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ARZT SEIN
HEISST SCHEITERN

Atilla Vuran
Stefan Jockenhövel

Danke, Boris, für die Möglichkeit.

Atilla

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7664-9939-4

Im Vertrieb von: Jünger Medien Verlag + Burckhardthaus-Laetare GmbH, Offenbach

Projektleitung: Alexander Natter

Lektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, www.martinzech.de

Comics: Ralf Alex Fichtner

Foto Buchumschlag: michaeljung/iStock

Autorenfotos: Foto Danner e.K.

Satz und Layout: ZeroSoft

Druck und Bindung: Salzland Druck

1. Auflage 2016

www.arzt-sein-heisst-scheitern.de

© 2016 by Leadership Inhouse Akademie GmbH, Schaffhausen, Schweiz

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.

Inhalt

Vorwort von Boris Grundl

1. Kapitel: Aufgaben der Führung

1. Aufgabe: Menschen fördern

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

2. Aufgabe: Unternehmenszweck erfüllen

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

3. Aufgabe: Systeme schaffen

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

4. Aufgabe: Delegieren

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

5. Aufgabe: Kontrollieren

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

2. Kapitel: Hilfsmittel der Führung

1. Hilfsmittel: Lob

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

2. Hilfsmittel: Umleiten

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

3. Hilfsmittel: Kritik

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

4. Hilfsmittel: EOA (ergebnisorientierte Aufgabenbeschreibung)

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

5. Hilfsmittel: Budget

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

3. Kapitel: Prinzipien der Führung

1. Prinzip: Verantwortung übernehmen

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

2. Prinzip: Ergebnisorientierung

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

3. Prinzip: Konzentration auf Stärken

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

4. Prinzip: Positives Betriebsklima

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

5. Prinzip: Vertrauen aufbauen

Umsetzung im Alltag

Kurz & knapp

Schlusswort

Literatur

Wir möchten darauf hinweisen, dass aus Gründen der leichteren Lesbarkeit in diesem Buch die männliche Sprachform verwendet wird. Sämtliche Ausführungen gelten natürlich in gleicher Weise für die weibliche.

Die einleitenden Geschichten basieren auf wahren Erfahrungen im klinischen Alltag. Sie sind jedoch zum Zweck des besseren Verständnisses der jeweiligen Thematik weiter frei ausgestaltet worden. Die Namen der handelnden Personen wurden frei erfunden. Daher sind Ähnlichkeiten dieser Namen mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.

Vorwort von Boris Grundl

Fachkompetenz versus Führungskompetenz

Ich beglückwünsche Sie zum Erwerb dieses Buches. Im Kern beglückwünsche ich Sie jedoch nicht zum Kauf Ihres Exemplars, sondern zu Ihrer Entscheidung, dass Sie an Ihrer Führungskompetenz arbeiten möchten. Um diese Einsicht geht es. Denn ich bin mir sicher, Ihre medizinische Fachkompetenz befindet sich auf einem sehr hohen Niveau. Dabei beweist die Auseinandersetzung mit dem Buchthema, dass Ihnen der Unterschied zwischen Fachkompetenz und Führungskompetenz bewusst ist. Fachkompetenz ist wichtig. Durch Wissen und Erfahrung lässt sie sich immer weiter ausbauen. Ohne Fachkompetenz kein Karrierestart. Sie ist eine Art Hygienefaktor. Ohne sie keine Daseinsberechtigung, weder als Fach- noch als Führungskraft. Damit wird sie zum Beschleunigungsstreifen jeder Karriere. Doch bestimmt sie auch, wie weit eine Karriere geht?

Sehr fachkompetente Menschen sind große Experten auf einem Gebiet. Darin liegt ihre Stärke. Doch jeder Experte braucht ein Team um sich, damit er optimal wirken kann. Genau hier setzt Führung an. Denn Mitarbeiter, Patienten und Dienstleister müssen geführt werden. Experten, die das nicht verstehen oder einsehen, kämpfen trotz ihrer Kompetenz immer wieder mit Problemen. Ein mir bekannter Zahnarzt sagte einmal: „Herr Grundl, ich liebe die Arbeit am Patienten. Dafür habe ich studiert. Aber ich hasse alles darum herum in meiner Praxis.“ Er hasste es, weil er nicht wusste, wie er das Organisatorische in den Griff bekommen sollte. Mit zunehmender Führungskompetenz verflog die Ablehnung und das Interesse an seiner Führungsaufgabe wuchs. Heute führt er erfolgreich mehrere Praxen. Und jetzt ist es klar: Fachkompetenz ebnet den Karriereweg, Führungskompetenz bestimmt, wie weit die Karriere geht.

