Statische Gedichte

ACH, DAS FERNE LAND —

Ach, das ferne Land,

wo das Herzzerreißende

auf runden Kiesel

oder Schilffläche libellenflüchtig

anmurmelt,

auch der Mond

verschlagenen Lichts

– halb Reif, halb Ährenweiß –

den Doppelgrund der Nacht

so tröstlich anhebt –

 

ach, das ferne Land,

wo vom Schimmer der See’n

die Hügel warm sind,

zum Beispiel Asolo, wo die Duse ruht,

von Pittsburg trug sie der »Duilio« heim,

alle Kriegsschiffe, auch die englischen, flaggten halbmast,

als er Gibraltar passierte –

 

dort Selbstgespräche

ohne Beziehungen auf Nahes,

Selbstgefühle,

frühe Mechanismen,

Totemfragmente

in die weiche Luft –

etwas Rosinenbrot im Rock –,

so fallen die Tage,

bis der Ast am Himmel steht,

auf dem die Vögel einruhn

nach langem Flug.

QUARTÄR —

I.

 

Die Welten trinken und tränken

sich Rausch zu neuem Raum

und die letzten Quartäre versenken

den ptolemäischen Traum.

Verfall, Verflammen, Verfehlen –

in toxischen Sphären, kalt,

noch einige stygische Seelen,

einsame, hoch und alt.

II.

 

Komm – lass sie sinken und steigen,

die Cyclen brechen hervor:

uralte Sphinxe, Geigen

und von Babylon ein Tor,

ein Jazz vom Rio del Grande,

ein Swing und ein Gebet –

an sinkenden Feuern, vom Rande,

wo alles zu Asche verweht.

 

Ich schnitt die Gurgel den Schafen

und füllte die Grube mit Blut,

die Schatten kamen und trafen

sich hier – ich horchte gut –,

ein Jeglicher trank, erzählte

von Schwert und Fall und frug,

auch stier- und schwanenvermählte

Frauen weinten im Zug.

 

Quartäre Cyclen – Scenen,

doch keine macht dir bewusst,

ist nun das Letzte die Tränen

oder ist das Letzte die Lust

oder beides ein Regenbogen,

der einige Farben bricht,

gespiegelt oder gelogen –

du weißt, du weißt es nicht.

III.

 

Riesige Hirne biegen

sich über ihr Dann und Wann

und sehen die Fäden fliegen,

die die alte Spinne spann,

mit Rüsseln in jede Ferne

und an alles, was verfällt,

züchten sich ihre Kerne

die sich erkennende Welt.

 

Einer der Träume Gottes

blickte sich selber an,

Blicke des Spiels, des Spottes

vom alten Spinnenmann,

dann pflückt er sich Asphodelen

und wandert den Styxen zu –,

lass sich die Letzten quälen,

lass sie Geschichte erzählen –

Allerseelen –

Fini du Tout.

CHOPIN

Nicht sehr ergiebig im Gespräch,

Ansichten waren nicht seine Stärke,

Ansichten reden drum herum,

wenn Delacroix Theorien entwickelte,

wurde er unruhig, er seinerseits konnte

die Notturnos nicht begründen.

 

Schwacher Liebhaber;

Schatten in Nohant,

wo George Sands Kinder

keine erzieherischen Ratschläge

von ihm annahmen.

 

Brustkrank in jener Form

mit Blutungen und Narbenbildung,

die sich lange hinzieht;

stiller Tod

im Gegensatz zu einem

mit Schmerzparoxysmen

oder durch Gewehrsalven:

man rückte den Flügel (Erard) an die Tür

und Delphine Potocka

sang ihm in der letzten Stunde

ein Veilchenlied.

 

Nach England reiste er mit drei Flügeln:

Pleyel, Erard, Broadwood,

spielte für 20 Guineen abends

eine Viertelstunde

bei Rothschilds, Wellingtons, im Strafford House

und vor zahllosen Hosenbändern;

verdunkelt von Müdigkeit und Todesnähe

kehrte er heim

auf den Square d’Orléans.

 

Dann verbrennt er seine Skizzen

und Manuskripte,

nur keine Restbestände, Fragmente, Notizen,

diese verräterischen Einblicke –,

sagte zum Schluss:

»meine Versuche sind nach Maßgabe dessen vollendet,

was mir zu erreichen möglich war.«

 

Spielen sollte jeder Finger

mit der seinem Bau entsprechenden Kraft,

der vierte ist der schwächste

(nur siamesisch zum Mittelfinger).

Wenn er begann, lagen sie

auf c, fis, gis, h, c.

 

Wer je bestimmte Präludien

von ihm hörte,

sei es in Landhäusern oder

in einem Höhengelände

oder aus offenen Terrassentüren

beispielsweise aus einem Sanatorium,

wird es schwer vergessen.

 

Nie eine Oper komponiert,

keine Symphonie,

nur diese tragischen Progressionen

aus artistischer Überzeugung

und mit einer kleinen Hand.

ORPHEUS’ TOD