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Kaleigh Trace
Hot, Wet & Shaking.
Wie ich lernte
über Sex zu sprechen
.
Aus dem Englischen
von Penelope Dützmann

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Vorbemerkung der Übersetzerin

Bei der Übersetzung dieses Buches habe ich versucht, eine möglichst genderneutrale und nicht diskriminierende Sprache zu finden. So wurden für Personen, deren Geschlecht nicht eindeutig aus dem Kontext abzuleiten ist, neutrale Formen gewählt. An Stellen, an denen in der englischen Originalfassung das geschlechtsneutrale Pronomen „they“ stand, wurde für die deutsche Übersetzung das Pronomen „sie*er“ gewählt. Das „*“ soll herkömmliche binäre Vorstellungen aufbrechen und Platz für nicht-binäre Identitäten schaffen.

Auch habe ich mich für die Schreibweise „beHindert“ beziehungsweise „BeHinderung“ bewusst entschieden. Das große „H“ soll den Wortstamm „hindern“ hervorheben und verdeutlichen, wie Betroffene durch die Gesellschaft von der Teilhabe ferngehalten werden. Denn „(…) eine BeHinderung ist kein pathologischer Zustand von Menschen, sondern ein gesellschaftlicher Prozess, in welchem Menschen an gesellschaftlicher Teilhabe beHindert werden, weil sie nicht der angenommenen Norm oder Mehrzahl entsprechen.“1

Penelope Dützmann, Januar 2020

1Aus: Ballaschk, Cindy; Elsner, Maria; Johann, Claudia; Weber Elisabeth; Schmitz, Ka: machtWorte!. Berlin: JaJa-Verlag, 2012

Dieses Buch ist meinem jüngeren Ich sowie allen anderen jüngeren Ichs gewidmet. Den Jahren, die wir damit zugebracht haben, unbeholfen vor uns hin zu stolpern, bis wir an den Punkt gelangten, wo wir jetzt sind. Ich bin so dankbar für all die Irrwege, die mich letztlich dahin geführt haben, wo ich heute stehe.

Die Dinge, die mir zufällig begegnet sind,
haben mir die größte Freude bereitet
.

ELI COPPOLA

INHALT

EINE EINLEITUNG, LIEBE*R LESER*IN

EIN SACK VOLLER SCHWÄNZE

UND SO KAM DIE WÄRME ÜBER UNS

JUNG, FRISCH UND OHNE ORGASMUS

DIE ALTE DAME UND DIE BUTCH

WIE ICH LERNTE, MIR KEINE SORGEN MEHR ZU MACHEN UND STATTDESSEN MEIN DREIRAD ZU LIEBEN

WAS IST SCHON EIN NAME? MEINE GROSSE AUSGEDEHNTE FOTZE

AUF DER SUCHE NACH BLUT

SICH NICHT WIE EINE DYKE BEWEGEN/SICH (IMMER) WIE EINE FEMME KLEIDEN

DER MOMENT, IN DEM DU ZU WEIT GEGANGEN BIST

DIE GESCHICHTE VON DEN HOLZSCHWÄNZEN

EIN EPILOG, LIEBE*R LESER*IN

DANKSAGUNGEN

EINE EINLEITUNG, LIEBE*R LESER*IN

Liebe*r Leser*in,

Ich möchte ehrlich sein und etwas beichten:

Ich habe keine Ahnung, was ich hier tue.

Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Expertin bin. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Autorin bin. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Memoiren in mir trage, oder irgendetwas, das es wert wäre, auf 200 Seiten festgehalten zu werden.

Ich habe noch nie zuvor ein Buch geschrieben.