Leading Simple® – Erfolgreich führen mit System

Leading Simple steht für das Führen mit Kopf, Herz und Hand. Es ist ein Führungssystem, das alle entscheidenden Punkte wirkungsvoller Führung nachvollziehbar auf den Punkt bringt:

1.Was ein Leader tun muss – seine fünf Aufgaben (Kopf)

2.Womit er es tun sollte – seine fünf Hilfsmittel (Hand)

3.Warum er es tun sollte – die fünf Prinzipien (Herz)

Stellen Sie sich vor, Sie und alle anderen Ärzte und Führungskräfte hätten eine einheitliche Vorstellung von Führung! Das heißt: Jeder wüsste, was seine Aufgaben sind. Jeder wüsste, welche Hilfen er dazu hat, und jeder sähe einen Sinn in seiner Tätigkeit. Im Ergebnis würden Sie überall Arbeitsfreude, Wachstum und Effizienz erleben.

Gerade halten Sie ein Buch in Händen, das Sie leicht verständlich dabei unterstützt, Ihre persönliche Führungskompetenz zu vertiefen. Klar, direkt und auf den Punkt. Atilla Vuran und Stefan Jockenhövel haben das Führungssystem Leading Simple® in diesem Werk auf beeindruckende Weise für den klinischen Kontext aufbereitet. Dabei besticht Atilla Vuran durch seine Umsetzungsstärke und Stefan Jockenhövel durch seine klinische Führungserfahrung. Zusammen sind sie ein unschlagbares Doppel. Ihnen wünsche ich jetzt eine spannende Lektüre und anschließend viel Freude beim Anwenden und Umsetzen. Denn darum geht es: dass Ihre Ergebnisse und damit die Ergebnisse Ihrer Organisation durch Führungskompetenz besser werden. Damit jeder der Beste wird, der er sein kann.

Ihr

Boris Grundl

1. Kapitel:
Aufgaben der Führung

1. Aufgabe:
Menschen fördern

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Jetzt bin ich fällig!

„Jocki, du Idiot! Du bringst meine Patienten um!“ Die kräftige Stimme, die sich fast überschlug, zerfetzte die Geräuschkulisse auf der Intensivstation. Es wurde augenblicklich still, und nur das Piepsen der Monitore und die leicht zischenden Laute der Beatmungsmaschinen waren noch zu hören. Der junge Assistenzarzt Dr. Hartmut „Jocki“ Jockenhäuser stand am Bett eines älteren Mannes, der am Vortag eine Bypass-Operation erhalten hatte und nun intensivmedizinisch versorgt wurde. Links neben ihm seine beiden männlichen Kollegen, Dr. Maigold und Dr. Schmidt, zu Jockis Rechten die Kollegin Dr. Simone Harnisch. Jeder der vier zuckte zusammen. Jockis Kollegen traten einen Schritt zurück. Rein vorsichtshalber. Ähnliches taten die restlichen Pfleger der Station. Sie verdünnisierten sich in die Nebenräume oder beschäftigten sich irgendwie. Nur nicht auffallen, lautete die Devise. In ihren Mienen konnte man eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst erkennen. Verstohlen schaute jeder nach vorn. Den langen Gang entlang, in dem links und rechts die Betten der Patienten aufgereiht waren. Dort stand er, der Chefarzt! Prof. Reinhard Stelzner war kein großer Mann, nur knapp 1,70 und von drahtiger Statur. Sein graues Haar kämmte er fast nie. So sah es auch aus. Der Chefarzt hatte einen Blick drauf, der einen unwillkürlich an den Western-Klassiker „High Noon“ erinnerte. An den einsamen Kampf des von seinen Freunden verlassenen Town Marshal Will Kane gegen seinen Todfeind, den Gangster Frank Miller. Mit schlurfendem Schritt kam der Chefarzt den Gang entlang, zielstrebig auf Jocki zu, der sich im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht umgedreht hatte.

Der junge Assistenzarzt mit dem gepflegten, kurz geschnittenen und sauber zur Seite gescheitelten Haar arbeitete weiter an seinem Patienten. Natürlich wusste auch er, dass in diesem Moment seine Stunde geschlagen hatte und der Chefarzt ihn gleich gehörig in die Mangel nehmen würde. Doch das ließ sich Dr. Jockenhäuser nicht anmerken. „Da kann ich die Leute nach der OP ja gleich selber in die Pathologie schieben!“, fauchte der Professor, pflanzte sich vor dem Bett des Patienten auf und stellte demonstrativ die Ellbogen nach außen. Jockis Kollegen traten noch einen weiteren Schritt zurück. High Noon! „Jetzt halten Sie mal die Luft an, Chef!“, sagte Jockenhäuser, nahm seinen ganzen Mut zusammen und drehte sich um. Obwohl er auch ein bisschen zitterte, blickte er seinem Chef direkt in die Augen. „Ich hab mir was dabei gedacht!“

„Pah! Was dabei gedacht. So ein Bockmist!“, konterte der Alte. „Was haben Sie sich denn gedacht?“

