Die Kunst der Entspannung
in der Anspannung
1. Auflage 2019
© 2019 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf
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darf kein Teil des Werkes in irgendeiner Form reproduziert, oder unter
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Buddhistische Psychotherapie BPT® ist eine eingetragene Marke
Achtsame Selbststeuerung ASST® ist eine eingetragene Marke
Umschlaggestaltung: Jennifer Jünemann | www.bitdifferent.de
Abbildungen: Matthias Ennenbach, überarbeitet von Thomas Hajdu
Lektorat: Sylvia Luetjohann
Satz & Layout: Marx Grafik & ArtWork
eISBN 978-3-86410-235-6
www.windpferd.de
Einführung
KAPITEL 1 · ANNÄHERUNGEN AN DAS THEMA
Die Etappen auf unserem Weg
Körper.Bewusst.Sein
Der Körper
Das Bewusstsein
Das Sein
Körperentfremdung
Sich selbst (nicht) spüren können
Wir selbst können uns wandeln
Alles beginnt mit einer Absicht
KAPITEL 2 · ANSPANNUNG UND ENTSPANNUNG
Unsere inneren Spannungen
Die Auswirkungen von Anspannung und Entspannung
Entspannung will das Bewusstsein zu sehr entspannen
Anspannung will das Bewusstsein zu sehr anspannen
„Entspannung“ in der Anspannung
„Anspannung“ in der Entspannung
KAPITEL 3 · DIE ERSTEN SCHRITTE ZUR VERÄNDERUNG
Körperbewusstsein – ein wissenschaftlicher Exkurs
Die Symbolfunktion des Körpers
Das Problem der Körperdistanzierung
Unser Körper als Lehrmeister
Der neurowissenschaftliche Zugang zur Körperebene
Die Atmung
Die Atemprüfung
Wie wir unsere Atmung bewusst steuern können
Die Weisheit unseres Körpers
Körper und Geist bilden eine Einheit, funktionieren aber verschieden
Was uns stärkt
KAPITEL 4 · DIE KÖRPERLICHE PRAXIS
Die ersten Übungen
Die Körperebene der Übungen
Die Bewusstseinsebene der Übungen
Die Atembeobachtung verbindet Geist und Körper
Anfangsentspannung
Aufrechtes Sitzen
Weitere Übungen auf dem Stuhl
Weitere Übungen ohne Stuhl
Endentspannung im Liegen
Mikropausen
Übungsprotokoll
Bilanz
Intensivierung
KAPITEL 5 · VOM KÖRPERLICHEN ZUM GEISTIGEN
Geistige Ruhe trotz äußerer Belastungen
Im Auge des Sturms verweilen
Negatives mindern und Positives fördern
Von der Theorie zur Praxis
Körper.Bewusst.Sein
Körperhaltung = Geisteshaltung
In den Strom treten
Der Übungsplan
Die fünf Aspekte des Übungsplans
Sekunden-Yoga
Die Frage nach dem Lebenssinn
Spiritualität
ANHANG
Literatur
Über die Autoren
Veröffentlichungen von Matthias Ennenbach
Veröffentlichungen von Kirsten Endrikat
Übungsprotokolle
Im Fokus unserer Arbeit stehen Körper und Geist und das Geschenk, diese Integration als Körper.Bewusst.Sein zu erfahren. Wie das genau funktioniert und von den daraus entstehenden heilsamen Effekten handelt dieses Buch.
Die beschriebenen Inhalte haben sich im Laufe der letzten Jahre durch zahlreiche Praxis- beziehungsweise Unterrichtserfahrungen entwickelt, die wir mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen sammeln durften.
Unsere langjährigen psychologischen Tätigkeiten als Ausbildungs- und Seminarleiter/in führten uns zu einem didaktischen Konzept, wie wir Menschen zu nachhaltigen inneren Veränderungen „bewegen“ können. In diesem Buch bieten wir daher eine konkrete Herangehensweise an, bei der Körper und Geist wieder zusammenfinden und dadurch das Bewusstsein zunimmt. Denn wenn sich Körper und Geist wieder in einer bewussten Verbindung befinden, entsteht etwas Neues. Das verhält sich etwa so, als wenn man Sauerstoff und Wasserstoff zusammenbringt, dann nämlich entsteht daraus Wasser.
