nicht im Grundsätzlichen und nicht aus diesem Anlass. Unser zurückhaltendes Agieren in den zurückliegenden Jahren hat den Streit um den Archipel nicht aufflammen lassen. Aber es wäre bedauerlich, wenn Ihr Plan, Mee nánpéngyou, eine Demonstration von Macht und Stärke notwendig machen würde.“

 

Der Regierungschef hatte eine sehr freundschaftliche Form der Anrede benutzt. ‚Freund Mee‘, hatte er gesagt, wohl um die vom Respekt vor dem Amt gebotene Kluft zu überwinden, und Chan Mee Koi hatte verstanden. „Zongli Mao, mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich mit der Administration in Hongkong in Verbindung setzen. Der Freizeitpark kann, so werde ich sagen, viele Vorteile für diese Stadt mit sich bringen: der Tourismus in der Stadt, An- und Abreise, die teilweise Versorgung des Parks. Ich benötige aus vielen Gründen deren Kooperation. Vielleicht finde ich auf diesem Wege auch Zugang zu jenen, die in Peking über Duldung oder Ablehnung entscheiden.“

 

Zwiespältige Gefühle zeichneten sich im Gesicht Maos ab. Eine tiefe Falte setzte sich zwischen seine dunklen, starken Augenbrauen. „Diesen Schritt sollten wir rechtzeitig mit dem Außenminister abstimmen“, bestimmte er und es war mehr als nur eine Empfehlung.

 

„Wenn Sie es mir erlauben, Zongli Mao, werde ich Sie persönlich über jede Absicht rechtzeitig informieren und um Ihre Zustimmung werben“, versprach Chan. „Aber vielleicht schaffen wir mit dem Park und dem Wohlwollen der Götter einen Ort, an dem sich Annäherung, Zusammenarbeit und Interessenausgleich entwickeln können. Die Brüder und Schwestern auf dem Festland haben sich auf einen Weg begeben, den die Wirtschaft unseres Landes bereits seit vielen Jahren erfolgreich beschreitet. Das ist inzwischen unumkehrbar geworden, diese Chance sollten wir im Interesse beider Länder nutzen. Es gibt nicht nur auf unseren beiden Seiten Probleme, die nicht mehr jeder alleine für sich lösen kann.“

 

Mao Chi-kuo sah Chan fragend an: „Wir kennen uns aus vielen Gesprächen. Sie wissen, dass ich die Untätigkeit, die Freizeit und den Urlaub mit der Mehrheit der Öffentlichkeit für einen bereichernden Bestandteil des Lebens erachte. Ich bin aber auch von der Ernsthaftigkeit überzeugt, mit der Sie Ihre Unternehmungen betreiben. Sie sprechen von ungelösten Fragen außerhalb der chinesischen Interessensphäre? Sie haben mehr als nur erbauliche Freizeit im Sinn?“

 

Chan Mee Koi kannte den scharfen Verstand seines Gesprächspartners, der viele Jahre als Professor an der Universität in TaiNan gelehrt hatte. Er hatte in vielen Gesprächen dessen analytische Denkweise bewundert, mit der er mühelos in verborgene Gedanken eindrang. Aber konnte er seine letzten Träume, die Geheimnisse, die er im innersten Winkel seines Bewusstseins bewahrte, bereits offenbaren? „Sie wissen natürlich, Zongli Mao“, versuchte Chan Zeit zu gewinnen, „dass der Park, so eindrucksvoll er sein wird, nur ein erster Bauabschnitt ist. Dass ihm ein zweites vergleichbares Projekt auf Pratas folgen wird. Die Menschen aus aller Welt werden zu uns kommen, um wieder zu sich selbst zu finden.“

 

„Überzeugen Sie mich von Ihrem Plan“, forderte Zongli Mao. „Zwei Projekte gleicher Art an einem Ort werfen nicht weniger, sondern mehr Fragen auf. So frage ich Sie noch einmal, Chan Mee Koi: Was haben Sie im Sinn?“

 

Chan nahm für einen letzten Aufschub einen Schluck Wasser aus seinem Glas. Mao sah ihn mit unbeweglichem Gesicht an. Sein Blick ließ nicht auf die Tiefe von Zweifeln schließen. „Ihre Rede vor dem Parlament, in der Sie Besinnung auf unsere Stärken und Nachhaltigkeit in allem Handeln gefordert haben, hat mich tief beeindruckt. Ich bemühe mich in meinem Unternehmen mit meinen schwachen Kräften, Ihren Forderungen zu entsprechen. Der Schutz der Umwelt und der schonende Umgang mit den uns gegebenen Mitteln beherrscht seit Jahren unser Planen und Tun.“

 

