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Angelika Fischer

Das große
Rohkost-
Buch

Grundlagen und Praxisanleitungen
für eine erfolgreiche Ernährungsumstellung

Alles Roh
Vitalkultur

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Wichtiger Hinweis: Die in diesem Buch vorgestellten Informationen und Versuche sind sorgfältig recherchiert und wurden nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben. Dennoch übernehmen Autorin und Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendeiner Art, die direkt oder indirekt aus der Anwendung oder Verwendung der Angaben in diesem Buch entstehen. Die Informationen in diesem Buch sind für Interessierte und zur Weiterbildung gedacht; sie ersetzen im Krankheitsfall nicht die Betreuung durch einen Arzt oder Heilpraktiker. Falls Sie sich in einer therapeutischen Behandlung befinden und/oder regelmäßig Medikamente einnehmen, sollten Sie Veränderungen in Ihrer Ernährung auf der Grundlage dieses Buches nur in Absprache mit Ihrem behandelnden Arzt oder Heilpraktiker vornehmen. Die in diesem Buch genannten Produkte mit dem Gütezeichen „Demeter“ sind keine Empfehlungen des Verlags, sondern werden aufgrund ihrer biologischen Wertigkeit, ganzheitlichen Landwirtschaft und der artgerechten Tierhaltung von der Autorin empfohlen. Die Autorin distanziert sich allerdings ausdrücklich von den philosophischen Hintergründen, die mit dem „Demeter“-Begriff ansonsten verbunden sind.

Vollkommen überarbeitete und aktualisierte Auflage
der 2011 im Windpferd Verlag erschienenen Erstausgabe
Das große Rohkost-Buch

4. Auflage 2017

© 2011 by Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Jennifer Jünemann | www.bitdifferent.de

Bildrechte für das Covermotiv: digitalvision

Lektorat: Melanie Binek

Layout: Marx Grafik & ArtWork

Illustrationen: Angelika Fischer

Fotos Seite 272, 388, 396, : LEHMANN PHOTOGRAPHER, A-Wien,
Seite 110, 193, 277, 310, 333: 123rf, Autorenfoto Seite 491: Tina King - DIE FOTOGRÄFIN;
alle anderen: Angelika Fischer

eISBN 978-3-86410-172-4
www.windpferd.de

INHALT

Vorwort der Ärztin Barbara Miller

Vorwort der Autorin

Vorwort des Ernährungswissenschaftlers Paul Habison

Teil 1 – Die 7 Säulen

Essen mit allen Sinnen

Gibt es einen Ernährungsinstinkt?, oder: Warum Tarierungen so wichtig sind

Die Verdauung mit Malven, Beifuß & Co. fördern und erhalten

Gleichgewichte beachten

Über Kohlenhydrate und das Verhältnis von Traubenzucker und Fruchtzucker

Über Fette und das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren

Über Eiweiße und die Bedeutung des Aminosäurenprofils in der Nahrung

Die Lebensmittelpyramide für Rohköstler

Aufbau der Lebensmittelpyramide und die Bedeutung der Pflanzenfamilien

Wasser und andere Flüssigkeiten (1. Stufe)

Der Pflanzenschlüssel

Stetes Blatt … stärkt den Körper: Die sieben Helfer (2. Stufe)

Die Malvenartigen

Die Korbblütler (Asternartige)

Die Kreuzblütlerartigen

Die Doldenblütlerartigen

Die Lippenblütlerartigen

Die Süßgrasartigen

Die Raublattgewächse

Ganzjährige Basisernährung (3. Stufe)

(zusätzlich zu den Malvenartigen, Korbblütlern und Süßgrasartigen der 2. Stufe)

Algen

Die Ingwerartigen

Die Kürbisartigen

Die Palmenartigen

Die Seifenbaumartigen

Jahreszeitlich schwankende Basisernährung (4. Stufe)

Die Rosenartigen

Die Buchenartigen

Koniferen

Die Heidekrautartigen

Die Magnolienartigen

Die Nelkenartigen

Die Kardenartigen

Die Weinrebengewächse

Die Spargelartigen

Die Steinbrechartigen

Sprossen (und Samen)

Pflanzenöle

Fleisch

Fisch

Rohbutter

Rohmilchkäse

Eier

Muscheln und Schnecken

Insekten und Würmer

Lebensmittel mit spezieller Wirkung (5. Stufe)

Die Myrtenartigen

Die Nachtschattenartigen

Die Malpighienartigen

Die Lorbeerartigen

Die Schmetterlingsblütenartigen

Selten zu essende Lebensmittel (6. Stufe)

Trockenfrüchte

Rohkost-Schokolade

Pilze und Flechten

Honig

Die Avocado

Samen und Nüsse

Sonstige

Die Hahnenfußartigen

Mohngewächse

Die Silberbaumartigen (die Macadamianuss)

Besondere Inhaltsstoffe

Was sind sekundäre Pflanzenstoffe?

Polyphenole

Pflanzliche Duftstoffe und unangenehme Gerüche als Indiz für die Qualität eines Lebensmittels

Alkaloide – von anregend bis toxisch

Blockierende Inhaltsstoffe

Oxalsäure

Phytinsäure

Eiweißabbauende Enzyme

Enzyme und Enzymhemmer

Psychotrope Substanzen

Eingeschränkte Aminosäurenverwertung: Wie Arginin die Lysinaufnahme blockiert

Canavanin – eine giftige Aminosäure

Mineralstoffe

Eisen

Zink

Selen

Calcium, Magnesium und ionisierte Mineralstoffe

Die Vitamin-B12-Versorgung

Praktische Küchen-Tools

Der Dörrapparat (Lebensmitteltrockner)

Tiefkühlgeräte

Die Küchenmaschine

Die Saftzentrifuge

Der Standmixer (Smoothiemixer)

Der Mörser

Schneide- und Schnitzwerkzeuge

Der Hebelnussknacker

Keimschalen und Keimgläser

Weitere Küchenutensilien

Praktische Tipps für eine erfolgreiche Ernährungsumstellung

Das Ernährungstagebuch

Der Tischkalender

Die Rohkostkartei

Die schrittweise Integration der Lebensmittelpyramide

Wie eine komplette, unmittelbare Ernährungsumstellung gelingen kann

Hilfsmittel zur Überprüfung der Ernährung

Urin-Teststreifen zur Überprüfung des Säure-Basen-Haushalts

Selbstportraits als Indikator für die Ausgewogenheit einer Ernährung

Ergänzende Maßnahmen

Kinder im Rohkostalltag

Teil 2 – Rezepte

Einleitung

Symbole bei den Rezepten

Übersicht über die Rezepte

Ideen für die Gestaltung des täglichen Essensplans

Anhang

Über saure und basische Verstoffwechslung, oder: Warum Elektronen „flitzen“ können sollten