Wenn ich mir Menschen vorstelle, die Bücher schreiben, stelle ich mir Hemingway vor, wie er Löwen jagt und seine Füße bossmäßig auf einer Chaiselongue ablegt und mal ebenso an einem Nachmittag ein literarisches Meisterwerk an seiner Schreibmaschine hervorbringt. Oder ich habe Jeanette Winterson vor Augen, wie sie sich immer wieder ver- und entliebt und ihr Herzblut in ihre Arbeit fließen lässt. Dabei gelingen ihr unglaubliche Sätze, die einen als Leser*in zum Heulen bringen, während du unter der grauen Wolkendecke Englands hockst. Ein*e Schriftsteller*in sieht aus wie Leonard Cohen in einem dreiteiligen Anzug, über dessen Lippen reine Poesie strömt. Oder wie Michael Ondaatje, der uns die Geschichte von Toronto und dessen Einwander*innen lehrt. Agatha Christie, wie sie in ihrem Boudoir tippt und tippt und tippt. Oder Charles Bukowski, der sein Hirn und seine Werke mit Schnaps befeuert.

Ich bin nichts dergleichen. Ich bin weitaus unordentlicher und die Stadt, in der ich lebe, ist sehr viel einfacher. Hier gibt es keine Löwen. Ich trage auch keinen Anzug, sondern die gleiche Unterwäsche wie gestern und eine Jeans mit Flecken. Ich rauche weder eine Zigarette, noch trinke ich ein Glas Wein. Wenn ich betrunken bin, falle ich einfach um und pinkle mir manchmal ein bisschen in die Hose. Rauchen löst bei mir Asthma aus. Auf meinem Schreibtisch stehen lediglich dieser Laptop und ein mittlerweile schimmeliger Joghurtbecher, ein paar Tassen mit Kaffeesatz von letzter Woche und ein kleines Knäuel aus Fusseln und Kaugummipapier, das ich in meiner Jackentasche gefunden habe. Das Zimmer hier hat keine Fenster. Und komisch riecht es auch.

Diese Umstände, die meinen Alltag beschreiben und dabei so unromantisch sind, sorgen dafür, dass ich nervös werde und mich schlecht vorbereitet fühle. Dieser Ort hier fühlt sich nicht perfekt genug an, um ein Buch zu schreiben. Meine Lebenserfahrungen erscheinen mir nicht spannend genug, um sie zu erzählen. Meine Unterwäsche ist zu schmutzig. Meine Haare sind eine Katastrophe.

Und trotzdem muss ich irgendwo anfangen. Denn meiner bereits erwähnten Unsicherheiten zum Trotz gibt es auch einiges, das ich mit Sicherheit weiß.

Beginnen möchte ich mit Folgendem:

1. ICH BIN EINE (VERDAMMT STARKE) FRAU MIT BEHINDERUNG

Und das fast solange ich mich erinnern kann. 1995 waren meine Familie und ich in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei diesem Unfall zog ich mir eine schwere Rückenmarksverletzung zu. Die Ärzt*innen diagnostizierten eine Querschnittslähmung und so verbrachte ich einen Teil meiner Kindheit im Rollstuhl. Allerdings sind Kinderkörper dank ihrer enormen Willenskraft zu unglaublichen Leistungen fähig. Innerhalb eines Jahres saß ich nicht mehr im Rollstuhl, sondern stolperte und schlitterte und kämpfte mir den Weg frei, um so zu sein, wie alle anderen Kinder auch. Heute schlendere ich ziemlich stolz durch die Gegend. Es sieht ein wenig so aus, als würde ich unentwegt tanzen. Mit meinem wackeligen Gang gelange ich überall hin, wo ich hinmuss: Treppe rauf, Treppe runter und weiter weg. Ich liebe meinen Körper: Meine Oberschenkel, die scherenartig aneinander reiben, meine Füße, die zueinander zeigen und übereinander stolpern, meine breiten Schultern, die mich auffangen, wenn ich strauchle und falle.

Diesen wunderschönen und beHinderten Körper zu haben, mit und in ihm zu leben und dadurch aus der Norm zu fallen, hat mich unwiderruflich geprägt. BeHindert zu sein prägt jede einzelne Erfahrung mit jeder Person, jeder Straßenecke, jedem Gebäude und jeder Treppe. So werde und wurde ich immer daran erinnert, dass mein Körper anders ist als „normale“ Körper, dass es mir körperlich unmöglich ist, den hegemonialen Standards zu entsprechen. Da passe ich nicht hinein, weil meine Beine es nicht zulassen. Meine kaputte Wirbelsäule versperrt mir den Weg.

