Forside

Jane Austen

Emma

Roman

Saga Egmont




I

Erstes Kapitel

Emma Woodhouse, hübsch, klug, reich, mit einem behaglichen Heim und von glücklicher Anlage, schien mit vielen der schönsten Gaben des Daseins gesegnet. Sie war nun fast einundzwanzig Jahre auf der Welt, ohne mit Leid und Verdruß noch viel Bekanntschaft gemacht zu haben.

Sie war die jüngere von zwei Töchtern eines sehr liebevollen, nachsichtigen Vaters und durch die Heirat ihrer Schwester schon ziemlich früh Herrin im Hause geworden. Ihre Mutter war schon so lange tot, daß Emma sich nur noch blaß an ihre Zärtlichkeit erinnern konnte; ihren Platz hatte eine Erzieherin ausgefüllt, eine vortreffliche Frau, die Emma kaum weniger liebhatte als eine Mutter.

Sechzehn Jahre war Miss Taylor bei der Familie Woodhouse gewesen, weniger Gouvernante als Freundin und beiden Töchtern sehr zugetan, doch hatte sie Emma besonders ins Herz geschlossen. Zwischen ihnen herrschte eher schwesterliche Vertrautheit. Schon ehe Miss Taylor ihres Amtes als Erzieherin entbunden war, hatte sie in ihrer Sanftheit kaum irgendwelchen Zwang auszuüben vermocht; und da auch der Schatten von Autorität längst dahin war, lebten sie weiter als Freundinnen zusammen, hingen sehr aneinander, wobei Emma ganz tat, was ihr beliebte; sie hielt große Stücke auf Miss Taylors Urteil, folgte aber in erster Linie ihrem eigenen.

Das war freilich das Schlimme an diesen Verhältnissen, daß sie gar zuviel ihren Willen bekam und nicht wenig von sich eingenommen war. Dies sollte ihren mannigfachen Freuden bedrohlich werden. Aber die Gefahr machte sich noch so wenig bemerkbar, daß sie in ihnen alles andre als eine Ungunst des Schicksals sah.

Da nahte Kummer, gelinder Kummer und noch ohne den Stachel peinlicher Einsicht. Miss Taylor heiratete. Daß sie Miss Taylor verlor, bereitete Emma die ersten trüben Stunden ihres Lebens. Am Hochzeitstage der geliebten Freundin versank sie zum erstenmal in traurige Gedanken. Als das Hochzeitsfest vorüber war und das Brautpaar sich verabschiedet hatte, blieben Emma und ihr Vater allein und gingen zu Tisch ohne die Aussicht auf einen dritten, der ihnen den langen Abend aufheiterte. Ihr Vater machte, wie stets nach dem Essen, Anstalten zu einem Nickerchen, und ihr blieb nichts andres übrig als dazusitzen und sich vor Augen zu halten, was sie verloren hatte.

Ihrer Freundin versprach dies Ereignis eitel Glück, denn Mr. Weston war ein wohlhabender Mann von untadeligem Charakter und angenehmen Umgangsformen, und im richtigen Alter für sie. Nicht ohne Genugtuung dachte Emma daran, mit welch selbstloser, großmütiger Freundschaft sie diese Verbindung von jeher gewünscht und gefördert hatte, aber sich selber hatte sie damit das Wasser abgegraben. Täglich, stündlich würde sie die Gefährtin entbehren. Sie erinnerte sich, wie gut Miss Taylor zu ihr gewesen war – voller Güte und Liebe die ganzen sechzehn Jahre lang; wie sie von ihrem fünften Jahr an sie unterrichtet und mit ihr gespielt, sich ihr mit allen Kräften gewidmet hatte, um sie an sich zu fesseln, in gesunden Tagen für ihr Vergnügen gesorgt und sie bei ihren verschiedenen Kinderkrankheiten gepflegt hatte –, dafür schuldete sie ihr ewig Dank. Aber ihr gemeinsames Leben in den letzten sieben Jahren, auf gleichem Fuße stehend und in herzlicher Offenheit miteinander, wie es sich bald nach Isabellas Heirat, als sie allein blieben, herausgebildet hatte – dies war eine noch liebere, zärtlichere Erinnerung. Miss Taylor war ihr eine Freundin und Gefährtin gewesen, wie sie wenigen beschieden war: gescheit, gebildet, tüchtig und feinfühlig; sie war mit allen Gewohnheiten der Familie vertraut, nahm Anteil an allen ihren Angelegenheiten und besonders an ihr, an Emma, selber, an ihren Freuden, ihren Plänen; ein Mensch, vor dem sie jeden Gedanken aussprechen konnte, wie er ihr kam, und ihr so zugetan, daß sie nie etwas an ihr zu tadeln fand.

Wie sollte sie diese Trennung ertragen? Zwar zog ihre Freundin nur eine halbe Meile weg, aber Emma war sich ganz darüber klar, daß zwischen einer Mrs. Weston, die nur eine halbe Meile entfernt wohnte, und einer Miss Taylor im Hause ein großer Unterschied bestand; und, so reich bedacht sie von der Natur war und so gut sie es zu Hause hatte – sie fürchtete sich nun sehr, innerlich einsam zu werden. Sie liebte ihren Vater innig, aber einen Gefährten hatte sie nicht an ihm. Einem rechten Gespräch mit ihr, ernst oder scherzend, war er nicht gewachsen.

Der so nachteilige Altersunterschied (und Mr. Woodhouse hatte nicht früh geheiratet) wurde durch seinen Gesundheitszustand und seine Gewohnheiten noch vergrößert, denn da er sein Leben lang gekränkelt und sich weder geistig noch körperlich betätigt hatte, war er in seinem Gehaben viel älter als den Jahren nach. Und wenn er auch wegen seiner Herzlichkeit und seines liebenswürdigen Wesens überall beliebt war, durch Geistesgaben hatte er wohl nie geglänzt.

Ihre Schwester wohnte nach ihrer Heirat zwar nicht allzuweit entfernt, denn sie lebte in London, und es waren nur sechzehn Meilen bis dahin, aber der täglichen Reichweite war sie doch entrückt; und mancher lange Oktober- und Novemberabend mußte noch in Hartfield durchgestanden werden, ehe das Weihnachtsfest den Besuch von Isabella, ihrem Mann und ihren kleinen Kindern brachte, der das Haus belebte und ihr wieder vergnügte Gesellschaft versprach.