„Nun, Herr Professor …“, begann Jocki und schaute vorsichtig zu seinen Kollegen, die noch einen weiteren Schritt zur Seite wichen. Sie alle sahen ihn mit großen Augen erwartungsvoll an. Jocki stand allein da und wusste: Ausreden würden ihm in diesem Moment nicht weiterhelfen. Also beschloss der junge Arzt, seinen ganzen Mut zusammenzunehmen und ganz einfach zu schildern, wie es wirklich gelaufen war: „Die Allgemeinsituation mit den sich stetig verschlechternden Lungen- und Nierenwerten verlangten mir eine rasche Entscheidung ab. Ich habe mich für das Präparat A entschieden, weil ich davon ausgegangen bin, dass sich durch eine verbesserte Perfusion das drohende Nierenversagen noch abwenden lässt. Leider waren die Maßnahmen bisher ohne Erfolg.“ „Aha!“, murmelte Prof. Stelzner in seinen nicht vorhandenen Bart und kratzte sich mit der rechten Hand am Kinn. Eine Geste, die Dr. Jockenhäuser nur allzu gut kannte. Wenn sich der Chef in dieser Weise am Kinn kratzte, dann dachte er zumindest einmal ernsthaft nach. „Ist Ihnen bewusst, dass Sie damit eine erhöhte Kreislaufbelastung eingegangen sind, Jocki?“ „Selbstverständlich, Chef!“, antwortete Jocki. „Das war auch keine leichte Entscheidung. Aber in der Situation erschien mir das der beste Kompromiss zu sein, um das drohende Multi-Organversagen abzuwenden.“ „Aha! Nun gut! Aber das Risiko ist Ihnen bewusst gewesen?“ „Ja natürlich!“

„Und Sie?“, fragte der Chefarzt und wandte sich Jockis Kollegen zu, die in sicherer Entfernung abwarteten, wie denn der als sicher geltende Anschiss aussehen würde. „Was meinen Sie?“ „Ich bin natürlich ganz Ihrer Meinung, Herr Professor!“, antwortete Maigold, stellte sich aufrecht hin und gab sich demonstrativ selbstbewusst. Der Chefarzt blickte Jockis andere beiden Kollegen an. „Ich meine auch, dass diese Entscheidung ein erhöhtes Risiko für die Kreislaufsituation darstellt und mehr als riskant war“, sagte Dr. Thomas Schmidt. Als Jocki das hörte, warf er diesem blonden Typ, der stets aussah wie aus dem Ei gepellt, einen bösen Blick zu. Schließlich hatte ihn Schmidt vor einigen Minuten noch darin bestärkt, besagtes Medikament zu verabreichen. Nur die junge Kollegin, Dr. Harnisch, nahm ihren ganzen Mut zusammen und stand Jockenhäuser zur Seite. „Ich denke, Jocki hat sich richtig entschieden!“, meinte die Jungassistentin. „In Anbetracht der akuten Situation der Leber- und Nierenwerte sah ich wirklich darin die einzig richtige Entscheidung!“, erklärte Jocki noch ein weiteres Mal und zeigte auf den Monitor, auf dem die ganzen Werte des Patienten angezeigt wurden. „Ja, ja, ja …“, bremste der Chefarzt seinen jungen Assistenten aus. Maigold und Schmidt schauten gespannt auf den Alten. Würde es jetzt das erwartete Donnerwetter geben? Und auch Jocki selbst hatte sich auf einiges gefasst gemacht. Doch dann brummte Prof. Stelzner: „Hätte ich wahrscheinlich genauso gemacht!“

Dr. Jockenhäuser fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, als er das hörte. Damit hatte er nicht gerechnet. Sein Chef übte keinerlei Kritik an seiner Entscheidung, und er machte ihn auch nicht vor seinen Kollegen nieder. Ein klein wenig war der dunkelhaarige Assistenzarzt stolz auf sich und seine getroffene Entscheidung, obwohl er genau wusste, dass es in einer solchen Situation niemals DIE richtige Entscheidung gibt. „So, gehen wir nun endlich einen Kaffee trinken, oder was? Und reden darüber?“, fragte Prof. Stelzner. „Gerne, ich komme sofort nach! Muss den Patienten noch versorgen, Herr Professor!“, antwortete Jocki. „Und Sie, meine Herren?“, fragte der Professor, hielt einen Moment inne und schaute Jockis Kollegen an. „Hätten Sie auch den Mumm gehabt, eine Entscheidung auf eigene Faust zu treffen und dann dafür geradezustehen?“

