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Nr. 3085

 

Der verurteilte Planet

 

Die Cairaner lassen die Maske fallen – eine Welt wird dem Tod überlassen

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Planetengrab

1. Sturmmäuler

2. Sirup und Träume

3. Felsentaucher

4. Söldner Arkons

5. Angriffe

6. Klaitard

7. Parapassant

8. Hyperschub

9. Ängste

10. Aller guten Dinge ...

Epilog

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich den neuen Umwelten angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Nun steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen. Die Cairaner kontrollieren die Welten der Milchstraße, wo sie eine Diktatur des Friedens errichtet haben.

Auf der Suche nach der Erde und ihrem Mond hat er einen Zwilling unseres Universums entdeckt. In diesem Zweig des sogenannten Dyoversums haben seine Begleiter und er Terra und Luna wiedergefunden. Damit ist das große Ziel in greifbarer Nähe: Die Erde und der Mond sollen an ihren angestammten Platz zurückkehren.

In der Milchstraße ist die Entwicklung weniger positiv. Die Cairaner setzen das Sternenrad ein – ein gigantisches Gebilde von den Ausmaßen eines Sonnensystems. Es lässt sich als Waffe benutzen, und dies zeigt DER VERURTEILTE PLANET ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Bouner Haad – Der Haluter möchte ein Leben retten.

Tenshuun – Der Benshér sucht die letzte Stille.

Reginald Bull – Der Resident zweifelt, ist aber zur Stelle, wenn man ihn braucht.

Markul agh Fermi – Der arkonidische Befehlshaber zweifelt nicht an der Erbtochter.

Prolog

Planetengrab

 

Im Alkoven drehte sich das zerbrechlich wirkende Mädchen vom Rücken auf die Seite, als hätte eine unerwartete Erschütterung seinen Schlaf gestört. Die Lider zuckten. Lange, weiße Haare rieben über das dunkle Kissen. Der zufriedene Ausdruck auf dem Gesicht verschwand, als schöbe sich ein Wolkenband vor eine Sonne.

Das warme, helle Gleißen, das Chariklis Kavali im Schlaf umgab wie eine Decke aus Zuversicht, verlor seine Kraft. Eine Erinnerung stieg auf, quoll der Wahrnehmung entgegen gleich einer Luftblase, die vom algenübersäten Grund eines Teichs der Oberfläche zustrebte. Im ersten Impuls versuchte Chariklis mental nach dieser Luftblase zu greifen, doch wie eine Luftblase, die man mit der Hand einfangen will, glitt sie davon, rutschte durch die Finger.

Das Erinnern ließ sich nicht aufhalten. Unerbittlich näherte es sich dem Wasserspiegel.

Die Blase erreichte die Oberfläche, durchbrach sie.

Chariklis zuckte zusammen, griff im Schlaf nach dem Kissen, das sie im Alkoven begleitete und mit dem sie mehr Zeit verbrachte als mit ihrem Erbvater. Ihre Hände gruben sich hinein, drückten zu. Das schmale Kindergesicht verzog sich, als litte Chariklis Schmerzen.

Die geborgene, vertraue Welt war verschwunden. Chariklis lag nicht mehr im Alkoven. Ihre Gedanken hatten Lichtjahre zurückgelegt, schneller als jedes Transitionstriebwerk. Sie hatten den Körper zurückgelassen, schlüpften in etwas Neues. Sie war ein Planet, eine fremde Welt, schrecklich weit entfernt. Wärme strömte aus, versickerte wie Blut in der Finsternis des Alls. Ein unfassbares Unglück war geschehen – oder war es mehr gewesen als das? Ein Anschlag auf die Kristallbaronien?

Hinter diesem Leid steckte eine bösartige Kraft. Ihr Nachhall war noch da; durchdrang die Erinnerung wie eine Hintergrundstrahlung.

Eisige Kälte läutete das Ende ein. Der Planet drehte sich dem Untergang entgegen. Er würde sterben.

Dies war mehr war als ein Traum. Chariklis Kavali erinnerte sich an das, was kommen würde, an die Zukunft. Es war ihre Bürde, die sie zu tragen hatte. Der kosmische Hauch umwehte sie, zeigte ihr, was kam. Nun musste sie heraus aus dieser Vision, aufwachen, Atlan da Gonozal warnen ... Es kam auf jede Minute an!