Highbury, eigentlich ein großes Dorf, das aber mit seiner zahlreichen Bevölkerung fast einer Stadt gleichkam – zu der auch Hartfield gehörte, wiewohl es durch Rasenflächen und Gehölz und auch durch seinen Namen abgesondert war –, Highbury bot ihr keinen ebenbürtigen Umgang. Die Woodhouses waren die erste Familie dort. Alles blickte zu ihnen auf. Sie hatte viele Bekannte im Ort, denn ihr Vater war höflich gegen jedermann, aber nicht ein einziger Mensch war darunter, der ihr Miss Taylor auch nur einen halben Tag hätte ersetzen können. Es war trostlos, und Emma konnte nur darüber seufzen und ihren unerfüllbaren Wünschen nachhängen, bis ihr Vater aufwachte und sie ein fröhliches Gesicht machen mußte. Seine Lebensgeister brauchten stets Ermunterung. Er war ein nervöser Mann und nahm alles sehr schwer. Er hing an jedem Menschen, an den er sich einmal gewöhnt hatte, und sich von ihm zu trennen, war ihm bitter; überhaupt verabscheute er jede Veränderung. Eine Heirat war ihm als Quelle von Veränderungen in jedem Fall unangenehm. So hatte er sich immer noch nicht mit der Ehe seiner Tochter ausgesöhnt, konnte auch nie ohne Mitleid von ihr sprechen, obwohl es wahrhaft eine Liebesheirat gewesen war, und nun mußte er sich auch noch von Miss Taylor trennen. In seiner harmlosen Selbstsucht, seiner Unfähigkeit, sich vorzustellen, daß andre Leute anders empfinden könnten als er, bildete er sich ein, Miss Taylors Entschluß sei für sie selber ebenso traurig wie für sie beide, und sie würde viel glücklicher sein, wenn sie bis an ihr Lebensende in Hartfield geblieben wäre. Emma lächelte und plauderte so munter, wie sie konnte, um ihm diese Gedanken fernzuhalten; als aber der Tee kam, konnte er nicht umhin zu wiederholen, was er schon beim Essen gesagt hatte:

»Die arme Miss Taylor! Ich wollte, sie wäre wieder hier. Ein Jammer, daß Mr. Weston auf den Gedanken gekommen ist, sie zu heiraten!«

»Das kann ich nicht wünschen, Papa, nein, wirklich nicht. Mr. Weston ist ein so herzensguter, sympathischer, vortrefflicher Mann, daß er wohl eine gute Frau verdient; und Sie möchten doch nicht, daß Miss Taylor für immer bei uns geblieben wäre und meine schlechten Launen ertragen müßte, wenn sie im eigenen Hause schalten und walten kann?«

»Im eigenen Hause! Was hat sie denn von ihrem eigenen Hause? Dies hier ist dreimal so groß. Und du hast doch nie schlechte Laune, mein liebes Kind.«

»Wie oft werden wir sie besuchen und sie uns! Alle Tage werden wir uns wiedersehn! Und wir müssen den Anfang machen, wir müssen ihnen recht bald unsern Hochzeitsbesuch abstatten.«

»Mein Liebes, wie soll ich denn bis dahin kommen? Randalls liegt so weit weg. Ich könnte nicht halb so weit gehen.«

»Aber nein, Papa, niemand denkt daran, daß Sie zu Fuß gehen sollen. Natürlich müssen wir im Wagen hinfahren.«

»Im Wagen? Aber James wird für einen so kurzen Weg nicht gern die Pferde anspannen; und wo sollen die armen Pferde bleiben, während wir unsern Besuch machen?«

»Sie müssen in Mr. Westons Stall untergestellt werden, Papa. Das haben wir doch alles schon abgemacht. Gestern abend haben wir ja alle Einzelheiten mit Mr. Weston besprochen. Und was James betrifft, so können Sie sicher sein, daß er uns immer liebend gern nach Randalls fährt, weil seine Tochter dort Hausmädchen ist. Ich zweifle eher, ob er uns je woanders hinfahren mag. Das haben Sie so schön eingefädelt, Papa. Sie haben Hannah diese gute Stelle verschafft. Niemand hatte an Hannah gedacht, bis Sie den Vorschlag machten; James ist Ihnen so dankbar!«

»Ja, das freut mich, daß ich an sie gedacht habe. Es war ein Glück, denn ich möchte um alles in der Welt nicht, daß der arme James sich übergangen fühlt; und ich bin sicher, sie wird ein braves Hausmädchen. Sie ist immer so höflich, hat einen so netten Ton; ich halte große Stücke auf sie. Wenn ich sie treffe, macht sie jedesmal einen Knicks und fragt mich so nett, wie es mir geht, und als du sie zum Nähen hier hattest, habe ich bemerkt, daß sie immer den Türknopf richtig herumdreht und die Tür nicht zuschlägt. Gewiß wird sie ein ausgezeichnetes Hausmädchen; und für die arme Miss Taylor wird es ein großer Trost sein, ein gewohntes Gesicht um sich zu haben. Weißt du, wenn James hingeht, seine Tochter zu besuchen, wird sie jedesmal von uns hören. Er kann ihr dann erzählen, wie’s uns allen geht.«

Emma ließ sich keine Mühe verdrießen, diese erfreulicheren Gedanken in Fluß zu halten, und hoffte, mit Hilfe des Puffspiels ihrem Vater leidlich über den Abend hinwegzuhelfen, so daß sie sich nur mit ihrer eigenen Trübsal herumzuschlagen brauchte. Doch kaum war der Spieltisch herangerückt, da kam Besuch und machte ihn überflüssig.

Mr. Knightley, ein Mann von lebhaftem und klarem Geist und Herzen, etwa sieben- oder achtunddreißig, war nicht nur ein alter und vertrauter Freund der Familie, sondern ihr als älterer Bruder von Isabellas Gatten noch besonders verbunden. Er wohnte ungefähr eine Meile von Highbury entfernt, war ein häufiger und stets willkommener Gast und diesmal noch willkommener als sonst, da er ein paar Tage auf Reisen gewesen war und soeben von ihren gemeinsamen Verwandten in London kam. Er war zum späten Abendessen heimgekehrt und nun nach Hartfield gewandert, um zu berichten, daß am Brunswick Square alles wohlauf sei. Das war sehr erfreulich und belebte Mr. Woodhouse für eine Weile. Mr. Knightley hatte eine heitere Art, die ihm immer wohltat, und seine vielen Fragen nach der »armen Isabella« und ihren Kindern wurden höchst zufriedenstellend beantwortet. Darauf bemerkte Mr. Woodhouse dankbar:

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Knightley, uns zu so später Stunde noch aufzusuchen. Ich fürchte, Sie haben einen schrecklichen Weg hinter sich.«

»Aber nein, Sir, es ist eine schöne Mondnacht und so mild, daß ich mich von Ihrem großen Feuer zurückziehen muß.«

»Aber es muß doch sehr feucht und schmutzig gewesen sein. Hoffentlich erkälten Sie sich nicht!«

»Schmutzig, Sir? Schauen Sie meine Schuhe an. Nicht ein Spritzer.«

»Nun, das ist recht erstaunlich, denn wir hatten viel Regen. Während wir beim Frühstück saßen, hat es eine halbe Stunde lang ganz furchtbar geschüttet. Ich wollte schon, sie sollten die Hochzeit aufschieben.«

»Dabei fällt mir ein, ich habe Sie noch gar nicht dazu beglückwünscht. Doch ich weiß zu gut, wie es mit Ihrer Freude über diese Hochzeit bestellt ist, darum hatte ich’s mit dem Gratulieren nicht eilig. Aber ich hoffe, es ist alles leidlich vonstatten gegangen. Wie haben sie sich alle aufgeführt? Wer hat am meisten geweint?«

»Ach, die arme Miss Taylor! Ja, es ist eine traurige Sache.«

»Armer Mr. Woodhouse und arme Emma, bitte! ›Arme Miss Taylor‹ kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich schätze Sie und Emma sehr, aber wenn’s um Abhängigkeit oder Unabhängigkeit geht! Jedenfalls ist es wohl leichter, wenn man’s nur einem recht machen muß statt zweien.«

