image

Günther Mohr

Einführung in die systemische Transaktionsanalyse von Individuum und Organisation

2020

image

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlag: Heiner Eiermann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in the Czech Republic

Druck und Bindung: FINIDR, s.r.o.

Erste Auflage, 2020

ISBN 978-3-8497-0341-7 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8218-4 (ePUB)

© 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/.

Wenn Sie Interesse an unseren monatlichen Nachrichten haben, können Sie dort auch den Newsletter abonnieren.

Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

info@carl-auer.de

Inhalt

Vorwort

1Einführung

1.1Ursprünge der systemischen Transaktionsanalyse

1.1.1Die neue Identität des Transaktionsanalytikers

1.1.2Drei bedeutende systemische Prinzipien für die TA

1.2Ein integrativer Entwurf

1.3Metatheorie für die Transaktionsanalyse

1.3.1Metatheorie 1: Transaktionsanalyse als systemische Beziehungstheorie

1.3.2Metatheorie 2: Der Diamant der Professionalität

2Individuelle systemische Transaktionsanalyse

2.1Das Menschenbild der systemischen Transaktionsanalyse

2.2Persönlichkeit und Unterschiedlichkeit

2.2.1Ich-Zustands-Theorien

2.2.2Das Lebensplan-(Skript-)Modell

2.2.3Aufmerksamkeitsebenen – Aufmerksamkeit und Achtsamkeit

2.3Beziehung und Kommunikation

2.4Wirklichkeit und Systembezug

2.5Entwicklung und Veränderung

2.6Professionsmethoden

2.6.1Beratungsvertrag

2.6.2Beratungstechniken

2.6.3Häuser-Modell

2.6.4Ein Vertiefungsbeispiel – Antreibermuster

2.7Ausblick für die individuelle systemische Transaktionsanalyse

3Organisationale systemische Transaktionsanalyse

3.1Das Rollenmodell

3.2Systemdynamiken

3.2.1Systemstruktur – Aufmerksamkeit, Rollen und Beziehungen

3.2.2Systemprozesse – Kommunikation Problemlösung und Erfolg

3.2.3Systembalancen – Gleichgewicht und Rekursivität

3.2.4Systempulsation – Äußere und innere Pulsation

3.2.5Fallbeispiel

3.3Systemische Transaktionsanalyse am Beispiel des politischen Kontextes

Ausblick

Anhang

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Im 21. Jahrhundert gilt es, den Menschen als Individuum und gleichzeitig in seiner Bezogenheit auf den anderen Menschen, auf Gruppen, Organisationen und Gesellschaft, zu sehen. Hier wird die systemische Transaktionsanalyse, die sich aus der Integration der beiden psychologischen Verfahren Transaktionsanalyse (TA) und systemischem Ansatz seit den 1990er-Jahren entwickelt hat, vorgestellt. Ich selbst hatte noch das Glück, wichtige Weggefährten des Begründers der Transaktionsanalyse, Eric Berne, persönlich kennenzulernen, da ich von 1999 bis 2007 als junger Transaktionsanalytiker dem Board of Trustees der Internationalen TA-Gesellschaft (ITAA) angehörte. Dort traf ich die Transaktionsanalytiker der ersten Stunde, Claude Steiner und Fanita English, die zeitweise auch in diesem Gremium Mitglied waren, in der Zusammenarbeit. Interessant und für mich beeindruckend war die freie Art, mit der sie an Themen herangingen. Diese damals schon als Koryphäen geltenden Transaktionsanalytiker lebten die Eine-Augenhöhe-Beziehung und die Offenheit für Neues. Und es war klar, Transaktionsanalyse stammt aus einer freien, dialogischen, nichtautoritären Tradition in der Gründungszeit der humanistischen Psychologie. Außerdem war TA von Beginn an ein innovatives Verfahren. In der Gründerzeit bekam man die offizielle Anerkennung als zertifizierter Transaktionsanalytiker, indem man ein neues Konzept entwickelte. So entstanden gerade in der ersten Zeit ungeheuer viele interessante Modelle. Der systemische Einfluss ab 1980 war dann ein wichtiger Impuls in die Denkwelt der Transaktionsanalyse. Dass die schönen, so optimal komplexitätsreduzierenden psychologischen TA-Modelle keine Realität sind, sondern nur Landkarten zur Orientierung, war ein schwerer Schlag für viele. Konzepte mussten danach in ihrer Passung für eine Situation geprüft und je nach Anforderung sogar verändert werden. Alle, die ein Ideensystem zur Sicherheit und quasi als Schablone brauchten, litten sehr darunter. Dies waren nicht wenige, kein Wunder bei einer Methode, die Struktur im Leben als das Wesentliche ansieht. Dennoch ist die neue, systemische Orientierung für die Transaktionsanalyse unerlässlich, da sie die Grundlage für eine fruchtbare Weiterentwicklung der Methode darstellt. Im Folgenden wird zunächst auf der Basis systemischer Grundprinzipien eine Metatheorie der TA vorgestellt. Denn an TA wird oft kritisiert, sie sei nur ein Sammelsurium von Tools. Ich werde zeigen, dass das nicht stimmt. Danach werden die Konzepte der Transaktionsanalyse in moderner, systemischer Lesart vorgestellt: systemische Transaktionsanalyse für Individuen und für Organisationen. In einer systemischen Betrachtung dürfen aber auch hinterfragende kritische Töne gegenüber einer Methode nicht fehlen. Das Buch ist für alle, die zeitgemäße Transaktionsanalyse interessiert. Dies können erfahrene oder beginnende Praktiker sein, die TA-Konzepte nutzen und sich für ihre Anwendung den nötigen theoretischen Zusammenhang wünschen.