Sie trennte sich von der fremden Welt, die sich wie ihr Körper anfühlte, flog einem Falken gleich davon, schneller und leichter als jede Rakete. Sie jagte in die sonnenlose Dunkelheit. Unter ihr lag eine Metropole, die rasch kleiner wurde. Die Stadt war in Aufruhr. Zehn Millionen Bewohner fürchteten um ihr Leben.

Es gab Plätze, die Chariklis kannte oder von denen sie gehört hatte. Gebäude, die wichtig waren. Eine Zitadelle. Die Akademie ... Wie hieß sie noch gleich? Der Name wollte Chariklis nicht einfallen. Sie versuchte, Details zu erhaschen, doch sie war schon fort, ehe sie die Stadt wirklich gesehen hatte.

Welche Welt war es, die da im Sterben lag? Wen würde es treffen? Wann? Und vor allem: wie? Was genau würde geschehen, dass ein kompletter Planet vernichtet werden sollte?

Chariklis wollte helfen. Sie musste wissen, was vor sich ging. Je mehr sie herausfand, desto mehr konnte sie Atlan sagen.

Sie durchstieß den Orbit, ließ ihn hinter sich. Aufmerksam betrachtete sie die Sternbilder, versuchte zu verstehen, wo genau sie war. Das Bild flackerte. In der Dunkelheit erschienen ferne Sonnen, verschwanden wieder. Erst nach einigen Sekunden kehrten sie zurück, als hätte das Bild einen Wackelkontakt, der es aus- und wieder eingeschaltet hatte. Eine Konstellation dreier Gestirnhaufen in weiter Ferne fiel Chariklis auf, die charakteristische Spiralarme bildeten. Sie war erst sehr nahe, dann unendlich weit fort. Konnte das ...

Der Gedanke zerfaserte. Wärme kehrte in ihren Körper zurück, das helle Gleißen, das sie wie ein Mantel schützte, schloss sich um sie. Die fernen, flackernden Sonnen verblassten.

Nein!

Chariklis wusste, was die Veränderung bedeutete: Ihr Körper drohte tiefer zu schlafen. Wenn sie nachgab, würde sie vielleicht erst in Tagen aufwachen – Tage, die vergehen würden, ereignislos, ohne Hilfe für die zum Tode verurteilte Welt.

Es war Chariklis, die das Schicksal kannte. Niemand außer ihr konnte eingreifen.

Aufwachen! Wach auf! Es ist wichtig!

Aber sie wachte nicht auf. Tiefer, immer tiefer sank sie in Wärme und Geborgenheit, bis sie fest und traumlos schlief, mit einem Lächeln auf den weichen, rosigen Lippen. Die Verkrampfung der Finger löste sich, das Kissen glitt aus den Händen, das weiße Haar lag still. Was immer kommen würde – es musste warten, bis die Erbtochter ausgeschlafen hatte.

1.

Sturmmäuler

 

Dunkelheit senkte sich über die steinige, von wenigen Bäumen und Sträuchern durchsetzte Küste. Das Licht der beiden rot-orangefarbenen Sonnen verschwand hinter schwarzen Wolkentürmen, die den Himmel wie eine Festung einnahmen. Eine unsichtbare Kraft saugte die Farbe aus allem und warf über die Uferzone der Insel dunkle Schatten.

Bouner Haad meinte, sich unter Wasser zu bewegen. Erst der scharfe Strahl aus Licht, der aus dem Brustteil seines Kampfanzugs fiel, riss die Umgebung aus dem Grau.

Über Haad flatterte ein Schwarm Vogelartiger mit grünen Schwingen und antennenartigen Auswüchsen an der Stirn, die an Fühler erinnerten. Die Tiere hielten die Köpfe gesenkt, warfen sich dem Land entgegen. Der Wind und das Meer schlugen sie in die Flucht. Vielleicht ängstigte sie auch die plötzliche Dunkelheit.