Ich kann nicht durch die Stadt laufen, ohne beHindert zu sein, und genauso wenig kann ich ein Buch schreiben, ohne beHindert zu sein. In diesem Buch wird es nicht um mein „Durchhaltevermögen“ gehen, nicht um meinen „Mut“ und/oder meine „Tapferkeit“. Diese Begriffe haben sich mit ihrer implizit herablassenden Art noch nie wie Freunde angefühlt. In diesem Buch wird es vielmehr um mich gehen, darum, wer ich bin. Ich bin eine Frau, ich bin beHindert und ich bin eine passionierte Eier-Esserin, um nur einige von vielen Eigenheiten zu nennen. Diese Eigenschaften überschneiden sich, bewegen sich in- und auseinander, durchkreuzen sich und erinnern mich und mein Universum unentwegt an ihr Existieren. Ich kann nicht nicht über sie sprechen. Ich kann nicht nicht über sie schreiben.

2. ICH BIN EINE SEX-POSITIVE SEX-LEHRERIN

Sex, Sex, Sex. Das ist irgendwie mein Ding. Und zwar sieht das folgendermaßen aus: Ich gebe Blowjob-Workshops. Im Ernst. Ich bin Blowjob-Master, eine Expertin, ich gehöre zu den Besten der Besten. Einmal im Monat wedle ich mit einem großen Silikonschwanz vor einer Gruppe herum und werde für diesen Spaß auch noch bezahlt.

Aber das vereinfacht das Ganze zu sehr. Ich schätze, Blowjob-Expertin zu sein klingt zunächst nach einer ziemlich speziellen Sache, eine, die außerhalb meines derzeitigen Arbeitsumfeldes (ich arbeite in einem Sexshop) nicht unbedingt von Nutzen ist. Diese besondere Qualifikation mag den Eindruck erwecken, ich sei vulgär (was möglich ist). Vielleicht denkst du deshalb, dieses Buch sei nichts für dich. Und vielleicht ist es das auch nicht, insbesondere dann nicht, wenn du zu meiner Familie gehörst und ein Buch über mein Sexleben zu lesen wahnsinniges Unbehagen in dir auslöst (nachvollziehbar, und in diesem Falle solltest du sofort aufhören!). Aber tatsächlich könnte dieses Buch auch genau das Richtige für dich sein. Und genaugenommen könnte das auch für Blowjob-Kurse gelten. Denn als sex-positive, feministische Sex-Lehrerin dreht sich nicht alles nur um Blowjobs. Ich mache nur Spaß.

Wenn ich diese Kurse gebe, wenn ich im Laden bin und den ganzen Tag über Sex spreche, wenn ich einen Blogpost über Sex schreibe, dann spreche ich nicht nur über die praktische Seite. Ich spreche auch nicht zwangsläufig darüber, wie viel Spaß Sex macht; auch wenn ich das manchmal durchaus tue. Ich drücke mich nicht zwangsläufig explizit aus, obwohl, gelegentlich schon. Was ich vielmehr zu tun versuche, wenn ich also immer und immer wieder über Sex spreche, ist, diese langweiligen und unterdrückerischen Vorstellungen aufzubrechen, die uns über die feine Art des Fickens vermittelt wurden.

Über Sex zu sprechen ist wichtig, schließlich leben wir in einer Welt, die davon durchtränkt ist. Sex ist überall. Sex ist in der Seitenleiste der Webseite, die du dir ansiehst. Er ist auf Reklametafeln, die sich entlang der Straßen in der Stadt ziehen. Er ist in Werbepausen und in Handlungsverläufen. Er ist der Höhepunkt, das finale Ziel, das Resultat, das Problem und die Lösung. Und trotz seiner konstanten und unausweichlichen Präsenz ist das Bild, das wir von Sex aufgezwungen bekommen, ein gleichermaßen langweiliges wie exklusives.