»Besonders, wenn der eine von diesen beiden so ein überspanntes und schwieriges Menschenkind ist!« sagte Emma necklustig. »Das meinen Sie doch, ich weiß es wohl – und sicherlich würden Sie’s auch sagen, wenn mein Vater nicht dabei wäre.«

»Ich glaube, mein liebes Kind, das ist wirklich nur allzu wahr«, sagte Mr. Woodhouse mit einem Seufzer. »Ich fürchte, ich bin manchmal recht überspannt und schwierig.«

»Mein liebster Papa! Sie denken doch wohl nicht, ich spielte auf Sie an – oder gar, Mr. Knightley meinte Sie! O nein! Ich meinte nur mich selber. Mr. Knightley findet nämlich gern etwas an mir auszusetzen; natürlich im Scherz, es ist alles nur Scherz. Wir werfen uns einfach immer an den Kopf, was uns gerade Spaß macht.«

Wirklich war Mr. Knightley einer der wenigen Menschen, die Emma Woodhouse nicht ohne Fehl und Tadel fanden, und der einzige, der es ihr sagte. Und Emma, die selber nicht sonderlich davon erbaut war, wußte, ihr Vater würde es noch weniger sein, und wollte nicht den Argwohn in ihm aufkommen lassen, daß nicht jedermann sie vollkommen finde.

»Emma weiß, daß ich ihr nie schmeichle«, sagte Mr. Knightley; »aber was ich sagte, war nicht anzüglich gemeint. Miss Taylor mußte bisher immer mit zwei Leuten auskommen, und jetzt ist’s nur noch einer. Dabei kann sie nur gewinnen.«

»Nun«, sagte Emma, die lieber darüber hinwegging, »Sie möchten gewiß etwas über die Hochzeit hören; ich will Ihnen gern davon erzählen, denn wir haben uns alle reizend benommen. Jeder war pünktlich, jeder zeigte sich von der besten Seite. Nicht eine Träne, kaum ein langes Gesicht war zu sehen. Ach nein, wir alle sagten uns, daß wir ja nur eine halbe Meile auseinander gingen und uns gewiß alle Tage wiedersähen.«

»Die liebe Emma trägt alles so tapfer«, sagte ihr Vater. »Aber, Mr. Knightley, sie trauert der armen Miss Taylor doch sehr nach, und ich bin überzeugt, sie wird sie noch mehr vermissen, als sie glaubt.«

Zwischen Tränen und Lächeln schwankend, wandte Emma ihr Gesicht zur Seite.

»Wie sollte sie auch eine so liebe Gefährtin nicht vermissen«, sagte Mr. Knightley. »Wir hätten Emma ja nicht so gern, Sir, wenn wir ihr das zutrauten. Aber sie weiß auch, wie vorteilhaft diese Heirat für Miss Taylor ist; sie weiß, wie willkommen es in Miss Taylors Alter sein muß, ein eigenes Heim zu gründen, und was es für sie bedeutet, sich so wohlversorgt zu wissen; und darum darf sich Emma dem Trennungsschmerz nicht so hingeben wie der Freude. Wer Miss Taylor zugetan ist, muß doch froh sein, sie so glücklich verheiratet zu sehen.«

»Und einen weiteren Grund, mich zu freuen, haben Sie vergessen«, sagte Emma, »und sogar einen sehr triftigen Grund – nämlich, daß ich selbst die Ehe gestiftet habe. Vor vier Jahren schon, müssen Sie wissen, hab ich die Verbindung geplant; und daß es so gekommen ist, daß ich recht behalten habe, obwohl so viele Leute sagten, Mr. Weston werde nie wieder heiraten, das kann mich über alles hinwegtrösten.«

Mr. Knightley schüttelte den Kopf über sie. Ihr Vater erwiderte zärtlich: »Ach, mein liebes Kind, laß das lieber, das Ehestiften und Prophezeien, denn alles, was du sagst, trifft ein. Bitte, stifte keine Ehen mehr.«

»Nicht für mich selber, das verspreche ich Ihnen, Papa, aber für andre muß ich’s unbedingt. Nichts auf der Welt macht soviel Vergnügen! Und nach einem solchen Erfolg, wissen Sie! Jeder sagte, Mr. Weston heiratete nicht wieder. Ach, um Himmels willen, nein! Mr. Weston, der so lange Witwer gewesen war und sich ohne Frau vollkommen wohlzufühlen schien, der gänzlich ausgefüllt war von seinen Geschäften in der Stadt und seinen Freunden hier, überall gern gesehen, wo er auch hinging, immer vergnügt – Mr. Weston brauchte nicht einen einzigen Abend im Jahr allein zu verbringen, wenn er keine Lust dazu hatte. O nein! Mr. Weston dachte nicht daran, wieder zu heiraten. Manche Leute wollten sogar wissen, er hätte es seiner Frau auf dem Sterbebett gelobt, und andre sagten, sein Sohn und der Onkel wären dagegen. Was für feierlicher Unsinn wurde nicht darüber geschwätzt! Aber ich hab nie daran geglaubt. Seit dem Tage vor ungefähr vier Jahren, als Miss Taylor und ich ihm auf dem Broadway Lane begegneten und er, weil es anfing zu nieseln, so ritterlich davonstürzte, um für uns beide vom Bauer Mitchell Schirme zu borgen – seitdem war ich meiner Sache sicher. Von der Stunde an habe ich die Ehe geplant; und wenn ich in diesem Fall von solch einem Erfolg gesegnet wurde, mein lieber Papa, dann glauben Sie doch wohl nicht, daß ich das Heiratstiften aufgebe.«

»Ich verstehe nicht, was Sie mit ›Erfolg‹ meinen«, sagte Mr. Knightley. »Erfolg setzt Bemühung voraus. Wenn Sie sich die letzten vier Jahre bemüht haben, diese Heirat zustande zu bringen, haben Sie mit Ihrer Zeit etwas Rechtes angefangen, was viel Zartgefühl verlangt. Eine wahrhaft würdige Beschäftigung für das Herz einer jungen Dame! Wenn Sie aber, wie ich mir’s eher vorstelle, mit Ihrem Ehestiften, wie Sie’s nennen, nur meinen, daß Sie es gewünscht und erhofft haben, daß Sie sich eines müßigen Tages sagten: ›Ich fände es sehr schön für Miss Taylor, wenn Mr. Weston sie heiratete‹, und sich das dann ab und zu wieder gesagt haben – wieso sprechen Sie dann von Erfolg? Wo ist Ihr Verdienst? Worauf sind Sie so stolz? Sie haben gut geraten; das ist alles, was man dazu sagen kann.«

»Und haben Sie nie erlebt, was für ein Vergnügen, welche Genugtuung es ist, richtig geraten zu haben? Dann tun Sie mir leid! Ich habe Sie für klüger gehalten – denn, verlassen Sie sich drauf, richtig zu raten ist niemals lediglich Glückssache. Es gehört immer ein bißchen Begabung dazu. Und was mein armes Wort ›Erfolg‹ angeht, das Sie mir streitig machen, so weiß ich nicht, warum ich so gar keinen Anspruch darauf haben soll. Sie haben so hübsch zwei Möglichkeiten ausgemalt – aber ich glaube, es gibt noch eine dritte, etwas zwischen Nichtstun und Allestun. Hätte ich nicht Mr. Westons Besuche hier begünstigt und sie oft ein bißchen ermutigt und ihnen in mancherlei Kleinigkeiten etwas die Wege geebnet, so wäre vielleicht doch alles im Sande verlaufen. Ich glaube, Sie kennen Hartfield zur Genüge, um das einzusehen.«