Den Kaffee hatte sich Prof. Stelzner wahrlich verdient, denn unmittelbar vor dem Besuch auf der Intensivstation hatte er eine schwierige fünfstündige Kinder-OP absolvieren müssen. Klar, dass er da auch nervlich nicht mehr so gut drauf war und ein bisschen wadenbeißerisch wurde. Als Dr. Jockenhäuser in die Kaffeeküche der Intensivstation kam, fiel ihm das auch gleich auf. Sein Chef sah erschöpft aus. Der schweißnasse Rücken der grünen OP-Kluft zeugte von einer langen und anstrengenden Arbeit. Jockenhäuser konnte sich gut in seinen Chef hineinversetzen. Einige Male war er bereits als Assistent dabei gewesen. Er schien müde zu sein, der alte Herr. Mit den Fingern seiner rechten Hand rieb er sich die Augen. „Darf ich?“ fragte Jockenhäuser artig, und in diesem Moment zuckte sein Chef sogar ein bisschen zusammen. Die Erschöpfung hatte ihn wohl übermannt. „Jocki! Na klar, setzen Sie sich!“, erwiderte der Chefarzt freundlich. „Aber holen Sie mir vorher bitte noch einen Kaffee?“

Mit zwei von diversen Pharmafirmen gesponserten Bechern, gefüllt mit herrlich duftendem Kaffee, kam Dr. Jockenhäuser zurück und setzte sich seinem Chef gegenüber auf einen der unbequemen, harten Plastikstühle. „Danke!“, sagte der Professor, als Jocki ihm das dampfende Gebräu hinstellte. Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Professor Stelzner nahm einen Schluck von der heißen, schwarzen Koffeinbrühe, Marke Herztod. Dann schaute er Jocki an. „Ihre Entscheidung hätte auch anders ausgehen können. Sind Sie sich darüber im Klaren, Jocki?“ „Ja, darüber bin ich mir absolut im Klaren. Darum war ich auch fast die ganze Zeit am Bett. Aber ich musste eine Entscheidung treffen“, antwortete Dr. Jockenhäuser und nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. Dann erläuterte er seinem Chef noch einmal ganz ausführlich die Situation auf der Intensivstation. Er schilderte ihm in allen Einzelheiten den Status quo, auf dessen Basis er schnell handeln musste. Prof. Stelzner hörte seinem jungen Assistenten sehr aufmerksam zu und hielt die ganze Zeit lang Blickkontakt. Stelzner unterbrach Jocki nicht. Ab und zu nickte er zustimmend oder machte durch sein gekonntes Mienenspiel deutlich, dass er an manchen Punkten nicht derselben Meinung war.

„Ich kann mich noch gut an einen Fall aus meiner Zeit als blutjunger Assistenzarzt erinnern“, sagte der Chefarzt, nachdem Jockenhäuser seine Ausführungen beendet hatte. „Da befand ich mich in einer ähnlichen Situation. Damals stand der Patient auch auf der Kippe. Die Leber- und Nierenwerte stiegen in kurzer Zeit sehr schnell an.“ „Wie haben Sie damals entschieden, Chef?“ „Gar nicht.“ „Das verstehe ich nicht!“, meinte Jockenhäuser. „Ich habe lange mit einer Entscheidung gerungen“, erklärte der Chefarzt weiter. „Ja, ich hatte eine Idee. Aber ich war mir nicht sicher und so habe ich gewartet, bis mein Chef mir die Entscheidung abgenommen hat.“ „Wie hat der entschieden?“ „So, wie ich es auch getan hätte!“, sagte Prof. Stelzner. „Das war aber nicht das Schlimme an der Sache!“ „Sondern?“ „Die Entscheidung kam zu spät. Der Zug war abgefahren!“, sagte der Chefarzt mit einem Seufzer und trauriger Miene. Dann nahm er noch einen weiteren Schluck Kaffee. So, als wollte er die Erinnerung an diesen Vorfall schnell hinunterspülen. „Sie haben heute genau das Richtige getan, Jocki!“ „Indem ich auf das andere Präparat umgestellt und höher dosiert habe?“ „Nein, Jocki! Indem Sie Ihre Entscheidung sorgfältig überlegt und abgewogen haben“, antwortete Jockis Chef. „Und vor allem, indem Sie entschieden haben.“

Dr. Jockenhäuser schaute seinen Chef mit großen fragenden Augen an. Der alte Herr lächelte und nickte aufmunternd. In diesem Moment hatte Jocki ein verdammt gutes Gefühl. Allein die Tatsache, dass ihn sein Chefarzt für sein Tun gelobt hatte, bedeutete einen echten Kick für Jockis Selbstvertrauen. In der Sache selbst war er sich mit seinem Chef einig. Die gewählte Therapiemethode hätte auch ganz andere Folgen haben können, und wer weiß, vielleicht wäre es sogar besser gewesen, sich doch für eine alternative Methode zu entscheiden. Doch im Nachhinein ist man bekanntlich immer klüger.

Prof. Stelzner stand auf. „So, ich muss mal wieder weiter … Ach übrigens Jocki, übermorgen haben wir einen Fallot! Ich werde Ihnen assistieren!“ „Ja aber ich …!“ „Was ist denn? Wollen Sie nun Herzchirurg werden oder Ihr ganzes Leben lang die Kanülen auf der Station schieben?“, zischte Stelzner nun wieder in seiner unverwechselbaren Art. Der Prof war wieder ganz der Alte. „Selbstverständlich, Herr Professor!“, antwortete Jocki stolz und sehr mit sich und seiner Leistung zufrieden. Dann ging er wieder mit neuem Elan und einem vehement gestärkten Selbstvertrauen an seine Arbeit.