Ganz viele Leute haben mich bei diesem Buch unterstützt, mit Lesen, mit Anregungen, mit Kritik: Anette Dielmann, Ulrike Glindmeyer, Christine Behrens, Friederike Höher, Patricia Matt, Sascha Weigel, Rolf Balling, Natalia Berrio Andrade und Annekatrin Mohr. Das Buch verdichtet und entwickelt viele Gedanken zur systemischen Transaktionsanalyse weiter, die ich in ihren Ursprüngen in Systemische Organisationsanalyse, Coaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse, Workbook Coaching und Organisationsentwicklung, Achtsamkeitscoaching und Resilienzcoaching erstmals in die Diskussion einbringen konnte. Deshalb bedanke mich auch bei Andreas Kohlhage vom EHP-Verlag für den Mut, diesen Ideen Raum gegeben zu haben.

1Einführung

1.1Ursprünge der systemischen Transaktionsanalyse

In den 1950er-Jahren hat Eric Berne erste Konzepte der Transaktionsanalyse in Kalifornien formuliert. Transaktionsanalyse betrachtet die Transaktion, die Begegnung zwischen Menschen und wie Menschen darin ihr Persönliches leben. Sie enthielt von Beginn an Wurzeln von systemischem Denken, denn Berne kannte persönlich Norbert Wiener, den Begründer der Kybernetik, einen der Stammväter des systemischen Ansatzes. In dieser Zeit arbeitete auch George Kelly, »der erste Systemiker«, der durch sein Konzept der reproduktiven Konstrukte schon 1955 »Persönlichkeit« in ihrem Konstruieren von subjektiver Wirklichkeit beschrieb (Kelly 1955). Dieser Ansatz weist interessante Parallelen zu Gedanken der von Berne formulierten Theorie des unbewussten Lebensplans (Skript) auf. Der Beginn der systemischen Transaktionsanalyse als einer Integration der traditionellen Transaktionsanalyse in den systemischen Ansatz kann auf Mitte der 1980er-Jahre datiert werden. Diese zeitgemäße Reform und Neukonzeption der Transaktionsanalyse erfolgte zunächst im deutschsprachigen Raum. Dazu hat sicherlich auch eine damals auftretende systemische Kontextbedingung, nämlich das deutsche Psychotherapeutengesetz beigetragen, in dem der Transaktionsanalyse die Anerkennung als akkreditierte Psychotherapie versagt wurde. Nur Verhaltenstherapie, Psychoanalyse und tiefenpsychologische Verfahren erfuhren offizielle Anerkennung. Vielleicht wäre die Entscheidung anders ausgegangen, wäre die TA nicht unter der humanistischen, sondern unter der tiefenpsychologischen Fahne gesegelt. Diese Nichtanerkennung hatte zur Folge, dass Transaktionsanalytiker ihr Wissen zunehmend über den psychotherapeutischen Bereich hinaus im Beratungs-, Pädagogik- und Organisationsbereich entwickelten und sich dabei der systemische Ansatz als wichtiger Impulsgeber erwies. Später haben vor allem die familientherapeutischen Ansätze insbesondere der Mailänder Schule mit Mara Selvini Palazolli, aber auch der Heidelberger Gruppe mit Helm Stierlin, Fritz B. Simon, Gunthard Weber und Gunther Schmidt die psychotherapeutische Szenerie beeinflusst. Zum Umfeld der Heidelberger Gruppe gehört auch der Transaktionsanalytiker Bernd Schmid. Weber und Schmid arbeiteten zeitweise in Wiesloch im Institut für systemische Therapie und Transaktionsanalyse eng zusammen (Weber und Schmid 1988). Gerade für die organisationale systemische Transaktionsanalyse gilt aber auch Niklas Luhmans Systemtheorie der Organisation als Wurzel (Luhmann 2000). Die erste Verschriftlichung der Verbindung von systemischem Ansatz und Transaktionsanalyse erfolgte dann durch den noch im Eigenverlag herausgegebenen Band Systemische Transaktionsanalyse (1986) des damals als Psychotherapeut tätigen Bernd Schmid. Es war ein Ausrufezeichen. Schmid definierte Transaktionsanalyse und das Tun des Transaktionsanalytikers folgendermaßen:

»Transaktionsanalyse meint einen professionellen Umgang mit der Gestaltung von Wirklichkeit durch Kommunikation« (Schmid 1994, S. 112).

»Transaktionsanalytiker helfen als professionelle Praktiker, einschränkende Wirklichkeits-Gewohnheiten ihrer Klienten zu überwinden und stattdessen schöpferische und sinnvolle Alternativen zu entwickeln« (ebd., S. 113).

Dies war eine neue Identitätsbeschreibung für die TA, die einerseits den Fokus auf die Transaktion, die kommunikative Handlung als Grundeinheit von Begegnung, legte, gleichzeitig den wirklichkeitskonstruktiven Aspekt der Systemiker beinhaltete. Im angelsächsischen Raum sind auf der Seite der Systemiker in der TA der Familientherapeut Robert Massey (vgl. 1985), der Transaktionsanalytiker und Hypnotherapeut Stephen Lankton (vgl. Lankton et al. 1981), aber vor allem Jim Allen erwähnenswert (2003). Allens Ansatz fokussiert das konstruktivistische Moment. Im Jahre 1999 formulierten dann Keith Tudor und Graeme Summers in England die Co-creative TA, wobei der Begriff des Kokreativen schon von Schmid (1986, 1994) genutzt worden war. Im Kokreativen zwischen Therapeut und Klient liegt das gemeinsame Konstruieren einer neuen Wirklichkeit. Tudor und Summers (1999) bezogen allerdings auch aus der Psychoanalyse stammende Beziehungskonzepte wie Übertragung und Gegenübertragung zwischen Klient und Therapeut mit ein. Die Transaktionsanalyse ist durch ihre Weiterentwicklung in die systemische Transaktionsanalyse nicht mehr alleine eine in den 1950er- und 1960er-Jahren in Amerika von Eric Berne entwickelte Psychotherapie, sondern eine eigenständige theorieuntermauerte Therapie- und Beratungsrichtung, die auch erfolgreich für Prozesse im Coaching und in der Organisationsentwicklung einsetzbar ist.

1.1.1Die neue Identität des Transaktionsanalytikers

Systemische Transaktionsanalytiker beziehen sich auf acht Prinzipien (Schmid 1989; Mohr 2005): Sie …

• fußen auf der Analyse von Transaktionen

• betrachten die Begegnung von Menschen – ohne vorgefasste Standardhypothesen wie etwa die Annahme eines Ödipuskomplexes, sondern die konkrete Begegnung; das darin verbal und nonverbal Gezeigte wird gespürt, gehört und gesehen

• sind Musterentdecker (Mohr 2012b)

• versuchen, entdeckte Muster, die in guter Weise komplexitätsreduzierende Modelle und Hinweise für Hypothesen zur Veränderung bieten, lösungsorientiert zu adressieren

