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HAUS JUSTINE

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Die Novizin

 

 

Jürgen Bruno Greulich

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Von den Skrupeln der Erzieherin

 

Die jedes Jahr aufs Neue erwünschte weiße Weihnacht fiel aus wie zumeist in diesen Breiten. Es war mild, Föhnwind fegte über die Stadt, sorgte für Temperaturen um zehn Grad, viel zu warm für die Jahreszeit, so klagten die Meteorologen, während sich die Obdachlosen und Parkplatzwächter freuten, keiner Eiseskälte ausgesetzt zu sein; Cornelia war es egal, sie hätte sowieso nicht frieren müssen. Aber doch, bald musste sie das Haus verlassen, der Termin im Café Marquis nahte und noch immer trug sie die Bänder, allmählich musste sie sich an den Gedanken gewöhnen, von ihnen geschmückt den Weg durch die Stadt zu wagen. Würde ihr ein Unfall passieren und sie ins Krankenhaus kommen, würden unmissverständliche Male enthüllt, wäre ihr Geheimnis beim ersten Blick gelüftet. Sie passte nicht in diese Welt, da es aber keine andere gab, musste sie eben als Unpassende leben, verborgen so gut es ging. (Besonders gut ging es nicht, mehr als ihr lieb sein konnte wussten bereits Bescheid, vermutlich ihre ganzen Bekannten, von Robert eingeweiht.)

Damit es nicht noch mehr würden, beschloss sie am Abend in der Dusche, mit dem eigenen Auto zum Café zu fahren, um fremde Blicke zu meiden, besonders die der Taxifahrer, der tausendäugigen Reiter der Nacht, die vermutlich über ihr internes Kommunikationsnetz verfügten, in dem sich alles Sonderbare verfing, vielleicht zappelte sie bereits darin, aufgefallen durch ihre Fahrten zum Café Marquis, zum Hotel Serenade und von diversen Kundenterminen nach Hause. — Litt sie heute etwa an Verfolgungswahn, rügte sie sich, sah sie sich überall enttarnt, wo man wahrscheinlich keinen Gedanken an sie verschwendete, nahm sie sich übertrieben wichtig?

Sie zog ein schwarzes Kleid und den langen Mantel an, legte einen schwarzen Schal um den Hals, zupfte ihn über dem metallenen Band zurecht, so dass man es nicht sah; die Armbänder blieben unter den Ärmeln des Mantels verborgen, solange sie die Arme nicht ausstreckte, am besten achtete sie darauf, die Hände in den Taschen zu lassen. Aber schon beim Abschließen der Tür war das nicht möglich und blitzten sie hervor. Kaum hatte sie die Hände wieder in Sicherheit gebracht, kam Joachim aus seiner Wohnung. Er war anders als sonst, zurückhaltend, unfreundlich, erwiderte ihren Gruß reserviert. Was war los mit ihm, ob er Ärger mit Thomas hatte?

Gemeinsam gingen sie die Treppe hinab, forschend schaute sie ihn von der Seite her an. »Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?«

Er schaute sich um, als müsse er sich vergewissern, dass niemand ihn höre, und holte tief Luft: »Thomas hat dich gesehen!«

Ach. — Wo, wann und wie er sie gesehen hatte, musste sie nicht fragen, das ergab sich aus Joachims anklagendem Ton. Enttarnt, also doch, von der ganzen Welt, wie sie meinte, sie litt nicht an Verfolgungswahn. Sollte sie es abstreiten? Es wäre lächerlich, da sie dieses Bild nun mal geboten hatte, nackt und mit dem bizarren Knebel im Mund bei Leopolds Verabschiedung an der Haustür. »Ist es so schlimm? Du solltest es doch eigentlich verstehen.«

»Ich bin nur schwul, nicht pervers!«

Schwul und spießig, dachte sie. Er konnte nur hoffen, dass die guten Bürger nicht so hart über ihn urteilten wie er über sie. Ausgerechnet er, den sie für aufgeschlossen und tolerant gehalten hatte, der ihr immer sympathisch gewesen war. Draußen ging er grußlos seines Wegs, stapfte die Straße hinab, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dass beim Aufschließen des Autos wieder ihre Armbänder aufblitzten, sah er nicht, es wäre jetzt auch egal gewesen, seine Wertschätzung war sowieso verloren.

Wild wirbelten die Gedanken durcheinander während der Fahrt durch die Stadt. Sollte sie sich eine neue Wohnung suchen? Was würde es ändern? Auch woanders würde man hören und sehen und Schlüsse ziehen, wäre sie bald entlarvt, da konnte sie ebenso gut bleiben und mit dem Wissen der Nachbarn leben, arme Kreaturen, jeder mit seinen eigenen Sorgen und seelischen Gebrechen belastet, woher nahmen sie das Recht, sich über sie zu erheben? Sie gestand ihnen das Recht nicht zu, hatte damit das Problem für sich gelöst, nicht die Meinung anderer zählte, sondern deren Wirkung, und diese konnte sie selbst bestimmen, sie abprallen lassen. Sie hatte Leopold, Olivia (wenn auch nicht mehr so richtig) und Georg, dazu die Freunde des Hauses, eine weite Welt, in der es einen festen Platz für sie gab, sie in der Verachtung anerkannt war, sie sich keine Sorgen machen musste, sie gerne lebte. Joachims Urteil war das eines Richters, welcher der Sonne einen anderen Verlauf vorschreiben will, bedeutungslos.

Es gab nicht viele Autos auf den Straßen, noch weniger Fußgänger auf den Gehwegen, viele waren in Urlaub irgendwo im Schnee oder am Palmenstrand, die Daheimgebliebenen blieben daheim, was wollte man auch in der Stadt, wenn die Geschäfte geschlossen waren, sie sah trostlos aus, die Lichterketten wiegten sich angeregt im Wind, leuchtender Schmuck, den niemand brauchte. Im Gegensatz zu sonst fand sie heute in der Lacostegasse leicht einen Parkplatz, es gab einige Lücken in der Reihe der Autos und sie musste nur wenige Schritte zum Eingang gehen. Sie betrat das Café mit den Händen in den Manteltaschen, schaute sich um. Die Hälfte der Tische war besetzt, das Podest leer, ein bekanntes Gesicht sah sie nicht, doch, bei einem grauhaarigen älteren Herrn saß ein Mädchen mit kupferrotem Haar, das sie im Haus Justine gesehen hatte, Barbara, die von ihrem Freund so hart gepeitscht worden war im Weißen Raum. Auch Barbara erkannte sie, sandte ein Lächeln herüber, sie trug den Armreif des Hauses, saß mit gelüpftem Rock und geöffneten Knien auf dem Stuhl, ihre Hand wurde von der des Mannes gehalten, der vermutlich ihr Freier war. Fast fühlte sich Cornelia geborgen in der Welt des Cafés, in der es keine Anklage gegen sie gab.

Christine die Vierte begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln, wusste wie immer über alles Bescheid. »Dein Verehrer ist noch nicht hier, du musst dich noch ein bisschen gedulden.« Fast klang es so, als meine sie, dass Cornelia die Begegnung kaum erwarten könne.

»Ein kleines Weilchen halte ich es noch aus.«