»Ach was, einem aufrichtigen, offenherzigen Mann wie Mr. Weston und einer so verständigen, ungekünstelten Frau wie Miss Taylor darf man wohl zutrauen, daß sie mit ihren Angelegenheiten allein fertig werden. Wahrscheinlich haben Sie sich selber durch Ihre Einmischung mehr geschadet, als ihnen Gutes getan.«

»Emma denkt nie an sich selber, wenn sie andern Gutes tun kann«, stimmte Mr. Woodhouse bei, der nur teilweise folgen konnte. »Aber, mein Liebes, bitte, stifte keine Ehen mehr, das ist dummes Zeug und zerstört einem nur schmerzlich den Familienkreis.«

»Nur eine noch, Papa; nur für Mr. Elton. Der arme Mr. Elton! Sie haben Mr. Elton doch so gern, Papa – ich muß mich unbedingt nach einer Frau für ihn umsehen! Hier in Highbury gibt es keine, die ihn verdient. Er ist nun schon ein ganzes Jahr hier und hat sich sein Haus so behaglich eingerichtet, daß es eine Schande wäre, wenn er noch länger allein bliebe. Und als er heute ihre Hände ineinanderlegte, sah er mir ganz danach aus, als hätte er’s gern, wenn man ihm den gleichen Dienst erwiese. Ich halte viel von Mr. Elton, und dies ist für mich die einzige Möglichkeit, ihm einen Gefallen zu tun.«

»Mr. Elton ist gewiß ein sehr netter junger Mann und ein sehr braver junger Mann, ich schätze ihn sehr. Aber wenn du ihm einen Gefallen tun willst, mein Liebes, dann lade ihn doch eines Tages zum Essen ein. Das ist viel besser. Ich darf wohl annehmen, daß Mr. Knightley so freundlich sein wird, dann auch zu kommen.«

»Mit großem Vergnügen, Sir, jederzeit«, sagte Mr. Knightley lachend; »und ich bin auch ganz Ihrer Meinung, daß es so besser ist. Laden Sie ihn zum Essen ein, Emma, und legen Sie ihm die feinsten Stücke Fisch und Hühnchen vor, aber überlassen Sie es ihm, sich seine Frau auszusuchen. Verlassen Sie sich drauf, ein Mann von sechs- oder siebenundzwanzig Jahren kann für sich selber sorgen.«

Zweites Kapitel

Mr. Weston war aus Highbury gebürtig und stammte aus einer achtbaren Familie, die in den letzten zwei oder drei Generationen zu gesellschaftlichem Ansehen und Wohlstand aufgestiegen war. Er hatte eine gute Erziehung genossen, aber als er es, schon in jungen Jahren, zu einer bescheidenen Selbständigkeit gebracht hatte, verspürte er wenig Neigung, sich häuslich niederzulassen wie seine Brüder. Seinem rührigen, lebensfrohen Wesen und seinem geselligen Temperament lag es mehr, in die Bürgerwehr seiner Grafschaft einzutreten, die damals aufgestellt wurde.

Hauptmann Weston war dort der allgemeine Liebling; und als er durch die Zufälle seiner militärischen Laufbahn mit Miss Churchill bekannt wurde, die einer vornehmen Familie aus Yorkshire angehörte, und Miss Churchill sich in ihn verliebte, war niemand überrascht außer ihrem Bruder und dessen Frau, die ihn nie gesehen hatten und in ihrem Stolz, ihrem Standesdünkel diese Verbindung als beleidigend empfanden.

Miss Churchill jedoch, die mündig war und volles Verfügungsrecht über ihr Vermögen hatte – das freilich in keinem Verhältnis zu dem Familienbesitz stand –, war nicht von der Heirat abzubringen, und die Trauung fand statt zur grenzenlosen Erbitterung von Mr. und Mrs. Churchill, die sie mit gebührendem Dekorum von sich stießen.

Die beiden aber paßten nicht zueinander, und ihre Ehe wurde nicht sehr glücklich. Mrs. Weston hätte noch am ehesten ihr Glück darin finden können, denn ihr Gatte in seiner Warmherzigkeit und Nachgiebigkeit meinte, er müsse ihr alles zuliebe tun zum Dank dafür, daß sie geruht hatte, sich in ihn zu verlieben. Aber wenn sie auch in gewissem Sinne Charakter hatte, so war es doch kein Charakter von der besten Art. Sie war standhaft genug, ihrem Bruder zum Trotz ihren Willen durchzusetzen, nicht aber, um sich über den törichten Groll ihres Bruders nicht töricht zu grämen und dem Luxus ihres früheren Heims nachzutrauern. Sie lebten über ihre Verhältnisse, und doch war das nichts im Vergleich zu Enscombe; sie hörte zwar nicht auf, ihren Gatten zu lieben, aber sie wäre am liebsten zugleich die Frau Hauptmann Westons und Miss Churchill von Enscombe gewesen.

Es zeigte sich, daß Hauptmann Weston, der nach Ansicht der Leute, und namentlich der Churchills, eine so großartige Partie gemacht hatte, dabei weitaus den kürzeren zog; denn als seine Frau nach dreijähriger Ehe starb, war er ärmer als zuvor und hatte noch dazu für ein Kind zu sorgen. Von dem Unterhalt des Knaben wurde er jedoch bald entbunden. Der Kleine war zum Mittler geworden und brachte etwas wie eine Versöhnung zustande, und die schleichende Krankheit seiner Mutter trug dazu bei, die Gemüter milde zu stimmen; und Mr. und Mrs. Churchill, die selber kinderlos waren und auch für kein anderes junges Wesen aus ebenbürtiger Verwandtschaft zu sorgen hatten, erboten sich bald nach dem Hinscheiden Mrs. Westons, den kleinen Frank ganz zu sich nehmen. Sicherlich empfand der verwitwete Vater Bedenken und Widerstreben gegen diese Lösung, da aber andere Erwägungen den Ausschlag gaben, wurde das Kind der Obhut und dem Reichtum der Churchills überantwortet. So brauchte Mr. Weston nun nur an sein eigenes Wohl zu denken und zu versuchen, so gut es ging, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.

Eine gründliche Veränderung schien ihm ratsam. So quittierte er den Dienst bei der Miliz und sattelte zum Handel um, denn seine Brüder hatten sich in London niedergelassen und kamen gut vorwärts, was ihm einen günstigen Anfang ermöglichte. Es war ein Unternehmen, das ihm gerade genug zu tun gab. Er besaß noch ein Häuschen in Highbury, wo er meist seine freien Tage verbrachte, und die nächsten achtzehn oder zwanzig Jahre seines Lebens gingen zwischen nützlicher Beschäftigung und gesellschaftlichen Vergnügungen heiter dahin. Mittlerweile hatte er es zu einem behaglichen Auskommen gebracht – genug, um ein Gütchen in der Nähe von Highbury zu erwerben, was er sich immer gewünscht hatte; genug, um eine Frau ohne jede Mitgift wie Miss Taylor zu heiraten und den Neigungen seiner freundschaftlichen und geselligen Natur zu leben.