Wenn ich alles glauben würde, was ich sehe, dann würde ich glauben, dass nur dünne Menschen Sex haben. Nur Männer mit Bauchmuskeln treiben es. Nur Frauen mit großen Titten bumsen. Nur Männer und Frauen treiben es miteinander. Sex ist etwas für Heterosexuelle und findet immer nur zwischen zweien statt, nie mit mehr und nie mit weniger. Sex ist etwas für weiße Leute. Sex ist etwas für schöne Leute. Sex ist etwas für nichtbe-Hinderte, was für junge Menschen. Sex ist spontan. Sex beinhaltet Penetration. Sex dauert ungefähr 4,2 Minuten. Sex findet in Schlafzimmern statt und zwar abends. Sex ist vorhersehbar.

Wie unglaublich langweilig. Was diese heimtückischen Bilder von Sex jedoch aussparen, sind die unter anderem besten Sachen daran. Wovon wir nichts hören, ist, dass Sex versaut sein kann und subversiv und auf spaßige und einvernehmliche Art sehr, sehr unanständig. Wir sehen nicht, wie Menschen zur Sache kommen, deren Körper nicht den normschlanken Vorstellungen entsprechen. In der Regel sehen wir nicht, wie es Menschen mit BeHinderungen treiben, weder in ihren Rollstühlen noch in ihren Betten. In den Mainstream-Medien werden People of Color nur selten sexy dargestellt, ohne zeitgleich als exotisch und andersartig zu gelten. Genauso wenig sehen wir faire und gleichberechtigte Abbildungen von Frauenkörpern, wie sie in all ihrer üppigen Schönheit Lust verspüren. Männerkörper werden ausschließlich sexuell dominant, leistungsfähig und selbstsicher dargestellt. Wir sehen keine Körper, die sich weigern, sich diesem gender-binären System anzupassen. Und wir sehen auch nicht, dass Sex komisch und peinlich sein kann. Wir sehen keinen Sex, in dem eine Person aus Versehen furzt. Kacke und Pisse gibt es in intimen Situationen nicht. Dieser Moment, in dem wir bemerken, dass die Position, in der wir uns gerade befinden, nicht funktioniert, wir plötzlich mit den Beinen über unseren Köpfen stecken bleiben, wir stolpern und fallen oder würgen und kotzen oder stocken oder Dinge in die falsche Öffnung stecken. All das wird rausgeschnitten und gephotoshopt, aus unseren empfindlichen Realitäten verbannt.

Aber so funktioniert Sex nun mal nicht. Sex ist komisch und wunderbar, versaut und peinlich, pervers und queer und kann einvernehmlich zwischen allen möglichen Leuten stattfinden, egal wo und wann. So sieht die Realität des Aktes aus, mit dem wir uns als Gesellschaft so sehr beschäftigen.

Als sexpositive, feministische Sex-Lehrerin spreche ich ständig über Sex im wahren Leben. Und ich habe festgestellt, dass Leuten das sehr peinlich ist. Anscheinend möchte niemand über die verzwickten, menschlichen albernen Dinge sprechen, die nun mal passieren, wenn wir versuchen, unsere Körper miteinander zu verbinden. Und aus diesem Grund spreche ich immer lauter und lauter und LAUTER. Ich werde dann noch versauter. Ich versuche Grenzen zu überwinden. Ich möchte noch frecher werden, denn ich bin der Überzeugung, dass dieses peinlich berührte Schweigen, das unser aller Sexleben umgibt, letztlich dazu geführt hat, dass wir alle schlechten Sex haben. Das ist auch der Grund dafür, warum wir über die Sexualität anderer urteilen. Warum wir unfähig sind, die Körper und die Grenzen anderer zu respektieren. Das ist der Grund dafür, warum wir nicht wissen, was Einverständnis bedeutet, und weshalb sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen stattfinden. Warum Homofeindlichkeit fortbesteht und Transfeindlichkeit existiert.