Über Haltbarkeit und Lagerungsmöglichkeiten von Obst, Gemüse und Wildpflanzen

Ethylen und seine Bedeutung für den Alterungsprozess von Lebensmitteln

Reifungskriterien für Obst, Gemüse und Wildpflanzen

Ideale Aufbewahrungsorte für Obst und Gemüse

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Index

Die Autorin

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Vergissmeinnicht – ein Raublattgewächs

VORWORT DER ÄRZTIN BARBARA MILLER

Ich habe Frau Fischer vor über einem Jahr auf einem Fastenseminar im Allgäu kennengelernt. Ihr schönes Sachbuch, dessen dritte Auflage Sie nun in den Händen halten, lernte ich dort ebenfalls kennen und war sehr beeindruckt von der klar strukturierten und kurzweilig unterhaltsamen Herangehensweise Frau Fischers an Themen, die in anderen Büchern eher trocken abgehandelt werden und meist bereits vergessen sind, bevor die Buchdeckel zuklappen. Dass sie sich all dieses theoretische Wissen aus eigener Neugier und Wissensdurst erarbeitet hat, bedingt durch ihre eigene medizinische Vorgeschichte und den Wunsch, für sich alternative Behandlungswege zu finden, ist für mich, als ganzheitlich tätige Ärztin, bewundernswert. Die Fähigkeit, solche komplizierten Zusammenhänge einfach und anschaulich zu erklären, ist das Merkmal eines exzellenten Lehrers. Dieses Buch kann Wissenslücken schließen, da, wo uns Therapeuten schlicht die Zeit fehlt, um unseren Patienten nicht nur Anweisungen zu geben, wie sie sich ernähren und was sie eher meiden sollten, sondern beim „Warum“. In meiner Praxis sehe ich immer wieder, dass die Compliance, also das Befolgen der ärztlichen Anweisungen, umso zuverlässiger erfolgt, je besser der Patient begreift, warum sein Körper von diesen und jenen Nahrungsmitteln profitiert oder aber geschädigt wird. Obwohl ich grundsätzlich 90-minütige Termine vergebe, reicht auch diese Zeit häufig nicht aus und gerne verweise ich auf weiterführende Literatur wie dieses Buch.

In meiner Arbeit konzentriere ich mich schwerpunktmäßig auf die Zufuhr von möglichst vielen, für alle Zellen nötigen Mikronährstoffen in Form von gesunden, nährstoffreichen, überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln und wenigen Nahrungsergänzungen, da wir heutzutage nicht mehr alle notwendigen Nährstoffe über die Nahrung bekommen können. Ein weiteres wichtiges Standbein meiner Therapien ist das Erzielen von Darmgesundheit. Solange der Darm fehlbesiedelt und entzündet ist, kann die gesündeste Diät den Körper nicht nähren, denn die wertvollen Nährstoffe werden nicht aufgenommen und in den Körper geleitet. Zu häufig sehe ich in meiner Praxis Rohköstler und Veganer, denen es nicht gut geht, obwohl sie sich eigentlich bereits sehr „gesund“ ernähren. Der Knackpunkt ist in diesen Fällen meistens der Darm.

Die dritte Säule meiner Arbeit sind die Hormone. Ohne ein gesundes Gleichgewicht in den großen Hormonsystemen Schilddrüse, Nebenniere, Insulinsystem und Geschlechtshormone kann es Gesundheit und Wohlbefinden nicht geben und eine Heilung kann nicht stattfinden. Chronische Toxinbelastung, zum Beispiel durch Fremdöstrogene in unserer Umwelt und unseren Nahrungsmitteln, kann unseren Hormonsystemen schaden und sie aus dem Lot bringen. Je mehr wir darüber wissen, umso besser können wir uns davor schützen.

All diese Punkte werden im vorliegenden Buch angesprochen, ebenso die Vorteile von tierischen Fetten erklärt, die ich als essentiell einstufe und als medizinisch begründete Ergänzung einer veganen Ernährung betrachte. Sicherlich werden solche Bücher dazu beitragen, die falschen Informationen in den Medien, denen die Bevölkerung seit Jahren ausgesetzt ist, nach und nach zu relativieren. Das Bewusstsein darüber, was eine wirklich gesunde Ernährung ausmacht, wächst stetig und die Menschen sind zunehmend mehr bereit, selbst Verantwortung für ihre eigene Gesundheit zu übernehmen, anstatt sich auf den Rezeptblock ihres Hausarztes zu verlassen. Welch eine begrüßenswerte und unterstützungswürdige Entwicklung!

Berlin im November 2015

Barbara Miller, Ärztin

VORWORT DER AUTORIN

Liebe Leserin, lieber Leser,

als ich vor mehreren Jahren in einem zweiwöchigen Experiment auf eine reine Rohkosternährung umstellte, ahnte ich noch nicht, dass diese beiden Wochen den Beginn einer neuen Lebensweise markieren würden. Als langjährige Allergikerin, Asthmatikerin und Neurodermitikerin erlebte ich, wie sich bereits innerhalb dieser kurzen Zeitspanne mein Körper von innen her veränderte und es mir so gut wie noch nie zuvor ging: Mein Immunsystem wurde stärker, mein Hautbild verbesserte sich deutlich, der für Neurodermitiker typische quälende Juckreiz und das Unruhegefühl verschwanden, ich bekam besser Luft, ja sogar meine Sehkraft hatte zugenommen. Ich fühlte mich derart mit positiver Energie und Lebenskraft erfüllt, dass ich nach diesen vierzehn Tagen davon überzeugt war, in der Rohkosternährung genau das Richtige zur Wiedererlangung meiner Lebenskraft und zur Verbesserung meiner Krankheiten gefunden zu haben. Ich fühlte mich endlich nach langer Zeit durch und durch kräftig, und ich hatte nun eine Perspektive auf ein Leben ohne Medikamentenabhängigkeit!