Die Inhalte dieses Buches konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf Themen wie zum Beispiel Entspannung, Körperübungen, Atmung, Achtsamkeit, Bewusstseinswandel, Geistesschulung, Lockerung und Auflösung von Gewohnheitsmustern, Ressourcenaktivierung, Potenzialentfaltung etc. Diese Themen vermitteln wir auf unterschiedlichen Ebenen und verfolgen dabei einen ganzheitlichen Ansatz. Das bedeutet, dass wir menschliches Lernverhalten berücksichtigen und dessen Funktionsweise nutzen. Intensives und nachhaltiges Lernen geschieht nämlich nicht durch Zuhören oder Lesen, sondern durch eigenes Erleben. Sinnliche Erfahrungen und die dadurch gesammelten Erkenntnisse sind die mächtigsten Lernimpulse. Das, was Sie heute sind, Ihre Persönlichkeit und Ihre Eigenschaften haben sich ganz sicher nicht dadurch gebildet, dass Sie irgendwo etwas Interessantes gehört oder vermittelt bekommen haben. Es sind Ihre persönlichen Erfahrungen, die Sie geprägt haben. Das ist einer der Gründe, warum wir hier in diesem Buch achtsame Körperübungen mit relevanter Wissensvermittlung kombinieren.
Vielleicht sind Sie nun interessiert daran, dieses kleine Büchlein durchzugehen, um von konkreten Inspirationen für Ihr Leben zu profitieren. Da Lesezeit immer auch Lebenszeit ist, wünschen wir Ihnen eine inspirierende Lektüre.
Matthias Ennenbach & Kirsten Endrikat, Berlin 2018
Bewusster zu leben wird uns immer wieder nahegelegt. Ernährungsumstellungen, Antistresstrainings, Bewegungsangebote, Meditationen, Yogakurse und viele andere Methoden werden dafür angeboten. Einen nachhaltig, regelmäßig funktionierenden Zugang dafür zu finden scheint dabei eine große Hürde zu sein, denn es fällt den meisten Menschen nicht leicht. Dabei spielt erwiesenermaßen die eigene Überzeugung von der Selbstwirksamkeit eine zentrale Rolle, aber auch Intentionen, Planung und weitere selbstregulierende Fähigkeiten. Dazu folgen später noch konkretere Erläuterungen.
Doch so viel sei an dieser Stelle schon verraten: Nach unserem Ansatz ist der erste Schritt zunächst die Selbsterkenntnis und die Bereitschaft, bewusst zu werden.
Wie aber stellt man Bewusstheit her? Wahrscheinlich klingt das zunächst nach Anstrengung, Langsamkeit und Langeweile und wirkt daher abschreckend und wenig motivierend.
Wenn Sie jedoch verstanden haben, dass der Zustand Ihres Bewusstseins darüber entscheidet, wie Sie sich selbst und die Welt sehen, in der Welt leben, sich in ihr bewegen und vor allem, wie Sie sich fühlen, dann können Sie sich der Relevanz dieses bedeutsamen Themas nicht mehr entziehen. Wir möchten Ihnen hier ein Erfahrungskompendium anbieten, in dem Sie auf konkrete Weise zu einem intensiveren, weil bewussteren Leben finden.
Aber keine Sorge, wir werden Ihnen effektive Methoden zeigen, die Sie ganz leicht umsetzen können. Sie müssen dafür nicht alles verändern oder drastische Maßnahmen umsetzen. Es sind vielmehr die kleinen Dinge, die es heilsam zu summieren gilt.
Manchmal entstehen schlimme Dinge nicht durch große Katastrophen, sondern durch die Ansammlung zahlloser kleiner Unachtsamkeiten oder geringfügiger Probleme. Bekanntlich höhlt der stete Tropfen den Stein. Auf dieser Philosophie der kleinen Schritte basiert unser Angebot.