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Unabhängig davon, welchen Bereich der Medizin man sich anschaut, das Sprichwort „Es geht um Leben und Tod“ hat hier eine ganz besondere Bedeutung. Denn es ist wörtlich zu nehmen! Fehler und menschliches Versagen haben hier nicht nur finanzielle Einbußen oder irreparable Materialschäden zur Folge. Medizin ist Dienstleistung am Menschen. Jeder Arzt und jeder Pfleger wirkt in direkter Weise auf die Gesundheit und damit auf das Wohl des Patienten ein.

Jeder Arzt hat eine Führungsaufgabe, eine Führungsverantwortung. Menschen zu entwickeln ist somit auch keine Aufgabe, die nur der Chefetage obliegt. Jeder Arzt ist dazu da, seine ärztlichen Kollegen sowie das Pflegepersonal, aber auch seine Patienten zu fördern und zu führen. Somit sind sie alle Führungskräfte und Geführte zugleich!

Im medizinischen Bereich haben Führungskräfte die besondere Aufgabe, in einer Weise zu führen, dass die Mitarbeiter lernen, selbstständig und selbstbewusst zu entscheiden. Das ist sicher viel leichter gesagt, als in der Praxis getan. Wer Menschen richtig und erfolgreich führen will, der muss sie fördern. Muss ihnen helfen, dass sie sich optimal entwickeln können. Aber wie fördern Sie junge Ärzte bzw. medizinisches Personal richtig? Wird dies im Studium wirklich gelehrt und gelernt?

Personen an der Spitze, allen voran Chefärzte, Oberärzte, aber auch erfahrene Stationsärzte und Pflegepersonal haben zuallererst die Pflicht, anderen zu dienen. Den Patienten sowieso, aber auch und gerade dem Personal-Nachwuchs. Also allen Menschen, für die sie die Verantwortung tragen. Was die Führung angeht, bedeutet das freilich nicht, dass Chef- und Oberärzte die Arbeit der ihnen anvertrauten „Untergebenen“ erledigen. Sie sollen und dürfen nicht anderen die Arbeit abnehmen, die diese selbst erledigen können. Dienen bedeutet für eine Führungskraft: anderen Menschen, in diesem Fall jungen und noch nicht so erfahrenen Ärzten, zu helfen, dass sie sich optimal entwickeln können. Das erreicht die Führungsperson dadurch, dass sie jeden individuell fördert.

Menschen unterziehen sich einer beruflichen Ausbildung, damit sie eine bestimmte Qualifikation erreichen. Das gilt in jedem Beruf und in jeder Branche. Auch für Ärzte. Bleiben nicht viele von ihnen auf dem durch die Ausbildung erreichten Niveau stehen und meinen, das sei ganz in Ordnung? Sie könnten allerdings viel mehr leisten, als sie denken, und vor allem viel mehr, als sie sich selber zutrauen. Letzteres gilt ganz besonders für junge Ärzte. Die wichtige Aufgabe einer Führungspersönlichkeit lautet: Ihre Mitarbeiter zu fördern und ihnen Aufgaben zu geben, an denen sie wachsen können. Diese Aufgaben sollten ständig herausfordernder, umfangreicher und komplexer werden.

Fördern heißt: Fordern!

Gehen Sie mit Ihren Mitarbeitern in die Auseinandersetzung. Durch Schönreden alleine kann ein junger Arzt nicht wachsen. Er wird zu einer Art Befehlsempfänger und zum ausführenden Objekt des ihm Vorgesetzten. Führen nicht viele leitende Ärzte aus dem Bauch heraus? Manch einer hat es drauf und erzielt bei seinen Assistenzärzten damit auch großen Erfolg. Wie Chefarzt Prof. Stelzner in unserer Geschichte. Er hat seinen Assistenten „Jocki“ gefördert, indem er ihn nicht nur gefordert, sondern sogar provoziert hat. Mit der strengen Ansage „Jocki, du Idiot! Du bringst meine Patienten um!“ hat Stelzner den jungen Assistenzarzt keineswegs „niedergemacht“. Er hat ihn vielmehr in eine aktive Verteidigungsposition gedrängt und aus der Reserve gelockt, weil er um Jockis Selbstvertrauen wusste. Er hat ihn regelrecht gezwungen, sich zu erklären. Warum? Weil er den Blickwinkel seines Assistenten einnehmen wollte. Der Chefarzt wollte wissen, warum Dr. Jockenhäuser die Entscheidung genau so und nicht anders getroffen hat. Und er wollte testen, ob dieser junge leitende Arzt der Intensivstation selbstbewusst genug ist, eine eigene Entscheidung zu treffen und sie anschließend auch zu vertreten. Dr. Jockenhäuser hat diesen Test bestanden.