Dennoch stellten sich nach dieser anfänglichen euphorischen Phase Bedenken bei mir ein: Einerseits fühlte ich mich durch die vielen unterschiedlichen, manchmal recht widersprüchlichen Meinungen von Rohköstlern verunsichert, welche Lebensmittel zum Verzehr geeignet seien und welche nicht. Andererseits fragte ich mich, ob eine reine Rohkosternährung auf lange Sicht tatsächlich ausgewogen und ausgeglichen sein konnte und den täglichen Nährstoffbedarf unseres Körpers zu decken vermochte. Viele Meinungen standen in konträrem Gegensatz zu meinem bisherigen Ernährungswissen und meinen eigenen Erfahrungen, wie verschiedene Lebensmittel wirken können. Rückmeldungen von langjährigen Rohköstlern, die von Mangelerscheinungen aufgrund einer zu einseitigen Ernährung berichteten, bestärkten mich darin, bei der Gestaltung meiner Rohkosternährung nicht willkürlich vorzugehen, sondern mich genauer damit auseinanderzusetzen. Doch wie sollte ich dies anstellen?

Ich begann – noch mehr als früher – auf meine Sinneseindrücke und auf die Reaktionen meines Körpers während und nach dem Essen zu achten. Ich organisierte zahlreiche Rohkost-Treffen und knüpfte Kontakte zu anderen Rohköstlern. Vor dem Hintergrund der dabei gesammelten Erfahrungen und Beobachtungen fing ich schließlich an, mich in ernährungsphysiologische Zusammenhänge zu vertiefen. Dabei suchte ich auch aktiv den Austausch mit Lebensmitteltechnologen, Biochemikern und Ernährungswissenschaftlern; ich wollte wissen, zu welchen Erkenntnissen die Wissenschaft bislang über Rohkost und Kochkost gekommen war, und las mich in die ernährungswissenschaftliche Literatur ein. Gleichzeitig – und ohne diesen wichtigen Schritt wäre ich nie auf viele Zusammenhänge gestoßen – überprüfte ich mit Hilfe meiner Sinne immer wieder in Eigenversuchen die Auswirkungen von rohen Lebensmitteln auf meinen Organismus. Ich beobachtete, wie sich der Verzehr von bestimmten Pflanzen auswirkte, welche Konsequenzen die Zusammensetzung der Nahrung als solche auf mich und meinen Körper ausübte, und lernte, die Botschaften meiner Sinne bei meiner Nahrungsauswahl gezielt wahrzunehmen und mich entsprechend zu verhalten:

Ich aß verschiedenartige Blätter aus der Natur, bestimmte Früchte und andere Lebensmittel, die beobachtbare Auswirkungen auf mein Befinden und auf mögliche Krankheitssymptome ausübten. Dadurch änderte sich nicht nur mein Lebensgefühl; auch meine Konzentrationsfähigkeit änderte sich, je nachdem, was ich gegessen hatte. Während dieser Zeit ließ ich mich kontinuierlich von meinem behandelnden Arzt begleiten, um sicherzugehen, dass sich die entsprechenden Blutwerte besserten (Entzündungswerte, aber auch Werte im Zusammenhang mit Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen). Auch Menschen in meiner Umgebung nahmen an Eigenbeobachtungen teil. Auf diese Weise haben sich im Laufe der Jahre früheres Wissen aus meiner Familie, neues praktisches Wissen mit Rohkost und theoretisches, fachspezifisches Wissen miteinander verbunden.

Ich selbst hatte ursprünglich nicht daran gedacht, dieses Wissen und diese Erfahrungen einmal niederzuschreiben. Doch das Interesse von anderen Menschen, die ihre Ernährung ebenfalls auf reine Rohkost umstellen wollten und, wie sich in Gesprächen zeigte, häufig ähnliche Fragen wie ich am Anfang hatten, bewog mich schließlich dazu, dieses Buch zu schreiben. Dabei wollte ich mich nicht darauf beschränken, lediglich Lebensmittel zu nennen, die sich meiner Erfahrung nach für eine ausgeglichene Rohkosternährung eignen. Ich möchte auch darüber informieren, warum sie dies tun. Aus diesem Grund finden Sie in den einzelnen Kapiteln immer wieder ernährungsphysiologisches, biochemisches und medizinisches Hintergrundwissen. Dabei habe ich versucht, komplexe Zusammenhänge möglichst einfach und leicht verständlich darzustellen. Ebenfalls bewusst eingeschränkt habe ich den Gebrauch von fachspezifischen Ausdrücken: Mein Ziel ist, dass die Inhalte dieses Buches unabhängig von dem jeweiligen Vorwissen der einzelnen Leser verstanden und nachvollzogen werden können.

Bei der Lektüre werden Sie außerdem einige inhaltliche Wiederholungen von besonders wichtigen Themenkomplexen entdecken: Diese mehrfache Nennung ist durchaus didaktisch gemeint und soll der Festigung dienen. Die Unterteilung des Buches in sieben Kapitel – sieben Säulen – soll ebenfalls dabei helfen, die Menge an Informationen zugänglich zu machen.

Im Rahmen der Lebensmittelpyramide für Rohköstler (4. Säule) werden neben herkömmlichen und exotischen Obst- und Gemüsesorten auch Wildpflanzen genannt, jedoch nur unter dem Gesichtspunkt, ob und inwiefern sie im Rahmen einer Rohkosternährung zum Einsatz kommen können. Details, wie man Wildpflanzen bestimmt bzw. in der freien Natur identifiziert, werden nicht gegeben, sondern sollten sich mit Hilfe von Pflanzenbestimmungsbüchern angeeignet werden.

Im Rahmen der Lebensmittelpyramide erwähne ich auch rohe tierische Produkte. Falls Sie sich vegetarisch oder vegan ernähren möchten, können Sie selbstverständlich diesen Bereich weglassen und andere, geeignete Alternativen verwenden. Welche Möglichkeiten es dazu gibt und welche Aspekte dabei besonders zu beachten sind, wird ebenfalls in diesem Buch behandelt.

Die rohköstliche Ernährung ist ein starkes und mächtiges Werkzeug, verlangt aber nach einem verantwortungsvollen Umgang mit sich und seinem Körper. Überprüfen Sie daher alle Empfehlungen dieses Buches anhand eigener Erfahrungen, und nutzen Sie nur die Informationen, die Ihnen in Ihrem Leben entsprechend Ihrer Umgebung und Ihren Möglichkeiten sinnvoll und richtig erscheinen.