• arbeiten experimentell, setzen Interventionen ein und evaluieren ihre Wirkung; ohne in Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, sondern nur mit Hypothesen, die getestet werden

• denken systemisch, beachten Vernetztheit und Kontextbezug des Handelns und Erlebens; dabei ist der biografische Kontext nur ein möglicher

• haben eine deutlich humanistische Grundeinstellung – mit der Begegnung auf Augenhöhe (O.k.-o.k.-Beziehung), ebenso dem Recht des Einzelnen auf Glück, das auch in der amerikanischen Verfassung aufgenommen worden ist, woraus sich sogar ein Bezug auf gesellschaftliche Themen ableiten lässt, etwa des bedingungslosen Grundeinkommens (Mohr 2015)

• stehen in einer internationalen, interkulturellen Diskussion der Konzepte; für die TA hat es nie einer Globalisierung bedurft; das standardisierte Ausbildungs- und Zertifizierungssystem der TA durch die Verbände EATA und ITAA in aller Welt ist einmalig.

Diese systemisch orientierte Identität des Transaktionsanalytikers ist nicht an Inhaltskonzepten orientiert, sondern am Prozess des Vorgehens (Kreyenberg 2005). Jedoch sind Menschen im systemischen Denken wenig geübt, da es ein Abstrahieren und ein Lösen vom kurzfristigen Erleben erfordert. Es liegt Menschen normalerweise näher, vom Einzelnen auf das Ganze zu schließen. Der systemische Theoretiker Matthias Varga von Kibéd (2007) bemerkte, dass die systemische Perspektive für uns Menschen oft schwer zu greifen ist. Nach Jane Loevingers Theorie der persönlichen Reifegrade wird die Fähigkeit, systemisch zu denken, sogar erst erreicht, wenn der Mensch eine bestimmte Stufe der psychischen Entwicklung erreicht hat (Loevinger 1985; Binder 2010; Mohr 2015, S. 177 ff.). Erst nach Durchlaufen der Gemeinschaftsorientierung, der Entwicklung eigener Werte und der Relativierung des eigenen Denkens kommt man in die Lage, auch selbstkritisch eigene Positionen zu hinterfragen oder widerstreitende Aspekte nebeneinander existieren zu lassen, konstruktivistisch an die Welt heranzugehen. So populär das Systemische heute allgemein ist, es stellt Anforderungen an den Einzelnen. Ein weiteres systemisches Spannungsfeld ist in Organisationen, Wirtschaft und Gesellschaft zu beobachten, zwischen Mikro- und der Makroperspektive. Die Mikroperspektive beschäftigt sich mit dem konkret sichtbaren Handeln des einzelnen Individuums, die Makroperspektive mit dem Zusammenwirken des ganzen Systems. An Beispielen aus dem Wirtschaftskontext wird dies deutlich: Wenn ich wenig Geld habe, muss ich sparen. Das gilt für Familie und Unternehmen. Für ein Makrosystem wie eine Volkswirtschaft wäre der absolute Spargedanke der Weg in den Abgrund, wie die Weltwirtschaftskrise 1929 zeigte. Die Makroebene als deutlich systemische Ebene ist eine eigene Perspektive. Man muss einen Abstand zu den Dingen gewinnen, eine Vogelperspektive einnehmen, um besser sehen zu können.

1.1.2Drei bedeutende systemische Prinzipien für die TA

Drei Elemente sind für die systemische Perspektive besonders relevant: Vernetzung, Kontextbezug und Selbsterhalt (Mohr 2015). Systemisch die Welt zu betrachten heißt, diese Punkte zu berücksichtigen.