Ich behaupte nicht, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir offen über Muschi-Fürze, abspritzen und Butt-Plugs sprächen, dass dann niemand verletzt würde und wir alle in einer herrlichen Utopie lebten, voller enthusiastischer, einvernehmlicher Orgien, bei denen wir alle jedes Mal kämen. Das wäre unrealistisch. Allerdings glaube ich fest: je mehr wir über das sprechen, was uns unangenehm ist, desto weniger werden wir uns mit der Zeit dafür schämen und stattdessen alle etwas offener für Neues werden – für neue Möglichkeiten und neue Arten der Lust. Außerdem wird Sex dann mehr bedeuten, als bloß einen Penis in eine Vagina zu stecken. Und Schönheit wird mehr bedeuten, als nichtbeHindert, jung und weiß zu sein. Sexuelle Autonomie und sexueller Ausdruck werden etwas sein, zu dem wir alle berechtigt sind. Und Einverständnis wird etwas sein, mit dem wir uns alle bestens auskennen. Diese Hoffnungen sind es, weshalb ich unentwegt über Sex spreche. Laut. Aus Prinzip.

Das soll heißen, dass ich kein Buch schreiben kann, ohne nicht auch über Sex zu schreiben. Und ich kann nicht über Sex schreiben, ohne seine komischen, flapsigen und absurden Facetten.

3. ES BEGANN ALS BLOG UND JETZT IST ES DIESES BUCH (!)

Anscheinend reichte es nicht aus, jeden Tag bei der Arbeit über Sex zu sprechen. Unterhaltungen mit Kund*innen nahmen ihren Lauf, Fantasien wurden heraufbeschworen und dann liefen sie glücklich mit einem Sexspielzeug nach Hause. Ich hingegen stand da mit sprudelnden Gedanken und Lust auf mehr. Ich hatte den Eindruck, mich in dieser Stadt auf unbefriedigenden Sex eingelassen zu haben: die Art von Sex, bei der die andere Person mir sagt, was sie will, ich ihr das auch gebe, und plötzlich ist die ganze Sache vorbei, noch bevor ich überhaupt fertig bin. Also begann ich irgendwann damit, nach Hause zu gehen und zu schreiben, anstatt zu masturbieren – wie sonst üblich nach unbefriedigendem Sex.

Bei der Arbeit kam mein Hirn so richtig in Fahrt. Durch die Gespräche mit Kund*innen dachte ich über Sex, Feminismus, Gender-Identitäten, sexuelle Fluidität, das Patriarchat und den ganzen anderen Scheiß, der unsere Beziehungen und unsere Körper beeinflusst, nach. Statt all meine Fragen an ahnungslosen Kund*innen abzuarbeiten, die eigentlich nur etwas kaufen wollten, ging ich nach Hause und hackte meine rasenden Gedanken in meinen Computer. Ich schrieb einfach alles auf, bis dieser Drang gestillt war.

Ich startete meinen Blog „The Fucking Facts“ und jetzt bin ich plötzlich hier. Innerhalb eines Jahres hatte der Blog zu einem Buchvertrag geführt. Jetzt sitze ich hier also, leicht eingeschüchtert, und versuche meine von Gleitgel durchtränkten Gedanken zum Thema Sex zu einem Buch zusammenzufügen. Zu etwas, das irgendwie Sinn ergibt. Etwas, das für jemanden zumindest ein bisschen von Wert sein kann. Etwas, das all die konfusen und durcheinandergeratenen, starken und unerschütterlichen, neuen und aufregenden Gedanken, die ich bezüglich Sex, Feminismus und BeHinderung habe, in einem hübschen und kraftvollen Einband zusammenhält. Ich bin mir bezüglich all der Versionen meines Selbst und darüber, wo genau ich in dieser Welt der Identitäten hineinpasse, noch immer nicht sicher. Ich bin immer noch dabei herauszufinden, wie ich an diesen Punkt gekommen und von wo aus ich überhaupt gestartet bin. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wohin mich diese Reise führen wird. Aber die Hoffnung bleibt, es mit den folgenden Erzählungen herauszufinden.