Zum Schluss möchte ich noch ein herzliches Dankeschön den Menschen gegenüber aussprechen, die mich zum Teil über Monate oder sogar Jahre bei der Realisierung dieses Projekts maßgeblich unterstützt haben. Hierzu gehören unzählige Rohköstler, die mir ausführlich von sich, von ihren Freunden und Bekannten, von ihrer Familie (ihren Rohkost-Eltern und Rohkost-Kindern) berichteten und mich teilweise sehr intensiv und lange in ihre persönliche Praxis einblicken ließen. Aufgrund dieser Kontakte habe ich viele wichtige Einsichten und Erkenntnisse gewinnen dürfen.

Ebenfalls erwähnen möchte ich Eva Maria Schiretz, mit der ich mich über meine Beobachtungen bzgl. des menschlichen Stoffwechsels austauschen konnte und die mich im Rahmen ihres ernährungswissenschaftlichen Studiums mit nützlichen Literaturtipps versorgte. Danken möchte ich auch Dr. Michael Romer, der ein paar Anregungen zum Manuskript gab. Ein herzliches Dankeschön geht an Mag. Paul Habison, der einige Kapitel auf wissenschaftliche Korrektheit geprüft hat und mit dem ich über verschiedene Aspekte der Rohkosternährung sowie über mein Buch diskutieren konnte.

Mein besonderer Dank gilt meinem Mann Herbert, der in einem Lebensmittellabor arbeitet und mich die ganzen Jahre hindurch bei allen Recherchen trotz sehr großen Zeitaufwands unterstützte, weil er sah, dass die Ernährung mit rohen Lebensmitteln nicht nur ungeahnt gute Auswirkungen auf meinen Gesundheitszustand besitzt, sondern ebenfalls positive Einflüsse auf ihn und unseren Sohn ausübt. Meinem Sohn Manuel danke ich dafür, dass er mir durch seine feinen kindlichen Geschmacksnerven und seine eindeutigen Reaktionen oft die beste Qualitätskontrolle war und ist.

Ebenso danken möchte ich dem lebendigen Lektorat des Windpferd-Verlags und meiner Verlegerin, die mir die Möglichkeit gibt, das gesammelte Wissen vieler Rohköstler auf diese Weise einem breiteren Publikum zugänglich zu machen!

Ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Buch zum gegenseitigen Austausch und zur Diskussion animiert. Für Rückmeldungen, Fragen und Anregungen stehe ich allen Leserinnen und Lesern gerne unter meiner Homepage zur Verfügung: www.allesroh.at sowie www.angelikafischer.com.

Enzesfeld-Lindabrunn, im August 2011

Angelika Fischer

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Eingeweichtes Irisch Moos

VORWORT VON ERNÄHRUNGSWISSENSCHAFTLER PAUL HABISON

Die Rohkost ist ein wichtiges und nach wie vor unterschätztes Thema im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden.

Es ist unter anderem deshalb so interessant, weil es unzählige glaubhafte Berichte darüber gibt, dass sich Menschen durch konsequente Ernährungsumstellung auf Rohkost über Wochen oder Monate von teils schweren chronischen Erkrankungen befreit haben.

Die Autorin ist eine davon, wie sie mir ausführlich berichtete, in ihrem Fall war es Neurodermitis. Der Grund, warum dies für mich plausibel erschien, ist, dass ich mich selbst als Ernährungswissenschaftler seit etwa 13 Jahren mit dieser und anderen so genannten alternativen Ernährungsformen beschäftige. So war ich selbst 9 Monate lang Rohköstler und habe die Diplom- und Doktorarbeit meines Kollegen Dr. Edmund Semler über historische, wissenschaftliche und therapeutische Aspekte der Rohkost intensiv mitverfolgt und mehrere Vorträge über Rohkost in Peru und Österreich gehalten. Weiters arbeitete ich 5 Monate in einem Spital in Peru mit Rohkost als Therapie. Die Erfolge waren für mich wegweisend und bestätigten im Kleinen die unzähligen von Dr. Semler hervorragend recherchierten und dokumentierten Therapieerfolge von über 100 Ärzten bei chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Haut, bei rheumatischen Erkrankungen, verschiedenen Krebsformen und vielen anderen. So wird nach genauem Prüfen der Ausspruch des bekannten Schweizer Arztes Dr. Bircher-Benner „Pflanzliche Rohkost ist die Heilnahrung par excellence“ nachvollziehbar.

Damit meinten diese Ärzte aber keineswegs, dass sich jede chronische Erkrankung in jedem Stadium durch Rohkost heilen lässt, sondern lediglich, dass sie selbst über die oft unerwartete Heilwirkung höchst erstaunt waren und die Therapieerfolge meist deutlich besser waren als mit allen anderen ihnen bekannten und damit meist rein medikamentösen Therapien.

Dabei muss es keinesfalls immer einhundert Prozent Rohkost sein. Für gewöhnlich reichen laut ärztlicher Erfahrung 50 % bis 80 %, wobei der Rest vegetarische Vollwertkost ist. Mit Vollwertkost ist übrigens nicht notwendigerweise der Verzehr von viel Vollkornbrot gemeint. Die individuelle Abstimmung wurde von vielen der Ärzte als maßgeblich angesehen.

Ein Beispiel eines persönlich beobachteten Falles ist der eines 67jährigen Arztes und Musikers, welcher über zehn Jahre an Arthrose litt und dadurch schmerzbedingt nicht mehr Klavierspielen konnte. Nach 10 Tagen einer vegetarischen gemüsereichen Vollwertkost mit etwa 75 % Rohkost rief er mich an und teilte mir erfreut mit, dass er wieder Klavierspielen kann und auch sonst praktisch schmerzfrei ist. Seitdem behält er diese Ernährung im Wesentlichen bei, was wichtig zur Verhinderung eines Rückfalles ist. Es geht aber erfahrungsgemäß nicht immer so schnell. Auch die Bereitschaft des Patienten ist ein wesentlicher Aspekt.

Ich finde es allerdings sehr bedauerlich, dass das empirisch erprobte Wissen über Rohkost als Therapie heutzutage sowohl Ärzten, Naturwissenschaftlern wie auch Laien dermaßen unbekannt ist. Ich hoffe sehr, dass sich dies mit der Zeit ändert und dass auch das vorliegende Buch dazu beiträgt, Rohkost als interessante Ernährungsform, sei es nun pur oder als Teil einer gesunden Ernährung wie bei der Vollwertkost, als Kur oder wenn gewünscht als Dauerernährung publik zu machen.