Haad drehte den massigen Körper. Die drei roten Augen fuhren an den Stielen aus, als wollten sie den dicken, bauchigen Wolkenschichten über den Wellen näher kommen. Der Wind nahm zu, wirbelte vertrocknete Grashalme und Sand in die Höhe, riss altes Laub mit. Steinchen hoben sich, prasselten gegen Haads Hände und Füße, schmirgelten über die oberste Hautschicht.

Es kitzelte unangenehm.

Bis vor wenigen Minuten hatte der Haluter gehofft, es nicht mit den Ausläufern eines sich rasch nähernden Taifuns zu tun zu haben, doch die Anzugpositronik belehrte ihn eines Besseren. Neben der rasch ansteigenden Windstärke zeigte sie den veränderten Umgebungsdruck über dem 30 Grad warmen Wasser an.

Haad beschleunigte seinen Vorwärtslauf. Die vier massiven Arme flogen über den Boden, katapultierten ihn im Zusammenspiel mit den kräftigen Beinen weiter vom Meer fort, ins Inselinnere von Virkol.

Auf dem Rücken des Haluters jauchzte Tenshuun. Der Benshér genoss auch dieses Mal den wilden Ritt – und das trotz seiner Eröffnung, im Grunde sei er eigentlich schon tot, weil er bereits gestorben war und lediglich dank der Superintelligenz HATH'HATHANG und ihrer Hinterlassenschaft – des Bendos – weiteratmete. Der Tenshuun, den Bouner Haad erlebte, war eine Art Nachhall und hätte eigentlich schon längst in die Stille gehen sollen.

»Ich liebe Sturm!«, verkündete Tenshuun. Jedes Wort, das er sprach, war von einem feinen Brummton unterlegt.

Das menschengroße, geschuppte Wesen löste den bogenförmigen Stützschwanz vom Haltegurt und peitschte damit träge durch die aufgewühlte Luft. Die Schuppen schienen zu knistern, während das Brummen lauter wurde.

Falls Haad den Benshér richtig verstanden hatte, erstarb dieser Ton lediglich in der Gegenwart der abberufenen Superintelligenz HATH'HATHANG vollkommen, während er sonst weiterklang, wenn auch manchmal kaum vernehmbar. Aber HATH'HATHANG hatte der Benshér schon eine unvorstellbar lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bouner Haad war noch jung und hatte kein Erfahrungsgefühl für eine derartige Spanne.

Hinter Haad klatschten die Wellen lauter ans Land. Das Meer regte sich wie ein erwachender Moloch. Es erinnerte Haad an einen Haluter, der nach Monaten der Ruhe und Ausgeglichenheit in eine Drangwäsche geriet, in der er sich austoben musste. Immer höher türmten sich die Kämme auf, immer tiefer stürzte das Wasser in die Täler zwischen ihnen. Es kam bedrohlich nahe, berührte mit den Ausläufern Haads Füße.

»Und ich liebe Schutzräume!«, sagte Haad über das Brausen und Klatschen hinweg. »Wenn eine Sturmflut kommt, könnte sie selbst mich ins Meer hinausziehen. Halt dich gut fest! Ich bringe uns zu dem Wäldchen dort hinten.«

In Laufrichtung schirmte ein Ring aus hohen Felsen eine Baumgruppe ab. Die Felsen würden das Wasser brechen, es zurückhalten.

Das Heulen des Sturms wurde lauter, übertönte Tenshuuns Jubelrufe. Offensichtlich war dem Benshér jede Angst fremd. Er verlagerte sein Gewicht, schob die Beine noch tiefer in den Sicherheitsgurt, der sich über Haads Rücken spannte. Die Arme jedoch hob er ausgestreckt in die Höhe, als wäre er Passagier in einem Vergnügungsfahrgeschäft.

Während sie dem Ziel entgegenrasten, prüfte Haad den eingegangenen Peilimpuls. Das Team hatte inzwischen seine Position gesendet. Die anderen versteckten sich auf einer weiteren Insel der Kette aus Eilanden, die Haad sich gerade vorankämpfte.

Bouner Haad hoffte, dass die Insel weit genug von den Sturmausläufern entfernt lag oder das Versteck sicher genug war. Es beruhigte ihn, dass sein Team gut ausgerüstet war und neben zwei Halutern ein Mitglied hatte, das sowohl Teleporter als auch Telekinet war. Seine Sorge galt Tenshuun.