Nicht immer führt eine „Führung aus dem Bauch“ zu guten Resultaten. Dennoch ist sie im Gesundheitswesen leider die Regel. Verständlich, denn Führungssysteme gehören im medizinischen Bereich (noch) nicht zur Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals. Das bringt naturgemäß zwei wesentliche Nachteile mit sich: Erfolgreiches Führen bleibt dem Zufall überlassen und ist eher die Ausnahme anstatt die Regel. Der eine Chefarzt hat es drauf, der andere eben nicht. Ein unüberlegtes und zielloses Vorgehen in der Führung ist im Gegensatz zu einer systematischen und geplanten Führung nicht übertragbar und somit auch nicht duplizierbar.

Fördern heißt: Verantwortung übergeben!

Wer als angehender Mediziner von einem in puncto Führung talentierten Chef- oder Oberarzt geleitet wird, kann sich glücklich schätzen. An vielen Kliniken herrscht allerdings das Prinzip der festen Hierarchien vor. Hierarchie ist zunächst einmal nicht schlecht, denn so kann die Verantwortung innerhalb der Hierarchie abgegeben werden, die Verantwortungsstrukturen sind klar. Eine Tatsache, warum viele junge Menschen überhaupt den Mut fassen, eine Karriere als Arzt zu beginnen. Denn die Verantwortung ist immens. Der erste Nachtdienst ist dafür ein prägnantes Beispiel. Ein junger Assistenzarzt weiß immer seinen Ansprechpartner im Rücken, den er anrufen kann, wenn er sich eine Therapieentscheidung alleine nicht zutraut. Der Oberarzt nimmt dem jungen Assistenten im Zweifelsfall die Verantwortung ab und trägt sie. Nun ist es generell nichts Besonderes, dass manches nicht immer optimal, ja sogar schieflaufen kann. Junge Assistenzärzte, die sich einer Sache nicht gewachsen sehen, können sich problemlos aus der Verantwortung stehlen. In der Ausbildung eines jungen Arztes ist das natürlich kontraproduktiv, denn Verantwortung heißt in erster Linie: Entscheidungen treffen. Wie soll ein junger Assistenzarzt lernen, verantwortliche Entscheidungen zu treffen, wenn ihn seine Vorgesetzten dazu nicht anleiten? Prof. Stelzner hat seinen Assistenten nicht nur ermuntert, eine eigene Entscheidung zu treffen und damit Verantwortung zu übernehmen. Er hat ihn mehr oder weniger sogar dazu gezwungen. Solche fruchtbaren und in ihrer Weise auch wirksamen Führungspraktiken gibt es selbstverständlich. Aber stellen sie nicht im Gesundheitswesen und vor allem im innerklinischen Bereich die Ausnahme dar? In der Regel sieht es eher so aus, dass junge Mediziner für ihre eigene Entwicklung selbst Sorge tragen müssen. Das kann der eine besser, der andere weniger gut. So brauchen manche bis zur Facharztreife nicht selten doppelt so lange. In der Klinik herrscht meistens eine „Ich-mag-dich-und-bring-dich-deshalb-nach-vorne-Mentalität“ vor. Es spricht also viel dafür, dass man auch im medizinischen Bereich alte, verkrustete Strukturen aufbricht und durch neue ersetzt. Die Führung von jungen Medizinern sollte in einem systematischen Prozess erfolgen, um Menschen stufengerecht zu entwickeln.

Fördern heißt: Kompetenz und Engagement entwickeln!

Erfolgreiche Führung von Menschen ist immer individuell. Die Qualität einer Führungskraft zeigt sich insbesondere darin, wie sie mit den unterschiedlichen Charakteren umgehen und wie sie den Einzelnen so fördern kann, dass dieser sich optimal entwickelt. Vor allem im klinischen medizinischen Bereich erfordern unterschiedliche Typen von jungen Ärzten und stets verschiedene Situationen ganz unterschiedliche Herangehensweisen, um die Mitarbeiter zu entwickeln. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist bei den vielen unterschiedlichen Ausgangssituationen überhaupt ein systematisches Vorgehen möglich? Die Antwortet lautet: Ja!

Natürlich sind die jungen Ärzte individuell verschieden. Aber dennoch gibt es gleichbleibende Gesetzmäßigkeiten. Jeder Arzt und jede Organisation durchläuft grundsätzlich vier Phasen. Diese, nach P. Hersey und K. Blanchard im Buch „Situatives Führen“ beschriebenen vier Phasen charakterisieren sich durch ein bestimmtes Maß an Kompetenz und Engagement.