Die Autorin weist ein außergewöhnlich hohes ernährungswissenschaftliches Interesse und auch Wissen auf, welches jenes vieler Ernährungswissenschaftler um einiges übertrifft. Sie hat sich jahrelang intensiv sowohl mit der modernen Rohkostbewegung als auch mit der Ernährungswissenschaft und ihren Grundlagen beschäftigt, um scheinbare Widersprüche aufzuklären und die Hintergründe einer gesunden Ernährung zu verstehen.

Dieses Buch ist für Personen gedacht, die sich aufgrund chronischer Erkrankungen rohkostreich ernähren wollen, sowie allen, die die Geheimnisse bzw. Gesetze einer gesunden Ernährung ergründen wollen.

Es ist auch für Gesunde empfehlenswert, immer wieder einige Tage oder Wochen reiner Rohkost einzulegen, um den Körper zu entlasten und zu vitalisieren und auch kleinere Leiden wie Kopfschmerzen, manche Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und chronische Müdigkeit zu verbessern. Auch zur Gewichtsoptimierung eignet sich gut durchgeführte Rohkost hervorragend. Außerdem ist es eine stärkende Erfahrung, einmal auf das Gewohnte zu verzichten und Neues auszuprobieren.

Dieses Buch kann bei der richtigen Nahrungsauswahl von rohen Lebensmitteln entscheidend helfen. Denn länger praktiziert kann reine Rohkost bei fehlendem Wissen zu Nährstoffmängeln führen und die Lust nach Kochkost fast unerträglich machen. Längerfristig falsch praktizierte Rohkost kann in der Tat ungesund sein.

Angelika Fischer ist Expertin für die passende und auch schmackhafte Kombination sowie Lagerung von rohen Lebensmitteln. Hier ist ihr Schema der Pflanzenfamilien und damit in Verbindung das Einbeziehen von Wildpflanzen besonders hervorzuheben. Weiters zeigt sie uns, wie wir anhand unserer Sinne, genauer: dem Ernährungsinstinkt, den wir wieder lernen können, richtig einzusetzen, problemlos und langfristig Rohköstler sein können.

Wien, 25. Oktober 2011

Mag. Paul Habison

„Kein Genuss ist vorübergehend,
denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)

Für Manuel

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Schafgarbe am Wegesrand

TEIL 1

DIE 7 SÄULEN

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Beliebte Früchte in der Rohkosternährung: die Mangostanen

Essen mit allen Sinnen

Die 1. Säule:

Unsere Sinne sind das Hilfsmittel, mit dem wir unsere Ernährung optimal an unsere individuellen Bedürfnisse anpassen können.

Sie sind der Schlüssel zu einer sinnvollen, aktiven Nahrungsauswahl.

Wer seine Ernährung bewusst auf Rohkost umstellen will, wird sich früher oder später zwangsläufig mit Fragen nach dem Nährwertgehalt und der Verträglichkeit von geeigneten Lebensmitteln auseinandersetzen müssen. Eine zentrale Frage, die mich selbst am Anfang meiner Ernährungsumstellung beschäftigte, war, ob es eine Methode, eine Art Werkzeug oder ein Hilfsmittel gibt, welches uns dabei helfen kann zu entscheiden, ob ein Lebensmittel für uns und unseren Organismus geeignet ist oder nicht. Bei meiner Suche nach einer Antwort auf diese Frage bin ich zunächst auf die Kirlianfotografie gestoßen.1 Deren Fotografien belegen auf eindrückliche Art und Weise, wie sich Lebensmittel durch Erhitzen verändern: Im Vergleich zu ihrer Rohkostvariante büßen Aufnahmen mit erhitzter Nahrung eindeutig an Leucht- und Strahlkraft ein.

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Abb. 1: Stilisierte Kirlianfotografie eines rohen und eines erhitzten Champignons

Eine intensive Leucht- und Strahlkraft gilt bei der Kirlianfotografie als Zeichen für ein hochwertiges Nahrungsmittel. Doch ist dem wirklich so?

Grenzen der Kirlianfotografie

Viele Rohköstler greifen bei ihrer Ernährung gerne auf Samen zurück. Nimmt man die Bilder der Kirlianfotografie zu Hilfe, so sind unerhitzte Samen eindeutig erhitzten vorzuziehen. Doch verträgt unser Organismus überhaupt Samen? Diese Frage kann die Kirlianfotografie mit ihren noch so intensiv strahlenden Funkenbildern nicht beantworten: Samen beinhalten oft eine Reihe von Fraßschutzmitteln, wodurch sich die Pflanzen auf natürliche Weise vor Fressfeinden schützen. Für uns Menschen können solche Stoffe in kleiner Menge anregend wirken, häufig aber stellen sie unsere Leber vor eine übermäßige Zusatzaufgabe und belasten unseren Stoffwechsel. Samen sollten daher eher zurückhaltend und in kleinen Mengen gegessen werden (S. 268).

Meine Suche nach einem zuverlässigen Indikator dafür, welche Lebensmittel mir guttaten und welche nicht, war also noch nicht zu Ende. Ich hielt weiter nach einem geeigneten Hilfsmittel Ausschau, bis ich schließlich auf einen ganz besonderen Schatz stieß, den wir von der Natur mitbekommen haben: unsere Sinne.

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Abb. 2: Unsere Sinne

Dank unserer Sinne können wir hören, riechen, sehen, schmecken und tasten (fühlen). Am wichtigsten für die Nahrungsaufnahme ist natürlich unsere Zunge: Mit ihr können wir salzig, süß, sauer, bitter und umami2 schmecken. (Letzteres charakterisiert häufig proteinreiche Lebensmittel und wird auch mit „herzhaft“ oder „fleischig“ umschrieben.) Neuere Studien zeigen, dass wir mit unserer Zunge zusätzlich noch Fett schmecken können und dabei sogar fähig sind zu unterscheiden, ob es sich um gesättigte, ungesättigte oder ätherische Fette (bzw. Öle) handelt.3

Bei der Nahrungsaufnahme verlassen wir uns allerdings nicht nur auf unsere Zunge: Es ist bekannt, dass vor allem der Geruchssinn für den empfundenen Geschmack verantwortlich ist. Jeder von uns hat schon einmal bei einem starken Schnupfen erlebt, dass plötzlich das ganze Essen nach gar nichts schmeckte, eben weil wir mit unserer Nase nichts mehr riechen konnten.