Beziehungsmäßige Vernetzung

Menschen sind immer in einer Beziehung mit anderen verbunden. Individuelle Unabhängigkeit ist eine Illusion. Kein Mensch und kein System sind wirklich unabhängig. Wir sind miteinander verbunden und vernetzt. Wenn wir darüber nachdenken, wieso wir so leben können, wie wir leben, wer unsere Nahrung produziert, wer für unser Dach über dem Kopf oder unsere Sicherheit sorgt, wird dies unmittelbar klar. Manchmal ist es auch erst durch genaue Analyse erkennbar, wie vielfältig unsere Existenz von anderen Lebewesen in der Natur und ihrer Zuarbeit abhängig ist. So haben die Menschen in ihrem Verhalten durch Institutionen wie »Handel« und »Arbeitsteilung« friedliche Alternativen entwickelt, der systemischen Verbundenheit der Menschen Rechnung zu tragen. Das gilt trotz der heute üblichen Betonung der zu erstrebenden Individualität, wie sie in der Werbung, aber auch in manchen psychologischen Schulen vertreten wird. Die Form des Zusammenwirkens und die Qualität der Interaktionen zwischen den Elementen eines Systems sind wichtiger als ihre vermeintlichen individuellen Eigenschaften oder Fähigkeiten. Systemische TA berücksichtigt bei der Betrachtung einer Einzelperson ihre aktuelle Vernetztheit und die erfolgende Konstruktion von Wirklichkeit. Viele TA-Konzepte brauchen dazu eine neue Deutung. Das wird in den folgenden Kapiteln dargestellt.

Kontextbezug

Alle Phänomene sind auf dem Hintergrund eines Kontextes zu sehen.

Themen sind nicht aus sich heraus, zeitlos und übergreifend zu betrachten, sondern immer vor dem Hintergrund eines bestimmten Kontextes. Für manche Wendung ist die Gunst der Stunde notwendig. So schlimm das Ereignis war, aber ohne den Atomunfall im japanischen Fukushima im Jahr 2011 wäre die deutsche Entscheidung zum Atomausstieg so nicht gekommen. Man braucht einen Kontext, ein bestimmtes wahrgenommenes Zusammentreffen von Variablen, um etwas möglich zu machen. Manchmal hat ein Thema einen bestimmten Zeitkorridor; danach ist es nicht mehr umsetzbar. Dies betrifft auch das »Nach-hinten-Schauen« bei psychischen Phänomenen. Von Psychoanalyse bis Lerntheorie, die traditionellen psychologischen Konzepte gehen davon aus, dass die Ursache für das Jetzige in der Vergangenheit liegt. Aber vielleicht gibt es nur den aktuellen Kontext oder gar einen finalen Zweck, wie es C. G. Jung annahm. Diese Erkenntnis hat einen wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit entwicklungspsychologischen Ideen wie der Skriptheorie der TA, nach der – hier zunächst vereinfacht ausgedrückt – ein Mensch in der frühen Kindheit einen unbewussten Lebensplan, ein Skript, entwickelt, das er in der Folgezeit lebt. Im Gegensatz dazu anzunehmen, dass eine ganz bestimmte aktuelle, einmalige Begegnung mit einem anderen Menschen neues, in keiner Weise vorgeprägtes Verhalten und Erleben ermöglicht, wäre eine systemische Alternative. Der Fokus der systemischen TA liegt auf einem pragmatischen Ansatz, der auf alsbaldige Lösung oder Heilung orientiert ist. Verschwendung der wichtigsten Ressourcen, menschlicher Lebenszeit und Aufmerksamkeit, wird zu vermeiden versucht. Die Zuordnung eines Phänomens zu einem Kontext bestimmt erst Wertung, Veränderungsnotwendigkeit und Veränderungsmöglichkeiten.

Selbsterhalt

Jedes einzelne Teilsystem strebt danach, seine bisherige Struktur und Weltsicht zu erhalten und immer weiter zu erschaffen.

Freud sah gerade bei psychischen Störungsmustern einen Wiederholungszwang. Heute wissen wir, dass Lebewesen eigene Steuerungsformen entwickeln, die für sie selbst systemerhaltend sind. Wir Menschen konstruieren uns die Welt sogar so, dass sie für uns passt. Schon unser Körper, unsere Hirnphysiologie, unsere Sinnesorgane, die auch die Informationsgrundlage für Denken, Einstellungen und Gefühle bilden, sind auf den Selbsterhalt ausgelegt. Die Transaktionsanalyse besitzt eine ganze Reihe von Mikromodellen, die den Selbsterhalt von Mustern beschreiben. Die beiden Systemforscher Humberto Maturana und Francisco Varela (1987) haben diese Eigenbezogenheit jedes Systems in ihrer evolutionär gewachsenen Struktur besonders betont: »Es gibt keine instruktive Interaktion.«