Schon seit einiger Zeit hatte Miss Taylor in seinen Zukunftsplänen eine Rolle gespielt; aber es hatte ihn nicht mit der tyrannischen Macht gepackt, die Jugend zu Jugend zieht, und darum seinen Entschluß, nicht eher einen Hausstand zu gründen, als bis er Randalls kaufen könnte, nicht erschüttert. Lange hatte er darauf gewartet, daß Randalls zum Verkauf stand, aber beharrlich seine Ziele im Auge behalten, bis er sie erreicht hatte. Er hatte sein Vermögen erworben, sein Haus gekauft und die Frau bekommen, die er wollte; und nun begann er einen neuen Lebensabschnitt, in dem ihm aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Glück winkte, als er in dem früheren erlebt hatte. Er war nie eigentlich unglücklich gewesen, davor hatte ihn seine Natur selbst in der ersten Ehe bewahrt; aber seine zweite sollte ihm zeigen, wie beglückend eine verständige und wahrhaft liebenswerte Frau war, sollte ihm aufs erfreulichste beweisen, daß es um vieles schöner ist zu wählen, als gewählt zu werden, schöner, den andern dankbar zu stimmen, als selber Dank zu schulden.

Er brauchte sich bei seiner Wahl nur von seinen Wünschen leiten zu lassen. Sein Vermögen war sein eigen; denn was Frank betraf, so war er nicht nur in stiller Übereinkunft als Erbe seines Onkels aufgezogen worden, man hatte schließlich den Wunsch ausgesprochen, ihn zu adoptieren, so daß er bei seiner Großjährigkeit den Namen Churchill annahm. Darum war es höchst unwahrscheinlich, daß er jemals auf den väterlichen Beistand angewiesen sein würde. In dieser Hinsicht war sein Vater unbesorgt. Zwar war die Tante eine launenhafte Frau und beherrschte ihren Gatten ganz und gar; aber ein Mann wie Mr. Weston konnte sich nicht vorstellen, daß eine Laune je soviel Macht über sie gewinnen könnte, daß sie einem geliebten und, wie er glaubte, verdienterweise geliebten Menschen Schaden zufügte. Er sah seinen Sohn jedes Jahr in London und war sehr stolz auf ihn; und mit seinen liebevollen Berichten, die Frank Churchill als einen sehr gewinnenden jungen Mann schilderten, hatte er’s dahin gebracht, daß ganz Highbury gewissermaßen stolz auf ihn war. Man betrachtete ihn so sehr als zugehörig, daß man seine Qualitäten und Zukunftsaussichten als Gegenstand gemeinsamen Interesses empfand.

Frank Churchill war also eine der Glanznummern von Highbury, und mit lebhafter Neugier wartete man darauf, ihn zu sehen; nur wurde diese schmeichelhafte Erwartung so wenig erwidert, daß er noch nie im Leben gekommen war; oft hieß es, er werde seinen Vater besuchen, aber geschehen war’s noch nie.

Jetzt, nach seines Vaters Heirat, fand man allgemein, dieser Besuch, als eine Artigkeit, die sich gehörte, müsse nun endlich stattfinden. Darüber gab es nur eine Stimme, ob Mrs. Perry zum Tee zu Mrs. und Miss Bates kam, oder Mrs. und Miss Bates ihren Gegenbesuch machten: es war höchste Zeit, daß Mr. Churchill sich sehen ließ; und die Hoffnung wuchs, als man erfuhr, daß er seiner neuen Mutter geschrieben hatte. Ein paar Tage lang verging keine Morgenvisite in Highbury, ohne daß die Rede auf den reizenden Brief kam, den Mrs. Weston erhalten hatte. »Sie haben gewiß von dem reizenden Brief gehört, den Mr. Frank Churchill an Mrs. Weston geschrieben hat? Es muß ein ganz reizender Brief sein. Mr. Woodhouse hat mir davon erzählt. Mr. Woodhouse hat den Brief selber gelesen, er sagt, in seinem Leben hätte er keinen so reizenden Brief gesehen.«

Es war wirklich ein hochgeschätzter Brief. Mrs. Weston, die sich natürlich von vornherein ein sehr günstiges Bild von dem jungen Mann gemacht hatte, empfand diese erfreuliche Aufmerksamkeit als unwiderlegbaren Beweis für sein großmütiges Verständnis und als höchst willkommene Bekrönung all der Zuneigung, die man ihr bei ihrer Heirat bekundet hatte. Sie fühlte sich vom Glück überhäuft; und sie hatte lange genug gelebt, um zu wissen, daß sie sich wirklich glücklich schätzen durfte, wenn sie nichts andres zu beklagen hatte als die zeitweise Trennung von ihren Freunden, deren Freundschaft für sie nie abgekühlt war und die sie schmerzlich entbehrten.

Sie wußte wohl, daß man sie zuweilen vermißte; und sie konnte nicht ohne Betrübnis daran denken, daß Emma auch nur um ein einziges Vergnügen kam, sich auch nur eine Stunde langweilte, weil ihre Gesellschaft ihr fehlte. Doch die liebe Emma war ja kein schwacher Charakter; sie war ihrer Lage besser gewachsen, als es bei den meisten anderen jungen Mädchen der Fall gewesen wäre. Ihre Vernunft, ihre Energie, ihre Lebhaftigkeit würden ihr hoffentlich leicht und glücklich über die kleinen Schwierigkeiten und Verzichte hinweghelfen. Und dann lag ein solcher Trost darin, daß es von Hartfield nach Randalls nur ein Spaziergang war, den selbst ein weibliches Wesen allein machen konnte; auch bot der nahende Winter bei Mr. Westons Veranlagung und bei seinen Verhältnissen kein Hindernis, die Hälfte der Abende in der Woche zusammen zu verbringen.

Alles in allem fand Mrs. Weston in ihrem neuen Zustand Anlaß zu Stunden der Dankbarkeit und nur zu Augenblicken des Bedauerns. Und daß sie zufrieden war, mehr als zufrieden, daß sie ihn mit Freuden genoß, war ihr so gut nachzufühlen und so offenbar, daß Emma, wie gut sie auch ihren Vater kannte, sich zuweilen doch wunderte, wie er immer noch »die arme Miss Taylor« bemitleiden konnte, wenn sie sie in Randalls inmitten all ihrer häuslichen Behaglichkeit zurückließen oder sie abends weggehen sahen, von ihrem sympathischen Mann zum eigenen Wagen geleitet. Aber nie schied sie, ohne daß Mr. Woodhouse einen leisen Seufzer ausstieß und sagte:

»Ach! Die arme Miss Taylor! Sie wäre sicher froh, wenn sie hierbleiben könnte.«

Nichts aber brachte Miss Taylor zurück, noch bestand Aussicht, daß er je aufhören würde, ihr Los zu beklagen. Doch im Lauf der Wochen fand Mr. Woodhouse Linderung; die Nachbarn hörten auf, ihm zu gratulieren, er wurde also nicht mehr damit gequält, daß man ihn zu einem so betrüblichen Ereignis beglückwünschte, und der Hochzeitskuchen, der ihm soviel Sorge verursacht hatte, war bis aufs letzte Krümchen verzehrt. Da sein Magen nichts Schweres vertrug, war es für ihn undenkbar, daß es andern Leuten anders ging; was ihm schlecht bekam, war folglich unbekömmlich für jedermann. Er hatte ihnen darum ernsthaft auszureden versucht, überhaupt einen Hochzeitskuchen zu backen, und als das nichts half, suchte er ebenso ernsthaft zu verhindern, daß jemand davon aß. Er hatte sogar die Mühe nicht gescheut, Mr. Perry, den Landarzt, darüber zu befragen. Mr. Perry war ein kluger, feingebildeter Mann, dessen häufige Besuche zu den Tröstungen in Mr. Woodhouses Dasein gehörten; und da man an seine ärztliche Weisheit appellierte, mußte Mr. Perry zugeben (wenn auch sichtlich gegen die eigene Neigung), daß Hochzeitskuchen sicherlich für manche, vielleicht für die meisten Leute unzuträglich sei, es sei denn, man genieße ihn mit Maßen. Mit dieser Ansicht als Bekräftigung der seinen hoffte Mr. Woodhouse jeden Gast der Neuvermählten zu überzeugen. Trotzdem wurde der Kuchen aufgegessen; und es gab keine Ruhe für seine von Wohlwollen geplagten Nerven, bis er alle war.

Ein haarsträubendes Gerücht lief in Highbury um: man hätte die kleinen Perrys allesamt mit einem Stück von Mrs. Westons Hochzeitskuchen in der Hand gesehen. Aber das konnte Mr. Woodhouse denn doch nicht glauben.

Drittes Kapitel

Mr. Woodhouse liebte Geselligkeit, jedoch auf seine Weise. Er sah es sehr gern, wenn seine Freunde zu ihm kamen, und mancherlei Gründe – seine lange Ansässigkeit in Hartfield, sein gutmütiges Wesen, sein Vermögen, sein Haus und seine Tochter – spielten dabei mit, daß er in seinem kleinen Kreise die Form der Gastlichkeit bestimmen konnte, wie sie ihm genehm war. Mit Familien außerhalb dieses Kreises pflog er nicht viel Umgang. Gäste zu später Stunde und große Dinnergesellschaften waren ihm ein Greuel, deshalb konnte er nur mit Leuten verkehren, die sich seinen Wünschen anpaßten. Deren gab es glücklicherweise genug, sowohl in Highbury und dem zum gleichen Kirchspiel gehörenden Randalls wie auch in Donwell im benachbarten Kirchspiel, dem Wohnsitz Mr. Knightleys. Nicht selten ließ er sich von Emma überreden, ein paar der auserwählten, besten Freunde zum Dinner einzuladen; lieber aber sah er abends Menschen um sich, und wenn er sich nicht gerade einbildete, er sei überhaupt keiner Geselligkeit gewachsen, gab es kaum einen Abend in der Woche, an dem Emma ihm nicht den Spieltisch aufschlagen konnte.

Alte, wahre Verbundenheit führte die Westons und Mr. Knightley herbei; und daß Mr. Elton, ein junger Mann, der für sich allein hauste, was nicht sehr nach seinem Geschmack war, je die Gunst ausschlagen könnte, einen freien Abend seines leeren, einschichtigen Daseins gegen die Annehmlichkeiten und die Gesellschaft in Mr. Woodhouses Salon und das Lächeln seiner schönen Tochter einzutauschen, war nicht zu befürchten.

Nächst diesen rangierte eine zweite Gruppe. Davon waren Mrs. und Miss Bates und Mrs. Goddard die häufigsten Tischgäste, drei Damen, die fast jederzeit für eine Einladung nach Hartfield zu haben waren. Sie wurden so oft abgeholt und wieder nach Hause gebracht, daß Mr. Woodhouse es nicht mehr als eine Härte für James und die Pferde empfand; wäre es nur einmal im Jahr vorgekommen, er hätte es als Schinderei angesehen.

Mrs. Bates, die Witwe eines früheren Vikars von Highbury, war eine sehr alte Dame, längst über alles andre als Teevisiten und eine Partie Quadrille hinaus. Sie lebte mit ihrer einzigen Tochter in recht eingeschränkten Verhältnissen, doch begegnete man ihr mit all der achtungsvollen Freundlichkeit, die man für eine harmlose Greisin in so widriger Lage nur empfinden kann. Ihre Tochter erfreute sich einer Beliebtheit, die für eine weder junge, noch hübsche, noch reiche, noch verheiratete Frau ganz außerordentlich war. Miss Bates besaß wahrlich die allerkläglichsten Chancen von der Welt, die Gunst der Leute zu gewinnen, und keinerlei Geistesgaben, um sich daran schadlos zu halten und Übelgesinnten wenigstens äußeren Respekt einzujagen. Nie hatte sie durch Schönheit oder Klugheit geglänzt. Ihre Jugend war unbemerkt dahingegangen, und ihre mittleren Jahre hatte sie der Pflege ihrer hinfälligen Mutter gewidmet und dem Bemühen, mit einem schmalen Beutel so weit wie möglich zu kommen. Und doch war sie eine glückliche Frau, und niemand sprach ohne Wohlwollen von ihr. Es war ihr eigenes allumfassendes Wohlwollen und ihr zufriedenes Gemüt, das solche Wunder wirkte. Sie war allen Menschen gut, freute sich mit am Glück der andern und sah in jedem nur das Gute; sich selber fühlte sie vom Glück in höchstem Maße begünstigt und umgeben von lauter Segnungen in Gestalt der allerbesten Mutter und so vieler guter Nachbarn und Freunde und eines Heims, in dem es an nichts mangelte. Ihr schlichtes, heiteres Wesen, ihr dankbares Herz machten sie allen lieb und wert und waren ihr selber ein Quell der Glückseligkeit. Sie war groß darin, über Kleinigkeiten zu plaudern, und das war gerade das Rechte für Mr. Woodhouse, ein Geplätscher von belanglosen Mitteilungen und harmlosem Klatsch.

Mrs. Goddard war Leiterin einer Schule; doch war das nicht etwa ein Seminar oder ein Etablissement oder sonst eine Anstalt, die sich in langen Sätzen voll hochtrabenden Unsinns anheischig macht, nach modernen Grundsätzen und neuen Systemen liberale Errungenschaften im Verein mit feiner Gesittung zu vermitteln, und in der junge Damen gegen ungeheures Entgelt um ihre Gesundheit gebracht und mit Eitelkeit vollgepumpt werden – sondern ein richtiges ehrbares, altmodisches Internat, wo ein vernünftiges Maß an Kenntnissen zu einem vernünftigen Preis geboten wurde, und wo man Mädchen hinschicken konnte, damit sie aus dem Wege seien und sich ein bißchen Bildung aneigneten, ohne die Gefahr, daß sie als Wunderkinder zurückkamen. Mrs. Goddards Schule stand in hohem Ansehen, und mit Recht, denn Highbury galt als ein besonders gesunder Ort. Sie hatte ein geräumiges Haus mit weitläufigem Garten, gab den Kindern gesunde und reichliche Kost, ließ sie im Sommer viel herumlaufen und verband im Winter ihre Frostbeulen mit eigener Hand. Kein Wunder, daß nun ein Trupp von zwanzig Pärchen hinter ihr her zur Kirche wandelte. Sie war eine schlichte, mütterliche Frau, die in ihrer Jugend hart gearbeitet hatte und sich nun das Recht zugestand, sich gelegentlich einen freien Nachmittag für eine Teevisite zu gönnen; und da sie Mr. Woodhouses Freundlichkeit viel verdankte, fand sie, er habe einen Anspruch darauf, daß sie, so oft sie konnte, ihr hübsches Wohnzimmer, das ringsherum mit Handarbeiten behangen war, verließ, um an seinem Kaminfeuer ein paar Sechser zu gewinnen oder zu verlieren.