Wahrscheinlich mache ich das hier alles verkehrt herum. Ich stelle es mir so vor, dass die meisten Leute ein Buchkonzept haben, sie diese frische Idee dann einer*m Verleger*in zeigen und diese*r ihnen dann dabei hilft, das Buch fertigzustellen. Ich stattdessen hatte einen Blog und eine Verlegerin, die auf mich zukam und mir sagte, dass ich mit einem Buch schwanger sei. Dann lag es an mir, dieses Buch aus meiner Vagina zu pressen. Oder es aus meinen Fingern zu ziehen. Oder vielleicht aus meinem Kopf. Von wo auch immer Bücher herkommen (ich wünschte, ich wäre ein Storch).

Also möchte ich das Ganze mit den folgenden Worten gleichzeitig abschließen und beginnen:

Dies ist mein erster Versuch.

Bitte sei rücksichtsvoll mit mir.

Ich werde versuchen ehrlich zu sein.

Ich werde versuchen nett zu sein.

Ich werde auf jeden Fall versaut sein (und das auf die beste Art und Weise).

EIN SACK VOLLER SCHWÄNZE

Es macht etwas mit dir, wenn du anfängst in einem Sexshop zu arbeiten. Wenn Sex zu deinem täglich Brot wird, vergisst du eventuell, dass dieses Thema für andere Leute immer noch ein Tabu ist. Deine Grenzen verschieben sich, dein Empfinden davon, was als „normal“ gilt, verändert sich für immer. Es passieren Dinge, von denen du niemals geglaubt hast, dass sie dir widerfahren könnten: Plötzlich erwischst du dich dabei, wie du deiner Großmutter queeren Sex erklärst; du erörterst mit einer fremden Person im Bus ganz beiläufig die heilende Wirkung von Orgasmen. Du empfindest kaum Unbehagen, während du langsam aber sicher in das Reich der Spinner abtauchst. Und irgendwann fühlst du dich dort immer wohler, denn an diesem Ort sind soziale Normen nicht mehr verbindlich. Um dahin zu kommen, muss man allerdings den einen oder anderen holprigen Umweg in Kauf nehmen…

Ich bin spät dran. Ich bin eigentlich fast immer spät dran. Das ist, glaube ich, einfach eine Begleiterscheinung, wenn du ein*e klassische*r, überarbeitete*r Typ 1 Streber*in bist. Ich bin spät dran und ich mache dabei alles gleichzeitig. Das ist unvermeidlich. Wenn du zu den Personen gehörst, die am liebsten auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, musst du zwangsläufig lernen, Dinge parallel zu tun. Du erledigst mehr, wenn du alles gleichzeitig tust. So lautet zumindest die Theorie, die ich derzeit gründlich einem Praxistest unterziehe. Es ist also zum Wohle der Wissenschaft, dass ich während des Einkaufs auf dem Weg zur Arbeit ein Telefonat führe und dabei in meinem Terminplaner nachsehe, was ich eigentlich später mache und wo ich genau hin muss. All das dient einem Experiment, bei dem ich versuche, meine Effizienz zu steigern.