Sie fragen sich jetzt sicher: Können wir uns als Erwachsene wirklich nochmal deutlich verändern? Unser aktuelles Funktionieren ist meist dadurch geprägt, dass wir unbewusste innere Gewohnheitsmuster abspulen. Wenn wir dann erkennen, dass solche Muster auch Flexibilität und Lebensfreude vermindern, mitunter sogar Gefangenschaft erzeugen, wir Leidenskreisläufe durchlaufen und eine positive Sicht aufs Leben einbüßen, weil wir eher funktionieren als wirklich zu leben, dann entsteht oft eine Suche nach Alternativen. Wie können wir uns davon befreien?
Früher hieß es immer: Einen alten Baum verpflanzt man nicht, oder: Einem alten Hund bringt man keine neuen Kunststücke bei. Heute wissen wir, dass man sich nur dann nicht verändert, wenn es kein Interesse mehr für neue Dinge gibt und stattdessen nur noch Routinen abgespult werden. Ein Leben auf der Basis von reinen Gewohnheitsmustern fühlt sich einerseits zwar wohlig vertraut an, andererseits jedoch führt es zwangsläufig zu geistigem Abbau und einem Gefühl innerer Leere. Natürlich können Sie diese Leere mit Aktionismus, Konsum oder Medien zu füllen versuchen, aber glücklich oder zufrieden werden Sie damit erfahrungsgemäß nicht.
Wir bieten Ihnen hier einen überaus heilsamen, effektiven und wirkungsvollen Weg an, um über die Kultivierung von Körper-Bewusstsein zum Körper.Bewusst.Sein zu kommen. Was halten Sie von einem Selbstversuch? Dazu wollen wir Sie im Folgenden einladen.
Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass Sie Ihren Körper pflegen und achten und auch, dass Sie Ihren Verstand gut nutzen können. Aber prüfen Sie bitte einmal jetzt Ihre Körperhaltung. Wie fühlen sich Ihr Rücken und Ihren Schultern an? Wie atmen Sie gerade?
Es sind tatsächlich Gewohnheitsmuster und innere Programme, die das steuern. Natürlich sind solche inneren Programme hilfreich, aber sie führen uns auch vollkommen aus dem bewussten Zustand heraus. Besonders in schwierigen Situationen, die eigentlich unsere volle Bewusstheit benötigen, verstärkt sich diese innere Neigung, nur noch auf der Basis von Gewohnheitsmustern zu reagieren. Dieses Funktionieren durch Muster wie auf Autopilot, betrifft sowohl geistige wie auch körperliche Abläufe. Unser Körper wird dabei oft funktionalisiert, um keine Störsignale zu erhalten.
Die fatale Folge ist, dass der Umgang mit unserem Körper immer unbewusster wird. Insbesondere bei Stress verhalten wir uns sogar extrem körperfeindlich. Anstatt dem Körper genau in dieser schwierigen Phase der Anstrengung etwas Gutes zu tun, haben wir eher die Neigung zu körperfeindlichem Verhalten (wie zum Beispiel Konsum von Substanzen, Passivität etc.).
Unser Körperempfinden kann natürlich immer nur im Hier und Jetzt sein, da unser Körper vollkommen verhaftet an die Materie ist. Er erinnert uns ständig an unsere vielen Bedürfnisse und führt uns unsere Grenzen sowie auch unsere Endlichkeit und Vergänglichkeit vor. Zudem ist er ein guter Lehrmeister für das Thema Veränderung und Wandel, denn unser Körper ist einem permanenten Wandel unterworfen. Der Stoffwechsel führt zu einem immer neuen Empfinden von kurzem Wohlsein bis Mangel- und Schmerzsignalen. Und wir sind stetig und automatisiert damit beschäftigt, diesen Signalen und Bedürfnissen nachzugehen.
Zur wichtigen Klärung vorweg: Nachfolgend werden Begriffe wie Bewusstsein, Geist, Verstand synonym verwendet. Das ist eine Vereinfachung, die auf unsere geistigen Prozesse verweisen möchte.
