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Fußnoten

Andrea Bartl / Susanne Düwell / Christof Hamann / Oliver Ruf (Hrsg.), Handbuch Kriminalliteratur. Theorien – Geschichte – Medien, Stuttgart 2018, S. 288. (Im Folgenden zitiert als: Handbuch Kriminalliteratur.)

Schillers erste Erzählung, Eine großmütige Handlung, aus der neuesten Geschichte, erschien 1782 im Wirtembergischen Repertorium der Litteratur.

Christian Grawe, Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller, »Die Räuber«, Stuttgart 1976 [u. ö.], S. 142. – Der Band folgt der Darstellung von Schillers Philosophieprofessor Jacob Friedrich Abel. Zu dieser sind zwei abweichende Angaben zu erwähnen: Friedrich Schwan stellte sich selbst, und als Jahr seiner Hinrichtung wird in der Interpretationsliteratur 1760 angegeben.

Edgar Neis, Klassiker wieder aktuell?, Freiburg i. Br. / Basel / Wien 1979, S. 41.

Claudia Pilling / Diana Schilling / Mirjam Springer, Friedrich Schiller, Reinbek bei Hamburg 2010, S. 44.

Walter Schafarschik (Hrsg.), Schiller-Brevier, Stuttgart 2000, S. 100.

Christine Anton, »In Contempt of the Court – Friedrich Schiller’s Take on the Legal System in Eighteenth-Century Germany«, in: Postscript 21 (2003) Nr. 1, S. 1424. – Erkenntnissen der Psychiatrie folgend führt die Autorin aus, dass Christian Wolf eigentlich wegen einer schweren manisch-depressiven Erkrankung nicht als gewöhnlicher Gewaltverbrecher hätte eingestuft und auch nicht als solcher verurteilt werden dürfen.

»Obviously, Christian both enjoys and despises his way of life as he equally loves and hates himself. At times, he feels worthless and inadequate, is plagued by his conscience, and wishes he could undo the things he did. […] Yet, in contrast, we also get to know a diametrically opposed side of Wolf’s character. The aspect of his personality embodies excitement, overconfidence, reckless behaviour, and grandiose thinking.« Anton (s. Anm. 7), S. 19.

Peter Nusser, Der Kriminalroman, 4., akt. und erw. Aufl., Stuttgart/Weimar 2009, S. VI, S. 1 und 79.

Handbuch Kriminalliteratur (s. Anm. 1), S. 266.

Vergleiche dazu auch Michael R. Schmidt, Schillers Verbrecher, München 1987, S. 32 f.

Susanne Kaul, »Wie der Leser mit dem Helden warm wird. Zu Schillers Verbrecher aus verlorener Ehre«, in: Sympathie und Literatur. Zur Relevanz des Sympathiekonzeptes für die Literaturwissenschaft, hrsg. von Claudia Hillebrandt und Elisabeth Kampmann, Berlin 2014, S. 236250, hier S. 244.

Siehe hierzu Peter Reiser, Wirklichkeit und Fiktion: Erzählstrategien im Grenzbereich, München 1989, S. 116.

Rüdiger Bernhardt, Textanalyse und Interpretation zu Friedrich Schiller, »Der Verbrecher aus verlorener Ehre«, Hollfeld 2016, S. 60 f. und S. 76.

Yvonne Nilges, Schiller und das Recht, Göttingen 2012, S. 3941.

Ebd., S. 39.

Bernhard Zeller, »Nachwort«, in: Friedrich Schiller, Der Verbrecher aus verlorener Ehre und andere Erzählungen, Stuttgart 2016, S. 75.

Zitiert nach: Friedrich Schiller, Werke und Briefe in zwölf Bänden, hrsg. von Klaus Harro Hilzinger [u. a.], Bd. 2: Die Räuber. Fiesko. Kabale und Liebe, hrsg. von Gerhard Kluge, Frankfurt a. M. 1988, S. 936. (Im Lektüreschlüssel sind Zitate mit historischer Rechtschreibung auf Grundlage der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln orthographisch behutsam modernisiert.)