Auch nehmen wir Röstaromen und „deftig“ war, Beispiele für AGEs, auf die ich später noch zurückkomme (siehe auch S. 356). Geschmack ist also das Ergebnis von dem Zusammenspiel verschiedener Sinne. Doch warum hat sich unser Geschmacksempfinden überhaupt im Laufe der Evolution herausgebildet?

Die Schutzfunktion unseres Geschmacks

Unser Geschmacksempfinden hat sich nicht nur herausgebildet, damit wir Essbares entsprechend genießen können, sondern damit wir uns bei der Nahrungsaufnahme vor verdorbenem oder (noch) nicht genießbarem Essen bzw. vor giftigen Stoffen schützen können. Für unsere Vorfahren in der unzivilisierten Natur war diese Schutzfunktion überlebenswichtig: Sie bewahrte vor dem Genuss von giftigen Pflanzen, welche meistens äußerst unangenehm schmecken. Sie schmecken „zu herb“, „zu scharf“, „zu bitter“, „zu zusammenziehend“ (adstringierend), „klebrig“ usw. Dass wir Saures schmecken können, ist möglicherweise als Schutz vor dem Genuss von unreifen Früchten und vor Oxalsäure anzusehen, welche häufig in Pflanzen vorkommt und für den Organismus in höheren Dosen schädlich ist.4 Auch unangenehme Gerüche besitzen eine solche warnende Funktion und gelten als Indikator für eine schlechte bis schädigende Lebensmittelqualität (S. 277).

Interessanterweise scheint der modernde Mensch diese wichtigen Schutzfunktionen seines Organismus kaum noch wahrzunehmen. Wir scheinen verlernt zu haben, auf die Signale unseres Körpers zu achten, da wir allzu häufig Lebensmittel zu uns nehmen, die uns de facto nicht guttun. Dass unser Geschmack Warnsignale aussendet, entfaltet bei der Nahrungsaufnahme kaum noch eine Wirkung: Wir essen, was auch immer sich gerade an Essbarem anbietet, und überhören – mehr oder weniger bewusst – die leisen Botschaften unserer Sinne! Diese Tatsache mag einerseits darauf zurückzuführen sein, dass heutzutage in vielen Lebensmitteln Aromastoffe enthalten sind, welche die eigentliche Nahrungszusammensetzung überdecken und dadurch die warnende Funktion unseres Geschmacks außer Kraft setzen. Andererseits sind wir gewohnt, vor allem auf uns bekannte Geschmacksrichtungen zurückzugreifen, und essen selten ein Nahrungsmittel für sich allein, sondern meistens in Kombination mit anderen Lebensmitteln. Auch dies kann zu einer Täuschung unserer Sinne führen.

Beispiel: Oxalsäure in rohem Spinat

Es gibt Rohköstler, die rohen Spinat gerne in Kombination mit anderen Lebensmitteln verwenden. In rohem Spinat ist allerdings Oxalsäure enthalten, welche in höheren Dosen gesundheitsschädlich ist. Oxalsäure erschwert außerdem die Eisenaufnahme, so dass es in der Folge zu einer Verarmung von Mineralstoffen im Körper kommen kann (S. 300). Blanchiert man jedoch Spinat (wie in der Kochkost üblich), löst sich die Oxalsäure zu einem großen Teil im Kochwasser und wird daher beim anschließenden Verzehr nicht mitgegessen. Babyspinat hingegen ist meist von sich aus oxalsäurearm.

Normalerweise würde unser Geschmackssinn uns davor warnen, ungeeignete Blätter roh zu essen, da sie bald viel zu säuerlich, leicht metallisch-bitter und etwas adstringierend (zusammenziehend) schmecken. Wer nun aber zum Beispiel für ein Obst-Gemüse-Getränk größere Spinatblätter mit Mangos süßt, trügt seine Sinne: Die instinktive geschmackliche Sperre, welche unser Geschmackssinn normalerweise auslösen würde, bleibt durch die überdeckende Süße der Mangos aus, sodass wir viel zu viele schädliche und schädigende Stoffe auf einmal aufnehmen.

Erste Erfahrungen mit dem natürlichen Geschmackssinn

Schon als Kind hatte ich das Glück, mit Geschmacksrichtungen vertraut zu werden, die über eine Ernährung mit ausschließlich konventionellen Lebensmitteln hinausgehen: Ein Großteil unserer Lebensmittel stammte aus dem eigenen Garten oder der umliegenden Natur. Dabei hatten meine Eltern und Großeltern wohl einen natürlichen Sinn dafür, welche Obst-, Gemüse- und Wildpflanzensorten man essen konnte und welche nicht: So brachten mir meine Eltern bei, nur junge Löwenzahnblätter als Salat zu essen – in ihnen ist im Vergleich zu älteren Löwenzahnblättern viel weniger Oxalsäure enthalten (S. 153). Auch Bärlauch war ein gern in meiner Familie verwendetes Lebensmittel; meine Großmutter fuhr oft in einen nahe gelegenen Park oder verließ die Stadt, um ihn und andere Wildpflanzen zu sammeln.

Dass auch der Reifegrad einer Frucht darüber entscheidet, ob etwas zum Verzehr geeignet ist oder nicht, wusste schon meine Urgroßmutter: Sie besaß einst ein Obst- und Gemüsegeschäft und aß mit Vorliebe nur solche Bananen, deren Schale mit kleinen, braunen Tupfen übersät war – ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Banane reif war und nun gegessen werden konnte. Ihre Kunden aber verlangten in der Regel nur nach den blass-gelben, unreifen Bananen, und zwar selbst dann, wenn sie zum direkten Verzehr bestimmt waren (S. 73).

Obwohl diese Erfahrungen und das damit verbundene Wissen an mich weitergegeben worden sind, bin ich selbstverständlich mit weitaus weniger natürlichen Nahrungsmitteln in Kontakt gekommen als jemand, der sich ausschließlich von den Schätzen der Natur ernährt. Welche Geschmacks- und Sinneseindrücke mit einer solchen Ernährungsweise verbunden sind, habe ich erst in den letzten Jahren erfahren. Diese intensive Auseinandersetzung, insbesondere mit Wildpflanzen, ist heute grundlegender Bestandteil meiner Lebensmittelpyramide (siehe 4. Säule).