Chan schwieg für eine bedeutungsschwere Pause, sah allerdings Ungeduld in den Augen des Premierministers. „Unsere Projekte verwirklichen wir für unsere Zeit, für die Zeit unserer Kinder und, wenn der Segen der Götter auf ihnen ruht, auch noch für die Zeit der ihnen folgende Generation.“

 

War es ihm gelungen, die Aufmerksamkeit des Regierungschefs zurückzugewinnen? Mao Chi-kuo hatte den Rücken aufgerichtet und die Hände wie zu ihrer Beruhigung verschränkt. „Die Wissenschaft in unserem Lande ist vielseitig interessiert, leistungsstark aufgestellt und zum Dialog bereit. Als Nachweis für die Berechtigung dieses Lobes erinnere ich an die Entwicklung des neuen Werkstoffes 'GlasAl', der für mein Projekt entwickelt worden ist. Ich befinde mich mit mehreren Zweigen der Forschung im Gespräch, um Möglichkeiten anzuregen und Ergebnisse zu verwerten.“

 

„Würden doch alle Brüder und Schwestern so sorgsam die ihnen gegebenen Mittel einsetzen!“ In der Stimme Maos klang wieder eine leichte Entfremdung, ein Sich-entfernen mit.

 

Chan spürte die aufkommende Gleichgültigkeit. Wurde er zu einem der Vielen, die aus dem einen oder anderen Grund die Gunst des Regierungschefs vergeblich suchten? Würde eine gelangweilte Kenntnisnahme ausreichen, die notwendige Unterstützung zu gewähren, die ein Plan von solcher Tragweite benötigte, um zu gelingen? Chan entschloss sich, seine Karten aufzudecken. „Zongli Mao. Die chinesische Kultur hat Leistungen vollbracht, für die es auf dieser Erde nichts Vergleichbares gibt. Entwicklungen, die in vielen Systemen übernommen worden sind. Wenn wir uns daran erinnern, an die Kraft und Stärke und den Willen unseres Volkes, dann gibt es nichts, was unmöglich bleibt.“

 

Ein Offizier aus der Sicherheitswache des Premierministers betrat den Raum und blieb mit vielen Verbeugungen vor dem Regierungschef stehen. Sie wechselten geflüsterte Worte. Würde Mao das Gespräch abbrechen müssen, wegen vordringlicher Staatsgeschäfte? Blieben Chan noch zwei Minuten, mindestens diese zwei Minuten, um einen noch kühneren Gedanken auszusprechen? Mao zeigte keine Ungeduld. Er verschränkte erneut die Hände und sah Chan in die Augen.

 

„Sehen wir uns die Leistungen unserer Wissenschaft und Technik in den letzten fünf Jahrzehnten an“, fuhr Chan mutig fort. „Unserer Wirtschaft und der Weltwirtschaft, mit der wir vielfach untrennbar vernetzt sind. Wer will da mit Verlässlichkeit vorhersagen, welche Möglichkeiten sich in den nächsten fünfundzwanzig Jahren ergeben, wenn unsere Kräfte gezielt auf einen Gedanken ausgerichtet werden?“

 

Und Chan Mee Koi umriss einen Plan, den von ihm noch niemand gehört hatte. Er sprach über ein Problem, das die meisten Staaten auf der Erde betraf, für das es aber trotz aller Bemühungen noch keine Lösung gab. Und dessen Lösung, wenn sie sich denn an wenigen Stellen einmal ergäbe, Unmengen an Geld erfordern würde. Er sprach über die noch scheinbare Unmöglichkeit und über Ansätze in der Wissenschaft, um sich nach einer Stunde zu wiederholen: „Wer will da mit Verlässlichkeit vorhersagen, welche Möglichkeiten sich in den nächsten fünfundzwanzig Jahren ergeben, wenn unsere Kräfte gezielt auf einen Gedanken ausgerichtet werden?“

 

Premierminister Mao war seinen Worten konzentriert und schweigend gefolgt. Jetzt erhob er sich, zwang Chan Mee Koi damit, sich ebenfalls zu erheben. Er ging zum Fenster und blickte lange hinaus. Dann nickte er wie zur Bestätigung geheimer Gedanken mit dem Kopf und wies mit der Hand hinaus, mit einer weiten, die in leichtem Dunst ruhende Region umfassenden Geste. „Darum liebe ich diese Stadt“, sagte er. „Ich liebe dieses Land und seine Menschen. Ich liebe seine geistige Kraft und seine materielle Stärke. Es ist wertvoll, Träume zu träumen und die Götter einzuladen, denn sie belohnen den Mutigen. Informieren Sie mich, wenn sich die Dinge entwickeln.

3. Der Rat der Brüder

 

'Rat der Brüder' war die Umschreibung der neuen Funktion, die Chan Mee Koi seinen Brüdern vorschlug. Jede Gewohnheit muss einen Namen haben, der sie unverwechselbar macht, damit man sie erkennt.