Jacob Friedrich Abel, »Lebensgeschichte Friedrich Schwans«, in: J. F. A., Sammlung und Erklärung merkwürdiger Erscheinungen aus dem menschlichen Leben, Bd. 2, Stuttgart 1787, S. 186. Hier zitiert nach: Friedrich Schiller, Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Studienausgabe, hrsg. von Alexander Košenina, Stuttgart 2014, S. 76.

Nach Michail Krausnick, Beruf: Räuber, Weinheim/Basel 1990, S. 10 f.

Jener Schinderhannes wurde zusammen mit 19 seiner Männer am 21. November 1803 in Mainz enthauptet. – Der deutsche Dramatiker Carl Zuckmayer (18961977) schrieb dazu sein vieraktiges Schauspiel Schinderhannes (1927), das mit Curd Jürgens in der Hauptrolle auch erfolgreich verfilmt wurde.

Zum Folgenden vergleiche Grit Dommes / Matthias Luserke-Jaqui (Hrsg.), Schiller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2011, S. 299 f., S. 307. (Im Folgenden zitiert als: Schiller-Handbuch.) Vergleiche außerdem Handbuch Kriminalliteratur (s. Anm. 1), S. 170 und 197.

Handbuch Kriminalliteratur (s. Anm. 1), S. 190.

Handbuch Kriminalliteratur (s. Anm. 1), S. 170.

Schiller an Gottfried Körner am 12. Juni 1788, in: Norbert Oellers (Hrsg.), Schillers Werke. Nationalausgabe, begr. von Julius Petersen, fortgef. von Lieselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel, Bd. 25: Briefwechsel. Schillers Briefe 111788 – 2821790, hrsg. von Eberhard Haufe, Weimar 1979, S. 70, Z. 811, 2733. (Im Folgenden zitiert als: Nationalausgabe.)

Thomas Nutz, »Vergeltung oder Versöhnung? Strafvollzug und Ehre in Schillers Verbrecher aus Infamie«, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 42 (1998) S. 146164, hier S. 146.

Nutz (s. Anm. 26), S. 146.

Ebd., S. 146, Fußnote 3.

Zum Komplex dieser Einflüsse siehe Peter-André Alt, Schiller. Leben – Werk – Zeit, Bd. 1, München 2000, S. 123 f., S. 129 und S. 183 f.

Košenina (s. Anm. 19), S. 113.

Zitiert nach: Bodo Lecke (Hrsg.), Friedrich Schiller, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1795, München 1969, S. 673.

Nationalausgabe (s. Anm. 25), S. 159., Z. 8f.

Košenina (s. Anm. 19), S. 43, Stichwort ›wahre Geschichte‹.

Vergleiche dazu Košenina (s. Anm. 19), S. 120 f. und Schiller-Handbuch (s. Anm. 22), S. 523.

Dagegen argumentiert z. B. das Schiller-Handbuch (s. Anm. 22), S. 306, wo vermutet wird, dass Schiller das Thema »wegen der lokalen Brisanz in Schwaben« anonym behandeln wollte.

Košenina (s. Anm. 19), S. 119.

Vgl. Schiller-Handbuch (s. Anm. 22), S. 307.

Nutz (s. Anm. 26), S. 163.

Michael R. Schmidt, Schillers Verbrecher, München 1986, S. 31.

Kaul (s. Anm. 12), S. 246.

Kaul (s. Anm. 12), S. 250.

Zum Folgenden siehe Reiser (s. Anm. 13), S. 123128.

Reiser (s. Anm. 13), S. 123.

Ebd., S. 140.

Siehe Helmut Koopmann (Hrsg.), Schiller-Handbuch, 2., durchges. und aktual. Aufl., Stuttgart 22011, S. 748.

Ebd., S. 748.

Robert Suter, Par Force. Jagd und Kritik, Konstanz 2015, S. 134.

Johann-Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, München 1976, S. 216.

Friedrich Burschell, Friedrich Schiller, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 118.

Walter Schafarschik, Literaturwissen für Schule und Studium: Friedrich Schiller, Stuttgart 1999, S. 118; darin: Friedrich Schiller, Der Verbrecher aus verlorener Ehre, S. 143150.

Ebd., S. 120.

Burschell (s. Anm. 49), S. 108.

Schafarschik (s. Anm. 50), S. 64.

Norbert Oellers, Schiller, Stuttgart 1993, S. 69.