Ich würde das Telefon ja ablegen, wenn ich könnte. Zu telefonieren, während du in der Schlange an der Kasse stehst, ist in meinen Augen der Inbegriff von einem Arschloch. Als wäre die Person, die mich anruft, kein Mensch und bedürfte daher auch nicht meiner vollen Aufmerksamkeit. Als interessierten sich die Leute hinter mir einen Scheiß für meine Sicht auf diese gerade ungünstige Konversation, die sie gezwungen sind mit anzuhören. Genau jetzt ist dieses Telefonat allerdings unvermeidlich. Ich sagte ja, ich „führe ein Telefonat“; tatsächlich aber gebe ich einfach nur brummende „Mmhm“ von mir. Ich kann sowieso nicht viel mehr einwerfen. Am anderen Ende der Leitung ist mein wohl neurotischster Freund Jason – ihn jetzt abzuwürgen, wäre ungefähr so wie eine leere Rolle Toilettenpapier zu hinterlassen oder den Tacker nicht aufzufüllen oder einen Haufen Speisereste ins Auffangsieb des Spülbeckens zu kippen. Es wäre eine dieser Kleinigkeiten, die ihn derart verärgern würden, dass ich am besten versuche, sie zu vermeiden. Er ist gerade dabei, mir eine bemerkenswert detaillierte Beschreibung seines zweiten Dates mit einer Frau zu geben, die er schon seit Monaten rumzukriegen versucht, und diese Geschichte durchzukauen, scheint für ihn von wesentlicher Bedeutung, um seine Ängste zu lindern. War das ein Zeichen, als sie sagte, sie „liebe seine Kochkünste“? Sollte er ihr noch heute zurückschreiben oder lieber zwei Tage warten, um nicht allzu bedürftig zu wirken? War das eine versteckte Botschaft, als sie ihm sagte, ihre Nagellackfarbe heiße „Killer Flirt“?! Er erwartet nicht von mir, dass ich auf diese Fragen antworte. Er muss sie einfach nur mal laut aussprechen. Trotz meiner sozialen Sensibilität führe ich dieses Telefonat Jason zuliebe weiter. Ich brumme „Mhm“ und „Oh“ und gebe so generell Zustimmung, während ich meinen Einkauf aufs Band lege.

Immerhin sehe ich heute gut aus. Ich habe mir heute Morgen die Zeit genommen, um mir die Zähne zu putzen und Deo aufzutragen. Außerdem unterrichte ich heute Abend einen Fellatio-Workshop und gebe mir deshalb größte Mühe, wie eine erwachsene Frau zu wirken, die weiß, was sie tut. Und wenngleich das meistens der Fall ist (also, dass ich weiß, was ich tue), sehe ich nicht immer danach aus, zum Beispiel, wenn meine Haare verfilzt sind und ich mein T-Shirt verkehrt herum trage. Aber heute ist das anders. Meine Zähne sind sauber und meine Haare gekämmt. Ich trage Lippenstift, der bisher (so hoffe ich) noch nicht meine strahlend weißen Zähne verschmiert hat. Ich bin eine Frau. Ich bin Blowjob-Expertin. Ich habe alles unter Kontrolle.

Abgesehen von der Tatsache, dass ich mein Portemonnaie nicht finden kann, mir gerade meine Schlüssel runtergefallen sind und mich der Teenie-Kassierer ungeduldig anstarrt, während ich versuche zu bezahlen und gleichzeitig Platz zu machen für die Kundin hinter mir. Eine Frau mit Kind, die mich ebenfalls missmutig und genervt beobachtet. Ich halte hier gerade alle auf. Ich wünschte, ich könnte dieses blöde Telefonat endlich beenden.

Und da passiert es. Ich stehe in der Schlage mit gefühlt 100 frustrierten Menschen hinter mir und einem genervten Teenager vor mir, der mich anstarrt und darauf wartet, dass ich endlich bezahle, als ich einen riesigen, weißen, schimmernden Silikonpenis aus meiner Tasche hervorziehe. Ich glaubte, ich hätte mein Portemonnaie erwischt, doch es ist mein Utensil für den heutigen Workshop. Ein richtig schöner sauberer Dildo, nagelneu und bereit, von mir präsentiert zu werden.

Später werde ich diesen Schwanz dafür benutzen, um Anatomie und Techniken zu erklären. Später wird es angebracht sein, einen Schwanz in der Hand zu halten, weil Menschen dafür bezahlt haben und in der Erwartung gekommen sind, dass ich genau das tue. Jetzt allerdings stehe ich in der Schlange eines überteuerten Supermarkts und wedle mit einem gigantischen Schwanz in der Gegend herum, während mich gepflegte Frauen mittleren Alters schockiert anstarren. Das Kind fängt an zu weinen, zwar nicht, weil ich seine Unschuld gestohlen habe, aber so fühlt es sich gerade an.

„Der ist für die Arbeit“, versuche ich zu erklären. Als sei es gang und gäbe, einen Dildo für die Arbeit in der Tasche mit sich herumzutragen. Zeitgleich höre ich Jason meckern: „Du hörst mir ja gar nicht zu!“