Wie definiert sich Kompetenz? Sie ergibt sich aus Wissen und Erfahrung. Engagement hingegen ergibt sich aus der jeweiligen Zielidentifikation bzw. Zielklarheit der jungen Mediziner und ihrem individuellen Selbstvertrauen. Jeder, der Führungsverantwortung hat, muss erkennen, wo jeder einzelne seiner Assistenten steht. Über welches Wissen verfügt er? Welches Ziel verfolgt der Assistent? Sind diese Ziele konsistent mit denen der Klinik? Welche Erfahrung hat er in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich? Und wie hoch ist das Selbstvertrauen dieser jungen Person? An diesen vier Punkten – man kann sie auch als „Entwicklungsknöpfe“ bezeichnen – muss ein leitender Arzt ansetzen, wenn er in seinem Verantwortungsbereich (Assistenten, aber auch das Pflegepersonal) erfolgreich führen (im Sinne von fördern) will. Seine Aufgabe ist es, den Mitarbeitern zu helfen, möglichst viel Kompetenz und Engagement zu entwickeln. Das erreichen Sie, indem Sie zum Beispiel die Assistenzärzte in jeder Phase ihrer noch jungen medizinischen Karriere richtig führen. Die jeweilige Phase, in der sich ein junger Arzt gerade befindet, ermitteln Sie, indem Sie deren Kompetenz und Engagement erfragen und einschätzen.

Das Vier-Phasen-Modell

Insgesamt sind es prinzipiell vier Phasen, die jeder in der eigenen Entwicklung durchläuft. Diese Phasen werden folgend am Beispiel eines jungen Arztes erklärt. Sie gelten jedoch für sämtliche Entwicklungsschritte, die jemand durchläuft, wenn er etwas Neues lernt:

Phase 1 – Die erste Phase ist von der Begeisterung geprägt. Der junge Mediziner kommt frisch von der Uni und verfügt über ein medizinisch umfassendes Wissen. Jetzt hat er endlich die Möglichkeit, all das Wissen, das noch sehr theoretisch ist, in der Praxis umzusetzen. Die jungen Ärzte sind allerdings noch nicht richtig eingearbeitet und ihr theoretisches Wissen hilft ihnen nur bedingt weiter. In dieser Phase sollte die Führungskraft nicht zu viel Nähe zeigen, wenig helfen, aber sehr viel lenken. Dies, weil es sonst später schwierig wird, den Mitarbeiter zu fordern. Der junge Arzt sollte durch möglichst genaue Anweisungen dirigiert und die Umsetzung immer wieder kontrolliert werden. Viele Nachwuchsmediziner sind in dieser Phase oft sehr euphorisch und müssen hier und da eventuell auch mal gezielt gebahnt werden. Wirkungsvolle Führung bedeutet gerade in dieser Phase auch, dass die jungen Ärzte mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie beschäftigen und auch fordern, die sie aber leicht und vor allem richtig erledigen können. Dadurch wächst ihr Selbstvertrauen, und ihre anfängliche Begeisterung wird konserviert.

Phase 2 – In dieser Phase ist Wissen und Erfahrung der jungen Assistenzärzte bereits gestiegen. Ihre Euphorie, die anfängliche Begeisterung und damit das Engagement lassen aber nach. Die Realität des Arztberufes und des Klinikalltags haben die jungen Mediziner auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Viele gelangen in dieser Phase zu der Erkenntnis, dass sie vielleicht doch andere Erwartungen an diesen anspruchsvollen Beruf hatten. Sie wissen im Vorfeld, dass sie viel und ständig lernen müssen. Jetzt erfahren sie es auch emotional. Das ist auch die Phase, in der für junge Mediziner die Stunde der Wahrheit schlägt. Manche überlegen sich, ob sie diesen Job überhaupt ausüben möchten, andere haben vielleicht Probleme mit der Klinik, den Kollegen oder dem Chef- oder Oberarzt. In dieser Phase muss der verantwortlich betreuende Arzt Fingerspitzengefühl beweisen und sich individuell um seinen jeweiligen Assistenten kümmern. Er darf nicht mehr ausschließlich dirigieren, sondern muss seinem Assistenten helfen. Das erreicht er, indem er die verschiedenen Entwicklungsknöpfe so einsetzt, wie es der Einzelne braucht. Durch gezielte Maßnahmen und entsprechendes Training kann er dem Assistenten mehr fachliche Kompetenz vermitteln. Ein Chef kann und soll mit dem jeweiligen Assistenten gezielt üben, sich Ziele zu setzen, und ihm dann auch durch entwickelnde Fragen helfen, diese zu erreichen. Durch die Ergebnisse erhöht sich dessen Selbstvertrauen und somit sein Engagement.