Unser Bewusstsein ist, ganz anders als unser Körper, nicht an das Hier und Jetzt gebunden. Deshalb wandert es sehr gerne durch die Zeit. Wir spekulieren über Zukünftiges und grübeln über Vergangenes. Dabei trennen sich Körper und Geist. Diese Trennung hat für uns erhebliche Folgen. Insbesondere entstehen durch solche Aufteilungen innere Spannungsbögen, die unser Bewusstsein verwirren. Es ist ein wenig so wie bei einer Schneekugel, die mit Schwebepartikeln gefüllt ist. In Ruhe sehen wir ein klares Bild, aber sobald wir sie schütteln, „schneit“ es.
Wenn unser Bewusstsein unter Spannung gerät, es „geschüttelt“ wird, trübt sich unsere Sicht. Alle Energie geht in Folge zur geistigen Tätigkeit, der eigene Körper verliert jegliche Aufmerksamkeit. Dies gilt jedoch nicht bei starken Körpersignalen, hier bleibt der Körper bewusst, jedoch im negativen Sinn.
Unser Sein ist vollkommen abhängig vom Zustand unseres Körpers und unseres Bewusstseins. Wenn unser Körper beispielsweise Schmerzsignale sendet, Hunger und Durst oder andere Bedürfnisse spürbar werden, entstehen in uns starke Spannungen und Impulse in dieser Richtung. Der Zustand unseres Bewusstseins entscheidet darüber, wie wir uns selbst und die Welt sehen. Sind wir beispielsweise verliebt, ist alles rosarot, sind wir traurig, legt sich über alles ein dunkles Tuch.
Körper, Bewusstsein und Sein hängen also untrennbar miteinander zusammen. Deshalb werden wir uns diese Etappen etwas genauer anschauen und einige Hindernisse auf dem Weg thematisieren.
Obwohl uns doch rein gar nichts so nah ist wie unser eigener Körper, verlieren wir dennoch sehr leicht den Kontakt zu ihm. Das betrifft insbesondere stressgeplagte Menschen. Die „Musik der Ablenkung“ ist einfach zu laut. Die Aktivitäten, die wir unbewusst abspulen, wirken oftmals verwirrend. Der Geist wandert stetig von einem zum anderen Aspekt und führt mit der Zeit ein Eigenleben. Grübelei zählt wohl mittlerweile zu den großen Volkskrankheiten. Beim Grübeln, als eine von sehr vielen Belastungsempfindungen, verlieren wir das Bewusstsein für unseren Körper, aber auch jede andere Situation innerer Aufregung, äußerer Stressoren bringt unser Bewusstsein weg von uns selbst, von unseren Empfindungen.
Wir beobachten sehr oft bedrohliche Ausmaße von Körperentfremdung, so als wären Mensch und Körper eine Art von Notgemeinschaft, die sich nicht verstehen. Der Körper wirkt dann ungelenk, es besteht kein richtiges Empfinden dafür, was heilsam ist und was nicht. Bewegung macht keine Freude. Der Körper beginnt Fettschichten zu bilden oder magert ab oder sendet Schmerzsignale. Bei manifesten körperbezogenen Problemen wird dann ein spezialisierter Arzt konsultiert, der nicht das Ganze, sondern nur seine Fachdisziplin im Blick hat. Das Symptom soll durch den Arzt schnell und schmerzlos mit Medikamenten abgestellt werden.
Vielleicht haben Sie schon lange verstanden, dass Körper und Geist zusammengehören und eine Trennung ungünstig ist. Aber unser Geist fokussiert den Körper eben nicht automatisch. Schließlich gibt es in der Außenwelt genug interessante Dinge, auf die sich unser Geist nur zu gerne stürzt. Sie haben bestimmt auch viele Verpflichtungen, die Ihr Bewusstsein in Anspruch nehmen. Zudem kennen Sie bestimmt auch viele Begehrlichkeiten, Wünsche und Hoffnungen, die zu inneren Spannungen führen, wenn Sie sich diese bewusst machen.