Unsere Sinne im Einsatz bei der Nahrungsauswahl

Wie das Spinat-Beispiel verdeutlicht, werden unsere Sinne vor allem durch die Kombination von verschiedenen Lebensmitteln getäuscht. Um wirklich entscheiden zu können, ob uns ein Lebensmittel guttut oder nicht, müssen wir es zumindest zuerst ungemischt, also für sich allein genommen probieren. Nur dann kann die von der Natur aus eingebaute Sperre greifen, und nur so können wir uns unser Geschmacksempfinden mit seiner natürlichen Schutzfunktion zurückerobern. Wann sich bei der Nahrungsaufnahme der wahrgenommene Geschmack verändert, dieser Zeitpunkt tritt bei jedem unterschiedlich ein: Bei manchen geschieht dies früher, bei anderen später. Meist haben wir jedoch, wie gesagt, nicht gelernt, ihn wahrzunehmen. Nur allzu selten hören wir tatsächlich auf uns und unseren Körper und beobachten ihn und seine Reaktionsweisen. Wer sich aber bewusst und den eigenen Bedürfnissen entsprechend ernähren möchte, sollte darum bemüht sein, seine Sinne (wieder) aktiv zu benutzen und einzusetzen: sie gezielt für die Auswahl von Lebensmitteln und die Zusammensetzung der Nahrung zu tarieren. Als Vergleich benutze ich gerne das Bild einer Küchenwaage: Sie wird vor dem Wiegen auf Null gestellt, damit sie das tatsächliche Gewicht der zu wiegenden Lebensmittel angibt. Das Gleiche gilt für unsere Sinne: Wir sollten lernen, unsere Sinne wieder zu öffnen, und sie sozusagen auf Null zurückstellen, damit sie uns für jede neue Geschmacksbewertung direkte Rückmeldungen geben können. Wir müssen wieder lernen zu schmecken: Denn das Herausschmecken ermöglicht uns nicht nur, einen Überblick über die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels zu bekommen, sondern hilft uns dabei, seine Auswirkungen auf uns zu beobachten und zu analysieren. Erst vor diesem Hintergrund können wir wirklich wissen, wie unser Organismus auf etwas Essbares reagiert, ob und in welchen Mengen er es gerade verträgt oder ob er es gar nicht verträgt.

Die nachfolgenden Versuche sollen Ihnen dabei helfen, schrittweise Ihre Wahrnehmung durch Ihre Sinne neu auszurichten. Im Rahmen der Lebensmittelpyramide (4. Säule) werde ich Ihnen viele weitere solcher Tarierungsversuche vorstellen. Sie alle dienen dazu, sich zu sensibilisieren und bewusst wahrnehmen zu lernen, wie sich der eigene Organismus im Hinblick auf ein bestimmtes Lebensmittel verhält, bzw. zu entdecken, worin sich die Nahrungsmittel einer bestimmten Gruppe unterscheiden und welche bevorzugt gegessen werden sollten.

Versuchsreihe zur Tarierung der Sinne
1. Der Kohlrabi-Versuch

Besorgen Sie sich einen Kohlrabi aus konventionellem und einen aus biologisch-dynamischem Anbau oder, falls Sie darüber verfügen, aus dem eigenen Garten. Schneiden Sie beide Gemüse auf, und riechen Sie an ihnen. Die auf natürlichere Weise herangezogene Knolle wird anders riechen. Eventuell können Sie bei dem konventionell angebauten Gemüse sogar Düngemittel (Nitrat) oder Schädlingsbekämpfungsmittel herausriechen und -schmecken. Oder Ihnen fällt der intensivere Gehalt an Mineralstoffen beim Bio-Kohlrabi auf.

Kohlrabi esse ich zwar nur selten, doch fielen mir bei ihm die genannten Unterschiede zum ersten Mal am stärksten auf. Ähnliches habe ich auch bei Bio- und konventionellen Bananen und deren Schalen beobachtet. Dank unseres Geruchssinns können wir also offenbar Fremdsubstanzen in Lebensmitteln erkennen, eine Tatsache, die auch bei Wurzelgemüse sehr stark ins Gewicht fällt, da diese oft Nitrate und andere Düngemittel anreichern.

Hinweis:

Wenn Sie am Anfang Geruchsund Geschmacksunterschiede weniger stark wahrnehmen, könnte dies daran liegen, dass Sie Ihren Zinkspeicher erst wieder auffüllen müssen (siehe S. 310).

2. Der Salat-Versuch

Kaufen Sie sich einen grünen, eher bitteren Blattsalat, z. B. Endivie, oder nehmen Sie Löwenzahnblätter. Essen Sie von den Blättern, bis Sie merken, dass der angenehme Geschmack ins z. B. Bittere umschlägt. Bereiten Sie nun aus den verbleibenden Salatblättern einen durchmischten, mit Salz, Öl und Essig angereicherten Salat zu. Sie werden merken, dass Sie nun viel mehr Salatblätter essen können. Dies zeigt, dass unser Geschmackssinn als Sperre für Stoffe, die der Körper nicht mehr haben möchte, bei gemischten Produkten nicht bzw. nicht so gut funktioniert. Oder probieren Sie dies mit jungen Brennesselblättern. (Achtung: Nesselgift!)

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Die Wurzel der Wilden Möhre

3. Der Ananas- bzw. Karottenversuch

Kaufen Sie sich eine reife (Hawaii-)Ananas (oder ersatzweise, je nach Bedarf und Saison, einen Bund Karotten). Verfahren Sie bei dem Verzehr bis zum Umschlagen des angenehmen Mundgefühls wie folgt:

Zuerst schneiden/beißen Sie ganze Stücke ab und essen diese, bis es Ihnen nicht mehr angenehm ist.

Setzen Sie nun mit kleinen „nudeligen“ Stücken fort, bis sich auch bei ihnen ein unangenehmes Mundgefühl einstellt.

Bereiten Sie danach aus dem verbleibenden Rest einen Ananas- bzw. Karottensaft zu.

Wenn der Saft nicht schmeckt, können Sie noch Zucker hinzufügen.

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Reife Ananas

Sie werden merken, dass Sie umso mehr von dem jeweiligen Lebensmittel essen können, je mehr es verarbeitet ist. Dies liegt daran, dass wir durch die Verarbeitung den ansonsten deutlichen Geschmacksumschlag weniger gut wahrnehmen können.5 Wird der Saft noch gezuckert, fällt die Sperre im Mund vollkommen weg: Unser Geschmackssinn kann das Bitterwerden der Substanz nicht mehr registrieren.