Phase 3 – Die dritte Phase ist enorm wichtig und entscheidet nicht selten über „Sein oder Nichtsein“. Der junge Arzt gehört nun bereits zu den „Alt-Assistenten“ und hat sich schon eine gewisse Kompetenz erarbeitet. Wie Dr. Jockenhäuser in der Geschichte am Anfang, der bereits die Leitung der Intensivstation übernommen hatte. Aber in dieser Phase schwankt oft das Engagement des Assistenten. Aufgrund seines erworbenen Wissens und der gemachten Erfahrungen hat er einerseits Selbstvertrauen aufgebaut, kann aber auf der anderen Seite mental anfällig sein. Der Assistent ist auf dem Weg, sich wirkungsvoller zu führen. In dieser Phase ist es wichtig, klare Ziele gemeinsam zu besprechen und Sinn zu vermitteln. Hier nützt oft gutes Zureden nicht viel bis gar nichts. Führungspersonen sollten hier – wenn überhaupt – nur wenig dirigieren. Ein Oberarzt sollte seinem Assistenten vielmehr gezielt helfen, indem er ihn auch mal mit harten Bandagen anpackt. In dieser Phase muss die Führungsperson aber nah dran sein – im Sinne von „Fördern durch fordern“. Geht man einen Assistenten in solch einer Situation wie in unserer Geschichte vor den Kollegen an, kann sich das selbstverständlich auch negativ auf das Selbstvertrauen des Assistenten auswirken. Und doch ist in dieser wichtigen Phase manchmal Kritik bei fehlendem Engagement und auch eine gewisse Härte notwendig. Natürlich immer im jeweils nötigen Maß eingesetzt und niemals so, dass das Gegenüber vor anderen deformiert wird. Aufgabe eines guten und vorbildlichen Chefarztes ist es, seinen Assistenten zu helfen, dass sie in dieser Phase nicht hängen bleiben.

Phase 4 – Hat ein junger Assistenzarzt erst einmal die vierte Phase erreicht, dann ist für die Führungskraft der wichtigste Job zu einem großen Teil erfolgreich erledigt. Wie Dr. Jockenhäuser in der Geschichte hat sich der nun auch etwas ältere Assistenzarzt selbst im Griff und kann sich auch eigenverantwortlich führen. Er zeichnet sich durch hohe Kompetenz und ein entsprechend hohes Engagement aus. Er beherrscht sich selbst und seine Aufgabe innerhalb der Klinik und im Team. Nun gilt es, ihn in dieser Eigenschaft zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Weiterentwickeln heißt auch, dem Mitarbeiter neue Bereiche anzuvertrauen, ergebnisorientierte Aufgaben zu stellen und das Ergebnis dann auch einzufordern. Ihm mehr Verantwortung zu übertragen und zu delegieren. Auch das hat Prof. Stelzner mit „Jocki“ anschaulich getan. Er hat aus ihm einen Assistenzarzt gemacht, der Verantwortung tragen kann und muss, damit er sich noch weiter festigt und entwickelt. Das Ergebnis der vierten Phase soll darin bestehen, dass sich der junge Arzt eigenverantwortlich führt und nicht mehr nur ausführt. In dieser Phase sollte eine gute Führungskraft delegieren und kontrollieren.

Die vier Phasen sind keine starre Vorgabe, sondern sind ein dynamischer Prozess. Sie sind wie Leitplanken und geben Ihnen Orientierung, indem Sie sie individuell betrachten. Bedenken Sie, mit jedem „Karrieresprung“ vom Studenten zum Jungassistenten, vom Altassistenten zum Oberarzt und letztlich zum Chefarzt fangen Sie immer wieder in der ersten Phase an. Und dies wird auch mit jeder neuen Aufgabe so sein. Was dabei individuell sein kann, ist die Geschwindigkeit, mit der Sie diese vier Phasen durchlaufen.

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Abbildung 1: Das Vier-Phasen-Modell nach P. Hersey & K. Blanchard

Das Modell zeigt die vier Phasen in Bezug auf das eigene Engagement und die eigene Kompetenz, die Sie und Ihre Mitarbeiter immer wieder durchlaufen. Das Durchlaufen der Phasen hat keine zeitliche Relevanz, sondern ist abhängig von Person und Sache. Die Phasen dienen als Orientierung und sind nicht starr zu betrachten.

Umsetzung im Alltag

In der Praxis des klinischen Alltags ist die Orientierung an den vier Phasen praktisch unbekannt. Viele Führungskräfte wissen gar nicht, wie sie ihre Mitarbeiter individuell führen können. Meistens haben sie einen festgelegten Führungsstil, den sie bei allen Mitarbeitern gleich anwenden. Die menschliche Natur ist jedoch zu komplex, um nur mit einem, dem scheinbar „richtigen“ Führungsstil zu führen. Bei vernünftiger Betrachtung leuchtet jedem ein, dass diese alltäglichen Praktiken der Führung alles andere als optimal sind. Beschäftigt sich ein Chef wirklich mit den individuellen Zielen eines jungen Arztes? Und setzt er sich mit dem jeweiligen Selbstvertrauen der einzelnen Mediziner auseinander?

Fördern heißt: Respektvolle Widerworte zulassen!