Ich hätte mich mehr beeilen sollen, zu ihnen zu stoßen, dachte Haad, doch er wusste, dass das kaum möglich gewesen war. Er hatte Rücksicht auf Tenshuun genommen, jenes rätselhafte Wesen, das ihn mit jedem Jauchzer mehr faszinierte.

Haad hatte viele Freunde, die tollkühn waren – doch tollkühn zu sein war einfach, wenn man als Haluter über drei Meter groß war und einen nahezu unverwundbaren Körper hatte. Tenshuun dagegen war klein und weich, gerade einmal 1,70 Meter groß und zerbrechlich wie ein Lemurerabkömmling.

Haad bewunderte die Opferbereitschaft des Benshér. Tenshuun zeigte mit jedem Brummton, jedem Jauchzen, jedem Funken Begeisterung in den dunklen Augen, wie gerne er all das im Nachhall seiner eigentlichen Existenz noch erlebte. Er hatte das Erleben bewusst gewählt, obwohl er wusste, dass er außerhalb des Bendos vergehen würde. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.

Ein Blitz spaltete die Dunkelheit. Gewaltiger Donner folgte. Schon lange konnte Haad keine der beiden Sonnen mehr sehen, die zum Sternenrad gehörten. Es war, als hätte der milchig-weiße Film, den man bei Nacht sehen konnte und der um das Sternenrad lag, sich in einen schwarzen Sack verwandelt, der alles einschloss.

Ein braunes, von einem glänzenden Fell bedecktes Nagetier verankerte keine zehn Meter entfernt eine Art Bohrfuß im Boden. Es rotierte um die eigene Achse, schraubte sich in Sand und Gestein. Es knirschte, als die Krallen auf harten Untergrund trafen. Nebenan gackerte und gluckste es. Eine Reihe Vogelartiger mit ledrigen Schwingen stieg in die Höhe, als hätten sie nur auf den auffrischenden Wind gewartet. Sie rissen die gelben Schnäbel weit auf. Die geschwungenen Körper wirkten leicht und elegant im Sturm, als wögen sie nichts. Gierig schnappten sie kleinere Insekten, die dem Wetter hilflos ausgeliefert waren.

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Illustration: Swen Papenbrock

Der Wind nahm weiter zu, peitschte feuchte Luft, Sand und Steine vor sich her. Haad erreichte den kleinen Wald zwischen den Felsen. Die Bäume hatten schwarze Stämme und Äste wie die Haut eines Haluters, waren aber vier- bis fünfmal so hoch wie er. Damit boten sie ihm ausreichend Schutz gegen die Gewalten. Planhirn und Anzugpositronik waren sich einig, dass ihre Wurzeln stabil waren und extrem tief reichten – diese Bäume würde auch der größte Sturm nicht umwerfen. Die Äste waren teils dicker und stämmiger als Haads Handlungsarme. Sie knirschten und knackten.

Tenshuuns Jauchzen verstummte. Seine Stimme war angespannt. »Ich habe ein schlechtes Gefühl bei diesen Bäumen.«

Haad wollte widersprechen – aber das hätte nicht gestimmt.

»Ich auch«, gab er stattdessen zu. »Aber ich weiß nicht ...«

Das Knacken nahm schlagartig zu. Von einem Moment auf den anderen zerbrachen mehrere Baumkronen über ihnen, stürzten Holzstücke und flogen Äste wie Speere. Haad pflückte Tenshuun von seinem Rücken und schob ihn unter sich. Er bildete einen lebenden Schild, umschloss das kleinere Wesen mit den Handlungsarmen. Ein spitzer Ast senkte sich in seine Haut, glitt in den Schultergürtel ehe Haad seine Körperstruktur reflexartig verhärtete und damit ein weiteres Eindringen verhinderte.

Er stieß zischend die Luft aus. »Sollbruchstellen!«, sagte er. »Dass ich darauf nicht gekommen bin!«

Die Vegetation nutzte den Sturm, um alten Ballast abzustoßen. Hunderte umherwirbelnder Äste verwandelten sich in Kleinholz. Splitter jagten Granatfetzen gleich durch die Luft, stiegen mit dem Wind auf. Die Vogelartigen stürzten sich darauf wie Piranhas auf einen kranken Krebs. Ihre Schnäbel knackten und krachten, während sie fraßen.