Zitiert nach: Košenina (s. Anm. 19), S. 101

Journal aller Journale 4 (1786). Zitiert nach: Košenina (s. Anm. 19), S. 101.

Zitiert nach: Lecke (s. Anm. 31), S. 706.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Stichwort ›Aufsatz‹: »5) aufsatz, was niedergeschrieben, zu papier gebracht, abgefaszt wird: kleiner aufsatz, zerstreute aufsätze, abhandlungen geringes umfangs.« (Online einsehbar unter: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WB Netz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid= GA06855#XGA06855. Stand: 2572019.)

Zitiert nach: Košenina (s. Anm. 19), S. 110.

Zitiert nach: Košenina (s. Anm. 19), S. 110.

Johann Baptist Friedreich, Systematisches Handbuch der gerichtlichen Psychologie für Medizinalbeamte, Richter und Verteidiger, Leipzig 1835, S. 5 ff. Zitiert nach: Košenina (s. Anm. 19), S. 111.

Siehe Košenina (s. Anm. 19), S. 53, Stichwort ›Der Sonnenwirth‹.

Arne Höcker, »In Citation: ›A Violation of the Law of Boundaries‹ in Schiller and Kleist«, in: The Germanic Review 89 (2014) H. 1, S. 6075, besonders S. 65 f.

Richard Gerber, »Verbrechensdichtung und Kriminalroman«, in: Jochen Vogt, Der Kriminalroman. Poetik – Theorie – Geschichte, München 1988, S. 7383.

Handbuch Kriminalliteratur (s. Anm. 1), S. 203.

Ferdinand von Schirach, Verbrechen, München 2009, S. 7.

Autor

Johann Christoph Friedrich Schiller, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar

  • zunächst Jura-, dann Medizinstudium an der Carlsschule (später: Hohe Karlsschule) in Stuttgart

  • Militärarzt, Dramatiker, Historiker, Professor für Geschichte an der Universität Jena, freier Schriftsteller in Weimar

Entstehungszeit und Veröffentlichung

  • 1786 anonym veröffentlicht in der Zeitschrift Thalia unter dem Titel Verbrecher aus Infamie eine wahre Geschichte

  • 1792 geringfügig überarbeitet veröffentlicht in den Kleineren prosaischen Schriften Schillers unter dem Titel Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Eine wahre Geschichte

Gattung

Erzählung (literarische Verbrechensfallgeschichte)

Epoche

(Spät-)Aufklärung / Zwischen Sturm und Drang und Klassik

Ort und Zeit der Handlung

  • keine bestimmten Ortsangaben, Orte werden anonymisiert

  • Schauplätze: eine deutsche Landschaft, von den Zeitgenossen, die darin die Geschichte Friedrich Schwans erkannten, unschwer als Württemberg zu erkennen

  • zeitliche Verortung am Ende der Erzählung mit der Angabe des Siebenjährigen Krieges

  • in Verbindung mit den relativen zeitlichen Abständen in der Erzählung ergibt sich eine erzählte Zeit von ca. 26 Jahren, von der Geburt bis zur Hinrichtung der Hauptfigur Christian Wolf

Schillers Erzählung ist in der deutschsprachigen Literatur eines der frühesten Beispiele einer Interesse an Gesellschaft und PsychologieVerbrechenserzählung oder genauer gesagt: literarischen Rechts- oder Verbrechensfallgeschichte.1 Sie ist aufgrund ihrer literarischen Qualitäten auch heute noch spannend zu lesen, vermittelt einen lebendigen Eindruck von den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und wirkt modern. Denn sie nimmt die Frühes Beispiel einer Verbrechenserzählungsozialen Ursachen von gesellschaftlichem Abstieg und Verbrechen in den Blick, interessiert sich für die psychologischen Mechanismen sozialer Ausgrenzung und setzt sich für gesellschaftliche Reintegration statt Vergeltung als Ziel der Verbrechensbekämpfung ein.