Normalerweise wird eine Ananas bei längerem Kauen richtig sauer, ja sogar ätzend, weil sie die Mundschleimhaut angreift. Unser Körper benötigt nämlich zu ihrer Vorverdauung ein eigenes Enzym. Ist dieses Enzym verbraucht, brennt die Frucht plötzlich sehr unangenehm. Diese Beobachtungen können allerdings nur dann gemacht werden, wenn man eine Ananas für sich allein und vor allem ungezuckert verzehrt. So zeigt auch dieses Experiment, wie sehr Manipulation unsere Sinneseindrücke und damit unsere Nahrungsauswahl verändert. Die Gefahr einer Überlastung und Fehlernährung ist dadurch relativ groß.

4. Der Pflanzenteile-Versuch

Suchen Sie in der Natur eine Wilde Möhre. Sie erkennen Sie an der rotschwarz gefärbten Blüte inmitten einer Vielzahl von weißen Doldenblüten. Brechen Sie ein grünes Ästchen vom Pflanzenstängel ab, reiben Sie ein Blatt zwischen den Fingern und riechen Sie daran. Der Geruch erinnert sehr stark an unsere Gartenmöhre, die Karotte.6 Probieren Sie davon: Das Blatt schmeckt in der Regel in sich abgerundet und weist in geringen Mengen eine sehr angenehme Wirkung auf (S. 163). Das Grün der gezüchteten Karotte hingegen schmeckt im Vergleich dazu direkt oft „zu scharf“.

Ziehen Sie nun die Wilde Möhre aus der Erde, und betrachten Sie die zierliche, dünne, außen braune und innen weiße Wurzel. Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass sie aufgrund ihrer äußeren Beschaffenheit kaum dazu geeignet ist, ein wesentlicher Bestandteil unserer Nahrung zu sein. Trotzdem hat der Mensch gerade diesen Pflanzenteil hochgezüchtet. So konnte er auch im Winter ungünstigerer Breitengrade das Betacarotin durch Zerkleinern und Erhitzen für sich verfügbar machen.A1 Die Karotte wurde vor allem für das Zubereiten von Suppen und warmen Speisen gezüchtet. Aufgrund ihrer leichten Lagerungsmöglichkeit bot sie früheren Generationen eine gute Möglichkeit, im Winter über die Runden zu kommen. Um die durch das Kochen verlorenen Inhaltsstoffe wieder auszugleichen, wird die Karotte normalerweise mit Fett (Beta-Carotinaufnahme) und einem Gewürz aus derselben Pflanzenfamilie ergänzt: mit Petersilie oder neuerdings auch mit Wiesenkerbel. Roh verzehrt stellt die Karotte allerdings eine Belastung für unseren Organismus dar: Sie ist schwer verdaulich und sollte zumindest sehr gut zerkleinert werdenA18.

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Abb. 3: Natürliche und hochgezüchtete Pflanzen im Vergleich: Von der Wilden Möhre zur Karotte, ergänzend dazu die Blätter des Wiesenkerbels

Wenn wir noch einmal das Äußere der Wilden Möhre betrachten, also bewusst unseren Sehsinn einsetzen, wird deutlich, welchen Pflanzenteil wir in einer funktionierenden Rohkostküche stattdessen verwenden sollten: das Pflanzengrün! Das Verzehren von hochgezüchteten, unseren Organismus belastenden rohen Karotten ist nicht notwendig. Wenn wir andere geeignete Grünpflanzen aus derselben Pflanzenfamilie zu uns nehmen, wie zum Beispiel den Wiesenkerbel oder den ebenfalls sehr beliebten Giersch (S. 163, 165), führen wir uns außerdem auf eine gut verträgliche Weise auch die Inhaltsstoffe zu, die in der Karotte aufgrund ihrer Hochzüchtung nicht mehr enthalten sind. So unterstützen schon ein paar Blättchen dieser Pflanzenfamilie am Tag eine optimale Versorgung; so kommen wir auch mit viel weniger Pflanzenmasse aus.

Ergebnis der Versuchsreihe

Wenn wir unseren Sinnen die Möglichkeit geben, uns auf die richtige Spur zu führen, wenn wir ihre Signale wahrnehmen und analysieren, ist es uns möglich zu erkennen, welche Lebensmittel oder welche Teile davon für unseren Organismus wirklich vorteilhaft sind. Verwirren wir aber unsere Sinne, indem wir ihnen eine Fülle von Geschmacksrichtungen gleichzeitig servieren, werden unsere instinktive Sperre und damit unser natürliches Alarmsystem außer Kraft gesetzt. Wollen wir eine für uns geeignete Ernährung finden, müssen wir lernen, unsere Sinne neu zu tarieren, damit wir sie bewusst bei unserer Nahrungswahl einsetzen können. Bei der Tarierung unserer Sinne geht es langfristig darum, die Wahrnehmung zu intensivieren. Sie hilft zu erkennen, welche spezifischen Inhaltsstoffe ein Lebensmittel enthält und wie sie auf uns wirken.

Sekundäre Pflanzenstoffe

In Obst und Gemüse sind neben Mineralstoffen und Vitaminen auch sekundäre Pflanzenstoffe enthalten, die für unseren Organismus positiv oder eher negativ, d. h. schädigend sein können. Unter sekundären Pflanzenstoffen versteht man Begleitstoffe, die nur durch spezielle Zelltypen zum Beispiel zum Schutz vor UV-Strahlung und Parasiten hergestellt werden (S. 274).

Beispiel:
Alkaloide und Glutamate und ihr reifebedingtes Vorkommen in der Tomate

Eine bestimmte Gruppe von Pflanzenstoffen wird Alkaloide genannt, zu ihnen gehören unter anderem Koffein und Nikotin (S. 291). Ihr Genuss kann für den Menschen je nach Pflanzenart in kleineren Mengen anregend, in größeren jedoch giftig sein. Die Solanum-Alkaloide kommen zum Beispiel bei den Nachtschattengewächsen vor. Dazu gehören unter anderem die Tollkirsche, Kartoffeln und Tomaten. Während die Tollkirsche durch ihren hohen Alkaloid-Anteil bereits in kleiner Menge tödlich wirken kann, müsste man schon viele rohe Kartoffeln essen, um sich zu vergiften. Tomaten enthalten Alpha-Tomatin,