Tenshuun brummte lauter, als wollte er den Vogelartigen antworten.

Haads Planhirn spielte eine ganze Reihe Optionen durch, berechnete, wie rasch der Sturm ansteigen konnte und welchen Gefahren sie ausgesetzt waren, falls sie den Schutz der Felsen verließen. Da ihm die richtigen Bezugswerte fehlten, entschied er sich zu handeln – er hob Tenshuun mit den Handlungsarmen hoch, presste ihn sich schützend an den Bauch und rannte mit ihm davon.

Er fand einen freien Platz auf der anderen Seite der Felsen, weiter weg vom Meer. An einigen Stellen führten kleine Höhlen in das Gestein, die Sicherheit versprachen. Ihre Böden waren mit hellem Sand bedeckt. Erleichtert hielt Haad darauf zu.

»Stopp!«, rief Tenshuun.

Haad bremste ab, stemmte die Handlungsarme in den steinigen Boden. Regen setzte ein und hagelte auf seinen Rücken.

»Was ...?«, fragte er und verstummte.

Er erkannte es selbst: Seine Infrarotsicht, die er automatisch genutzt hatte, als er ins Innere der Überhänge geblickt hatte, hatte ihm einen bösen Streich gespielt. Der Boden in den Höhlen bestand nicht aus Stein, der mit hellem Sand bedeckt war, sondern aus ... Mäulern! Zahnbewehrte Schlünde reihten sich dort, einer am anderen wie ein verrücktes Mosaik aus fleischigem Rot, das in der Infrarotsicht hell strahlte. Vielleicht war der gesamte Felsen kein wirklicher Fels, oder das Gestein war von der exotischen Tierwelt des Planeten durchsetzt.

Die Tiere ließen Haad keine Zeit, über die rätselhafte Fauna zu grübeln. Aus den Mäulern schossen lange Zungen, die sich um die Laufarme des Haluters wanden. Sie zogen an ihm, zerrten ihn zu sich.

Bouner Haad riss sich los, doch er brauchte einige Sekunden, in denen weitere Zungen vorschnellten und sich um Tenshuun schlangen.

Der Benshér gab einen erstickten Laut von sich. Er glitt aus Haads Armen und rutschte über den steinigen Grund auf eine der Höhlen zu.

Zornig schlug Haad mit der Faust in schneller Folge gegen die beiden Zungen. Sie lösten sich, gaben Tenshuun frei und verschwanden hastig im Dunkeln.

»Danke!«, rief Tenshuun. Er hielt sich an den Gurten fest, kletterte auf Haads Rücken.

Haad wollte antworten, doch Alarmsignale des Kampfanzugs lenkten ihn ab. Mehrere Roboter näherten sich. Sie kamen trotz des Sturms rasch voran, versuchten ihn einzukreisen.

Vor Haad flimmerte die Luft: Die Gestalt einer schlanken Cairanerin in einem weißen Kampfanzug zeichnete sich ab. Der Blick der ockerfarbenen Augen war ernst. Die waagerechten Pupillen schienen die Iris zu zerschneiden. Sie bewegte die flache Nase, als würde sie wittern. Der lippenlose, verhornte Mund stand ein Stück offen. Regentropfen schlugen durch sie hindurch.

Ein Holo!

»Bleibt stehen!«, befahl eine Stimme, die aus einer fliegenden Sonde schallte, die wohl auch das dreidimensionale Bild projizierte. Die Sonde schwankte im Sturm, doch das Bild stand erstaunlich ruhig. Die Bewegungen wurden nahezu perfekt weggerechnet. Einem Terraner wären die winzigen Schwankungen vielleicht gar nicht aufgefallen, doch Bouner Haad konnte solche Details ausgezeichnet wahrnehmen.

Neben ihm zuckte eine Zunge gut 20 Meter aus der Höhle, wand sich um einen Vogelartigen und riss ihn aus der Luft in ihr Inneres.

Haad beschloss, bei den Höhlen zu bleiben. Die Felsen boten Deckung, und die Zungen konnten den Kampfrobotern vielleicht ebenso gefährlich werden wie den Vogelartigen.