Der Text kam zunächst aufgrund äußerer Umstände zustande. Schiller befand sich in einer Situation der persönlichen Neuorientierung. Da er aufgrund gesundheitlicher Probleme und künstlerischer Misserfolge finanziell in Schwierigkeiten geraten war, hatte er u. a. 1785 die Entstehungsanlass: Beitrag für Schillers eigene ZeitschriftZeitschrift Thalia ins Leben gerufen in der Hoffnung, dadurch und zugleich durch einen Ortswechsel seine Lebenssituation grundlegend zu verbessern. Er folgte einer Einladung von Bewunderern und Gönnern nach Leipzig und betrieb neue Projekte, so auch die Arbeit an dem Drama Dom Karlos,

Die Schillers ThaliaThalia musste er zu großen Teilen mit eigenen Beiträgen füllen. So befand sich im 1786 erschienenen zweiten Heft der Thalia neben dem ersten Akt des im Entstehen begriffenen Dramas Dom Karlos (späterer Titel: Don Karlos) auch Lyrik von Schiller (in diesem Heft wurde das berühmte Gedicht An die Freude erstmals veröffentlicht), und er versuchte sich zum zweiten Mal als Erzähler2. Anders als seine anderen Beiträge veröffentlichte er den Verbrecher aus Infamie Anonyme Veröffentlichung 1786anonym.

Die im Untertitel als »wahre Geschichte« bezeichnete Erzählung, 1792 mit dem Titel Der Verbrecher aus verlorener Ehre geringfügig verändert in die Ausgabe Kleinerer prosaischer Schriften aufgenommen, greift die Geschichte des württembergischen Hintergrund: die Geschichte des Räubers Johann Friedrich SchwanRäubers Johann Friedrich Schwan (17291760) mit dem Beinamen »Sonnenwirt« auf. Wegen einiger Bagatellvergehen über die Maßen streng bestraft, hatte jener Friedrich Schwan starke Hass- und Rachegefühle gegen die Obrigkeit entwickelt und als Anführer einer Räuberbande ungehemmt ausgelebt. Obwohl er sich schließlich selbst den Behörden stellte, wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet.3

Schillers besonderes Augenmerk in der von ihm neu gegründeten Zeitschrift galt ungewöhnlichen Menschen und den Motiven ihres Handelns. Damit wollte er einerseits den Publikumsgeschmack seiner Zeit treffen und spannenden Lesestoff liefern, andererseits seinen eigenen Neigungen für »alles Außerordentliche, Sensationelle und Kriminelle«4 als literarischem Gegenstand nachgehen. Er verfolgte sein Interesse an Fragen der Psychologie und RechtPsychologie und an Rechtsfällen während seiner Schulzeit und seines Jura- und Medizin-Studiums an der Carlsschule intensiv.5

Die (einzige) Hauptfigur der Erzählung ist Christian Wolf, ein innerlich Kein »Held«, sondern ein innerlich zerrissener Menschzerrissener Mensch, der in kürzester Zeit eine wüste ›Karriere‹ als Wilddieb, Mörder und Anführer einer Räuberbande macht. Wie das wirkliche Vorbild für diese Figur und wie Karl Moor am Ende des Räuber-Dramas gibt sich Wolf in freiem Entschluss schließlich den Richtern als landesweit gesuchter Verbrecher zu erkennen. Mehr als um das Aufzeigen der kriminellen Taten Wolfs ging es Schiller um die spannende Frage, was

Schillers Erzählung ist deshalb alles andere als eine nur vordergründig spannende ›Räuberpistole‹, sondern vielmehr die knappe Lebenschronik einer problematischen Persönlichkeit, die von der Gesellschaft ausgegrenzt und dadurch Schritt für Schritt zum Das Publikum soll selbst urteilenGesetzlosen gemacht wird.7 Schillers Anspruch ist, dass das lesende Ein Ausgegrenzter wird zum GesetzlosenPublikum sich über diese Zusammenhänge ein Urteil bilden kann.

In der Logik der Zeit findet Christian Wolf in Schillers Erzählung am Ende seiner Verbrecherlaufbahn einen Weg zur Aussöhnung mit sich selbst und der Welt durch persönliche Reue. Eine woher auch immer kommende sittliche Kraft in ihm überwindet die psychischen und physischen Bedingtheiten. Damit markiert Schiller eine Leerstelle, die in der damaligen Zeit unausgefüllt bleibt, nämlich die Möglichkeit zur Am Ende: Reue statt Resozialisierung