Diese Damen konnte Emma nun alle paar Tage zusammenholen, und das freute sie um ihres Vaters willen; doch für sie selber war damit die Lücke, die Mrs. Weston gelassen hatte, nicht ausgefüllt. Sie war herzlich froh, ihren Vater so behaglich versorgt zu sehen, und auch nicht wenig mit sich selbst zufrieden, daß sie die Dinge so geschickt zu arrangieren wußte; aber bei dem gemächlichen, langatmigen Geplauder dieser drei Damen fühlte sie, daß nun wirklich die Reihe der endlosen Abende angebrochen war, die sie mit Bangen hatte kommen sehen.

Als sie eines Morgens trübselig dasaß und sich sagte, ebenso werde auch der heutige Abend enden, brachte man ihr ein Briefchen von Mrs. Goddard, worin diese in den ehrerbietigsten Wendungen um die Erlaubnis bat, Miss Smith mitzubringen. Ein höchst willkommenes Anliegen, denn Miss Smith war ein siebzehnjähriges Mädchen, das Emma von Ansehen bekannt war und durch seinen Liebreiz ihr Interesse erregt hatte. Ein huldvolle Einladung war die Antwort, und die schöne Herrin des Hauses sah nun dem Abend ohne Furcht entgegen.

Harriet Smith war die natürliche Tochter von irgend jemand. Jemand hatte sie vor einigen Jahren in Mrs. Goddards Schule untergebracht, und jemand hatte sie kürzlich von der Schülerin zur Pensionärin befördert – das war alles, was man von ihr wußte. Sie hatte keine sichtbaren Freunde außer denen, die sie in Highbury gewonnen hatte, und nun war sie soeben von einem langen Besuch bei Freundinnen auf dem Lande, die mit ihr zur Schule gegangen waren, zurückgekehrt.

Sie war ein hübsches Mädchen und zufällig von einer Hübschheit, für die Emma besonders empfänglich war: klein, rundlich, mit regelmäßigen Zügen und einem rosigen Hauch auf den zarten Wangen, mit blauen Augen, blondem Haar und einem Blick voller Sanftmut. Und ehe der Abend zu Ende ging, war Emma von ihrem Wesen ebenso angetan wie von ihrem Anblick und fest entschlossen, die Bekanntschaft fortzusetzen.

Zwar überraschte Miss Smith sie in der Unterhaltung durch keinerlei besonders gescheite Äußerungen, doch alles in allem fand sie sie sehr anziehend; sie war nicht peinlich schüchtern, so daß man ihr jedes Wort aus dem Munde ziehen mußte, doch auch nicht im entferntesten vorlaut, sondern wußte so fein den geziemenden Abstand zu wahren, schien so rührend dankbar, daß sie nach Hartfield kommen durfte und zeigte sich so ungekünstelt davon beeindruckt, daß hier alles viel vornehmer aussah, als sie gewohnt war, daß Emma sich sagte, sie müsse ein verständiges Mädchen sein und verdiene, ermutigt zu werden. Und Ermutigung sollte ihr werden. Diese sanften blauen Augen und all diese natürliche Anmut sollten nicht an die zweitrangige Gesellschaft von Highbury und deren Anhang vergeudet werden. Für die Bekanntschaften, die sie bisher geschlossen hatte, war sie zu schade. Auch die Freunde, von denen sie soeben zurückkam, waren zwar recht brave Leute, aber ein schädlicher Umgang für sie. Es war eine Familie namens Martin, dem Stande nach Emma wohlbekannt; sie hatten einen großen Gutshof von Mr. Knightley gepachtet und wohnten im Kirchspiel von Donwell; gewiß sehr achtbare Leute – sie wußte, Mr. Knightley hielt große Stücke auf sie –, aber wahrscheinlich grob und ungeschliffen, gänzlich ungeeignet als nächste Freunde eines Mädchens, das sich nur noch ein bißchen mehr an Kenntnissen und feiner Lebensart anzueignen brauchte, um vollkommen zu werden. Sie würde sich Harriets annehmen, würde sie fördern, sie von ihren unwürdigen Bekannten lösen und in die gute Gesellschaft einführen; sie würde ihre Ansichten wie ihre Manieren formen. Das wäre eine interessante Aufgabe und sicherlich ein gutes Werk, ihrer eigenen Position, ihrer Muße, ihren Fähigkeiten höchst angemessen.

Sie war so eifrig damit beschäftigt, diese blauen Augen zu bewundern, zu plaudern und zuzuhören und zwischendrein alle diese Pläne zu schmieden, daß die Stunden ungewohnt schnell dahinflogen; und während sie sonst dasaß und nach der Uhr sah, ob es noch nicht bald Zeit sei für das Nachtmahl, das solche geselligen Abende stets beschloß, war heute der Tisch fix und fertig gedeckt und wurde ans Feuer gerückt, ehe sie sich’s versah. In ihrer angeregten Stimmung war sie heute mehr noch als sonst darauf bedacht, sich sehr gewandt und aufmerksam zu zeigen; und mit dem echten Wohlwollen eines Herzens, das sich an seinen heimlichen Träumen berauscht, machte sie die Honneurs bei Tische, legte vor und pries das Hühnerfrikassee und die in der Muschel gebackenen Austern mit einer Dringlichkeit an, die ihr zu so früher Stunde und angesichts der höflich zögernden Gäste wohl zulässig schien.

Mr. Woodhouses Gefühle gerieten bei solchen Gelegenheiten in den ärgsten Widerstreit. Er liebte es, seinen Gästen den Tisch zu decken, ehe sie gingen, denn so war es in seiner Jugend Brauch gewesen; da er aber überzeugt war, daß ein Nachtmahl schwer im Magen liege, sah er doch mit Bedauern, wenn etwas aufgetragen wurde; und während er in seiner Gastfreundlichkeit seine Besucher gern zu allem genötigt hätte, litt er aus Sorge um ihre Gesundheit Qualen, wenn sie überhaupt zugriffen.