»Ich höre!«, sagte er laut durch den Sturm.

Die Cairanerin starrte ihn an. Ihr Holokörper richtete sich auf, wirkte nun noch größer. »Hier spricht Nuanit Takkuzardse. Du hast kein Recht, dich auf dem Kontinent Suluwak aufzuhalten. Im Grunde dürftest du nicht einmal im Sternenrad sein.«

Ihr Blick richtete sich auf Tenshuun. »Du hast diesem Benshér seine Lebensgrundlage entzogen. Damit bist du ein Mörder. Ich habe den Befehl erhalten, dich zu töten, falls du dich weigerst, den Benshér freizugeben. Er muss in das Bendo zurückkehren, ehe es zu spät ist!«

Haad zögerte. »Willst du denn zurück, Kleines?«

Tenshuun gab einen Laut von sich, der wie ein Glucksen klang. »Nein, mein junger, fürsorglicher Freund. Aber sieh zu, dass du dich nicht töten lässt.«

»Einverstanden!« Haad aktivierte eine Verbindung zum Rest der Gruppe. Das Team konnte ihn hören. Um keine Zeit zu verlieren, sprach er die Person an, die oben in der Verbindungsanzeige stand. »Dancer?«

»Ja?«

»Die Lage ist ernst! Schick mir Sallu!«

Noch während er den Befehl gab, griffen die Kampfroboter an.

2.

Sirup und Träume

 

Vandasirup und Zitrone.

Mit einer Mischung aus Widerwillen, Bedauern und genervter Ergebenheit griff Reginald Bull nach dem Glas, das vor ihm auf dem schlichten Tisch des Besprechungsraums der Solaren Residenz stand. Er hob es hoch, drehte es in der Hand und war sich bewusst, dass sowohl Ganud, sein Freund und Posbi-Berater, als auch seine Stellvertreterin Yvonne Omeriga ihn genau beobachteten.

Ganud stand ganz ruhig, der halbkugelige Kopf auf dem birnenförmigen Körper bewegte sich nicht. Zehn zarte Tentakel ragten aus seinem Kopfsegment und ließen Bull einmal mehr an ein wrackes Schirmgestell denken.

Der Posbi jedoch war alles andere als wrack. Die schwarzen, merkwürdig lebendigen Augen zeigten einen wachen Geist, der eher einer Schwertschneide als einer Schirmstrebe glich. Der Posbi tauschte einen kurzen Blick mit Yvonne Omeriga, als würden die beiden sich Sorgen um ihn machen.

Bull hasste diese Blicke.

Yvonne Omeriga strich sich durch das stets ein wenig zerzauste Haar, als hätte sie Bulls Ablehnung bemerkt. Ihre grünen Augen wirkten kurz leer, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf eine Platte mit Gebäck und Obst, die bisher unbeachtet im Raum gestanden hatte. Morgens aßen sie beide ungern, und für Ganud erübrigte sich das ohnehin.

Vandasirup und Zitrone.

Bull nahm einen Schluck. Er hätte lieber einen Whisky getrunken – oder zwei oder drei. Und genau deswegen trank er keinen. Es schickte sich nicht, ganz egal, ob das Getränk keinen Alkohol hatte oder der Zellaktivator dessen Auswirkungen verhinderte. Der Whisky wäre ein Symbol gewesen, sich selbst und anderen gegenüber, das er nicht wollte.

Gucky ist tot.

Manchmal meinte er, bloß ein Zuschauer zu sein, der am Rand eines Platzes stand und beobachtete, was gerade auf der galaktischen Bühne geschah.

Und der es nicht glauben wollte. Alles, was geschah, war auf Effekt hin inszeniert.

Es war nicht real. Jemand wollte, dass alle etwas Bestimmtes glaubten: dass es Terra nie gegeben hatte; dass Gucky tot war.

Beweise? Was für Beweise? Ja, es gab Augenzeugen. Ja, man hatte die rotierende Spiralgalaxis gesehen ...

Aber für Reginald Bull blieben das Indizien. Gucky starb nicht. Das war ein Naturgesetz. Oder jedenfalls sollte es den Rang eines solchen haben.