Ein Schüsselchen mit dünner Hafergrütze, wie er es vor sich stehen hatte, war das einzige, was er ihnen mit gutem Gewissen empfehlen konnte; doch überwand er sich und sagte, während die Damen mit Genuß die feineren Sachen vertilgten:

»Mrs. Bates, darf ich Ihnen vorschlagen, eins von diesen Eiern zu kosten? Ein gekochtes Ei ist nicht unbekömmlich. Niemand versteht es so gut, ein Ei zu kochen, wie Serle. Von einem andern gekocht, würde ich’s Ihnen nicht empfehlen; aber Sie brauchen keine Angst zu haben, sehen Sie, sie sind sehr klein, eins von unsern kleinen Eiern wird Ihnen nicht schaden. Miss Bates, lassen Sie sich doch von Emma ein kleines Stückchen Torte reichen, ein winziges Stückchen. Wir essen immer nur Apfeltorte. Eingemachtes, das so unbekömmlich ist, haben Sie bei uns nicht zu befürchten. Doch von dem Custard rate ich Ihnen ab. Mrs. Goddard, was sagen Sie zu einem halben Gläschen Wein? Ein knappes halbes Glas, mit Wasser aufgefüllt, wie? Ich meine, das dürfte Ihnen nicht unzuträglich sein.«

Emma ließ ihren Vater reden, versorgte aber indes ihre Gäste auf befriedigendere Weise. Es war ihr heute ein Herzensbedürfnis, sie beglückt heimziehen zu sehen. Mit Miss Smith gelang ihr das vollauf. Miss Woodhouse war in Highbury eine so bedeutende Persönlichkeit, daß schon die Aussicht, bei ihr eingeführt zu werden, in Harriet nicht weniger Panik als Freude ausgelöst hatte. Doch das bescheidene, dankbare junge Mädchen fühlte sich reich beschenkt und schied voller Entzücken über die Leutseligkeit, mit der Miss Woodhouse sie den ganzen Abend über behandelt und ihr zum Schluß sogar die Hand gedrückt hatte.

Viertes Kapitel

Harriet war bald ein vertrauter Gast in Hartfield. In ihrer rasch entschiedenen Art hatte Emma sie, ohne Zeit zu verlieren, eingeladen und ermutigt, recht oft zu kommen; und je näher sie sich kennenlernten, desto mehr Gefallen fanden sie aneinander. Emma hatte bald vorausgesehen, wie nützlich ihr Harriet als Begleiterin auf ihren Spaziergängen sein würde. In dieser Hinsicht war die Trennung von Mrs. Weston sehr einschneidend gewesen. Ihr Vater ging nie über die Parkanlagen hinaus, wo ihm zwei Wege, die das Gelände durchquerten, für seinen langen oder kurzen Spaziergang, je nach der Jahreszeit, genügten. So war sie seit Mrs. Westons Heirat in ihrer Bewegungsfreiheit allzu beschränkt. Einmal hatte sie sich allein bis nach Randalls gewagt, aber das war kein Vergnügen. Eine Harriet Smith, jemand, den sie jederzeit zum Mitgehen auffordern konnte, brachte ihr darum einen schätzenswerten Zuwachs an Freizügigkeit. Doch in jeglicher Beziehung war sie mit ihr zufrieden, je öfter sie mit ihr zusammenkam, und das bestärkte sie in all ihren freundlichen Plänen.

Harriet war zwar nicht klug, aber ein liebes, fügsames, dankbares Wesen und nicht im mindesten eingebildet; von jedem Menschen, zu dem sie aufsah, ließ sie sich willig leiten. Es war rührend zu sehen, wie rasch sie Emma ins Herz schloß. Daß es sie zu guter Gesellschaft zog, daß sie eine geschmackvolle Umgebung und kluge Unterhaltung zu würdigen wußte, zeigte, daß es ihr nicht an einem gewissen Feingefühl mangelte, wenn man auch tiefere Einsicht bei ihr nicht erwarten durfte. Emma war, alles in allem, ganz überzeugt, daß sie in Harriet Smith genau die junge Freundin gefunden hatte, die sie brauchte, genau das Etwas, das sie daheim nötig hatte. Natürlich war eine Freundin wie Mrs. Weston über jeden Vergleich erhaben. Zwei wie sie waren einem nie vergönnt, und sie wünschte sie sich auch nicht. Was sie für die beiden empfand, war ganz verschieden und voneinander unabhängig. Die Verbundenheit mit Mrs. Weston beruhte auf Dankbarkeit und Hochachtung. In Harriet dagegen liebte sie einen Menschen, dem sie nützlich sein konnte. Für Mrs. Weston konnte man nichts tun, für Harriet alles.

Sie fing damit an, sich ihr nützlich zu machen, indem sie dahinterzukommen suchte, wer Harriets Eltern waren. Aber Harriet konnte es nicht sagen. Sie erzählte bereitwillig alles, was sie wußte, doch über diesen Punkt befragte man sie vergeblich. Emma war also darauf angewiesen zu erdichten, was sie gern wahrgehabt hätte, aber sie konnte sich nicht denken, daß sie selber in der gleichen Lage nicht die Wahrheit an den Tag gebracht hätte. Harriet war eben nicht scharfsinnig genug. Sie hatte sich damit zufriedengegeben, zu hören und zu glauben, was Mrs. Goddard ihr mitzuteilen für gut befand, und nicht weiter geforscht.

Mrs. Goddard, die Lehrerinnen, die Zöglinge und die Schulangelegenheiten im allgemeinen spielten natürlich in ihren Gesprächen eine große Rolle, und ohne ihre Bekanntschaft mit den Martins von dem Gutshof Abbey Mill wäre das ihre ganze Welt gewesen. Aber die Martins beschäftigten ihre Gedanken sehr; sie hatte zwei glückliche Monate bei ihnen verlebt, und gern erzählte sie nun von den Freuden dieser Zeit und schilderte die mancherlei Annehmlichkeiten und Wunderdinge dort. Und Emma ermutigte ihre Redelust, ergötzte sich an dem Bilde dieser anderen Gattung von Lebewesen und hatte ihr Vergnügen an der kindlichen Einfalt, die in den höchsten Tönen schwärmte, Mrs. Martin habe zwei Wohnzimmer, zwei wirklich sehr schöne Wohnzimmer, das eine ebenso groß wie Mrs. Goddards Salon; und sie hätte ein Erstmädchen, das schon seit fünfundzwanzig Jahren bei ihr sei, und acht Kühe hätten sie, zwei davon Alderneys und eine kleine von der Walliser Rasse, eine wirklich ganz entzückende Walliser Kuh; und Mrs. Martin hätte gesagt, weil sie sie so gern habe, solle sie Harriets Kuh heißen; und in ihrem Garten hätten sie eine reizende Laube, wo sie im nächsten Jahr einmal alle zusammen Tee trinken wollten – eine ganz reizende Laube, groß genug, daß ein Dutzend Leute darin sitzen konnte.

Eine Weile hatte Emma ihren Spaß daran, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen. Als sie aber die Familie besser überschaute, sah sie die Dinge in einem andern Licht. Sie hatte sich nämlich ein falsches Bild gemacht, hatte sich vorgestellt, es seien Mutter und Tochter und ein Sohn mit seiner Frau, die dort zusammen hausten. Und als ihr dann aufging, daß der Mr. Martin, der in Harriets Erzählung so oft wiederkehrte, und von dem es stets, wenn er dies oder jenes tat, hieß, wie herzensgut er sei – daß dieser Mr. Martin ledig war, daß es da gar keine junge Mrs. Martin, kein Eheweib gab, da witterte sie in all dieser Gastfreundschaft und Güte Gefahr für ihre arme kleine Freundin; wenn man nicht auf sie achtgab, ließ sie sich am Ende dazu verleiten, sich fürs ganze Leben zu erniedrigen.